Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Eresos, ein Seestädtchen an d. SW-Küste v. Lesbos
Band VI,1 (1907) S. 420421
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Eresos. 1) Ἔρεσος (bei Scyl. 97 Ἐρεσός [vgl. aber Arcad. 76, 25], Ptolem. V 2, 29 u. a. Ἐρεσσός; Ἔρεσος wohl die aiolische Betonung, die gemeingriechische Ἐρεσός, später Ἐρισός, wie in den Notitiae episc. und noch jetzt; das Wort wohl aus einer kleinasiatischen Sprache, obwohl man etwa an Zusammenhang mit ἐρέττω denken könnte, vgl. z. B. Εἰρέσιον), Seestädtchen an der Südwestküste der Insel Lesbos, am meisten bekannt als Geburtsort der Dichterin Sappho und Heimatort des Aristotelesschülers Tyrtamos-Theophrastos und des Phanias; jetzt Ἐρισσός. Plan der Ruinen A. Conze Reise auf Lesbos Taf. II. R. Koldewey Die antiken Baureste der Insel Lesbos, Berlin 1892. Sauppe Nachr. Ges. W. Göttingen 1863, 359ff. Inschriften: A. Conze a. a. O. 29ff. Bull. hell. IV 442. Ch. T, Newton Travels and Discov. in the Levant I 96. A. Kirchhoff in G. Droysen Gesch. des Hellenism. II 2, 363ff. Bechtel Gött. Nachr. 1886, 373ff. Lolling Athen. Mitt. XI 1886, 289f. Cichorius S.-Ber. Akad. Berl. 1889, 376ff.; Athen. Mitt. XIV 259f. IG IV 2. Münzen: S. L. Plehn Lesbiacorum lib. 112ff. Bürchner Ztschr. Num. IX (1881) 116 Taf. IV 7. W. Wroth Catal. of the Greek Coins of Troas Aeolis and Lesbos LXXVIIIf. 176ff. Æ Av. Hermes, Kornähre (vgl. Archestrat. Athen. III 111 F) in den J. 300–200 und Kaiser Philippus I. Andere Averse in der Kaiserzeit: Sappho usw. S. Ztschr. Num. IX (1881) 116. Head-Sworonos Ἱστ. Νομ. II 97. Die durch sehr gute Gerste (s. Archestratos bei Athen. III 111 F) berühmte Ebene um das heutige E. beschreiben A. Conze a. a. O. 27 und Ch. Newton 98.

Die Ruinen der alten Akropolis und des Städtchens (genannt Scyl. 97. Mela I 18. Plin. n. h. V 139. Ptolem. V 2, 29. Steph. Byz.) hat schon R. Pococke Travels I 3 c. 4 erkannt. 28 Stadien vom lesbischen Vorgebirge Sigeion lag (Strab. XIII 618) nahe am Meer die Akropolis, jetzt Paläokastro, von einer aus ihren Ruinen erbauten mittelalterlichen Festung so genannt. Einen eigentlichen Hafen hatte die Stadt nicht; daher der Ausdruck Diod. XIV 94: (Θρασύβουλος) ἐν τῳ παρὰ τὴν Ἔ. αἰγιαλῷ καθώρμει. Von einem kleinen Hafen, der im Altertum keinesfalls die 40 Schiffe des Thrasybulos aufnehmen konnte, sind unterhalb der alten Akropolis Molenreste vorhanden. Von den Mauern der Unterstadt sind noch Reste da. Im Nordosten ist ein Tor vorhanden. Eine Nekropolis lag im Nordwesten der alten Stadtanlage. Boutan Arch. [421] Miss. Scientif. V 322 glaubte die Stätten von drei Tempeln zu erkennen (ein Tempel des Ζευς Φilίππιος Michel Recueil nr. 358 A, ein Ἀθάναιον ebd. nr. 359); dagegen Conze a. a. O. 28, der auch (30ff.) die Skulpturreste von E. behandelt. Die Parteien des Adels und des Demos bekämpften sich wie in allen griechischen Städten an der kleinasiatischen Westküste und auf den Inseln. Im 5. Jhdt. stand E. auf Seite der Athener. 428 Aufstand gegen Athen mit Mytilene (Thuc. III 18, 1). Durch Paches wieder zum Gehorsam gebracht (Thuc. III 18, 35). 412 lehnte es sich abermals gegen Athen auf und wurde von einer athenischen Flotte unter Thrasybulos belagert. Diese erleidet Verlust von 20 Schiffen durch Sturm und wird durch das Erscheinen der peloponnesischen Flotte in den hellespontischen Gewässern verscheucht (Thuc. VIII 100. Diod. XIV 94). Um 393 wieder für Athen. Die geflüchteten Demokraten wurden zurückgeführt. 387 kam die spartiatisch gesinnte Partei wieder zur Macht. 377 ist E. wieder auf Seite der Athener (Bundesurkunde IG II 17 B 20 = Michel Recueil nr. 86) und in der Stadt herrscht wieder Demokratie. Etwas später Tyrannen: Hermesias und Heraios. Zur Zeit Alexanders d. Gr. (vgl. Demosth. XVII 7) Agonippos, 332 von Hegelochos festgenommen und zu Alexander nach Ägypten gebracht. Von diesem zurückgeschickt (Arrian. anab. III 2, 7), wurde er mit 876 Stimmen von 883 zum Tod verurteilt, seine Söhne verbannt, die Güter der Familie eingezogen. Die Nachkommen der Tyrannen Heraios und Hermesias wollten durch Vermittlung Alexanders d. Gr. Zurücknahme des Verbannungsurteils erlangen. Die Eresier willigten nicht ein. Auch später nicht, als die Nachkommen der eben genannten Tyrannen und des Agonippos und Eurysilaos wieder durch Alexander d. Gr. die Aufhebung der Verbannung erlangen wollten. 324 wurde durch allgemein gültigen Erlaß des Makedonerkönigs allen Verbannten außer den mit Blutschuld beladenen (ἐναγεῖς) die Rückkehr gewährt. Zu diesen gehörten noch in der Zeit des Königs Antigonos die Söhne des Agonippos (στοιχηδόν-Inschriften Cauer Delectus 430 = Michel Recueil nr. 358 A. B. C. D). Aus der ersten Hälfte des 2. Jhdts. v. Chr. haben wir noch ein Ehrendekret für Agemortos (Michel Recueil nr. 359). Zur Zeit des römischen Kaisers Philippus scheint E. eine kurze Blüte erlebt zu haben. Im Mittelalter erwähnt (z. B. Cantacuz. Hist. II 29), hat es seinen Namen bis heute behalten. Aus Furcht vor Seeräubern hat man die Ansiedlung nordwärts von den alten Ruinen verlegt.