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Artikel „Gyrowetz, Adalbert“ von Carl Ferdinand Pohl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 247–249, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gyrowetz,_Adalbert&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:18 Uhr UTC)
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Gyrowetz: Adalbert G., k. k. Hoftheaterkapellmeister, fruchtbarer und begabter Componist, wurde geboren am 19. Februar 1763 zu Böhmisch-Budweis. Sein Vater, Regenschori, sorgte für die frühzeitige Ausbildung des talentvollen Knaben und schickte ihn nach Beendigung der Schuljahre nach Prag, um Philosophie und die Rechte zu studiren. Im Gesang, Violin- und Orgelspiel und Harmonielehre gründlich unterrichtet, trieb G. die Musik hier fleißig fort, componirte auch bereits Vieles, als er plötzlich in schwere Krankheit [248] verfiel und sich gleichzeitig weiterer Unterstützung beraubt sah. Wiedergenesen entschloß er sich, seinen Unterhalt durch Musik zu erwerben und ergriff freudig die Gelegenheit, die Haussecretärstelle beim Grafen Franz von Fünfkirchen anzunehmen, da es diesem Cavaliere hauptsächlich darum zu thun war, Musikkundige zu Beamten zu haben. G. componirte hier Sinfonien, Quartette und Gesangstücke und Alles gefiel so wohl, daß sich G. zu einer Reise nach Italien zur Erweiterung seiner Kenntnisse entschloß. Er ging zunächst nach Wien, wo Mozart eine seiner Sinfonien aufführte und den jungen Componisten selbst dem Publicum vorstellte. Ueber Venedig und Rom ging die Reise weiter nach Neapel, wo G. zwei Jahre unter Sala studirte und sich durch Composition seinen Unterhalt verdiente; für den König schrieb er daselbst 12 concertirende Tonstücke für die Lyra, die dieser leidenschaftlich liebte. In Paris fand G. sehr freigebige Verleger, da man dort schon Werke von ihm kannte, die unter Haydn’s Namen waren aufgeführt worden und über deren Autorschaft G. sich ausweisen konnte. Die hereinbrechende Revolution vertrieb G. nach London, damals der Sammelplatz vieler berühmter Musiker. G. kam im October 1789 an und fand ausgezeichnete Aufnahme; der Prinz von Wales, der Herzog von Cumberland luden ihn zu ihren Concerten und nahmen ihn mit auf ihre Landgüter. Die Professional concerts führten seine Werke auf und Salomon engagirte ihn neben Haydn für sein Unternehmen und die Verleger trachteten seine Compositionen zu besitzen. Namentlich aber freute es ihn, sich dem verehrten Meister Haydn bei seiner Ankunft gefällig erweisen zu können. Damals wurde das Pantheon für Opernaufführungen eingerichtet, da das abgebrannte Kings-theater erst aufgebaut werden mußte. G. war beauftragt, eine Oper zu schreiben, in der Me. Mara und Sigr. Pacchierotti hätten singen sollen. G. schrieb seine „Semiramis, von der bereits die Proben abgehalten waren, als das Pantheon in der Nacht vom 13./14. Januar 1792 abbrannte, wobei auch die Partitur der „Semiramis“ zu Grunde ging. Am 9. Februar gab G. sein Benefice-Concert in Hannover square rooms, das ihm Geld und Ehre einbrachte. G. aber sah sich gerade jetzt genöthigt, England zu verlassen, da das Klima seiner Gesundheit nicht zusagte. Nach siebenjähriger Abwesenheit kam er wieder nach Wien, wurde bald darauf als Beamter im Kriegsministerium verwendet und nach München und Mannheim geschickt. Als Courier reiste er mit Depeschen wieder nach Wien zurück, wo ihm Baron Braun, Intendant der beiden Hoftheater, die Kapellmeisterstelle antrug, die G. von 1804 bis Ostern 1831 versah und in dieser Zeit eine erstaunliche Anzahl Opern, Singspiele und Operetten aufführte und die Musik zu Melodramen und Balleten componirte, die seinen Namen lange Zeit populär machten. Namentlich gefielen „Agnes Sorel“ (1806), „Der Augenarzt“ (1811), „Die Prüfung“ (1813), welcher Oper auch Beethoven Anerkennung zollte, „Helene“ (1816), „Felix und Adele“ (1831); von den kleineren Singspielen waren lange beliebt „Die Junggesellen-Wirthschaft“, „Der Sammetrock“, „Aladin“, „Das Ständchen“; von den Melodramen namentlich „Mirina“ (1806). G. schrieb auch nebst oben erwähnter „Semiramis“ noch vier große italienische Opern für Mailand und Wien, von denen „Federica e Adolfo“ (Wien 1812) besonders gefiel. Von den Balleten hatte besonders „Die Hochzeit der Thetis“ großen Erfolg. G. schrieb auch Vieles für die Kirche (seine 19. Messe componirte er im Alter von 84 Jahren); ferner Cantaten, Chöre für Frauen- und für Knabenstimmen, viele ein- und mehrstimmige Gesänge, italienische und deutsche Canzonetten etc. Nicht minder thätig war er im Instrumentalfach; es existiren von ihm über 60 Sinfonien und eine Menge Serenaden, Ouverturen, Märsche, Tänze; ferner Quintette und circa 60 Streichquartette, der größte Theil davon verlegt in Wien, Augsburg, Offenbach, Paris, London. Für Clavier schrieb er bei 40 Sonaten, [249] 30 Hefte Trios, 12 Nocturnen, eine große Anzahl Tänze und verschiedene kleinere Stücke. Alles hat die Zeit hinweggeschwemmt, so gefällig und melodiös auch jede Richtung vertreten war. Im Sinfoniefache und Quartettstyl hatte G. einen Mächtigeren über sich, Haydn, dem er im Charakter nachstrebte, ohne ihn zu erreichen, und die Bühnenwerke hatten zu wenig dramatischen Gehalt. Die Generationen wechselten und der Geschmack änderte sich zwei und drei Mal in der langen Laufbahn, die G. durchlief. Man denke nur: Gluck, Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann und selbst Wagner in seiner ersten Zeit kreuzten die Bahn Gyrowetz’. Er verstand die Welt nicht mehr und sie ihn nicht minder. Es bot ein trauriges Bild, als man für den ehrenhaften Greis, der von seiner kleinen Pension kaum zu leben vermochte, im J. 1843 eine Akademie zu seinem Besten veranstaltete, die G. im folgenden Jahre selbst wiederholte. (Staudigl sang damals die hoch-komische Cantate „Die Dorfschule“ unter Mitwirkung von Sängerknaben, und die ersten Meister wirkten mit, das Verdienst zu ehren.) Einen Hochgenuß ohne Gleichen gewährte dem alten Manne in seinen letzten Tagen das Auftreten der Jenny Lind; er fehlte in keiner Vorstellung und war Allen kenntlich durch seinen Zopf, denn auch hier wollte er vom Altgewohnten nicht lassen. G. starb am 19. März 1850 im 87. Lebenssjahre; drei Jahre zuvor hatte er noch seine anziehende Autobiographie geschrieben, die in Wien im Druck erschien.