Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Iulia Tochter von Nr. 550 und des M. Agrippa, Enkelin des Augustus
Band X,1 (1918) S. 906908
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551) Iulia, die Tochter der Vorigen und des M. Agrippa, Enkelin des Augustus. Ihr Name war vermutlich Vipsania L, doch wird der Gentilname immer fortgelassen. Daraus will Ferrero (Größe und Niedergang Roms VI 231, 14) eine Adoption durch Augustus erschließen, doch fehlt dafür jeder Quellenbeweis. Ihr Geburtsjahr ist nicht überliefert, doch läßt sich 735 = 19 oder Anfang 736 = 18 als sehr wahrscheinlich annehmen. Mommsen Ephem. epigr. I 57: vgl. Herm. XIII 246.

Die Nachrichten über ihr Leben sind sehr dürftig, am ausführlichsten und dabei offenbar auf gute Quellen zurückgehend ist Schol. Iuv. VI 158. Ihre Erziehung leitete der Kaiser persönlich; sie richtete sich hauptsächlich auf praktische Einfachheit im häuslichen Leben und auf würdiges Auftreten nach außen hin (Suet. Aug. 9 64), ohne freilich das in ihr schlummernde Erbe der Mutter schon im Keime töten zu können. Sie wurde dem L. Aemilius Paulus (s. o. Bd. I S. 580), dem Consul des J. 1 n. Chr., vermählt. Als Zeitpunkt der Hochzeit ergibt sich das J. 750 = 4, da sie wahrscheinlich schon im J. 751 = 3 einer Tochter, der Aemilia Lepida (s. o. Bd. I S. 591 Nr. 165) das Leben schenkte (Mommsen Ephem. epigr. I 58). Als ihr Gemahl [907] einer Verschwörung gegen das Leben des Kaisers beschuldigt wurde (Suet. Aug. 19. Schol. Iuv. VI 158), wurde auch sie in seine Katastrophe mit hineingezogen (Suet. Claud. 26) und vom Kaiser mit Relegation bestraft (Schol. Iuv. a. a. O.). Wo sie sich aufgehalten hat, wissen wir nicht. Bald wieder zurückgerufen, ergab sie sich einem lasterhaften Lebenswandel (Suet. Aug. 65. Tac. ann. IV 71; vgl. III 24. Schol. Iuv. VI 158) und wurde von Augustus mit lebenslänglicher Verbannung bestraft (Schol. Iuv.). Als Aufenthaltsort wurde ihr die Insel Trimerus, am nördlichen Ende der Küste Apuliens gelegen, zugewiesen (Tac. ann. IV 71). Als Zeitpunkt ihrer Verbannung ergibt sich das J. 8 n. Chr. (Tac. a. a. O.). Da Ovid in demselben Jahre relegiert wurde, hat man natürlich schon im Altertum beide Fälle miteinander in Beziehung zu bringen versucht. Positive Angaben fehlen. Es läßt sich nur aus Anspielungen (Trist. II 103. III 5, 49) vermuten, daß Ovid irgend welche sittlichen Verfehlungen im Kaiserhause mit angesehen hat, aber ob nun gerade den Ehebruch der I. mit D. Iunius Silanus (Boissier L’opposition sous les Césars⁵ 140ff.), ist natürlich mehr als unsicher. Das zeitliche Zusammentreffen beider Ereignisse genügt nicht zur Entscheidung (ausführliche Literaturangabe bei Schanz Geschichte der röm. Lit. II 1, 268f.). Ebenso ist die Annahme, daß sich unter dem Namen Corinna bei Ovid die Enkelin des Kaisers verberge, zurückzuweisen (Schanz a. a. O. 273. 275). Von den Liebhabern der I. kennen wir eigentlich nur den eben genannten D. Iunius Silanus (Tac. ann. III 24), denn die beiden andern von Gardthausen noch angeführten (Augustus und seine Zeit II 846, 15) Männer, L. Avillius Flaccus (die Philostelle 540 beweist nichts) und Demosthenes (vgl. Gardthausen a. a. O. I 1100, wo er ihn in Zusammenhang mit der älteren I. bringt, Macrob. Sat. I 11, 17) sind zu streichen. Wie weit die Nachricht, daß sie mit ihrem eigenen Bruder Agrippa blutschänderischen Umgang gehabt habe (Iuv. Sat. VI 158), auf Wahrheit beruht, läßt sich natürlich nicht feststellen (vgl. auch Schol. Iuv. Sat. VI 158). Ein nach ihrer Verbannung geborenes Kind verbot Augustus ausdrücklich anzuerkennen und aufzuziehen (Suet. Aug. 65). Nach dem Tode des Augustus wurde ihre Verbannung durch Vermittlung der Livia (Augustae ope sutientata, Tac. ann. IV 71) etwas erträglicher, wenn auch wohl Tacitus hier wiederum ohne Grund der Livia die Hauptschuld an der Katastrophe ihrer Stiefenkelin zu geben scheint (quae florentes privignos cum per occultum subvertisset, misericordiam erga adflictos palam ostentabat). Nach 20jähriger Verbannung auf der Insel starb I. im J. 28 n. Chr. (Tac. a. a. O.). Ihre Leiche wurde nicht in das Grabmal des Augustus aufgenommen (Suet. Aug. 101).

Charakteristik. Ihre Wesensentwicklung steht stark unter dem Einfluß ihrer Mutter, wenn sich auch Augustus selbst redlich Mühe gegeben hat, sie nach seinen Grundsätzen zu erziehen (Suet. Aug. 64). In der Überlieferung tritt sie stark zurück. Nur gelegentlich wird sie erwähnt. Sie war äußerst prachtliebend [908] und trat damit schon in einen gewissen Gegensatz zum Kaiser, der ihr ihren großzügig angelegten Palast niedergerissen haben soll (Suet. Aug. 72). Das Unglück ihres Mannes ist auch für sie der Anfang vom Ende. Sie verlor jeden Halt und gab sich einem Lebenswandel hin, der ihre Katastrophe herbeiführen mußte. Unsere Zeugnisse sprechen von vollendetem adulterium (Tac. ann. IV 71, vgl. III 24), doch müssen noch andere Verbrechen ihr zur Last gelegt worden sein, da sie nicht mit Relegation, sondern mit Exilium bestraft wurde (Schol. Iuv.).

Ehrungen. Thasos ehrt sie als Tochter des Agrippa neben ihrer Mutter und Stiefgroßmutter (IG XII 8, 381). Bildliche Darstellungen sind nicht mehr nachzuweisen. Eine Vermutung Petersens Röm. Mitt. IX 199.

Literatur. Gardthausen a. a. O. I 1253f. II 846f. Ferrero a. a. O. VI 294ff. Boissier L’Opposition sous les Césars⁵ 139ff. Prosop. imp. Rom. II 421.