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statt des Leichnams konnte die arme Mutter nichts empfangen, als das durchlöcherte Gewand ihres heißgeliebten Sohnes.




 Ist es möglich, meine Brüder, so trocknen wir die Thränen und wenden unsern Blick vom Grabe des früh dahingerafften Knaben zu unserm Text und unsre Gedanken auf den Weg zum heiligen Lande. Wir kehren dann vielleicht vom Texte mit Trost gewaffnet zum Unglücksfall zurück, den wir beweinen.

 Die Stämme des Volkes Israel wohnten zuerst im h. Lande unter Einem König. Aber um der Sünden willen des Königs Salomo geschah es, daß zehen Stämme sich vom Hause Davids losrißen und unter eigenen Königen lebten; der HErr aber bestätigte den Riß und Schaden Josephs. Die Könige Israels aber oder Ephraims – denn so heißt das Reich der zehen Stämme – waren gottlos. Sie sahen es nicht gerne, daß ihre Unterthanen sich zum Tempel in Jerusalem hielten, weil sie fürchteten, es möchte dadurch auch die Liebe zum Hause Davids wieder wachsen. Um ihr abgesondertes Reich behalten zu können, führten sie auch einen abgesonderten Gottesdienst ein, sie bauten Säulen zu Dan und Bethel und stellten Kälber auf die Säulen; zum Volk aber sprachen sie: „Es ist euch zu viel, daß ihr nach Jerusalem gehet; sehet hier eure Götter, die euch von Aegypten heraufführten.“ Es war nicht die Meinung der Könige Israel, daß die Kälber, ihrer Hände Werk, das Volk von Aegypten heraufgeführt haben sollten; aber sie erklärten die Kälber für Bilder des großen Gottes, der doch gesagt hatte: „Ihr sollt mir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen.“ Hiedurch machten sie Israel sündigen und aus der einen Sünde erwuchsen bald ihrer viele. Denn sie dienten bald nicht mehr den Kälbern allein, sondern allerlei Göttern, denen die Völker ringsum