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Artikel „Hüttenbrenner, Anselm“ von Anton Schlossar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 523–525, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:H%C3%BCttenbrenner,_Anselm&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 10:54 Uhr UTC)
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Hüttenbrenner: Anselm H., Tonkünstler, wurde am 13. October 1794 zu Graz als Sohn eines Herrschaftsbesitzers und Verwalters geboren und zeigte schon frühzeitig überaus bedeutende musikalische Anlagen, so daß er mit acht Jahren ein Mozart’sches Concert in Graz geläufig zum Vortrage brachte. Er besuchte in seiner Vaterstadt das Gymnasium und betrieb dabei das Studium des Generalbasses. Nach Absolvirung der in Oesterreich damals sogenannten philosophischen Studien trat H. als Noviz 1811 in das Cistercienserstift Rein, erkannte aber nach zwei Jahren, daß der geistliche Stand nicht sein Lebensberuf sei und begab sich nach Wien, wo er sich den Rechtswissenschaften widmete und hierauf in die militärische Gerichtspraxis eintrat. Zugleich aber hatte er in der Residenzstadt Gelegenheit, seine musikalische Anlage besonders auszubilden. Salieri ertheilte ihm durch fünf Jahre unentgeltlich Unterricht in der Compositionslehre. H. verkehrte in Wien mit den hervorragendsten musikalischen Größen, mit Gyrowetz, Sechter, Franz Schubert und namentlich auch mit dem sonst abgeschlossenen Beethoven, welcher Hüttenbrenner’s erste Compositionen kritischer Durchsicht unterzog und ihn mit hohen Lobsprüchen beehrte. Auch der jung gestorbene steiermärkische Dichter Karl Schröckinger gehörte zu Hüttenbrenner’s Freundeskreise. Schon 1817 wurden einige Compositionen des Künstlers veröffentlicht und beifällig aufgenommen, eine Symphonie führte 1819 der Musikverein in Graz dem Publicum daselbst vor und auch diese errang reichliche Anerkennung. Seine meisterhafte Beherrschung des Pianos brachte den jungen Musiker in viele Kreise der Residenz und trug ihm das Lob musikalisch hervorragender Männer daselbst ein. Als 1820 sein Vater starb, kehrte H. zur Uebernahme der mit sechs Geschwistern ererbten Güter nach Graz zurück, vermählte sich bald darauf mit Elise Pichler, der Tochter eines russischen Staatsrathes und verwaltete sein Gut Rosenegg bei Graz, woselbst er sich den neuen Haushalt gegründet. Daneben hatte er genügend Muße seinen musikalischen Studien zu leben, namentlich erschien von 1824 an eine Reihe von Compositionen, welche die Aufmerksamkeit immer mehr auf H. lenkten, so 1824: „Tableaux musicales pour le Pianoforte seul“ (Wien) und in demselben Jahre eine Sonate für Pianoforte (Graz). Einer schon 1821 componirten Oper: „Die französische Einquartierung“, deren Buch aber auf Censurschwierigkeiten gestoßen war, folgte die komische Oper „Armella“, welche 1827 in Graz aufgeführt wurde und reichen Beifall für den [524] Tonsetzer zur Folge hatte. 1825 schrieb er ein großes Requiem in C-moll, das einige Male in Graz zur Production kam, unter anderem auch zur Todtenfeier Beethoven’s daselbst. In verschiedenen Zeitschriften Oesterreichs und Deutschlands veröffentlichte H. auch fachkundige Musikkritiken und andere die Musik betreffende Aufsätze. Er war inzwischen am 1. Juli 1824 Director des Grazer Musikvereins geworden und es gingen unter seiner Leitung tüchtige Musiker aus diesem Institute hervor. Diese Directorstelle bekleidete er mit kurzer Unterbrechung bis 1839. Ein schwerer Schlag traf ihn, den begeisterten Verehrer Beethoven’s, als er erfuhr, daß der große Tonheld im Frühjahr 1827 in Wien schwer erkrankt sei. H. eilte nach Wien und kam gerade zurecht, um den Hochverehrten noch lebend anzutreffen. Am 26. März verschied Beethoven in Hüttenbrenner’s Armen, der ihm die Augen zudrückte. In Graz hatte H. in der Folge noch verschiedene Ehrenstellen inne, so von 1832 an jene eines Musikinspectors des Bürgercorps, von 1834 an den Posten eines Verwaltungsrathes bei der steiermärkischen Sparkasse u. s. w. Nachdem er die vom Vater ererbten Güter veräußert, bewohnte er von 1839 an ein neu angekauftes Haus in Graz mit seiner zahlreichen Familie. Hüttenbrenner’s musikalische Bedeutung wurde durch die Ernennung zum Ehrenmitgliede einer ganzen Reihe von philharmonischen Gesellschaften namentlich der österreichischen Alpenländer gewürdigt. 1840 erhielt er das Ehrendiplom des unter L. Spohr’s Leitung stehenden deutschen Nationalvereins für Musik. Das Jahr 1848 versetzte auch den freisinnigen Tondichter in lebhafte Erregung, es brachte ihm zugleich einen schweren Schlag bei, durch den in demselben Jahre erfolgten Tod seiner geliebten Frau. Da die Söhne und Töchter nunmehr erwachsen, nach und nach das Haus verlassen hatten, begab er sich 1852 zu einem Kreise befreundeter Persönlichkeiten in die steierische Stadt Radkersburg, wo ihn die Freunde bis 1855 festhielten, auch besuchte er oft für längere Zeit das nahe Marburg. Im J. 1858 reiste H. zu seinen als Officiere in Wien garnisonirenden Söhnen und verblieb daselbst nahezu ein Jahr. Nach Graz 1859 zurückgekehrt, suchte er die ländliche Ruhe auf, kaufte eine Besitzung in dem an den Bergen schöngelegenen Oberandritz bei Graz und verlebte still und zurückgezogen dort die letzten Jahre, nur im Verkehr mit einer an demselben Orte verheiratheten Tochter und mit kleinen Compositionen beschäftigt. Die zunehmende Schwäche fesselte ihn immer mehr ans Haus und dort in Oberandritz verschied auch H. am 5. Juni 1868. Nach seinem Ableben fanden sich drei Kisten voll von musikalischen Werken vor, von denen wenige veröffentlicht worden sind.

Von den künstlerischen Schöpfungen Hüttenbrenner’s, welche vollständig oder in Bruchstücken weiteren Kreisen bekannt geworden sind, müssen außer den schon genannten noch einige angeführt werden. Zunächst die Oper „Lenore“, zu welcher des Componisten Freund, der treffliche Dichter K. G. R. v. Leitner, ihm den Gedanken eingegeben, der auch den größten Theil des Textbuches abgefaßt hat. Die „Lenore“ ist gewissermaßen eine dramatische Einrichtung von Bürger’s Ballade. Sie ging mit großem Beifall 1835 über die Grazer Bühne und fand reichliche Anerkennung und überaus großen Beifall des Publicums. Die Kritik hob den Reichthum an neuen Melodien, Mozart’sche Lieblichkeit und Innigkeit und viele andere Vorzüge dieses Tonwerkes hervor, das auch bereits im Wiener k. k. Operntheater angenommen war, infolge des eingetretenen Directionswechsels aber unterblieb die Aufführung, obgleich der Compositeur noch einen Act hinzugefügt, weil das Ganze für einen Theaterabend zu kurz erschien. – Eine weitere Oper nach dem Texte des Sophokles: „Oedip auf Kolonos“ entstand 1836, kam aber nie zur Darstellung, einzelne Arien und Duette daraus, die bekannt geworden, erfreuten sich ebenfalls sehr günstiger [525] Aufnahme. Von den übrigen Compositionen sind mehrere Messen und einige Requiem, welche in verschiedenen Kirchen vorgeführt wurden, zu nennen, darunter das Requiem in F–moll, welches dem Andenken des Herzogs von Reichstadt gewidmet, in der Grazer Domkirche aufgeführt wurde. Mehrere Sonaten und andere Compositionen sind im Drucke zu Wien und Graz erschienen, so ein Violinquartett in E–dur, ein Quintett für Violine, zwei Violen, Cello und Violon, ein Duo für Piano und Violoncell. Außerdem lagen vor: mehrere Trauermärsche, Festcantaten und eine Reihe von Ouvertüren für großes Orchester componirt, sowie zahlreiche Liedercompositionen, namentlich Lieder und Gedichte von Leitner, Uhland, Bürger, Zusner u. A. vertonend. Hierzu kommen noch viele Divertissements, Elegien, Rondos, Adagios und Andantes. Im J. 1833 und 1834 redigirte H. zwei Jahrgänge eines „Musikalischen Heller-Magazins“ (Graz), welches eine Zahl seiner eigenen musikalischen Compositionen enthält. So hat dieser hochbegabte und von Geistern wie Beethoven und Schubert hochgeschätzte Tonsetzer eine ganze Reihe von schönen und bedeutenden musikalischen Werken geschaffen, welche ihn den hervorragenden Tondichtern seiner Zeit zur Seite stellen.

Von den biographischen Arbeiten über Hüttenbrenner sind die ausführlichsten jene, welche in dem Grazer Tagesjournale „Tagespost“ erschienen und zwar im Jahrg. 1863 im Feuilleton der Nummern 173, 178 u. 179 u. d. T.: „Ein steirischer Tondichter“ (von e. ungenannten Verfasser), im Jahrg. 1868 die nekrologische Skizze „Anselm Hüttenbrenner“ von C. G. R. v. Leitner, H.’s vieljährigem Freunde. Letztere liegt auch in einem Separatabdrucke vor; endlich im Jahrg. 1894 der beachtenswerthe, auf H.’s eigenen Aufzeichnungen fußende Aufsatz: „Anselm H. und Franz Schubert“ von Hans von der Sann, Nr. 304, 306 u. 307 des erwähnten Journals. – Zu vgl. ist auch: Oesterr. Nationalencyclopädie. Wien, Suppl. VI (1837). – Mendel, Musikal. Conversationslex. Berlin, V. Bd. (1875). – H. Niemann, Musiklexikon. Lpz. 1900, S. 515. – F. Bischoff, Chronik d. steiermärk. Musikvereins. Graz 1890. – In der Sammlung: Berühmte Musiker: Franz Schubert von Richard Heuberger. Berlin 1902. – Wurzbach, Biogr. Lex. Th. IX (1863), S. 406 ff. Daselbst ist auch eine Zahl von kleineren Quellenbelegen a. d. Zeit vor 1863 angegeben. – A. B. Marx im 2. Bde. seines Werkes: Ludwig van Beethoven, 5. Aufl., Berlin 1901, gedenkt auch der Anwesenheit H.’s am Sterbebette des großen Meisters.