Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Pflanzengattung Enzian
Band VII,1 (1910) S. 12011203
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Gentiana, γεντιανή, Enzian, Pflanzengattung aus der Familie der Gentianaceae, ⊙- und ♃-Kräuter, meist kahl, mit gegenständigen ganzrandigen Blättern ohne Nebenblätter und mit cymösen Blütenständen. G. lutea, G. purpurea und G. pannonica (alpin) liefern die offizinelle Radix gentianae. Erstere ist die wichtigste und gehört den mittleren Höhen der Gebirge Mitteleuropas und Südeuropas an. Sie findet sich in Portugal, in den spanischen Gebirgen, Pyrenäen, [1202] Cevennen, der Auvergne, dem Jura, den Vogesen, dem Schwarzwald und in dem Alpenzuge bis Bosnien und den südlichen Donauländern; nicht in Griechenland, wohl aber in den zentralen Appeninen, auf Sardinien und Korsika, von den Italienern jetzt gentiana maggiore benannt (Flückiger Pharmakognosie des Pflanzenreichs3 417ff. Abb. u. a. Thomé Flora von Deutschland IV tab. 481/481). Der Medizin dient die Enzianwurzel der G. lutea als ein vorzügliches, rein tonisches verdauungsbeförderndes Bitter (Karsten Deutsche Flora II2 598. Dragendorff Die Heilpflanzen 529). Höchst zweifelhaft ist, ob schon Homer die G. kennt: Il. XI 846f. ἐπὶ δὲ ῥίζαν βάλε πικρὴν χερσὶ διατρίψας; vgl. Berendes Pharmac. der alt. Völk. I 128. Nach dieser Stelle mag vielmehr die Χείρωνος ῥίζα ihren Namen erhalten haben; s. d. Etymologisch ist das Wort sicherlich ursprünglich ein Adjektivum. Der Name G. findet sich zuerst bei Celsus, der als Bestandteil des mithridatischen Antidotum auch Gentianae radicis p.ⴼ IV angibt. Scribonius Largus erwähnt G. in einem 170 Antidotos Mithridatis, 176 im Antidotus Cassii und 177 im Antidotus Marciani medici. Dioskurides mat. med. III 3 und Plinius n. h. XXV 71 beschreiben Aussehen und Wirkung der Pflanze näher und geben auch die Herkunft des Namens an. Sie soll nämlich zuerst aufgefunden worden sein von Genthis, dem Illyrierkönig, von dem sie auch ihren Namen erhielt (Gentius bei Plin., vgl. Liv. XLIV 30ff. Polyb. XXIX 5. Plut. Aemil. Paul. 13. 29 u. a.). Die Wurzelblätter sind denen des Nußbaums oder des großen Wegerichs ähnlich (folio fraxini, sed magnitudine lactucae Plin.) und rötlich. Die mittleren und besonders die oberen Stengelblätter sind leicht eingeschnitten (? stengelumfassend ?). Der Stengel ist hohl, zart, fingerdick, zwei Ellen hoch, durch Knoten geteilt, und trägt in größeren Abständen die Blätter. Der Enzian hat eine glatte, leichte, spreuartige, dem Bärenklau ähnelnde Frucht ἐν κάλυξιν (was ganz unklar ist) und eine lange, der großen Osterluzei ähnliche, dicke und bittere Wurzel (subnigra Plin.). Er steht auf den höchsten Bergrücken und an schattigen und wasserreichen Stellen. Stimmt schon diese Beschreibung nur wenig zu einer G., so ist das noch weniger mit der Abbildung des Codex Constantinopolitanus der Fall, denn die daselbst fol. 95 dargestellte Pflanze sieht mit ihren elliptischen, am Rande gesägten, in großen Intervallen abwechselnd gestellten Blättern und ihren in kurzen Trauben oder Wickeln stehenden etwas aufgeblasenen Kelchen viel mehr einer Scrofulariacee oder mangelhaft dargestellten Labiate, etwa Melittis melissophyllum gleich, als einem Enzian. Damit stimmt überein O. Penzig Contribuzioni alla storia della botanica 258: la figura del Codice Chigiano è affato fîttizia, o almeno non può certamente rappresentare alcuna genziana, avendo le foglie alterne, e profondamente seghettato-dentato. Ich zweifle daher auch an der Richtigkeit der Behauptung Bonnetz (Janus VIII 225), die γ. des Pariser Codex gr. 2179 sei wirklich Gentiana lutea. Im Constantinopolitanus scheint zwischen Beschreibung und Bild ein Zusammenhang zu bestehen; doch dürfte schwer zu entscheiden sein, was von beiden älter ist. Die [1203] Wurzel hat nach ihm erwärmende, adstringierende Kraft, hilft auch wie der Saft gegen den Biß giftiger Tiere, gegen Seitenschmerzen, Krämpfe u. a. Mit Wasser getrunken, ist sie Leber- und Magenleidenden heilsam, treibt als Kollyrion den Embryo aus, heilt Wunden und fressende Geschwüre sowie Augenentzündungen. Der Saft wird ferner den scharfen Kollyrien statt Mohnsaft zugemischt. Die Wurzel entfernt auch weiße Flecken. Der Saft wird durch Kolieren gewonnen, vgl. Plin. XXVI 140. Nach Galen XI 856 ist die Wurzel δραστήριος ἱκανῶς, ἵνα χρὴ λεπτῦναί τε καὶ διακαθῆραι καὶ ἀπορρῦψαι καὶ ἐκφράξαι; er verwendet sie gegen Fettleibigkeit X 994, hebt ihre medizinische und erwärmende Wirkung hervor XIII 229, sowie ihren bitteren Geschmack XIII 634; die beste kommt von Kreta, doch steht ihr die italienische nicht viel nach (XIV 59); ihm folgen Aetius Amidenus I p. 6 (Aldina v. 1534), Oreibasios II 625. Paulus Aegineta VII p. 107. Alexander Trallianus gibt die γ. I 403 in einem Rezept gegen Quotidianfieber, hauptsächlich aber gegen Podagra und dessen Folgeerscheinungen (I 553. 557. 571. 573). In der Tierheilkunde verwenden die G. Pelagonius 5. 35. 41. 84. 299. 327. 454 u. ö. Chiron 126, 3. 250, 33. 251, 5, 17. 252, 8. 253, 3. 255, 1 u. ö. Veget. 1, 20, 1. 2, 11, 2, 54. 4, 88, 10. 111, 14. 132, 3 u. ö.

Zu scheiden davon ist eine andere Gentianea, nämlich: Erythraea Centaurium Pers. L., Tausendgüldenkraut, die ihren prunkenden deutschen Namen dem Werte ihrer Heilkräfte verdankt. Sie ist nach Fraas und Lenz in Italien wie in Griechenland häufig, heißt jetzt in Griechenland φλουσκοῦντι oder θερμόχορτον = Fieberkraut, in Italien centaurea minore. Mit der Χείρωνος ῥίζα sie identifizieren zu können, ist Fraas selber zweifelhaft (Synopsis plantarum flor. class. 160). Dioscurides mat. med. 3, 7 nennt sie κενταύριον τὸ λεπτόν ἢ μικρὸν; dementsprechend Plinius centaurium lepton (n. h. XXV 68) oder centaurium minus (XXVI 140); hier gebraucht er es gegen Geschwüre, dort sagt er: est alterum centaurium, cognomine lepton, minutis foliis, quod aliqui libadion vocant, quoniam secundum fontis nascitur, origano (Dosten) simile, angustioribus et longioribus foliis, anguloso caule palmum alto fruticante (buschig), flore lychnidis (Rade), radice tenui et supervacua (zwecklos), suco efficax, ipsa herba autumno legitur, sucus e fronde, quidam caulis concisos madefaciunt diebus XVIII atque ita exprimunt. hoc centaurium nostri fel terrae vocant propter amaritudinem summam, Galli exacum, quoniam omnia mala medicamenta putum corpore exigat per alvom. Lucrez IV 125 tristia centaurea.

Von diesem centaurium minus ist wieder zu scheiden: 1. das κενταύριον μεγά des Dioscurides (mat. med. 3, 6) = Centaurea Centaurium L. Centaurenkraut; 2. die cyanus des Plinius (n. h. XVI 48. 68) – Centaurea Cyanus L., Kornblume, von den Alten nach ihrer Farbe (κυανός) benannt und zu Kränzen benützt, vgl. Thes. L. Lat. s. v. c.