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um den Prozeß gegen die ‚Mitschuldigen‘ der Mariammesöhne handelt. Es scheint hierbei jedoch sehr tumultuarisch hergegangen zu sein; die Angeschuldigten sind auf der Stelle gesteinigt worden (ant. Iud. XVI 320); man hat den Eindruck, als wenn es sich um eine Tat des Pöbels handelt. Das gleiche – Heranziehen des Volkes zu einer öffentlichen Gerichtssitzung – ist uns übrigens auch für das Volk von Kaisareia in einem späteren Stadium des Prozesses gegen die Mariammesöhne, bei der Massenanklage gegen die aufsässigen Soldaten, bezeugt (bell. Iud. I 550; ant. Iud. XVI 393f.); auch hier werden die Angeschuldigten sofort von dem Volke gesteinigt. Irgendwelche Gerichtshoheit des Volkes hieraus zu folgern, dazu scheinen mir aber die ‚Gerichte‘ von Jericho und Kaisareia keine Berechtigung zu geben. Und so wird man denn, zumal da bei den anderen Volksversammlungen das Volk sich in keiner Weise aktiv – sei es beratend, sei es abstimmend – beteiligt, irgend welche effektive Mitwirkung der Volksversammlung an den Staatsgeschäften nicht annehmen dürfen.

Ganz etwas anderes ist es, wenn man geneigt ist, die Mitwirkung des δῆμος bei der Verwaltung der Stadt Jerusalem anzunehmen, wie dies für die Folgezeit direkt bezeugt ist (ant. Iud. XX 11), wenn man überhaupt ein gewisses kommunales Selbstregiment in Jerusalem voraussetzt, zu dessen Beaufsichtigung der schon erwähnte königliche στρατηγός bestimmt war, und wenn man demnach diesen Ort mit den verschiedenen griechischen [RE:116] πόλεις im Reiche des H. auf eine Stufe stellt. Solcher griechisch konstituierter Gemeinden hat es eine größere Anzahl gegeben: Gaza, Anthedon-Agrippeion, Azotos, Jamnia, Joppe, Apollonia, Gamala, Hippos, Gadara, Abila, Pella, Skythopolis, Kanatha, Dion, Gerasa und Philadelpheia sowie die von H. neugegründeten Städte Phasaelis(?, s. S. 82*), Antipatris, Sebaste, Kaisareia, Gaba (Πόλις ἱππέων), Esbon[1]. Daß eine dieser Städte der Kategorie der verbündeten freien Städte angehört, also zu H. nur in einer ganz losen Verbindung gestanden habe, dafür haben wir keinen Beleg, wir haben vielmehr allem Anschein nach in all diesen πόλεις Untertanenstädte zu sehen (bei den erst von Augustus dem König geschenkten, sowie bei den von diesen neugegründeten Städten ist dies selbstverständlich), bei denen von irgendwelcher Autonomie nicht die Rede sein kann, sondern nur von einem mehr oder weniger unbeschränkten kommunalen Regiment (s. auch Nikol. Damasc. frg. 5 [FHG III [120] 354]. Joseph. bell. Iud. II 97f.; ant. Iud. XV 355. XVII 320f.).

Die Königsgewalt des H. ist also durch städtische Autonomie nicht eingeschränkt gewesen, sie hat sich vielmehr, so weit wir sehen, auch den Städten gegenüber stark fühlbar gemacht; die dringende Bitte, die griechische Städte sowohl bei Lebzeiten des Königs als nach seinem Tode an den Kaiser richten, sie vom jüdischen Reiche zu lösen und sie der Provinz Syrien einzuverleiben (ant. Iud. XV 355. Nikol. Damasc frg. 5 [FHG III 354]), ist hierfür der beste Beweis (man darf selbstverständlich bei dieser Stellung des H. zu den Städten nicht ein dem König eigentümliches Verhalten annehmen, sondern muß es aus dem üblichen Verhalten der hellenistischen Fürsten den Städten gegenüber, das die Reichsgewalt zumeist scharf betonte [s. Kaerst Gesch. d. hellen. Zeitalt. II 1, 353ff.], erklären). Dem jüdischen Provinzialgebiet sind diese πόλεις allerdings nicht eingegliedert gewesen, sondern sie haben neben diesem bestanden (s. den Titel des Kostobar ‚ἄρχων τῆς Ἰδουμαίας καὶ Γάζης‘, ant. Iud. XV 254 und die Zugehörigkeit von Kaisareia zur ἐπαρχία s. S. 69 Anm.); sie haben vielleicht alle dem als ἐπαρχία bezeichneten Verwaltungssprengel angehört. Andererseits dürfte wohl aber für jede Stadt ein besonderer königlicher Beamter bestellt gewesen sein, der die Staatsgewalt in ihr vertrat, sei es nun, daß ein besonderer Beamter hierfür eingesetzt worden ist oder daß man einem Provinzialgouverneur diese Aufgabe übertragen hat (s. S. 62; für den letzteren Fall s. o. Kostobar. Die Verallgemeinerung scheint mir gestattet, da man doch wohl als [RE:117] Ergänzung für die beiden Belege aus der Zeit H.s I. die entsprechenden Zeugnisse aus der Zeit seiner Nachfolger Schürer II⁴ 106f. Liste ist nicht korrekt, s. S. 69 Anm.] heranziehen darf; s. ant. Iud. XIX 333 [Kaisareia]; Joseph. vit 74 [Kaisareia Philippi]; vgl. auch den von Josephus während seiner galiläischen Statthalterschaft für die Stadt Tiberias eingesetzten στρατηγός, vit 89. 272; bell. Iud. II 616 [charakteristisch sind hier wieder die von Josephus gebrauchten umschreibenden Ausdrücke]).

Etwas Näheres über die Geltendmachung der Königsgewalt gegenüber den Städten erfahren wir nur für die neugegründeten Städte Sebaste und Kaisareia, sowie für Gadara. Mögen auch die Gadarener im J. 20 v. Chr. bei ihren Klagen gegen den König vor Augustus stark übertrieben haben, so folgt doch aus diesen, daß der König sich nicht mit einer allgemeinen Kontrolle begnügt, sondern sowohl durch seine Erlasse in die Stadtverwaltung herrisch eingegriffen, als auch eigenmächtige Handlungen in der Stadt vorgenommen und sie finanziell stark belastet hat (man spricht von den ἁρπαγαί des H.), d. h. unumschränkt das Recht der Besteuerung ausgeübt hat (ant. Iud. XV 354–357). Sehr bezeichnend für das Verhältnis des Königs zur Stadt sind schließlich jene von Gadara geprägten Münzen, welche den königlichen Dank für die Abweisung der Klagen der Gadarener durch Augustus zum Ausdruck bringen sollten (s. S. 74); H. hat also auch in die kommunale Prägung, wenn er sie auch nicht unterdrückt hat, eingegriffen.


  1. S. die ausgezeichneten Zusammenstellungen über diese Städte bei Schürer II⁴ 110ff. (sollte nicht auch Gamala als griechische Stadt aufzufassen sein? s. den Index in Nieses Josephus). Bei einigen von den genannten Orten schwankt Schürer, ob man sie dem Reiche des H. zuzählen darf. Bei Philadelpheia entscheidet sich dies in positivem Sinne durch bell. Iud. I 380, wonach bei diesem Orte der große Arabersieg des H. im J. 31 v. Chr. stattgefunden hat; die Araber waren aber damals in jüdisches Gebiet eingedrungen; für die anderen Städte wie z. B. Skythopolis genügt dann ein Blick auf die Karte, da wir von Enklaven im Reiche des H. nichts wissen
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Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/080&oldid=- (Version vom 8.11.2022)