Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Moira
Band II,2 (1896) S. 21502152
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Atropos (Ἄτροπος). Eine der Moiren, welche bei Homer Il. XXIV 49 und Od. VII 197 keine Individualnamen führen. An letzterer Stelle heissen sie Κλῶθες die Spinnerinnen. Die später allgemein üblichen Namen Κλωθώ, Λάχεσις und Ἄτροπος finden sich zuerst bei Hesiod. theog. 217, welche Stelle dem Verdacht unterliegt, später zugesetzt zu sein (vgl. A. Meyer De compos. theogoniae 5ff.). Nach jener Theogoniestelle hätte die Nacht ohne Vater die Moiren geboren; ihre Aufgabe erscheint als die Verfolgung des Unrechts bei Menschen und Göttern, was sicherlich der ursprünglichen Volksvorstellung so wenig entspricht, wie dem homerischen Bilde von der Moira. Es [2151] sind ursprünglich sehr unbestimmt empfundene Schicksalsgöttinnen, und weder ihre Anzahl noch ihre Genealogie hat von Anfang an festgestanden. Möglich ist, dass die in der Theogonie erscheinenden Individualnamen früher einmal generellere Bedeutung hatten, wie Κλωδόνες (gewiss in keiner andern Bedeutung als Κλωθώ) für Dienerinnen des Dionysos bezeugt ist. Von verwandten, mehr Schicksal verkündenden Göttinnen, wie Nymphen, Musen u. a., hat man die Moiren früh als Schicksalsverwalterinnen unterschieden, und wenn auch die Stelle der Theogonie begründeten Bedenken unterliegt, so ist es doch jedenfalls die Zeit der eklektischen Speculation, deren Hauptvertreter Hesiod ist, welche auch diesen Göttinnen die Individualnamen gegeben und die Ämter zugewiesen hat. Im Volksglauben drang ein bestimmtes Dogma für diese Göttinnen so wenig durch, wie für die Chariten oder Horen. Wenn man z. B. in Delphi nur zwei Moiren anerkannte (Plut. de Ei Delph. 2. Paus. X 24. 4), so ist auch das ziemlich willkürliche Priesterspeculation, indem die Wirksamkeit der alten Schicksalsgöttinnen auf die beiden Hauptacte der Geburt und des Todes beschränkt wird. Wenn andrerseits Aphrodite in Athen als älteste Moira verehrt wurde (s. o. Bd. I S. 2732f.), so liegt hier der Gedanke an die schicksalsschwere Bedeutung von Hochzeit und Geburt zu Grunde, obwohl die Liebesgöttin auch Züge einer Todesgöttin hat (Opfer der Bräute an die Moiren Poll. III 38). Die Moiren als Schicksalsfrauen sind im ursprünglichen griechischen Volksglauben jedenfalls sehr wesenhaft, während die homerische Moira, deren Verhältnis zu Vater Zeus sich durchaus nicht in allen Teilen des Epos gleichbleibt, schon mehr das Product einer vereinfachenden halbphilosophischen Speculation ist. Die individualisierten drei Moiren und ihre Genealogie sind dann ein noch weniger ursprüngliches Erzeugnis einer systematisierenden Theologie, das nirgends tief Wurzel geschlagen hat. Die orphische Genealogie (frg. 39 Abel), welche die Moirai zu Töchtern des Uranos und der Gaia macht, will nur ihr ehrwürdiges Alter anerkennen. Während der Name A. ursprünglich auf alle Moirai passen würde, bezeichnet er nach eingetretener Arbeitsteilung die dritte als die, welche das von den beiden andern bereitete Schicksal unabwendbar macht. Als älteste und daher kleinste (gebückteste) wird im Sinne der hesiodischen Schule A. schon von ihren Schwestern unterschieden in der boiotischen Beschreibung des Heraklesschildes v. 258, welcher sicher ein concretes Original zu Grunde liegt (selbst wenn die Stelle dem ursprünglichen Zusammenhang fremd sein sollte, ist sie jedenfalls nicht jünger als das 6. Jhdt.). Die Moiren tummeln sich hier im Schlachtgetümmel als Todesgöttinnen neben den Keren, von diesen nicht wesentlich unterschieden. Ihre Waffe ist in einer späten aber auf gute Quellen zurückgehenden Schilderung der Gigantomachie bei Apollodor I 6, 2 die Keule, mit welcher sie auch auf dem pergamenischen Altarrelief dargestellt waren (vgl. Puchstein S.-Ber. Akad. Berl. 1889, 323ff.). Auf einem schönen etruskischen Spiegel, der auf ein griechisches Original des 4.–3. Jhdts. zurückgeht (publ. Inghirami Mon. etr. II 62. Gerhard Etr. Spiegel II 176. [2152] Müller-Wieseler I 307), steht die geflügelte A. (Αθρπα) zwischen den zwei Liebespaaren Aphrodite-Adonis und Meleager-Atalante, das Eberhaupt, das für beide verhängnisvoll werden sollte, festnagelnd. Der freien philosophischen Speculation gehört die Rollenverteilung an die drei Moiren bei Platon rep. X 617 c an, wo die Moiren als Töchter der Ananke erscheinen und A. die Verkündigung der Zukunft zufällt. Verwandt die Speculation seines Schülers Xenokrates bei Sextus Empir. adv. math. VII 147ff. (frg. 5 Heinze), wonach A. die Moira τῶν νοητῶν ist, danach Plutarch de genio Socratis 22.