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Artikel „Baum, Wilhelm“ von Georg Fischer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 250–254, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Baum,_Wilhelm_(Chirurg)&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 12:29 Uhr UTC)
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Baum: Wilhelm B., Professor der Chirurgie in Göttingen, wurde am 10. November 1799 in Elbing geboren. Sein Vater, ein reicher Kaufmann und Stadtrath, war ein Mann von großer Verstandesschärfe und regem Interesse für Malerei; die Mutter, eine Französin, vererbte auf ihren Sohn ein lebhaftes Blut. Auf dem Gymnasium in Elbing wurde in B. besonders die Neigung zu den alten Sprachen und classischem Alterthum geweckt. 1818 bezog er die Universität Königsberg, wo er sein Jahr abdiente und neben dem Studium der Medicin auch in das philologische Seminar eintrat. Er lernte hier den später so berühmt gewordenen Berliner Chirurgen Dieffenbach kennen, welcher als stud. theol. von Greifswald relegirt, in Königsberg Senior der Burschenschaft wurde, in welche auch B. eintrat. Von 1819 bis 1822 studirte er in Göttingen, hörte Chirurgie bei C. M. Langenbeck, innere Medicin bei Himly und Geburtshülfe bei Osiander. Besonders imponirte ihm, wie jedem Studenten, Langenbeck mit seinem beflügelten Messer. Auch hier trat er wieder dem philologischen Seminar bei. Nach 2½jährigem Aufenthalt in Göttingen machte er in Berlin sein Doctorexamen (Juli 1822). Ein Fall von Epispadie aus Himly’s Klinik, nebst einem zweiten von Rudolphi in Berlin wurde zur Dissertation benutzt: „De urethrae virilis fissuris congenitis speciatim vero de epispadia“. Dieselbe war mit drei Stahlstichen nach eigener Zeichnung versehen und enthielt unter Zusammenstellung der in der Litteratur bekannten Fälle die Geschichte dieses Leidens. B. wohnte nun ein Jahr lang als freiwilliger Assistent in der chirurgischen Universitätsklinik von Graefe in Berlin und machte 1823 das Staatsexamen. Die Eltern waren in dieser Zeit gestorben. Seine materielle Lage war so günstig, daß es ihn nicht zur Ausübung der Praxis drängte. 3½ Jahre lang, von Anfang 1824 bis Herbst 1827, war er zur weiteren Ausbildung im Auslande. Zunächst kurze Zeit in Wien, dann fast ein Jahr in Italien, wo er Medicin und Chirurgie an den Haken hing und nur in Malerei und Architektur lebte; sogar in dem Versteck der kleineren Orte spürte er die bedeutenden Gemälde auf und sammelte Kupferstiche. Dort lernte er den Dr. med. Ph. Seifert aus Greifswald kennen, welcher später in sein Lebensschicksal entscheidend eingreifen sollte. Im Sommer 1825 war er in Paris, wo er die Kliniken und Vorlesungen von Dupuytren, Larrey, Cruveilhier u. A. besuchte und seine freie Zeit den Kunstsammlungen und Theatern widmete. Mit Dr. med. Spieß aus Frankfurt a. M., welcher einer seiner intimsten Freunde wurde, ging er im September 1825 nach London. Die englische Chirurgie überragte damals die aller übrigen Länder; ein großartiger Stil durchzog ihre wissenschaftliche Forschung, classisch war die litterarische Darstellung, vornehm ihre Vertreter. Männer wie Astley Cooper und Brodie waren gottbegnadete Chirurgen. Auch Edinburgh und Dublin wurden von den beiden jungen Aerzten in die Reise einbegriffen. Hochbegeistert von der englischen Chirurgie kehrte B., welcher nunmehr neun Jahre lang studirt hatte, im Herbst 1827 von England nach Berlin zurück, um sich als praktischer Arzt niederzulassen. Er fand seinen Duzfreund Dieffenbach an der Charité wieder, welchem er gelegentlich bei Operationen half, und wurde von Rust, dem Professor der Chirurgie an diesem Krankenhause, als Hülfsarbeiter ins Ministerium gebracht; auf wie lange Zeit, ist unbekannt. Der französischen, englischen und italienischen Sprache mächtig, talentvoll und formgewandt, wurde es ihm leicht, in den besten wissenschaftlichen und künstlerischen Kreisen Berlins aufgenommen zu werden. 1830 verheirathete er sich mit Marie Günther, Tochter des Oberbaudirectors in Berlin. – Unterstützt durch Connexionen von zwei älteren, als Großkaufleute in Danzig lebenden Brüdern erhielt B. 1880 die Stelle des Oberarztes am Stadtkrankenhause in Danzig, wo er außer der chirurgischen auch die medicinische [251] Abtheilung übernehmen mußte. Als im folgenden Jahre dort zuerst in Deutschland die Cholera mit großer Heftigkeit auftrat, fand er Gelegenheit seine Energie und Humanität sowol dem Publicum als den Behörden gegenüber in vollem Lichte zu zeigen. Zum Studium dieser Krankheit waren Commissionen aus verschiedenen Ländern nach dort geschickt, und Baum’s Name wurde sehr bekannt. Die Danziger brachten ihm eine fast übernatürliche Verehrung entgegen; er blieb ihnen zwölf Jahre lang treu. Durchdrungen von dem hohen Werth der pathologischen Anatomie und des Mikroscops secirte er alle Leichen im Krankenhause, was damals noch außergewöhnlich war. Er fand am lebenden Menschen an einem extrahirten Nasenpolypen die Flimmerbewegung, über deren gemeinschaftliche Versuche der damalige Hebammenlehrer in Danzig, C. Th. v. Siebold (nachher Professor der Zoologie) 1836 berichtet hat. Später entdeckte B. auch die Flimmerepithelien an den Polypen des äußeren Gehörgangs (Naturforscherversammlung in Aachen 1847) und stellte Versuche über die Koropterlinie im Auge an. Von Danzig reiste er nach Paris (1841), um bei Civiale und Leroy d’Etiolles die neue Methode der Lithotripsie kennen zu lernen.

Auf Veranlassung seines Freundes Seifert, welcher in Greifswald Professor der Arzneimittellehre geworden war, wurde B. 1842 als ordentlicher Professor der Chirurgie nach Greifswald berufen; einen gleichzeitigen Ruf nach Erlangen schlug er aus. B. war damals 43 Jahre alt und hatte noch nie auf dem Katheder gestanden. Mit reichem Wissen, beladen mit Büchern und Abbildungen trat er in die Vorlesung, nachdem er vor jedem Abschnitt erst das Capitel aus A. G. Richter’s Chirurgie durchgelesen hatte. Der praktische Unterricht wurde an den 20 Betten der Klinik, zum größeren Theile aber in den Häusern der armen Stadtkranken abgehalten, wobei B. mit seinen Studenten von Haus zu Haus lief; langsam gehen hat er überhaupt nie gelernt. Nebenbei hatte er eine große Hauspraxis, auch auf dem Lande, was mit vielen Strapazen verbunden war. Dabei stets offenes Haus für Collegen und Studenten. Sein Wissensdrang führte ihn zwischendurch nach Berlin zu Schönlein und Dieffenbach, dann mehrere Monate nach Wien, um bei Rokitansky pathologische Anatomie und bei Skoda Percussion und Auscultation zu treiben. Wie sehr man ihn in Berlin zu schätzen wußte, geht daraus hervor, daß nach dem Tode Dieffenbach’s (1847) eine Reihe angesehener Berliner Aerzte eine Petition an das Ministerium richtete, B. als Nachfolger zu ernennen. Auch wurde er im Winter 1848/49 auf mehrere Monate nach Berlin berufen, um über die Organisation des neu gegründeten Diakonissenhauses Bethanien seinen Rath zu ertheilen. Man hatte ihn bei seinem kirchlichen Sinn für die Leitung der Anstalt ins Auge gefaßt; allein er lehnte ab, da er es nicht durchsetzen konnte, daß die Oberin des Hauses dem Oberarzte untergeordnet und das Krankenhaus, wenn auch in beschränkter Weise, dem Unterricht eröffnet werde. – Als an Dieffenbach’s Stelle Bernh. Langenbeck aus Kiel trat, erhielt er nach dort und zugleich nach Göttingen einen Ruf, wo C. M. Langenbeck auf Wunsch der Regierung den Lehrstuhl für Chirurgie niederlegte und auf die Anatomie beschränkt blieb. Daß man für Göttingen von dem Hannoveraner L. Stromeyer, dem damals schon berühmten Professor der Chirurgie in Freiburg, Abstand nahm, soll auf dem Wunsch beruht haben, in die Facultät einen verträglichen Collegen zu bekommen, welcher auf den alten Langenbeck die nöthige Rücksicht nahm. Stromeyer selbst vermuthete, daß der König ihn nicht gewollt habe, weil er dessen Dienst verlassen hatte. B. siedelte im Frühjahr 1849 nach Göttingen über. Ein neues Hospital war nach dem Vorbilde des Stadthannoverschen Krankenhauses in Linden im Bau, aus Rücksicht auf Langenbeck auf einem ganz [252] versumpften Untergrund, und wurde 1851 eingeweiht. Der 50jährige, litterarisch ganz unbekannte B. trat in einen Kreis hochberühmter Männer und hatte die Charakterstärke, öffentlich zu zeigen, daß er von ihnen lernen könne. In den beiden ersten Jahren saß er als ordentlicher Professor mit den Studenten auf der Schulbank in den Vorlesungen des Physiologen Rud. Wagner, des Chemikers Wöhler und des Physikers Wilh. Weber. Um bei Listing Optik zu hören, ermöglichte er das Zustandekommen dieses Collegs. Als Ruete nach Leipzig ging (1855), übernahm B. auch die Augenheilkunde, und wurde wiederum zum Schüler, um sich von dem jungen Albr. v. Graefe in Berlin in die Fortschritte der Ophthalmologie einführen zu lassen. 1867 gab er die Augenkranken an Schweigger ab. Von Göttingen aus nahm er fast regelmäßig an den Versammlungen der Naturforscher und seit 1872 an denen der neugebildeten Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin theil, wo er die Idee anregte, daß die Gesellschaft ein eigenes Haus für Sitzungen und Bibliothek erhalte. Er wurde 1875 pensionirt. 80 Jahre alt, suchte er, wie er mir schrieb, „seine Lebensarbeit in einer deutschen Uebersetzung des Galen, die schon über die Hälfte vollendet ist, eine Arbeit von fünf Jahren; möchte ich die Untersuchung zu Ende führen können“. Noch immer nahm er als Greis mit der Begeisterung eines Jünglings lebhaften Antheil an den Fortschritten der Wissenschaft, las das Centralblatt für Chirurgie und erhielt sich in voller geistiger Frische; seine Handschrift blieb fest. Vereinsamt, aber frei von den Gebrechen des Alters starb B. am 6. September 1883 in Göttingen nach kaum überstandener Lungenentzündung an Altersschwäche, 84 Jahre alt. Außer zwei Töchtern hatte er einen Sohn (Wilhelm), welcher als tüchtiger Chirurg das Stadtkrankenhaus in Danzig leitete.

B. nahm durch sein distinguirtes Aeußere sogleich für sich ein. Der Kopf, in der Regel etwas zur Seite gewendet, war fein geschnitten, die Gesichtszüge edel und das Auge freundlich und geistig belebt. B. war religiös. Ohne sich mit Politik zu befassen, war er patriotisch gesinnt. Er erfreute sich Abends im Familienkreise an der Musik, rauchte nicht und trank keinen Wein. Er ist 45 Jahre lang Hospitalchirurg, darunter 33 Jahre Lehrer gewesen und hat außer seiner Dissertation und einer Vorrede zu Seifert’s Materia medica nach dessen Tode selbst nichts drucken lassen. Ein Bericht von ihm über Weichselzopf wurde amtlich veröffentlicht (1843), und Bemerkungen über „Störungen des Blutlaufes durch Halsrippen“ sind in meine Arbeit über die Krankheiten des Halses in Pitha-Billroth’s Handbuch, resp. in die „Deutsche Chirurgie“ aufgenommen. Dieser Mangel an Productionskraft mag zum Theil in seinem Entwicklungsgang begründet liegen. Während eines neunjährigen Studiums hatte B. nur das Bedürfniß gehabt, Wissenschaft in sich aufzunehmen und dabei überall Blumen der Kunst zu pflücken. Dann folgten zwölf Jahre in Danzig mit gleichzeitiger Behandlung medicinischer Hospitalkranken und einer großen Hauspraxis. Damit war die Zeit der vollen Jugendkraft verstrichen, ohne daß er sich streng daran gemacht hatte, die eine oder andere naturwissenschaftliche Methode beherrschen zu lernen und sich voll und ganz auf die Chirurgie zu concentriren. Was dann im Beginn der akademischen Carrière dem 43jährigen Professor, der noch immer die Hauspraxis beibehielt, an Durchbildung in den Hülfsfächern fehlte, war zeitlebens nicht mehr nachzuholen, und deshalb blieb B. hinter seinen Fachcollegen, welche die moderne deutsche Chirurgie ins Leben riefen, zurück. Statt dessen entwickelte sich sein Talent für Reception in eminenter Weise. Alles Neue regte ihn an, überall suchte er Belehrung, gleichviel von Alt oder Jung; er las fortwährend, von frühem Morgen an. Aber auf dieses reich angesammelte Wissen weiter zu bauen, nachzugrübeln, daraus neue [253] Gedanken zu entwickeln, war ihm versagt; es betrübte ihn auch nicht. Seine Kenntnisse der Litteratur und Geschichte der Chirurgie waren phänomenal; er gelangte dabei u. a. zu der Ansicht, daß der Eintritt Deutschlands in den großen Fortschritt der Chirurgie von Schreger an mit dessen Beobachtungen über die subcutanen Schleimbeutel (1825) datire. B. besaß wol die größeste chirurgische Privatbibliothek in Deutschland und stellte diesen Bücherschatz mit seinen reichen Erfahrungen Schülern und Fachgenossen von nah und fern verschwenderisch zur Verfügung. Durch diese stille Wirksamkeit hat er sich um die Entwicklung der Wissenschaft verdient gemacht und dafür einen besonderen Dank von Prof. Roser in Marburg in der Vorrede seines Handbuchs der anatomischen Chirurgie geerntet (1859). Sein Wunsch, die Bibliothek in den Besitz der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie übergehen zu lassen, scheiterte an der Platzfrage. – B. las über allgemeine und specielle Chirurgie, Fracturen und Luxationen (publicum), Operationslehre, Augenheilkunde und in den 60er Jahren über Geschichte der Chirurgie; auch hielt er Operationscurse ab. In seinen Vorlesungen, wo, wie üblich, nachgeschrieben wurde, war die Gelehrsamkeit vorherrschend; von Hippocrates an wurden die Ansichten aller berühmten Chirurgen wiedergegeben. Dadurch, wie durch sprunghaften Vortrag büßte das entworfene Bild an Klarheit ein. Von großer Lebhaftigkeit war B. in der Klinik und beschäftigte sich eingehend mit den Studenten. Eine gewisse Hast zeigte sich bei den Operationen. Aus seiner Jugend, wo man keine Narkose kannte, war eine Unruhe zurückgeblieben, so daß er kaum die nothwendige Zeit zur Betäubung abwarten konnte und seine Assistenten hetzte; dieselben hatten ihre Noth, ihn zufrieden zu stellen.

Was hatte nun vier Universitäten veranlassen können, an B. eine Berufung ergehen zu lassen? Das war seine Idealität! Eine solche Begeisterung für die Wissenschaft, ein so unbegrenztes Streben bis ins hohe Alter, wie B. an den Tag legte, war selten; darin war er unerreicht, von Niemand übertroffen. Er packte die Jugend und riß sie durch die Macht seiner Persönlichkeit an sich. Mit seinem universellen Wissen und einer feinen Bildung, gegenüber der Einseitigkeit mancher Collegen, mit seiner hinreißeuden Liebenswürdigkeit ging ein Zauber von ihm aus, sodaß eine große Reihe von Schülern und Kranken mit schwärmerischer Verehrung an dem alten Vater Baum hingen. Wer sich von der Universität her eine wissenschaftliche Begeisterung ins spätere Leben hinübergerettet hatte, also das Beste, was ein Lehrer mitgeben kann, wird in erster Linie B. dafür zu danken haben. Einer der größten Chirurgen seiner Zeit, Theod. Billroth bekannte, daß B. der Erste gewesen sei, welcher den Funken der Begeisterung für das Erhabene und Große in der Wissenschaft in seine noch schwankende Seele geworfen und daß er bei ihm auch gesehen habe, daß es möglich sei, Wissenschaft und Kunst vereint zu bewältigen. Gegenüber diesen Lichtseiten fehlte es in vorgerückten Jahren nicht an Schatten. Man hätte erwarten sollen, daß B., da er nichts schrieb, um so mehr mit dem Wort für die Wissenschaft eingetreten wäre. Allein im Gegensatz zu seiner scharfen Kritik in Briefen schwang er sich in den vielen von ihm besuchten Versammlungen nie zu einem öffentlichen Vortrage auf und betheiligte sich nur selten an der Discussion, wenn auch immer voll von Anregung und Theilnahme. Ihm fehlte der freie Mannesmuth. Er hatte Scheu vor Collegen, welche ihm übelgesinnt waren, schwieg lieber, um Niemand eine Ungelegenheit zu machen und wollte es mit Keinem verderben, ließ sich daher leicht zu Schmeicheleien verleiten. Diese Glätte, vereint mit einem allzu häufigen Hervortreten religiöser Anschauungen und Betonen moralischer Würde hat Manchen abgestoßen. Dazu gesellte sich ein oft blitzartiger Wechsel im Temperament, ein fast willenloses [254] Sich-hingeben in Stimmungen, sodaß er Kranke und Schüler in dem einen Augenblick tief verletzen konnte und im anderen, um Entschuldigung bittend, sie umarmte und küßte. Dadurch konnte man irre geführt werden, was an ihm echt, was unecht war. Beim Hervorheben dieser Schwächen wird man jedoch mit noch lauterer Stimme hinzufügen müssen, daß Schicksalsschläge am häuslichen Herde mit voller Wucht auf den Charakter eines Menschen einwirken können. Und doch war der Kern seiner Seele wahr; er wußte, daß in früherer Zeit die Chirurgen den Pfad der Wahrheit oft verlassen hatten, daß selbst sein Freund Dieffenbach nicht gern von seinen Unglücksfällen sprach. Als ich als Assistent bei einer fluctuirenden, pulsirenden Geschwulst am unteren Ende des Oberschenkels ihn zunächst von einem Einschnitt zurückgehalten und die Diagnose auf Markschwamm gestellt hatte, während er ein Aneurysma der Art. poplitea annahm und die Femoralis unterband, wurde er nicht müde, in der Klinik immer wieder hervorzuheben, daß seine Diagnose unrichtig gewesen sei. Der zu seiner Zeit für Hospitalhygiene noch darniederliegende Sinn fehlte auch ihm; die Reinlichkeit ließ zu wünschen übrig. Sein Verhältniß zu den Assistenten wich von demjenigen an modernen Kliniken ab. Lehrer konnte er aus ihnen nicht bilden, da er selbst zu spät in die akademische Carrière eingetreten war und sich an den Detailforschungen nicht betheiligte. Er gewährte ihnen zu wenig Selbständigkeit: selten überließ er ihnen das Messer, ließ u. a. Nachts frisch aufgenommene Armluxationen vor sein Bett zur Einrenkung bringen, kam Nachts, von einer Reise zurückgekehrt, direct ins Spital, um bei einer operirten Hasenscharte die umschlungene Naht zu entfernen. Im Verhältniß zu seiner langen Lehrthätigkeit ist die Zahl der von ihm veranlaßten Arbeiten eine geringe geblieben; dann aber war er auch unermüdlich, seine Schüler mit Rath und Litteratur zu unterstützen, wobei er großen Werth darauf legte, daß stets nach Originalschriften und nicht nach Citaten gearbeitet wurde. Als Baum’s Schüler nennt Billroth sich selbst (nach den beiden ersten Studienjahren in Göttingen), Lohmeyer und mich. Mittheilungen aus seiner Klinik sind von seinem Sohn, Saxer, Scholz, Prof. Krause, J. Rosenbach, Schröder, Stubenrauch, Isermeyer und mir veröffentlicht. – Baum’s Verdienst ist es, als einer der ersten in Deutschland den Luftröhrenschnitt bei Croup gemacht zu haben (im J. 1848 in Greifswald fünf Fälle), zu einer Zeit, wo Dieffenbach diese Indication in seiner operativen Chirurgie nur obenhin erwähnte. B. ist seitdem ein entschiedener Verfechter dieser Operation gewesen, was häufig in Vergessenheit gerathen ist. Bei manchem Fortschritte der Chirurgie folgte er dem Entdecker gleichsam auf dem Fuße, wie bei Anwendung der Drainage, Digitalcompression und Flexion bei Aneurysmen, Injection von Eisenchlorid bei gewissen Aneurysmen, Behandlung der Elephantiasis arabum mittelst Ligatur der Hauptarterie, Tracheotomie bei strumöser Tracheostenose u. A. Aber durch eigene Forschung ist von ihm kein Fortschritt ausgegangen.

Ed. Rose, Nekrolog, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, Bd. 19. – Th. Billroth, Nekrolog, Archiv f. klin. Chirurgie, Bd. 30. – K. E. Hasse, Erinnerungen aus meinem Leben. Als Manuscript gedruckt. Braunschweig 1893.