Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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[Iulia Tochter des Augustus und der Scribonia
Band X,1 (1918) S. 896906
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550) Iulia, einzige Tochter des C. Iulius Caesar Octavianus Augustus und der Scribonia.

Jugend. Entgegen früheren Annahmen (z. B. Pottier Bull. hell. IV 444, der ihre Geburt in das J. 42 setzt) steht jetzt das Geburtsjahr 39 = 715 fest. Cass. Dio XLVIII 34, 3. Macrob. Sat. II 5, 2. Auf den noch ungeborenen Sproß des Augustus, in dem ein Knabe erwartet wurde, der aber wider Erwarten ein Mädchen wurde, hat Virgil vielleicht die vierte Ecloge gedichtet (Literatur bei Schanz Röm. Lit. II 1, 48f.). Ihre Erziehung, die der Kaiser persönlich leitete, war sehr streng (Suet. Aug. 64). Da ihre Mutter Scribonia sofort nach der Geburt der Tochter verstoßen wurde (Dio XLVIII 34, 3), mußte sie die mütterliche Fürsorge entbehren, und da sich außerdem ihre Erziehung im kaiserlichen Hause mehr auf Äußerlichkeiten beschränkt hat (Suet. a. a. O.) und Augustus seinem einzigen Kinde gegenüber später mehr Nachsicht gezeigt haben wird, als es für ihn seinen Bestrebungen nach zu verantworten war, so haben wir hier den Grund für ihre spätere Charakterentwicklung zu suchen. Dagegen hob sich ihre geistige Bildung weit über den Durchschnitt (Macrob. a. a. O.), und zahlreiche Anekdoten lassen ihren Witz und die Schärfe ihres Geistes erkennen.

Schon in ihrer ersten Kindheit mußte sie erfahren, daß der Vater mit ihr politische Ziele im Auge hatte. Es scheint auf Wahrheit zu beruhen, wenn Antonius erzählt, daß I. zuerst mit seinem Sohne Antyllus verlobt gewesen sei (Cass. Dio XLVIII 54, 4 zum J. 717 = 37, vgl. LI 15, 4. Zon. X 24), während eine andere geplante Verbindung, die der I. mit dem Getenkönige Cotiso, die wir nur aus Resten der verleumderischen Flugschriftenliteratur bei Antonius kennen (Suet. Aug. 63), zu bezweifeln ist. Sie wird gehalten von Zippel Illyrien 237 und Gardthausen Augustus I 368, vgl. II 189, 42, doch beweisen die von ihm angeführten Worte (Cass. Dio LI 22, 8) gar nichts.

Heiraten. Ihr erster Gemahl war ihr Vetter M. Marcellus (Vell. II 93. Suet. Aug. 63), den Augustus für eine Nachfolgerschaft bei seinem damals oft leidenden Zustand in Aussicht genommen hatte (Seneca ad Marc. 2, 3. Tac. ann. I 3; vgl. hist. I 15. Cass. Dio LIII 30, 2), und so ist es zu erklären, wenn sich das römische Volk von dieser Heirat sehr viel versprach (Hor. carm. I 12, 45ff.). Cass. Dio LIII 27, 5 überliefert die Nachricht von der Eheschließung zum J. 729 = 25 und erwähnt dabei die Tatsache, daß Augustus durch Krankheit an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilzunehmen verhindert war und den [897] M. Agrippa mit seiner Vertretung betraute. Wir haben keinen Grund, diese Nachricht zu bezweifeln, und wenn neuere Forscher als Jahr der Eheschließung 24 annehmen (Kiessling Philol. Unters. II 70, 26; vgl. auch seine Einleitung zu Hor. carm. I 12 [Neubearbeitung von Heinze], so deckt sich das nicht mit der Überlieferung (vgl. Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzt. I 183, 8). Nähere Nachrichten über den Verlauf der Ehe fehlen. Vermutungen, ob I. ihrem Gemahl die Treue hielt (Gardthausen a. a. O. I 1098), sind müßig.

Unstimmigkeiten im kaiserlichen Hause entstanden wohl erst, als im J. 731 = 23 infolge einer neuen Erkrankung des Kaisers die Frage nach dem Nachfolger wiederum akut wurde. Wenn auch anfangs wohl Marcellus als Schwiegersohn des Augustus hierfür in Aussicht genommen war – einen bestimmten Nachfolger hat ja Augustus selbst nie bezeichnet (Dio LIII 30, 1. 31, 1) – so hat es doch den Anschein, daß er seit dem J. 23 den M. Agrippa mehr bevorzugte (Cass. Dio LIII 30, 2), und sich dadurch mit ihrem Mann auch I. zurückgesetzt fühlen mußte. Die Verhältnisse wurden erst wieder besser, als Agrippa nach dem Osten abgegangen war (Vell. II 93, 2f. Suet. Aug. 66. Cass. Dio LIII 32, 1). Da starb ganz plötzlich M. Marcellus im Herbst des J. 23 (Propert. III 18, 15. Plin. n. h. XIX 1. 29. Cass. Dio LIII 30, 4–6, vgl. Hirschfeld Wien. Stud. III 103, 28. Mommsen Ephem. epigr. VIII 236 n). Das Gerücht, Livia habe den Marcellus töten lassen, weil er ihren Söhnen im Wege gestanden habe (Cass. Dio LIII 33, 4), wird mit Recht von Willrich (Livia 19) zurückgewiesen. Es ist auch nicht sicher, daß Livia eifrig bestrebt war, die Wahl eines neuen Schwiegersohnes nach ihrem eigenen Willen durchzusetzen. Unter den Kandidaten für die Hand der I. wird C. Proculeius genannt, ein Freund des Kaisers (Porph. zu. Hor. carm. II 2, 5), aber ohne einflußreiche politische Stellung (Tac. ann. IV 40). Daß Tiberius als Schwiegersohn des Kaisers nicht in Betracht kommen konnte, zeigt ein Blick auf seine Beziehungen zu Agrippa (Willrich a. a. O.). Ohne seine Tochter nach ihren Wünschen zu fragen, nahm Augustus seinen Freund M. Agrippa, der zu dieser Zeit grollend auf Lesbos weilte (Cass. Dio LIII 32, 1), als Schwiegersohn in Aussicht (Vell. II 93, 3. Suet. Aug. 63. Cass. Dio LIV 6, 5), ließ ihn zurückkommen und veranlaßte ihn, seine überaus glückliche Ehe mit seiner Nichte Marcella zu lösen, um I. heiraten zu können (Cass. Dio a. a. O.). Daß Octavia dem Bruder den Rat zu dieser Verbindung gegeben habe (Plut. Anton. 87), halte ich mit Gardthausen (a. a. O. I 1099. II 408, 60) für wenig wahrscheinlich. Dio (LIV 6, 5) nennt Maecenas als Anstifter dieser Ehe.

Der genaue Zeitpunkt der Eheschließung ist nicht mehr zu bestimmen. Sicher ist nur, daß das J. 733 = 21 für Agrippa die Rückkehr aus dem Osten, die Heirat mit I. und das Amt des Praefectus urbi, oder vielmehr nur die Belehnung mit dessen Geschäften während der mehrjährigen Abwesenheit des Kaisers im Osten brachte.

Die Ehe selbst konnte nicht übermäßig glücklich [898] werden, war doch Agrippa ungefähr gleich alt mit Augustus (Gardthausen a. a. O. II 410, 11); auch hatte er eine glückliche Ehe auflösen müssen, um dem Wunsche des Freundes willfahren zu können. Freilich ließ Augustus nichts daran fehlen, ihm sein Vertrauen zu zeigen: im J. 736 = 18 verlieh er ihm die tribunicische Gewalt und erkannte ihn dadurch als Mitregenten an (Mon. Anc. Gr. III 21–23. Vell. II 90, 1. Tac. ann. III 56. Cass. Dio LIV 12, 4). Voll Rücksicht und Achtung trat Agrippa seiner Gemahlin gegenüber und wußte ihr Ansehen, wenn auch vielleicht mitunter zu hart (FHG III 350 = Hist. gr. min. ed. Dind. I 139, vgl. Haubold De rebus Iliensium, Leipzig 1888, 45f.), durchzusetzen. Wahrscheinlich Ende des J. 738 = 16 ging Agrippa nach dem Osten und, wenn es auch gegen die damalige Gewohnheit war (Suet. Aug. 24), so wird ihn I. dorthin begleitet haben. Die Schriftsteller, vor allem Josephus, wissen nichts von einer Begleitung seiner Gemahlin, aber eine ganze Reihe von Ehrendekreten (s. u.) ist dem Paar gesetzt worden oder der I. allein, als Gemahlin des Agrippa, so daß dadurch ihre Anwesenheit im Osten an der Seite ihres Mannes meines Erachtens genügend bestätigt erscheint. Dagegen ist es fraglich, ob sie die Reise des Agrippa zum Herodes (Sommer 739 = 15) und seine Expedition nach dem Bosporus mitgemacht hat. Ich möchte annehmen, daß sie während dieser Zeit allein die Westküste Kleinasiens bereist hat und dabei auch vor Ilion in die von Nicolaus Damascenus geschilderte Lebensgefahr gekommen ist (FHG III 350, vgl. o.). Während die Kaisertochter die Stätten der troianischen Kämpfe besichtigte, wurde sie von der Nacht und einem furchtbaren Unwetter, das den Skamander reißend anschwellen ließ, überrascht. Die Bewohner von Ilion hatten keine Ahnung von der Ankunft der Prinzessin und infolgedessen gar keine Vorbereitungen getroffen, weshalb sie nachher von Agrippa mit schwerer Strafe belegt wurden, von der sie erst die Fürsprache des Herodes befreite (Joseph. ant. Iud. XVI 26). Die Annahme Gardthausens (a. a. O. I 846), daß Dittenberger Syll. I² 352 in diese Zeit gehöre, ist ganz unsicher. Ehreninschriften, die sicher in diese Zeit gehören und die I. allein als Frau Agrippas nennen, sind nur folgende bekannt: aus Andros (IG XII 5, 740), Delos (Bull. hell. II 399 = Dittenberger Syll. I² 353), Kardamena (Herzog Koische Forschungen 229), Paphos (Journ. hell. stud. IX 243), Lesbos (Rev. ét. gr. V 412). Hierher gehört auch noch die schöne Inschrift aus Priene (Inschr. aus Priene 225, Greek Inscriptions of the Brit. Mus. III 428), die I. als καλλίτεκνος bezeichnet, ohne dabei des Agrippa Erwähnung zu tun. Dagegen werden Agrippa und I. nebeneinander genannt in Sestos, wo Agrippa landesherrliche Gewalt besessen haben muß (Cass. Dio LIV 29, 5), und zwar ist erst I. genannt und dann offenbar in ähnlicher Weise – die Inschrift ist am Schluß verstümmelt – M. Agrippa (Bull. hell. IV 517). Ferner erscheinen beide nebeneinander in Megara (IG VII 64–65) und Ceraunus (Journ. hell. stud. XI 128, 15), in beiden Inschriften aber in umgekehrter Reihenfolge. Wir erfahren auch von einer Ehrung, [899] die durch die Familie des Herodes der Gemahlin des Agrippa erwiesen wurde, indem Philippus dem Dorf Bethsaida Stadtrecht verlieh und der neuen Gemeinde den Namen Iulias gab (Joseph. ant. Iud. XVIII 28, etwas abweichend de bell, Iud. II 168). Diese Neugründung erfolgte sicher nach dem Regierungsantritt des Philippus (750 = 4 und vor dem Jahre 752 = 2 Schürer Geschichte des jüd. Volkes I³ 429. II³ 161).

Auch Münzen sind mit ihrem Bilde, wohl zu dieser Zeit, in Kleinasien geprägt worden, so in Pergamon (Cat. Brit. Mus. Mysia 139, 248f. = Head HN2 536 = Eckhel VI 168. Mionnet Suppl. V 429, 935) und in Ephesus (Eckhel a. a. O.).

Im J. 741 = 13 kehrte Agrippa aus dem Osten zurück – ob I. schon vorangereist war oder ihn begleitete, wissen wir nicht – erhielt von neuem auf fünf Jahre die tribunicische Gewalt und wurde im Herbst des Jahres mit der Führung des Krieges in Pannonien betraut (Cass. Dio LIV 28, 1). Bald nach der Rückkehr erkrankte er in Campanien und starb im März 742 = 12. I. war mit 27 Jahren zum zweitenmal Witwe geworden. Sie hatte ihrem Gemahl Agrippa bei dessen Lebzeiten bereits vier Kinder geschenkt, und nicht lange nach seinem Tode gebar sie das fünfte (Suet. Aug. 64). Es waren 1. Gaius, im J. 734 = 20 geboren (Cass. Dio LIV 8, 5) jedenfalls vor dem 23. September (Cass. Dio a. a. O.). 2. Vipsania Iulia. Ihr Geburtsjahr steht nicht fest, doch muß es 735 = 19 oder Anfang 736 = 18 gewesen sein (Mommsen Eph. ep. I 57) (s. u.). 3. Lucius, nach Cass. Dio LIV 18, 1 im J. 737 = 17 (Mommsen Herm. XIII 246 ,in der ersten Hälfte‘) geboren (Zonar. X 34). 4. Vipsania Agrippina. Geburtsjahr unsicher. Mommsen (a. a. O.) vermutet 740 = 14 oder 741 = 13. 5. Agrippa, zubenannt Postumus, weil er nach dem März 742 = 12 erfolgten Tode seines Vaters geboren wurde. Gardthausen (a. a. O. II 844. 1) vermutet, daß sein Geburtstag nach dem 26. Juni fiel (vgl. CIL I² S. 320. Hieron. 2018. Vell. II 103f. Suet. Aug. 65; Tib. 15. Cass. Dio LV 13, 2). Schwierigkeiten bietet die Frage, inwieweit I. ihrem zweiten Gemahl Agrippa die Treue hielt. Mit Sicherheit kennen wir nur einen Namen, den des Sempronius Gracchus, der als ihr Liebhaber in dieser Zeit genannt wird (Tac. ann. I 53). Mag sie es auch noch mit anderen getrieben haben, sicherlich ist sie noch nicht so verworfen gewesen, wie sie Macrobius (Saturn. II 5, 9) wohl auf Grund des nach ihrer Katastrophe entstandenen Klatsches zu schildern versucht. Bei dem Alter des Agrippa ist immer an ihre Jugend und ihr Temperament zu denken, und wenn sie den ungeliebten Mann, den ihr die Politik des Vaters gab, mit anderen hinterging, so ist sie von diesem Punkt aus menschlicher zu beurteilen, als es das Altertum und besonders ihre Zeit vielleicht getan hat (vgl. über die Bewertung des Macrobius: Ferrero Größe u. Niedergang Roms [deutsche Ausg.] V 253, 65).

Ihr dritter Gatte war Tiberius. Die verschiedensten Möglichkeiten waren vom Kaiser durchdacht worden (Suet. Aug. 63), aber endlich erschien ihm die Verbindung mit seinem [900] Stiefsohn am geeignetsten (Cass. Dio LIV 35, 4. Tac ann. IV 40). Eine Beeinflussung des Kaisers durch Livia (Gardthausen a. a. O. 1 1028) läßt sich in unserer Überlieferung nicht erkennen (Willrich a. a. O. 21). Tiberius war damals mit Agrippina, einer Tochter Agrippas aus erster Ehe und Enkelin des Caecilius Atticus, überaus glücklich verheiratet (Suet. Tib. 7) und mußte sogar gezwungen werden, seine Gemahlin zu verstoßen (Suet. Aug. 63; Tib. 7), um I., deren Treiben ihm bekannt war (Suet. Tib. 7), heiraten zu können. (Vell. II 96, 1 behauptet irrtümlicherweise, daß hierdurch Augustus und Tiberius einander näher gekommen seien.) Der Stadtklatsch wollte natürlich wissen, daß I. schon früher ein Auge auf den stolzen Sohn der Livia geworfen habe (Suet. Tib. 7). Die Vermählung fand im J. 743 = 11 statt. Alle näheren Angaben (z. B. Gardthausen a. a. O. I 1100. Ferrero a. a. O. VI 134, 42) beruhen auf Vermutungen.

Die erste Zeit der Ehe soll glücklich gewesen sein, aber bald trat eine Entfremdung zwischen den Ehegatten ein, die immer mehr zunahm, so daß Tiberius sogar dauernd sein eigenes Schlafgemach benutzt haben soll. Den äußeren Anlaß scheint der Tod des einzigen Sohnes, der aus dieser Ehe hervorging, gegeben zu haben (Suet. Tib. 7). Dieser Sohn ist dem Paare zu Aquileia (Suet. a. a. O.), vermutlich im J. 10, geboren, wohin Augustus vielleicht sein Hoflager verlegt hatte (Gardthausen a. a. O. II 669). Tiberius weilte damals in Pannonien und kehrte erst im J. 745 = 9 nach Italien zurück, mußte dann freilich auf Befehl des Kaisers nach Germanien, um dort die Stellvertretung seines tödlich erkrankten Bruders zu übernehmen und dessen Leiche nach Rom zu schaffen. Aus Anlaß der grandiosen Leichenfeier zu Ehren des Drusus gegen Ende des J. 745 = 9 erfahren wir, daß I. zusammen mit Livia die Frauen Roms bewirtet habe, während Tiberius aus Anlaß seines Sieges über Dalmater und Pannonier den Männern das gleiche bot (Cass. Dio LV 2, 4). Dieses ist, soweit uns bekannt, das letzte Mal gewesen, daß I. sich in voller Würde als Gemahlin des Tiberius gezeigt hat. Als Tiberius, der auch seinem Charakter nach garnicht zu der lebensbejahenden I. paßte, sich mehr und mehr von ihr zurückzog, verlor diese jeden Halt und vergaß jede Rücksicht auf ihre Stellung. Wieder verfiel sie dem Einfluß des Sempronius Gracchus, der schon zur Zeit ihrer Ehe mit Agrippa ihr Liebhaber gewesen war (s. o.). Er hat den Stolz und die Verachtung der Kaisertochter ihrem Gemahl gegenüber zu schüren gewußt und soll sie auch veranlaßt haben, beleidigende Briefe über ihn ihrem Vater zu schicken (Tac. ann. I 53). Tiberius selbst, der natürlich von dem Treiben seiner Gemahlin genaue Kunde hatte, konnte ihr Ankläger nicht sein (Suet. Tib. 10), obwohl es die lex de adulteriis von ihm verlangt haben wird. Er hätte sich seiner ganzen politischen Stellung begeben, wenn die Scheidung von I. offizielle Tatsache geworden wäre, zumal wo damals die beiden Enkel des Kaisers anfingen, eine Rolle zu spielen (Suet. a. a. O.). Die ihm im J. 748 = 6 verliehene [901] tribunicische Gewalt hatte er noch angenommen (Suet Tib. 9. Cass. Dio LV 9, 4f.), war aber dann nicht nach Armenien, wie es der Kaiser wünschte, sondern nach Rhodos gegangen (Tac. ann. I 53, vgl. VI 51. Suet. Tib. 9–11. Cass. Dio LV 9, 5. Zonar. X S. 421 B. Exc. Val. 177) und ließ den Ereignissen in Rom ihren Lauf.

Katastrophe und Tod. Für I. war die Abreise ihres Gemahls die Veranlassung, noch leichtsinniger und unvorsichtiger vorzugehen. Es ist ein etwas dunkles Kapitel, wenn wir uns über die Stellung des Augustus seiner Tochter gegenüber in dieser Zeit Klarheit verschaffen wollen. Ihr Treiben kann dem Kaiser eigentlich nicht gut verborgen gewesen sein, und doch hat ihn die Entdeckung der Schamlosigkeit seiner Tochter auf das empfindlichste getroffen (Suet. Aug. 65). Wenn man annimmt, daß Livia auf alle Weise versucht habe, ihren Gemahl sorglos zu machen (z. B. Gardthausen a. a. O. I 1029), so deckt sich dies in keiner Weise mit der Überlieferung (vgl. Willrich a. a. O. 24). Jedenfalls hat Augustus seiner Lieblingstochter gegenüber die größte Nachsicht walten lassen (Cass. Dio LV 10, 13. Macrob. Sat. II 5, 2) und hat vieles als Stadtklatsch unbeachtet gelassen. Vielleicht war er in dieser Beziehung zu wenig vorsichtig, bis sich das Treiben seiner Tochter nicht mehr verheimlichen ließ. Aber soviel ist sicher, daß sich der Klatsch und die Mißgunst in übertriebener Weise der Person der I. bemächtigt haben, und deshalb ist die ganze Skandalchronik, wie sie uns z. B. Vell. II 100, 3 gibt, mit einiger Vorsicht aufzunehmen. Er nennt die folgenden Liebhaber der I. aus senatorischem oder ritterlichem Stande: Iulius Antonius, Quinctius Crispinus, Appius Claudius, Sempronius Gracchus (vgl. Tac. ann. I 53), Scipio und fügt noch aliique minoris nominis hinzu. Nach Cass. Dio LV 10, 15 war sogar ein Volkstribun des Jahres 752 = 2 unter ihren Liebhabern, und Macrobius (Saturn. I 11, 17) nennt noch einen sonst unbekannten Griechen Demosthenes. Das Hirn eines Caligula erfand sogar die Mär, daß Augustus mit seiner eigenen Tochter blutschänderischen Umgang gepflogen habe (Suet. Caligula 23. Boissier L’ opposition sous les Césars⁵ 138). Auch von Attentatsplänen der Kaisertochter gegen ihren Vater wußte das Altertum zu erzählen (Plin. n. h. VII 149). Natürlich können wir dies alles nicht mehr bis ins einzelne auf historische Treue prüfen. Mag auch viel schon im Altertum übertrieben sein, reinzuwaschen ist I. auf keinen Fall, und schon die Art, wie ihr Treiben endlich ans Licht kam, läßt Rückschlüsse auf ihre Charakterentwicklung zu.

Etwa vier Jahre nach der Abreise ihres Gemahls trug sich die Katastrophe der I. zu. Seneca (de benef. VI 32, 1) schildert sehr offen, wie es I. auf dem Forum und auf der Rednertribüne, wo ihr Vater vor 16 Jahren seine berühmten Sittengesetze eingebracht habe, getrieben. Cass. Dio LV 10, 12, der sonst dem Bericht Senecas folgt, läßt den alten Kaiser die Schande seiner Tochter selbst entdecken, und er gibt auch in dem nun folgenden Prozeß den Ankläger ab. Der Zeitpunkt der Katastrophe [902] läßt sich nicht genau bestimmen. Daß er im J. 752 = 2 gewesen sein muß, lehren nur die Quellen (Vell. II 100, 2. Cass. Dio LV 10, 9ff.; vgl. Macrob. Sat. II 5, 2), aber über den genaueren Zeitpunkt gehen die Ansichten auseinander (über diese Frage Gardthausen a. a. O. II 717, 23). Da Augustus vermutlich wenige Tage nach dem 1. August d. J. sein 13. Consulat niederlegte (Cass. Dio LV 10, 8) und nirgends überliefert ist, daß I. während des Consulates des Kaisers, was wohl kaum verschwiegen worden wäre, bei ihren Ausschweifungen ertappt worden ist, so ist mit Sicherheit an die letzten Monate des J. 752 = 2 zu denken (Gardthausen a. a. O.).

Die Enthüllungen über den Lebenswandel seiner Tochter sind dem alternden Kaiser furchtbar nahe gegangen und haben seinen ganzen Zorn erregt (Suet. Aug. 65. Cass. Dio LV 10, 12 und 14). Es ist sogar wahrscheinlich, daß er auf diese Nachrichten hin Rom für eine Zeit verlassen hat, um niemandem zeigen zu müssen, wie sehr ihn die Schande seiner Tochter getroffen. Denn der Bericht an den Senat über I. ist außerhalb von Rom geschrieben (Suet. a. a. O.). Ob überhaupt ein Gerichtsverfahren gegen I. eingeleitet wurde, und in welcher Weise dieses gehandhabt wurde, ist uns nicht überliefert. Im ersten Aufwallen des Zornes dachte Augustus daran, seine Tochter zu töten (Suet. a. a. O.), aber das war nach seinen eigenen Gesetzen nur möglich, wenn der Ehebruch im eigenen Hause entdeckt war (Dig. XLVIII 5, 24 (23); vgl. Bruns Fontes⁷ nr. 21). Wir wissen ferner, daß Augustus sofort nach Bekanntwerden der Verfehlungen seiner Tochter (Suet. Aug. 65. Cass. Dio LV 10, 14) einen schriftlichen Bericht an den Senat aufgesetzt hat, der durch einen Quaestor im Senat verlesen wurde (Suet. a. a. O.). Er wurde wahrscheinlich im Archiv hinterlegt, denn spätere Schriftsteller haben aus ihm berichten können (Seneca de ben. VI 32, 1. Plin. n. h. XXI 9). Natürlich konnte dieser Bericht erst erstattet werden, als Untersuchung und Zeugenverhör beendet war, doch erzählt uns niemand im Altertum, daß dieser Bericht nach der Verurteilung erfolgt sei, wie es Ferrero (a. a. O. VI 224) annimmt. Wir erfahren gerade das Gegenteil (Suet. Aug. 65. Cass. Dio LV 10, 14. Abele Der Senat unter Augustus 53). Im Namen des Gatten schickte der Kaiser seiner Tochter den Scheidebrief (Suet. Tib. 11) und wird dann wohl bald die für adulterium zulässige Strafe (s. o. Bd. I S. 434) der Relegation über sie verhängt haben (Vell. II 100, 5. Suet. Aug. 65; Tib. 50; vgl. Tac. ann. III 24. Hier. ad a. Abr. 2012). Als Aufenthaltsort wurde ihr die kleine Insel Pandateria, etwa 50 km westlich von Cumae gelegen, zugewiesen (Tac. ann. I ) 53. Cass. Dio LV 10, 20), wohin sie ihre Mutter Scribonia freiwillig begleitete (Vell. a. a. O. Cass. Dio a. a. O.) und wo sie äußerst streng bewacht und knapp gehalten wurde (Sueton a. a. O.). Durch nichts ließ sich Augustus bewegen, das harte Urteil zu mildern. So soll Tiberius selbst mehrfach brieflich für seine frühere Gemahlin eingetreten sein (Suet. Tib. 11), ja das ganze Volk bat für sie (Suet Aug. 65), und einige kühne [903] Männer von nicht gerade tadellosem Ruf wollten sie mit Gewalt von der Insel befreien (Suet. a. a. O. 19). Erst nach fünf Jahren wurde ihr gestattet, die Insel zu verlassen. Sie durfte in Rhegium (Tac. ann. I 53) wohnen, doch waren die Bedingungen nur wenig erträglicher (Suet. Aug. 65). Davon, daß Augustus einen ,förmlichen Senatsbeschluß‘ über die weitere Verbannung der I. veranlaßt habe (Gardthausen a. a. O. I 1104), weiß die Überlieferung nichts (Cass. Dio LV 32, 4); es ist auch wenig wahrscheinlich, da schon die Relegation nach Pandateria nur persönlich von Augustus ausgegangen sein kann (vgl. Suet. Tib. 60: ex constitutione patris uno oppido clausam).

I. gehörte nicht mehr zur Familie des Augustus. Sie fehlt auf dem Bogen zu Pavia (CIL V 6416, vgl. Schiller Gesch. der röm. Kszt. I 183, 1) und wird auch von Augustus nicht in seinem Testament bedacht (Suet. Aug. 101; Tib. 50). Freilich hat der Kaiser seiner Tochter ein kleines Vermögen gelassen und ihr auch eine jährliche Rente zukommen lassen (Suet. Tib. 50. Cass. Dio LVI 32, 4), aber da sich hierüber im Testamente nichts fand, konnte Tiberius als Haupterbe die weitere Zahlung einstellen (Suet. a. a. O.). Augustus hatte nur noch verboten, seine Tochter im Falle ihres Todes in seinem Mausoleum beizusetzen (Suet. Aug. 101. Cass. Dio LVI 32, 4).

Mit dem Regierungsantritt des Tiberius verschlechterte sich die Lage der I. wieder. Der Kaiser ließ ihr freilich ihren Wohnsitz in Rhegium, aber sie durfte das Haus nicht verlassen und wurde im Verkehr mit andern stark eingeschränkt. Auch entzog ihr der Kaiser die Unterstützungen, die ihr noch Augustus hatte zukommen lassen (Suet. Tib. 50). Jetzt, wo er Herrscher war, ließ er sie seine ganze Rache spüren (Tac. ann. I 53). Die Behandlung wurde derart, daß sie ihren Vater nicht lange überlebt hat. Sie erfuhr noch die Hinmordung ihres jüngsten Sohnes Agrippa Postumus auf Planasia und starb dann kurze Zeit darauf an Hunger und Auszehrung am Ende des J. 14 n. Chr. (Tac. a. a. O). Nach Zon. XI 2, 438, 1-4 B und der Einreihung des Fragmentes bei Cass. Dio LVII 18, 1 a soll ihr Tod in das J. 17 fallen. Dafür fehlen aber jegliche weitere Anhaltspunkte.

Ehrungen. Bei der Freigebigkeit besonders des Ostens in bezug auf Ehrungen ist anzunehmen, daß der I. bis zu ihrer Katastrophe einmal als Tochter des Augustus und dann als Gemahlin der mächtigsten Männer im Reich eine große Zahl von Ehrendenkmälern gesetzt worden ist. Von diesen hat sich nur sehr wenig erhalten, und es ist anzunehmen, daß nach dem J. 752 = 2 eine ganze Reihe derselben absichtlich vernichtet worden ist. Weder Marcellus noch Tiberius ist auf einem derartigen Denkmal neben I. bezeugt. Daß die oben bereits erwähnten Ehrungen der I. und des Agrippa so relativ zahlreich vorliegen, hat natürlich seinen Hauptgrund in der persönlichen Anwesenheit der Kaisertochter im Osten an der Seite ihres Gemahls Agrippa. Aus ihrer Jugendzeit haben wir noch zwei inschriftliche Erwähnungen, beide vor dem J. 727 = 27 gesetzt: CIL II 475 (vgl. Ephem. epigr. [904] VIII 363, 18) aus Emerita (Lusitanien) und IG XII 2, 537. CIL III 7156 aus Eresos (Lesbos). Im Osten haben ihr auch verschiedene Gemeinden den Ehrennamen Euergetis verliehen: Thasos (Rev. arch. n. s. XXXVII 283. IG XII, 8 nr. 381) und Lesbos (Rev. ét. gr. V 412. IG XII 2, 482). Zu erwähnen ist noch Bull. com. 1892, 181. Röm. Mitt. VIII 325, inschriftliche Erwähnung auf römischen Bleiröhren. Auch auf Münzen des Ostens erscheint das Bild der I. zusammen mit Augustus, Agrippa, Livia und ihren beiden ältesten Söhnen (Cohen Descript. I² 180, 1ff., vgl. u.). Neben Augustus, Livia, C. und L. Caesar wird sie in einer ägyptischen Inschrift des J. 4 v. Chr. genannt (IGR I 1109).

I. im Kult. Genau wie ihrem Vater werden auch ihr im Orient göttliche Ehren zugesprochen, die natürlich nach ihrem Besuch im Osten besonders häufig waren. Eine von Gardthausen (a. a. O. II 714, 14) u. a. als wahrscheinlich angenommene Gleichsetzung der noch nicht zwölfjährigen I. mit der Venus Genetrix scheint mir mit P. Riewald (De imperatorum Romanorum cum certis dis et comparatione et aequatione. Diss. Hal. XX 311, 1) auf falscher Kombinierung zweier Inschriften zu beruhen (IG XII 2, 537. CIL III 7156f.). Als θεά erscheint sie auf dem thrakischen Chersones (Bull. hell. IV 517) und in Priene (Inschr. v. Pr. nr. 225), als θεὰ Σεβαστή in Paphos (Journ. hell. stud. IX 243, 19). Die von Judeich (Topogr. v. Athen 94) auf I. bezogene Inschrift IG III 461, in der sie θεὰ Σεβαστή genannt wird und der Πρόνοια gleichgesetzt wird, ist wohl der Livia gesetzt. Häufiger ist ihre Gleichsetzung mit der Venus (Assus: IGR IV 257; Pergamon: Head HN² 536 [Cat. Brit. Mus. Mysia 139, 248f.]. Mionnet Suppl. V 429, 935) oder mit der neuen Venus (Lesbos: IG XII 2, 482). Vgl. Ramsay Cities and Bishoprics of Phrygia I 54 über den Kult der I.-Aphrodite in Ira-Hiera. Auf Münzen hat sie die Attribute der Diana (Cohen I² 180, 1), auf Gemmen die der Ceres (Babelon Cat. taf. XXV 242ff.). Endlich wurde ihr Kult in Athen dem der Hestia auf der Burg angegliedert (Athen. Mitt. XIV 312). Literatur: Heinen Zur Begründung des römischen Kaiserkultes, Klio XI 2, 176. Riewald a. a. O.

Beurteilung und Charakteristik. Der Charakter I.s ist bei der Natur unserer Quellen sehr schwer zu fassen. Die Angaben sind in dieser Beziehung dürftig, und aus den verschiedenen Anekdoten ist auch nicht viel historisch Wertvolles zu entnehmen. Natürlich hängt die Beurteilung der I. von der Wertung der Quellen ab, und da lassen sich schon im Altertum zwei Hauptrichtungen unterscheiden, eine freundliche oder parteilose und eine ungünstige Auffassung. Offenbar guten historischen Boden haben wir bei Sueton und Cassius Dio, der in vielen Punkten von ersterem abhängt (Cass. Dio XLVIII 54 4 = Suet. Aug. 63. LV 10, 12–16 = 65. LVI 32, 4 = 101. LV 9, 5-8 = Tib. 10). Es fehlt jede absichtliche Beeinträchtigung des Charakterbildes, und der Bericht geht auf gute Quellen zurück (vgl. z. B. Suet. Aug. 71) und weist auch gar zu tolle Verunglimpfungen (Suet. Calig. 23) in die nötigen Schranken. Die andere Auffassung [905] haben wir bei Velleius Paterculus, dessen Ansicht durch seine Stellung zu Tiberius gegeben ist (vgl. besonders II 100, 2). Tacitus hingegen, der an sich den Fall der I. ziemlich objektiv wiedergibt (vgl. ann. III 24. VI 51), versucht, mit ihrem Geschick gegen Tiberius Stimmung zu machen (I 53). Während die vorübergehenden Erwähnungen bei Seneca (de benef. VI 32, 1 = Cass. Dio LV 10, 12) und Plinius (besonders n. h. XXI 9) authentische Nachrichten zu geben scheinen, haben wir bei Macrobius(Sat. 115) sowohl gute wie auf den Stadtklatsch zurückgehende Nachrichten, die aber für ein Charakterbild der I. nicht unwichtig sind. Hervorzuheben sind hier besonders die Worte: sed indulgentia tam fortunae quam patris abutebatur, cum alioquin litterarum amor multaque eruditio, quod in illa domo facile erat, praeterea mitis humanitas minimeque saevus animus ingentem feminae gratiam conciliarent, mirantibus qui vitia noscebant tantam pariter diversitatem (a. a. O. II 5, 2).

Ähnlich zwiespältig ist auch ihr Bild in der neueren Geschichtschreibung, doch will ich hier nur weniges herausgreifen. Wohl als einer der ersten tritt Wieland (Werke [Göschen] Bd. 32 [1857] 335ff.) in energischer Weise für sie ein, freilich auf Kosten der Livia. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Blaze de Bury (Livie et la fille d’Auguste, Revue des deux mondes 1874 [avril], besonders S. 601. 606, freilich ohne Kritik). Hiergegen ist einzuwenden, daß bei objektiver Beurteilung der Überlieferung dieser Einfluß der Livia in ein Nichts zerfällt (Willrich Livia 18ff.). Auch bei Gardthausen spielt diese der Livia untergeschobene Politik eine bedeutende Rolle (I 722. 1028f.), während er sich sonst bemüht, sie ohne Beschönigung oder Verschleierung ihrer Fehler als eine Frau ihrer Zeit hinzustellen (I 1105). Auf der andern Seite versucht neuerdings Ferrero (a. a. O. V 252, 62. VI 199ff., 19), ihr Bild übertrieben ideal zu zeichnen, ohne ihr dabei eigentlich selbst wirklich gerecht zu werden. – Wir verstehen das Schicksal der I., wenn wir einen Blick auf ihren äußeren Lebenslauf und auf ihren Charakter werfen. Sie ist nicht von Haus aus schlecht, sie ist das Opfer der Anschauungen ihrer Zeit und der selbstsüchtigen Politik ihres Vaters geworden.

Bildnisse der I. Authentische Bildwerke der Kaisertochter haben sich nicht erhalten. Trotzdem einer Statue im Louvre (Mongez Icon. rom. tab. XX 1–3) jeder Porträtcharakter fehlt (Bernoulli Röm. Ikonogr. II 1, 129), wird sie doch wohl noch oft als Ceres-I. angesprochen (Blaze de Bury a. a. O. 601. Birth Röm. Charakterköpfe 209). Am ehesten ist man heute geneigt, eine Berliner Büste für die Kaisertochter in Anspruch zu nehmen ((Bernoulli a. a. O. 130, Abb. S. 114). Ein sicheres Porträt der I. gibt nur eine bei der Tiberregulierung gefundene Bleitessera (M. Rostowzew Strena Helbigiana 263f.), sowie einige andere Tesseren (Tesserarum urbis Romae et suburbi plumbearum Sylloge 514, 514 a, diese abgebildet bei Rostowzew Röm. Bleitesseren, 3. Beih. d. Klio taf. 116), ein unsicheres Porträt auf einer Bleitessera gibt Belfort Annuaire d. numism. [906] XIII 84 taf. III 9). Nicht so deutlich, aber gut beglaubigt sind einige Münzen, so die des Marius (Cohen I 180, 1, gut abgebildet bei Bernoulli a. a. O. Taf. XXXII 15. Rostowzew Strena Helbigiana 264, ferner Cohen I 1861, 2) und einige aus Pergamon (Mongez a. a. O. XX 4. Cat. Brit Mus. Mysia 139, 248f. = Head HN² 536. Mionnet Suppl. V 429, 935). Ihre Darstellungen auf geschnittenen Steinen (Bernoulli Taf. XXVII 10. Babelon Cat. taf. XXV 242ff.) sind stark idealisiert. Auch auf zahlreichen Reliefs, die das Iulisch-claudische Kaiserhaus darstellen, hat man eine Darstellung der I. vermuten wollen. Diese Versuche sind natürlich mehr oder weniger unsicher und willkürlich, wie z. B. der von Conze, in einer sitzenden weiblichen Figur eines Reliefs in S. Vitale in Ravenna die I. zu erkennen (Die Familie des Augustus [Halle 1867] 12, vgl. Bernoulli a. a. O. 254ff.). Ebenso sind alle Identifizierungen auf den Reliefs der Ara Pacis Augustae (Petersen Tafelband zu seinem Buch A. P. A. Wien 1902) nur Vermutungen, und Versuche, I. in der einen oder der andern Figur zu sehen, eben nur als solche anzuführen (vgl. Dütschke Über ein römisches Relief mit Darstellungen der Familie des Augustus, Progr. Joh. Hamb. 1880. Petersen Ara Pacis Augustae 108, anders Bernoulli a. a. O. 260. v. Domaszewski I Österr. Jahresh. VI 62).

Literatur. Da eine spezielle Bearbeitung fehlt, muß hier auf die betreffenden Abschnitte in größeren Werken hingewiesen werden – Einzelabhandlungen, die oben bereit zitiert sind, werden hier nicht nochmal angeführt. Prosop. imp. Rom. II 420. Schiller Geschichte der römischen Kzt. I 183ff. Boissier L’opposition sous les Césars⁵ (Paris 1905) 133ff. Gardthausen Augustus und seine Zeit I bes. 1095ff. II 712ff. Ferrero Größe und Niedergang Roms (Deutsche Ausgabe von Kapff) VI 147–224.