Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Balsamodendron Gileadense
Band II,2 (1896) S. 28362839
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Balsambaum, βάλσαμον, balsamum, aus בַּעַל־שֶׁמֶן‎ = König der Öle, oleum praecipuum, arabisch بشام (vgl. Billerbeck Flora class. 100), Balsamodendron Gileadense (von Gilead in Arabien) Kunth. = Amyris (verstärkendes a und μύρον) Gileadensis L. und Amyris opobalsamum L., syrischer (Theophr. h. pl. IX 1, 6) und arabischer Balsamstrauch mit sparrig abstehenden Ästen, von Mekka oder Gilead, vgl. Fraas Synops. pl. fl. cl. 87. Lenz Bot. d. Gr. u. R. 667. Er ist mit dem Myrrhenbaum verwandt und jedenfalls orientalischen Ursprungs, vgl. Leunis Synops. II. Teil II³ § 529, 7. Über die engere Heimat dieser höchst nützlichen Pflanze äussern sich die alten Autoren verschieden (vgl. Sprengel zu Diosk. I 18 = Med. Gr. XXVI 355ff. Kühn): Dioskorides (I 18) nennt Iudaia und Ägypten; nach Theophrast (h. pl. IX 6, 1) kam sie nur in zwei Gärten Syriens vor; nach Diodor (III 46) in Arabien, besonders im sog. glücklichen Arabien, dem Lande der Sabaeer (vgl. Paus. IX 28, 3. Strab. XVI 778), von wo angeblich die Königin von Saba den Balsam für Salomo nach Palaestina mitbrachte, vgl. 1. Kön. 10, 10. Joseph. arch. VIII 174. Plinius (n. h. XII 111 – XVI 135 ist die Lesart unsicher –) kennt nur eine Heimat des Strauches, nämlich Iudaia, wo er einst nur in zwei königlichen Gärten anzutreffen gewesen sei. Als balsamreich galt indes bei andern überhaupt ganz Palaestina (vgl. Tac. hist. V 6. Plut. Ant. [2837] 36. Flor. III 5, 29. Solin. 35, 5-6. Joseph. arch. IX 7. Aristid. orat. 3 p. 595). Das in der wohlbewässerten, fruchtbaren Jordanebene gelegene, von Kalksteinbergen begrenzte Jericho war, wie an andern Producten (Palmen, Rosen, Honig), so auch an Balsam vorzugsweise reich (Iustin. XXXVI 3. Strab. XVI 763. Diod. II 48. XIX 98. Joseph. arch. XIV 54. XV 96; bell. Iud. I 6, 6. IV 8, 3). Der köstliche Saft, gleichfalls βάλσαμον oder ὀποβάλσαμον genannt (vgl. Theophr. h. pl. IX 4, 1), der von selbst nur in geringer Menge aus der Rinde fliesst, war schon im Altertum teuer (vgl. Med. Gr. XXVI 358 Kühn), weil sowohl zu medicinischen als zu kosmetischen Zwecken sehr begehrt. Weil der dünnflüssige, dem Citronenöl hinsichtlich des Geruchs ähnliche Saft, der von selbst ausfloss, den Bedarf nicht entfernt zu decken im stande war, schnitt man, um mehr Saft zu erzielen, die Rinde leicht an, kochte die Blätter und Zweige aus und gewann so eine dickflüssige Masse, die in den Handel kam. Dieses Aufritzen des Stammes durfte jedoch nie mit einem eisernen Instrumente geschehen, sondern man bediente sich statt dessen des Glases, knöcherner Messer oder scharfkantiger Steine, da altem Glauben zufolge der Einschnitt mit Eisen den Baum beleidigte, so dass er erschrak und keinen Saft liess. So berichten übereinstimmend Tacitus (a. a. O.), Plinius (n. h. XII 115), Solin (35, 6), Josephus (arch. XIV 54) u. a. Nur Theophrast (h. pl. IX 6, 2) spricht – wohl irrtümlich – von ,σιδηροῖς‘ ὄνυξι; desgleichen, von ihm irregeführt, Dioskorides (a. a. O.) und Isidor (XVII 8). Plinius (n. h. XII 114) unterscheidet drei Gewächsarten, bezüglich deren es keineswegs feststeht, wie sie sich zu den jetzigen verhalten: die eine mit dünnen und haarigen Laubsprossen (eutheriston genannt), die andere ein krummer Strauch von rauhem Ansehen (trachy genannt), die dritte grösser als die übrigen und mit glatter Rinde (eumeces mit Namen). Tacitus (a. a. O.) nennt den B. modica arbor, Plinius (XII 111) arbuscula. Letzterer erzählt auch (a. a. O.), dass Vespasian und Titus, die beide in Iudaia Krieg führten, das Balsambäumchen auch der Stadt Rom im Triumphe gezeigt haben. Schon vorher hatte es Pompeius aus der Gegend von Jericho, wo wegen der tieferen Lage eine tropische Temperatur herrscht, nach Rom mitgebracht, Plin. a. a. O. Im ganzen, urteilt Plinius (n. h. XII 112), kommt das Balsamgewächs dem Weinstock näher als die Myrte. Die zäh festhängenden, viel Schatten spendenden Blätter sind denen der Raute am ähnlichsten und immergrün. Der B. bedarf fleissiger Bewässerung; seine Höhe erreicht nicht ganz zwei Ellen. Als die Römer Iudaia eroberten, wollten die Juden den B. ausrotten; indessen die Römer verteidigten ihn, und so entstand um den Strauch ein förmlicher Kampf (Plin. n. h. XII 113). Zu des Plinius Zeit gedieh er im Orient zahlreicher und höher als je, zumal der römische Staat Anpflanzung und Pflege aus fiskalischen Mitteln bestritt und sorgsam überwachte, Plin. a. a. O. Er wurde auch auf Hügeln angepflanzt und gedieh dort bestens, besonders seit der römischen Verwaltung von Iudaia, Solin. 35, 5. Der edle Saft, der aus den geschickt gemachten Einschnitten floss, hiess opobalsamum (Serv. Georg. II 119) [2838] oder βαλσαμέλαιον und war von stark aromatischem (Theophr. h. pl. IX 7, 3. Galen. X 466. Hesych.), dabei ungemein lieblichem Geruch, aber von scharfem, beissendem Geschmack. Die zarten weisslichen Tröpfchen wurden in Hörner gesammelt und alsdann in neue irdene Gefässe gegossen. Anfangs gleicht der Balsam einem dicken, fast farblosen Öl. Nach und nach wird er rötlich und hart (Plin. n. h. XII 116). Für den besten gilt der, welcher im Juni bis August, am liebsten vor dem Ansetzen der Frucht, ausschwitzt; die lacrimae = δάκρυα (vgl. Theophr. h. pl. IX 1, 2) galten für eine Art Ausschwitzung, vgl. sudare bei Verg. Georg. II 118. Jeder Strauch wird im Sommer dreimal geritzt und später abgeschnitten. Auch die Samenkörner (carpobalsamum), ferner die Rinde, ja selbst die Reisigteile des abgeschnittenen Strauches kamen in den Handel und brachten nach der Eroberung Iudaias in weniger als fünf Jahren einen Ertrag von 70 oder 80 Millionen Sesterzen (Plin. n. h. XII 118). Der Holzbalsam (ξυλοβάλσαμον) war natürlich minderwertig, da er aus abgeschnittenen Stücken des Strauches hergestellt war; er wurde mit unter Salben gekocht. Das Wertvollste, auch in medicinischer Hinsicht, war die lacrima, der harzige Saft, dann kam der Same, dann die Rinde, zuletzt das Holz (Theophr. de odor. 32. Plin. n. h. XII 119. Solin. 35, 6). Die Verfälschung des reinen Balsams wurde übrigens im grossen betrieben, wobei oft der drei- bis vierfache Gewinn erzielt wurde (Plin. a. a. O. Theophr. h. pl. IX 6, 2. Galen. XIX 726). Doch kannte man chemische Probiermittel, um die Echtheit bezw. Unechtheit festzustellen, vgl. Diosk. I 18. Galen. XIV 62. Otho Cremonensis bei Sillig i. d. Ausg. des Macer Florid. p. 160. Der echte Balsam war so kostbar, dass Aelius Lampridius es dem Kaiser Elagabal als ärgsten Luxus vorwirft, dass er solchen Balsam in seinen Lampen gebrannt habe (Hist. Aug. Elag. 24). Theophrast (h. pl. IX 6) äussert sich im ganzen ähnlich wie Plinius. Der Baum erreiche die Grösse eines grossen Granatbaumes und sei ungemein ästig. Die Frucht komme der des Terpentinbaumes an Grösse, Gestalt und Farbe gleich. Das Einsammeln des Saftes dauere den ganzen Sommer hindurch. Da nicht viel ausfliesse, sammle ein Mann in einem Tage etwa eine Muschelschale voll (vgl. Plin. n. h. XII 117). Der Geruch sei aber so ausgezeichnet, dass ein Tropfen genüge, einen weiten Raum zu parfümieren. Wild komme der Balsam nirgends vor. Offenbar galt es in weiten Kreisen für nobel, stark parfümiert zu erscheinen, wobei der Balsamgeruch nicht fehlen durfte (vgl. Martial. III 63, 4), besonders bei Hochzeiten (Apul. met. VI 11); so gab es Balsamöl, zumeist in zinneren Büchsen aufbewahrt (Plin. n. h. XV 30. Apul. met. 10), Balsamsalbe (carmen de Phoen. 119), Balsampomade u. s. w., vgl. Blümner Technol. I 351ff. Oft war auch Balsam als ἥδυσμα = sucus ein wichtiger Bestandteil anderer Salben, z. B. des unguentum megalium (Plin. n. h. XIII 13) oder des melinum (Plin. n. h. XIII 11). Der Samen wurde mit verwandt bei Herstellung der Narden- und Zimmetsalbe (Plin. n. h. XIII 15) sowie des Mandelöls (Plin. n. h. XIII 8). Übrigens hält der Geruch des Mekkabalsams die Mitte etwa zwischen Rosmarin und Salbei, hat zudem etwas [2839] Terpentinartiges, erinnert auch in etwas an Citrone und Muskatenblüte. Wenn der Balsamsaft an der Luft sein ätherisches Öl verloren hat und verharzt ist, so kann er in Alkohol wieder flüssig gemacht werden. Als besonders wunderkräftig hochgeschätzt waren die medicinischen Eigenschaften des Balsams: äusserlich angewandt wirkte er reinigend und zerteilend; innerlich angewandt reizte er die Schleimhäute und hatte schweisstreibende Kraft. Er wirkte reinigend und erweichend. Ferner sollte er Kopfschmerzen und Frauenkrankheiten wunderbar schnell heilen und den Augen wohlthun, Strab. XVI 763. Plin. n. h. XXIII 92. Diosk. I 18. Scribon. Larg. 126. 170. 177. Cels. de med. V 3-6. 15. V 18, 3. 23, 1. Galen. XI. 846. XII 554. XIII 568. XIX 738. Von Nikander (Ther. 947; Alex. 64) wird der Balsam als Bestandteil zur Bereitung wirksamer Gegenmittel gegen Vergiftung durch Aconit oder Schlangenbiss angeführt, vgl. Diosk. I 18. Murr die Pflanzenw. i. d. gr. Myth. 77. Was Pausanias (IX 28, 3-4) über die heiligen Nattern berichtet, die in Arabien unter den schattigen Balsambäumen leben und sich angeblich vom ausfliessenden Safte ernähren, klingt doch zu wunderbar, um glaubhaft zu erscheinen. Über die hebraeischen Begriffe שֶׁמֶן־צֳרׅי‎ und פַּנַּג‎, vgl. Herzog-Plitt Real-encyclop. f. protest. Theol. u. Kirche. Winer Bibl. Realwörterbuch s. ‚Balsam‘. Die Luthersche Übersetzung obiger Worte durch ‚Balsam‘ macht keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit: Balsam ist in Luthers Sprache (wie jetzt ganz allgemein) soviel wie wohlriechende oder lindernde Salbe, gleichviel, welchen Pflanzen die Bestandteile entnommen sind. Nicht hinsichtlich des alten Namens, wohl aber sonst verschieden von echtem B. ist das in griechischen Gärten gezogene Balsamkraut = Tanacetum balsamita L. (Colum. X 301. Geopon. XI 27), Frauenminze oder Balsamminze, eine beliebte Zierpflanze, die ihren Namen ihrem Wohlgeruche verdankt, im übrigen aber mit der orientalischen Aromastaude nichts zu thun hat, vgl. Niclas z. d. St. Leunis Synops. II. Teil II³ § 694, 39.

[Wagler. ]