70) Q. Cassius Longinus. Das Cognomen fehlt auf den Münzen, bei Caesar und Cicero, findet sich aber schon im b. Alex.; Cic. ad Att. V 21, 1 nennt C. frater, d. h. wahrscheinlich Vetter, des C. Cassius und Freund des Atticus. C. war Münzmeister in den letzten Jahren des 7. Jhdts. d. St. (Mommsen Münzwesen 635 nr. 278) und von 700 = 54 an Quaestor des Pompeius in Hispania ulterior; er machte sich dort durch seine Raubsucht und Härte so verhasst, dass ein Mordversuch gegen ihn unternommen wurde (Cic. ad Att. VI 6, 4. b. Alex. 48, 1. 50, 1. Dio XLI 24, 2). Kurz nach seiner Rückkehr gelangte er zum Volkstribunat für 705 = 49 und stand in diesem Amte mit seinen Collegen auf Caesars Seite (vgl. Cic. ad Att. VII 7, 5). In der Senatssitzung des 1. Januar nötigten M. Antonius und C. die Consuln zur Verlesung von Caesars Bericht. Die Majorität der Versammlung lehnte dessen versöhnliche Vorschläge ab und fasste die Beschlüsse gegen ihn, welche der Kriegserklärung gleich
[1741] kamen. Beide Tribunen intercedierten, aber sie sahen sich infolgedessen sogar in ihrer persönlichen Sicherheit bedroht und verliessen am 7. Januar die Stadt (Caes. b. c. I 2, 8. 5, 6. Liv. ep. CIX. Oros. VI 15, 2 fälschlich P. Cassius. Dio XLI 1, 2ff. App. b. c. II 33. Plut. Ant. 5, 3). Sie trafen Caesar in Ariminum (Caes. I 8, 1), und es scheint, dass C. bereits an dem Zuge gegen Rom in einer militärischen Stellung teilnahm (Cic. ad Att. VII 18, 2). Nach dem Einzug in der Hauptstadt berief er mit Antonius den Senat, da alle Magistrate entflohen waren (Dio XLI 15, 2). Sodann begleitete er Caesar auf dem spanischen Feldzuge (Caes. II 19, 1) und wurde nach dessen Beendigung als Propraetor der jenseitigen Provinz zurückgelassen (Caes. II 21, 3. b. Alex. 48, 1. Liv. ep. CXI. Dio XLI 24, 2. App. II 43). Für die folgenden Begebenheiten ist ausser kurzen Erwähnungen (b. Hisp. 42. Liv. ep. CXI; frg. 36–38 bei Priscian VI 22 [GL II 213]. Val. Max. IX 4, 2. Dio XLII 15. 16. XLIII 29, 1) die Hauptquelle bell. Alex. 48–64 (Sonderausgabe von Landgraf als Bericht des C. Asinius Pollio über die spanischen Unruhen des Jahres 48 v. Chr., Leipzig 1890); über ihre Chronologie vgl. Judeich Caesar im Orient 191ff. C. hatte vier Legionen, die zumeist aus übergetretenen Pompeianern und Eingeborenen bestanden; auf sie wollte er sich stützen, um im übrigen nach Belieben schalten zu können. Nach einigen kleinen Erfolgen gegen die Lusitaner nahm er den Imperatortitel an. Nachdem er den Winter in Corduba verbracht und die schamlosesten Erpressungen verübt hatte, erhielt er im Frühjahr 706 = 48 den Auftrag, König Iuba zu bekriegen. Dies bot ihm zunächst den Vorwand, die Provinz mit neuen drückenden Steuern zu belasten und eine fünfte Legion auszuheben. Schon vorher hatte die allgemeine Unzufriedenheit zu einer Verschwörung mehrerer Provincialen gegen C. geführt; jetzt wurde er auf dem Markte in Corduba angefallen und schwer verwundet, aber erholte sich wieder, liess die Verschworenen hinrichten, soweit sie sich nicht loskauften (vgl. Calpurnius Nr. 113), und behandelte das Land härter als je. Er begab sich nach seiner Genesung nach Hispalis, um bald den africanischen Feldzug zu eröffnen, da empörten sich erst die beiden früher varronischen Legionen in Ilipa und kurz darauf die in Corduba stehenden Truppen, an deren Spitze der Quaestor M. Marcellus trat. Es gelang den Aufständischen, sich zu vereinigen, während C. mit den treugebliebenen Legionen eine feste Stellung bei Corduba einnahm, häufige Gefechte lieferte und Hülfegesuche an Bogud von Mauretanien und M. Lepidus, den Proconsul von Hispania citerior, schickte (October 706 = 48). Vor der überlegenen Macht des Marcellus zog er sich nach der Bergstadt Ulia zurück und wurde hier von jenem eingeschlossen. Nun trafen Bogud und Lepidus als Vermittler ein; anfangs zeigte sich C. misstrauisch gegen sie, schliesslich aber führten die Verhandlungen zu dem Ergebnis, dass er freien Abzug erhielt. Da eben damals, Anfang 707 = 47, der ihm bestimmte Nachfolger C. Trebonius eintraf, entliess er seine Leute eiligst in die Winterquartiere und schiffte sich mit seinem Raube in Malaca ein. Sein Fahrzeug ging in der Ebromündung
[1742] unter, und er selbst fand dabei seinen Tod. Nach Livius (frg. 38) soll er sich zuletzt mit dem Gedanken des Abfalls von Caesar getragen haben; thatsächlich war er ihm treu geblieben. Freilich hat er durch sein schlimmes Regiment der Sache des Dictators in Spanien sehr geschadet und für die letzte Erhebung der Pompeianer den Boden bereitet.