Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Zeiteinheit
Band IX,1 (1914) S. 604612
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Jahr. 1. Naturjahr. Der Vorläufer des geordneten J. der Kulturvölker ist das Naturjahr; hat noch keine fest begrenzte Länge, sondern [605] setzt sich aus einer Anzahl ungleich langer Zeitabschnitte zusammen, die nach dem Wechsel der klimatischen Verhältnisse in der Natur und nach den Veränderungen des Pflanzen- und Tierlebens im J.-Kreise benannt und ungefähr bemessen sind. Das Naturjahr repräsentiert eine untere Entwickelungsstufe des Zeitsinns und ist gegenwärtig noch bei Naturvölkern nachweisbar. Bei den Römern deuten die Nachrichten von Lydus de mens. I 16. Censorin XXII 6 über ehemalige Monate von sehr ungleicher Länge auf das frühere Naturjahr, und wahrscheinlich ist die Fabel spätrömischer Schriftsteller (Macrobius Saturn. I 12, 9. Solinus I 35. 36; vgl. Censorin XX 2, 3. XXII 9) von einem 10monatlichen J. ebenfalls auf ein Naturjahr (mit zehn ungleichen Jahresabschnitten) zu beziehen. Das Naturjahr verfolgte den Zweck, ungefähr die Zeiten im voraus angeben zu können, wann gewisse landwirtschaftliche und häusliche Arbeiten vorzunehmen waren, und wann die Opfer (Feste) stattzufinden hatten. Zur Kenntnis des Naturjahres reichen aus: a) die Verfolgung der alljährlichen Veränderungen im Pflanzenleben (z. B. das Stadium des Wachstums auf den Feldern); b) die Beobachtung des Umschwungs des Sternhimmels (erst nach je einem J. steigen wieder dieselben Sternbilder am Horizonte empor); c) die Beobachtung der Sonnenstände am Horizonte (die längste und kürzeste Ausdehnung des Bogens, in welchen die Sonnenstände bei Sonnenaufgang oder -untergang eingeschlossen sind, kehrt alljährlich wieder). Das Naturjahr wird nicht selten mit dem Sonnenjahre verwechselt, obwohl letzteres zu seinem Begriff bereits eine feste Zahl von Tagen erfordert.

2. Lunisolarjahr (Mond-Sonnenjahr). Dieses geht aus der Verbindung des 12- oder 13 monatlichen Mondlaufs mit dem Sonnenjahre hervor. Die Grundlagen des Lunisolarjahrs sind: a) das Mondjahr mit 354T. 8h 48m 36s, nämlich 12 synodische Monate von je 29T. 12h 44m 2,9s mittlere Länge; b) das mittlere tropische Sonnenjahr (d. i. die zwischen zwei gleichzeitigen Kulminationen des Frühlingspunktes mit der Sonne liegende Zeit) von 365T. 5h 48m 46s; c) die zeitweise Ausgleichung bei der J.-Arten durch Einschaltung eines Monats im Mondjahre. In der Praxis konnte man den Mondmonat nur zu 29 Tagen oder 30 rechnen (hohle und volle Monate); das gemeine Mondjahr hatte also (zu sechs hohlen und sechs vollen Monaten angenommen) 354 Tage, ein Mondschaltjahr mit 30tägigem Schaltmonat 384 Tage. Die Ausgleichung mit dem Sonnenjahre wird mehr oder minder vollkommen erreicht, je nachdem man die Schaltungsperiode konstruiert. Eine Triëteris d. h. die Einschaltung eines Mondschaltmonats innerhalb 3 Jahren ergibt das Verhältnis 37/3, oder, man begeht, da 37 synodische Monate = 1092,6 Tage, 3 tropische J. aber = 1095,7 Tage sind, einen Fehler von 3,1 Tagen. Auf die Hälfte wird der Fehler reduziert durch die Anwendung einer Oktaëteris; acht tropische J. = 2921,938 Tage sind nahe 99 synodischen Monaten gleich (2923,528 Tage), also kann man mit einer Periode von 8 J., wovon 5 gemeine Mondjahre und 3 Mondschaltjahre sind, eine bessere Ausgleichung erreichen. Genauer sind die [606] Perioden, welche Meton, Kallippos und Hipparch aufgestellt haben: in Metons 19jährigem Zyklus sind 12 gemeine Mondjahre und 7 Mondschaltjahre, zusammen = 6939,6884 Tage, sehr nahe 19 tropischen J. (6939,6018 Tagen) gleich; der Fehler gegen das tropische J. steigt erst nach 219 J. auf einen Tag. Kallippos und Hipparch beseitigten die Differenz, indem sie größere Zyklen zugrunde legten, ersterer 76 J. = 27759 Tage, der andere 304 J. = 111035 Tage.

3. Lunisolarjahre der Alten. Die Kenntnis der vorgenannten Verhältnisse hat sich bei den Kulturvölkern des Altertums, wie das Studium der Entwickelungsgeschichte ihres Zeitrechnungswesens zeigt, nur sehr langsam ausgebildet. Etwa folgende Wege führten dahin: 1. Die fortgesetzte Beobachtung des Tages, an welchem nach Neumond die feine Sichel des Mondes wiedererschien (Neulicht), gab die rohe Länge von 29½ Tagen des synodischen Monats; hieraus folgten für die Länge des Mondjahres 354 Tage. 2. Die Verfolgung des Eintritts der Mondphasen (Vollmonde, erste und letzte Viertel) wies darauf hin, daß man bisweilen das Mondjahr zu 355 Tagen annehmen müsse, um mit den Tagen der Phasen in Übereinstimmung bleiben zu können. 3. Schließlich fand man eine Periode von 8 Mondjahren, welche ziemlich genau die Mondphasentage wiedergab: 5 Mondjahre zu 354 Tagen und 3 zu 355 Tagen (zusammen 2835 Tage) stimmen nämlich sehr nahe mit 8 astronomischen Mondjahren (354,367 mal 8 = 2834,94) überein. Wenn man die 2835 Tage durch 96, d. h. durch die Zahl der in der Periode enthaltenen Monate dividierte, erhielt man — und dies war für den weiteren Fortschritt wichtig — einen näherungsweisen Durchschnittsbetrag für die Länge des synodischen Monats. Die Erkenntnis eines ungefähr zutreffenden Betrages der Sonnenjahrlänge war eine bedeutend schwierigere Aufgabe für die alten Völker. Den rohen Wert 365 Tage konnte man allerdings, wie wir bei den Ägyptern sehen, sehr früh kennen; wahrscheinlich ist er schon bei der schärferen Bestimmung des Naturjahres aus der oben unter c) erwähnten Beobachtung der Sonnenstände am Horizonte ermittelt worden. Daß das Sonnenjahr etwas länger sein müsse als 365 Tage, zeigte sich, wenn man mit dem 365tägigen J. (Wandeljahr) eine Reihe von J. weiter rechnete, denn dann blieb man allmählich gegen die Jahreszeiten zurück. Zur Bestimmung des Überschusses über 365 Tage waren bis zur Zeit Metons nur primitive Hilfsmittel vorhanden. Anfänglich suchte man wahrscheinlich die Länge des J. aus der Zahl der Tage zu ermitteln, welche zwischen den Zeiten verflossen, an denen ein vertikal feststehender Gegenstand im Mittag in den entgegengesetzten J.-Zeiten (Frühjahr- und Herbstäquinoktien) die gleiche Schattenlänge warf. Die später auf diese Wahrnehmung hin konstruierten Gnomone gaben zwar mehr Sicherheit für die Beobachtung, ließen aber auch nach ihrer verbesserten Konstruktion noch genug Fehler übrig, als daß nicht Zweifel betreffs der Konstatierung des überschüssigen Vierteltages des J. hätten bleiben müssen. Daraus erklärt sich, daß die unmittelbaren Vorgänger Metons in der Verbesserung der griechischen Zeitrechnung bei der Annahme der [607] Sonnenjahrlänge stark voneinander abweichen (Harpalos 36513/24, Oinopides 36522/69, Meton 3655/19 Tage). Die Kenntnis des Vierteltagüberschusses des 365tägigen J. verbreitete sich in der antiken Welt, wie es scheint, erst durch Eudoxos, der diese Kenntnis von seiner ägyptischen Reise (373 v. Chr.) mitbrachte. Die ägyptischen Priester haben den Vierteltag vielleicht in der Weise gefunden, daß sie ihre Gnomonbeobachtungen während einer großen Reihe von Wandeljahren fortsetzten und mit denjenigen verglichen, welche immer zu der Zeit, wann die Sonne wieder an einen bestimmten Punkt des Horizontes (der durch irdische Marke für die Beobachtung festgelegt wurde) zurückkehrte, gemacht worden waren; aus den Unterschieden der Schattenlängen, die man fand, ließ sich ein Rückschluß auf die Bewegung des J. während der verflossenen Zeit machen und so allmählich die nahe richtige J.-Länge finden. Daß die heliakischen Aufgänge des Sirius den Ägyptern zur Kenntnis des Vierteltages schon früh verholfen hätten (wie manche Hypothesen annehmen), ist astronomisch bedenklich. Es wird dabei gänzlich übersehen, daß die Wahrnehmung der heliakischen Stern-Auf- und Untergänge zu den sehr unsicheren Beobachtungen gehört. Selbst moderne Astronomen, welche heliakische Untergänge mit freiem Auge beobachteten, geben an, daß sie zuweilen bis zu mehreren (4) Tagen über die Zeit des Sternverschwindens in Ungewißheit geblieben sind. Bei diesen Untergängen ist man wenigstens noch über den Ort des Sterns aus vorherigen Beobachtungen orientiert; bei den heliakischen Aufgängen aber kennt man den Punkt des Horizontes nicht, wo der Stern aufleuchten soll, und dementsprechend ist die Beobachtung der heliakischen Aufgänge eine noch mißlichere Sache. Ferner verschiebt sich das Datum der heliakischen Auf- und Untergänge stark mit der geographischen Breite (die Aufgänge des Sirius z. B. fallen für Baktrien und Medien eine volle Woche später als in Ägypten), sodaß die Hypothesen auch noch den Nachweis zu erbringen haben, der Beobachtungsort sei immer ein und derselbe geblieben. Was schließlich die Ausgleichung des Mondjahres mit dem Sonnenjahre d. h. die Erkenntnis geeigneter Schaltungsperioden betrifft, war das Altertum sehr lange auf bloße Empirie, also willkürliche, versuchsweise Schaltung angewiesen. Selbst die astronomisch sehr befähigten Babylonier haben bis zum 6. Jhdt. v. Chr. die Schaltungen nur nach Bedarf, wenn die Differenz zwischen Sonnen- und Mondlauf in ihrem Lunisolarjahre hervortrat, ausgeführt. Erst etwa seit 381 v. Chr. besaßen sie einen 19jährigen Schaltzyklus mit 7 Schaltjahren. Neuerdings unternommene Versuche, Schaltzyklen schon in der altbabylonischen Zeit zu finden, bedürfen noch sehr der Begründung. Die auf einen Zyklus gegründeten Schaltungen konnten solange keinen Erfolg haben, bis man nicht über einen genaueren Betrag des mittleren synodischen Monats und über bessere Kenntnis der Sonnenjahrlänge verfügte. Was man von Hypothesen zu halten hat, welche die Auffindung hinreichender Schaltungszyklen und die Kenntnis des Sonnenjahrs, womöglich sogar die des 365¼ tägigen, in ,frühe‘ oder ,älteste‘ Zeiten der Kulturvölker [608] setzen, leitet sich aus dem Gesagten von selbst ab.

Kurzer Überblick des Lunisolarjahrs der Babylonier, Juden, Griechen, Römer und Makedonier:

a) Babylonier. Das Lunisolarjahr wurde von jeher so durch Schaltungen reguliert, daß es im Frühjahr begann (Nisan-J.). Daß die Schaltmonate ohne Regel, also nach Bedarf eingelegt wurden, hat Kugler jetzt auch für die Zeit der I. Dynastie nachgewiesen. Inschriftlich nachweisbar sind einzelne Schaltjahre des 8. und 7. Jhdts., sowie eine größere Reihe derselben aus dem 6. und 5. Jhdt., ferner einige Gruppen aus dem 4. Jhdt. und aus der sehr alten Zeit. Die Liste der Schaltjahre seit Anwendung der seleukidischen Aera (311 v. Chr.) ist bereits ziemlich vollständig nachweisbar. Sicher ist der Gebrauch eines 19jährigen Zyklus mit dem 1. 4. 7. 10. 12. 15. 18. J. als Schaltjahren während der seleukidischen Zeit, jedoch könnte der Zyklus schon seit 381 v. Chr. angewendet worden sein.

b) Juden. Der Anfang der Monate wurde durch direkte Mondbeobachtung (Neulicht) ermittelt, desgleichen der J.-Anfang durch die Naturbeobachtung bezw. durch zeitweise Einschaltung eines Monats in Ordnung gehalten. Dieses System blieb bis in die Zeit der römischen Herrschaft in Kraft. Aus dem Papyrusfunde von Assuan (mit Daten von 472—410 v. Chr.) läßt sich kein Schaltzyklus nachweisen. J.-Anfang ursprünglich der Herbst, nach der babylonischen Gefangenschaft tritt ein kirchliches, im Frühjahr (Nisan) anfangendes J. auf. In den letzten Jahrhunderten v. Chr. Anzeichen zu selbständiger Ermittelung des Sonnenjahrs (J.-Punkte, Tekupha-Rechnung). Schließlich Reform der jüdischen Zeitrechnung, die Zeit der Reform ist fraglich (frühestens 2. Jhdt. n. Chr.?); 19jähriger Schaltzyklus das 3. 6. 8. 11. 14. 17. 19. J. sind Schaltjahre (aus Babylonien entlehnt?)

c) Griechen. Die griechischen Lunisoljahre hatten verschiedenen Anfang, im Herbst, Winter und Sommer. Das attische J. (durch die Datierungen der Inschriften am besten bekannt) begann, sehr wahrscheinlich seit alters, im Sommer (Hekatombaion). Theoretisch wird angenommen, daß das J. mit demjenigen Neumonde (Neulicht) begann, welcher dem Sommersolstiz am nächsten lag. Die Hauptpunkte der Entwickelung des attischen J. geben Geminos (Εἰσαγωγὴ εἰς τὰ φαινόμενα VIIIf.) und Censorin (c. XVIII 2—4) an, letzterer jedoch zum Teil mißverständlich. Die Sternjahre und Plejadenjahre, welche manche (Aug. Mommsen, Scaliger, Caranza, Rinck) als Urformen des attischen J. hingestellt haben sind illusorisch, die von A. Schmidt befürwortete anfängliche Diëteris und Tetraëteris sind unwahrscheinlich, da man direkt von der einfachen Mondbeobachtung aus zu einer rohen Oktaëteris gelangen konnte (s. o. sub 3). Letztere betrug wahrscheinlich 2922 Tage und wurde vielleicht vor dem 7. Jhdt. aufgestellt. Eine verbesserte Oktaëteris von 2923½ Tagen ist angeblich durch Solon eingeführt worden, die problematische Epoche derselben ist nach Böckh der 7. Juli 594 v. Chr. Der 19jährige Zyklus Metons faßte 6940 Tage und hatte nach Diodor (XII 36) seinen Anfang im J. des Archon Apseudes (433/32 v. Chr.). [609] Die Epoche dieses Zyklus ist der 16. Juli 432 (nicht der 15. Juli). Von den vielen Theorien, welche J. des Zyklus als Schaltjahre gehandhabt worden sind, haben in den Diskussionen der letzten Jahrzehnte die Anordnungen von Aug. Mommsen (Schaltjahre: 3. 6. 9. 11. 14. 17. 19), Unger (3. 6. 8. 11. 14. 17. 19) und A. Schmidt (2. 5. 8. 11. 14. 16. 18) die Oberhand gewonnen. Die Mehrzahl der neueren Chronologen hat sich dafür entschieden, daß Metons Zyklus nicht 432 v. Chr., sondern erst erheblich später in die Zeitrechnung eingeführt worden sein kann (nach Unger 338 v. Chr., nach A. Schmidt 342 v. Chr., jedoch mit Modifikationen des Zyklus). Mit den Datierungen der Inschriften lassen sich die hypothetischen Schaltzyklen erst von 338 ab prüfen, da vorher zu wenig sichere Daten bekannt sind. Die Veränderungen, welche Ferguson und Beloch an dem Unger-Schmidtschen Zyklus (2. 5. 8. 11. 14. 16. 18. J. als Schaltjahre) vorgenommen haben, genügen den Datierungen bis etwa 290 v. Chr., darüber hinaus zeigen sich Verschiebungen in Gruppen von Zyklusjahren. Die Schwierigkeiten, welche derzeit noch der Fixierung der Archontenjahre des 3. und 2. Jhdts. v. Chr. entgegenstehen, verhindern die Bildung sicherer Schlüsse über den Zustand der spätattischen Zeitrechnung. Die Einführung der ,freien Oktaëteris‘ von Unger, nach welcher sich vom 1. Jhdt. v. Chr. an das J. fortwährend gegen die J.-Zeiten verschoben hätte (um 200 n. Chr. der 1. Hekatombaion bereits im September), sowie die Annahme eines Sonnenjahrs für die Doppeldatierungen nach A. Schmidt, sind verfehlte Systeme.

d) Römer. Das ,J. der Decemvirn‘ bestand (Censorin. XX 6. Macrob. Saturn. I 13, 12—15. Varro de ling. lat. VI 13) aus vier J.: 355 + 377 + 355 + 378 = 1465 Tagen, nämlich aus 2 Gemeinjahren zu 355 Tagen und 2 Schaltjahren zu 377 bezw. 378 Tagen. Die J. dieser Tetraëteris konnten weder mit dem Monde noch mit der Sonne laufen; da ihr Durchschnittsbetrag 366½ Tage ist, mußten vom Anfang des Gebrauchs der Tetraëteris an Ausschaltungen stattfinden, um mit den J.-Zeiten in halbweger Übereinstimmung bleiben zu können. Über die Herkunft der Tetraëteris sind die verschiedensten Hypothesen aufgestellt worden (Th. Mommsen, Hartmann, Soltau, Unger). Meine Ansicht ist folgende. Die Römer suchten schon in der ältesten Zeit nach einer Periode, um mit der Zeitrechnung dem Monde völlig und der Sonne ungefähr (wegen der feriae stativae, die an die J.-Zeit gebunden waren) folgen zu können. Für die Mondphasen fanden sie eine rohe Oktaëteris, aus welcher (99 Mondmonate) ihnen ein ungefährer Betrag der Länge des synodischen Monats bekannt wurde. Hätten sie einen sehr nahe zutreffenden Wert des letzteren gehabt, so würde ihre Oktaëteris 2923 Tage, also die 4jährige Periode die Hälfte, etwa 1462 Tage enthalten haben. Da sie aber nur einen ungenauen Betrag des synodischen Monats (vielleicht 296/10 Tage) kannten, kamen sie auf die Länge von 1465 Tagen für die Tetraëteris. Letztere wurde in gemeine Mondjahre, für die man fälschlich 355 Tage statt 354 annahm, zerlegt und der Rest in 2 besonderen J. von 377 und 378 Tagen verteilt. [610] Um den historischen Nachweis der Ausschaltungen haben sich die neueren Chronologen sehr bemüht. Danach lief das römische J. zeitweise mit den J.-Zeiten konform, vielfach aber war es mit diesen im Konflikt. Die Hypothesen, welche einen 20jährigen oder 24jährigen Zyklus in der alten Zeit voraussetzen, sind abzuweisen, da für diese Zeit die Kenntnis des 365¼ tägigen J. noch unmöglich ist; verfehlt ist auch das Wandeljahr von H. Matzat Durch die Lex Acilia (191 v. Chr.) scheint mehr Ordnung in die Handhabung des Schaltungsverfahrens gekommen zu sein. Die letzte Kalenderstörung, 90 fehlende Tage zwischen 64 bis 47 v. Chr., beseitigte Caesar, indem er das 355tägige J. 47 v. Chr. auf 445 Tage ansetzte. Der Anfang des Amtsjahres, welcher in der alten Zeit fortwährend schwankte, wurde 153 v. Chr. auf den 1. Januar fixiert. Caesar ließ den Anfang beider J., des Amtsjahrs und des bürgerlichen, auf den 1. Januar zusammenfallen.

e) Makedonier. Das makedonische Lunisolarjahr fing in der alten Zeit (vor Alexander d. Gr.) mit dem Herbst an: der erste Monat Dios = Oktober. Über die Schaltungsart ist nichts Sicheres bekannt. Nach einem Briefe Philipps von Makedonien, den Demosthenes erwähnt (Rede für die Krone 157), wäre zu dessen Zeit der Monat Loos (der 10. makedonische) gleich dem attischen Boëdromion gewesen; dann hätte damals das makedonische J. mit dem Dezember angefangen. Die Ursache dieser Verschiebung kann in unregelmäßiger Schaltung liegen; die gewaltsamen Eingriffe Alexanders d. Gr., von denen Plutarch (Alex. 16 und 25) erzählt, zeigen allerdings auch, daß man mit der Zeitrechnung ziemlich willkürlich verfuhr. Den Charakter als Herbstjahr behielt das J. noch, als Makedonien römische Provinz geworden war, wie aus der makedonischen Provinzaera von 148 v. Chr. ersichtlich. Bei der späteren Umwandlung des makedonischen J. in ein Sonnenjahr setzte man den J.-Anfang auf Mitte Oktober. Nach dem Eroberungszuge Alexanders d. Gr. verbreitete sich das makedonische J., wie aus den im Eroberungsgebiet vielfach vorkommenden Monatsnamen zu schließen, über ganz Vorderasien bis nach Ägypten. In letzterem Staate verlor das makedonische J. allmählich seinen lunisolaren Charakter. Wie die Untersuchung der in ägyptischen Papyri und einigen Inschriften enthaltenen Doppeldatierungen (etwa 32 brauchbare stehen uns jetzt zur Einsicht) beweist, fingen die makedonischen Monate bis etwa 251 v. Chr. noch mit dem Neulichte (Neumonde) an, allmählich verschiebt sich aber der J.-Anfang immer mehr im ägyptischen Sonnenjahre. Die Schaltungen müssen sehr unregelmäßig gehandhabt worden sein, da sich in den Abweichungen vom ägyptischen Kalender kein System nachweisen läßt (die Hypothesen von Strack sind überholt). Von etwa 200 bis 160 v. Chr. erscheinen die makedonischen Monate nach der Gleichung Dystros = Thoth geordnet, dann treten (unter Philometor) wieder Unregelmäßigkeiten auf. Von der Zeit Euergetes II. an läßt sich aus vielen Kontrakten, Briefen u. dgl. die völlige Parallelstellung des Datums und der Monate mit den ägyptischen nach der Gleichung Dios-Thot zeigen.

[611] 4. Sonnenjahr. a) Wandeljahr. Bei Vernachlässigung des überschüssigen Vierteltages des Sonnenjahres durchläuft das nur 365tägige J. in 1461 J. alle J.-Zeiten. Die Ägypter behielten dieses J. (bei ihnen uralten Ursprungs) bis 238 v. Chr. bei (Dekret von Kanopus). Jedoch sind vorherige Versuche zur Einführung von Schaltungen durch Nigidius Figulus (Breysig De P. Nigidii Figuli fragmentis, Berol. 1854, 33) angedeutet. Von den Festen ließ man einen Teil sich gegen die J.-Zeiten mit dem Wandeljahre verschieben; die Zeit anderer, welche an die J.-Zeiten gebunden waren, ermittelte man durch Beobachtungen, wahrscheinlich der Sonnenstände am Horizonte (s. o. S. 607, 12). Das durch Ptolem. III eingeführte, oben genannte feste J. (kanopisches oder tanitisches J.) hielt sich nicht lange, da das Wandeljahr im Volke zu eingewurzelt war. Erst mit dem alexandrinischen J. (31 oder 30 v. Chr.) erhielten die Ägypter ein festes Sonnenjahr. Die Parsen hatten ein ganz nach ägyptischem Muster (12 dreißigtägige Monate und 5 Epagomenen) eingerichtetes Sonnenjahr; nach einer plausiblen Hypothese von J. Marquardt hätte dieses um etwa 487 v. Chr. das ehemalige persische Lunisolarjahr — welches sich auf das babylonische stützte — verdrängt. Eine Schaltung in das Sonnenjahr haben die Perser erst später eingeführt; angeblich wurde nach 120 J. ein Monat eingeschaltet, jedoch wurde die Schaltung unregelmäßig ausgeführt, sodaß das persische J. eigentlich ein Wandeljahr war. Erst unter Jezdegerd III. (632 n. Chr.) gelangten die Perser zu einem besser geordneten Sonnenjahre.

b) Angebliches 360tägiges J. Eine mißverstandene, von manchen für kalendarisch gehaltene J.-Form, die nicht existieren konnte. Sie reduziert sich auf den Sprachgebrauch, den ,Monat‘ zu 30 Tagen zu rechnen (Herodot. I 32). Als Verwaltungsjahr oder als Rundjahr (zum Ausgang von Schaltungsversuchen) ist ein 360tägiges J. denkbar. Ein solches Verwaltungsjahr von 360 Tagen kommt vor in ägyptischen Tempelrechnungen, babylonischen Lohnlisten u. a.

c) Festes Sonnenjahr. Von Caesar 46 v. Chr. eingeführt. J.-Anfang 1. Januar. Alle 4 J. sollte ein Schalttag in das 365tägige J. im Februar (bissextum 24. oder 25. Februar) eingelegt werden [Julianisches J.] Das erste julianische J. 709 d. St. = 45 v. Chr., wird jetzt meist als ein Gemeinjahr angenommen. Die Pontifices schalteten mißverständlich alle 3 J. einen Tag ein, bis 745 d. St. also 12 Schalttage. Augustus ließ deshalb 746 d. St die Schaltung in den nächsten 12 J. ganz unterdrücken. Von 761 d. St. hat die julianische Schaltung ihren regelrechten Gang. Das julianische J. wurde nach Ausbreitung der römischen Herrschaft vielfach in Vorderasien (mit Beibehaltung der makedonischen oder einheimische Monatsnamen) angenommen: von den Asianern, von Ephesos, auf Kreta, in Bithynien, Antiochia, Seleukia u. a., hier und da mit Änderungen in der Verteilung der Monatslängen. Andere Orte, wie Salamis, Lykien, Gaza, Askalon, Bostra akzeptierten das ägyptische J. als Grundlage ihrer Zeitrechnung oder nahmen es mit Änderungen der Monatslängen an (Tyros). Der J.-Anfang war sehr verschieden: 1. Januar, [612] oder 22. März oder 23. September, oder 1., 19., 28. Oktober u. a. Das gregorianische J. (1582 eingeführt) bedingt alle 4 J. einen Schalttag, jedoch sind jene Säkularjahre, welche durch 400 nicht ohne Rest teilbar sind, Gemeinjahre (wie 1700, 1800, 1900). Durch diese Regel bekommen 400 gregorianische J. eine Länge von 146097 Tagen, sodaß die Länge des J. 365,2425 Tage wird; letztere weicht 0,0003 oder 26 Sekunden von der mittleren Länge des tropischen J. ab. In etwa 3200 J. macht die Abweichung des gregorianischen vom mittleren astronomischen J. erst einen Tag aus. Die Differenzen des julianischen und gregorianischen J. sind

Ende Febr. 1700 10 Tage
vom 1. März 1700 bis 0,, 0 ,, 1800 11 0 ,,
0,, 1. 0 ,, 1800 0,, 0 ,, 0 ,, 1900 12 0 ,,
0,, 1. 0 ,, 1900 0,, 0 ,, 0 ,, 2100 13 0 ,,
0,, 1. 0 ,, 2100 0,, 0 ,, 0 ,, 2200 14 0 ,,

Um diese Beträge sind die Daten julianischer J. zu vergrößern, um entsprechende gregorianische zu erhalten.

5. Das freie Mondjahr (mohammedanisches, türkisch-arabisches J.), welches nur in betreff der Rückkehr zu den Mondphasen ausgeglichen wird, mit seinen Anfängen aber alle J.-Zeiten durchläuft, hat für die Interessenten der klassischen Altertumswissenschaften keine Bedeutung.

[Betreffs eingehender Nachweise und Literatur verweise ich auf mein Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie I. Bd. 1906 (Kap. I, II, IV). II. Bd. 1911 (Kap. VIII, X, XI). III. Bd. (Kap. XII).]

[Ginzel. ]