RE:Querolus
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Titel der Komödie eines anonymen Dichters 4./5. Jh. n. Chr. | |||
Band XXIV (1963) S. 869–872 | |||
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Querolus, Titel der Komödie eines anonymen Dichters aus dem 4. oder 5. Jhdt. n. Chr.
a) Das Werk.
Das Stück ist in leiser Anlehnung an Plautus’ Aulularia entstanden, muß aber in seinem Aufbau und in der Gedankenführung als eine fast vollkommen selbständige Arbeit bezeichnet werden; trotzdem hebt der Verfasser seinen bewußten Anschluß an Plautus hervor: praef. p. 5, 9 (Peiper). Da das Charakterbild des Haupthelden der Aulularia, des alten Euclio, zwischen einem leutescheuen Menschenfeind, einem angstgeplagten Mann, der sich absichtlich ärmer macht als er ist, und einem Geizhals schwankt (vgl. F. Leo Gesch. d. röm. Lit. I 119), so ließ sich aus dieser Gestalt auch unschwer ein homo querulus herausarbeiten. Der Held unseres Lustspiels, Querolus (Euclios Sohn), ist ein mit sich und der Welt wenig zufriedener Mensch; der Autor kennzeichnet selbst dessen Wesen wie folgt (p. 7, 3): Querolus iste noster, sicut nostis, omnibus est molestus, ipsi si fas est deo; homo ridicule iracundus itaque ridendus magis; vgl. dazu p. 19, 3 abi, Querole, cum tua querimonia!
Wie in der Topfkomödie des Plautus spricht hier der lar familiaris den Prolog und wie bei dem Sarsinaten steht auch hier ein ererbter kostbarer, in einer Urne verwahrter Schatz im Mittelpunkt der Handlung. Ihn vergrub der knauserige Euclio vor seiner Auslandsfahrt. In der Fremde lernte er einen Schmarotzer, namens Mandrogerus, kennen und gab ihm die Verwahrungsstelle der Schatzurne bekannt, ja er machte ihn sogar in seiner letztwilligen Verfügung zum Miterben unter der Bedingung, daß er seinem Sohne Q. das Versteck des Schatzes eröffne. Mandrogerus erklärt sich damit einverstanden, geht aber in Wahrheit sofort darauf aus, den Schatz bald in seine Hände zu bekommen. Er lügt Q. vor, daß er sich auf Zauber- und Weissagekünste verstehe, und gewinnt rasch dessen volles Vertrauen. Hierauf veranstaltet er eine gottesdienstliche Festlichkeit mit dem Bemerken, seine alleinige Anwesenheit sei dabei ein unvermeidliches Erfordernis. Nach dieser Gaukelei gelingt es ihm, die den Schatz bergende Urne aus dem Hause zu schaffen, worauf er prophetisch erklärt, in dieser Urne sei das Unheil geborgen. Um es für alle Zeit zu beseitigen, sei er willens, das Haus mit diesem Unglückstopfe zu verlassen. Indes müsse sich auch Q. wider das Verhängnis wappnen und mehrere Tage im Hause verbleiben, um dem Unheil die Rückkehr zu verwehren. Mandrogerus bemerkt aber zugleich mit seinen Helfershelfern an der Urne eine Inschrift und wähnt, daß in dem Gefäß die Aschenreste eines Verstorbenen enthalten seien (p. 46, 2). Wutentbrannt läßt er die Urne dem Querolus durchs Fenster ins Zimmer werfen und gibt Fersengeld. Die Urne ging dabei in Scherben und gab (nach einer Verkündigung des häuslichen Schutzgeistes) den Schatz frei. Das erfährt Mandrogerus und verlangt nun den ihm von Euclio zugesicherten Anteil. Allein Q., von seiner Leichtgläubigkeit geheilt, weist dem entlarvten Betrüger die Grabinschrift auf den Scherben vor und bedroht ihn mit einer Klage wegen Entwendung oder Totenschändung. Auch den geldgierigen Beihelfern sind die Felle fortgeschwommen. Trotz alledem weiß [870] der Verfasser einen halbwegs versöhnlichen Ausklang zu finden.
Dieses eigenartige Literaturerzeugnis hatte der Verfasser nach seiner eigenen Angabe nicht für die Bühne geschrieben (an eine Aufführung denkt nichtsdestoweniger R. Pichon Les derniers écrivains profanes, Paris 1906, p. 217); es war vielmehr als Tischunterhaltung für den Freundeskreis gedacht: nos fabellis atque mensis hunc libellum scripsimus (p. 3, 16); mit Recht nimmt darum W. Cloetta Beiträge zur Litteraturgesch. des Mittelalters und der Renaissance I (Halle 1890) 3 an, daß es der Autor bloß für die Rezitation bestimmte. Im übrigen deutet alles darauf hin, daß er sich mit seinem Stück an eine frohgestimmte, künstlerisch wenig anspruchsvolle, aber doch gebildete Gesellschaft wandte, der das Interesse für praktische Lebensweisheit im Vordergrund der Seele lag: so unterhält sich der Lar mit Q. über das vielerörterte popular-philosophische Thema, weshalb es ungerechten Menschen oft gut und gerechten schlecht gehe; der Sehnsucht des Q. nach Gold und Gut hält er in doktrinärer Darlegung entgegen, daß der Erwerb von Schätzen mit Mühsal und Fahrnis verquickt sei, worauf sich Q. mit seinem Geschick gerne abfindet. Hierher gehört auch eine breit ausgesponnene Erörterung über die Kunst der Weissagung und ein Monolog des Sklaven Pantomalus über die Nachteile der Knechtschaft. Daß übrigens gewisse Elemente der praktischen Philosophie auch in die Plautinische Aulularia Eingang fanden, weist M. Pokrowsky Wien. Stud. XLIX 1931, 128ff. nach. Trotz der bescheidenen Erfindungsgabe des Verfassers läßt das Stück doch nicht den Eindruck öder Langeweile zurück; von der Genialität eines Plautus und der Eleganz eines Terenz ist freilich kein Zug und keine Spur vorhanden. Was an dieser späten Possendichtung besonders auffällt, sind die darin ausgestreuten christlichen Lehren und die eingeflochtenen Stellen aus Kirchenschriftstellern: Tatsachen, die den auch aus anderen Gründen (s. unter b) vorgebrachten Gedanken an eine Entstehung des Werkes auf afrikanischem Boden nahelegen. Endlich wies man passend auf die hier vorliegende Wesenswandlung der traditionellen Komödiengestalt des Schmarotzers hin, die von den Parasitenfiguren der plautinischen und terenzischen Lustspiele ganz beträchtlich abweicht: vgl. L. Quicherat Mélanges en philologie, Paris 1879, 157.
b) Verfasser und Entstehungszeit.
Über die Person des Verfassers läßt sich nichts mit sicherer Gewähr sagen. Aus der Erwähnung des Liger (Loire) p. 16, 22 suchte man zu erschließen, daß das Stück in Gallien geschrieben wurde. Dazu würde die Vermutung P. Daniels (ed. princ., Paris 1564, p. VI) passen, daß man in Rutilius, dem das Werk zugeeignet ist (p. 5, 1 tuo igitur, Rutili, inlustris libellus iste dedicatur nomini), den Dichter Rutilius Namatianus zu erblicken habe, eine Annahme, die auch später mehrere Befürworter, so u. a. Wernsdorf (in Peipers Ausg. p. XXX) und Pichon a. O. 218, gefunden hat; jedenfalls besteht kein vollbeweisendes Argument gegen diese Hypothese. Allein sie wird durch F. Büchelers Untersuchungen [871] im Rh. Mus. XXVII 1872, 474ff. (vgl. zu carm. epigr. 116) stark erschüttert, der die Kompositionsweise unseres Schriftwerks mit der rhythmischen Prosa einer Reihe afrikanischer Inschriften verglichen hat und zu der bestechenden Ansicht gelangt ist, daß auch unsere Komödie auf afrikanischem Boden entstanden sei; die hierfür gebotenen Beweisproben hat auch ein Stilkenner hohen Ranges als ,ohneweiters einleuchtend‘ befunden: Norden Kunstpr. II 630; vgl. noch CIL VIII 646–648[1] u. W. Studemund Jenaer Litt.-Ztg. 1875, 622. Die ebenso phantasiereichen wie durchaus haltlosen Versuche R. Dezeimeris’ (Sur l’auteur de Querolus, Bordeaux 1876; Études sur le Querolus, ebd. 1881), in dem mit Ausonius befreundeten Axius Paulus, dem Verfasser einer Komödie Delirus, den Schöpfer unseres Literaturprodukts zu erkennen (Delirus = Querolus), verdienen keine Widerlegung.
Für die Bestimmung der Entstehungszeit des Q. ist die Sprache des Stückes wegweisend. Umsichtige Forschungen über den Wortschatz und die ungemein komplizierte Gesprächsführung haben ergeben, daß es der zweiten Hälfte des 4., allenfalls dem Beginn des 5. Jhdts. n. Chr. angehört: vgl. G. W. Johnstone The Q., a syntactical and stylistic study, Toronto 1900. W. Heyl De Querolo comoedia, Gießen 1912 (p. 13. 115); s. auch Pichon a. O.
In neuerer Zeit hat W. Süss Rh. Mus. XCI (1942) 59–122 dem Q. eine tiefschürfende Studie gewidmet, die u. a. des Verfassers abstrakten Humor und bisweilen wenig logisches Denken hervorhebt und die Entstehung des Werkes in eine spätere Zeit verlegt.
c) Vorbilder und Sprachform.
Der Verfasser hebt selbst hervor, daß er hochberühmten Mustern (praeclaros duces) folge; er meint damit Plautus und Terenz. Sie sind in der Tat seine hauptsächlichsten Vorbilder. Indes hat sich sein Erzeugnis Worte und Wendungen aus verschiedenen Zeiten des römischen Schrifttums zu eigen gemacht: in diesem bunten Stilgut begegnen vornehmlich auch Anspielungen auf Vergil, ferner auf ciceronische Reden, auf Martial, Iuvenal und (s. unter a) kirchliche Autoren. Man gewinnt den Eindruck, daß er bei seinen Lesern bisweilen die Bekanntschaft mit diesen seinen Quellen annimmt. Das ganze Werk liefert den Beweis, daß der Stoff eines der vorzüglichsten Stücke des Plautus seinen Reiz noch auf das ausgehende Altertum übte: s. o. Bd. XIV S. 102. Außer Frage steht es, daß der Schriftsteller namentlich Plautus’ Sprachform nachzugestalten strebt. Da sich im Q. versmäßig geformter Satzbeginn und im Satzschluß der Tonfall des Versendes unverkennbar feststellen läßt, verfiel zunächst Quicherat a. O. p. 159 u. 167 auf den Gedanken, daß das Werk anfänglich in Versen geschrieben und später in prosaische Form umgearbeitet worden sei, Diese Vermutung griff L. Havet in seiner Ausgabe Le Q., comédie latine anonyme, texte en vers restitué (Paris 1880) auf, worin er allenthalben ganze Verse herstellte; dieser mühereiche Versuch stieß jedoch allgemein auf begründete Ablehnung. Wir wissen heute, daß diese Komödie von allem Anfang an in rhythmischer Prosa, bisweilen nach dem Wortakzent, abgefaßt war. [872] Der Autor, der wie die meisten seiner Zeitgenossen Plautus’ Verse nicht mehr zu lesen vermochte (vgl. Priscians Studie De metris Terentii und Wernsdorf bei Peiper p. XXXVI) und sie für ein Gemengsel aus gebundener und ungebundener Rede hielt, vermeinte plautinisch zu schreiben, wenn er Sätze ungebundener Rede meist mit versmäßigen (trochäischen oder iambischen) Anfängen oder Klauseln versah. Das Richtige hat hier zuerst Casp. Barth gesehen, der die sprachliche Form des Q. als eine versverwandte Prosa bezeichnete: vgl. S. C. Klinkhamers Ausg. (Amsterdam 1829) p. XIIIf. Unser Autor spricht im Vorwort (5, 4) von ,noster sermo poeticus‘ und deutet im folgenden (5, 23) selbst die stilistische Mischform seines Stückes mit diesen Worten an: prodire autem in agendum non auderemus cum clodo pede, nisi magnos praeclarosque in hac parte sequeremur duces. Vgl. noch F. Skutsch Philol. LIX 484 u. A. Klotz Gesch. röm. Lit. (Lpz. 1930) 336.
d) Handschriften, Ausgaben, Weiterleben.
Als führende Hs. darf der cod. Vaticanus 4929 gelten, der dem Beginn des 10., vielleicht sogar dem Ende des 9. Jhdts. angehört: ihm tritt zur Seite der Leidensis Vossianus Q. 83 aus dem 10. Jhdt.; an Wert geringer, aber nicht entbehrlich sind der Palatinus 1615 (11. Jhdt.) und der Parisinus 8121 A (10. Jhdt.). Eine kritische Schätzung gibt Havet Ausg. p. 28; vgl. noch A. v. Premerstein Wien. Stud. XIX 1897, 258f.
Die in Betracht kommenden kritischen Ausgaben von P. Daniel (ed. princ., Paris 1564), S. C. Klinkhamer (Amsterd. 1829) und R. Peiper (Lpz. 1875) wurden bereits erwähnt.
Die jüngste, mit französischer Übersetzung versehene Ausgabe von Léon Herrmann (Brüssel 1937) läßt viele Wünsche offen: vgl. A. Klotz Philol. Woch. LVIII (1938) 1199ff. und besonders W. Süss a. O.
Im Mittelalter legte man das Stück irrtümlicherweise Plautus bei. Etwa im 9. Jhdt. erfuhr es eine formelle Bearbeitung durch Vitalis, der es in Distichen umgoß; vgl. C. v. Reinhardstöttner Plautus, spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele (Lpz. 1886) 270; s. auch Μ. Μanitius Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalt. I (1911) 379.
e) Literatur.
Außer den erwähnten Arbeiten seien noch angeführt: P. Lockwood The plot of the Q. and the Folk-tales of disguised treasure, Transact. XLIV 1913, 215ff. Schanz IV I² (1914) 43ff. u. 501f. Teuffel Gesch. d. röm. Lit.6 III (1913) 276f. A. Kappelmacher-M. Schuster Lit. d. Römer (1935) 126 u. 370.