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Artikel „Götzinger, Max Wilhelm“ von Ernst Götzinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 516–517, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%B6tzinger,_Maximilian&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 13:04 Uhr UTC)
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Götzinger: Max Wilhelm G., stammt aus einer Familie, die aus dem Salzburgischen nach Sachsen auswanderte und sich in mehreren Generationen durch schriftstellerisch thätige, evangelische Geistliche auszeichnete. Sein Vater, Leberecht Wilhelm G., hat durch das Buch: „Schandau und seine Umgebungen“, 1804, wesentlich zur Aufnahme der sächsischen Schweiz beigetragen. Er war Pastor zu Neustadt bei Stolpen. Hier ist G. am 4. November 1799 geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Bautzen und als Student der Theologie die Leipziger Hochschule. Schon als Hauslehrer in Buchholz bei Annaberg und als Lehrer am Blochmann’schen Institute zu Dresden widmete er sich mit Eifer dem deutschen Unterrichte. Durch Blochmann empfohlen, kam G. 1824 zu Fellenberg nach Hofwil und von da 1827 an die neuerrichtete Lehrstelle der deutschen Sprache und Litteratur am Gymnasium in Schaffhausen. Hier war er 23 Jahre thätig, gründete sich den eigenen Hausstand und erwarb das Bürgerrecht. Eine Erlahmung des rechten Armes im J. 1849 zwang ihn, sich 1850 in den Ruhestand versetzen zu lassen. Schriftstellerisch blieb er immer noch thätig, dictirend oder mit der linken Hand schreibend; doch zehrte der leidende Zustand die Kräfte allmählich auf. Er starb am 2. August 1856 im Bade Oeynhausen unweit Minden, wo er auch begraben liegt. – G. ist durch die Anregungen, welche von Pestalozzi und den deutschen Schulreformern ausgingen, für die methodische Bearbeitung der deutschen Schulgrammatik gewonnen worden. Wohlgeschult durch das Studium der Kant’schen Philosophie und von Natur ein klarer und nüchterner Denker und Schreiber, zielte schon sein erstes Buch, „Anfangsgründe der deutschen Sprachlehre in Regeln und Aufgaben“, 1824, 12. Aufl. 1873, auf eine sichere, verständige Handhabung der Muttersprache und erwarb sich durch die Schärfe und Bündigkeit des grammatischen Textes, durch die gesunde Tüchtigkeit des Aufgabenstoffes und durch die Sicherheit des Unterrichtsganges schnell große Theilnahme. 1827 erschien sodann, in Hofwil ausgearbeitet, die „Deutsche Sprachlehre für Schulen“, 11. Aufl. 1875. Die Sprachlehre hielt sich streng an den Kreis der neuhochdeutschen Litteratursprache, namentlich wie sie von den Classikern des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde, und sie steht in sofern nicht undeutlich unter dem Einflusse der systematischen Philosophie, als sie mit Strenge und Ausschließlichkeit an einem unverrückbaren System des Sprachorganismus festhält und Uebertretungen ahndet; damit hängen die zahlreichen auf Berichtigung falschen Sprachgebrauches abzielenden Uebungsaufgaben zusammen. Abgesehen jedoch von dieser Einseitigkeit, bemüht sich G. mit Erfolg, das Wesen und die Gestalt der Sprache und ihrer besonderen Formen der Sprache selber zu entnehmen, wofür die reichen Beispielsammlungen Zeugniß ablegen. Recht im Gegensatze zu Becker will die Götzinger’sche Sprachlehre eine Sprach- und keine Denklehre sein, obschon auch G. die Sprache wesentlich als Mittel und Kleid des Gedankenausdruckes betrachtet und deshalb die syntaktischen Functionen der Sprache kaum minder als Becker betont. Man hat darum die Götzinger’sche Richtung die psychologische Richtung der Sprachlehre genannt, in sofern sie bemüht ist, die inneren psychologischen Beziehungen überhaupt der Sprache zum Menschengeiste und insbesondere der deutschen Sprache zum deutschen Volksgeiste nachzuweisen, und dadurch im Stande ist, den Lernenden wie zu einem höheren Nationalbewußtsein, so zu einer freieren Handhabung der Sprache zu erheben. Dem letzteren Zwecke dienten eine Menge wohlberechneter Aufgaben. Besonderen Werth legte G. auf die Lehre von der Periode, wofür er die von Lehmann vorgeschlagenen Periodenbilder systematischer ausbildete. – Ursprünglich [517] durch praktische Unterrichtszwecke auf das Gebiet der deutschen Sprache gebracht, machte sich G. doch früh mit den Erscheinungen und Resultaten der historischen Sprachforschung bekannt, wie er denn auch mit W. Wackernagel, Uhland, Laßberg in persönlichen Verkehr trat; auch war er für das Grimm’sche Wörterbuch thätig. In einem größeren Werke, „Die deutsche Sprache“, 2 Bde., 1836, 39, zugleich Bd. I u. II des auf 4 Bände berechneten „Die deutsche Sprache und ihre Litteratur“, unternahm es G., sein System an der Hand der Grimm’schen Grammatik und mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Mundarten ausführlich für gebildete Freunde der deutschen Sprache überhaupt darzulegen. Das Buch wurde vielerseits sehr günstig beurtheilt, hatte aber keinen Erfolg. – Parallel mit den grammatischen Arbeiten Götzinger’s gehen Arbeiten und Forschungen auf litteraturgeschichtlichem Gebiete. Auch hier sind es anfangs der Unterricht und die Theilnahme an der classischen Litteratur, die zur Forschung anregen. Mit einander erschienen „Die deutschen Dichter“, 2 Bde., 1831 u. 32, und „Der Dichtersaal“, 1832; neueste 5. Auflage der deutschen Dichter, 1877, 7. Auflage des Dichtersaales 1870. Der Dichtersaal, eine Anthologie für höhere Schulen, ist eine nach Dichtern zusammengestellte Sammlung der schönsten epischen und lyrischen Gedichte von Gellert bis Uhland und Rückert; die „Deutschen Dichter“ enthalten denselben Stoff nach derselben Ordnung ästhetisch und kritisch erläutert. Die Kritik anerkannte das letztere Werk von Anfang an als einen durchaus selbständigen, geistvollen und an neuen Resultaten reichen Commentar der bedeutendsten kleineren Dichtungen der classischen Litteratur. Für die Fabeln Gellert’s, Lichtwer’s und Pfeffel’s und für die Balladen Bürger’s, Goethe’s, Schiller’s, Uhland’s und einiger Neuern ist das Werk, besonders was die Aufsuchung und Würdigung der Quellen belangt, bahnbrechend und maßgebend geworden; nicht minder trefflich und anregend sind die ästhetischen Erläuterungen zu den bedeutendsten lyrischen Gedichten Klopstock’s, der Göttinger Dichter, Herder’s und namentlich Schiller’s. Da die Erläuterung der Gedichte wesentlich vom ästhetischen Gesichtspunkte ausging, weshalb auch das ganze Werk sich in epische und lyrische Gedichte gliedert und eine Einleitung beigefügt war, welche von der Kunst überhaupt, von der Dichtkunst und den verschiedenen Dichtungsarten handelte, so trat die historische Beleuchtung etwas in den Hintergrund und mußten sich sowol die einzelnen Dichter als einzelne Gedichte öfters vom ästhetischen System eine Zurechtweisung gefallen lassen. Doch ist das Werk noch unübertroffen und hat namentlich auf den deutschen Unterricht an Gymnasien großen und segensreichen Einfluß ausgeübt. Dagegen gelang es, Götzinger’s „Deutscher Litteraturgeschichte“, welche als 3. Band von „Die deutsche Sprache und ihre Litteratur“ erschien, nicht Boden zu fassen, so sehr dieses Buch namentlich für das 14–16. Jahrhundert auf sorgfältigen Originalforschungen beruhte. Ein zweiter Theil des Werkes, welcher die Litteratur nach der Entwicklung der einzelnen Gattungen darzustellen vorhatte, blieb wegen Mangel an Theilnahme unausgeführt. Später erschienen noch von G. „Der Liedergarten“, Gedichtsammlung für niedere Schulen, 1842, 3. Aufl. 1878; „Deutsches Lesebuch für Gymnasien und Realschulen“, 1852, 2 Bde., und „Stylschule zu Uebungen in der Muttersprache“, 2 Thle., 1854; 2. Aufl. 1861.

Vgl. E. Köhler in der Vogel’schen Monatsschrift „Die höhere Bürgerschule“, 1859.