ADB:Schurman, Anna Maria van
[91] mußte. In Franeker hatte sie die Gelegenheit, welche ihr die dortige Hochschule bot, benutzt, um sich in Philosophie und Theologie gründliche Kenntnisse zu verschaffen. Aber auch die Naturwissenschaften, selbst die Anatomie waren ihr nicht fremd; insbesondere trieb sie eifrig Botanik, indem sie in ihrem Garten ausländische Pflanzen pflegte. Dabei waren ihr weibliche Arbeiten durchaus nicht fremd, und ihre Hand nicht weniger geschickt als ihr Geist. Sie stickte mit höchster Kunst; aber auch in Malerei, Bildschnitzerei, Aetzkunst bildete sie sich aus und leistete Vorzügliches. Noch jetzt bewahren manche Sammlungen Werke von ihrer Hand, insbesondere eine zu Franeker befindliche, in welche ihr Nachlaß theilweise übergegangen zu sein scheint. Namentlich ist auch ihr eigenes Bild von ihrer Hand mehrfach erhalten, wie auch ausgezeichnete Künstler jener Zeit es in Oel, Kupferstich, Holzschnitt wiedergegeben haben. Die aus der Jugendzeit stammenden Abbildungen zeigen bei aller Geistesschärfe, die sich in den lebhaften Augen ausspricht, liebliche Züge; die späteren können eine gewisse Strenge und Härte nicht verleugnen. So auch das Bild in Holzschnitt, welches der Sammlung ihrer „Opuscula“, Leyden 1648, vorgesetzt ist und aus dem J. 1640 stammend sie 33jährig darstellt. Von dieser Sammlung „Nobiliss. Virginis Annae Mariae à Schurman Opuscula Hebraea, Graeca, Latina, Gallica: prosaica et metrica“, erschien die zweite und vermehrte Auflage Lugd. Batavor. ex Officina Elzeviriorum 1650; andere Ausgaben folgten, noch 1749 gab Traugott Christ. Dorothea Loeber zu Leipzig einen mangelhaften Abdruck heraus. Vorangestellt ist eine Abhandlung von 1639: De vitae termino, ein citatenreicher Nachweis, daß die Prädestinationslehre auch die Bestimmung der Lebensdauer Gott anheimstelle. Interessanter dem Gegenstand nach, aber durch die Behandlung noch abstruser ist das etwas früher von der S. behandelte problema practicum: „Num Foeminae Christianae conveniat studium litterarum?“, eine Frage, die sie bejahend und mit dem stärksten Apparate von Schlüssen, Argumenten und Gegengründen gegen etwaige Einwürfe beantwortete. Anmuthiger sind mehrere lateinische Briefe über dieselbe Frage an den Leydener Professor der Theologie Rivet, welcher jene Abhandlung bereits 1638 als Amica dissertatio: De capacitate ingenii muliebris ad scientias und 1641 unter etwas anderem Titel nochmals in den Druck gab. Hatte die Italienerin Lucretia Marinelli das Problem der Frauenbildung, wie es die Renaissance aufstellte, unter der spitzigen Aufschrift La nobiltà e l’excellença delle donne con diffetti e mancamenti de gli huomini behandelt, die Französin Marie de Jars Gournay schon bescheidener De l’égalité des hommes et des femmes geschrieben, so schränkt die Niederländerin ihre Ansprüche noch mehr ein und gibt ihnen eine Fassung, welche auch uns billig erscheinen wird: nur besonders begabte, nur von anderen Pflichten freie Frauen, besonders Jungfrauen haben das Recht, aber auch das volle Recht, die Wissenschaften sich anzueignen. Die in den Opuscula weiterhin mitgetheilten Briefe berühren theilweise noch andere, besonders theologische Fragen, anderen Theiles aber zeigen sie die persönlichen Beziehungen der berühmten Frau, denen auch ihre sich daran anschließenden Gedichte meist gewidmet sind. Schon 1622 war sie mit dem berühmten Cats in Verbindung getreten und hatte ihn durch lateinische Distichen gefeiert, wie er sie durch niederländische Verse pries und ihr Bild in seine Werke aufnahm. Noch mehr scheint die Dichterin Constantin Huyghens verehrt zu haben, mit welchem sie scherzhafte Verse wechselte. Einer späteren, ernsteren Zeit gehört die Verwahrung an, die sie dem durch Namensverwechselung entstandenen Gerücht, sie habe die Astrée des d’Urfé übersetzt, entgegensetzte; und ebenso die Erklärung ihres Symbols ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταύρωται. So zierlich und klar wie sie das Latein in Prosa und Versen schreibt, drückt sie sich auch in den französischen [92] Briefen und Gedichten aus, welche sie mit den Pariser Schöngeistern austauschte, ja auch an Richelieu und die Königin von Frankreich richtete. Kein Wunder, daß sie von dort aus mit den ausgesuchtesten Schmeicheleien, wie sie nur immer die hochtrabende Poesie jener Zeit vorzutragen wußte, verherrlicht wurde. Selbst aus Rom sandte 1642 Domenico Gilberto einen Panegirico: La fama trionfante, voll der ausschweifendsten Bilder und Wortspiele. Die deutsche Dichtung blieb wenigstens an Schwulst nicht zurück: Zesen und Kempe widmeten der S. lyrische Strophen; Rachel nennt sie ehrenvollst in seiner letzten Satire. Noch mehr wird der Dichterin die Aufmerksamkeit der höchstgestellten Frauen geschmeichelt haben. Eine nähere Freundschaft, welche in trüben Tagen sich bewähren sollte, erzeigte ihr die Pfalzgräfin Elisabeth, die Tochter des Winterkönigs Friedrich V. Die Königin von Polen besuchte sie zu Weihnachten 1645, worüber ein näherer Bericht den Elogia beigegeben ist, welche ihre Opuscula beschließen. Auch die Königin Christine von Schweden besuchte sie; obschon mit der weltlichen Richtung und dem Religionswechsel Christinens durchaus nicht einverstanden, erwies Anna dem hohen Besuch ihre Dankbarkeit, indem sie nach der Unterredung das wohlgetroffene Bild Christinens ihr überreichte. Allein das Werthvollste war doch für die S. das außerordentliche Lob, das die gelehrtesten Männer ihrer Zeit ihr spendeten: Salmasius, mit dem sie in regem Briefwechsel stand, Heinsius, Vossius. Daß diese Zeugnisse ihren Opuscula beigedruckt wurden, darf nicht dahin gedeutet werden, als ob es ihr an Bescheidenheit gefehlt hätte; war diese Sammlung doch von einem Anderen, von dem gelehrten Frid. Spanheim veranstaltet worden. So hatte sie auch dem Dordrechter Arzt Beverwyck nur widerstrebend ihre Zustimmung dazu gegeben, daß er in seinem Buche Van de uytnemendheyt des vrouwelicken geslachts, 1639 u. ö. ihren Ruhm ausbreitete. Ihr ernster Sinn war den Lehren ihres Vaters treu geblieben, der sie auf dem Sterbebette auch ermahnt hatte, ehelos zu leben. So hatte sie die freieren Ansichten von Grotius über die Confessionsverschiedenheit verurtheilt, so an Descartes Anstoß genommen, welcher, sie besuchend, über die Bibel und die Unklarheit der mosaischen Berichte sich absprechend geäußert hatte. Ihr Lebensweg führte sie auch seit etwa 1650 Prüfungen zu, die sie wohl bestand, die aber auch ihre Abwendung von der Welt bis zur schroffen Verurtheilung der Andersdenkenden steigerten. Nachdem ihre Mutter gestorben, hatte sie zwei alte Muhmen zu pflegen, mit denen sie 1652–1655 in Köln lebte, um Vermögensangelegenheiten wahrzunehmen, dann auf das Land bei Vianen zog. Der fromme Tod ihres Bruders 1664 ließ sie in der gleichen Stimmung zurück. Bereits hatte sie in den Parteistreitigkeiten, welche die reformirte Kirche der Niederlande zu erschüttern begannen, sich der strengeren Richtung angeschlossen und über die Weltlichkeit des größten Theiles der reformirten Geistlichkeit abgeurtheilt. Da kam, von ihrem Bruder ihr angepriesen, ein fremder hochbegabter, aber leidenschaftlicher Vertreter dieser strengeren Ansichten nach den Niederlanden, welcher die schon bestehende Spannung auf das Höchste steigern und einen Riß herbeiführen sollte, der auch Anna Maria S. aus der Kirche hinaus und in die Leidensbahn der Sectirer führte. Es war Jean de Labadie, 1610 zu Bordeaux geboren, erst Jesuit, dann seit 1650 calvinistischer Prediger, und als solcher anfänglich zu Montauban, dann zu Orange, endlich zu Genf thätig. Begeistert pries er die Rückkehr zum Leben der ersten Christen und durch Spener, seinen Zuhörer, sind diese Lehren dann, wenn auch gemäßigt, in den deutschen Pietismus übergegangen. Aber was in Deutschland innerhalb der Kirche noch Raum fand, das schlug bei der leidenschaftlichen Art Labadie’s, dem die gleiche Anlage in den Niederlanden entgegen kam, hier zum heftigsten Kampfe und zur schroffsten Scheidung aus. Als Labadie 1666, zum Prediger [93] in Middelburg berufen, durch Utrecht kam, nahm ihn Anna Maria bei sich auf, sie folgte ihm auch in die verschiedenen Städte, in welchen er, bald durch seine Schroffheit mit der kirchlichen und der Staatsgewalt in Widerspruch gekommen und seit 1668 seines Amtes entsetzt, seine Anhänger zu sammeln suchte. In Amsterdam zog sie in sein Haus und hatte mit ihm einen Pöbelaufruhr zu bestehen, der sie jedoch in ihrer Anhänglichkeit nur bestärkte. Ebensowenig wurde sie durch die Abwendung ihrer früheren Freunde und Verehrer irre gemacht; ja sie suchte ihrerseits persönlich und brieflich für die von Labadie gestiftete Nieuwe Kerk Anhänger zu gewinnen. Indessen machten doch die fortdauernden Anfeindungen sie und ihre Bekenntnißgenossen um so geneigter, einem Rufe nach Deutschland zu folgen, den die Pfalzgräfin Elisabeth als Aebtissin von Herford an sie richtete. 1670 traf Labadie mit seinen Anhängern in Herford ein. Aber die Bürgerschaft wollte nichts von den Ankömmlingen wissen und erst die Belegung der Stadt mit preußischen Dragonern verschaffte diesen einen ruhigen Aufenthalt und freie Ausübung ihres Gottesdienstes. Jetzt artete dieser aber auch aus: die Verzückungen der Heiligen, die sich durch Tanzen und Küssen äußerten, und an denen Anna Maria v. S. selbst Theil genommen haben soll, die geistlichen Ehen, für welche erst auf nachdrückliche Ermahnungen hin die bürgerliche Bestätigung nachgesucht wurde, mußten selbst die Freunde der Gemeinde irre machen. Als das Reichsgericht in Speyer sich gegen deren Duldung aussprach, zog Labadie, trotzdem die Aebtissin hülfesuchend nach Berlin reiste, 1672 nach Altona, wo allgemeine Religionsfreiheit gewährleistet war. Hier starb Labadie schon 1673; 1675 nahm die S., welche schon früher neben „Papa“ Labadie als „Mama“ der Gemeinde vorgestanden, auch ihr Vermögen der Gemeinde geopfert hatte, das Anerbieten von Freunden in Westfriesland an und siedelte mit ihren Getreuen nach Wieward in der Gegend von Leeuwaarden über, wo William Penn sie noch besuchte. Hier starb sie am 4. Mai 1678, nachdem sie schon längere Zeit kränklich gewesen, ihre Leiden aber mit Geduld getragen hatte. Bald darauf zerstreuten sich die Anhänger der Secte. Ihre Ueberzeugungen und ihre Schicksale hatte A. M. v. S. in der zu Altona 1673 erschienenen Schrift Εὐϰληρία seu melioris partis electio (nach Lucas 10, 42) eingehend dargestellt. In manchen Punkten scheint sie von Labadie ihren früheren Ansichten entfremdet worden zu sein: vorher eine besondere Verehrerin der Sabbatheiligung, glaubte sie nun, daß alle Zeiten gleich heilig zu halten seien. Von ihrem ehemaligen Ruhm und den Wissenschaften sprach sie geringschätzig. Aber daß sie im Grunde nur ihre alte Ueberzeugung verschärft und den Gegensatz gegen die Welt und die Unheiligen vertieft hatte, durfte sie namentlich in Briefen aus der letzten Zeit wohl aussprechen: hatte sie doch von früh auf das Martyrium besonders hoch gehalten und die Aeußerung des Erasmus, er wünsche sich diesen Ruhm nicht und neide ihn Keinem, sehr übel genommen. Eine Fortsetzung der Εὐϰληρία Pars posterior, erschien zu Amsterdam 1683; und ist mit dem ersten Theil zu Dessau 1782 wieder abgedruckt worden. Sie erzählt darin ihr ferneres Leben; die Herausgeber haben auch über ihren Tod berichtet. Ganz besonders aber bekämpft sie in dieser Schrift die freieren Ansichten über die Prädestination u. a., welche eine Brabanterin Antonie de Bourignon ihr entgegengestellt hatte; ebenso wendet sie sich gegen den Vorwurf, die Wissenschaften zu verachten, der in der Εὐϰληρία εὐϰέατος von Drechsler, Leipzig 1675 erhoben worden war. Ebenfalls nach ihrem Tode erst erschienen geistliche Gedichte, die sie in niederländischer Sprache verfaßt hatte: Bedenckingen over de Toekomste van Christi koningryck, aufgenommen in die zweite Ausgabe der für die Gemeinde bestimmten Heylige Gesangen uyt het Frantse vertaalt, Amsterdam 1683, und drei ausführliche Gedichte Uitbreiding [94] over de drie eerste Capittels van Genesis beneffens een Vertoog van het Geestelijck huwelijck van Christus met de Gelovigen, welche erst 1732 zu Groningen gedruckt wurden. In Alexandrinern geschrieben, abgesehen vom Schluß des letztgenannten, zeigen diese Dichtungen eine kräftige Ueberzeugung und die Schulung der Renaissancepoesie, aber kaum Eigenschaften, die einen nicht schon gewonnenen Leser anlocken möchten. Bei aller Anerkennung der Wahrheitsliebe und der Willenskraft der seltenen Frau dürfte man gerade ihr Beispiel nicht anführen, wenn die Begabung der Frauen zur Wissenschaft als über Receptivität und Reproduction hinausgehend behauptet werden sollte.
Schurman: Anna Maria van S., holländische Dichterin, Künstlerin und polyhistorische Theologin, „das Wunder ihrer Zeit, der Ruhm ihres Geschlechtes“. Geboren am 5. November 1607 zu Köln aus guter Familie, welche während des spanischen Krieges aus Antwerpen dorthin übergesiedelt war, begleitete sie ihren Vater 1615 nach Utrecht und 1623 nach Franeker, wo er starb; nachdem ihr Bruder hier seine Studien beendet, kehrte sie mit ihrer Mutter nach Utrecht zurück. Die Einweihung der Universität zu Utrecht 1636 gab ihr Gelegenheit, mit lateinischen Gedichten an die Oeffentlichkeit zu treten, und so verbreitete sich ihr Ruhm, den Beziehungen zu den ersten Namen der damaligen niederländischen Litteratur bereits begründet hatten, bald nach Frankreich, England, Deutschland, ja selbst Italien und Spanien. In der That war es staunenswerth, in welchem Grade sie sich die Bildung und Gelehrsamkeit der Renaissance angeeignet hatte. Dreijährig hatte sie schon die Bibel gelesen; dann hatte sie, dem Unterricht ihrer Brüder beiwohnend, sich fast spielend das Lateinische angeeignet, ebenso wie sie fast alle modernen Sprachen beherrschen lernte; an das Griechische schloß sich das Hebräische, das Arabische, Syrische, Persische, ja sogar das Aethiopische, für welches sie sich selbst erst eine Grammatik ausarbeiten- Zahlreiche Lobschriften, vor allem überall da, wo es sich um berühmte Frauen handelt. Besonders eingehend: Mollerus, Cimbria litterata (Havniae 1744) II, 805–817. Zusammenfassend: A. M. v. S. door Dr. G. D. J. Schotel, predikant te Tilburg, met portret en facsimile. ’s Hertogenbosch 1853.