Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Verbrechen zwischen Ehegatten durch Umgang mit einem anderen
Band I,1 (1893) S. 432 (IA)–435 (IA)
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Adulterium bezeichnet bei den Römern das Verbrechen der Ehegattin, welche die dem Gatten schuldige Treue durch Umgang mit einem anderen verletzt, und des Mannes, der Umgang mit einer verheirateten Frau pflegt. Stuprum ist der weitere Begriff, bedeutet aber im engeren Sinne den unzüchtigen Verkehr mit einer unverheirateten Frau oder von Personen männlichen Geschlechtes mit einander (Dig. XLVIII 5, 6, 1. L 16, 101 pr.). In älterer Zeit, als das Strafrecht des Staates noch sehr begrenzt war, kümmerte sich der öffentliche Richter nicht um diese Vergehen. Die fehlende Frau konnte das Familienhaupt, das gewöhnlich einen Familienrat beizog, beliebig verstossen oder bestrafen (vgl. auch Tac. ann. II 50). An dem Manne nahm die verletzte Familie Rache; wenigstens ist es noch in später Zeit – in Rom, wie in anderen Staaten, der letzte Rest der Selbsthilfe im Strafrechte – anerkannt, dass der Gatte oder Vater, der die Schuldigen auf frischer That ertappte, nicht nur die Frau töten, sondern auch an dem Manne ungestraft beliebige Rache nehmen konnte (Hauptstelle Cato bei Genius X 23, 4ff.; doch spielen römische Schriftsteller sehr oft auf dies Recht an: Rein Röm. Crim.-R. 838). Wenn der Mann seine Frau wegen A. verstiess, so hatte in Streitigkeiten in betreff der Mitgift ein öffenliches Civilgericht zu entscheiden (vgl. Dos und iudicium de moribus). Ferner konnte der [433] Censor wegen Missbrauches des hausherrlichen Rechtes eine Rüge erteilen und dadurch eingreifen (Cic. rep. IV 6. Dionys. ant. XX 13, 3). Das ordentliche Verfahren war aber in historischer Zeit der aedilicische Multprocess; der Aedil legte wegen stuprum Frauen und Männern Geldstrafen auf, die er gegen die Provocation vor den Comitien verteidigte. Der älteste uns bekannte derartige Process wurde 426 = 328 verhandelt (Liv. VIII 22, 3; ferner Liv. X 31, 9. Val. Max. VI 1, 7–8. Mommsen St.-R. II³ 493, 3–4). In einem uns bekannten Falle gingen einige der verurteilten Frauen ins Exil (Liv. XXV 2, 9). Die Verurteilten wurden intestabiles (Plaut. mil. glor. 1416f.). Sulla scheint ein hierher gehörendes Gesetz gegeben zu haben (Plut. Lys. et Sull. comp. 3). Genaueres über die Strafgesetze gegen A., die in republicanischer Zeit galten, aber durch das 1. Capitel der Lex Iulia aufgehoben wurden (Coll. l. Mos. IV 2, 2; vgl. Lex Scantinia), wissen wir nicht. Als im J. 737 = 17 Augustus die Lex Iulia de adulteriis coercendis durchsetzte (Hor. carm. IV 5, 21–24. Dio LIV 16. Suet. Aug. 34. Plut. Apophth. Aug. 8; der Name des Gesetzes ist zweifelhaft), knüpfte er vielfach an ältere Gebräuche an. Doch wurde durch das Gesetz eine Quaestio perpetua geschaffen, vor der von nun an die Processe wegen A. soweit sie nicht extraordinär abgeurteilt wurden, verhandelt wurden. Zum Thatbestande war nach dem Wortlaute des Gesetzes wohl erforderlich, dass sich der Mann mit einer Mater familias verging – was durch Interpretation weiter ausgelegt wurde – oder mit einer unverheirateten Matrona honesta; bestraft wurde nur, wer dolos, nicht wer culpos handelte. Der Mann wurde bestraft mit Rücksicht auf das Vergehen gegen die fremde, nicht etwa wegen Untreue gegen die eigene Frau. Beihülfe und Teilnahme wurde als lenocinium ebenso bestraft, wie der Ehebruch selbst; daher fiel unter das Gesetz der Ehemann, der seine Frau auf frischer That ertappte und nicht verstiess oder der gar aus dem Vergehen seiner Frau Vorteile zog; ferner wer dem Ehebrecher behülflich war, oder wer in irgend einer Weise die Vermittlung, die zu einem strafbaren Verhältnisse führte, betrieb, oder wer eine wegen A. verurteilte Frau ehelichte. Wegen lenocinium konnte auch durante matrimonio geklagt werden, und diese Klage verjährte erst nach 5 Jahren, dagegen konnte gegen die Frau wegen A. erst geklagt werden, wenn sie von ihrem Manne verstossen war, und zwar in den ersten 60 Tagen nach dem repudium nur von ihrem früheren Manne (oder, seit Severus, auch vom Bräutigam) oder von ihrem Vater; von dem letzteren nach älterem Rechte nur, wenn sie in dessen Potestas war, nach späterer Juristeninterpretation auch, wenn diese Voraussetzung nicht zutraf. Auch während dieser 60 Tage hatte der Mann den Vorrang vor dem Vater. Erst nach Verlauf dieser Frist konnte nach dem Rechte der lex Iulia jeder klagen, der überhaupt bei einem Iudicium publicum als Ankläger auftreten konnte, bis Constantin das Anklagerecht auf die personae proximae ei necessariae beschränkte. Sechs Monate von Auflösung der Ehe an wurde überhaupt keine Klage angenommen. Auch der adulter [434] konnte erst nach Auflösung der Ehe angeklagt werden, und auch gegen ihn hatte der Gatte während der ersten 60 Tage alleiniges Klagerecht; gegen den adulter erlosch jede Klage durch 5jährige Verjährung. Adulter und Adultera durften nicht zusammen beklagt werden. Das Recht die Verbrecher auf frischer That zu töten schränkte die Lex Iulia ein; der Mann durfte seine Frau überhaupt nicht mehr und den Adulter nur dann töten, wenn er ein Freigelassener der Familie oder eine persona vilis war und er ihn im eigenen Hause antraf; doch durfte er ihn 20 Stunden lang zum Zwecke des Beweises im Hause zurückhalten; erst Iustinian erweiterte das Recht der Selbstrache wieder (Nov. 117, 15). Der Vater, aus dessen Potestas die Tochter in manum mariti gekommen war, oder in dessen Potestas die Tochter stand, hatte, wenn er sie in seines oder seines Schwiegersohnes Wohnung betraf, das Recht, sie und ihren Liebhaber (in continenti) zu töten; er war aber strafbar, wenn er den einen Teil tötete, den anderen verschonte. Die Strafe der Lex Iulia war Relegation (Suet. Aug. 65; Ti. 50. Tac ann. III 24. IV 42. Plin. ep. VI 31. Dig. XXXIV 9, 13. XXXXVIII 18, 5; vgl. Waechter Beil. zu Vorles. über d. D. Str.-R. I 71f. Sehling Ztschr. d. Savigny-St. Rom. Abth. IV 160ff. Hartmann de exilio 29f.), verschärft für die Adultera durch den Verlust der halben Dos und des dritten Teiles des Vermögens, für den Adulter durch Verlust des halben Vermögens (Paul. sent. II 26, 14). Eine Folge der Verurteilung blieb die Intestabilität (Dig. XXII 5, 14. 18. XXVIII 1, 20, 6) und die Infamie (Dig. III 2, 2, 3). Die Frau durfte vom Momente der Anklage an nicht mehr heiraten (Dig. XXIII 2, 26). Es kann sein, dass die Bestimmungen des Septimius Severus auch die gesetzliche Strafe verschärft haben; jedenfalls aber ist die Tendenz der Strafverschärfung hauptsächlich auf die Verdrängung des Quaestionenverfahrens durch die extraordinaria cognitio zurückzuführen (Dio LXXVI 16, 4. LXXVII 16, 4. Cod. h. t. l. 9 und II 4, 18). Von Constantin bis Iustinian wurde, vielleicht unter dem Einflusse des Christentums (vgl. Augustin. civ. dei III 5. Amm. Marc. XXVIII 1), die Capitalstrafe für den Adulter die Regel, Todesstrafe oder auch Deportation (Nov. Maior. 9). Durch Iustinian wurde die Todesstrafe bestätigt (Inst. IV, 18, 4), aber die Confiscation, falls nahe Ascendenten oder Descendenten vorhanden waren, nicht zugelassen. Die Frau sollte nach Iustinians Bestimmungen (vielleicht gepeitscht und) in ein Kloster gesperrt werden, in dem sie auf Lebenszeit eingesperrt blieb, falls sie der Mann nicht innerhalb zweier Jahre wieder zu sich nahm (Nov. 117, 8. 134, 10; vgl. Burchardi N. A. d. Crim.-R. VIII 212, dazu Proc. ἀνέκδ. 17). Hauptquellen: Paul. sent. II 26. Coll. leg. Mos. IV. Dig. XXXXVIII 5 (wo auch die Schriften des Ulpian, Papinian, Paulus de adulteriis excerpiert sind). Cod. Th. IX 7. Cod. Iust. IX 9. Litteratur: Rein Röm. C.-R. 835–856, woselbst die ältere Litteratur. A. Du Boys hist. du dr. crim. des peuples anciens (1845) 400ff. 677ff. C. R. Gottschall diss. de adulterii poenis i. Rom. const. (Regim. 1846). Haenel Corp. leg. ab [435] imp. a. Iustinian. lat. 9–11. Geib Deutsch. Str.-R. I 57ff. Haelschner Gerichtssaal XXII 401ff. A. Esmein le délit d’a. à Rome, Nouv. Rev. hist. du dr. franc. et étr. II 1ff. 397ff. und einzeln (Par. 1878). H. Bennecke die strafr. Lehre v. Ehebruch (Marburg 1884), 1–33.