ADB:Elisabeth (Fürstäbtissin von Herford)
Guhrauer und Göbel irrig sagen 11.) Octbr. 1680. Die hochbegabte Frau, die Schülerin des Cartesius, die philosophische Prinzessin, das Wunder des Nordens zu ihrer Zeit genannt, war die älteste Tochter des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz und der Elisabeth Stuart. Als der Vater zehn Monate nach ihrer Geburt nach Prag zog, blieb die Tochter in Heidelberg zurück unter der Aufsicht ihrer trefflich gebildeten Großmutter, der Kurfürstin Juliane, der geborenen Prinzessin von Oranien, und wurde, als die Pfalz in feindliche Hände fiel, von ihr mitgenommen nach Berlin zu der Großmutter Eidam, dem Kurfürsten Georg Wilhelm. Dort verbrachte sie, während die Eltern in den Niederlanden im Exil lebten, die ersten Jahre; von der Großmutter ist die Grundlage ihres frommen Sinnes, ihres festen Charakters gelegt. In demselben Geiste wurde, als sie in ihrem neunten Jahre nach dem Haag zu den Eltern zurückkehrte, ihre Erziehung fortgesetzt, ihr Sinn früh auf das ewig dauernde im menschlichen Leben hingelenkt, denn die irdische Herrlichkeit schien für immer für das elterliche Haus erstorben zu sein; wenige Tage nach des ersehnten Retters Gustav Adolfs Tode starb Friedrich V. Elisabeth Stuart befand sich oft in den gedrücktesten Verhältnissen, aber sie lehnte die Einladung ihres Bruder, nach London zu kommen, ab, um Deutschland nahe zu bleiben, wo sie den alten Besitz für ihre Kinder wieder zu erhalten hoffte. Von den acht Kindern waren noch fünf am Leben, zwei Söhne und drei Töchter; sie alle erhielten einen gründlichen sprachlichen Unterricht, und zwei der Töchter, E. und die jüngste, Sophie, die spätere Herzogin von Hannover, die Freundin Leibnitzens, zeigten auch frühzeitig für philosophische Fragen Interesse. Kurz nach Wallenstein’s Tode, als die protestantische Sache in Deutschland wieder sehr gefährdet war, warb König Wladislav von Polen um die Hand der 15jährigen E., sowol von ihrer Schönheit und ihrem Verstande bestochen, als in der Hoffnung, durch diese Verbindung mit dem verwandten englischen Hause seine Ansprüche auf Schweden unterstützt zu sehen, er selbst ein freisinniger, toleranter Mann, aber durch die Forderung des polnischen Reichstages genöthigt, der Prinzessin einen Religionswechsel zuzumuthen. Sie erklärte sich so fest in ihrem Glauben, daß sie für immer darin verharren werde. Um so mehr schätzte sie der Kurprinz von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, welcher damals auf Veranstaltung seiner Mutter, der Schwester des Böhmenkönigs, nach den Niederlanden kam, um dort den Grund zu seiner allseitigen geistigen, sittlichen, militärischen, politischen Bildung zu legen, und in ein freundschaftliches Verhältnis zu dem verwandten pfälzischen Fürstengeschlechte trat. Aber es kamen für die Familie schlimme Tage: der länderlose Kurprinz und der Prinz Ruprecht wurden 1638 bei Vlotho hart geschlagen, Ruprecht gerieth in Gefangenschaft, dann brach der Bürgerkrieg in England aus, das Parlament entzog der Schwester des Königs die bisher geleisteten Subsidien. Da wandte sich Elisabeths Sinn von den Dingen der Welt zum Leben in der Wissenschaft. Bald trat sie in Verbindung mit der 11 Jahre älteren Dichterin und Denkerin Anna Maria v. Schürmann, bei der zugleich ein tief innerlicher religiöser Zug hervortrat, der sie dann später ausschließlich beherrscht hat. Zunächst aber erhielt auf die [23] Prinzessin den größten Einfluss Cartesius, der nach mancherlei Kriegsgefahren und Wallfahrten eine Stätte in Holland gefunden hatte und hier zahlreiche Schüler um sich sammelte. Er blieb, bis er der Einladung der Königin Christine nach Schweden folgte, in enger Verbindung mit dem Hofe der Böhmenkönigin, und seine begeisterte Schülerin wurde E. Auf ihr empfängliches Gemüth mußten die neuen Sätze des Philosophen den tiefsten Eindruck machen, die Untersuchung über den Ursprung des Denkens, über die Wahrheit des Geistes, über die angebornen Ideen, der Satz, daß die Idee Gottes von Gott selbst stamme, daß in der Anschauung Gottes schon auf Erden die höchste Seligkeit für den menschlichen Geist liege. Wie Cartesius seine Principia philosophiae der Prinzessin gewidmet hat, so ist er bis an seinen Tod mit ihr in Briefwechsel geblieben und zwar über die wichtigsten Fragen des Denkens, wobei sie sich ihm ebenbürtig zeigte und durch ihre Einwürfe ihn zum weiteren Denken anregte. Aber er nahm auch lebhaften Anteil an ihrem äußeren Geschick, es gelang ihm, sie von den mannichfachen Sorgen und Trübsalen der Gegenwart abzuziehen. Als ein unglückliches Familienereigniß sie veranlaßte, sich auf längere Zeit vom Haag zu entfernen, nahm sie ihren Aufenthalt bei ihren Verwandten theils in Berlin beim Kurfürsten Friedrich Wilhelm, theils bei dessen Mutter, ihrer Muhme, in Crossen, wo sie die liebevollste Aufnahme fand. Damals vermählte sich ihre traute Freundin, die fromme Luise Henriette von Oranien, mit Friedrich Wilhelm. Wie sie überall, wohin sie kam, Cartesius’ Schriften bekannt zu machen suchte, ohne freilich bei dem noch geringen Interesse für Philosophie Boden zu gewinnen, so suchte auch der Philosoph aus tiefster Hochachtung der Prinzessin seine Dienste zu widmen. Und eben sein damaliger Briefwechsel mit Christine von Schweden war ihm Veranlassung, derselben die Sache seiner Freundin ans Herz zu legen. Aber er richtete nichts aus; mag nun die Eifersucht der eitlen Königin dabei mitgewirkt haben, die auf dem litterarischen Gebiete keine Nebenbuhlerin dulden konnte, vollends eine so hoch über ihr stehende, es blieb bei dem Vertrag, den Frankreich aus alter Abneigung gegen das Heidelberger Haus mit Schweden vereinbart hatte, daß im westfälischen Frieden die pfälzischen Familie nur einen Theil ihres alten Besitzthums erhielt und nicht ihre alte Kurstimme, sondern für sie die neue achte Kur geschaffen wurde. Ein harter Schlag für die Familie, und ein nicht weniger harter traf sie gleich darauf in dem unglücklichen Ende des Königs Karl I., von England, und E. persönlich fast zu derselben Zeit in dem Tode ihres Freundes Cartesius; mit der Königin Christine ist sie nie wieder in Berührung gekommen. – Als dann ihr Bruder, der neue Kurfürst Karl Ludwig, auf den Thron der Ahnen zurückkehrte, während die Mutter vorläufig im Haag blieb, begab sich 1650 E. nach Heidelberg und fühlte sich im Umgange mit den ausgezeichneten Gelehrten, die an die neu organisierte Universität berufen waren, befriedigt, wie sie auch auf diese Kreise anregend wirkte. Indeß wurde ihr der Aufenthalt durch das unglückliche eheliche Verhältniß ihres Bruders verleidet, zumal auch ihre geliebte Schwester Sophie nach ihrer Vermählung mit Herzog Ernst August von Braunschweig Heidelberg verließ. Sie folgte daher gern einer Einladung nach Crossen. Dort lernte sie die Schriften des berühmten Leidener Theologen Coccejus (s. d.) kennen, der in der reformirten Kirche eine ähnliche Stellung wie Spener in der lutherischen einnimmt, mit tüchtiger philologischer Bildung Hinneigung zur Mystik verband, dem orthodoxen Scholasticismus gegenüberstand, und durch seine eigenthümliche, das Schriftstudium von einem neuen Gesichtspunkte und zugleich das religiöse Leben weckende Thätigkeit eine Säule der reformirten Kirche wurde. Er trat mit der Prinzessin in Briefwechsel; seine mächtige Persönlichkeit und die zahlreichen Wechselfälle ihres [24] Hauses machen es erklärlich, daß sich bei ihr die andere, die religiöse Richtung ihres Geisteslebens immer mehr entwickelte.
Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, Aebtissin von Herford, geboren zu Heidelberg den 26. Decbr. 1618, † 8. (nicht wieUnd jetzt nahm auch ihr äußeres Leben die Wendung, die sie der bedrückenden Sorgen enthob. Ihr Vetter, der große Kurfürst, bewährte seine Hochachtung für sie durch die That; durch seine, des Schutzherrn der Abtei Herford, Bemühungen wurde sie am 1. Mai 1661 zur Coadjutorin der Aebtissin von Herford, der Pfalzgräfin Elisabeth Luise von Zweibrücken, gewählt. Ehe sie aber nach Herford kam, folgte sie ihrer Schwägerin, die nach vergeblichen Sühneversuchen Heidelberg verließ, und verlebte mehrere Jahre glücklich in Kassel bei ihrer Muhme, der trefflichen Landgräfin Hedwig Sophie. Am 28. März 1667 starb die Aebtissin von Herford, am 30. April 1667 wurde E. als Aebtissin inthronisirt. – Die berühmte Abtei Herford, eine Stiftung des karolingischen Kaisergeschlechts, zählte von Anbeginn 821–823 bis zu ihrer Auflösung 1803 nur Vorsteherinnen aus fürstlichem Geschlechte, war reich dotirt und erfreute sich der Reichsunmittelbarkeit.
Die Kurfürsten von Brandenburg waren als Erben des Hauses Jülich Landesherren der Stadt und Schirmherren der Abtei Herford und gedachten nicht die Reichsunmittelbarkeit der letzteren anzutasten, die Aebtissin hatte auf den Reichsschreiben den Titel einer Fürstin und Prälatin des hl. römischen Reiches. Im J. 1621 war zum ersten Mal eine reformirte Aebtissin gewählt worden. Der Stadt wurde bange wegen des lutherischen Gottesdienstes am Münster, der mit der Abtei in Verbindung stand; aber es kam 1629 ein Vertrag zu Stande, daß die Aebtissin nicht allein, sondern in Gemeinschaft und mit Bewilligung des Rathes der Stadt die Prediger wählen sollte; das Stift behielt die Freiheit, seine Aebtissin sowol von der lutherischen, wie der reformirten Kirche zu wählen, und gleiche Freiheit bestand bezüglich der Confession der Stiftsdamen. 1667 wurde E. von der Pfalz nach vorausgegangener kaiserl. Bestätigung feierlich auf dem hohen Altar der Münsterkirche im Beisein des ganzen Hofes und der Vasallen, den brandenburgischen Räthen, der ganzen abteilichen Geistlichkeit, des Rathes und der Schöffen der Stadt, in Namen des ganzen Capitels proclamirt.
Aber erst einige Jahre hatte E. in Herford gelebt, als sie Veranlassung zu einer heftigen Bewegung in der Stadt wurde. Das 17. Jahrhundert ist reich an bedeutenden Männern, welche das starrgewordene Leben der Kirche in Fluß zu bringen suchten. In anderer Weise als Coccejus stellte sich Johann Labadie zur Orthodoxie. Wie er schon innerhalb der katholischen Kirche als umherziehender Prediger in Frankreich zu religiösen Gemeinschaften aufgefordert hatte, so eiferte er, zur reformirten Kirche übergetreten, für die herbste Sittenstrenge. Als er von Genf aus durch den Einfluß der zu Utrecht lebenden Anna Maria v. Schürmann, welche indeß in der Schule trüber Familienerfahrungen immer ernster in ihren Ansichten vom Leben geworden war, als Prediger der französischen Gemeinde nach Middelburg berufen war, folgte ihm dahin die Schürmann. Da er durch Rede und Schrift vielen Beifall fand, erzwangen seine Gegner seinen Austritt aus der Gemeinde, er begab sich nach Amsterdam. Als hier die durch die reformirten Prediger gesteigerte Aufregung des Pöbels ihn zur Abreise nöthigte, erinnerte sich Fräulein v. Schürmann ihrer alten Freundin in Herford. Auf ihre Anfrage lud die Aebtissin, nachdem sie dem Kurfürsten die Sache vorgelegt und seine Genehmigung und seinen Schutz zugesichert erhalten hatte, die Verfolgten zu sich ein. Die Labadisten kamen, zum Theil zu Lande über Basel, größtentheils aber zu Schiffe über Bremen und Minden, Anfang November 1670 in Herford an. Labadie, Yvon Dulignon, die Brüder Schlüter aus Wesel, Anna Marie v. Schürmann, Wilhelmine v. Buytendyck, die Fräulein v. Sommelsdyck aus Friesland, Luise Huygens aus Rhynsburg, Emilie van der Haar aus Haag [25] sind die hervorragendsten Persönlichkeiten. Sie nahmen alle Wohnung auf dem abteilichen District „Freiheit“, größtentheils zusammen in einem größeren Hause, als anfangs noch alle unverheirathet waren. Aber der Rath, die lutherische Geistlichkeit, die Bürgerschaft, waren darüber unwillig, weil sie sowol für die lutherische Kirche, als für die Handwerker der Stadt Nachtheile befürchteten, und baten gleich am Tage nach der Ankunft der Fremden um Abhülfe bei der Aebtissin; weiterhin beschwerten sie sich beim Kurfürsten über diese angebliche Verletzung des westfälischen Friedens. Die Aebtissin wies in ihren Berichten an ihren Vetter diese Beschuldigungen zurück. Der Kurfürst versprach eine Commision zur Untersuchung zu schicken; aber die von ihm nach Herford beorderten Kanzler v. Jena, Geheimrath Blaspiel und Hofprediger Hundius lehnte die Aebtissin ab, weil dadurch ihre Autorität geschmälert werde, und so wurden nun schriftlich reformirte Theologen mit der Prüfung der Angelegenheit betraut, welche sich dann günstig über die Schriften Labadie’s und für Duldung aussprachen. Inzwischen dauerten die Predigten der lutherischen Geistlichen gegen die Holländer, die sie als ketzerische Quäker angriffen, fort; die Aufregung wuchs, man warf den Labadisten grobe Unsittlichkeiten vor, der Stadtrath verbot den Bäckern und Bauern der Stadt etwas an sie zu verkaufen, wies neuankommende Jungfrauen an den Thoren zurück, der Pöbel vergriff sich thätlich an den Fremden. Auf Bericht des Landdrosten Generalmajor v. Eller auf Sparenberg, der dem labadistischen Gottesdienste selbst beigewohnt hatte, ging der Kurfürst auf die Beschwerde der Aebtissin ein und bedrohte die Stadt mit Einquartierung. Die lutherische Orthodoxie mußte allerdings in dem Cult der Labadisten manches Ungewöhnliche, eine Lockerung der Kirche erblicken. Denn in vielen Punkten streifte die Lehre Labadie’s an das Sectirerische, er verwarf die Theilnahme der Nichtgläubigen am hl. Abendmahle, die kirchliche Einsegnung der Ehe der weltlichen Menschen. Wöchentlich war zweimal in der Stiftscapelle Gottesdienst in deutscher und französischer Sprache, außerdem zweimal täglich in dem gemeinschaftlich benutzten Münzhause; der Gottesdienst ging besonders auf Erweckung aus, und diese gipfelte in dem mystischen Tanz; hinweisend auf Davids Tanz vor der Bundeslade sahen sie in dem enthusiastischen Hüpfen und dem Kuß den Ausdruck vollkommener Wiedergeburt. Indeß solche Excentricitäten traten in Schatten vor der warmen, tief innerlichen Religiosität, die wir bei den Gemeindegliedern wahrnehmen. Die Kirchenzucht war sehr streng. Die Zahl der Theilnehmer am Gottesdienst belief sich mitunter auf 300–400. Die Gesellschaft hatte gemeinsames Vermögen. Sie hatten ihren Buchdrucker von Amsterdam mitgebracht, Laurens Autein, bei dem damals manche Schriften in französischer Sprache von Labadie, Yvon, und in lateinischer von denselben und von Fräulein v. Schürmann, Vertheidigungen in deutscher von Hermann Strauch gegen die Angriffe der Gegner auf Lehre und Leben erschienen. Der Ruf der neuen Gemeinde lockte viele Fremde nach Herford. Es kam der Aebtissin Schwester Sophie, auch ihr Neffe, der Kurprinz von Pfalz; sie wohnten einem labadistischen Gottesdienste bei, in dem die bedeutende, auch von seinen Gegnern gefeierte Beredsamkeit Labadie’s hervorleuchtete; eine Disputation zwischen ihm und dem mitgekommenen Superintendenten von Osnabrück blieb ohne Erfolg. Das gemeinschaftliche Zusammenleben und die Gütergemeinschaft, die unter der Gemeinde herrschen sollte, das war es, was allein bei dem Kurfürsten Bedenken erregte; in der That aber fand sich nichts Anstößiges, nur daß es nicht zu billigen war, daß die neu eintretenden Gemeindeglieder ihr ganzes Vermögen abzugeben und dennoch schwere Handarbeit zu verrichten hatten. Die Gegenbewegung in der Stadt wuchs, die Geistlichen fuhren fort in ihren Controverspredigten, unbedeutende Vorfälle wurden als Gottesurtheile ausgeschrieen, und nochmals 1671 legten Bürgermeister, [26] Schöffen und Rath der Stadt der Aebtissin einen heftigen Protest vor, welcher die Fremden mit den in Niederdeutschland noch immer in schlimmem Andenken stehenden Wiedertäufern auf eine Linie stellte und auf den erhöhten Preis der Lebensmittel hinwies; zugleich erwirkte der Rath ein Mandat des Reichskammergerichts zu Speyer, welches der Aebtissin die Ausweisung der Fremden anbefahl, sie vor Gericht citirte und im Fall des Nichterscheinens mit der Reichsacht drohte. In ganz Deutschland machte der Proceß Aufsehen. Höchst empört, verlangte die Aebtissin vom Kurfürsten Bestrafung der städtischen Obrigkeit, weil sie eine Religionssache vor ein ungehöriges Forum gebracht und sie schändlich verläumdet hätte. Das Reichsmandat wurde ad acta gelegt. Vorläufig ließ sie einen Theil ihrer Schützlinge, um sie vor dem Pöbel zu schirmen, nach ihrem 20 Minuten von der Stadt entfernten, nicht unter herfordischer Gerichtsbarkeit stehenden Besitzthum Sundern ziehen, anderen bot sie ein durch den Werrafluß geschütztes Haus an, und reiste zur Beendigung der Sache selbst 1672 nach Berlin und provocirte ein strenges Wort des Kurfürsten an den Rath der Stadt. Aber ehe die Sache in Speyer in ein anderes Stadium trat, nahm sie nun plötzlich eine unerwartete Wendung. Es brach 1672 der sogen. holländische Krieg aus; durch den mit Ludwig XIV. verbündeten Bischof von Münster, Bernhard v. Galen, war das ravensbergische Land gefährdet. Da verließen am 23. Juni 1672 heimlich Labadie und seine Freunde Herford und siedelten nach Altona über. Die Synode von Cleve hatte schon früher gegen die Labadisten sich ausgesprochen. Eine kleine Schaar eifriger Christen war in Herford zurückgeblieben unter dem Schutz der Prizessin und ihrer frommen Freundin, Stiftsfräulein Gräfin Anna Maria v. Hoorn. Zu ihnen kam der von der Clever Synode suspendirte Prediger Reiner Copper 1874 als Hofprediger an der Abtei und heirathete das auch labadistisch gesinnte Fräulein v. Reneval, 1677 ging er ab und begab sich nach Mülheim a. d. Ruhr. – 1672 war der holländische Krieg ausgebrochen; 1673 zog der Kurfürst vom Rhein nach Westfalen zurück, Turenne folgte und nahm Unna, Soest, Hamm. Der Kurfürst zog am 28. Febr. in Herford ein, am 1. März nach Minden; selbigen Tages kamen kaiserliche Truppen, der Durchzug dauerte zwei Tage. Dann quartierte sich acht Tage das Dragonerregiment Obrist Mardewitz ein; unmittelbar folgten drei lothringische Regimenter für acht Tage. Hatten diese Einquartierungen die Bürger schon arg mitgenommen, so folgte größere Noth, als 8000 Mann münstersche Truppen vom 28. März bis 18. April in der Stadt lagen; sie kosteten die Stadt 50000 Thlr. Da hatte sich der trostlose Rath genöthigt gesehen, um Hülfe die Aebtissin anzuflehen, sie that mit Wort und Werk für die Bürger, was nur in ihren Kräften stand. Der Frieden von Vossem brachte zunächst äußere Ruhe. – Der Ruf von der Prinzessin Frömmigkeit war übers Meer gedrungen. Schon vor Jahren hatten die Quäker Georg Keith und Robert Barclay Labadie in Holland aufgesucht und eine nähere Vereinigung mit ihm zu Stande zu bringen sich bemüht, waren aber von ihm zurückgewiesen. Jetzt wandten sie sich an die Prinzessin, Georg Fox schrieb an sie einen sehr artigen Brief, den 1674 drei quäkerische Damen, darunter Fox’ Stieftochter, nach Herford überbrachten. Die Prinzessin, die Niemandem eine Audienz abschlug, begrüßte sie freundlich und erließ an Fox eine anerkennende Antwort in englischer Sprache. Da aber schrieb William Penn in der Zeit, als er die Angelegenheiten wegen Ankauf und Vertheilung der Ländereien in Nordamerika für seine Glaubensgenossen zu ordnen begann, an E. und Fräulein v. Hoorn und ermunterte sie zum Ausharren auf ihrem Wege, auf welchen Brief E. in demüthigem Sinne antwortete. Im J. 1677 kam Penn mit Robert Barclay über Osnabrück nach Herford und blieb drei Tage dort; der Empfang war überaus herzlich. [27] Jeden Tag war ein langer quäkerischer Gottesdienst, in der Penn’s Rede auf alle den tiefsten Eindruck machte; die Freundschaft zwischen ihm und E. war fest besiegelt. Penn reiste nach Kassel, Frankfurt und Griesheim bei Worms, überall Freunde erweckend; von dort aus schrieb er wieder an die Aebtissin, und auf der Rückreise erhielt er in Köln eine warme Antwort von ihr. Von Holland kam er zum zweiten Male. Auch diesmal machte er durch seine Erscheinung und seine Reden auf alle Gemüther einen gewaltigen Eindruck. Der Briefwechsel mit E. wurde nach Penn’s Heimkehr fortgesetzt. Aus ihrem Briefe vom 16. Novbr. 1677 mögen die schönen Worte hier Platz finden: „Ich kann mit Aufrichtigkeit und Wahrheit sagen: dein Wille geschehe, o Gott, weil ich es von ganzem Herzen wünsche, aber ich kann nicht mit Lauterkeit sagen, daß ich jene Lauterkeit besitze, die seinen Augen annehmlich ist. Mein Haus und mein Herz werden denen immer offen stehen, die ihn lieben.“ E. ist aber niemals Quäkerin geworden; sie hatte noch andere geistige Bedürfnisse, als daß sie ganz in dem sich hätte beruhigen können, worin jene Beruhigung fanden; aber sie erkannte die Berechtigung einer solchen tieferen Beruhigung an und verehrte sie in jenen Männern ihre Herzensfreude. Trotz dieser Hinneigung zu der religiösen Richtung Labadie’s und Penn’s blieb Elisabeths Sinn philosophischen Studien zugewandt, sie trat in ihrem letzten Lebensjahre noch in Briefwechsel mit Malebranche und Leibnitz. Mit Gelehrten aller Länder in Verbindung, bereicherte sie die abteiliche Bibliothek mit kostbaren Werken, die auf unerklärliche Weise zerstreut sind. Die Heirathspläne für ihre Brüder hat sie vergebens eifrig unterstützt; wie in der Folge des Scheiterns dieser Absichten nach dem Aussterben des Hauses Pfalz-Simmern Ludwig XIV. mit seinen Ansprüchen hervortrat und den barbarischsten aller Kriege über die unglückliche Pfalz brachte, dies Leid erlebte E. nicht mehr. Aber sie erlebte noch, wie 1679 die kurbrandenburgischen Truppen unter General Spaen durch Herford den Franzosen bis jenseits Bielefeld entgegenzogen und viele niederhieben; nach Spaen’s Rückzug kam am 18. Juni früh der Marquis de Crequi von Lippstadt her mit 30000 Mann, und während die Stadt großen Schaden litt, wurde der Abtei höflich begegnet. Im November erhielt die Prinzessin noch Besuch von dem Herzoge Johann Friedrich von Hannover; als er im December starb, folgte ihm in der Regierung von Hannover ihr Schwager, der Bischof Ernst August von Osnabrück. Nicht zwei Monate nach diesem freudigen folgenreichen Ereigniß starb E. Ihr Tod wurde in den Kreisen der Erweckten aufs schmerzlichste empfunden. In demselben Jahre, als Penn nach Amerika abging, um das ihm vom König von England als Eigenthum abgetretene, nach ihm genannte Pennsylvanien zu verwalten, 1682, entwarf er in der neuen Ausgabe seiner Schrift: „Ohne Kreuz keine Krone“, die er einst als Gefangener im Tower geschrieben, folgendes Bild von der vor zwei Jahren abgeschiedenen Prinzessin, die er den christlichen Streiterinnen beigestellt: „Der seligen Prinzessin E. gebührt ein Gedächtniß in diesem Buche, da ihre Tugend ihren Namen mehr verherrlicht als ihr Rang, obgleich dieser zu den höchsten im deutschen Reich gehört. Sie wählte den ehelosen Stand als denjenigen, welcher am freiesten von Sorgen ist und sich am besten mit den Studien und der Meditation verträgt, zu welchen sie sich jederzeit hinneigte. Ihre vorzügliche Erholung bestand außer Bewegung im Freien in einigen einfachen und häuslichen Unterhaltungen, wie Stricken u. a. Sie hatte ein kleines Gebiet, welches sie so wohl verwaltete, daß sie sich für ein größeres geschickt zeigte. Den letzten Tag in der Woche bestimmte sie regelmäßig dazu, zu Gericht zu sitzen. Sie hörte und entschied selbst die Processe, wobei ihre Geduld, Gerechtigkeit und Milde bewundernswürdig war, indem sie häufig die Strafen erließ, wenn der [28] Angeklagte arm war oder sich dessen sonst würdig zeigte. Und was vortrefflich, obschon ungebräuchlich, war, sie milderte gern ihre Worte durch die Religion, und wunderbar brachte sie die Parteien zur Unterwerfung oder zur Vertragung, indem sie nicht sowol die Strenge ihrer Macht als die Macht ihrer Ueberzeugung anwandte. Ihre Sanftmuth und Demuth erschien mir außerordentlich; sie sah niemals auf den Rang, sondern auf das Verdienst der Personen, mit denen sie sich unterhielt. Hörte sie von einem Manne, der sich von der Welt zurückzog und der die Erkenntniß eines Besseren suchte, so setzte sie ihn gewiß auf die Liste ihrer Mildthätigkeit. Während sie bei ihrem eigenen Hofe keinen Aufwand an der Tafel machte, deckte sie den Armen den Tisch in ihren einsamen Zellen und brach das Brot tugendhaften Pilgern, je nach ihrem Bedürfnisse und ihrem Verdienste. Sie war selbst enthaltsam und in ihrer Tracht ohne allen äußeren Schmuck. Ich muß jedoch sagen, daß ihr Geist einen edlern Anblick gewährt. Ihr Blick war auf eine bessere und bleibendere Erbschaft gerichtet als hinieden gefunden werden kann, infolge dessen sie oft die Größe der Höfe und die Gelehrsamkeit der Schulen verachtete, von welcher sie eine außerordentliche Kennerin war.“ – Bestattet ward E. mit den üblichen Festlichkeiten auf dem Chor der Münsterkirche zu Herford.
- Guhrauer in Raumer’s histor. Taschenbuch 1850 u. 1851. Söltl, Elisabeth Stuart. Göbel, Geschichte der rheinisch-westfäl. Kirche II. 181–299. 359–367. G. Croesens, Quäkerhistorie, Berlin 1696, S. 665 ff. 704 ff. Storch, Chronik der Stadt Herford, 1748. Hagedorn, Entwurf vom Zustande der Religion bei der Reformation in Absicht der Grafschaft Ravensberg 1748. Hölscher, Die Labadisten in Herford, Gymnasialprogr. 1864.