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Artikel „Brachmann, Luise“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 157–159, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brachmann,_Luise&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 15:26 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 157–159 (Quelle).
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Brachmann: Karoline Luise B. wurde am 9. Februar 1777 in Rochlitz geboren, wo ihr Vater Kreissecretär war, der später in gleicher Eigenschaft nach Döbeln und Cölleda versetzt wurde und seit 1787 als Geleitscommissar des Thüringer Kreises in Weißenfels wohnte. Schon in ihrer Jugend zeigte Luise eine lebhafte Einbildungskraft, Schärfe der Beobachtung, Leichtigkeit der Auffassung und Treue des Gedächtnisses, und ihre hochgebildete Mutter, die Tochter eines Landgeistlichen, welche ihre Kinder in den wissenschaftlichen Gegenständen, namentlich in der französischen Sprache selbst unterrichtete, hatte an der geistigen Entwicklung ihrer Tochter die größte Freude. In Weißenfels vereinigten sich mehrere sehr günstige Umstände für die Weiterbildung Luisens, und besonders war es hier der Verkehr mit den Kindern des Freiherrn von Hardenberg, dem später unter dem Namen Novalis als Dichter bekannt gewordenen Sohne Friedrich und der talentvollen Tochter Sidonie, welcher nicht nur auf die Entfaltung ihrer Talente, sondern auch auf die Richtung ihres ganzen Wesens in Gefühl, Phantasie und Denkart überhaupt den allergrößten Einfluß ausübte. Schon in ihrem 13. Jahre begann Luise ihre Ideen und Gefühle in eine poetische Form zu kleiden, aber erst mehrere Jahre später wagte sie es, diese Versuche ihrem Freunde Novalis mitzutheilen, der, von ihrem Werthe innig erfreut, dieselben an Schiller übersandte; dieser nahm auch die „Gaben der Götter“ in seine „Horen“ (12. Stück) und vier andere Gedichte in seinen „Musenalmanach für 1798 und 1799“ auf und sprach der Dichterin gleichzeitig seine „angenehme Ueberraschung von der Erscheinung einer schönen und wahren poetischen Empfindung in mehreren ihrer Gedichte“ brieflich aus. So beglückend es nun für Luise war, sich so ehrenvoll von dem großen Meister der Dichtkunst in den Chor der Musen eingeführt zu sehen, so sehr unglücklich machte sie bald darauf ein Ereigniß ihres Lebens, das sie sogar auf Selbstmordgedanken hinführte. Während eines Besuchs bei ihrem Bruder in Dresden (1800) erfuhr sie nämlich infolge einer jugendlichen, aus Mangel an Welt- und Menschenkenntniß begangenen Unvorsichtigkeit eine so tiefe Verletzung ihres Ehrgefühls, daß sie, nach Weißenfels zurückgekehrt, in Schwermuth und in ein Nervenfieber verfiel und sich, kaum halb genesen, am 7. September 1800 von einem zwei Stockwerk hohen Gange im Hause ihres Vaters vor dessen Augen in den Hof hinabstürzte. Ein vorspringendes Dach brach die Gewalt des Sturzes und rettete ihr Leben. Neue Schmerzen brachte ihr der Tod theurer [158] Freunde und Angehörigen: sie verlor in kurzer Zeit nach einander ihren Freund Novalis (1801), dessen Schwester Sidonie, die ihr stets die treueste Freundin gewesen war, dann ihre eigene Schwester Amalie, 1802 ihre Mutter und 1804 auch ihren Vater, und nun gesellte sich zu allen seelischen Leiden noch die Sorge um des Lebens Nahrung und Nothdurft, da sie ohne Vermögen einsam in der Welt dastand. Sie beschloß nun, sich der Schriftstellerei zu widmen, und sowol Schiller, den sie in Weimar noch 1803 persönlich kennen gelernt hatte, wie auch Sophie Mereau und Brentano, mit denen sie im Hause des Professors Schütz in Jena bekannt geworden war, suchten ihr soviel als möglich die Wege zu ebnen. Aber der pecuniäre Gewinn blieb doch nur mäßig, selbst dann, als sie durch die Menge der Production den Ertrag der einzelnen zu verstärken bemüht war, und die Sorge schien nicht von ihrer Schwelle zu weichen. Dabei überließ sie sich nur allzuleicht leidenschaftlichen Stimmungen und unglücklichen Herzensneigungen, die ihre Einbildungskraft tragisch exaltirten. So erglühte sie 1806 in hoffnungsloser Liebe für einen schon verheiratheten französischen Wundarzt, und alle vernünftigen Vorstellungen ihrer Freunde, selbst ihres Bruders, konnten diese unglückliche Leidenschaft nicht besiegen. Und kaum hatte sie, namentlich durch den geistreichen und belebenden Umgang mit Müllner ihr seelisches Gleichgewicht wiedergefunden, so stürzte sie die Begeisterung für die jugendlichen französischen Helden, die sie 1812–13 auf den Truppendurchmärschen kennen lernte, in neue grausame Enttäuschung. Der Tod eines in der Schlacht bei Leipzig gebliebenen französischen Officiers, eines gebornen Spaniers, steigerte ihre Seelenstimmung bis zum Wahnsinn, und sie hätte ihren Entschluß, dem Beispiele Ottiliens in Goethe’s Wahlverwandtschaften zu folgen, wol ausgeführt, wenn es nicht der energischen Entschlossenheit ihres weisen Freundes, des Superintendenten Schmidt gelungen wäre, sie zum Leben zu zwingen. Sie flüchtete nun wieder zu den Musen und lieferte zahlreiche novellistische Arbeiten für die gelesensten Zeitschriften damaliger Zeit (Becker’s Taschenbuch, Kind’s Harfe, Taschenbuch der Liebe und Freundschaft, Urania, Aglaja u. A.). Im J. 1820 machte sie, die Dreiundvierzigjährige, in Weißenfels die Bekanntschaft eines 25jährigen, wegen Verwundung pensionirten preußischen Officiers, mit dem sie sich verlobte, nachdem sie kurz vorher die Hand eines älteren Mannes ausgeschlagen hatte. Ihr Verlobter wollte sich der Bühne widmen. In Weimar hatte er bei seinem Auftreten nicht sonderlich gefallen; er ging nun nach Wien, um am dortigen Hoftheater eine Stellung zu erlangen, und Luise begleitete ihn, bestritt auch selbst die Kosten der Reise. Trotz aller Theilnahme, die sie in Wien bei Friedrich Schlegel, Grillparzer, Castelli und Karoline Pichler fand, konnte sie doch kein Engagement für ihren Verlobten erlangen, und enttäuscht kehrte sie über Dresden nach Weißenfels zurück. Die Verlobung wurde bald darauf brieflich gelöst. Scheinbar ruhig und gefaßt verkehrte sie in der Folge mit ihren Freunden, und diese ahnten nicht, daß nur zu bald ein neuer, ihr Leben so schrecklich endender Ausbruch eines Sturmes ihrer Seele folgen sollte. In den letzten Tagen des August 1822 rückten preußische Truppen in die Stadt und deren Umgegend zu Uebungen ein. „Sei es nun“, erzählt ihr Biograph Müllner, „daß dieses Bild des Kriegs in ihr Erinnerungen an eine mehrjährige Vergangenheit und die damaligen Empfindungen ihres Herzens erweckte, oder daß eben in diesem geräuschvollen Zeitpunkte ihr Herz einen neuen lebhaften Eindruck empfangen hatte, dessen Gegenstand sie, als ihrer unwürdig, fliehen zu müssen glaubte, – genug, sie verließ in den ersten Tagen des September ihren Wohnort und reiste nach Halle, wo sie am 4. September ankam“ und bei ihrer Freundin, Frau Professor Händel-Schütz, Wohnung nahm. Am [159] 9. September Abends verließ sie heimlich dieselbe, vermuthlich in der „Absicht sich zu ertränken; denn händeringend und in die Saale hinabstierend, wurde sie von Passanten getroffen und angehalten. Nachdem man sie erkannt und freigegeben, fand sie in den Familien des Prof. Schütz und danach des Prof. Schilling liebevolle Pflege. Am Abend des 17. September entfernte sie sich unbemerkt von dort und blieb zunächst verschwunden; mehrere zurückgelassene Zettel deuteten auf die Absicht zu sterben, „nicht aus Ungeduld, eine Verbindung zu schließen“, aber voll Besorgniß, daß man sie „wegen einer unbegreiflichen Handlung des Wahnsinnes, der Verzweiflung“ verkennen möchte. Erst am 24. September wurde ihr Leichnam, bis zur Unkenntlichkeit zerstört, in einem Arme der Saale aufgefunden. An den Kleidern erkannte ihre Freundin Sophie Händel-Schütz die Unglückliche, die „ihr brennendes Herz in kalter Fluth gelöscht“. In aller Stille wurde Luise auf dem Halleschen Kirchhof beerdigt.

Luise Brachmann’s Stärke liegt auf dem Gebiete der lyrischen Dichtkunst, und diese war ihr Beruf („Lyrische Gedichte“, 1808; „Romantische Blüthen“, 1817; „Romantische Blätter“, 1823). „Tiefe Innigkeit und Zartheit der Empfindung, edle Begeisterung für sittliche Schönheit, feiner Sinn für Harmonie und Ebenmaß, verbunden mit einer wenn auch nicht reichen, doch blühenden Phantasie, setzten sie in den Stand, ihren Gedichten jenes lebhaft Ergreifende oder sanft Anziehende und Gewinnende zu geben, wodurch sie soviel Beifall und Theilnahme bei verwandten Seelen erwerben mußte. Dagegen fehlt es ihr ganz an einer sichern, festen, selbständigen Weltanschauung, an dem Talent, aus sich selbst herauszugehen und sich gleichsam in dem Gegenstande, den sie bilden wollte, zu verlieren, sowie an jener heitern Ruhe des Geistes, ohne welche keine objektive Gestaltung gelingen kann“. Dies gilt namentlich von ihrem Rittergedicht „Das Gottesurtheil“ (1818) und mehr oder weniger auch von ihren novellistischen Arbeiten („Novellen“, 1819; „Schilderungen aus der Wirklichkeit“, 1820; „Novellen und kleine Romane“, 1822). Eine Gesammtausgabe ihrer „Auserlesenen Dichtungen“ veranstaltete K. J. Schütz (II, 1824) und ihrer „Auserlesenen Erzählungen und Novellen“ K. L. Methusal. Müller (IV, 1825–26).

Schindel, Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhdrts. Leipzig 1825. Bd. III, S. 22 ff. (dort sind auch weitere Quellen aufgeführt). – Ignaz Hub, Deutschlands Balladen- und Romanzendichter. Würzburg 1864. Bd. I, S. 318 ff.