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Artikel „Dantiscus, Johann“ von Theodor Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 746–750, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dantiscus,_Johannes&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 19:57 Uhr UTC)
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Dantiscus: Johann D., nach seinem Geburtsorte Danzig Dantiscus, nach seiner Familie v. Höfen (a Curiis), nach dem Gewerbe seines Großvaters Flachsbinder (Linodesmos) genannt, 31. Oct. 1485 geb., als Bischof des Ermelandes in Frauenburg 27. Oct. 1548 gest., hat als Diplomat, Geistlicher, insbesondere als Humanist und Dichter in hoher Achtung unter seinen Zeitgenossen gestanden. Aus einer seit dem 14. Jahrh. im Ermelande angesessenen Familie stammend, von welcher ein Zweig unter seinem Großvater während des preußischen Städtekrieges (1454–66) nach Danzig übergesiedelt war, kam er schon als Knabe nach Krakau, in dessen Gymnasium er mit frühzeitigem Erfolge classische [747] Studien betrieb, wurde jedoch, ehe er sie abgeschlossen hatte, noch vor 1501 in den Dienst des polnischen Hofes gezogen, nahm von hier aus 1502 oder 1503 an einem Feldzuge gegen die Tartaren theil, gewann an demselben Hofe aber auch Mittel und Gelegenheit zu einer Reise nach Italien, wo er seine Studien fortzusetzen gedachte. Aber in Venedig angekommen, wird er durch den Anblick eines zum Absegeln nach Syrien ausgerüsteten Schiffes umgestimmt. Er besteigt dasselbe und hat auf einer zweijährigen Reise (1504–5), auf der er die Inseln und Küstenstädte Griechenlands besuchte, von Joppe aus das heilige Land bis in Arabien hinein bereiste, auf der Rückfahrt aber von Sicilien aus ganz Italien durchwanderte, Kenntnisse und Erfahrungen reichlich eingesammelt; worauf er heimgekehrt auf der Universität Krakau sich mit neuem Eifer neben der Theologie und Jurisprudenz seinen humanistischen Neigungen widmete. Sein Talent, namentlich seine diplomatische Tüchtigkeit, wurde bald erkannt und ans Licht gezogen. Seit dem Pfingst-Landtage in Marienburg 1509–15 erscheint zu wiederholten Malen der königl. Notar Johann D. als Botschafter König Sigismunds I. auf den preußischen Ständetagen, schon mit der am polnischen Hofe den Reichskanzlern zunächst stehenden Würde eines königl. Secretärs bekleidet. Der Eifer, mit dem er 1512 für den König von Polen das angemaßte Recht, Appellationen von preußischen Gerichten annehmen und von den polnischen obersten Gerichtshöfen entscheiden zu lassen, in einem Processe gegen seine Vaterstadt in Anspruch nahm und zur Anwendung brachte, hatte zur Folge, daß er in gleichem Maße in der Achtung seiner preußischen Landsleute sank, als sein Ansehen und seine Gunst am polnischen Hofe stieg und sich befestigte. Seit 1515, wo er den König Sigismund zu den Fürsten-Congressen in Preßburg und Wien begleitete, wird er in den nächsten 17 Jahren, bis 1532, mit seltenen Unterbrechungen als königl. Gesandter (Orator) zu den wichtigsten Botschaften im Auslande verwendet und ist Zeuge und Theilnehmer der bedeutendsten diplomatischen Actionen, welche während zweier Jahre in Deutschland, Spanien und Italien zum Abschlusse kamen. Es sind vornehmlich drei Interessen, welche er dabei für seinen König wahrzunehmen hat: es galt einmal der Königin Bona aus dem Hause Sforza das ihr von ihrer Mutter zugefallene Erbe des Herzogthums Bari in Neapel gegen die Ansprüche, welche andere Fürsten theils auf den Besitz, theils auf die Einkünfte desselben erhoben, zu sichern; es galt zum zweiten die Herrscher des westlichen Europa zu ernstlicher Theilnahme an der Abwehr der von Sultan Soliman II. dem Osten drohenden Gefahr zu bestimmen, vor allem in den Verwicklungen, die seit 1519 zwischen Polen und dem deutschen Ordenslande eintraten, anfänglich die feindlichen Schritte Polens gegen dasselbe bei dem Kaiser und den deutschen Reichsfürsten, später die Säcularisirung des Ordenslandes, durch welche jene Verwicklungen beseitigt wurden, bei dem Papste Clemens VII. und den katholischen Staaten zu rechtfertigen, schließlich aber den feindlichen Maßregeln, welche Kaiser Karl V. gegen den neuen Herzog von Preußen ins Werk setzte, entgegenzuarbeiten. Das diplomatische Talent, welches D. in der Ausführung dieser Geschäfte an den Tag legte, bekundete sich auch darin, daß, während der Erfolg seinen Fürsten vollkommen befriedigte, auch die fremden Fürsten, gegen deren Interesse er ankämpfte, namentlich die Kaiser Maximilian und Karl V., ihn in hohen Ehren hielten, ja auch für ihre Geschäfte zu Rathe zogen. In Wien, dessen Universität ihn, wie es scheint, 1515 zum Doctor beider Rechte ernannte und zugleich zum Dichter krönte, ist er von Maximilian zum Ritter geschlagen, und diese Ehre von Karl V. 1529 mit Veränderung seines Wappens, in dem jetzt auch die Dichterharfe nicht fehlt, auf spanischem Boden erneuert worden. Wie D. dem Kaiser Maximilian bei dem Abschluß des Friedens mit Venedig in Brüssel im Herbst 1516 wesentliche Dienste leistete, so ist er auch [748] während seines letzten vierjährigen Aufenthaltes in Spanien (1526–29) bei den Friedensverhandlungen zwischen Karl V. und König Franz I. thätig gewesen.

Diese Dienste blieben nicht unbelohnt und er gelangte zu bedeutendem Reichthum. Da er schon frühe die niedern Weihen des geistlichen Standes empfangen hatte, so ward ihm von Polen aus neben andern 1515 eine Pfarre im krakauischen Gebiet, 1517 ein Canonicat im Ermelande, 1523 das oberste Pfarramt in Danzig, das zu St. Marien, zunächst als Sinecure verliehen. Als er nach weiteren sechs Jahren (1529) von Spanien aus über zu geringe Anerkennung seiner Mühen sich beklagte, beschwichtigte König Sigismund die Klage, indem er dem noch abwesenden 1530 das erledigte Bisthum Culm im polnischen Preußen ertheilte. Sobald D. nach sechsjähriger Abwesenheit von der Heimath im Herbste 1532 seine Diöcese betrat, gab er schon dadurch, daß er sich in den nächsten Monaten (März 1533) die Priesterweihe ertheilen ließ, seine Absicht kund, fortan dem neuen Berufe ausschließlich zu leben. Nur noch einmal unterzog er sich 1538 einer kurzen diplomatischen Mission nach Breslau, um die Ehepacten zwischen dem polnischen Thronerben und der Erzherzogin Elisabeth, Tochter König Ferdinands I., abzuschließen, ließ sich aber seitdem nicht einmal durch die Aussichten, welche Kaiser Karl V. solchen Falls ihm 1539 auf einen Cardinalshut eröffnete, zur Rückkehr in den Staatsdienst verlocken. Mit dem neuen Amte nimmt sein Lebensgang eine wesentlich neue Richtung. Den Antrieb dazu gab zunächst die mit diesem Amte verbundene politische Thätigkeit. Das polnische Preußen erfreute sich damals noch einer selbständigen Verfassung, welche den deutschen Lebenseinrichtungen zur Schutzwehr gegen den eindringenden Polonismus diente, deren Erhaltung aber wesentlich von der Energie des mit ausgedehnten administrativen, legislativen und juridischen Befugnissen ausgestatteten Landesraths abhing, dessen Präsident jedesmal der Bischof von Ermeland, in dessen Stellvertretung der Bischof von Culm war. Die Hinfälligkeit des damaligen ermeländischen Bischofs Moritz Ferber (s. unten) verschaffte dem D. sofort das stellvertretende Präsidium, eröffnete ihm aber auch auf die dauernde Erwerbung desselben in Verbindung mit dem Besitz des Ermelandes günstige Aussichten, wenn es ihm gelang, sich bei der damals betriebenen Ernennung eines Coadjutors für den Kranken die Stimmen des ermeländischen Domcapitels und des Königes zu gewinnen. Die Gunst der Königin Bona führte nach vierjährigen Bemühungen ihn zum erwünschten Ziele. Ehe aber noch von Rom die Bestätigung seiner Coadjutorwürde eingetroffen war, bewirkte der Tod des Bischofs Moritz Ferber (1. Juli 1537), daß D. am 18. Decbr. 1537 als nominirter Bischof die Regierung des Ermelandes antreten konnte.

Hatte D. in seiner Jugend, durch falschen Ehrgeiz verleitet, die Rechte seines preußischen Heimathslandes schwer geschädigt, so bewies seine seit 1532 sechzehn Jahre hindurch mit Geschick und Umsicht geführte Leitung der Landesangelegenheiten, daß er durch gewissenhafte Erfüllung der mit seinem Amte gegen sein Vaterland übernommenen Verpflichtungen das in der Jugend begangene Unrecht zu tilgen bemüht war. In der That gelang es ihm, die oft versuchten Eingriffe in die Freiheiten Preußens so geschickt abzuwehren, daß König Sigismund nur selten und vorübergehend sich durch sie verletzt fühlte, hierdurch aber so wie durch seine eifrigen Bemühungen um eine zeitgemäße Umgestaltung des culmischen Rechtsbuches, so wie für die Wiederaufrichtung der deutschen Hochschule in Culm sich die volle Achtung und Anerkennung der preußischen Stände, namentlich seiner Vaterstadt wieder zu gewinnen. Nicht minder gab er in der landesväterlichen Verwaltung seiner Diöcese, in der Uebung strenger Rechtspflege und der Förderung des gewerblichen Lebens seinen Mitständen ein löbliches Beispiel.

Denselben sittlichen Ernst wendete er auch seinen geistlichen Pflichten zu. [749] Frühe dem geistlichen Stande angehörig und mit drei Pfründen ausgestattet, hatte D. bis dahin ein höchst ungeistliches Leben geführt, seine sinnliche Genußsucht offen zur Schau getragen, eine seiner vielen Geliebten, die Venetianerin Grynea, in Liedern stark erotischer Färbung besungen. Wenn er dann gegen die von Wittenberg ausgegangene religiöse Bewegung sich stets ablehnend verhielt, so bestimmten ihn dazu wesentlich äußerliche Beweggründe; er fürchtete die durch sie der Türkengefahr gegenüber unter den deutschen Fürsten ausgebrochenen Spaltungen und daneben das Ueberhandnehmen demokratischer Tendenzen; auch war ihm die Persönlichkeit Luther’s, den er 1523 in Wittenberg besuchte, nicht sympathisch: er sah in seiner Derbheit Zeichen stark ausgeprägten Hochmuths. Im übrigen ließ ihn das Schicksal derjenigen Kirchenlehre, welcher er den Vorzug gab, völlig unbekümmert, nicht einmal die Auflehnung der Danziger Stadtgemeinde, deren oberster Pfarrer er ist, gegen ihr geistliches und weltliches Regiment während der Jahre 1524–26 macht ihm Sorge; zufrieden, daß sie seinem Bruder gestattet, für ihn das Opfergeld zu erheben, beschränkt er seinen geistlichen Eifer darauf, sie in seinem „Propheten Jonas“ als Schwester von Sodom und Gomorrha auszuschelten. Diesen leichtfertigen Sinn streift D. in der zweiten Periode seines Lebens völlig ab. Der Zuchtlosigkeit, die in seiner Diöcese, insbesondere unter seinem Clerus eingerissen ist, tritt er mit Strafen nur da entgegen, wo die Ausschreitungen öffentliches Aergerniß erregt haben; er dringt bei seinen Geistlichen hauptsächlich auf Bildung und erhebt es zum Gesetz, daß jedes Mitglied seines Domcapitels mindestens drei Jahre eine Universität besucht haben müsse. Im übrigen sucht er Heilung der kirchlichen Gebrechen vornehmlich in dem von ihm gegebenen Beispiele sorgfältiger Pflichterfüllung und eines ehrbaren Lebens. Mit ehrlicher Offenherzigkeit spricht er gegen seine Umgebungen sein Bedauern über seine sittlichen Verirrungen aus und warnt die jungen Cleriker, die sich ihm anschließen, vor den Verlockungen des Hoflebens, denen er nicht widerstanden habe. Daß diese sittliche Umkehr nicht in einen finstern Zelotengeist überschlug, davor schützte ihn seine humane Geistesbildung, in deren Pflege er zu allen Zeiten den Adel und die Würze seines Lebens gesucht und gefunden hatte.

Bei der Beschäftigung mit den classischen Studien sucht man in diesem Jahrhunderte einen besondern Gewinn in der Fertigkeit, lateinische Gedichte zu machen. D., welcher in Krakau auf der Schule und der Universität ein besonderes Talent dafür gezeigt hatte, sah sich während der Jahre 1509–15, wo er sich oft in Preußen aufhielt, ganz besonders zu dieser dichterischen Thätigkeit angeregt theils durch den Poetenkreis, welchen der zwischen 1509–11 am Hofe des Bischofs Hiob v. Dobeneck in Riesenburg verweilende Dichterfürst Eoban Heß zu einer gelehrten Gesellschaft vereinigte, theils durch den ermländischen Domherrn Nicolaus Copernicus, welcher 1507 von seiner zweiten italienischen Reise, auf der er in Padua eifrigst das Griechische betrieben hatte, zurückgekehrt, gleichfalls poetischen Uebungen seine Neigung schenkte. Copernicus’ Urtheil scheint D. zur ersten Veröffentlichung seiner Arbeiten ermuthigt zu haben; jedenfalls hat Copernicus die erste Arbeit des D., ein Festgedicht auf die Hochzeit König Sigismunds I., welches 1512 in Krakau gedruckt erschien, mit einem Epigramme eingeleitet; wie es wiederum D. beschieden war, 30 Jahre später (1542) der Herausgabe der ersten zwei Capitel des großen bahnbrechenden Werkes des Astronomen ein verherrlichendes Gedicht vorzusetzen. Die hier so angeregten gelehrten und poetischen Beschäftigungen wurden mit gleich bleibendem Eifer auf den Reisen fortgesetzt. An jedem Orte, wo D. sich länger aufhielt, wurden die Männer gleichen Strebens ohne Unterschied des Landes und der Glaubensrichtung aufgesucht; man maß das gegenseitige Talent in Wettgesängen und setzte die angeknüpfte Verbindung von der Ferne aus schriftlich in Prosa oder in Versen [750] fort. Nicht leicht dürfte es zwischen Madrid und Königsberg eine humanistische Celebrität gegeben haben, mit welcher jener nicht in Berührung kam; mit dem Entdecker Mexico’s, Ferdinand Cortez, wird die in Madrid gemachte Bekanntschaft nach Amerika hinübergeleitet. Aus solchem freundschaftlichen Verkehr sind die zahlreichen, bis jetzt nur theilweise gesammelten Arbeiten des D. meistentheils hervorgegangen: Elegien, zum Theil erotischen Inhalts, Epigramme, Satiren, Gelegenheitsgedichte, hin und wieder auch Schilderungen kriegerischer oder politischer Ereignisse. Die Begeisterung für diese Thätigkeit begleitet D. auch nach seinen preußischen Bischofssitzen; sie gestaltet sich nur darin um, daß er seiner veränderten Gemüthsrichtung gemäß andere Stoffe für seine Dichtungen wählte. Er verfaßte geistliche Komödien, religiöse Hymnen und vielleicht die beste seiner Dichtungen, die an seinen jungen Freund und Nacheiferer Eustachius v. Knobelsdorf (Alliopagus) gerichtete Mahnung (das „Carmen paraeneticum“). Wie wenig Aufmerksamkeit wir auch jetzt seinen Arbeiten zuwenden, sie wurden in seiner Zeit hoch geschätzt und sind auch für uns, ohne Rücksicht auf ihren besonderen Inhalt, von großem Werth als der Ausdruck einer Geistesrichtung, welche ohne Rücksicht auf die im Leben scheidenden Gegensätze alle diejenigen als Freunde und Brüder ansah, welche zu den veredelnden Idealen der classischen Studien in dieser zeitlichen Form sich bekannten.

Der schon alternde Kirchenfürst, noch immer ein heiteres, wohlwollendes und zur Wohlthätigkeit geneigtes Gemüth, reich an Glücksgütern, setzte seinen Stolz darin, seinen Bischofssitz in Heilsberg mit einer Bibliothek und einer Gemäldesammlung, für welche ihm ein vermittelnder Freund in Mecheln Holbein’sche Gemälde verschaffte, zu schmücken. Eine noch edlere Freude wird ihm zu Theil in der ansehnlichen Zahl seiner Domherren, welche seine Neigungen theilten, und in den Nachbarn, dem Bischof von Culm, Tidemann Giese, dem Rector des Elbinger Gymnasiums Wilhelm Gnapheus, dem Herzoge Albrecht von Preußen, vor allem in dem Rector des neuen Königsberger Universität, Georg Sabinus, die er gern zum Genusse heiterer Geselligkeit um sich vereinigt. Dem Sabinus gibt er einmal beim Abschied eine Medicamenten-Schachtel als Präservativ gegen die Pest in die Hand – sie ist mit 50 Joachimsthalern gefüllt. (L. Czaplicki, De vita et carminibus J. de Curiis Dantisci, Vratisl. 1855. Eichhorn und Hipler in der Ztschr. für Geschichte und Alterthum Ermelands.)