Zum Gedächtnis meines Pathenkindes Lorenz Wilh. Friedr. August Kündinger

Textdaten
Autor: Wilhelm Löhe
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Titel: Zum Gedächtnis meines Pathenkindes Lorenz Wilh[elm] Friedr[ich] August Kündinger
Untertitel: geb[oren] den 25. Jan[uar] 1835, gest[orben] den 19. Sept[ember] 1849. Eine Predigt, gehalten zu Petersaurach am 23. September 1849
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Erscheinungsdatum: 1849
Verlag: Joh. Phil. Raw’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: Commons
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Zum
Gedächtnis
meines
Pathenkindes
Lorenz Wilh. Friedr. August
Kündinger,
geb. den 25. Jan. 1835,
gest. den 19. Sept. 1849.




Eine Predigt,
gehalten zu Petersaurach am 23. September 1849
von
W. Löhe,
luth. Pfarrer in Neuendettelsau.




Durch den Druck veröffentlicht von
dem trauernden Vater.




Nürnberg,
der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung
1849.


| Der Gott des Friedens, der aus den Todten ausgeführt hat den großen Hirten der Schafe, unsern HErrn JEsum, durchs Blut des ewigen Testamentes, der mache euch fertig, zu thun Seinen Willen, und schaffe in Euch, was vor Ihm gefällig ist, durch JEsum Christ, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! – Amen.

 Laßt uns beten! Vater unser – Amen.

 So lesen wir im Propheten Hosea Kap. 6, Vers 1. bis 4.

„Kommet, wir wollen wieder zum HErrn. Denn Er hat uns zerrißen, Er wird uns auch heilen; Er hat uns geschlagen, Er wird uns auch verbinden. Er macht uns lebendig nach zweien Tagen, Er wird uns am dritten Tage aufrichten, daß wir vor Ihm leben werden. Dann werden wir Acht drauf haben und fleißig sein, daß wir den HErrn erkennen. Denn Er wird hervorbrechen, wie die schöne Morgenröthe, und wird zu uns kommen, wie ein Regen, wie ein Spatregen, der das Land feuchtet. Wie will ich Dir so wohl thun, Ephraim! Wie will ich Dir so wohl thun, Juda!“




 Wir lesen diesen Text heute zum Andenken eines dieser Gemeinde zugehörigen früh verblühten Sohnes. Lorenz Wilhelm Friedrich August Kündinger, gewesener Schüler der I. Gymnasialklasse zu Ansbach, wurde geboren den 25. Januar| 1835, früh 3 Uhr. Sein Vater, Herr Johann Leonhard Kündinger, nunmehr Pfarrer dahier, war damals Pfarrer zu Unternesselbach bei Neustadt a/A. Seine Mutter ist Frau Sibylla Margaretha, geborene Sauer von Kraftshof. Am 6. Februar 1835 wurde der Knabe von seinem Vater getauft, und seine Taufpathen waren: 1. Herr Lorenz Kraußold, damals Pfarrer zu Aufsees, nunmehr zu Fürth, 2. der damalige Pfarrverweser bei St. Aegydien in Nürnberg, Wilhelm Löhe, nunmehr Pfarrer in Neuendettelsau: Die Stelle der Pathen vertrat Fräulein Caroline Ritter, Tochter des vormaligen königl. Rentbeamten Ritter in Fürth. August war das vierte Kind seiner Eltern und nach drei Mädchen der erste Sohn. Er war dem Leibe nach ein schwächliches Kind, gedieh aber unter sorgfältiger Wart’ und Pflege wohl und ließ bald dem Geiste nach gute Fähigkeiten wahrnehmen. Kaum fünf Jahre alt, genoß er bereits Elementarunterricht theils bei seinem Vater, theils bei dem damaligen Cantor von Unternesselbach und dem Schullehrer dahier. In einem Alter von 71/2 Jahren kam er in die Vorbereitungsschulen des Gymnasiums und der lateinischen Schulen zu Nürnberg und blieb daselbst 11/2 Jahre. Darauf wurde er in das Waisenhausinstitut zu Windsbach gebracht, wo er fünf Jahre lang den Unterricht empfieng und die lateinische Schule absolvirte. Im vorigen Jahre, eben um diese Zeit, wurde er nach vorgängiger Prüfung in die erste Gymnasialklasse zu Ansbach aufgenommen und brachte in derselben sein letztes Schul- und Lebensjahr zu. Schon im letzten Jahre seines Aufenthalts zu Windsbach hatte er den Confirmandenunterricht empfangen, und wurde sodann von seinem Vater dahier confirmiert und zum erstmaligen Abendmahlsgenuß zugelaßen. In den Osterferien dieses Jahrs gieng er zum dritten Male zu Gottes Tisch und zum viertmaligen Genuß begehrte er in diesen Herbstferien zu kommen. Zuvor sollte und wollte er noch eine kleine Reise zu Anverwandten in Deiningen bei Nördlingen| machen. Am 12. d. Mts. sollte er die Reise antreten und sein Vater wollte ihn bis Gunzenhausen begleiten. Zwei Tage vorher, am 10. d. Mts., war er in Ansbach, wo ein etwas älterer Freund, Heinrich Heindel von Altheim, eben auch in Ansbach, ihn einlud, mit ihm nach Altheim zu gehen. Er erholte sich dazu die Erlaubnis seiner Eltern, welche ihm dieselbe – nach vorgängiger Berathung – etwas ungern gaben. In Altheim am 13. d. Mts. angekommen, verlebte er etliche Tage in dem befreundeten Hause recht vergnügt bei Heindels Pflegevater, Herrn Pfarrer Senior Nürnberger. Am Dienstag, den 18. September, Vormittags gieng August mit Heinrich Heindel und einem zweiten anwesenden jungen Menschen, Namens Huber, von welchen dieser mit einer entlehnten Bauernflinte, jener mit einem alten Jagdgewehr seines Pflegevaters versehen war, in den Wald. August gieng als Zuschauer mit und die beiden andern schoßen ihre Gewehre ein paar Male auf Spatzen und dgl. ab. Nach Tisch schlug Heindel eine abermalige Jagdpartie vor. Er gieng mit seinem Gewehre in sein Zimmer, lud es daselbst, und da sein Ladstock nicht lang genug war, um die Ladung gehörig aufsetzen zu können, so trug er das Gewehr zu dem unten im Hausplatz stehenden Huber, nahm den Ladstock aus dessen längerer Flinte und pfropfte mit aller Gewalt noch einen Pfropf auf die Ladung hinauf. Huber hatte seine Flinte auch geladen, stellte sie aber an einen im Hausplatz befindlichen Schrank. Heindel nahm nun sein so stark geladenes Gewehr in der Richtung in die Hand, wie es die Soldaten beim Commando „fällt’s Gewehr“ zu nehmen pflegen, öffnete die Batterie, schüttete Pulver auf die Pfanne, nistelte noch eine Zeit lang an dem Stein herum, der durch das vormittägige Schießen stumpf geworden war, spannte den Hahn, suchte ihn wieder in die Ruhe zu setzen, kurz er machte sich immerzu mit dem geladenen Gewehr zu schaffen.
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 Während dessen war August nicht bei den beiden jungen| Leuten, sondern er war bei der Frau Pfarrerin in der Küche munter und ohne Ahnung dessen, was ihm bevorstand, mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Da hörte er auf einmal Heindels Zuruf, der ihn zur Jagd einlud. Er warf das Geräth beiseite, mit welchem er handierte, und sprang zur Küchenthüre. Kaum aber hatte er sie halb geöffnet, noch war die Klinke in der Hand, als er von einem unglückseligen Schuß getroffen wurde, der sich aus Heindels Flinte entlud. Mit dem Schrei: „Heinrich, du hast mich ja in die Brust geschoßen!“ wandte sich August zurück in die Küche, lief aber alsbald wieder heraus in den Hausplatz, um sich dem Herrn Pfarrer in die Arme zu werfen, der auf den Knall des Gewehrs und den Jammerruf Augusts aus dem Garten herbeigeeilt war. Die beiden Hände auf die Wunde legend und sich zusammenkrümmend rief August: „Ach Gott, Herr Pfarrer, Heinrich hat mich geschoßen, ich muß sterben! Ach Gott, helfen Sie, ich muß sterben!“ Herr Senior Nürnberger führte den todtwunden Knaben ins Wohnzimmer und öffnete ihm die Kleider, worauf ein Blutstrom aus der Wunde hervorstürzte.
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 Der schnell herbeigerufene Landarzt Arnold von Dottenheim verband die Wunde, bemerkte aber sogleich, daß noch ein Arzt herbeigerufen werden müße. Der bald darauf sich einstellende Dr. Hezel von Ipsheim untersuchte die Wunde und erklärte, daß die größte Gefahr vorhanden sei. Dr. Hezel instruirte den Landarzt Arnold, welcher auch alles nach Vorschrift besorgte. August saß viel, befand sich leidlich; doch war ihm die Gefahr nicht verborgen. Der selbst tieferregte Seelsorger, der ihn zu keinem Bösen, sondern zu gewohnter Lieb und Güte unter sein gastliches Dach aufgenommen hatte, handelte auch jetzt väterlich an dem Kranken und lenkte seine Gedanken auf die rechte Straße zum ewigen Leben. August bekannte auch seine Sünden, sein Auge suchte, wie gewis auch sein Herz, den Himmel, – sein Benehmen wurde weich und mild, sogar| sorgfältig für seine Umgebung – und im Gedächtnis der Seinigen steht manche Einzelheit unaustilgbar geschrieben, die tröstlich nachweist, daß Augusts letzte Stunden heilige, gesegnete Stunden waren.

 In der Nacht jedoch bemerkte man am Kranken ein schnelles Hinsinken der Lebenskräfte, und nach Mitternacht, gegen 4 Uhr hin verfiel er in ein Delirium, während dessen er ganz sanft die junge Seele in JEsu Hände übergab. Hier im Leibe hatte sie 14 Jahre, 7 Monate und 24 Tage gelebt.

 Als die Aerzte den Leichnam secirten, fanden sie die Todeswunde auf der rechten Seite, einen halben Zoll von der Herzgrube entfernt. Sie betrug den Durchmeßer eines halben Kronenthalers. Die 6. Rippe war durch den Schuß zerbrochen, die Splitter waren einwärts getrieben. Der Schußkanal erstreckte sich durch die untere Spitze des großen Lungenlappens, von da durchs Zwergfell und mündete in die darunter liegende Leber ein. Drei Zoll tief fand man 28 Hühnerschrote nebst den zwei Papierpfropfen. Die Entfernung, in welcher August beim Schuß von der Mündung des Feuergewehrs stand, betrug kaum drei Schritte; die Schrote konnten sich daher nicht auseinandertheilen und bildeten so den langen Schußkanal und die so tiefe Wunde. –

 Während die Aerzte die Section vornahmen, war Herr Senior Nürnberger nicht zu Hause. Er war bald nach erfolgtem Tode nach Petersaurach geeilt, um das bittere Geschäft, den Eltern Augusts eine solche Nachricht zu hinterbringen, zu vollführen. Die Eltern entschloßen sich, den Leichnam hieher bringen zu laßen, und die tiefbetrübte, sehnsuchtsvolle Mutter glaubte in der letzten Bemühung, die sie mit dem Begräbnis ihres Sohnes hätte, eine Art von Beruhigung zu finden. Als aber Herr Senior Nürnberger wieder zurück nach Altheim kam, ruhte Augusts Leichnam schon am Pfarrhaus, im kühlen Grabe. Die Umstände hatten eine schnelle Beerdigung erheischt – und| statt des Leichnams konnte die arme Mutter nichts empfangen, als das durchlöcherte Gewand ihres heißgeliebten Sohnes.




 Ist es möglich, meine Brüder, so trocknen wir die Thränen und wenden unsern Blick vom Grabe des früh dahingerafften Knaben zu unserm Text und unsre Gedanken auf den Weg zum heiligen Lande. Wir kehren dann vielleicht vom Texte mit Trost gewaffnet zum Unglücksfall zurück, den wir beweinen.

 Die Stämme des Volkes Israel wohnten zuerst im h. Lande unter Einem König. Aber um der Sünden willen des Königs Salomo geschah es, daß zehen Stämme sich vom Hause Davids losrißen und unter eigenen Königen lebten; der HErr aber bestätigte den Riß und Schaden Josephs. Die Könige Israels aber oder Ephraims – denn so heißt das Reich der zehen Stämme – waren gottlos. Sie sahen es nicht gerne, daß ihre Unterthanen sich zum Tempel in Jerusalem hielten, weil sie fürchteten, es möchte dadurch auch die Liebe zum Hause Davids wieder wachsen. Um ihr abgesondertes Reich behalten zu können, führten sie auch einen abgesonderten Gottesdienst ein, sie bauten Säulen zu Dan und Bethel und stellten Kälber auf die Säulen; zum Volk aber sprachen sie: „Es ist euch zu viel, daß ihr nach Jerusalem gehet; sehet hier eure Götter, die euch von Aegypten heraufführten.“ Es war nicht die Meinung der Könige Israel, daß die Kälber, ihrer Hände Werk, das Volk von Aegypten heraufgeführt haben sollten; aber sie erklärten die Kälber für Bilder des großen Gottes, der doch gesagt hatte: „Ihr sollt mir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen.“ Hiedurch machten sie Israel sündigen und aus der einen Sünde erwuchsen bald ihrer viele. Denn sie dienten bald nicht mehr den Kälbern allein, sondern allerlei Göttern, denen die Völker ringsum| huldigten. Gegen diese Sünden eiferten, seitdem sie aufgekommen waren, die Propheten des HErrn. Nicht schnell kamen die Strafen über das abfällige Volk, ein Prophet nach dem andern ließ seine warnende Stimme erschallen, zur Zeit aber Jerobeams II., des Königs von Israel, wurden der Propheten viele, durch deren zusammenhallenden Posaunenton das Volk von dem kommenden Verderben errettet werden sollte. Unter den vielen einer ist Hosea, aus welchem der Text genommen ist, den ich auch eingangs gelesen habe. Mächtig, vielfach straft er Israels schwere Sünden, – verkündigt er die nahenden Strafen. Das Reich soll verfallen, das Volk in ferne Gegenden weggeführt werden. In der Ferne sollen ihnen dann die Augen aufgehen und mit Jammer sollen sie dann ihre Verbannung nicht bloß aus dem lieben Land, sondern auch aus Jerusalems Nähe inne werden. Weil sie früher den HErrn in seinem Tempel nicht suchen mochten, so sollten sie ihn in der Verbannung nicht suchen können. Aus dem Schmerz des Heimwehs und der Entsagung soll aber dann auch eine Umkehr der Seelen zum HErrn entspringen und der HErr, – das ist die Weißagung Hosea’s, – wird ihnen dann mit reicher Gnade entgegen gehen.
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 Zur Zeit der Umkehr werden sie dann sagen, wie es V. 1. unseres Textes heißt: „Kommet, wir wollen wieder zum Herrn“, den wir verlaßen haben, von dem wir gewichen sind und haben uns an Kälber und andere Götzen ergeben. „Er hat uns zerrißen, Er hat uns geschlagen“ um unsrer Missethat willen; „Er wird uns aber auch heilen, Er wird uns auch verbinden,“ – Er wird nicht ewiglich zürnen, Er wird den schrecklichen Bann wieder von uns nehmen, der auf uns liegt und uns wieder erlösen von unsern Drängern und vor Sein Angesicht sammeln. – Solche Gedanken und Worte zeigt der h. Geist dem Propheten im Herzen und auf den Lippen des Volkes Israel, er zeigt sie aber nicht als nahe, sondern| es sind ferne, ferne Zeiten, wo das geschehen wird. Es wird aber dem Propheten noch mehr gezeigt, er empfängt eine Offenbarung über die zwei und drei großen Tage, welche man mit vollem Rechte als Wendetage der ganzen Zeit und der ganzen Welt, als Tage der größten Veränderung im Himmel und auf Erden bezeichnen kann. Ich meine die 2, 3 Tage vom Charfreitag bis zum Ostertage, wo die Sünde und Strafe beschloßen, eine vollkommene Genugthuung und Sühne geleistet und zu Wege gebracht und die Pforten ewiger Gnade und unvergänglichen Friedens geöffnet werden sollten. Von diesen Tagen redet der heilige Geist und durch ihn das Israel der Zukunft, das Hosea sieht, im 2. Verse: „Er macht uns lebendig nach zweien Tagen, Er wird uns am dritten Tage aufrichten, daß wir vor Ihm leben werden.“ Das ist geschehen und geschieht noch in Christo JEsu, die drei großen Tage seines Kampfes und Sieges sind für alle, die errettet werden, „Aufrichtung“ und „Leben.“ Von Christo heißt es: „Ist Einer gestorben, so sind sie alle gestorben“, – ja von Ihm sprechen wir: „Ist Einer im Leben, so sind sie alle im Leben“, wir sind mit Christo auferstanden, in Ihm leben wir alle. – Nach diesen großen Tagen, nicht vor ihnen, weißagt Hosea dem Volke Israel Licht und Heil. – Dann – in Tagen des neuen Testamentes, wird Israel seinen HErrn erkennen. „Dann werden wir Acht drauf haben und fleißig sein, daß wir den HErrn erkennen“, so spricht im Namen des Israels zukünftiger, noch nicht, auch jetzt noch nicht gekommener Tage, der Prophet Hosea V. 3. Und wenn sich die Augen öffnen werden, dann wird es Morgen sein und die Zeit ewiger Aernten wird nahe sein, wie die irdische Aernte vor der Thür ist, wenn der Spatregen kommt. Der HErr, der Erlöser seines Volkes, der treue Bräutigam, – er wird, wie der Text weiter sagt, „hervorbrechen wie die schöne Morgenröthe und wird zu uns kommen| wie ein Regen, wie ein Spatregen, der das Land feuchtet.“ – Eine herrliche Beschreibung der Gnade der letzten Zeit, wie sie über Israel triefen wird! Keine Ursache zu staunen, wenn der HErr nach Luthers Uebersetzung selbst wie verwundernd V. 4. ausruft: „Wie will ich dir so wohl thun, Ephraim! Wie will ich dir so wohl thun, Juda!“




 Ein Thema aller Propheten, ein unwiderleglicher Satz, für welchen die ganze Schrift einsteht, ist der Hauptgedanke, welchen der Prophet Hosea in der Geschichte der zehen Stämme nachweist. Wahr für alle Völker, die Gott erkannten, denen er sich geoffenbart hat, – wahr für alle Familien, für alle einzelnen Seelen im Alten, wie im Neuen Bunde, im Neuen, wie im Alten, – ja im Neuen mehr, als im Alten, ist der Satz vom Zusammenhang der Sünde mit der Strafe, der Strafe mit der Umkehr, der Umkehr mit der Gnade. – Auf eine jede Sünde folgt ihre Strafe, auf ein von Gott abgekehrtes Leben folgt eine Zeit der Ahndung und Bestrafung. Wer ungestört eine lange Zeit im Leichtsinn und in Sicherheit der Sünden zuwandelt, der kann sicher sein, daß der Wagen seines Unglücks nur deshalb langsam kommt, weil er schwer beladen ist. Kommt er, entlädt sich der Reichthum aller Bitterkeit, die Gott sendet, denn schlägt man die Hände übers Haupt zusammen, wundert sich des Gottes, der nichts unvergolten läßt, und ruft mit Weh und Thränen: „Sein Verweilen ist ein Eilen!“ Wohl dem, der sich seines Irrweges besinnt, ehe die Strafe kommt, damit er bereit ist, wenn sie kommt! Wohl dem, der nach den Wetterwolken fragt, so lang noch heiterer Himmel ist: er erschrickt dann weniger, wenn sie sich entladen, – und er findet dann auch leichter den Zusammenhang zwischen Strafe und Umkehr, wenn er den Zusammenhang von Sünd und| Strafe geglaubt und erkennt hat, ehe das Unglück kam. Ach, es ist nicht so gar leicht, meine Freunde, nicht so gar leicht, als es dem nüchternen, kühlen Verstande scheint, von der Strafe auf die göttliche Absicht unserer Umkehr den Schluß zu machen! Bricht die Strafe herein, ach, da wühlt das Menschenherz in seinem Elend und kommt nicht von der Stelle, – es gräbt im Thränenthal, wie wenn es eigensinniger Maßen Freudenquellen dem harten Boden abgewinnen wollte! Der Unglückliche faßt leichter den Gedanken: „Gott straft mich nun,“ als den: „Gott beßert mich nun.“ Gar leicht spricht er: „Gott zerschlägt mich, Gott zerreißt mich;“ und gar schwer lernt er das Herz erheben und sprechen: „Kommt, laßt uns zum HErrn gehen! Er hat uns zerrißen, Er wird uns auch heilen; Er hat uns geschlagen, Er wird uns auch verbinden!“ Und eben deshalb geht es dann auch so schwer, die Gottesgnade zu sehen, die trotz der Strafe bereit ist, und den himmlischen Apfel neben der göttlichen Ruthe. – Gehe zum HErrn, Unglücklicher! Wisch das thränenreiche Auge ab, daß du unumhüllten Blickes aufwärts und hinaus auf die ferneren Wege schauen kannst, die dir dein Gott eröffnet! Das Heil der zwei, drei Tage zwischen Charfreitag und Ostern ist lang gewonnen und ist Balsam für alles Unglück, welches über die Menschen kommen kann, verwandelt jede Strafe in heilsame, friedenreiche Züchtigung, wenn nur das Herz sich zu Gott kehrt und das Auge nicht verfinstert ist. Seit dem ersten Ostern der christlichen Kirche ist zwar nicht aufgehoben die uralte Satzung, daß dem Glück das Unglück, dem Sündenglück das Unglück der Strafe folgt; – daß Glück und Unglück wie Tag und Nacht, wie Körper und Schatten verbunden sind; aber es ist auch aufs Neue bestätigt die gleichfalls uralte Satzung, daß auf die Nacht der Tag wieder kommt, und auf den Trauertag der Freudentag, und auf die Strafe das göttliche Erbarmen. In Christo JEsu, der auf Golgatha gestorben und aus dem| Grab erstanden ist, gibt es Gnade um Gnade. Bei dem HErrn ist die Gnade und viel Erlösung bei Ihm! Er löst die Gefangenen und die Traurigen macht er fröhlich. Die Todten richtet er auf und macht sie lebendig in der Kraft der zwei, drei hochberühmten Tage, daß sie vor Ihm ewig leben. Die Hölle und den Tod und die Verwesung macht Er zu Schanden, – und wer Acht hat auf seine Wege, die noch nicht zu Ende sind, so lange wir leben, der erkennt Ihn, der sieht mit immer hellerem Auge, daß Er kommt, daß Sein Tag näher ist, als da wir’s anfiengen zu glauben. Die schöne Morgenröthe Seiner Ewigkeit leuchtet auf den Bergen – und verlischt nicht, wenn der Spatregen niederfällt, der Kraut und Unkraut der Welt zur Reife bringt. Vorwärts geht es, und wer an Ihm nicht irre wird, sondern an Ihn sich desto enger anschließt, je mehr er geschlagen wird, der freut sich, daß das Ende, das Ende kommt und die Stimme des ewigen Bräutigams: „Wie will ich dir so wohl thun, Ephraim! Wie will ich dir so wohl thun, Juda!“ erfrischt, erfreut, erneut und stärkt sein Herz. Aller Jammer löst sich auf in Sehnsucht nach dem Tage, der alles gut macht, alles Seufzen in den Ruf der Braut: „Komm bald, HErr Jesu!“




 Vielleicht aber billigt ihr doch meine Textwahl für diesen Fall nicht, liebe Freunde! Ihr misbilligt im allgemeinen nicht den wahren Gedanken vom Zusammenhang der Sünde mit dem Unglück, des Unglücks mit der Umkehr, der Umkehr mit der Gnade; aber vielleicht misbilligt ihr die Anwendung auf diesen Fall. „Ein schweres Unglück hat eine Familie betroffen, die im Christenthume steht, eine Pfarrersfamilie von unbescholtenem Wandel und Beispiel. Ist’s Strafe ihrer Sünde, was sie betrifft? Was hat sie gethan, daß an diesem Unglück der Zusammenhang von Sünde und Unglück nachgewiesen werden soll? Ist’s auch| wahr, daß Sünde und Unglück zusammenhängt, muß denn auch Unglück und Sünde allemal zusammenhängen?“ – Was wollen die, welche also mit mir rechten? Stehe ich außerhalb dieser Familie oder mitten in ihr? Wißt ihr beßer, was diese Seelen bewegt, als ich? Ich sage euch, hie ist keine Selbstgerechtigkeit, sondern eine Erfahrung, die vielleicht mancher von euch noch nicht gemacht hat, aber sie ist wahr und wer sie gemacht hat, sagt Amen. Die Erfahrung ist folgende: „Im Christenherzen weckt Unglück Buße – und wenn man auch nicht weiß, ob aus einer besondern Sünde das Unglück wuchs und aus welcher, so weiß man doch nie mehr, als am Tage des Unglücks, daß man von Sünde durchdrungen ist. Man legt sich in den Staub, man legt ab seinen Schmuck, alles Rühmen ab und aus der tiefsten Seele kommt als Wirkung des Unglücks ein unabweisbarer Gedanke: „Ja, ich bin ein Sünder und du, o HErr, bist gerecht!“ So ist’s – und so ist’s auch bei dieser trauernden Familie. Nicht eine Beschuldigung ist es, die ich auf sie bringe, sondern eine Offenbarung dessen, was in diesen trauernden Herzen lebt. In ihrem Namen und mit ihnen sprech ich’s aus: „Ja, der Text paßt! Ja, wir sind Sünder und Gott ist gerecht! Ihm allein die Ehre – und uns Thräne und Beschuldigung!“
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 Eine andere Frage ist freilich die, ob nicht der Jammer sehr, sehr groß ist – und ob, wenn diese Seelen sich zum HErrn kehren, auch wirklich schon jetzt die Gnade Gottes in dieser Führung zu erkennen ist? ob das Tröstende im Texte den Jammer und die Betrübnis zu überwinden vermag? – Ich weiß, meine Freunde, ich weiß, wie das Unglück thut und daß es oftmals wie ein Grabstein lastet, der nicht zu heben und zu bewegen ist! Nicht aus Mangel an Theilnahme, nicht aus einem starren Herzen, nicht aus Leichtsinn, sondern aus Anbetung eines ewigen Erlösers von aller Qual kommt meine Behauptung: „Ja, die Tröstung überwindet; ja, es ist Hoffnung vorhanden, daß meine| trauernden Freunde aus dem tiefgefühlten Unglück zur Anbetung, zum Lob und Danke geführt werden können!“ Man sehe nur das Unglück nicht bloß mit halbem oder blinzendem Auge an, man sehe ihm in’s Angesicht, man laße das betrachtende Auge furchtlos auf ihm ruhen, – und wie wird sich das Urtheil ändern! Wie wird das Schicksal unseres August und seiner Eltern ein ganz anderes Angesicht enthüllen! Oft liegt ein Leichnam auf dem Lager mit erblaßter Miene, eiskalter Fühlung. Der oberflächliche Betrachter bebt zurück. Aber der forschen kann, findet es anders. Aus dem feierlichen Ernst der Züge entwickelt sich ein Schein himmlischer Ruhe und Freundlichkeit, ein stolzer Friede thront auf der eiskalten Stirne: wie eine feste, der ganzen Welt widersprechende Behauptung gefundenen, namenlosen Glückes spielt es um den Mund. So ist dies Unglück! Wir beschauen’s, – es wird die grausige Gestalt verlieren; – es wird sich zeigen, daß es vom HErrn kam, daß in’s Weh von seiner eigenen Hand Tropfen seiner süßen Liebe eingemischt wurden, daß der bittern Unglücksstunde weder das Morgenroth der Ewigkeit, noch der Spatregen fehlte, der Spatregen der Gnade, der Seelen für’s ewige Leben reif macht.

 Man wäge nur die Gründe, man höre sie nicht allein!

 Wenn man alle Klagen über diesen Todesfall zusammenfaßen wollte, so könnte man’s mit den Worten thun: „So jung! So plötzlich! So fern! So schrecklich!“ – Man lobt oft den frühen Tod der Kinder um mancherlei Ursachen willen; allein wenn man sich die Frage vorlegt, ob man einem Sohne oder einer Tochter einen christlichen Tod lieber in frühen oder in späten Jahren wünschen soll; so wird die Wahl gewis auf den späten Tod fallen. Es wird kein Mensch in Abrede stellen, daß der späte Tod des Apostels Johannes dem frühen Tode der unschuldigen Kinder von Bethlehem vorzuziehen sei. Selig waren beide Tode, aber der Apostel gieng durch den Tod zu einem hohen| Sitz der Ehren, welchen die jungen Kinder nicht besteigen konnten. Die Seligkeit ist Eine, aber der Ehrenstufen sind viele – und der höhere Grad der Ehren ist Gnadenlohn für die, welche mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben. So wünscht denn ein weiser Mann seinem Sohne vor allem ein seliges Ende, d. i. ein gläubiges Ende, darnach aber wünscht er ihm ein längeres, in treuem Kampf und zunehmender Verklärung vollendetes Leben, damit ihn der selige Tod auch zu einer höhern Stufe der Ehren leite. Wird dann sein Wunsch zunichte, wird das Kind schnell dahin gerafft, so thut es weh, auch wenn der Tod selig ist, denn Kron und Lohn ist weniger groß und herrlich. In diesem Sinne behält denn auch wirklich ein früher Tod immer etwas Klägliches, ganz abgesehen davon, daß ein frühverwelkter Sohn die Reife und das mögliche Ziel des zeitlichen und leiblichen Lebens nicht erreichte. – Ist nun der frühe Tod auch ein plötzlicher, so steigert sich der Jammer. Von einer leichten häuslichen Arbeit weggehen, auf der Küchenschwelle plötzlich von der Hand des Todes ergriffen werden, es ist wahr, das hat etwas schauderhaftes. Stirbt man auch jung, so liegt doch immer für den Sterbenden und die Seinigen etwas Tröstliches darinnen, ein wenig Zeit zu haben, die Schuhe dieses Lebens mit Gemach aufzubinden und sich nach und nach zur heiligen, ernsten Stunde, zu der großen Veränderung vorbereiten zu können. Geht doch kaum einer gern plötzlich, ohne Besinnung und ohne sich bereiten zu können, zum Abendmahl der streitenden Kirche: und man sollte zum ewigen Abendmahl so im Fluge und im Sturmesbrausen sich gern hinreißen laßen? Sollte man sich selbst das wünschen, oder seinen Kindern? Ist’s nicht für jeden schmerzlich, für seine Kinder auch nur eine solche Möglichkeit zu denken? Ein solcher Gedanke will lang betrachtet sein, ehe man mit ihm vertraut wird, ehe man sich an ihn gewöhnt. Und nun erst wenn der frühe, der plötzliche Tod| ein schrecklicher ist! Es ist zwar auch manche Krankheit schrecklich, aber doch ist zwischen dem Tod an einer schrecklichen Krankheit und dem, welcher aus Menschenhänden schrecklich kommt, ein großer Unterschied. Ist die Krankheit noch so schrecklich, man fühlt sich oder die Seinigen doch in Gottes Hand, und von Gottes Händen sterben ist Gottes Ordnung, welche etwas Friedliches hat; aber von Menschenhand sterben? Es geschieht auch das nicht ohne Gottes Vorsehung und Willen, aber es soll doch nach Gottes fünftem Gebot der Mensch nicht durch Menschenhand sterben: es hat etwas Grauenhaftes und daß es ein Unglück, ein großer Jammer sei, das wäre damit nicht weggeleugnet, daß es nach Gottes Vorsehung und Willen geschah. Ja, ja, es ist schon ein Jammer, ein großer Jammer, daß mein August so jung, so plötzlich, so schrecklich gestorben ist, – und dazu so fern, so fern! Hätten den sinkenden Vaterarme, Mutterarme faßen können; hätte ihn Vater- und Muttersegen in’s Sterbebette gelegt; hätte er’s empfinden dürfen, wie’s ist, wenn man von der Mutter getröstet wird, – ach ja, hätt’ er den Trost empfangen, den der höchste Tröster in den Worten preist: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“; und hätte ihn Vatersegen und Muttergebet aus dem Leben hinausgeleitet in die Ewigkeit; hätten Vater- und Mutterhände die jungen Augen zugedrückt: – wollen wirs nur gestehen, Freunde, es wäre das alles ein Tropfen Trostes für den Wermutskelch gewesen! Aber das war eben nicht, das süße Sterbensglück hatte mein August nicht – und die Eltern hatten auch das Glück der letzten Pflege nicht. Ach, sie sind wahrlich auf einmal recht verarmt: vor wenig Tagen hatten sie noch einen Sohn und für ihn ein Herz voll Hoffnung, und nun ist sein Leben aufgeräumt, wie eines Hirten Hütte, – seine Stätte kennt ihr nicht mehr, – nichts bleibt übrig, als was Jacob von Joseph übrig bleibt: ein blutig Kleid.
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 So ist’s, aber ich will in starken Gegensätzen reden,| auf daß ich recht kühnlich und zuversichtlich rede. Wißt ihr, was nach dem ersten Schmerze mein nächstes Gefühl, mein nächster Gedanke gewesen ist? Mein erster Gedanke war: „JEsus lebt! Gelobt sei JEsus Christ! Er hat alles wohl gemacht!“ Ja, ein lautes Zeugnis, daß JEsus lebt und auf diese trauernde Familie ein Auge voll treuer Hirtenliebe wendet, – das war mir der Tod dieses Sohnes.
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 Er ist jung gestorben, aber, meine Freunde, wenn man auf der einen Seite einem jungen Menschen einen langen, siegreichen, ewig ehrenvollen Vollendungskampf wünscht: so hat doch die Jugend so viele Gefahren und namentlich der Jugend unserer Zeit lauert das ewige, ja auch zeitliche Verderben in so mannigfachem Hinterhalt auf, daß es einem um jede junge Seele bang wird, die dahinein muß in dies brausende Meer der Anfechtung. Ach, meine Freunde, ich gestehe es euch frei, daß ich diese Jugendgefahren gerade für die Jugend auf den gelehrten Schulen sich noch drohender erheben sehe! Ach, was für ein Geist herrscht oft auch auf den Schulen, denen Gott die treuesten, sorgsamsten Lehrer und Pfleger geschenkt hat! Wie wenn August diesen Gefahren erlegen, wie wenn er nicht bloß den Grad der ewigen Ehren, sondern auch die Seligkeit, ich sage, die Seligkeit verloren hätte! Weißt du’s, wie’s gegangen wäre? Sieht Gottes Auge nicht klarer, als deines? Es ist wahr, es hätte auch gut hinausgehen können? Aber du weißt doch nichts! Vielleicht geht es gerade in diesem Falle, wie der Sänger singt: „Dort werd’ ich das im Licht erkennen, was ich auf Erden dunkel sah, – das wunderbar und heilig nennen, was unausforschlich hier geschah, – dort denkt mein Geist mit Preis und Dank die Schickung im Zusammenhang!“ – – Und noch etwas, meine Freunde! Ich weiß nicht, ob es Euch schon so gegangen ist; aber mir ist es schon so gegangen: ich hatte beim Tode manches theuern Freundes in mir die bestimmte, persönliche Ueberzeugung, daß für ihn im Leben| nichts mehr zu thun war, daß er nun sterben mußte, wenn er sich nicht selbst überleben sollte. Nun ist zwar August gar zu jung gewesen, als daß ich dies Gefühl: „Es ist genug, so nimm, HErr, seinen Geist!“ gerade in dieser Form in mir hätte tragen können. Aber ob er nicht zu den Jünglingen gehörte, deren Anlage sich hier auf Erden nicht recht entwickeln kann, – die sterben, die in die Schule der Ewigkeit gehen müßen, wenn ihre Entwickelung und Vollendung so recht zu ihres Schöpfers Preis gedeihen soll! Mancher Knabe, mancher Jüngling gleicht einer vortrefflichen Uhr, welche doch nicht geht, weil der Künstler eine verborgene Feder angebracht hat, welche ihren Gang hindert. Der Knabe, der Jüngling stirbt, – die Feder fällt heraus – und in munterem Gang geht nun das edle Werk von Ewigkeit zu Ewigkeit. – Ich kann mich irren, wenn ich dies in unserem Fall anwende. Verkennet auf alle Fälle meine Absicht zu trösten nicht.
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 Ein anderer Klaggrund war oben das Plötzliche im Tode Augusts. Allein meine Freunde, es ist hier wie eine Wage. In der einen Schale liegen Klaggründe, in der andern Trostgründe. Es ist wahr, ein plötzliches Sterben hat etwas Schauderhaftes; aber wen Gott plötzlich angreift, um ihn zu töden, in dem kann Gottes guter Geist, der alles vermag, auch in einer Schnelligkeit, so plötzlich den Entschluß der Absage, der Umkehr, der gläubigen Hingabe in die Hände des treuen Schöpfers und Erlösers wirken. Oder kann er nicht? Ist die plötzliche Wendung einer Seele zum HErrn seltener als ein plötzlicher Tod? Ist nicht beides Ausnahme – und am Ende keine von beiden seltener als die andere? Man sagt, es gehe alles einen Gang der Entwickelung und heut zu Tage ist ein entgegengesetzter Gedanke ganz ungeläufig. Aber wenn auch, kann nicht in der jedenfalls geheimnisvollen Entwickelung einer Menschenseele die selige Entscheidung für den Himmel mit einem plötzlichen Todesaugenblicke zusammentreffen? –| Aber was mach ich denn? Bin ich denn nicht mit euch allen in einem Irrthum? Kann man denn eigentlich sagen, August sei eines plötzlichen Todes gestorben? Die Kugel kam plötzlich, aber der Tod kam ja nicht mit der Kugel, sondern fünfzehn lange Stunden hinter ihr. Wirklich, meine Freunde, das Unglück und der Tod waren voneinander geschieden und von den Schrecken eines plötzlichen Todes haben wir in der That das Meiste wegzustreichen.
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 Aber schrecklich, ja, das ist wahr, schrecklich ist es, durch solche Ursache wie unser seliger August zu sterben. Es muß ein schrecklicher Augenblick sein, wenn man, an nichts von der Art denkend, daher geht und eine Todesbotschaft, eine unwiderlegliche, nicht bloß ins Ohr, sondern mit zerstörender Gewalt tief in die Eingeweide dringt. Aber wenn nun die Botschaft des Todes doch nicht unmittelbar vom Tode gefolgt ist, wenn zwischen dem Schrecken der Botschaft und dem Tode selbst, um auch hier daran zu erinnern, fünfzehn Stunden liegen: da legt sich der Schrecken und es bereitet sich ein Tod zu, der andern Toden ähnlich ist; nach dem übermächtigen Schrecken der Todesschläge folgt ein natürlicher Tod. – Selbst wenn unser geliebter Todte wahrhaft plötzlich, unmittelbar auf’s Eindringen des schrecklichen Schußes den Geist aufgegeben hätte, gäbe es Trostgründe, die keineswegs zu verachten wären. Gottes überschwängliche Gnade wird von keinem Schuße überwunden; sie weiß Wege zu der Tiefe des Geistes, wohin keine Kugel dringt. Aber es ist doch hier anders. Die Gnade nahm sich Zeit und gab dem Sterbenden Zeit, Gnadenzeit, Rettungsfrist – und in der That, die Wohlthat der 15 letzten, zur Lebenssumme zugelegten Stunden wiegt bei weitem alles Schreckliche dieses Todesfalls auf. Werfen wir, die wir vierzig oder fünfzig Jahre hinter uns haben, einen Blick auf unser überstandenes Leben; wecken wir die Erinnerungen auf an die Schmerzen, Leiden, ja Schrecken, die schon über uns gekommen sind: welch’ eine Summe von| Jammer haben wir schon zugetröpfelt bekommen, vielleicht, ja gewis mehr, als sich in den kurzen Inbegriff des Todesschreckens zusammenfaßen ließ, der mit dem jammervollen Schuß über August kam. Wir laufen schon so lange eine dornenvolle Bahn, auf der uns Leiden verfolgen, während August in einem einzigen, kurzen, angestrengten Sprung über die Kluft gelangte, welche das diesseitige Elend vom jenseitigen Glücke scheidet. Wohl dem, der einen solchen Sprung glücklich und selig hinter sich hat, wie August. Vor einem liegend scheint er verzweifelt böse, hinter einem schließt er alles Elend ab.
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 So gibt es für jedes Unglück, das uns schwer dünkt, auch Erleichterungsgründe, meine Brüder, – und es fehlt auch dem letzten Jammerlaut: „So fern! So fern!“ nicht an besänftigender Gegenrede. Es hätte viel Angenehmes für den Sterbenden und für die Seinigen gehabt, wenn sie die letzten 15 Stunden bei einander gewesen wären; aber unstreitig auch viel Herzzerreißendes für beide Theile. Ach, die Liebe zu Creaturen, seien es auch die theuersten und geheiligtesten, lähmt oftmals den fröhlichen Flug einer zur Heimfahrt berufenen Seele; – und wollen wir’s nicht vergeßen, die tiefe, schmerzliche Ergriffenheit, welche in solchen Fällen nahe Verwandte durchdringt, macht sie zuweilen zu leidigen, unfähigen Tröstern. Selbst des Trostes ermangelnd können sie nicht trösten, und am Boden liegend andere nicht emporziehen. Das Unglück verleiht zwar manchmal Flügel, daß man in hohe Regionen der Verleugnung sich erheben kann; manchmal aber hängt es auch Bleigewichte an Fuß und Herz; und wer weiß, welches von beiden unserm tiefgebeugten Elternpaare gegeben worden wäre? – Und wenn nun einmal Gottes gute Hand die Eltern mit 15 schweren Lebens-, ja Todesstunden verschonen wollte: wo konnte er sterbend beßer aufgehoben sein, als im Hause, in dem er starb? Ein treuer Freund, ein edler Pfarrer, ein Mann, dem unter den gegebenen Umständen nichts mehr| am Herzen liegen mußte, als den lieben Knaben mit heller Fackel in’s ewige Leben heimzuleuchten: der war Hausvater im Trauerhause.

 Und wenn das alles nicht wäre: lebte denn JEsus in jenen Stunden nicht? Schlief Er? Sah Er etwa die sehnlichen Blicke nicht, welche August nach erfaßtem Todesgedanken zum Himmel richtete? War’s denn dazumal aus mit Seiner Gnade? Gab’s damals alleine keine Antwort aus den heiligen Höhen für die Seele, die nach Ihm fragte, – für das gescheuchte Reh? Glauben wir etwa nicht an Den, der immerdar lebt und für uns betet, der an eignen Leiden das tiefste Mitleid gelernt hat? – Nein, nein, das geschehe nur nicht, daß wir dem liebevollsten aller Herzen einen Mangel an Liebe beilegten: das wäre Lästerung, vor der wir zurückbeben! Nein, nein! Alle die schonenden Umstände, fast hätte ich gesagt, die unleugbaren Proben zarter Rücksicht, die ER, der HErr, unser Erbarmer, in diesem Unglück zu Tage kommen ließ, beweisen Sein Leben, Seine Liebe, geben uns Pfand und Versicherung, daß die 15 Hauptstunden von August’s Leben von Gnade, wie vom Spatregen befeuchtet und vom Morgenroth des ewigen Lebens vergoldet waren. Sie haben eine Inschrift mit Luther deutlich geschrieben: „Wie will ich Dir so wohl thun, Ephraim!“

 So laßt uns denken, so ist’s Wahrheit, so ist’s recht und billig! Und faßen wir’s so, dann keimt ja doch eine heimliche Freude mitten aus der Trauer. Geschloßen ist aller Jammer für unsern August: wo für andere das Elend stärker quillt und fließt, ist es für ihn verronnen. Und für Euch, ihr Eltern, ist geschloßen Sorge und Kummer, der Sohn macht keine Schmerzen weiter, der ist geborgen beßer, als Joseph, da Jacob weinend seine blutigen Kleider empfieng. Er ist nicht umsonst geboren, umsonst gezogen. Ihr habt es schnell weit gebracht mit Eurem Kinde. Wer bringt’s weiter? wer schneller dahin? Ich will nicht| mehr weinen, ich will euch Glück wünschen für die unaussprechlich wichtige Herrlichkeit, die eurem Sohne nach kurzer Trübsal zu Theil geworden ist! – Wie liebet ihr Eure Kinder, wie lebt Ihr in ihnen und für sie! Gott wollte diese Eure Liebe geistlich, rein und heilig machen, darum nahm Er den Erstgebornen zu sich. Unter Schmerzen der Entwöhnung und Verleugnung sollt Ihr inne werden,
daß Sein sind Eure Kinder, daß Er sie als die Seinen behandelt, gibt und nimmt nach Seinem Liebeswillen, – und daß Er thut, was Ihr nur wollet und wünschet: denn Er macht ewig glücklich die Kinder, die Er nimmt!

 Schmerzen macht diese Erkenntnis, unter Zähren lernt man in dieser Schule; aber man lernt der Kinder höchstes Glück erkennen – und kommt demselben auch für’s eigne Leben und Herz viel näher. Ein immerwährend ruhiges, in stillem Glück dahinfließendes Leben macht gern sicher; aber wenn Gottes gewaltige Hand plötzlich mitten hineingreift und Eins von vielen himmelwärts versetzt, das weckt auf, mächtige Klarheit strömt von der Straße zurück, auf der Gott die Unsrigen wie im Wetter heimholte. Der rechte Weg und sein hehres Ziel gehen und stehen in neuem Lichte, von vieler Ueberlast wird das Herz befreit, um das Bleibende, das Ewige kümmert man sich fortan: zu den seligen Familiengliedern, zu seinem theuern Volke will man nun kommen.

 Und dahin, dahin zu denken, werden auch die Geschwister, werden die Mitschüler des lieben Todten durch seinen Hingang ermahnt. Kindheit und Jugend ist eitel. Was ist die Kindheit, die Jugend? Das lernt an Augusts Erdenleben: ein Rauch ist die Jugend, wie das ganze Leben, der Theil wie das Ganze: ein Rauch ist sie, der in Luft verweht. Nach Bleibendem ringe die Jugend, was der Tod nicht tödet, was den Tod versüßt. Nichts erwählt, meine jungen Brüder, was vergänglich und ungenügend,| was unbefriedigt läßt; ergreift aber das ewige Leben, zu dem ihr berufen seid. Wer das ewige Leben ergriffen hat, fürchtet keinen Tod, – bei ihm wohnt immerdar Freude, und aus der Freude des ewigen Lebens kommt dem jugendlichen Alter rechte, unschuldige, sündlose Lebensfreude, welche stärkt und rüstig macht für den edlen zeitlichen Beruf. – Ach, daß August’s Tod, wie eine starke Stimme aus der Höhe, in Eure Herzen dränge, meine jungen Freunde! Ach, daß diese Stimme das Eitle in Euch tödete und Euch für das ewig Gute weckte! Gesegnet doppelt und dreifach wäre sein Todestag!




 Hier schweig ich stille. Sehnsüchtig sieht mein Auge zu Dir hinauf, HErr, der Du schlägst und heilest, und mein armes Herz fleht Dich an, daß Du vor allem uns Licht sendest, damit wir erkennen, was recht und falsch. Erleuchte Dein Angesicht über uns, so genesen wir, – und in Deinem Licht wird uns alles klar. Auch unsre Nacht hat keine Dunkelheit, wenn wir erkennen Deinen Weg und auf Erden Dein Heil. Oeffne uns die Augen, daß wir sehen, wie Dein Angesicht glüht von Lieb und Gnade, und laß, so lange wir hie wallen, unverrückt und völlig wahr in uns sein und bleiben das Eine, daß Du alles wohl machst und daß denen, die Dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen! Amen.