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Artikel „Geiler von Kaisersberg, Johannes“ von Ernst Martin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 509–518, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Geiler,_Johannes&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:17 Uhr UTC)
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Band 8 (1878), S. 509–518 (Quelle).
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Geiler: Johannes G. von Kaisersberg, so genannt nach dem Wohnort seines Großvaters, der ihn erzogen hatte, war geboren am 16. März 1445 zu Schaffhausen. In dieser Stadt, die damals noch unter österreichischer Herrschaft stand, war sein Vater Johannes G. als Gehülfe des dortigen Notars beschäftigt. 1446 als Stadtschreiber nach Ammersweiher im Elsaß übergesiedelt, starb der Vater Geiler’s schon 1448, indem er bei der Verfolgung eines Bären, der die Weinberge des Ortes verwüstete, eine tödtliche Wunde erhielt. Die Mutter, Anna Zuber, lebte bis zu ihrem hohen Alter mit dem Sohne zusammen. Den Knaben nahm sein trefflicher Großvater zu sich, ließ ihn aber die Schule im benachbarten Ammersweiher besuchen. 1460 ging G. auf die eben eröffnete Universität Freiburg über und ward hier 1462 baccalaureus artium, 1463 Magister. 1465 las er über die Summa des Alexander Hales, 1466 über die Bücher de anima und bekleidete 1469 und 1470 das Decanat der philosophischen Facultät. 1471 siedelte er an die ebenfalls vor Kurzem begründete Universität Basel über, wo er zugleich in die philosophische und theologische Facultät aufgenommen, an der letzteren als Stellvertreter des Titularprofessors Vorlesungen hielt. 1474 ward er Decan der philosophischen Facultät und Baccalaureus der Theologie, 1475 Doctor und ordentlicher Professor der Theologie. 1476 kehrte er auf einen durch die Freiburger Bürgerschaft veranlaßten Ruf an diese Universität zurück und ward hier für das nächste Wintersemester zum Rector erwählt. Allein schon im folgenden Jahre verließ er Freiburg und überhaupt die Lehrthätigkeit an der Universität. Bürger von Würzburg, die ihn in Baden bei einem Kuraufenthalt hatten predigen hören, erwirkten seine Berufung als Prediger in ihre Vaterstadt, indem sie durch eigene Beiträge ihm ein Gehalt von 200 Goldgulden sicherten. Doch es gelang anderen ihn vielmehr für die Hauptstadt seines Heimathlandes zu gewinnen. Als G. von Würzburg nach Basel reiste, um seine Bücher abzuholen, stellte ihm der Ammeister von Straßburg, Peter Schott, die Verpflichtung gegen seine elsässischen Landsleute so lebhaft vor, daß er sich bewegen ließ in Straßburg zu bleiben. Peter Schott und seine Freunde erwirkten durch erhebliche Geldopfer (jährlich waren 30 Goldgulden an den Bischof zu zahlen; die Gesammtzahlung wird auf 500, selbst auf 1200 Goldgulden angeschlagen), daß G. als Prediger der Lorenzkirche und als Kapellan [510] des Bischofs im Münster zu predigen beauftragt ward. Erst 1489 ward diese Anstellung endgiltig festgesetzt, nachdem Anträge von auswärts her das Verbleiben Geiler’s in Frage gestellt hatten. Namentlich hatte der 1486 erwählte Bischof von Augsburg, Friedrich von Hohenzollern, der in Freiburg Geiler’s Nachfolger im Rectorat gewesen war und in Straßburg als Decan der Kathedrale sich innig mit ihm befreundet hatte, den lebhaften Wunsch G. in seiner Nähe zu besitzen. G. suchte mit anderen Straßburger Freunden noch im Juli desselben Jahres B. Friedrich in Dillingen auf; im September 1488 kam er nach Augsburg, um dort zu predigen und kehrte erst Anfang 1489 nach Straßburg zurück. Noch einmal besuchte er Bischof Friedrich, als er vom Kaiser Maximilian 1503 nach Füßen im bairischen Gebirge berufen wurde zur Besprechung wichtiger Angelegenheiten. Kaiser Maximilian hatte schon früher bei seinen häufigen Besuchen in Straßburg Geiler’s Predigten gern gehört und ihn 1501 zum kaiserlichen Kaplan ernannt. Für G. war an der Straßburger Stellung besonders angenehm, daß er hier zum Beichthören weniger verpflichtet war, da seine übergroße Gewissenhaftigkeit dies Amt ihm und den Beichtenden beschwerlich machte. Auch fühlte er sehr wol, daß seine Begabung ihn auf ein Wirken in größeren Kreisen hinwies. Er predigte alle Sonn- und Festtage, in der Fastenzeit täglich; und zwar nicht nur im Münster, sondern überdies in mehreren Klöstern, besonders dem der Reuerinnen in der Magdalenengasse, in welchem er die reformirte Ordnung eingeführt hatte. Selbst außerhalb Straßburgs predigte er, besonders an Kirchweihtagen, vor allem in der geliebten oberländischen Heimath. Als Prediger des Münsters hatte er namentlich auch die Synodalreden und die Leichenpredigten beim Tode der Bischöfe zu halten, und hier machte er seine Reformbestrebungen mit aller Kraft geltend. Mit einem Freimuth ohne Grenzen, der am Grabe der verstorbenen Bischöfe selbst als Härte erscheinen mochte, schalt er die Verderbtheit des Clerus, wies er auf die Nothwendigkeit der Besserung hin. So am 17. November 1478 am Grabe B. Roberts, so bei der Eröffnung der Synode zu Straßburg am 18. April 1482 (die erste gedruckte Predigt Geiler’s), so in der Rede auf B. Albrecht am 14. October 1506. Daß B. Albrecht die päpstliche Erlaubniß in der Fastenzeit Butter und Eier zu essen auch für Straßburg erwirkte und sich freilich damit eine neue Einnahmequelle eröffnete, hat G. ihm immer wieder zum Vorwurf gemacht. Nicht minder entschieden aber trat G. den bürgerlichen Einrichtungen und Gewohnheiten Straßburgs entgegen, wo diese gegen seine strengen Forderungen verstießen. Auch in diesen Kreisen vertrat er die Armen und Verlassenen. 1481 bei einer Hungersnoth sollte er nach den Rathsprotokollen aufgefordert haben mit Gewalt die Kornvorräthe der Reichen zu nehmen und sie hinterdrein zu bezahlen. Und 1502 fand er in seiner Kanzel einen Zettel, er möge den Rath mahnen das Volk mit seinen Steuern nicht zu erdrücken. Erfolgreich war 1485 seine Bemühung den zum Tode Verurtheilten die Communion zu erwirken, freilich erst nach harten Kämpfen gegen den Magistrat und die diesem zur Seite tretenden Mönchsorden, und erst nachdem G. und seine Freunde eine Entscheidung der Heidelberger Universität zu ihren Gunsten erlangt und den päpstlichen Nuntius um Beistand angegangen hatten. Weniger glücklich war G. den Gesetzen gegenüber, welche Testamente der Geistlichen nicht zuließen und den in das Kloster tretenden die Erbfähigkeit absprachen. Ein Vorfall von 1493, in welchem er sich gegen die ersteren auflehnte, zog ihm heftige Feindschaften zu. Bittere Aeußerungen über solche Erfahrungen – er sollte gesagt haben, daß die städtischen Behörden mitsammt ihren Vorfahren und Nachkommen alle des Teufels wären – zogen ihm 1500 eine Untersuchung zu, welche ihn 1501 veranlaßte seine Beschwerden in 21 Artikeln zusammenzufassen (jetzt gedruckt bei Dacheux s. u.). Außer den [511] schon genannten Dingen sind es namentlich die öffentlichen Spiele und die davon den Stadtbeamten zufallenden Einkünfte, über die er sich beklagt; ferner die Verwaltung der Spitäler, welche sich weigerten die an der damals einreißenden Lustseuche Erkrankten aufzunehmen; endlich die Entweihung der kirchlichen Feste durch allerhand unschickliche Späße, besonders durch den Roraffen, eine Figur an der Kanzel, aus welcher zu Pfingsten den zu Procession und Messe Versammelten höhnische, oft unsaubere Lieder und Witze entgegengesungen wurden. Der weitere Verlauf dieser Angelegenheit ist unbekannt. Vielleicht, daß der Rath diese Beschwerden stillschweigend fallen ließ. Er mochte glauben mit früheren Zugeständnissen genug gethan zu haben, durch die Abschaffung des aus uralter Zeit stammenden Umzuges des wilden Weibes von Geispoldsheim zu Fastnacht u. a. Es ist begreiflich, daß diese Volkslustbarkeiten doch auch ihre Anhänger hatten und daß diese die Zahl der Feinde Geiler’s vermehrten. Ganz besonders waren es aber die geistlichen Orden, welche sich G. feindselig entgegenstellten. War doch schon seine Anstellung gegen sie gerichtet. Um nicht den Orden die Predigt ganz zu überlassen hatten Peter Schott und seine Freunde die Stelle Geiler’s gestiftet, welche nur von einem Weltpriester eingenommen werden sollte. Dann hatte G. selbst die härtesten Ausdrücke über die nicht reformirten Klöster gebraucht. Doch nicht alle Orden verurtheilte er: die Karthäuser und die Johanniter am grünen Wörd – dies freilich auch eine Stiftung frommer Laien – hatten seine volle Anerkennung und Freundschaft. 1480 hatte er auf einer Wallfahrt nach Einsiedeln auch Nicolaus von der Flüe besucht; einen Waldbruder in der Nähe seiner Heimath, Namens Sebastian, hielt er hoch. G. selbst fühlte zu Zeiten in sich den Trieb sich von der Welt zurückzuziehen und war 1501 im Begriff sich mit Wimpheling und Christoph von Utenheim in die Einsamkeit zu begeben, als durch die Wahl des Letztgenannten zum Bischof von Basel der Plan vereitelt ward. In diesen freundschaftlichen Verhältnissen zeigte G., daß er mit der klarsten Erkenntniß der Mißbräuche in Kirche und Gesellschaft und mit dem stärksten Willen, sie zu bekämpfen, auch ein Gemüth verband, das friedlicheren Regungen sich öffnete. Es waren nicht nur hochstehende Männer, denen er als geistlicher Rathgeber diente: Kaiser Maximilian, die Bischöfe Friedrich von Augsburg, Christoph von Basel, später Philipp von Köln. Vor allem nahe trat ihm die Familie Schott. Peter Schott’s Gattin hatte den ersten Anstoß zur Berufung Geiler’s gegeben; sein gleichnamiger Sohn wuchs unter Geiler’s Obhut heran und vertauschte, dem Wunsche des Vaters entgegen, die mit glänzendem Erfolge begonnenen juristischen Studien mit den theologischen. Er gab die von G. mit großen Kosten auf Reisen nach Lyon und Marseille 1483 gesammelten Werke Gerson’s 1488 heraus. Als er 1490 kaum 33jährig starb, sammelte G. seine Briefe und Gedichte, welche unter dem Titel „Lucubratiunculae“ 1498 erschienen. Der Herausgeber war ein anderer Freund Geiler’s, der Humanist Wimpheling. Dem Humanismus geneigt zeigte sich G. auch durch die Anerkennung, die er Sebastian Brant zollte. Dessen Berufung nach Straßburg 1501 hatte er lebhaft befürwortet und rechnete auf ihn für die Begründung des Gymnasiums zu Straßburg, welche Wimpheling damals betrieb und welche durch dessen Zögling Jacob Sturm, den Urenkel Peter Schott’s, später verwirklicht wurde. G. kannte und schätzte die humanistischen Studien; seine Bibliothek, obwol überwiegend theologisch, umfaßte doch auch Poeten und Historiker. Sie zu benutzen, neben der ausgedehnten Predigerthätigkeit, machte er durch den sorgfältigsten Gebrauch seiner Zeit möglich. Bei Tisch ließ er sich daraus vorlesen, wenn er sich nicht mit Freunden in witziger Unterhaltung erging. Zum einfachsten Leben nöthigte ihn schon seine Wohlthätigkeit, welche ihn auch die Geschenke seiner Freunde nicht schonen ließ. Seine Gesundheit war zuletzt durch ein Nierenleiden gestört. [512] 1505 machte er sein Testament, das uns erhalten ist, und fügte 1507 vor einer Reise noch einen Nachtrag hinzu. Er starb am 10. März 1510. Er ward im Münster begraben, zu Füßen der Kanzel, welche 1486 Peter Schott für ihn hatte kunstreich herstellen lassen. Sein Leben beschrieb in eleganter Kürze Beatus Rhenanus. Diese vita, 1510 erschienen, ist dann mehreren Ausgaben Geiler’scher Werke, z. B. den lateinischen Predigten über das Narrenschiff, angehängt worden. Als Ergänzung dient die ebenfalls 1510 erschienene Schrift Wimphelings „In Joannis Keiserspergii mortem planctus et lamentatio cum aliquali vite sue descriptione“, welcher eine ganze Anzahl von Trauergedichten anderer Verfasser angehängt sind. Ein Bild Geiler’s findet sich auf dem Titel mehrerer Werke, die Predigten von ihm enthalten, so vor dem deutschen Paternoster und der deutschen Passion in Gestalt eines Lebkuchens, wo er auf der Kanzel stehend dargestellt ist; am besten aber ist das Brustbild vor der Postille 1522, welches neuerdings öfter wiederholt worden ist, unter Anderem bei Dacheux. Es zeigt das ernste Gesicht des Predigers, mit starker Nase und herabgezogenen Mundwinkeln, mit lockigem Haar. Seine Gestalt war groß und mager.

Von Geiler’s rednerischer Begabung und Wirksamkeit geben die zahlreichen und umfänglichen Werke, die unter seinem Namen gedruckt sind, doch kein vollständiges und kein zuverlässiges Bild. Er war eben Redner, nicht Schriftsteller. Unbekümmert um litterarischen Nachruhm, strebte er mit aller Kraft nach der tiefsten Wirkung auf seine Zuhörer. Wol sandte er zuweilen einzelne Predigten ausgearbeitet an befreundete Personen; aber nicht einmal das, was er ausgearbeitet hatte, ließ er ohne besondere Veranlassung in den Druck kommen. Und die meisten Predigten sind niemals deutsch von ihm ausgearbeitet worden. Wenn Beatus Rhenanus rühmt, daß er sich auf das Sorgfältigste vorbereitet und die Predigten wörtlich, wenn auch ohne stilistische Sorgfalt, aufgeschrieben habe, so bezieht sich dies auf die lateinischen Grundzüge, welche zum Theil allerdings noch in den letzten Jahren Geiler’s, aber von anderen veröffentlicht worden sind. Aber schon frühzeitig begann man seine Predigten nachzuschreiben und diese Nachschriften in den Druck zu geben. Dabei mußten natürlich dieselben Reden bei späterer Wiederholung, z. B. die in Straßburg gehaltenen bei nochmaligem Vortrag in Augsburg, in sehr verschiedener Weise aufgefaßt werden. Unmittelbar nach Geiler’s Tod entwickelte sich eine förmliche Industrie in der Veröffentlichung seiner Reden und Schriften. Besonders thätig erwies sich die Grüninger’sche Druckerei in Straßburg und sicherte sich durch die Erwirkung kaiserlicher Privilegien, wie sie hier ziemlich zuerst auftreten, gegen Nachdruck. Die Herausgeber nahmen überdies vielfach die damals so blühende Holzschneidekunst zu Hülfe und so erschienen die Augsburger Ausgaben mit Holzschnitten von Hans Burkmair, die Straßburger mit solchen von Hans Baldung Grün, Mentelin, Ursus Graf u. a. geschmückt. Manche der hierher gehörigen Passionen sind mehr Texte zu Holzschnitten, als daß diese Illustrationen zu nennen wären. Es ist nun leicht zu ersehen, wie auf diesem Wege eine sehr verschiedenartige Litteratur entstand, die Geiler’s Namen trug; und die Nachlässigkeit neuerer Litteratoren hat die Verwirrung noch vermehrt. Im Folgenden soll versucht werden diese Verwirrung aufzulösen, wesentlich auf Grund der reichen Sammlung von Werken Geiler’s, die die Freiburger Universitätsbibliothek besitzt. Hülfreich sind dabei allerdings besonders die bibliographischen Notizen und Uebersichten von Dacheux. – Von einer selbstpublicirten Schrift spricht G. („Arbore humana“ 1521 fol. 173a): „Was man aber ein fragen sol an dem totbet, ermanen und betten, als Gerson leret, das hab ich zuo tütsch gemacht und lassen trucken, es kost ein pfenning, das kauff.“ Er meint den kurzen Tractat (I): „Wie man sich halten sol by eim sterbenden menschen“ (o. O. u. J.; dann 1482). Zu Grunde liegt Gerson’s [513] opus tripartitum, das G. später vollständig übersetzt hat (IV). Im „Introductorium in spec. fat. II“ stellt er, wie es scheint, dies Büchlein zusammen mit (II) einem Beichtbüchlein, dessen Neudruck Dacheux in Aussicht gestellt hat. Vermuthlich ist es ein anderer Theil des „Opus tripartitum“; eine Bearbeitung davon scheint das folgende Reimwerk: „Dis büchlin wiset wie sich ein yeglicher cristenmensch schicken soll zuo einer gantzen volkomnen vnd gemeiner beycht. vnd ist gebredig vnd corrigieret worden durch doctor Keiserßberg zuo Straßburg“ (Basel, Nicolaus Lamparter, o. J.). Dann hat G. gewiß den Druck besorgt von der lateinischen Synodalrede des J. 1482 (III) „Oratio habita in Sinodo“ (o. J. Straßburg, Schürer; wiederholt u. A. in XXX; übersetzt von Wimpheling, s. u. XXXI). Als ein (IV) Werk, das er selbst veröffentlicht hat, ist die Sammlung von sieben Tractaten zu bezeichnen, welche sich näher oder freier, letzteres namentlich in den Einleitungen, an Schriften Gerson’s anschließen: „Das irrig schaf“, „Der hellisch lew“, „Die kristenlich künigin“, „Der dreieckecht spiegel“, „Der eschengrüdel“, „Das klappermaul“, „Der trostspiegel“ (o. O. u. J. bei Schürer, also zu Straßburg gedruckt; dann Straßburg, Grüninger 1514). Der dreieckecht spiegel (auch als „spiegel der seelen“ bezeichnet) ist das Opus tripartitum Gerson’s, woraus (I) und wol auch (II) als Einzelschriften Geiler’s schon früher geflossen waren; in der Gesammtübertragung werden die einzelnen Theile bezeichnet als „Von den gebotten, von der beicht, vnd von der kunst des wol sterbens“. So war auch bereits früher einzeln, aber nicht von G. selbst in den Druck gegeben, erschienen (V) „Der Trostspiegel“, o. O. u. J.; Basel, Olpe o. J.; Straßburg 1503, 1511, 1519; Augsburg 1505, 1507, 1508, 1513; auch in später Zeit ward diese Schrift öfters wiederholt. Gleichfalls von G. abgefaßt, aber nicht zum Drucke besorgt, sind (VI) „Ein heylsame lere und predig“ o. O. u. J.; o. O. 1489, 1490; und unter dem Titel „Der bawm der selen heil und der seligkeit“, Frankfurt a. O., Martin Tretter 1502, nachgedruckt; (VII) „J. G. v. K., Ein sendtbrieff gethon an die würdigen Frauwen zu den Reuweren zu Freiburg im Breisgau“, Straßburg 1499. Sicher durch andere, aber mit Geiler’s Zustimmung, veröffentlicht sind: (VIII) „Epistola elegantissima J. K. de modo predicandi dominicam passionem et de nuditate crucifixi“, in Wimpheling’s Schrift De integritate 1505 aufgenommen; (IX) „Passionis Christi unum ex quatuor evangelistis textum“, wozu G. die Bibelworte zusammengestellt und Ringmann Philesius die Correctur und die Verdeutschung übernommen hatte (lateinisch o. J.; dann Straßburg, Knobloch 1508 u. ö., deutsch 1506 u. ö.); endlich ebenso wie dies mehr ein Bilderwerk mit biblischem Text: (X) „Der Passion oder dz leyden J. C. noch dem text der fyer Evangelisten wie jn dann der hochgelert J. G. von K. zu Straßburg järlich geprediget hatt“ (s. u. zu XXVIII). Wichtiger sind die Publicationen, mit denen in den letzten Jahren Geiler’s und nach seinem Tode sein Hausgenosse, der Priester am Kloster der Reuerinnen Jacob Otther aus Speier mehrere Predigtsammlungen Geiler’s bekannt machte: sie enthalten die lateinischen Aufzeichnungen des Predigers, zwischen denen einzelne deutsche Ausdrücke erscheinen. So (XI) „Fragmenta passionis sub typo placente mellee“, Straßburg, Schürer 1508. 1510. 1511; (XII) „De oratione dominica“, Straßburg, Schürer 1509. 1510. 1515; (XIII) „Navicula sive speculum fatuorum“ o. O. u. J., 1511, Straßburg, Knobloch 1513; (XIV) „Navicula penitentie“, Straßburg, Schürer 1511. 1512. 1513. 1517. 1519; Augsburg, Otmar 1511; und schon 1512 von Dr. J. v. Eck zu einem Schiff des Heils umgearbeitet; (XV) „Peregrinus“, Straßburg, Schürer 1513. Außerdem gab Otther noch folgende deutsche Sammlungen heraus: nach den Aufzeichnungen der Reuerinnen in Straßburg, deren Text G. [514] noch selbst durchgesehen hatte (XVI) „Der seelen paradiß“, Straßburg, Schürer 1510; und „nach Meinung und Unterweisung eigener Handschrift“ des Verfassers (XVII) „Christenlich bilgerschafft“, Basel, Adam Petri von Langendorff 1512, wobei Otther frühere Drucke unvollkommen und ungerecht und ohne Zuthun Geiler’s ihm zugeschrieben nennt. Damit ist offenbar gemeint (XVIII) „Der Pilger“, 1494 zu Augsburg erschienen; wiederholt in (XIX) „Predigen teutsch und vil guetter leeren“, Augsburg, H. Otmar 1508 (1510), welche allerdings nach dem Schlußwort ohne Geiler’s Wissen und ohne sein Zuthun gedruckt sind. Eben da erschien (XX) „Das buch Granatapfel … mitsampt … außgangs der kinder Israhel … der gaistlichen spinnerin … von dem hasen im pfeffer … von siben schwertern und schayden“, 1510, wiederholt Straßburg 1511. 1516; ferner (XXI) „Das schiff der Penitentz“, übersetzt aus XIV, 1514; nachgedruckt in Straßburg, bei Hüpfuff 1515. Wie in Augsburg, so hatte man auch in Straßburg schon bei Geiler’s Lebzeiten seine Predigten ohne seine Erlaubniß veröffentlicht. Zuerst befaßte sich besonders damit der mit der Grüningerschen Druckerei in Verbindung stehende Arzt und Litterat Johann Adelphus Müling. Er ließ in einer „Margarita facetiarum“ 1509 auch eine Sammlung von witzigen Bemerkungen Geiler’s unter dem Titel „Scomata“ drucken, wodurch er G. in nicht geringe Entrüstung versetzte. Er ließ sich aber nicht abschrecken. Er übersetzte XI unter dem Titel (XXII) „Doctor Keiserspergs Passion … in stückesweiß eins süßen Lebkuchen“, Straßburg, Grüninger 1513 und 1514; und XII als (XXIII) „D. K. Paternoster“, Straßburg, Hüpfuf 1515. Dagegen hat Dacheux mit Unrecht auf G. zurückgeführt das von J. Adelphus veröffentlichte Bilderwerk „Das ist der Passion in Form eins gerichtshandels darin missive Kauffbrieff Urtelbrieff und anders gestelt sein kurtzweilig und nütz zuo lesen“ o. O. u. J., dann Straßburg 1514, München 1516 und hier allerdings mit Geiler’s Namen gedruckt. Allein abgesehen von der läppischen, gar nicht für die Predigt geeigneten Einkleidung der Passionsgeschichte in juristische Formen, welche G. nicht zugetraut werden darf, ist sein Name vom Münchener Herausgeber nur durch Mißverständniß der Zueignung gebraucht worden, in welcher Adelphus sagt: „Wer hunger hat, der mag es wol nützlich lesen, dis und ander vßlegung des heiligen passions, deren wir dan auch ein ietzo vß latinischer zung in teutsch sprach transferiert, so der durchlüchtig herr Johann Geiler von Kaisersperg doctor und predicant der loblichen stat Straßburg seinen kinden da selbst hat geprediget vnd vßgelegt, welche ietzund in truck auch nüwlich ist vßgangen.“ Hier spielt Adelphus deutlich auf XXII an. Nach Adelphus war es insbesondere der Barfüßer Joh. Pauli, der sich mit der Reproduction Geiler’scher Predigten abgab. So gab er heraus (XXIV) „Das Evangelibuch, … aus Geiler’s Munde von Wort zu Wort geschrieben“, Straßburg, Grüninger 1515, wiederholt als „Evangelia mit vßlegung“ 1517, – als „Evangelia das Plenarium“ 1522, in den Schlußworten auch die Postill genannt. Ferner (XXV) „Die Emeis, zusammen mit Her der küng ich diente gern“, Straßburg, Grüninger 1516, wiederholt 1517: so wie es Pauli „von jeglicher Predigt behalten in seinem Haupt, danach abgeschrieben“; dann (XXVI) „Die Brösamlin doct. Keiserspergs vffgelesen von frater Johann Paulin … und sagt von den funfftzehen Hymelschen staffeln die Maria vffgestiegen ist, und gancz von der vier Leuwen geschrei, auch von dem wannenkromer“, Straßburg, Grüninger 1517; endlich übersetzte er XIII unter dem Titel (XXVII) „Des hochwirdigen doctor Keiserspergs narrenschiff“, Straßburg, Grüninger 1520. Ein Dritter, der in Straßburg Predigten Geiler’s „nach seinem Mund nachgeschrieben“ herausgab, war Heinrich Weßmer, der (XXVIII) „Doctor Keiserßbergs Postill: uber die fyer Euangelia durchs jor, sampt dem Quadragesimal, vnd von ettlichen [515] Heyligen, newlich vßgangen“, Straßburg bei Schott 1522, erscheinen ließ, mit Bildern die sich zum Theil auch in X vorfinden. Gegen das Verfahren von Adelphus und Pauli sprach sich nun nachdrücklich aus der Erbe und Amtsnachfolger Geiler’s, sein Neffe Peter Wickram. In Besitz der Geilerschen Handschriften gelangt, suchte er diese gegen seine Concurrenten zu verwerthen, blieb aber nicht wie Otther bei einer einfachen Wiedergabe der handschriftlichen Notizen stehen. So erschienen mit einer Vorrede von Jacob Biethen (XXIX) „Sermones prestantissimi doctoris J. G. K. fructuosissimi de tempore et de sanctis accomodandi“, dabei auch „De arbore humana, de XII excellentiis arboris crucifixi, de XII fructibus spiritus sancti, de XXIII conditionibus mortis, de morte virtuali sive gratie“, endlich ein Tractat „De dispositione ad mortem per modum alphabeti“, Straßburg, Grüninger 1514. 1515. 1519; ferner (XXX) „Sermones et varii tractatus Keiserspergii“, Straßburg, Grüninger 1518. 1521, worin namentlich lateinische Fassungen der in der Sammlung „Predigen teutsch“ (XIX) schon publicirten zu finden sind. Hier ist auch die Synodalrede (III) aufgenommen, welche inzwischen Wimpheling 1513 unter dem Titel (XXXI) „Ein heilsam trostliche predig doctor J. G. v. K.“ übersetzt hatte. Schließlich sind noch mehrere Straßburger Einzelausgaben in deutscher Sprache zu verzeichnen, deren Herausgeber unbekannt sind: (XXXII) „Predig der himelfart marie, … von seinem Mund abgeschrieben“, Straßburg, Grüninger 1512; (XXXIII) „Von den Sünden des munds, dabei Alphabet in XXIII predigen“, am Schluß auch „XXIII predigen von dem baum des ewigen lebens“ genannt, Straßburg, Grüninger 1518; (XXXIV) „Von den dry Marien wie sie unsern hern J. C. wolten salben“, „von einer ehrsamen Jungfrau angeschrieben“, Straßburg, Grüninger 1520; (XXXV) „Das buoch Arbore humana“ eine Uebersetzung aus XXIX, Straßburg, Grüninger 1521.

Will man nun auf Grund eines so verschiedenartigen Materials sich ein Bild von Geiler’s Denkart und Redeweise machen, so wird man zunächst die wenigen von ihm selbst herausgegebenen oder doch ausgearbeiteten Predigten und Abhandlungen durchgehen müssen. Dabei ist freilich in Betracht zu ziehen, daß G. für den Leser sich offenbar anders darstellen wollte als für den Hörer. Ersterer sollte nur das empfangen, was vor jeder Kritik bestehen konnte, während der Prediger auf der Kanzel sich freier gehen ließ. Eben deshalb sind auch die lateinischen Predigten, die Otther und Peter Wickram veröffentlichten, nicht das volle Spiegelbild seiner Reden, so authentisch sie an sich auch sein mögen. Am genauesten dürfte Geiler’s gesprochenes Wort in den von Zuhörern und Zuhörerinnen nachgeschriebenen Predigten vorliegen, namentlich in den Augsburger Sammlungen „Predigen teutsch“ und „Granatapfel“. Dagegen haben die geringste Gewähr die erst später aus dem Latein ins Deutsche zurückübersetzten oder nachträglich aus dem Gedächtniß hergestellten Predigten, welche Adelphus und Pauli veröffentlicht haben. Freilich sind gerade Pauli’s Publicationen besonders unterhaltend, reich an Zügen aus Volksleben und Volksglauben, an Wendungen aus der Volkssprache. Aber sie enthalten auch Unschicklichkeiten, die man doch vergebens in den echteren Schriften suchen würde. Geiler’s Art freimüthig, zuweilen derb die sittlichen Gebrechen aller Stände zu schildern und zu rügen, ist doch noch wesentlich verschieden von der Pauli’s sich mit Behagen daran zu weiden. Hier streift Pauli die alte Art der Mönchspredigten an, der sich gerade G. auf das entschiedenste und mit dem größtem Erfolge widersetzte. Geiler’s Predigt war auf das sorgfältigste vorbereitet: er sagte daß frisch aus dem Ei geschlüpfte Hühnchen nicht schmackhaft wären. Ueberboten sich die früheren Prediger mit der Länge ihrer Reden, die bis zu 10 Stunden dauerten, – nach Geiler’s Ausdruck, wie ein Kukuck den andern überschreien [516] will, – so schloß er pünktlich mit der Stunde; ja er wußte dies Abbrechen kunstvoll zu verwerthen. Sich selbst und den Hörern machte er Auffassen und Behalten leichter durch den strengen Schematismus, der besonders die Zahl sieben bevorzugte. Er dreht und wendet die Gegenstände, die er behandelt, hin und her, gewinnt ihnen aber immer neue Seiten, überraschende Vergleiche ab. Gern knüpft er dabei an Dinge des gewöhnlichen Lebens an und findet auch im Bibelwort meist irgend einen Punkt, der ihm erlaubt an Alltägliches, Allbekanntes zu erinnern. So nimmt er z. B. aus den Plagen Egyptens (Exod. 9) die Blasen vor, die am Munde der Egypter entstanden, als Moses Sand ausstreute: er erinnert an die ähnlichen eben in Straßburg ausgebrochenen Seuchen, und vergleicht mit ihnen fünfundzwanzig Sünden, die man mit Reden, oder auch – dies ist die letzte – mit Schweigen begehen könne. So geht er auch sonst von gleichzeitigen Ereignissen aus. Das Jubeljahr 1500 wird ihm zum Anlaß eine Pilgerfahrt zu schildern und geistlich zu deuten, von dem Sack des Glaubens, dem Stab der Hoffnung, von dem Mantel der Liebe zu reden, Auch scherzhafte Anhaltspunkte verschmäht er nicht. Als zur Messezeit in Straßburg ein lebendiger Löwe gezeigt wird, predigt G. vom höllischen und einigen andern allegorischen Löwen. Die Passion zu erzählen, kam ihm so oft wieder: da versuchte er dem Gegenstand eine neue Würze zu geben, indem er sie einem Lebkuchen verglich, den er zur Fastenzeit seinen Zuhörern austheile. Noch seltsamer erscheint es, wenn er den Nonnen die Unterweisung zum klösterlichen Leben als einen Hasenpfeffer darstellt, ihnen das scheue, verachtete Thier als Vorbild schildert: seine langen Ohren sollen sie mahnen Gottes Wort fleißig zu hören, sein beständiges Lippenbewegen ihnen das Gebet anschaulich machen. Man würde aber dem Prediger Unrecht thun, wenn man diesen Ton für den ihm am meisten eignenden hielte. Wie er sich hier zu denen herabläßt, die in Demuth und Entsagung leben sollen, so stellt er sich kühn und stolz dem Bischof, dem Stadtregiment entgegen. Großartig läßt er das Todtengericht über Bischof Robert aus seinem eigenen in der Grabesnacht redenden Munde ertönen. Und der Tod ist ihm eine vertraute Vorstellung, die er seinen weichlichen Zuhörern zum Trotze immer wieder bringt: seine wenigen eigenen Publicationen behandeln hauptsächlich dies Thema, bald zur Buße mahnend, bald tröstend. Aber er geht nicht auf in der Flucht vor der Welt. Berühmt ist seine Schilderung der guten Ehefrau in dem Buche Arbore humana; in den Sünden des Mundes erinnert er an die Sorgfalt, mit der die Hausfrau dem Manne verheimlicht, daß sie ihm das Leibgericht koche, bis sie es ihm auf den Tisch setzt. Für die Thorheiten der Mode hat er ein offenes Auge: wie sie alle natürlichen Unterschiede verwischt, den Frauen die Barette der Männer, den Männern Frauenhauben aufsetzt, wie sie in Straßburg Wälsche und Böhmen, Ungarn und Franzosen zugleich zu sehen gestattet, wie sie, was vor ein paar Jahren noch als fein gegolten hat, jetzt in das Gegentheil umkehrt. Gern legte er daher auch solche Texte zu Grunde, die ihm Blicke auf das gewöhnliche Leben und Treiben nahe brachten. 1494 war Brant’s Narrenschiff erschienen: 1498 hielt G. seine Predigten darüber, die wol unter seinen Werken die größte Berühmtheit erlangt haben. Es war aber, wie er Introd. III. bemerkte, nicht das erste Mal daß er an deutsche Dichtung anknüpfte. Er hatte schon früher das Gedicht eines Bauern so behandelt: vermuthlich ist dasselbe gemeint wie später (Turba XIII, Nola XXVIII), wo von einem Spottlied eines Barbiers auf die Liebe die Rede ist, nicht aber, wie Zarncke, Narrenschiff S. 262, vermuthete, der Ackermann aus Böhmen. Denn dies Werk ist ja kein Gedicht, und die bei G. daneben vorkommende Erinnerung an die Predigten über den Tod bezieht sich vielmehr auf die Sammlung Arbore humana, deren Eingang gerade das Abschreckende dieses Thema’s behandelt. Einem Kinderspiel ist der [517] Predigttext entlehnt in XXV. Für die meisten Predigten nahm übrigens G. die Werke der kirchlich angesehensten Prediger zum Muster und zur Quelle. Insbesondere legte er die Werke Gerson’s zu Grunde, wie namentlich für die sieben Tractate (IV) bemerkt worden ist. Aber auch andere Theologen werden benutzt: so im Seelenparadies Albertus Magnus und Humbertus, in der Emeis Doctor Thomas Brabantinus, in anderen Nicolaus von Lira u. s. f. Eine gründliche Würdigung Geiler’s würde natürlich die Bestimmung dieser entlehnten Gedanken und Bilder voraussetzen. Selbst da, wo man am meisten Originalität vermuthen möchte, in der Schilderung und Bekämpfung des Aberglaubens an Hexen, Werwölfe u. a., welche die Emeis enthält, lehnt er sich an Vorgänger an: s. Geffcken, Bildercatechismus S. 53 ff. Original bleibt seine Ausdrucksweise, seine Beherrschung der deutschen Sprache, die sich in einer Fülle von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten, in der Lust an Wortspielen und Worterklärungen kund gibt. Manchmal geht er freilich zu weit, wenn er z. B. die Pflicht des Bischofs, seine Diöcesanen nicht zu verlassen schon im Namen finden will: Bischoff sei „bi schof“, bei den Schafen (Scomata), oder wenn er künig von künnen ableitet (Emeis). Auch die Deutung der einzelnen Buchstaben eines Wortes wird uns nicht besonders erbauen; ebenso die mehrfach und schon in VI angewandte Aufzählung der Tugenden nach dem Alphabet. Hier zeigt sich ein Hang, den später Abraham a S. Clara noch weiter ausbildete: zwischen ihn und Bruder Berthold hat Wackernagel mit Recht G. gestellt. Die tiefste Kluft aber trennt G. von der mystischen Richtung, die im vierzehnten Jahrhundert in Straßburg selbst durch Eckhart und Tauler vertreten war. Ihrer Gefühlsüberschwänglichkeit setzt er seinen Sinn für das Wirkliche entgegen, sein Mitgefühl für das Volk, seine Forderung der strengsten Sittlichkeit im täglichen Leben. Weil er von diesem Standpunkt aus ganz besonders die Verderbtheit der Kirche schilt, hat man ihn vielfach und schon früh für einen Vorläufer der Reformatoren erklärt. In der That trifft er mit diesen in vieler Beziehung überein. Er ist mit dem Ablaßhandel nicht einverstanden; aufgefordert Beisteuern zu einem Türkenzug zu sammeln, bemerkt er, daß dieser Ruf schon so mißachtet werde, wie der des Hirten, der lügnerisch behauptet hatte, der Wolf sei da. Daß Wunder oft betrüglich erfunden werden, nur um durch Wallfahrten einer Landschaft oder vielmehr ihren geistlichen und weltlichen Herren Geld zuzuwenden, sagt er ungescheut. Die vielen Feste sind ihm eine Beschwerung des gemeinen Mannes. Er tadelt die frühe Bestimmung Unmündiger zum Kloster, die den Eltern nur die Flüche ihrer Kinder zuziehe. Das gewaltsame Verfahren des Ketzergerichtes über Johann von Wesel mißbilligte er durchaus. Eine Reformation sagte er als unausbleiblich vorher: es muß brechen, ruft er einmal vor Kaiser Maximilian aus. Aber diese Mißstimmung ist freilich verbunden mit einem unerschütterlichen Glauben an die kirchliche Lehre. Waldenser und Brüder vom freien Geiste bekämpft auch er. Und so gehört er, an der Schwelle der neuen Zeit, doch dem Mittelalter an: wie durch die Art seiner Wirksamkeit, die mündlich, nicht schriftstellerisch war, so auch durch seine gesammte Geistesrichtung. Sein Vorbild ist Gerson, der Pariser Kanzler, der Träger der Ideen der Concilien zu Constanz und Basel: nur daß diese Ideen bei G. durchaus volksthümlich, durchaus deutsch ausgeprägt sind.

(J. A. de Riegger), Amoenitates literariae Friburgenses fasc. I. II. Ulmae 1775. – Der Teutsche Merkur, 1783, Band IV, S. 121–144. 193–212. – L. F. Vierling (vielmehr Jer. Jac. Oberlin), De Johannis Geileri Caesaremontani scriptis germanicis, Argentorati 1786. 4°. – F. W. Ph. von Ammon, Geiler von Kaisersberg’s Leben, Lehren und Predigen, Erlangen 1826; recens. von J. Grimm, Gött. Gel. Anz. 1827 (Kl. Schr. 5, 13–18). – Aug. Stoeber, Essai historique et littéraire sur la vie et les [518] sermons de J. G. de K., Straßburg 1834. 4°. – Tim. Wilh. Röhrich, Testament Joh. Geiler’s v. K. in Illgen und Niedner, Zeitschrift für historische Theologie 1848, S. 572–586. – Joh. Geffcken, Der Bildercatechismus des funfzehnten Jahrhunderts I, Leipzig 1855, S. 10–12 u. ö. Anhang 29–47. – Aug. Stöber, Zur Geschichte des Volksaberglaubens im Anfange des XVI. Jahrhunderts. Aus Dr. Joh. Geiler’s v. K. Emeis, Basel 1856. – Ders., Sur le lieu de naissance de G. dit de K. in der Revue d’Alsace, 1866, p. 59 sqq. – O. Lorenz und W. Scherer, Geschichte des Elsasses (Berlin 1871) 1, 149–153. – Birlinger, Alemannia 3, 1 fg. 129 fg. (1875). – W. Wackernagel, Altdeutsche Predigten (1876) S. 441 bis 444. – L’abbé L. Dacheux, Un reformateur catholique à la fin du XVe siècle, Jean Geiler de Kaysersberg, Paris et Strasbourg 1876. – (Ders.), Die ältesten Schriften Geiler’s von Kaisersberg I, Freiburg i. B. 1877.