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Aber was mach ich denn? Bin ich denn nicht mit euch allen in einem Irrthum? Kann man denn eigentlich sagen, August sei eines plötzlichen Todes gestorben? Die Kugel kam plötzlich, aber der Tod kam ja nicht mit der Kugel, sondern fünfzehn lange Stunden hinter ihr. Wirklich, meine Freunde, das Unglück und der Tod waren voneinander geschieden und von den Schrecken eines plötzlichen Todes haben wir in der That das Meiste wegzustreichen.

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 Aber schrecklich, ja, das ist wahr, schrecklich ist es, durch solche Ursache wie unser seliger August zu sterben. Es muß ein schrecklicher Augenblick sein, wenn man, an nichts von der Art denkend, daher geht und eine Todesbotschaft, eine unwiderlegliche, nicht bloß ins Ohr, sondern mit zerstörender Gewalt tief in die Eingeweide dringt. Aber wenn nun die Botschaft des Todes doch nicht unmittelbar vom Tode gefolgt ist, wenn zwischen dem Schrecken der Botschaft und dem Tode selbst, um auch hier daran zu erinnern, fünfzehn Stunden liegen: da legt sich der Schrecken und es bereitet sich ein Tod zu, der andern Toden ähnlich ist; nach dem übermächtigen Schrecken der Todesschläge folgt ein natürlicher Tod. – Selbst wenn unser geliebter Todte wahrhaft plötzlich, unmittelbar auf’s Eindringen des schrecklichen Schußes den Geist aufgegeben hätte, gäbe es Trostgründe, die keineswegs zu verachten wären. Gottes überschwängliche Gnade wird von keinem Schuße überwunden; sie weiß Wege zu der Tiefe des Geistes, wohin keine Kugel dringt. Aber es ist doch hier anders. Die Gnade nahm sich Zeit und gab dem Sterbenden Zeit, Gnadenzeit, Rettungsfrist – und in der That, die Wohlthat der 15 letzten, zur Lebenssumme zugelegten Stunden wiegt bei weitem alles Schreckliche dieses Todesfalls auf. Werfen wir, die wir vierzig oder fünfzig Jahre hinter uns haben, einen Blick auf unser überstandenes Leben; wecken wir die Erinnerungen auf an die Schmerzen, Leiden, ja Schrecken, die schon über uns gekommen sind: welch’ eine Summe von