Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Knoodt, Peter“ von Theodor Weber in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 262–272, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Knoodt,_Peter&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 18:22 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Knoll, Konrad
Nächster>>>
Knosp, Rudolf von
Band 51 (1906), S. 262–272 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Peter Knoodt in der Wikipedia
Franz Peter Knoodt in Wikidata
GND-Nummer 11625968X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|262|272|Knoodt, Peter|Theodor Weber|ADB:Knoodt, Peter}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11625968X}}    

Knoodt: Franz Peter K., der Sohn des Bürgermeisters Heinrich K. und seiner Ehefrau Josepha geborenen Goutzen, erblickte am 6. November 1811 in Boppard das Licht der Welt. Das Kind entfaltete sich zu einem frohen, muthwilligen Knaben, aus dem Knaben wurde allmählich ein Jüngling und Mann, den, bei allem Ernste seines Strebens, der heitere Sinn und die Offenheit des echten Rheinländers, selbst in den schwierigsten Verhältnissen, in die er mit der Zeit verwickelt wurde, nie verließ. Dazu trug sicherlich nicht das wenigste bei die ungeheuchelte, tiefe Religiösität, die das Kind als Anlage überkommen hatte, und die in ihm, namentlich unter der sorgsamen Pflege der Mutter, zur herrlichsten Blüthe sich entfaltete. „Von der Mutter wurde ihm, nach seinem eigenen Geständnisse aus dem Jahre 1845, die innigste Liebe zu Christus, die höchste Bewunderung seiner Lehren und Thaten tief ins Herz gepflanzt, so daß, wie in seiner Jugend kein beißender Spott und Hohn Andersgesinnter, so auch später kein kalter Hauch des Zweifels, kein stolzer Uebermuth des Wissens im Stande war, das zu zerstören, was der Mutter Hand so sorglich pflegte.“

Die Vorbereitungsstudien zur Universität machte K. auf dem Progymnasium seiner Vaterstadt und auf dem Gymnasium in Coblenz. Von diesem mit dem Zeugniß der Reife entlassen, wurde er am 19. October 1829 in der katholisch-theologischen Facultät der Universität Bonn durch den damaligen Rector Clemens August v. Droste-Hülshoff immatriculirt. v. Droste, ein hervorragendes Mitglied der juristischen Facultät, war zugleich ein warmer, überzeugter Anhänger der Hermesischen Philosophie. In der katholisch-theologischen Facultät lehrten mit großem Erfolge noch Hermes selbst, außerdem in demselben Geiste die beiden Professoren Achterfeld, Braun und Privatdocent Vogelsang. Die Vorlesungen, welche K. in den vier Semestern seines Bonner Aufenthaltes belegte und nach den von seinen Lehrern ausgestellten Zeugnissen sehr fleißig besuchte, bekunden schon seine Neigung außer zu theologischen, ganz besonders zu philosophischen Studien. Mit der Hermesischen Philosophie machte er sich nach Möglichkeit vertraut; er hörte aber auch die Philosophen van Calker und Delbrück, namentlich den erstern. Am Schlusse des Sommersemesters 1831 nahm K. das Abgangszeugniß und bezog nach beendigten Ferien die Universität Tübingen, die er nach drei Semestern zu Ostern 1833 wieder verließ, um in das Priesterseminar zu Trier einzutreten. Bischof v. Hommer weihte ihn am 14. März 1835 zum Priester. Seine erste Anstellung erhielt er als Caplan an der Liebfrauenkirche zu Trier.

In den Jahren 1827 und 1828 hatte der Wiener Philosoph Anton Günther seine erste zweibändige Schrift: „Vorschule zur speculativen Theologie des positiven Christenthums“ erscheinen lassen. Das Buch, dessen Verfasser durch manche Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften schon bekannt war, erregte in der katholischen Kirche des deutschen Volkes, aber auch darüber hinaus in vielen wissenschaftlichen Kreisen ein ungewöhnliches Aufsehen. Günther war mit einem Schlage ein berühmter Mann. Sein Ansehen wuchs um so mehr, als seiner ersten großen Arbeit mehrere andere, wie „Peregrins [263] Gastmahl“, „Süd- und Nordlichter am Horizonte speculativer Theologie“, „Der letzte Symboliker“, „Thomas a Scrupulis“ u. a. in verhältnißmäßig kurzen Zwischenräumen nachfolgten. Katholischerseits erblickte man vielfach in Günther denjenigen Philosophen, der die Fähigkeit und Aufgabe habe, durch das Mittel einer freien, voraussetzungslosen Wissenschaft die Versöhnung von Glauben und Wissen, Autorität und Freiheit, Offenbarung und Vernunftforschung herbeizuführen. Was Wunder, daß der scharfsinnige Mann und große Gelehrte bald eine namhafte Zahl strebsamer junger Männer veranlaßte, sich mit seiner Wissenschaft eingehend und nachhaltig zu beschäftigen. Zu diesen zählte vor allen auch K. Schon als Caplan an der Liebfrauenkirche in Trier wandte er dem Studium der Günther’schen Philosophie angestrengten Fleiß und alle seine Mußestunden zu. Er setzte das Studium fort, als ihm im J. 1837, auf Anregung des Provinzialschulrathes Dr. Brüggemann in Coblenz, die Religionslehrerstelle an dem königlichen Gymnasium in Trier übertragen wurde. Seine Wirksamkeit als Religionslehrer war von dem schönsten Erfolge gekrönt. In dem Lehrercollegium hatte er eine sehr geachtete Stellung; seine Schüler hingen mit großer Liebe an ihm. Durch die Fortsetzung seiner philosophischen Studien überzeugte er sich je länger desto mehr von den Mängeln und der Unhaltbarkeit des Hermesischen Systems. Leider ließ er sich infolge dessen verleiten, mit anderen Geistlichen der Trierer Diöcese eine Eingabe an den Bischof einzureichen, in der dieser gebeten wurde, die Professoren Biunde und Rosenbaum an dem Priesterseminare, zwei erklärte Anhänger der Hermesischen Wissenschaft, zur Unterzeichnung der nach Verurtheilung der letztern durch die römische Curie von dieser vorgeschriebenen Unterwerfungsformel zu bestimmen. Hernach hat ihn diese That in gleichem Maße aus Interesse für die Religion wie für die Wissenschaft tief geschmerzt; er hat sie von Herzen bereut. Sie war es auch ganz vorzugsweise, die ihm nachgerade sein Gymnasialamt verleidete und ihn bewog, dasselbe freiwillig in die Hände des Provinzialschulcollegiums zurückzugeben. Freilich wirkte hierzu auch noch ein anderer Grund mit.

K. besaß als elterliches Erbe ein nicht unbedeutendes Vermögen. Er konnte auch ohne staatliche oder kirchliche Anstellung sorgenlos, ja bequem leben. Dazu war der Trieb zur Erweiterung und Vertiefung seiner philosophischen Studien und namentlich zur genauen umfassenden Kenntnißnahme der Weltanschauung und -Erklärung Anton Günther’s so lebendig in ihm geworden, daß er jede andere Neigung an Kraft und Nachhaltigkeit weit überbot. Nach mehr als dreijähriger Wirksamkeit an dem Trierer Gymnasium begab er sich im Sommer 1841 nach Wien, Günther’s Aufenthaltsort, um, wie er selbst bezeugt, „drei volle Jahre zu dessen Füßen zu sitzen“ (Anton Günther. Eine Biographie von Peter Knoodt. In zwei Bänden. Wien 1881. I, 324). In der That verging während dieser Zeit kaum ein Tag, an dem er nicht persönlich mit Günther verkehrte. Der Schüler hing mit inniger Liebe an seinem Lehrer. Dieser benutzte jede sich darbietende Gelegenheit, jenen mit seiner Philosophie aufs genaueste bekannt zu machen und ihm in ihr eine Wissenschaft darzubieten, mit der er jedes zu der christlichen Weltanschauung in geringerem oder größerem Gegensatze stehende System erfolgreich zu widerlegen vermöge. Es ist rührend, mit welcher Innigkeit K. von seinem Umgange mit Günther das ganze Leben hindurch zu sprechen pflegte. Hier nur ein Beispiel. „Wie oft gedenke ich – so schreibt er im J. 1854 – in süßer Wehmuth jener nun schon lange entschwundenen Zeit, die ich in der Nähe unseres hochverehrten Meisters verlebte. An schönen Frühlings- und Sommertagen, wenn wir mit ihm durch Wald und Flur wanderten, oder auf jener [264] beliebten Parkhöhe ruhten, unter welcher eine überaus reiche und schöne Landschaft weithin sich ausbreitet, da erschlossen sich uns in traulichem Gespräche mehr als sonst die Tiefen seines Herzens und es war uns nicht selten gegönnt, einen lehrreichen Blick in die innere Werkstätte seines Geistes zu thun“ (Günther und Clemens. Offene Briefe von Peter Knoodt. 3 Bände. Wien 1853 u. 1854. II, 3). Von Wien siedelte K. im Herbste des Jahres 1844 nach Breslau über. An der dortigen Universität fand er mehrere aus der Hermesischen Schule hervorgegangene Professoren, namentlich den Theologen Joh. Baptist Baltzer und den Philosophen Peter Joseph Elvenich, die sich ebenfalls schon seit längerer Zeit von der Hermesischen Philosophie ab- und der Günther’schen mehr und mehr zugewandt hatten. K. besuchte mehrere akademische, besonders naturwissenschaftliche und mathematische Vorlesungen; vor allem aber verwandte er seine Zeit auf die Abfassung der Dissertation: „De Cartesii sententia: cogito ergo sum“, mit der er am 14. Mai 1845 in der philosophischen Facultät zum Doctor promovirte. Seine Leistungen erhielten das Prädicat summa cum laude.

Wenige Tage vor der Promotion, am 3. Mai 1845, hatte K. auf Brüggemann’s Anregung ein Schreiben nach Berlin an den Cultusminister Eichhorn gerichtet. In diesem theilte er außer einem curriculum vitae auch seine wissenschaftlichen Pläne für die Zukunft mit. Hiernach wollte er bis zum Herbste des Jahres 1845 in Breslau bleiben, dann ein volles Jahr an der Berliner Universität dem Studium der Naturwissenschaften sich widmen und hernach in Bonn für Philosophie sich habilitiren. Bald nachher schickte er dem Minister seine Doctordissertation und machte ihm, nachdem er Breslau verlassen, am 14. September 1845 seine Aufwartung. In einem am folgenden Tage an Se. Excellenz auf deren Veranlassung gesandten Schreiben berichtete K. Genaueres über seinen philosophischen und theologischen Standpunkt. Der Minister muß durch das, was er mündlich und schriftlich von K. vernommen, ein großes Vertrauen zu ihm gewonnen haben, denn schon am 25. September 1845 wurde er in der philosophischen Facultät der Universität Bonn zum außerordentlichen Professor ernannt. Die Ernennung sagte dem schon damals in der römischen Kirche zur Alleinherrschaft vordringenden jesuitischen Ultramontanismus keineswegs zu; sie enthielt nach der Versicherung des Jesuiten Pfülf „mehr Verletzendes und Beunruhigendes als Erfreuliches“ (Cardinal von Geissel. Aus seinem handschriftlichen Nachlasse geschildert von Otto Pfülf S. J. 2 Bände. Freiburg i. Br. 1895 u. 1896. I, 269). Was man aber in Berlin von Knoodt’s akademischer Wirksamkeit erwartete, geht aus einem Schreiben hervor, welches der Minister am 25. October 1845 an ihn richtete. Nachdem derselbe K. den Wunsch ausgedrückt, daß „es ihm in seiner Bonner Stellung gelingen möge, zum Wohle des Staates wie der Kirche mit bestem Erfolge zu wirken“, fährt er wörtlich so fort: „Die Erfüllung dieses Wunsches kann nicht im mindesten zweifelhaft sein, wenn Sie die Bahn niemals verlassen, welche Sie in Ihrer Eingabe vom 15. September als die von Ihnen stets zu verfolgende selbst bezeichnet haben, nämlich den für Kirche und Staat destructiven Tendenzen einer in ihren Principien und in ihren Ausläufen antichristlichen Philosophie entgegen zu treten, und in Betreff des Verhältnisses des Protestantismus zum Katholicismus niemals in ein Parteiwesen zu verfallen, wodurch der Friede der bestehenden Confessionen gefährdet wird“. Von der hier näher bezeichneten Bahn ist K. in der That niemals abgewichen. Wenn trotzdem seine Leistungen in Lehre und Schrift von der (römischen) Kirche, der er durch Geburt und als Priester angehörte, als ihr zum Segen gereichende nicht anerkannt wurden, so lag die Schuld nicht daran, weil er, [265] sondern weil die Kirche sich veränderte, mehr und mehr dem jesuitischen Ultramontanismus sich in die Arme warf, zuletzt durch die dogmatischen Declarationen vom 18. Juli 1870 ihre frühere Katholicität preisgab und in eine jesuitisch-ultramontane Kirche umgewandelt wurde.

K. trat sein Bonner Lehramt wohl vorbereitet und mit der Begeisterung eines von der großen Bedeutung desselben ganz durchdrungenen, in der Vollkraft der Jahre stehenden jugendlichen Mannes an. Der Erfolg war dem entsprechend. Nach den Personalverzeichnissen hatte die Bonner Universität vom Herbste 1845, in dem K. seine Lehrthätigkeit eröffnete, bis zum Herbste 1855 nur einmal 1000 Studirende; vom Winter 1845 bis zum Sommer 1847 stieg die Zahl nicht bis auf 700; von da an schwankte sie bis zum Winter 1855 meistens zwischen 700 und 900; nur in vier Semestern betrug sie mehr als 900 und weniger als 1000. Schon in seiner ersten Vorlesung über Metaphysik und Religionsphilosophie versammelte K. 35 Zuhörer um sein Katheder. In der Folge wurden seine Hauptvorlesungen: Logik, Psychologie, Metaphysik, Geschichte der neuern Philosophie mindestens von weit über 50, nicht selten von mehr als 100 Studirenden angenommen. In der Logik stieg die Zahl von 25 auf 49, 94, 109, 116; in der Psychologie von 78 auf 130; in der Metaphysik von 35 auf 82; in der Geschichte der neueren Philosophie von 76 auf 89. Ebenso wurden seine Nebenvorlesungen außerordentlich besucht. So las er im Sommer 1850 Grundlinien der Moralphilosophie vor 115, im Winter von 1846 auf 1847 die Philosophie des h. Augustinus vor 73, im Winter 1847 die Theorie der Sinne vor 67 und einige Semester später wieder vor 76 eingeschriebenen Zuhörern. Erst seit dem Sommer 1852 geht Knoodt’s Zuhörerschaft aus einem Grunde, gegen den dieser nichts vermochte und der weiter unten zur Sprache kommen wird, stetig und theilweise bedeutend zurück.

Während K. noch in Bonn als außerordentlicher Professor fungirte, war an der Universität Tübingen der ordentliche Professor der katholischen Theologie v. Drey pensionirt worden. Die königlich württembergische Regierung lenkte selbst das Auge der Facultät auf K. als den geeignetsten Nachfolger. Zwei Mal, zuerst durch den Decan der Facultät, v. Welte, dann durch den Kanzler der Universität, v. Wächter, wurde ihm die Professur angeboten. Der letztere kam am 20. September 1847 selbst nach Bonn. Er bot ihm für die damaligen Verhältnisse ein hohes Gehalt (2000 fl.), zugleich mit der Versicherung, daß „die württembergische Staatsbehörde alles thun werde, um seine äußere Stellung so glänzend und angenehm als möglich zu machen“. Indessen Knoodt’s Entschluß, seine Kraft Preußen und der Universität der engern Heimath zu erhalten, war unerschütterlich. Er lehnte den ehrenvollen Ruf sofort ab, wurde dafür aber auch durch Bestallung vom 30. October desselben Jahres zum ordentlichen Professor in Bonn ernannt. Auch in dieser Eigenschaft hatte K. in seinen Vorlesungen noch mehrere Jahre hindurch einen Erfolg, der dem seit dem Jahre 1845 gleichkam, ja diesen übertraf. Allmählich trat hierin aber eine bedeutende Veränderung ein. Das hing zusammen mit den theils im Verborgenen, theils öffentlich geführten Angriffen auf die Orthodoxie der Günther’schen Philosophie, deren Hauptheerd die Erzdiöcese Köln und deren einflußreichster Rückhalt der Erzbischof und Cardinal Johannes v. Geissel war.

Der Wiener Nuntius, Viale Prelà, wandte sich in einem Schreiben vom 7. December 1851 an Geissel mit der Bitte, die Schrift: „Grundriß der Philosophie“ von Dr. Merten, Professor am Priesterseminar in Trier, einem Güntherianer, „zu examiniren und ihn seine Ansicht über dieselbe wissen zu [266] lassen“; man habe „seine Aufmerksamkeit auf dieselbe hingelenkt“, weil „sie, wie man ihm sage, Irrthümer enthalte, schnurgerade gegen die Dogmen der Kirche“. Von sich selbst bekennt der Nuntius, daß „er die Schrift nicht gelesen, und falls sie in dem philosophischen Jargon unserer Tage geschrieben wäre, würde er vielleicht auch nichts von derselben verstehen“. Die Antwort Geissel’s vom 15. December ist sehr charakteristisch. Auch er gesteht, „die Schrift noch nicht gelesen zu haben; er habe aber seinen Secretär beauftragt, sie kommen zu lassen, und wenn er geprüft habe, was daran sei, werde er nicht ermangeln, das Ergebniß mitzutheilen“. Dabei scheut er sich nicht, den Anhängern Günther’s „Leidenschaftlichkeit“ und „Wühlereien ohne Unterlaß“ vorzuwerfen, „um den Güntherianismus um jeden Preis zur Herrschaft zu bringen, welcher näher besehen, am Ende nichts anderes sei als ein Sprößling des Hermesianismus (?!). Von „Knoodt in Bonn“ wird schon bemerkt, daß „er lahmgelegt sei; er habe in diesem Semester nur einige wenige Zuhörer. Alle Theologen hätten aufgehört, seine Vorlesungen zu besuchen“ (Pfülf a. a. O. II, 278 u. 279). Diese Behauptung des Cardinals ist indessen nicht richtig. K. las im Winter 1851 auf 1852 Logik und Geschichte der neueren Philosophie. In der erstern Vorlesung hatte er 73, in der zweiten 45 Zuhörer, d. i. nahezu ein Achtel der Gesammtzahl der Studirenden. Freilich mochte das wahr sein, daß er keine römischen Theologen unter seinen Zuhörern mehr zählte. Von dem früher genannten Biographen Geissel’s, dem Jesuiten Pfülf, erfahren wir auch den Grund hiervon. „Der Cardinal mußte“, schreibt er, „einstweilen damit sich begnügen, unter der Hand die katholischen Studenten von dem Besuche der Vorlesungen Knoodt’s abmahnen zu lassen. Ein officielles Verbot hätte damals noch den furchtbarsten Lärm hervorgebracht“ (a. a. O. II, 288). Solchen in der Sache völlig unwissenden Richtern, wie v. Geissel und Viale Prelà, war das Schicksal der Günther’schen Philosophie kirchlicherseits von Anfang an in die Hand gegeben; man kann sich denken, wie dasselbe ausfallen mußte.

Unter den Gegnern Günther’s, die Geissel in seinem Feldzuge bereitwillig ihre Dienste leisteten, wie Westhoff, der Präses des Kölner Priesterseminars, die Professoren Dieringer und Martin, nahm bald eine hervorragende Stellung ein Dr. F. J. Clemens, Privatdocent der Philosophie an der Universität Bonn. Clemens stammte aus Coblenz. „Er hatte den größten Theil seiner Gymnasialstudien bei den Jesuiten gemacht und später längere Zeit in Italien sich aufgehalten“ (Knoodt, Anton Günther. Eine Biographie. I, 324). Schon am 1. September 1852 war Geissel nach dem Berichte Pfülf’s in der Lage, „eine von Clemens verfaßte ausführliche Darstellung der ganzen Günther’schen Lehre, welche sich auf alle Bücher Günther’s und seiner Schüler erstreckte“, dem Nuntius Viale Prelà zu überreichen (Pfülf a. a. O. II, 282). Aber Clemens arbeitete gegen Günther nicht nur im Verborgenen. Im folgenden Jahre trat er mit einer Broschüre unter dem Titel: „Die speculative Theologie Anton Günthers und die katholische Kirchenlehre“ (Köln 1853) in die Oeffentlichkeit, gegen die K. in rascher Reihenfolge die schon vorher genannte dreibändige Arbeit: „Günther und Clemens. Offene Briefe“ erscheinen ließ. In dem Vorworte zu seinem Werkchen berichtet Clemens, daß „Günther in der Bestreitung des Pantheismus sich zwar Verdienste erworben habe, aber diese seien lediglich negativer Art. (?!) In seinem Dualismus, wodurch Günther den pantheistischen Monismus verdrängen wolle, könne er nichts anderes erblicken, als ein ebenso einseitiges und falsches System, wie dieser letztere selbst sei (?!), in beiden nichts Anderes als zwei Extreme, die sich berühren, zwei entgegengesetzte Pole Einer und derselben Axe“ (?!). Ja am [267] Schlusse des Vorworts erklärt Clemens die Günther’sche Philosophie als „einen Versuch, die Spekulation in der Kirche durch Verpflanzung der Principien einer dem Glauben entfremdeten Wissenschaft auf katholischen Boden neu zu beleben“ (?!). Es ist begreiflich, daß K. mit einem Gegner, der allein schon durch die vorher mitgetheilten Behauptungen seine völlige Unkenntniß der Günther’schen Wissenschaft an den Tag gelegt und der trotzdem sich unterfing, auf die kirchliche Verurtheilung derselben mit aller Macht hinzuarbeiten, in seinen Briefen scharf zu Gerichte ging. Dabei war sein Hauptaugenmerk aber darauf gerichtet, die wichtigsten Punkte von Günther’s Lehre, nämlich: den Dualismus von Geist und Natur, die Auffassung der göttlichen Trinität, der Weltschöpfung, des Urzustandes und Falles der (ersten) Menschen, der Erlösung, Menschwerdung und Ausgießung des h. Geistes, der Person Christi, des Gottmenschen, der Stellung der neuen (Günther’schen) Schule zur alten (in der Scholastik), des Verhältnisses von Glauben und Wissen – K. machte es sich, sage ich, zur Hauptaufgabe, die vorher genannten Gegenstände in klares Licht zu setzen und mit der Begründung, die sie durch Günther erhalten, seinen Lesern vorzulegen. Wie in jedem Menschenwerke, so finden sich selbstverständlich auch in Knoodt’s und Günther’s Arbeit Unvollkommenheiten und Fehler. Beide haben auch stets offen bekannt, daß die von ihnen vertretene Wissenschaft keineswegs ausgebaut, vielmehr sehr vervollkommnungs- und verbesserungsfähig sei. Aber ein Zweifaches haben sie mit Recht für sich in Anspruch genommen, nämlich erstens, daß ihrer Wissenschaft, weil von der gewissesten aller Thatsachen, dem Selbstbewußtsein, ausgehend und überall in dem sichern Boden der Erfahrung wurzelnd, der hohe Vorzug völliger Voraussetzungslosigkeit zukomme, und zweitens, daß sie wie kaum eine andere geeignet sei, zur Versöhnung von Glauben und Wissen, der Ergebnisse einer freien, selbständigen Forschung und der geoffenbarten Wahrheit des positiven Christenthums die Brücke zu schlagen. Freilich entging Clemens und seinen Helfershelfern diese doppelte für die Culturinteressen vor allem des deutschen Volkes überaus wichtige Bedeutung der Günther’schen Wissenschaft vollständig. Clemens setzte dem ersten Bande von Knoodt’s Briefen eine neue Broschüre entgegen (ihr Titel lautet: Offene Darlegung des Widerspruchs der Güntherschen Speculation mit der katholischen Kirchenlehre durch Herrn Professor Dr. Knoodt in seiner Schrift: „Günther und Clemens“. Eine Replik von Dr. F. J. Clemens. Köln 1853). In ihr vermied er, ebenso wie in der ersten Schrift, Günther’s Wissenschaft wissenschaftlich zu bekämpfen. Er hielt sich „streng innerhalb der Grenzen, die er sich in seiner ersten Schrift gesteckt“; er hielt seine Ketzerthesen aufrecht, verschärfte sie und stellte sie in einem „Schlußworte“ übersichtlich zusammen. Wer wollte unter diesen Umständen K. verargen, daß er den erneuerten Angriff seines Gegners nur mit einer kurzen Entgegnung beantwortete (Knoodt, Günther und Clemens III, 295 fg.), jede weitere Polemik aber ablehnte, da Clemens wiederholt erklärt hatte, „seinen Standpunkt nicht auf wissenschaftlichem Boden nehmen zu wollen“ (a. a. O. „Vorwort“).

Während dieser Vorgänge auf litterarischem Gebiete waren die Gegner Günther’s, namentlich Cardinal v. Geissel, im Geheimen fortwährend geschäftig an ihrem Werke. Am 27. October 1853 schrieb er, der nicht zwei Jahre vorher die Lehre Günther’s für „einen Sprößling des Hermesianismus“ erklärt und dadurch bewiesen hatte, daß er von jener nichts verstehe, dem Wiener Nuntius Viale Prelà dennoch wörtlich folgendes: „Es ist wirklich ein Unglück, daß hochgestellte Personen, welche die letzten Consequenzen des neuen Systems nicht kennen, getäuscht durch einen Schein speculativer Erudition und philosophischer [268] Tiefe auf seiten der Güntherianer, sich zu Patronen dieser Lehre machen“ (Pfülf a. a. O. II, 289). Von Professor Reusch erfahren wir auch, wer „die hochgestellten Personen“ waren; es waren vor allem die Cardinäle v. Schwarzenberg in Prag und v. Diepenbrock in Breslau; außerdem nach des Letztern Tode im J. 1853 die Bischöfe Förster von Breslau, Tarnoczy von Salzburg und Arnoldi von Trier (Reusch, Der Index der verbotenen Bücher, Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte. 2 Bde. Bonn 1883 u. 1885. II, 1121). Um die Bemühungen derselben zur Vertheidigung Günther’s zu vereiteln, hielt v. Geissel in dem vorher angezogenen Briefe „es um so nothwendiger, daß die Sache mit aller Energie in Rom anhängig gemacht und abgeurtheilt werde“. Er selbst that durch fortgesetzte Denunciationen an den Nuntius und mit dessen Hülfe an die Indexcongregation in Rom sein Möglichstes dazu. Nichtsdestoweniger wollte es mit der Verurtheilung Günther’s nicht vorangehen. Denn die Indexcongregation hatte, wahrscheinlich auf Anregung der vorher genannten „hochgestellten“ Gönner Günther’s, in der Sitzung vom 26. April 1853 sich bereit erklärt, diesen selbst oder einen Bevollmächtigten desselben zu hören. Am 9. November 1853 kamen der Breslauer Domherr, Professor Dr. Baltzer und der Abt des Benedictinerstiftes in Augsburg, Dr. Gangauf als Vertheidiger Günther’s in Rom an; der Letztere wurde am 31. August 1854 durch K. abgelöst. Es ist dies wol das letzte Mal, daß Vertreter einer autonomen deutschen Wissenschaft zu ihrer Vertheidigung in Rom erschienen sind und versucht haben, die Indexcongregation zum Segen beider Gedankenmächte, der christlichen Religion und der Wissenschaft, zur Vernunft zu bringen. Alle Bemühungen Knoodt’s und seiner Leidensgefährten waren vergeblich. Zwar ließ das römische Urtheil noch mehrere Jahre auf sich warten. Erst am 8. Januar 1857 wurden sämmtliche Schriften Günther’s von der Indexcongregation verboten. Günther erhielt Mitteilung davon durch ein Schreiben des Präfecten der Congregation, des Cardinals Andrea, vom 13. Januar. Auch Knoodt’s Schrift: „Günther und Clemens“ wurde am 12. December 1859 verworfen. Das gleiche Schicksal erreichte am 5. December 1881 noch mehrere andere weiter unten anzuführende Schriften desselben. Günther ließ, nach heftigem Widerstreben, wie K. mir wiederholt erzählt hat, durch seine Freunde sich bestimmen, dem römischen Urtheil sich zu unterwerfen. Auch die Verurtheilung von Knoodt’s „Günther und Clemens“ machte die Indexcongregation mit dem Zusätze bekannt: Auctor jam pridem laudabiliter se subjecit (Reusch a. a. O. II, 1122 fg.). Beide mochten hierbei von dem richtigen Gedanken geleitet sein, daß die Zeit noch nicht gekommen, in welcher ein Bruch mit der römischen Curie zur endlichen Befreiung des Katholicismus von dem jesuitischen Ultramontanismus schon führen könne. Dazu mußte der letztere in der That erst dogmatisirt werden. Indessen gab Günther in dem unter dem 10. Februar 1857 an den Papst gerichteten Schreiben, worin er seine Unterwerfung unter das römische Urtheil ankündigte, seine fortgesetzte und ungebrochene Gegnerschaft gegen den Ultramontanismus dadurch deutlich zu erkennen, weil er in demselben „die mittelalterliche Philosophie“ zur Verteidigung „der rechtgläubigen Wahrheit“ ausdrücklich als nicht ausreichend bezeichnete (Reusch a. a. O. S. 1122).

Seit seiner Rückkehr aus Rom am 25. November 1854 und der Verurtheilung von Günther’s Werken durch die Indexcongregation widmete K. seine Zeit und seinen Fleiß zunächst fast nur dem akademischen Lehramte. Er las regelmäßig und setzte ohne dringende Noth die einmal begonnenen Vorlesungen nie aus. So weit mir bekannt ist, hielt er nur in zwei Semestern keine Vorlesungen, nämlich im Sommer 1848 und im Winter 1848 auf 1849, [269] da er in dieser Zeit Mitglied des Frankfurter Parlaments war. Das stürmische Jahr 1848 war die Zeit, in der K., nicht zu seinem Vortheile, auf das Feld der Politik sich hinauswagte. Er hat es seitdem nie mehr betreten. Am 23. März 1848 wurde in Bonn ein Trauergottesdienst für die Märzgefallenen in Berlin gehalten. K. übernahm die Predigt. Er hielt mit vielen Anderen das häßliche und verderbliche Zerrbild der Freiheit, das in der Märzrevolution zu Tage trat, für die wahre Freiheit und blieb mit dieser Auffassung nicht hinter dem Berge; er verglich jene mit der Freiheit, zu welcher Christus uns befreit hat. In seiner litterarischen Fehde mit K. griff Clemens auch auf diese Predigt, die doch mit der Philosophie Günther’s schlechterdings nichts zu thun hatte, zur Discreditirung seines Gegners wieder zurück. Da legte K. in dem Vorworte zur dritten Briefserie: „Günther und Clemens“ das offene und freimüthige Geständniß ab: „Die Freiheit, die in jenem verhängnißvollen Jahre sich geltend machen wollte, trug nur die Maske der wahren Freiheit, und hätte ich gleich Anfangs hinter diese Maske gesehen, nie wäre mir jene unziemliche Vergleichung in den Sinn, nie über die Zunge gekommen“. Während seines Aufenthaltes in Frankfurt mochte K. wol selbst merken, daß er zum Politiker nicht geschaffen sei. An der Kaiserwahl betheiligte er sich nicht. Bald darauf gab er sein Mandat in die Hände der Wähler zurück. Von da an gehörte er bis zum J. 1870 ausschließlich seinem Lehramte und der von ihm betriebenen Wissenschaft an.

Das am 8. December 1869 von Papst Pius IX. in Rom versammelte Vaticanische Concil rief gleich anfangs in der civilisirten Welt und namentlich in der katholischen Kirche des deutschen Volkes eine ungeheure Aufregung hervor. Als, man darf sagen, einziger Zweck der Versammlung stellte sich bald heraus die Dogmatisirung der päpstlichen Unfehlbarkeit und Allgewalt und zwar als des Mittels, um die durch die Culturentwicklung der neueren Zeit längst niedergeworfene, von den Machthabern der römischen Kirche, vor allem von den Jesuiten aber stets in Anspruch genommene Herrschaft des mittelalterlichen kirchenpolitischen Ultramontanismus wieder aufzupflanzen und zur Durchführung zu bringen. Die Dogmatisirung erfolgte am 18. Juli 1870. Da geschah das Unglaubliche. Alle die Bischöfe, auch die deutschen, welche in Rom die stärksten und begründetsten Einwendungen gegen die neuen Dogmen erhoben, an der Schlußabstimmung sich nicht betheiligt und das Concil unter Protest verlassen hatten, straften, in ihre Diöcesen zurückgekehrt, sich selbst Lügen. Alle ohne Ausnahme, der Eine etwas früher, der Andere etwas später, unterwarfen sich den römischen Gewaltmaßregeln. Dann suchten sie die Bekämpfung der neuen Dogmen, die während ihres römischen Aufenthaltes an ihnen selbst eine mächtige Stütze gehabt, im Keime zu ersticken. Aber die theologische, historische, kanonistische und philosophische Wissenschaft einer ansehnlichen Zahl der hervorragendsten katholischen deutschen Gelehrten ließ sich durch die Maßnahmen der Bischöfe und die von ihnen gegen göttliche und menschliche Ordnung verhängten Strafen nicht mundtodt machen. Zu diesen Auserlesenen gehörte auch K. Der während des vaticanischen Concils gegen die genannten dogmatischen Declarationen des 18. Juli 1870 mit allen ihren Consequenzen entbrannte Kampf dauerte fort. Er führte in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu einer Reihe antiultramontaner, die neuen Glaubenssätze ablehnender, in dem alten, vorvaticanischen Katholicismus verharrender Gemeinden. An die Gemeinden schloß sich consequenterweise bald die Gründung des katholischen Bisthums der deutschen Altkatholiken, dessen Katholicität in der Person des frei gewählten, die neue Schöpfung leitenden Bischofs Dr. Joseph Hubert Reinkens von drei deutschen Staatsregierungen, der königl. preußischen, [270] der großherzogl. badischen und hessischen anerkannt wurde. K. stand bei den hierzu erforderlichen Arbeiten überall mit in erster Reihe. In diese Stellung führte ihn ebensowol sein christlich gläubiger Sinn als seine Wissenschaft und seine Liebe zu Preußen, sowie zu dem erst jüngst neu geschaffenen Deutschen Kaiserreiche. Ich sage: sein christlich gläubiger Sinn, indem ihm die in der Vaticanischen Bischofsversammlung vollzogene Erhebung notorischer Unwahrheiten, wie der Dogmen des 18. Juli 1870, zu geoffenbarten Wahrheiten Gottes ein Gräuel dünkte, dessen Anerkennung mit der Treue gegen die Hinterlassenschaft des Welterlösers schlechterdings unvereinbar sei. Seine Wissenschaft, denn er hatte aus seinen langjährigen philosophischen und naturwissenschaftlichen Studien gelernt, daß zur Begründung und Vertheidigung der christlichen Religion in Gegenwart und Zukunft die mittelalterliche Scholastik nicht ausreiche, sondern daß an ihre Stelle eine wahrhaft freie, von dem sichern Boden der Erfahrung ausgehende Wissenschaft zu treten habe, die allein in unserer ungläubigen Zeit dem Christenthume wieder zur Ehrenrettung und zum endlichen Siege verhelfen könne. Endlich seine Liebe zu Preußen und zu Kaiser und Reich. Denn K. konnte so wenig wie Döllinger sich verhehlen, daß die vaticanischen Julidogmen „mit ihren Ansprüchen auf Unterwerfung der Staaten und Monarchen und der ganzen politischen Ordnung unter die päpstliche Gewalt, und durch die eximirte Stellung, welche sie für den Clerus fordern, den Grund legen zu endloser, verderblicher Zwietracht zwischen Staat und Kirche, zwischen Geistlichen und Laien“. Ja, wie Döllinger so stand auch K. unerschütterlich fest in der Ueberzeugung, daß die genannten Dogmen, „an deren Folgen – bevor sie noch zu Dogmen erklärt waren – das alte deutsche Reich zu Grunde gegangen sei, falls sie bei dem katholischen Theil der deutschen Nation herrschend würden, sofort auch den Keim eines unheilbaren Siechthums in das eben erbaute neue Reich verpflanzen würden“ (Briefe und Erklärungen von I. von Döllinger über die vatikanischen Dekrete, 1869–1887. München 1890, S. 92). Auch nach der Gründung des oben genannten Bisthums wirkte K. fortwährend mit Aufopferung aller Kraft, die ihm seine Professur übrig ließ, an dem Ausbau und der Förderung des Altkatholicismus. Er half aus in der Seelsorge, wo immer er um Hülfe gebeten wurde; hielt an den verschiedensten Orten Vorträge, von denen manche gedruckt sind; arbeitete an der Herstellung der erforderlichen liturgischen und anderer Bücher; er betheiligte sich an den Synoden und mit Ausnahme von zweien, von denen er durch Unwohlsein sich ferne halten mußte, an allen Congressen, in deren Verhandlungen er nicht selten wirksam und mit Erfolg eingriff. Von Anfang an war er ordentliches Mitglied der Synodal-Repräsentanz, des dem Bischofe in der Verwaltung der Diöcese zur Seite stehenden Beiraths, und wurde am 9. Januar 1878 Bischöflicher Generalvicar. Er blieb das zum Segen der ganzen Gemeinschaft bis zu seinem Tode.

Trotz der weit ausgedehnten Thätigkeit im praktischen Kirchendienste seit dem Jahre 1870 vernachlässigte K. während dieser Zeit sein akademisches Lehramt nicht. Er las fortwährend verhältnißmäßig viel. Zwar besuchten römische Theologen, wie im Anfange seiner Wirksamkeit an der Universität, Knoodt’s Vorlesungen nicht mehr. Die letzten werden wol jene wenigen gewesen sein, welche im J. 1857 in Bonn studirten und trotz der Verurtheilung der Günther’schen Wissenschaft in demselben Jahre ihren Lehrer nicht verließen. Zu diesen gehörte auch der Schreiber dieser Lebensskizze. Er benutzt hier gern die Gelegenheit, um seinem hochverehrten Lehrer über das Grab hinaus öffentlich zu bezeugen, daß er keinem Andern einen gleich innigen, tiefgefühlten Dank schuldet wie gerade ihm. Denn K. ist es gewesen, der durch Einführung [271] in Günther’s Wissenschaft ihm das tiefere Verständniß des Christenthums aufgeschlossen, für letzteres bleibend ihn gewonnen und dadurch eine unversiegliche Quelle wahrhafter, reiner Freude in seinem Innern erschlossen hat.

Es wurde früher hervorgehoben, daß K. lange vor dem Jahre 1870 mehrere Früchte seiner Studien durch den Druck veröffentlichte. Außer den bisher genannten Schriften trage ich hier noch nach die Abhandlung: „De legitimis reipublicae potestatibus“, mit der er sich am 11. März 1849 als ordentlicher Professor habilitirte. Es ist das die einzige von ihm herrührende Schrift politischen Inhaltes. Ihr folgte im J. 1857 in Brockhaus’ Jahrbuch zum Conversationslexikon Unsere Zeit, Heft X ein längerer Artikel über „Anton Günther und seine Lehre“; außerdem finden sich vor und nach dem Jahre 1870 in verschiedenen Zeitschriften, wie dem „Bonner theologischen Litteraturblatte“, der „Katholischen Vierteljahrsschrift für Wissenschaft und Kunst“, den „Philosophischen Monatsheften“, dem „Deutschen Merkur“ u. a. mannichfache der wissenschaftlichen Vertheidigung des Christenthums gewidmete Abhandlungen und Recensionen. Nach dem Jahre 1870 trat er auch mit mehreren, bald kleineren, bald größeren selbständigen Werken wieder an die Oeffentlichkeit. Im J. 1875 erschienen von ihm: „Fünf Predigten über das Kreuz- und Meßopfer“ und im J. 1880: „Die Thomas-Encyklika Leo’s XIII. vom 4. August 1879“, beide im Verlage bei Eduard Weber (Julius Flittner) in Bonn. Ihnen folgte im J. 1881 im Verlage von Wilhelm Braumüller in Wien: „Anton Günther. Eine Biographie in zwei Bänden“ – eine Schrift, die an künstlerischer Abrundung zwar manches vermissen läßt, allen aber, die sich für die Kirchen- und Culturgeschichte des 19. Jahrhunderts interessiren, durch ihren reichen und gediegenen Inhalt um so mehr zu bieten vermag. In einer Besprechung des Werkes in den „Philosophischen Monatsheften“ Bd. XVII, Heft III aus dem Jahre 1881 habe ich den Werth desselben unter drei Gesichtspunkte zusammengefaßt. Ich darf mir erlauben, sie hier zu wiederholen. „Die Biographie“, heißt es, „ist vor allem eine glänzende Apologie Günther’s selbst. Sie zeigt den Mann voll gläubigen Sinnes und voll Verehrung für das positive Christenthum und seine hohen Interessen, aber ebenso voll Begeisterung für die Rechte des freien Geistes und der Wissenschaft. Ich habe mir während meines ganzen Lebens, schreibt er, nie etwas anderes gewünscht als ruhig und ungemerkt im Dienste des christlichen Glaubens mein Tagewerk zu beschließen (II, 28). Aber andererseits beklagt er es auch bitter, daß das katholische Europa nicht einmal das Nöthigste aus der Reformation gelernt habe, nämlich die Achtung vor der Autorität des creatürlichen Geistes (II, 151). Knoodt’s Biographie ist ferner sehr bedeutsam für Günther’s Wissenschaft. Mit Recht hebt jener hervor, daß aus ihr, insbesondere aus Günther’s Briefen, die wesentlichen Punkte seiner Speculation deutlich hervortreten (I, XII). Noch in einer dritten Beziehung ist die Bedeutung der Knoodt’schen Arbeit nicht zu unterschätzen; sie ist eine außerordentlich reiche Quellenschrift für die Geschichte der römischen Kirche in den letzten 50 Jahren. Das Ueberhandnehmen, ja die bis zur Alleinherrschaft sich steigernde Macht des Jesuitismus, die von Jahr zu Jahr wachsende Intoleranz gegen alle anderen Kirchen und religiösen Culte, die Knechtung der Bischöfe unter die Herrschaft der von den Jesuiten regierten römischen Curie, die Indolenz des weitaus größten Theils der Bischöfe und die Ohnmacht einiger wenigen unter ihnen gegenüber dem alles beherrschenden Treiben, das Sinken des religiösen Geistes und das Ueberwuchern eines blinden Fanatismus und Ketzerglaubens, die Verachtung der Wissenschaft und das alleinige Pochen auf Kirchlichkeit, die planmäßig und systematisch betriebene Heraufbeschwörung des Mittelalters, die von langer Hand mit [272] Schlangenklugheit vorbereitete und endlich auch durchgesetzte Dogmatisirung der Unfehlbarkeit des römischen Papstes, – dieses und vieles andere die unheilvollen und Gefahr drohenden Zustände des römischen oder vatikanischen Kirchenwesens Charakterisirende zieht sich durch Knoodt’s Schrift von Anfang bis zu Ende wie ein rother Faden hindurch und legt uns den Wunsch auf die Zunge, daß dieselbe ebensowol von den deutschen Staatsmännern als von den Würdenträgern der evangelischen Kirche nicht ungelesen bleiben möge“. Zuletzt veröffentlichte K. noch eine von Günther verfaßte Vertheidigungsschrift gegen den Italiener Savarese unter dem Titel: „Anti-Savarese von A. Günther. Herausgegeben mit einem Anhange von Peter Knoodt“ (Wien 1889). Der von dem Herausgeber geschriebene Anhang ist bei weitem der größte und wol auch der werthvollste Theil des Buches er umfaßt die Seiten 101 bis 318, womit die Arbeit schließt. In ihm unternimmt K. nochmals, besonders schwierige Punkte der Günther’schen Wissenschaft zu erläutern und in möglichst helles Licht zu setzen.

Zur Charakterisirung von Knoodt’s Persönlichkeit zum Schlusse nur noch Weniges. Er war von hoher, schlanker Gestalt und fester Gesundheit. In seinem ganzen Leben ist er niemals ernstlich erkrankt, nur zog er sich öfter, meistens durch Unvorsichtigkeit, ein geringes Unwohlsein zu, das seine kräftige Natur stets bald wieder überwand. In seinem Privatleben war er äußerst mäßig, obwol ihm heitere Geselligkeit ein Bedürfniß war. Hier ließ er nicht selten seiner scherzenden Laune mehr, als mancher für schicklich halten mochte, die Zügel schießen, was er selbst, sobald es ihm zum Bewußtsein gekommen, zu bereuen pflegte. In solchen Fällen wurde es ihm nicht schwer, diejenigen, von denen er glaubte, daß sie durch ihn unangenehm berührt worden seien, um Verzeihung zu bitten. Die Grundzüge seines geistigen Wesens waren echte und tiefe Religiösität, Offenheit und unbedingte Wahrheitsliebe. Durch diese Eigenschaften übte K. in den Jahren seiner Kraft namentlich auf studirende Jünglinge öfters einen geradezu bezaubernden Einfluß. Das habe ich mit Anderen persönlich erfahren in den Jahren 1855 bis 1857, da ich in Bonn studirte und theilweise des täglichen Umganges mit ihm mich erfreute. Dieselbe Erfahrung habe ich auch später immer wieder gemacht, so oft meine Wege mich mit K. zusammenführten. Seine Religiösität war aber keine bloß beschauliche, in das Walten Gottes in Schöpfung und Erlösung sich versenkende Betrachtung. K. hatte das Bedürfniß, jene zu bewähren im Leben. Daher that er Gutes, wo immer er konnte. Zahllosen ist er in ihrer Noth zu Hülfe gekommen, ohne auf Dank zu rechnen, und oft ohne solchen zu empfangen. Er übte das Gute um des Guten willen. Der katholischen Kirche war er aus wissenschaftlicher Ueberzeugung in Treue ergeben. Er blieb das auch dann, als man am 18. Juli 1870 in Rom den Bruch mit der großen Vergangenheit derselben endgültig vollzogen hatte. Seitdem gehörte er mit Herz und Sinn dem Altkatholicismus an, den er nicht bloß durch persönliche Dienstleistungen, sondern auch durch reiche Spenden zu fördern suchte. So war und wirkte der edle, für Glauben und Wissen in gleichem Maße begeisterte Mann, bis ihn der Tod, nach kurzem Krankenlager, am 27. Januar 1889 in einem Alter von nahezu 78 Jahren aus den Kämpfen dieses Lebens erlöste. Ich vertraue, daß bei seinem Scheiden an ihm das Wort der Offenbarung sich erfüllte: „Selig die Todten, die in dem Herrn sterben, denn von nun an, spricht der Geist, sollen sie ausruhen von ihren Mühen und ihre Werke folgen ihnen nach“ (Apoc. XIV, 13).