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Artikel „Schürmann, Georg Kaspar“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 94–96, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%BCrmann,_Georg_Caspar&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 16:43 Uhr UTC)
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Schürmann: Georg Kaspar S., einer der genialsten deutschen Operncomponisten aus dem Ende des 17. und Anfange des 18. Jahrhunderts. Ueber sein Leben wissen wir nur wenig mehr als Walther in seinem Lexikon uns mittheilt. Nur Chrysander in dem ersten Jahrbuche und H. Sommer[WS 1] in den Monatsh. f. Musikg. XXII theilen Einiges über einzelne Episoden seines Lebens mit. Demnach war er eines Pfarrers Sohn aus dem Hannoverischen, widmete sich schon früh der Musik und bildete sich als Sänger (Männeraltist) aus. 1693 kam er nach Hamburg, und wurde an der Kirche und am Theater als Sänger angestellt. Von da aus berief ihn 1697 der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel an seinen Hof. Auf der Reise von Hamburg nach Braunschweig, die er auf einem Thespiskarren in Gemeinschaft von Schauspielern und Sängern, wohl auch Musikern machte, die der Herzog alle von Hamburg verschrieben hatte, begegnete ihm bei einem Streite mit einem Mitfahrenden das Unglück, daß er denselben im Zweikampfe erstach. Ein Schreiben an den Rath von Braunschweig von S. (abgedruckt M. f. M. XXII, 3) stellt den Thatbestand fest und bittet um Begnadigung. Wir erfahren nicht, was daraus geworden ist. Die Schlußfolgerung des Herrn H. Sommer aus dem Schreiben kann aber nicht gut geheißen werden, denn er glaubt unter einem Altisten einen Knabensänger zu verstehen und kann sich damit die Führung eines Degens nicht vereinbaren. Da man aber einst die Frauenstimmen vom öffentlichen Auftreten schied, so sangen Männer, durch eine besondere Stimmbildung erzogen, sowohl den Discant, als den Alt und traten auch in Frauenrollen auf der Bühne auf. Die dort angezogene Geburtszahl 1665 ist nur im Kopfe Fétis’[WS 2] entsprungen und hat keineswegs irgend welche glaubwürdige Berechtigung. Jede Muthmaßung ist bis jetzt noch ausgeschlossen. Aus den von Chrysander mitgetheilten Actenstücken und den dort aufgeführten Opern ist es ersichtlich, daß er in des Herzogs Diensten blieb, der ihn auch, wie Walther weiter berichtet, im Jahre 1701 zur weiteren Ausbildung nach Italien schickte; daß er darauf von 1702–1707 in fürstlich Meiningenschen Diensten stand, müssen wir auf Walther’s Wort glauben. Da der damals regierende Herzog Bernhard von Meiningen († 1706)[WS 3] mit Herzog Anton Ulrich’s von Braunschweig Tochter Elisabeth vermählt war, und da es einst ganz gebräuchlich unter den Fürstenhäusern war, sich gegenseitig auf Borg mit Sängern auszuhelfen, so lange man sie nicht unbedingt selbst bedurfte, so ist diese Angabe nicht ohne weiteres abzuweisen. Besondere Glaubwürdigkeit erhält dieselbe noch dadurch, daß Schürmann’s Name in dem Verzeichnisse der in Braunschweig aufgeführten Opern erst mit dem Jahre 1708 auftritt und zwar mit der Festoper „Der erfreuten Ocker-Schäfer angestelltes Fest über Ihrer Majestät der Königin Elisabeth Christina von Spanien, geb. Herzogin von Braunschweig, [95] glückliche Ankunft in Barcellona und des darauf vollzogenen königlichen Beilagers mit Ihrer kathol. Maj. Carl dem Dritten, König von Hispanien und beider Indien, präsentiret auf dem großen Braunschw. Theater“. Nur das Textbuch findet sich in der Bibliothek in Wolfenbüttel. S. ist hier „hochfürstl. Braunschw. Lüneb. Capellmeister“ genannt, befindet sich aber auch unter den Sängern verzeichnet, welche in der Oper zu thun hatten. In dieser doppelten Eigenschaft treffen wir ihn noch im J. 1721, wo er in Hasse’s Oper Antioco den „Seleucus“ singt, während Hasse den Antiochus gibt. Daß dies in jener Zeit nichts Ungewöhnliches war, wissen wir aus Mattheson’s Schriften, der ebenfalls sehr oft als Sänger und Capellmeister am ersten Flügel beschäftigt war. So erzählt er z. B., als seine Oper Cleopatra gegeben wurde, spielte er den Antonius und dirigirte ihn auch, und als sich Antonius „wohl eine halbe Stunde vor dem Beschluß des Schauspiels entleibet“, wieder ins Orchester stieg und seine Oper weiter dirigiten wollte, wurde ihm dies von Händel, der indessen seinen Platz am Flügel eingenommen hatte, verweigert und es fand darauf jene ergötzliche Scene auf öffentlichem Markte statt, die in einem Zweikampfe endete. (Siehe Chrysander’s Händel-Biogr., I, 102.) S. war anfänglich nur vertretender Capellmeister, wann er die Stellung wirklich erhielt, ist nicht bekannt. Die Textbücher nennen ihn stets so, wie oben bereits beim Jahre 1708 verzeichnet ist. 1731 wurde dem Capelldirector, den wir jetzt Intendant nennen, und dem Capellmeister S. die alleinige Verwaltung des Theaters übertragen. Wie lange dies Verhältniß währte, läßt sich nicht nachweisen, doch etwas Ersprießliches konnte schon deshalb nicht geleistet werden, da das zahlende Publicum fehlte und die Ausgaben die Einnahmen um ein Bedeutendes überstiegen. 1735 scheint auch wieder das alte Verhältniß hergestellt worden zu sein, wo Intendant und Capellmeister wieder in dienstliche Abhängigkeit treten, denn Chrysander theilt S. 284 eine Eingabe Schürmann’s an das Hofmarschallamt mit, worin die Mitglieder nebst ihrem Gehalte verzeichnet sind. Hiernach empfing S. 500 Thlr. Gehalt, 12 Thlr. für Papier (wol Notenpapier) und zu jeder Messe aus der Chatulle noch 100 Thlr. K. H. Graun, der spätere Capellmeister am preußischen Hofe, war Vicecapellmeister. Mizler verzeichnet S. im 2. Bde., 3. Theil, S. 174 seiner Musikbibliothek noch 1741 als Capellmeister ebendort. Wann er gestorben, ist unbekannt. – Von Schürmann’s Compositionen ist trotz des Verlustes der meisten Werke immer noch so viel handschriftlich erhalten, denn gedruckt scheint von denselben nichts zu sein, daß wir von seinen Leistungen doch einen ungefähren Einblick erhalten. Von den zwanzig Opern, die in Braunschweig von 1700 bis 1734 aufgeführt wurden, haben sich drei vollständig erhalten und zwar „Die getreue Alceste“, 1719 aufgeführt, „Ludwig der Fromme“ 1726 und „Clelia“ von 1730. Die von 1719 und 1730 besitzt die königliche Bibliothek in Berlin, die andere Herr Prof. H. Sommer in Weimar, letztere erscheint 1891 im 17. Band der Publicationen der Gesellschaft für Musikforschung in Partitur und lag mir lange zur Einsicht vor, so daß ich sie durch und durch kenne. S. ist ein so eigenartiger Componist, daß er sich mit keinem anderen in Vergleich stellen läßt, auch sich an keine Richtung anlehnt. Man findet nichts von Scarlatti[WS 4] in ihm, obgleich er die Kunst ebenso hoch und edel auffaßt, wie derselbe, nichts von Händel, obgleich er ihm gleich steht, wenn nicht über ihm inbetreff der Opern und erst recht nichts von Keiser, trotzdem auch S. das Komische in der Kunst trefflich zu Gebote stand. S. besaß eine unerschöpfliche Quelle der Erfindung und war haushälterisch genug, nicht verschwenderisch damit umzugehen und den Zuhörer durch immer neue Motive zu blenden, sondern verstand mit geschickter Hand das kunstvoll gestaltete Motiv zu benützen und formenvollendet einen ganzen Satz daraus aufzubauen. Eine Eigenschaft, die er [96] nur mit seinem großen Zeitgenossen Seb. Bach gemein hatte, trotzdem sie im übrigen so verschieden waren und ihre Wege weit auseinander gingen: Der Eine vertiefte sich in das evangelisch christliche Mysterium, während der Andere seine Kunst in den Dienst der Welt auf der Bühne stellte. Doch auch einige geistliche Compositionen besitzt die königl. Bibliothek zu Berlin von ihm, es sind dies zwei Cantaten: „Es wird ein Stern aus Jacob aufgehen“ und „Pflüget ein Neues und säet nicht“. Letztere abgedruckt in M. f. M., 17. Band, Beilage: Cantaten 2. Theil, S. 89. Sie besteht aus Arien mit Instrumentation, Recitativen und einem Schlußchore mit Choral. Eins der Recitative ist mit Orchesterbegleitung und von vorzüglicher Wirkung. Die Arien, in einem edlen kirchlichen Stile gehalten, haben nichts von dem Schablonenhaften in der Form, nichts von dem breit Gezogenen, wie es in anderen Werken seiner Zeit bereits Gebrauch wurde, die gerade dadurch für uns so ungenießbar sind. Inhaltsvoll und in gedrängter Form athmen sie bei charakteristischer Themenbildung Innigkeit und Lebendigkeit im Ausdrucke. Das Recitativ ist vortrefflich declamirt und der vierstimmige Chor, mit kleinem damals gebräuchlichen Orchester von fünf Stimmen, ist eine Doppelfuge voll von Leben und Feuer; den Schlußchoral singt der Chor im einfachen vierstimmigen Satze, den das Orchester nur zweistimmig leicht figurirt. Aus seinen anderen Opern besitzt dieselbe Bibliothek noch einige Fragmente, die immerhin bedeutend genug sind, um sich ein Urtheil zu bilden, ferner eine weltliche Cantate: „Schönste Wangen, eure Pracht“, die mir aber unbekannt ist. Zu den zwei großen Meistern Bach und Händel kann man mit Recht S. als dritten im Bunde rechnen und wenn seine Bedeutung bisher nicht anerkannt wurde, so lag es nur daran, daß man seine Werke nicht kannte und er selbst zu seinen Lebzeiten am kleinen Fürstensitze nie über die Grenzen seines engen Wirkungskreises hinausgekommen ist. Nur in Hamburg schätzte man ihn, doch überwucherte dort gerade Reinhard Keiser jedes aufkeimende Talent, und mit ihm verschwand auch die Hamburger Oper, und doch stammen gerade die uns erhaltenen Opern Schürmann’s aus dem Nachlaß des Hamburger Operninventars.


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