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Artikel „Giese, Tiedemann Bartholomäus“ von Franz Hipler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 151–156, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Giese,_Tiedemann&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 07:26 Uhr UTC)
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Giese: Tiedemann Bartholomäus G., geboren am 1. Juni 1480 zu Danzig, als Bischof von Ermland am 23. October 1550 zu Heilsberg gestorben, hat als Gelehrter, Staatsmann und Kirchenfürst, namentlich aber als vieljähriger vertrautester Freund des Nicolaus Copernicus, in vielem Betracht auf die Dankbarkeit der Nachwelt Anspruch. Aus einer seit der Mitte des 15. Jahrhunderts von Cleve nach Danzig übergesiedelten, begüterten und hochangesehenen Familie entsprossen, ein Sohn des Bürgermeisters Albert G. und der Elisabeth Langerbeck, bezog er schon mit 12 Jahren die Universität Leipzig, wo er um Pfingsten 1495 Baccalaureus wurde und dann unter der Leitung des Professor und Canonicus Thomas Werner, eines tüchtigen Theologen, [152] gründliche Studien in der scholastischen Philosophie und Theologie machte. Als Werner im December 1498 starb, bat sofort der einflußreiche Danziger Bürgermeister Johann Ferber bei dem ihm befreundeten Bischofe von Ermland um das durch diesen Tod erledigte Canonicat für seinen „wolgelarten und sinnreichen Schwestertochtersohn, der ein ehrlich Glied der Universität Leipzig, zu Tugenden und Künsten geneigt und der geistlichen Acht sich zu ergeben geneigt sei.“ Allein erst mehrere Jahre später, nach dem Tode des Martin Achtisnicht († 4. März 1504), konnte G. als dessen Nachfolger in das Frauenburger Domcapitel eintreten, dem er von da ab bis fast an seinen Tod ununterbrochen angehörte. Von Leipzig aus scheint der junge Danziger Patriciersohn noch andere Hochschulen besucht zu haben; wenigstens läßt seine gründliche Kenntniß des Griechischen und sein eleganter lateinischer Stil mit einiger Sicherheit darauf schließen. Näheres darüber ist uns aber bis jetzt nicht bekannt; denn in Basel, wo man wegen der Correspondenz mit Erasmus seine Spuren gesucht hat, ist er, wie die dortige Matrikel ausweist, nicht gewesen. Wol aber dürfte er auf italienischen Universitäten sich aufgehalten und dort mit dem Studium der Jurisprudenz seine Ausbildung abgeschlossen haben, bevor er sich zur Residenz nach Frauenburg begab. Im Gremium des ermländischen Domcapitels, welches damals fast ausschließlich mit Söhnen des preußischen Adels und des großstädischen Patriciates besetzt war, nahm G. bald eine hervorragende Stellung ein. Namentlich war dies der Fall in der drangsalsvollen Zeit des sogenannten Reiterkrieges zwischen dem deutschen Orden und der Krone Polen. Bischof Fabian von Ermland, nach Watzelrode’s Tod am 5. April 1512 vom Capitel einstimmig gewählt, hatte die auf ihn gesetzten Hoffnungen getäuscht und ermangelte, in seiner allerdings schwierigen Lage unklar zwischen den beiden Parteien hin und her schwankend, durchaus des männlichen Muthes. Hier war es nun G., der ihm in zahlreichen noch erhaltenen Briefen Muth zusprach, ihn ermahnte, seiner Stellung und Würde nichts zu vergeben und seiner Pflicht gemäß fest an Polen zu halten, ohne freilich den Orden unnöthig zu reizen. Als dann im J. 1520 der Hochmeister Albrecht in Ermland selbst einfiel und das Domcapitel aus Frauenburg flüchten mußte, begab sich G. anfangs nach Elbing, dann nach Danzig, darauf im April 1521 nach Thorn zum Könige Sigismund, welcher der Noth des Bisthums baldigst abzuhelfen versprach, und endlich nach dem festen domcapitularischen Schlosse zu Allenstein, welches sein Freund und Confrater Nicolaus Copernicus inzwischen tapfer und erfolgreich gegen die Truppen des Hochmeisters vertheidigt hatte und bis zu dem bald darauf erfolgenden Waffenstillstande von Thorn besetzt hielt. G., der sich während der unheilvollen Kriegsläufte im Vereine mit Copernicus als die eigentliche Seele des Capitels erwiesen, sollte kurze Zeit darauf auch auf einem anderen Gebiete in den Kampf treten. Früher als in irgend einer anderen Stadt nämlich hatte in Königsberg die Lehre von dem allein selig machenden Glauben einen durchschlagenden Erfolg erzielt, vorzüglich deshalb, weil hier der Oberhirte des samländischen Sprengels, Georg v. Polentz, als der erste und einzige deutsche Bischof schon um Weihnachten 1523 auf Luther’s Seite sich stellte und bereits einige Zeit vor diesem seinem Meister – mit Katharina v. Wetzhausen – sich verheirathete. Die theologische Vertheidigung dieses Schrittes übernahm der ehemalige Franciscanermönch Johannes Briesmann, der im September 1523 nach Königsberg kam und hier sofort anonym, aber mit bischöflicher Gutheißung eine Reihe von 110 Thesen „über den äußeren und inneren Menschen, über Glauben und Werke“ publicirte, worin die Anschauungen Luther’s vertreten und mit einem starken Anfluge der in den gleichzeitigen schwarmgeisterischen Bewegungen hervortretenden Tendenzen, sowie mit einer Fülle heftiger Angriffe gegen die katholische Lehre und [153] Hierarchie versetzt sind. Dieser „lutherischen Blumenleese“, die auch in dem an Samland angrenzenden Ermlande verbreitet wurde, trat unmittelbar nach deren Erscheinen, von Allenstein aus, wo er eben als capitularischer Landpropst sich aufhielt, G. mit seinem „άνθηλογικόν (reuchlinisch „Antilogikon“ ausgesprochen) flosculorum Lutheranorum“ entgegen, welches anfangs December 1523 schon vollendet und handschriftlich verbreitet, auf ausdrückliches Betreiben des befreundeten N. Copernicus im folgenden Jahre bei Hieronymus Vietor in Krakau zugleich mit den darin widerlegten Thesen im Druck erschien. Das geistvolle Büchlein, eine bibliographische Rarität ersten Ranges (jetzt durch den Abdruck im Spicilegium Copernicanum wieder allgemein zugänglich gemacht), darf jedenfalls das Verdienst beanspruchen, unter allen gleichzeitigen Apologien des katholischen Dogma’s, wenn nicht zuerst, so doch am entschiedensten und gründlichsten den Kernpunkt der lutherischen Rechtfertigungslehre erkannt und hervorgehoben zu haben. In einer musterhaft ruhigen und würdigen, durchweg edel und irenisch gehaltenen Form und Diction, mit ausschließlicher Benutzung der h. Schrift, werden darin die Unterschiede zwischen „fides“ und „fiducia“ klar gemacht, die scheinbar verschiedenen Lehrtropen des h. Paulus und Jacobus in ihrer inneren Harmonie nachgewiesen und die Consequenzen des neuen Fiducialglaubens gezogen, der entweder zur krassen Prädestinationslehre führe, oder aber aus der „sola fides“ ein bloßes Werk des Menschen mache, das mehr als alle anderen so heftig bekämpften guten Werke geeignet sei, den Menschen in den Abgrund der Selbstgerechtigkeit zu stürzen und Gott die Ehre zu rauben. Dabei wird das factische Vorhandensein von Uebelständen und Unvollkommenheiten in der Kirche ohne Weiteres zugegeben, aber betont, daß deshalb zwar die Menschen durch die Lehre der Kirche, nicht aber die unwandelbare kirchliche Lehre durch die Menschen zu reformiren sei. – Eine Antwort auf die Ausführungen dieser Schrift ist nicht erfolgt, wenigstens nicht bekannt geworden. – Der Verfasser des „Antilogikon“ nennt sich auf dem Titel seiner Schrift „Custos Varmiensis“. Er hatte die Prälatur der ermländischen Domcustodie kurz zuvor am 12. November 1523 angetreten, nachdem ihr bisheriger Inhaber, sein Oheim und Landsmann Moritz Ferber, als Nachfolger Fabians soeben den Stuhl von Ermland bestiegen und seinen gelehrten und geschäftsgewandten Neffen sofort auch zu seinem Generalofficial ernannt hatte. Mit Rücksicht auf die Pflichten dieses Amtes konnte G. das bald darauf ihm angetragene Officialat von Danzig, wo er mehrere Jahre (1515–21) die Pfarrei von St. Peter und Paul innegehabt hatte, ablehnen. Dagegen war er nicht abgeneigt, im J. 1532 die Coadjutorie von Ermland mit dem Rechte der Nachfolge, welche ihm der stets kränkelnde Bischof Moritz zugedacht hatte, anzunehmen, mußte aber von diesem Vorhaben Abstand nehmen, als es sich herausstellte, daß der polnische König das ermländische Bisthum für den hochverdienten und weitberühmten Johannes Dantiscus bestimmt habe. Dafür ward G., als durch Dantiscus’ Promotion nach Ermland dessen bisheriges Episcopat vacant wurde, von Sigismund I. zum Oberhirten von Culm nominirt und von Paul III. gleichzeitig mit Dantiscus am 11. Januar 1538 als Bischof präconisirt. Seine Consecration erfolgte bald darauf durch seinen Vorgänger und jetzigen Nachbarn, der ihn zum Beweise seiner innigen Freundschaft bei dieser Veranlassung mit kostbaren bischöflichen Gewändern und Insignien reich beschenkte. Um Ostern 1538 trat Bischof Tiedemann sein culmisches Pontificat an und vertauschte damit zugleich seinen bisherigen Wohnsitz zu Frauenburg, wo er mehr als 30 Jahre hindurch fast ununterbrochen gelebt hatte, mit der bischöflichen Residenz auf dem Schlosse zu Löbau. Bei seinen mannigfaltigen äußeren Beschäftigungen hatte G. niemals eine frühzeitig, jedenfalls schon seit dem ersten Auftreten Luther’s übernommene [154] geistige Lebensaufgabe außer Acht gelassen: die Abfassung eines umfangreichen Werkes, in welchem er seine ausgebreiteten historischen, philosophischen und theologischen Studien zu verwerthen gedachte. Der Inhalt desselben wird durch den gewählten Titel: „De regno Christi“ in etwa angedeutet. Im ersten Entwurfe war diese Frucht vieljähriger Arbeit im J. 1536 bereits soweit vollendet, daß sie Erasmus, Melanchthon und wol auch anderen Gelehrten zur Einsicht vorgelegt werden konnte, also genau in derselben Zeit, wo auch Copernicus sein weltbewegendes Werk schon derartig gefördert hatte, daß er es an Cardinal Schönberg in Rom zu senden im Stande war. Soviel wir aus der darüber gepflogenen Correspondenz entnehmen können, schwebte dem ermländischen Domcustos und späteren Bischofe bei seinem Werke eine ähnliche Aufgabe in Bezug auf das Reich Gottes auf Erden mit seiner Fülle übernatürlicher Wahrheit und Gnade vor, wie sie gleichzeitig sein sternkundiger Freund und Nachbar hinsichtlich des Reiches der Natur sich gestellt hatte, gewiß nicht, ohne daß der eine an des anderen geistiger Arbeit den regsten Antheil nahm. Es ist daher sehr zu bedauern, daß die mühevolle Lebensarbeit eines reichbegabten und hochgebildeten Geistes, die dem Copernicanischen Weltgemälde gewissermaßen parallel laufende Beschreibung des übernatürlichen Kosmos, nicht zum vollen Abschluß gekommen und selbst in ihrer unvollendeten Gestalt, wie es scheint, für immer verloren ist. G. konnte sich, so lange er lebte, zur Publication seiner Schrift nicht entschließen; er arbeitete und feilte fort und fort daran und vermachte schließlich das unvollendete Manuscript letztwillig seinem Nachfolger Stanislaus Hosius, der aber, da er manches Unreife und Irrthümliche darin zu entdecken glaubte, sich damit begnügte, es im Archive zu Heilsberg zu deponiren, wo es später Kromer, Possevin und Andere noch lesen konnten, bis es in den Schwedenkriegen mit den übrigen ermländischen Archivalien nach Schweden transportirt wurde und dort verschwunden ist. Ein zweites Exemplar des Werkes, welches an seine Verwandten in Danzig kam, hat leider ein ähnliches Schicksal gehabt. Dafür aber war es G. vergönnt, das große Werk seines Freundes, dem er von Anfang an sein lebhaftes und thatkräftiges Interesse zugewendet hatte, vollendet, publicirt und in dem zunächst zu hoffenden Maße auch äußerlich anerkannt zu sehen. Der Antheil, welcher G. an dem Copernicanischen Riesenwerke zukommt, läßt sich nach den vollgiltigen Aussagen des Verfassers und ersten Herausgebers des Buches „Ueber die Sternenläufe“ sehr genau bestimmen, und er ist hienach offenbar ein sehr bedeutender. Es ist bekannt, daß das Sonnensystem des Frauenburger Domherrn, dessen Grundzüge lange vor dem Erscheinen seiner Schrift allgemein bekannt waren, schon wegen der Stellung seines Urhebers zu den damaligen theologischen Streitigkeiten von Seiten der damals in litterarischen Dingen sehr einflußreichen Wittenberger Theologenschule sehr entschiedenen Widerspruch erfuhr. Luther nannte Copernicus einen „Narren“, Melanchthon bekämpfte seine Lehre als schriftwidrig, Gnaphaeus in Elbing verspottete ihn öffentlich in einer Comödie, dem „Morosophus“. „Fast hätte ich“, sagt deshalb Copernicus in der Widmung seiner Revolutionen an Papst Paul III., „durch die Verachtung, die ich wegen der Neuheit und wegen des Scheines der Widersinnigkeit meiner Meinung zu fürchten hatte, mich bestimmen lassen, das unternommene Werk ganz aufzugeben; allein meine Freunde stimmten mich nach langem Zögern und Widerstreben wieder um, zunächst der in allen Wissenschaften berühmte Cardinal Schönberg, dann der mir innig befreundete, in der Theologie und in allen edlen Wissenszweigen wohl bewanderte Bischof Tiedemann Giese von Culm. Denn dieser hat mich oft ermahnt und zuweilen selbst mit Ungestüm aufgefordert, diese Schrift, die nicht neun, sondern an die vier Mal neun Jahre bei mir geruht, ans Tageslicht treten zu lassen.“ – Noch eingehender berichtet der Wittenberger [155] Mathematiker Joachim Rheticus, welcher im Juli 1539 zusammen mit Copernicus den Bischof von Culm in Löbau besuchte und dort zwei Monate lang verweilte, von den Verdiensten des Letzteren um das heliocentrische System. „Da er einsah“, so schreibt er in seinem Lobspruch auf Preußen, „daß es der Christenheit zu nicht geringem Ruhme gereichen werde, wenn die richtige Zeitordnung und eine zuverlässige Theorie der Himmelsbewegungen im Besitze der Kirche sei, ließ er nicht nach meinen Lehrer so lange zur Lösung dieser Aufgabe zu ermuntern, bis er ihn dazu bewog“. Und als Letzterer sich damit begnügen wollte, lediglich astronomische Tafeln mit neuen Canones zu entwerfen, nicht aber sein System selbst darzustellen, da zeigte der Bischof, daß man aus bloßen Tafeln, welche auf einem System beruhten, das so sehr von der gewöhnlichen Vorstellung abwiche, dieses vielleicht nie würde kennen lernen und daß dann alle seine Arbeit wahrscheinlich verloren wäre. „Hiedurch“, – so schließt Rheticus seine seitenlange Exposition, – „setzte es endlich der gelehrte Prälat bei meinem Lehrer durch, daß er versprach, den Gelehrten und der Nachwelt das Urtheil über seine Arbeiten überlassen zu wollen. Daher werden billiger Weise die Gutgesinnten und die Freunde der Wissenschaft mit mir dem Bischofe großen Dank dafür wissen, daß er der Republik diesen Dienst geleistet hat.“ Giese’s Zureden also haben, wie Kästner in seiner „Geschichte der Mathematik“ (II. 606) mit Recht bemerkt, „die Freunde der Mathematik es zu danken, daß Copernicus seine Lehre bekannt gemacht hat.“ Die zahlreichen Briefe, die er in dieser Angelegenheit von Löbau aus an seinen sternkundigen Confrater richtete und deren der Krakauer Astronom Broscius im J. 1620 noch mehr als 20 besaß, sind leider verloren gegangen, ebenso auch die in seinem Besitze befindliche Vertheididungsschrift, die G. unter dem Namen „Hyperaspistes“ für das heliocentrische System geschrieben und worin er auch einer dieser Theorie zustimmenden Aeußerung von Erasmus Erwähnung gethan hatte. Nur die beiden Briefe Giese’s an den Domherrn Donner und an Rheticus, in deren ersterem die zärtliche Sorgfalt für den kranken Freund sich ausspricht, während im andern die Entrüstung über Osiander’s vorgeschobene Vorrede sich Luft macht, hat Broscius drucken lassen und dadurch ein schönes Denkmal von dem Geiste und Herzen des Briefstellers aufbewahrt. In seiner Eigenschaft als Bischof von Culm trat G. den religiösen Neuerungen, wo sie, wie z. B. in Thorn, offen sich zeigten, nach Kräften entgegen, ließ sich aber von den guten Versprechungen der Feinde seiner Kirche, sobald sie seine Protection anriefen, wiederholt allzuleicht täuschen. Dieser Umstand, in Verbindung mit seinem mehr irenischen Charakter und den Beziehungen, in welchen er zu protestantischen Verwandten und Gelehrten stand, hat ihm bei den späteren preußischen Kirchenhistorikern den Ruf zugezogen, daß er die Pflichten seines Amtes nicht genügend wahrgenommen und in seiner katholischen Ueberzeugung nicht entschieden genug gewesen sei. Sie bedachten dabei zu wenig, daß Giese’s Wirksamkeit in eine Zeit fiel, in welcher sich noch niemand von einer dauernden Kirchenspaltung innerhalb des h. römischen Reiches deutscher Nation, welches auf die Einheit der Religion gegründet war, einen Begriff machen konnte, wo man noch allgemein auf eine früher oder später eintretende Versöhnung hoffte und danach seine Maßregeln traf, welche allerdings einer späteren Zeit, in der die Gegensätze bleibend geworden, verfehlt erscheinen konnten. Beachtenswerth sind auch Giese’s Bemühungen für die Reformation des sogenannten culmischen Rechtes und seine ausführlichen Reden in Landessachen auf den preußischen Landtagen, die theilweise noch erhalten sind. Wegen der Verweigerung des Pfluggetreides sah er sich mehrfach genöthigt, königliche Mandate zu erbitten. Die Aufforderung des Gnesener Erzbischofes zur Provinzialsynode von Gnesen zu erscheinen, glaubte er ablehnen zu sollen, weil [156] Culm nicht unter Gnesen, sondern unter Riga stehe. Lucas David, der längere Zeit bei ihm als Kanzler in Diensten war, berichtet in seiner Chronik, daß er im J. 1541 eine alte Eiche, die in abergläubischer Weise verehrt wurde, abhauen hieß. Für die Hebung der altberühmten Schule in Culm war er unablässig thätig und wendete ihr nicht unbeträchtliche Geldmittel und Legate zu; doch wollte sie trotz der Mühe, die sich ihr Rector, der durch seine pädagogischen Schriften bekannte Dr. Hieronymus Wildenberg aus Goldberg gab, gegenüber den protestantischen Schulen von Elbing und Königsberg, nicht recht fortkommen. Seine bischöfliche Residenz zu Löbau, über deren Portal man noch 100 Jahre nach seinem Tode sein Wappen und seine Büste eingemeißelt fand, war durch seine Sorgfalt gründlich restaurirt und mit einer reichen Sammlung von Büchern und mathematischen Instrumenten ausgestattet. Er hatte sich, wie Rheticus berichtet, aus Vorliebe für die astronomischen Studien u. a. eine broncene Armillarsphäre zur Beobachtung der Tag- und Nachtgleichen angeschafft, auch einen wahrhaft fürstlichen und von einem tüchtigen Mathematiker gefertigten „Gnomon“ (Sonnenuhr) aus London kommen lassen, die er später einmal an Herzog Albrecht verschenkte. Nachdem durch Dantiscus’ Tod der ermländische[WS 1] Stuhl im October 1548 vacant geworden war, postulirte am 25. Januar 1549 das dortige Domcapitel den Oberhirten von Culm, der sein Frauenburger Canonicat immer noch beibehalten hatte, zum Bischofe, und Paul III. translocirte ihn dorthin am 20. Mai 1549. Drei Monate später traf er in Ermland ein, empfing aber, da eben die Pest grassirte, erst im Frühlinge des nächsten Jahres die landesherrliche Huldigung, um bald darauf in dem Ländchen, in dem er die besten Jahre seines Lebens zugebracht, auch zu sterben und in der Frauenburger Kathedrale, wo sein Freund Copernicus seit sieben Jahren beigesetzt war, seine Grabstätte zu finden.

Vgl. Eichhorn in der Erml. Zeitschrift I. 344, des Unterzeichneten Erml. Litteraturgeschichte S. 100 ff. und Spicilegium Copernicanum S. 4 u. 351 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ermländlische