ADB:Mentelin, Johannes
[371] angesehenen Schlettstadter Familie und war in dieser Stadt als der Sohn des Nicolaus M., wie einige wollen um 1410, geboren. In Straßburg erscheint er vom Jahr 1447 ab und zwar als Goldschreiber (Illuminator), daher er denn auch, als er in genanntem Jahr das Bürgerrecht kaufte, sich in die Zunft der Maler und Goldschmiede „zur Stelz“ einschreiben ließ. Neben diesem Beruf scheint er noch das Amt eines Notars bekleidet zu haben; wenigstens kommt ein Joh. M. notarius in gleichzeitigen Urkunden und Listen vor.[1] Was nun sein Verhältniß zur Buchdruckerkunst anbelangt, so ist er bis in das vorige, ja bis in das laufende Jahrhundert herab von vielen geradezu für den Erfinder derselben ausgegeben worden. Gehen wir den Spuren dieser Sage nach, so führen die letzten Fäden in das Haus eines Enkels unseres Meisters, des Buchdruckers Joh. Schott in Straßburg zurück. Dieser Mann vermochte eine Schrift seines Großvaters aufzuweisen, welche Abbildungen von Werkzeugen, wie sie Buchdrucker brauchten, und außerdem eine Anleitung zur Bereitung der Druckerschwärze enthielt; daneben besaß er noch eine Vertragsurkunde, in welcher Joh. M. und Heinrich Eckstein (Eggestein Bd. V S. 674) sich verpflichteten, die neue Kunst unter sich geheim zu halten. Ob nun Schott diese Schriftstücke in majorem gloriam seines Ahnen gefälscht, ob er sie nur mißdeutet hat – letztere Annahme ist durchaus nicht ausgeschlossen – jedenfalls schrieb er auf Grund derselben seinem Großvater die Ehre der Erfindung der Buchdruckerkunst zu: so zum ersten Mal im Jahr 1520, indem er Mentelin’s Wappen in seiner Ausgabe der Geographie des Ptolemäus abdruckte und dabei in der Umschrift des Wappens M. als primus typographiae inventor bezeichnete; dann wieder in dem Historien-Handbüchlein von 1536 mit der Ausschmückung, daß die Kunst, welche M. geheim gehalten habe, „durch Untreue“ nach Mainz gekommen und dort zuerst „ausgebrochen“ sei. Diese Behauptung Schott’s, für welche auch befreundete Gelehrte eintraten, als erster 1521 Hieronymus Gebwiller, der sich dabei ausdrücklich auf die obenerwähnten Schriftstücke berief, wurde weiterhin namentlich von Elsässern (Straßburgern, Schlettstädtern) begierig aufgegriffen und eifrig weiter colportirt, von andern sodann nachgeschrieben, bis sie mit der wachsenden Anerkennung von Gutenbergs Verdienst mehr und mehr in den Hintergrund trat. Nach den eindringenden Forschungen v. d. Linde’s über die ersten Anfänge der Buchdruckerkunst („Gutenberg“, Stuttg. 1878; vgl. auch den Art. Gutenberg Bd. X. S. 218 ff.) erscheint es überflüssig, hier den sagenhaften Charakter der fraglichen Angaben näher nachzuweisen. Ist nun aber M. auch nicht der Erfinder des Buchdrucks, so steht er doch jedenfalls unter den Prototypographen in vorderster Reihe. Es darf jetzt als ausgemacht angenommen werden, daß er schon im Jahre 1460 eine lateinische Bibel im Druck fertig gestellt hat, da von einem Exemplar derselben, welches die Universitätsbibliothek in Freiburg i. Br. besitzt, der erste Band die Jahreszahl 1460, der zweite 1461 von der Hand des Rubricators[WS 1] trägt. Er hat also vermuthlich schon vor 1460 zu drucken angefangen, jedenfalls aber zu einer Zeit, in welcher es außer den Pressen von Gutenberg und von Fust-Schöffer in Mainz, so viel bis jetzt constatirt ist, noch nirgends eine Officin[WS 2] gegeben hat. Von einem dieser ersten Typographen muß er natürlich die Kunst gelernt haben; von wem und wann, darüber gibt es nur Vermuthungen. Sicher dürfte nur so viel sein, daß seine Eigenschaft als Illuminator ihn in Beziehung zur Typographie gebracht hat. Die Thätigkeit, welche M. auf dem neubetretenen Felde entwickelte und zwar meist allein, nur vorübergehend – vor 1466 – in Verbindung mit Heinr. Eggestein, später mit Adolf Rusch (Rausch), war eine höchst bedeutende. Nicht bloß, daß er eine ganze Reihe von Büchern druckte, die alle wirklich meisterhaft ausgeführt sind und unter denen sich riesenhafte Folianten befinden, wie des Joh. Balbus [372] a Janua Catholicon und des Vincentius Bellovacensis Specula: er betrieb auch deren Verkauf selbst, bezog mit ihnen die Messen (wohl zunächst die in Frankfurt a. M.) und verbreitete, um seine Waare leichter an den Mann zu bringen, gedruckte Zettel, auf welchen die betreffenden Werke zum Theil mit eindringlicher Anpreisung ihres Inhalts verzeichnet waren und die Käufer eingeladen wurden, in seine Herberge zu kommen. Solcher Anzeigen haben sich drei bis auf unsere Tage, je in einem Exemplar, erhalten; obwohl keine derselben Mentelin’s Namen ausdrücklich nennt, so ist doch ihr Ursprung aus seiner Presse durch die Typen und durch die Zeit, der sie angehören, genügend sicher gestellt. Das eine Blatt befindet sich in der Nationalbibliothek zu Paris, das zweite in der k. Hof- und Staatsbibliothek in München (das letztere ist keineswegs, wie da und dort zu lesen ist, verloren); das dritte ist in Weigel und Zestermann, die Anfänge der Druckerkunst (1879) erstmals publicirt worden. Alle drei findet man abgedruckt bei C. Schmidt am unten anzuführenden Orte S. 147–149, die beiden erstgenannten hat neuestens H. Klemm in genauem Facsimiledruck vervielfältigen lassen. Diese drei Blätter, an sich hochinteressant, sind darum noch besonders von Werth, weil sie zur Bestimmung der Mentelin’schen Drucke beitragen. Fragen wir nämlich näher nach den Erzeugnissen von Mentelin’s Presse, so ist es zu beklagen, daß unser Meister es in der Regel unterlassen hat, denselben seinen Namen, ja auch nur Ort und Jahr des Drucks in einer Schlußschrift beizufügen. Nur zwei Drucke sind bis jetzt bekannt, bei welchen er hievon eine Ausnahme gemacht hat, des Vincentius Speculum historiale von 1473 und dessen Speculum morale von 1476 – in beiden sind Drucker, Druckort und Druckjahr genannt – und in einem dritten, in des Augustinus Tractat de arte predicandi, ist Mentelins Name wenigstens in der Vorrede erwähnt. Alle andern entbehren jeder näheren Angabe über ihre Entstehung. Da kommen nun eben jene Verlagsverzeichnisse sehr gelegen; sie geben für dreizehn Druckwerke, deren Typen auf M. hinweisen, die Bestätigung, daß sie ihm wirklich zugehören. Auch die Beischrift des Datums durch den Illuminator, die gerade bei Mentelin’s Drucken besonders häufig ist, leistet gute Dienste; sie beweist bei einer Anzahl von Drucken, daß sie nicht nur in seiner Officin, sondern auch noch bei seinen Lebzeiten gedruckt worden sind. Dennoch ist die Zahl seiner Drucke noch lange nicht endgiltig festgestellt und wird es nach Lage der Sache nicht so bald werden. Es sei nur angeführt, daß Hain (bekanntlich unvollendet) 27, Panzer (mit Einschluß der deutschen Bibel) 29, Madden (Lettres d’un bibliographe. 2. sér., Versailles 1873, p. 40 sq.) nach C. Schmidt a. u. a. O. S. 93 Anm.: 21 und neuestens Klemm a. u. a. O. S. 91 ff. allein aus seiner Sammlung 27 Drucke dem Straßburger Prototypographen zuschreiben. Madden, der als erstes Druckjahr Mentelin’s irriger Weise 1465 annimmt, bleibt mit seiner Angabe sicher hinter der wirklichen Gesammtzahl zurück, wiewohl schon die von ihm anerkannten 21 Drucke 41 Bände, und darunter 37 in Großfolio, ausmachen. Hervorzuheben sind aus Mentelin’s unzweifelhaften Drucken die bereits erwähnte lateinische Bibel von 1460, die 1463 noch einmal von ihm aufgelegt wurde; sodann eine deutsche Bibel (mit dem handschriftlichen Datum 1466), die man unter den vorlutherischen deutschen Bibeln als die zweite zählt (diese Mentelin’schen Bibeln sollen sich nach Faulmann a. u. a. O. S. 200 durch prachtvolle Miniaturen auszeichnen); ferner eine Anzahl von Schriften des Augustinus, darunter die Confessionen und De civitate Dei, des Chrysostomus Homilien über das Ev. Matthäi (lat.), des Hieronymus Epistolae et tractatus, alles Editiones principes. Von den Drucken nichttheologischen Inhalts seien außer den Specula des Vincentius Bellovacensis genannt: des Aristoteles Ethica, Politica et Oeconomica (lat.), Isidors Etymologiae, der Canon des Avicenna (lat.) – auch diese alle Editiones principes, [373] endlich eine Ausgabe des Terentius, des Valerius Maximus und des Josephus. Wie groß nun aber die Zahl der Drucke Mentelin’s gewesen sein mag: sicher ist, daß er als Typograph bei allen Sachverständigen sich einen hochgeachteten Namen erworben und auch finanziell sehr gute Geschäfte gemacht hat. Sein Reichthum, von dem so manche Stiftungen Zeugniß ablegen (u. A. auch ein Gedenkstein, den er 1473 für seine Familie im Wilhelmskloster in Straßburg errichten ließ und der erst 1870 mit der dortigen Stadtbibliothek zu Grunde ging, eine Abbildung davon s. z. B. bei Oberlin, Museum Schoepflini, Argent. 1773, Tab. III und in Lempertz’ Bilderheften, Cölln 1853, Taf. 2), dieser unbestreitbare Reichthum Mentelin’s ist wesentlich eine Frucht seiner typographischen Thätigkeit gewesen: multa volumina castigate ac polite Argentinae imprimendo factus est brevi opulentissimus, sagt Wimpfeling von ihm in der Epitome rerum Germ., Argent. 1505, fol. 39a. So konnte unser Meister denn auch wieder um die Erneuerung des Wappens, das seine Familie einst besessen haben muß, nachsuchen und es wurde ihm dasselbe von Kaiser Friedrich III. auch gewährt, aber nicht speciell in Anerkennung seiner Leistungen als Typograph, geschweige denn, daß damit, wie man früher glaubte, den Buchdruckern überhaupt ein besonderes Wappen verliehen worden wäre. (Eine Abbildung dieses Wappens s. z. B. Faulmann a. u. a. O. S. 413.) Noch sei in Betreff Mentelin’s persönlicher Verhältnisse bemerkt, daß er zweimal verehelicht war, das erste Mal mit einer Frau aus bürgerlichem Stande, Magdalena, das zweite Mal mit Elisabeth, der Tochter des Junkers Joh. v. Matzenheim und der Anna v. Mülnheim. Aus der ersten Ehe besaß er zwei Töchter, deren jede einen Straßburger Buchdrucker heirathete, die eine Adolf Rusch, die andere Martin Schott. M. starb am 12. December 1478 und wurde auf dem Kirchhof der S. Michaelskapelle an der nordöstlichen Seite des Münsters begraben. Seine Presse, die in dem Hause „zum Thiergarten“ in der Nähe des Frohnhofs stand, während er selbst im Hause „zum Dorn“ in der Dornengasse gewohnt hatte, ging in die Hände seines Schwiegersohnes Rusch, späterhin (nach Wimpfeling a. a. O.), in die des Martin Flach, richtiger aber wohl in die des Joh. Prüß über.
Mentelin: Johannes M., oder wie er auch doch seltener genannt wird, Mentel, der erste Buchdrucker und Buchhändler in Straßburg, und einer der hervorragendsten Typographen des 15. Jahrhunderts überhaupt, entstammte einer- Vgl. außer den bekannten Bibliographien von Panzer und Hain: A. v. d. Linde, Gutenberg (bes. S. 316–330); Faulmann, Illustr. Geschichte der Buchdruckerkunst; H. Klemm, Beschreibender Katalog seines bibliogr. Museums und namentlich C. Schmidt, Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken und der ersten Buchdrucker z. Straßburg S. 88–96, 147–152.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 371. Z. 5–7 v. o.: In der That war Mentelin zugleich Notar. Denn in einem seiner Drucke, und zwar in dem in Schlettstadt befindlichen Exemplar der Secunda secundae des Thomas von Aquin, findet sich der handschriftliche Eintrag: Anno Domini 1463 emi praesentem librum a Johanne Mentil notario et scriba, ciue Argentinensi, qui eundem cum aliis pluribus Summis impressit etc. Vgl. Centralblatt f. Bibliothekswesen, 8. Jahrg. 1891, S. 78 fg. [Bd. 45, S. 669]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ siehe Rubrizierung
- ↑ eine Werkstatt (bes. Buchdruckerei oder Apotheke) mit angeschlossenem Verkaufsraum, siehe Offizin