Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Wissenschaft von der Umwandlung unedler Metalle in edle (Silber, Gold)
Band I,1 (1893) S. 1338 (IA)–1355 (IA)
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Alchemie (χημεία, χυμεία), die Wissenschaft von der Umwandlung der unedlen Metalle (Blei, Zinn, Kupfer) in edle (Silber, Gold).

I. Name. Der gebräuchliche Name stammt aus dem Arabischen: alkîmiyâ. Dieser ist eine Zusammensetzung des arabischen Artikels al mit einem griechischen Lehnwort, für das Gildemeister (ZDMG XXX 534ff.) nachgewiesen hat, dass es nicht die Wissenschaft, sondern die angestrebte, verwandelnde Masse bedeute, gleichwertig dem analog gebildeten eliksîr (ξηρίον). Dementsprechend sei kîmiyâ vom griechischen χυμός abzuleiten. Dagegen hat Hoffmann (Ladenburgs [1339] Handwörterbuch d. Chemie II 516ff.) nachweisen wollen, dass der Name mit der Sache aus dem Ägyptischen entlehnt sei, von dem Wort chemi (= schwarz). Chemie also sei ,die Beschäftigung mit dem Schwarzen‘, dessen Erzielung die Hauptsache sei. Die von ihm gegen Gildemeister vorgebrachten Gründe sind richtig, aber nicht sein eigener Erklärungsversuch. Die speculativen Fabeleien des Zosimos beweisen um so weniger, als gerade die betreffende, nur aus Synkellos bekannte Stelle sicher christlich beeinflusst ist. Die ,Bereitung der Schwärze‘ aber ist als blos vorbereitender Process nicht geeignet, der ganzen Kunst den Namen zu geben, hat auch ihren eigenen griechischen Namen (μέλανσις, μελάνωσις).

Die durchgehende Bezeichnung der A. als θεία, ἱερὰ τέχνη lässt mich vermuten, dass eben dies nur Übersetzung eines fremden, gleiches bedeutenden Wortes sei, das zu ermitteln Aufgabe der Ägyptologen ist. Jedenfalls hat Gildemeister erwiesen, dass einmal in den Zeiten völliger Lautverwirrung die Angleichung des Wortes an χυμός vollzogen, dass es dann zu ξηρίον in einen Gegensatz gesetzt und endlich so zu den Arabern gekommen ist. Spuren davon scheinen sich in den alchemistischen Texten erhalten zu haben (Berthelot les alchimistes Grecs, Texte 212, 23f.).

II. Geschichte der Alchemie.

A. Tradition der Alchemie. Wir haben mehrere Parallelversionen zu unterscheiden. 1) Nach Synkellos (vgl. Kopp Beiträge 9f. Hoffmann a. a. O.) führte schon Zosimos im Buch Imuth, wohl einem Teil seines grösseren Werkes, den Ursprung der Chemie auf den Verkehr der Engel mit den Frauen zurück, der im Alten Testament (Gen. 6, 1–4) erzählt war. Ein Chemes war der erste Schriftsteller, nach ihm hiess die Wissenschaft. Doch ist Zosimos der einzige Alchemist, der in dieser Weise den Ursprung der A. an den Himmel anknüpft. Diese von der Bibel abhängige Sage von den durch gefallene Engel gelehrten Künsten und geheimen Kenntnissen war im wesentlichen schon im 2. Jhdt. v. Chr. im Buche Henoch erzählt (übersetzt v. Dillmann 3ff. Kopp a. a. O. 6, 3). Sie findet sich wieder beim sog. Clemens Romanus (hom. VIII 11. 14), bei Clemens Alexandrinus (strom. V 1, 10) und bei Tertullian (cult. fem. I 2, vgl. II 10). Bei allen lehren die Engel Zauberei, Behandlung der Metalle und Edelsteine, Tuchfärbung, eben das, was auch die spätere A. umfasste, ohne dass doch irgendwo sich deutlich eine Bezugnahme auf Metallverwandlung herausstellt. Selbst der Name Chemes findet sich erst bei Zosimos, mag aber im Anschluss an den schon früher hieher bezogenen Cham, Sohn des Noah, gewählt sein (Hoffmann a. a. O.). Offenbar befinden wir uns hier auf jüdisch-hellenistischem Boden, werden also wohl den Ursprung der Sage nach Alexandreia verlegen dürfen.

2) Dieser Erzählung verwandt ist der in zwei wesentlich gleichen Redactionen erhaltene Brief der Isis an ihren Sohn Horos (Berthelot a. a. O. I 13. 13 bis). Während dieser gegen Typhon kriegte, hatte Isis sich in Hormanuthi geborgen. Dort wollte sich ein ,Engel des ersten Firmaments‘ mit ihr fleischlich verbinden, sie aber [1340] verweigerte sich ihm, bis er ihr die ,Bereitung‘ des Goldes und Silbers mitteilte. Aber erst am folgenden Tage erfährt sie nach längerem Zögern vom ,Obersten der Engel‘ Amnael, der sie ebenfalls liebt, das Geheimnis. Hier liegt ein Versuch vor, zwei verschiedene Sagen zu combinieren, die besprochene judaisierende mit einer ägyptischen. Dafür spricht, dass Hormanuthi gleich von vorne herein als die Stadt bezeichnet wird, in der offenbar schon vorher die ἱερὰ τέχνη τῆς Αἰγύπτου, d. h. gemäss dem constanten Sprachgebrauch der Alchemisten die A., geübt wird. Es war also ein Erlernen von dem Engel sehr überflüssig. Anscheinend lautete die ursprüngliche ägyptische Sage so, dass Isis, die altägyptische Göttin des Zaubers, zuerst in Hormanuthi die Kunde der A. gelehrt hatte. Entschieden ägyptische Anklänge enthält der Eid der Geheimhaltung (vgl. Hoffmann a. a. O.), den die Göttin schwören muss, d. h. wohl ursprünglich ihre Menschen (Priester) schwören liess.

3) Rein ägyptisch ist die Version, die den Ursprung der ,göttlichen Kunst‘ auf den grossen Erfinder-Gott Hermes-Thoyth zurückführte. Freilich lässt sich unter den von Clemens Alexandrinus (strom. VI 4, 36) aufgezählten hermetischen Büchern keines auf die A. beziehen, indessen bestand die Sage sicher schon im 3. Jhdt., denn Zosimos hat sie schon gekannt. Danach hatte sich die Wissenschaft von Hermes auf Agathodaimon (= Kneph, Chnubis) fortgepflanzt, von dem sich die Agathodaimoniten herleiteten.

4) Am wichtigsten ist die hellenistisch-persische Sagenversion. Danach hatte der Perser Ostanes bei einem Aufenthalte in Ägypten den Demokritos in die A. eingeweiht, dieser sie dann weiter überliefert. Diese Sage kann erst entstanden sein, als die Verbindung von Demokritos mit Ostanes vollzogen war, für die das älteste Zeugnis bei Plinius vorliegt (n. h. XXVIII 4–7. XXX 2–10, vielleicht aus dem hier genannten Hermippos de magia), und die spätestens im 1. Jhdt. v. Chr. gebildet worden ist. Diese Ursprungssage gewann so sehr die Oberhand, dass sich die anderen Strömungen wohl oder übel mit ihr abfinden mussten. So bemühen sich denn früh sowohl die ägyptische (2) als die jüdische (1) Richtung, ihre Vertreter mit Demokritos in Verbindung zu setzen. Danach waren zugleich mit ihm auch die ägyptischen Priester und die jüdischen Alchemisten von Ostanes eingeweiht worden, oder aber Demokritos und die Juden waren als ägyptische Beamte (,Freunde des Königs‘) in den Besitz der seit Urzeiten von den ägyptischen Königen als Staatsgeheimnis bewahrten alchemistischen Kenntnisse gelangt.

5) Neben diesen Hauptversionen scheinen noch viele andere, wohl in localer Geltung, umgelaufen zu sein, wenigstens darf man das daraus schliessen, dass sowohl Apollon als Orpheus zu den Alchemisten gezogen worden sind, ebenso wie Moses und Zoroaster; alle wohl als εὑρεταί oder ἀρχηγέται. Endlich fabelte man unter griechischem Einfluss auch von einer Beschäftigung der bedeutendsten griechischen Philosophen mit der A., welcher Glaube aber erst im mittelalterlich-modernen Betrieb sich voll entfaltet hat.

B. Thatsächliche Geschichte. [1341] 1) Zeugnisse. Noch in neuester Zeit (Berthelot origines de l’alchimie 70) hat man die erste Erwähnung der Kunst bei Manilius (IV 243f.) finden wollen. Der betreffende Vers ist von Scaliger und Bentley als Machwerk eines Alchemisten athetiert worden. Selbst wenn er echt wäre, lässt er sich nicht auf Metallverwandlung beziehen. Denn erstens wäre duplicari als δίπλωσις genommen, noch nicht alchemistisch (vgl. die Recepte des Leydener Papyrus X) und zweitens zeigt der Zusammenhang, dass vom Treiben des Metalles die Rede ist (vgl. Jacob z. St). Ebensowenig lässt sich der Versuch Caligulas, aus Auripigment Gold zu ziehen (Plin. n. h. XXXIII 79), auf alchemistische Thätigkeit deuten (Berthelot orig. 69).

Das älteste Zeugnis ist das Edict Diocletians (Iohannes Antioch. [Kopp 84, 1] und Suid. s. Διοκλητιανός u. Χημεία), wonach der Kaiser die alten Bücher der Ägypter περὶ χημείας ἀργύρου καὶ χρυσοῦ habe verbrennen lassen. Diese Verordnung wird gleich nach 296 fallen, wo Diocletian einen Aufstand der Ägypter niederschlug. An der Wahrheit der Nachricht zu zweifeln, wie wohl geschehen, ist gar kein Grund (vgl. Usener de Stephano Alex. 9); eine Spur davon scheint in einem merkwürdigen Stück des Zosimos erhalten zu sein (Berthelot alch. III 51, 7 p. 243f.). Da bei Suidas von παλαιοί geredet wird, kommen wir etwa in den Anfang des 3. Jhdts. Dazu stimmt, dass auch Africanus in seinen κεστοί die A. erwähnt haben soll. Doch findet sich diese Nachricht erst bei Synkellos (676, 10 Bonn.), der sie, wie seine sonstigen auf A. bezüglichen Notizen, vermutlich den Alchemisten selbst verdankt, die den Africanus thatsächlich mehrfach nennen (Berthelot alch. p. 75. 169).

Die nächste Erwähnung der A. geschieht im Beginn des 4. Jhdts. durch den Astrologen Firmicus Maternus (III 15 p. 81 ed. Basil. 1533), wonach eine bestimmte Nativität multas cogitationes, näher bestimmt Astrologie, Waffenschmiedekunst, A. giebt. Da Firmicus sicher, wenn auch indirect, ägyptische Quellen benutzt hat, wird er diesen wohl auch hier gefolgt sein, nur schwerlich gerade dem Petosiris, den er sonst oft als Gewährsmann nennt. Es folgt Themistios, der allerdings deutlich (or. IX p. 214 Petav.) die Möglichkeit der Metallveredlung leugnet. Aber dass er das Problem überhaupt erwähnt, weist darauf hin, dass es zu seiner Zeit (2. Hälfte des 4. Jhdts,) erörtert wurde. Den Namen Chemie gebraucht er so wenig, wie Aineias von Gaza in seinem Theophrastos (p. 67 ed. Boisonn.), der sie sicher kennt. Die Alchemisten nennt er die περὶ τὴν ὕλην σοφοί. Auf A. deutet auch noch eine zweite Stelle (Kopp 37).

2) Die erhaltenen Alchemisten. Mit diesen ältesten Zeugen stimmen aufs beste die jetzt zu besprechenden erhaltenen Stücke alchemistischer Litteratur. Die erste Stelle beansprucht der Leydener Papyrus X aus der Thebais (ed. Leemanus 1885), geschrieben Ende des 3. oder Anfang des 4. Jhdts. Er stellt sich in der Hauptsache dar als das ,Handbuch eines betrügerischen Goldschmieds‘, dem daran liegt, minderwertige Metalle den edlen so beizumischen, dass der Käufer den Betrug nicht merkt. Ausdrücklich [1342] wird bei einigen Recepten gesagt, dass auch der zünftige Handwerker keinen Unterschied finden werde. Soweit wäre also das Buch rein technisch. Aber in zwei Recepten (7. 59) ist von einer ἀνέκλειπτος μᾶζα und von einem ebensolchen ἄσημον die Rede. Es scheint, als stelle sich der Verfasser darunter eine Composition vor, fähig, einer weit grösseren Masse fremden Metalles die eigene Eigenschaft zu verleihen. Wir haben hier also die Idee eines Fermentes, eines verwandelnden Mediums; höchst überraschend allerdings inmitten raffiniertesten Betruges. Bemerkenswert ist ferner, dass auch in diesem Handbuch die Purpurfärberei, wenn auch nur nebenher, berücksichtigt wird (Rec. 89–99).

Mit diesem Papyrus ist inhaltlich verwandt eine Reihe alchemistischer Tractate, nämlich des Ps.-Demokritos Buch φυσικὰ καὶ μυστικά (Berthelot alch. II 1), die ,Recepte des Iamblichos‘ (IV 19), die sog. ,Chemie des Moses‘ (IV 22), wahrscheinlich auch der Isisbrief (I 13. 13 bis), sowie einige kleinere Stücke, wie die δίπλωσις des Moses und des Eugenios (I 18. 19). Die ,Recepte des Iamblichos‘, als καταβαφή, ποίησις, δίπλωσις bezeichnet, erinnern vielfach direct an Papyri. So wenn, ganz wie bei diesen üblich ist, Varianten der Lesart aus verschiedenen Hss. im Text angeführt werden (§ 4 1. 25). Manches in dem Stück ist altägyptisches Gut, so die Kraft der Milch von einer Frau, die einen Knaben geboren hat, die schon im Pap. Ebers viel gebraucht wird (Joachim Pap. Ebers 203 s. ,Milch‘). An Zauberei erinnert die Vorschrift, die verwandte Galle zu nehmen von einem schwarzbeinigen Hahn. Die Zeit dieses Stückes zu bestimmen ist leider nicht möglich. Dass seine Gräcität spät ist, versteht sich von selbst und thut, bei dem Charakter dieser Arbeiten überhaupt, dem Alter seines Materials keinen Abbruch. Es wird im wesentlichen der gleichen Zeit und den gleichen Quellen entstammen, wie Papyrus X.

Ebenso die ,Chemie des Moses‘, genannt davon, dass einerseits anderswo (Berthelot alch. p. 353, 19) eine οἰκεία χυμευτικὴ τάξις des Moses citiert wird, andererseits unsere Receptsammlung am Anfang einen Spruch des A. T. (Exod. 31, 1–5. 35, 30) frei wiedergiebt, in dem Moses genannt wird. Ein Anlass, diesen Namen anzuerkennen, liegt nicht vor. Der erhaltene Tractat ist ein Sammelsurium aus zum Teil alten, zum Teil jüngeren Quellen. Er benutzt Demokritos, Synesios und Olympiodoros, ist also kaum vor dem 6. Jhdt. abgeschlossen. Eine Reihe seiner Recepte aber sind durchaus wesensgleich denen des Papyrus und sicher aus einer ähnlichen Quelle entlehnt.

Auch der Isisbrief ist bei seinem fast rein ägyptischen Charakter recht alt, doch lässt sich über seine Zeit und seine Quellen nichts sagen. Endlich steckt auch manches hieher Gehörige in den von Berthelot als traités techniques vereinigten Stücken; um es aber auszuscheiden, bedarf es einer Einzeluntersuchung, für die hier nicht der Platz ist.

Weitaus das wichtigste der hieher gehörenden Stücke ist der dem Demokritos zugeschriebene Tractat des Titels φυσικὰ καὶ μυστικά. Unter dem, was in alchemistischen Hss. erhalten [1343] ist, ist er das älteste Stück, und wird von allen anderen Alchemisten vorausgesetzt, erwähnt und mit wechselndem Glück erläutert. Wie er uns heute vorliegt, ist er ein Torso, der sich aber aus den vielen Citaten einigermassen herstellen lässt. Heute folgt auf ein Capitel über Purpurfärberei eine romanhafte Zaubererzählung, in der Demokritos seinen ungenannten Lehrer von den Toten heraufbeschwört und endlich im Tempel auf wunderbare Weise den Spruch findet, der nun zum Kehrreim aller seiner Recepte wird: ,die Natur freut sich an der Natur, die Natur besiegt die Natur, die Natur beherrscht die Natur.‘ Nun lehrt er Gold künstlich auf trockenem Wege oder durch Brühe herzustellen, dann folgt eine grosse Ermahnung – an seine Schüler, muss man denken –, nicht durch die Vielheit der Erscheinungen an der Einheit der Natur irre zu werden, verbunden mit Polemik gegen die jungen Besserwisser, darauf die Bereitung des Silbers. Endlich die Versicherung, es fehle nichts, als ein bereits früher behandeltes Stück. Nach den Angaben der Zeugen umfasste das vollständige Werk vier Bücher, die von der Bereitung des Goldes, Silbers, der Perlen und Edelsteine, endlich des Purpurs handelten, und wohl jedes einem besonderen Adressaten gewidmet waren; so das ,Goldbuch‘ einem Philaretos (πρὸς ὃν ἡ δύναμις, also wohl einem vornehmen Manne; fiel der Fälscher hier aus seiner Rolle?). Mit Ausnahme der Perlen deckte sich also der Umfang des Werkes vollständig mit dem Inhalt von Papyrus X, während das in X Fehlende als alt durch die technischen Tractate hinlänglich bezeugt ist. Sehen wir von der Rahmenerzählung ab, so berühren sich die Recepte des Ps.-Demokritos zum Teil ganz eng mit denen des Papyrus. Beide wenden das gleiche Verfahren der Oberflächenfärbung an (vgl. z. B. X 68. 74 mit Demokritos 8), nur dass Ps.-Demokritos glaubt, auf diese Weise das Metall zu verwandeln, der Verfasser von X sich völlig des in seinem Verfahren liegenden Betruges bewusst bleibt. Weiter knüpft Demokritos an die Papyruslitteratur an durch den Namen des Phimênas aus Sais (X 11. 15), der gewiss dem Ägypter Pammenes (Demokritos § 19) gleich zu setzen ist, und von dem beide ein, freilich nicht identisches, Recept geben. Offenbar haben wir einen ägyptischen Goldschmied vor uns, der auch A. trieb.

Es wäre wichtig, die Abfassungszeit des Werkes näher zu bestimmen, doch ist das hier noch schwer möglich. Jedenfalls ist es sehr alt, da es von allen namhaften Alchemisten zum Teil in eigenen Commentaren erläutert wird. Keinesfalls aber wird man mit Berthelot (orig. 99. 157ff.) es schon um Christi Geburt entstanden sein lassen, oder es dem berüchtigten Fälscher Bolos zuschreiben, oder gar von einer ,demokritischen Schule zu Alexandreia‘ reden, in der sich wirklich Lehren des alten Philosophen der späteren Zeit und ihrem Wunderglauben angepasst hätten (vgl. jedoch Gruppe Kulte I 21, 36). Gegen solches Alter spricht, dass der Papyrus X von einem solchen Werke offenbar noch gar keine Kenntnis hat. Und doch kennt der von ihm nicht zu trennende Zauberpapyrus V in Leyden, vermutlich mit X in einem Grabe gefunden, [1344] sowohl Ostanes wie Demokritos als Magier und Seher, wie andererseits unter seinen Zaubervorschriften sich zwei Recepte der ἴωσις, ,Läuterung‘ des Goldes, finden. Nun kann man aus anderen Gründen die Entstehung der Papyri nach 100 bis etwa 150 (Dieterich Abraxas 155) ansetzen. Um diese Zeit also existierte unser Buch noch nicht. Damit ist natürlich dem Alter seiner Recepte keineswegs praejudiciert. Doch dieses zu prüfen ist Sache des Chemikers, durch Vergleich mit ähnlichen Vorschriften bei Plinius. Die φυσικά sind von den Alchemisten fleissig gelesen worden, und das hat ihre Entstellung und damit ihren Untergang herbeigeführt. Die Bücher über die Perlen und den Purpur sind nahezu spurlos verschollen; leidlich erhalten sind nur noch die Gold- und die Silberbereitung, aber auch diese nur als Excerpt. Besonders arg, teilweise bis zur Unverständlichkeit verstümmelt ist die Rahmenerzählung, während die Recepte, als der interessantere Teil, im ganzen in Ordnung sind (ähnlich Tannery Revue des études grecques III 282ff.).

An diese vier Bücher hat sich früh ein nicht vom gleichen Verfasser herrührendes fünftes angelehnt, das freilich in der ältesten Hs. und dem ihr zeitlich voraufliegenden Inhaltsverzeichnis fehlt, auch offenbar früh der Benutzung entzogen worden ist, aber doch sicher schon im 4. Jhdt. existiert hat, da Synesios (§ 2) darauf anspielt (anders Tannery a. a. O. 282). Das Buch ist Leukippos gewidmet, gewiss dem Atomisten. Es giebt sich zwar als eine Übersetzung aus dem Persischen, schreibt aber die Erfindung der A. den Königen Ägyptens zu. Trotz dieses angeblichen Ursprungs lehnt es ausdrücklich das Verfahren der ägyptischen Priester ab. Es stellt sich somit dar als ein Versuch, die Ostanes-Tradition mit der wahren Überlieferung über den Lehrer Demokrits zu vereinen, während andererseits die Stelle über die ägyptischen Könige sich mit einem merkwürdigen Stück des Zosimos (Berthelot alch. III 51, 1) berührt. Hier hat man also versucht, verschiedene Lehren und Überlieferungen zu contaminieren. Der Verfasser gehört wohl dem 4. Jhdt. an und lebte zwischen Zosimos und Synesios.

Dieser Synesios soll gleich hier behandelt werden, weil sein Werk sich ausdrücklich als Commentar zu Demokritos ὡς ἐν σχολίοις bezeichnet. Es ist einem ,Dioskoros, Priester des grossen Sarapis in Alexandreia‘ gewidmet, der den Verfasser gebeten hatte, ihm Demokritos zu erläutern. Die Belehrung geschieht in Form eines Dialogs, der aber unvollständig ist: er bricht nach § 18 am Anfang der Scholien zur ἀργυροποιία ab. Sein Inhalt an sich ist äusserst dürftig; die Erklärungen machen durch ihre Allegorieen und Wortspielereien den Text des Demokritos nur noch unverständlicher (vgl. bes. § 12. 16). Wichtig ist das Werk, weil der Verfasser Demokritos weit vollständiger las als wir und zahlreiche, wörtliche Citate seiner Rede eingeflochten hat (vgl. Tannery a. a. O.). Übrigens ist er wenigstens notdürftig philosophisch gebildet: so operiert er im § 9 mit den aristotelischen Anschauungen über den Unterschied von Materie und Form.

[1345] Dass dieser Synesios der Bischof von Kyrene sei, ist früher von mehreren behauptet (vgl. Kopp 144f.) und von Berthelot wieder aufgenommen (orig. 188ff.) worden, ohne Glück. Entscheidend ist der auch von Kopp hervorgehobene Umstand, dass der sonst gut über A. unterrichtete Suidas nichts davon weiss. Aber der Zeit des Bischofs, d. h. dem Ausgang des 4. Jhdts., gehört der Alchemist an. Die Standesbezeichnung seines Adressaten tritt so wenig aufdringlich hervor, dass kein Grund ist, sie für erdichtet zu halten. Also haben wir im J. 389, wo der Sarapistempel zerstört wurde, den terminus ante quem. Als terminus a quo muss die Zeit des Zosimos gelten, auf den Synesios (S. 63, 5f.) deutlich anspielt (vgl. Olympiodoros § 44). Eine gemeinsame Quelle für beide ist dadurch völlig ausgeschlossen, dass Zosimos seine Gewährsmänner immer sehr gewissenhaft nennt, hier aber schweigt, während Synesios sich gern solche Angaben spart; er nennt nur Hermes und Pibechios. Dieser letztere, als Alchemist auch sonst genannt, ist = Apollobeches bei Plinius (n. h. XXX 9), der ihn mit Demokritos verbindet, und Apuleius (de magia 90), = Apollobex des Papyrus V. Ein ägyptischer Gottesname (Horos, der Sperber) liegt ihm zu Grunde (Berthelot orig. 168; vgl. Dieterich Pap. mag. V p. 756 [Πιβήχης in einem mag. Pap.]. Leemanns Pap. gr. II 54. Dieterich Abrax. 138). Also einer jener Götter, an die ägyptische Tradition seit Urzeiten ihre Schwindellitteratur anzuknüpfen liebte. Ägypter wird wohl auch unser Synesios gewesen sein. Jedenfalls atmen seine Erklärungen durchaus den Geist des wohlbekannten alexandrinisch-neuplatonischen Synkretismus.

Der Vollständigkeit wegen führe ich noch Petasios an, nach seinem Namen gleichfalls ein heidnischer Ägypter. Er hatte Erläuterungen zu Demokritos in lexikalischer Form geschrieben (Berthelot alch. 356, 2). Eine seiner Glossen wird in dem erhaltenen Lexikon alchemistischer Termini ausdrücklich angeführt (Berthelot alch. 15, 3), vermutlich gehört ihm darin noch mehr. Ob der bei Olympiodoros mehrfach genannte Petasios mit ihm identisch ist, lässt sich nicht ausmachen.

Der alchemistische Schriftsteller, von dessen sehr ausgebreiteter Thätigkeit uns die meisten Reste erhalten sind, ist Zosimos. Wir haben über ihn biographische Nachrichten bei Suidas. Darnach war er Alexandriner und hatte an seine Schwester Theosebeia 28 Bücher über A. κατὰ στοιχεῖον geschrieben. Dagegen war er nach Photios (cod. 170 p. 117 ed. Bekker) aus Panopolis in der Thebais. Beides hat schon Fabricius (B. G.¹ VI 612) dahin vereinigt, dass Zosimos geborener Panopolit gewesen, aber zu Alexandreia gelebt habe. Was Suidas mit dem κατὰ στοιχεῖον sagen will, zeigen sowohl Selbstcitate des Zosimos als fremde. Es waren nach einer bekannten Gewohnheit die einzelnen Bücher (λόγοι, Berthelot alch. 188, 13) mit Buchstaben bezeichnet; genannt werden uns noch Κ, Σ, Ω (Berthelot alch. 246. 274. 228ff.). Darnach erscheint die Angabe des Suidas zunächst sehr zweifelhaft, denn vier Bücher würden überschiessen. Nun sind in der That eine Menge [1346] Buchüberschriften überliefert, die sich anscheinend zu verschiedenen grösseren Gruppen zusammenfassen lassen, nämlich: 1) περὶ ἀρετῆς, 2) τὸ κατ’ ἐνέργειαν (oder nach Zosimos Selbstcitat ἡ κατενέργεια, 3) ἡ τελευταῖα ἀποχή, 4) περὶ ὀργάνων καὶ καμίνων, 5) κεφάλαια πρὸς Θεόδωρον, 6) βίβλος ἀληθὴς Σοφὲ Αἰγυπτίου, 7) das Buch Ἰμούθ. Auch wenn man nr. 5 ausscheidet (vgl. Kopp 201), geraten wir mit diesen Titeln in Schwierigkeiten. Einem von ihnen müssen die 24 mit Buchstaben bezeichneten Bücher gehören, womit wir nur vier übrig behalten. Die Wahl würde auf nr. 2, das am öftesten citierte Werk, fallen. Aber Synkellos scheint dem Buche Imuth mindestens neun Bücher zu geben (p. 24, 1 Bonn.)! Auch so also ein Widerspruch gegen Suidas, dessen Zahl doch schwer zu bezweifeln ist. Weiter haben wir ein Citat ἐν τῇ κατ’ ἐνέργειαν περὶ ἀρετῆς πραγματείᾳ (Berthelot alch. 124, 8). Da, wie wir aus anderen Titeln sehen, jedes einzelne Buch neben dem Buchstaben seine gesonderte Bezeichnung hatte, so werden wir den scheinbaren Widerspruch so am richtigsten lösen: das grosse Werk des Zosimos führte den Titel τὰ κατ’ ἐνέργειαν und bestand aus 28 Büchern, von denen 24 mit den Buchstaben des Alphabets und Sondertiteln bezeichnet waren, die anderen, anscheinend mehr mystischen Bücher den Übergang zwischen verschiedenen Materien bewerkstelligten, wie die mit περὶ ἀρετῆς und als τελευταία ἀποχή bezeichneten. Ich betone den hypothetischen Charakter dieser Aufstellung, aber eine befriedigendere Lösung erscheint um so zweifelhafter, als auch eine Identification der sonstigen Citate nichts ergeben hat.

Gewidmet war das Buch seiner Schwester Theosebeia, einer πορφυροστόλος γυνή (Berthelot alch. 246, 22; der singuläre Ausdruck wohl = dem lat. femina stolata). Seine Anlage lässt sich näher nicht mehr feststellen, nur über den Inhalt einzelner Bücher belehren uns die Nebentitel. Jedenfalls behandelte Zosimos auch die Purpurfärberei und die Edelsteine, umfasste also das ganze auch von Demokritos behandelte Gebiet. Über seine Arbeitsart sagt er selbst (Berthelot alch. 178, 2), dass er eklektisch compilierte. Seine Schriften gewähren einen interessanten Einblick in die Verhältnisse der damaligen Alchemisten. Schon Demokritos hatte auf Meinungsverschiedenheiten hingedeutet, hier nimmt die Sache einen persönlichen Charakter an. Zosimos spricht von Erklärungen der Agathodaimoniten, von dem Spott, mit dem man seine Werke begrüsst habe, er warnt seine Schwester eindringlich vor dem Priester Neilos und der chemisch thätigen Dame Paphnutia. Mit einem Behagen, das an den St. Galler Ekkehard erinnert, schildert er dieses Neilos Misserfolge bei seinen Versuchen und schliesst seinen Brief mit einem spöttischen Gruss an ihn. Auch sonst giebt er seiner Schriftstellerei gern Localfarbe. So hatte er, nach Olympiodoros (§ 50), vorgeschrieben, das Laboratorium mit Teichen und Gärten zu umgeben (wie die ägyptischen Tempel waren), damit nicht der Westwind Staub bringe. Das kann sich nur auf Ägypten beziehen, wo der Zephyr aus der libyschen Wüste herabkommt.

Zeigt sich Zosimos so nicht als diftelnden [1347] Commentator, sondern als wirklichen Praktiker, so befremdet es, dass derselbe Mann seine alchemistischen Anschauungen gern in die Form einer prophetischen Vision kleidete (Berthelot alch. III 1. 5. 5 bis). Das wird verständlich aus sonstigen Schriften, die ihn durchaus vom Geist der Gnostiker und Hermetiker durchtränkt zeigen. Seinem Buchstaben Ω (Berthelot alch. III 49) hat er eine mystische Erklärung vorausgeschickt, wonach der Buchstabe zur Sphäre des Kronos gehöre, κατὰ ἔνσωμον φράσιν; seine ἀσώματος φράσις kenne nur ,der verborgene Nikotheos‘ (eine gnostische Gottesbezeichnung, wie das folgende dann zeigt). Zahlreich sind die Beziehungen zur hermetischen Philosophie. Freilich citiert er fast nur alchemistische Schriften des Gottes, aber auch uns erhaltene Dialoge, z. B. aus ,Poimandres‘ Dialog 4, dem ,Krater‘ (8. 21 Ménard), und zwar ausdrücklich unter dem Titel Poimandres, der also schon zu seiner Zeit für die ganze Reihe gegolten haben muss. Auch wo sich eine Identification nicht durchführen lässt, finden sich entschiedene Anklänge. So soll nach Zosimos Hermes unterscheiden zwischen den ἄνοοι, dem Spielball des Fatums, und den Philosophen (= Alchemisten), die über ihm ständen, was ganz stoisierend durch die Indifferenz des Weisen gegenüber den Wechselfällen des Geschickes bewiesen wird (Berthelot alch. 229, 10–15). In der That heisst es Poim. dial. 9 (S. 53 Ménard), der Fromme sei durch die Gnosis über alle Schlechtigkeit, deren Sitz die Erde sei, erhaben und ebenda dial. 12 (S. 83 Ménard) sagt Hermes zwar, alles sei dem Fatum unterthänig, aber er macht doch einen Unterschied zwischen den vernünftigen Menschen und den ἄλογοι. Ebenso stimmt zu hermetischer Lehre, dass Zosimos im Menschen einen Mikrokosmos gesehen haben soll (Olymp. § 51). Auch die Ekstase, die er seiner Schwester empfiehlt (Berthelot alch. 244, 18ff.), war den Hermetikern nicht fremd (vgl. S. 59 Mén.). Es fällt auf, dass nach Zosimos ebenda die Theosebeia sich vorbereiten soll, indem sie sich befreit von den πάθη: Begier, Lust, Zorn, Trauer und den 12 μοῖραι τοῦ θανάτου. Der Poim. dial. 13 p. 97 M. spricht von den 12 τιμωροί der ὕλη, von denen sich frei machen muss, wer in Gott geboren werden will. Unter ihnen sind wieder Trauer, Begierde und Zorn. Sie werden ausdrücklich dem Zodiacus gleichgesetzt, an den sehr lebhaft des Zosimos Ausdruck μοῖραι erinnert, in Verbindung damit, dass er ausdrücklich eine den Philosophen behindernde, von ihm abzuschüttelnde εἱμαρμένη) anerkennt. Nicht minder lassen sich die merkwürdigen Daimonen in demselben überaus interessanten Abschnitt auch in der hermetischen Lehre nachweisen (S. 52 Mén.). Andererseits weist gerade diese Stelle auf den Daimonenglauben der Neuplatoniker, den ,Iamblichos‘ Mysterienbuch so klar schildert. Zu eben diesem findet sich bei Zosimos eine weitere Beziehung. Er spricht nämlich (Berthelot alch. 230, 17) von einem πίναξ, ὃν καὶ βιτος (sic) ἔγραψε. So gerne man hier (mit Berthelot) Kebes finden möchte, so finden sich doch die angezogenen Speculationen über den Urmenschen nicht im erhaltenen Gemälde, haben da auch schwerlich je gestanden. Schwindelcitate aber [1348] liegen dem Zosimos durchaus fern. Wir werden also mit Hoffmann (a. a. O.) an den Bitys bei Iamblichos denken. Der hatte geschrieben z. B. über den Namen Gottes, der durch alle Welt reicht (S. 267f. ed. Parthey; vgl. Zosimos: Gott sei überall und nicht im kleinsten Ort, wie die Daimonen [Berthelot alch. 244, 19]) und hatte hermetische Schriften erklärt oder übersetzt (S. 293 Parthey). Bei Zosimos aber wird dieser Bitos gerade mit Hermes (aber auch Plato, wegen des Wortes Thoyth) zusammengenannt. Auf Neuplatonismus weist endlich, dass Zosimos anscheinend Porphyrios citierte (Berthelot alch. 205, 15), wie er andererseits mit den Platonikern nach sicheren Zeugnissen auch die Magie übte, wovon in seinen Schriften noch Spuren vorhanden sind. Die erwähnten Speculationen über den Urmenschen knüpfen direct an die Gnostiker an und sind selbst für deren Lehren nicht uninteressant. Zosimos hat nämlich ein ganzes gnostisches Stück mit Adamspeculationen in sein Ω aufgenommen, das sich freilich einer bestimmten Secte nicht sicher zuweisen lässt. Doch sieht man klar, dass er nicht etwa selbst Gnostiker oder Katholik war, wie ihn denn Photios ausdrücklich einen Heiden nennt, der aber Zeuge für das Christentum sei. Das muss sich auf einen christlich überarbeiteten Zosimos beziehen, wie er sicher schon dem sog. ,Christen‘, einem Erklärer etwa des 7. Jhdts., vorgelegen hat, der Zosimos (Berthelot alch. 397f.) eine ganze Reihe Sprüche des N. T. citieren lässt. Auf eben diese Bearbeitung mag die oben (S. 1339) besprochene Synkellosstelle zurückgehen. Jedenfalls darf man ihn aber auch nicht mit dem Historiker, dessen Christenfeindschaft sattsam bekannt ist, identifizieren. Überhaupt schwanken die Ansichten über seine Zeit sehr. Dem 3. Jhdt. weist ihn Berthelot zu (orig. 99), dem 4. oder gar dem 5. Andere (vgl. Kopp 164f.). Wir haben folgende Anhaltspunkte: 1) Synesios citiert ihn (Berthelot alch. 63, 5), ohne ihn zu nennen. Also fällt er vor 389. 2) Er selbst citiert Porphyrios. Also fällt er frühestens an das Ende des 3. Jhdts. 3) Die Quelle, aus der er das gnostische Stück entnahm, liegt nach ca. 290. Es heisst dort nämlich, der Antichrist werde voraufschicken einen Vorläufer aus Persien; dessen Name habe, τῆς διφθόγγου σωζομένης, neun Buchstaben. Man hat verschieden geraten. Auf dem richtigen Weg war Hoffmann, aber auch seine Deutung auf Zoroaster ist falsch. Den Forderungen der Buchstabenrechnung und der persischen Abstammung des Irrlehrers entspricht einzig Μανιχαῖος. Das führt ganz ans Ende des 3. Jhdts. Ebendahin weist, dass am selben Ort gesagt wird, der Antichrist werde seinem Vorläufer nach ungefähr πλέον ἢ ἔλαττον) sieben Perioden folgen. Offenbar liegt hier Chiliasmus vor, und wir sind deshalb auf – allerdings sonst nicht nachweisbare, vielleicht aus je drei γενεαί zusammengesetzte – Perioden von etwa 100 Jahren angewiesen. Wie nahe immer Zosimos seiner Quelle steht, vor dem Ende des 3. Jhdts. kam Manis Lehre schwerlich nach Ägypten. Also setzen wir Zosimos an den Anfang des 4. Jhdts. Weiter herab können wir ihn nicht gut rücken, weil er sonst schwer zu den ἀρχαῖοι gerechnet werden konnte.

[1349] Zosimos genoss bei den Alchemisten das höchste Ansehen, weniger wohl wegen seines praktischen Wertes, obwohl auch dieser nicht gering zu veranschlagen ist, als seiner bilderreichen Sprache halber. Wenigstens nennt ihn sein Commentator Olympiodoros die ὠκεανόβρυτος γλῶσσα (§ 26), offenbar wegen seiner Beredsamkeit. Er ist mindestens ebenso viel gelesen worden wie Demokritos, und erfreute sich wie dieser eines besonderen Commentators.

Dieser, Olympiodoros, schrieb ein Buch des Titels μεγάλη κατάφασις εἰς τὸ κατ’ ἐνέργειαν Ζωσίμου ὅσα ἀπὸ Ἑρμοῦ καὶ τῶν φιλοσόφων ἦσαν εἰρημένα. Es ist zwar sehr umfangreich, aber inhaltlich überaus dürftig, ein Cento aus allen möglichen Citaten, verknüpft mit den schwülstigsten Redensarten über die eigene Unfähigkeit und über die grosse Gnade und Einsicht seines offenbar erlauchten Adressaten, den er mit ἡ σὴ πανχρηστότης, ἡ ὑμετέρα ἀγχίνοια u. ä. anredet. Interessant an seiner Arbeit sind eigentlich nur neue Zosimosfragmente und ein Excurs, der die Alchemisten mit den griechischen Philosophen parallelisiert. Dieser beruht im allgemeinen auf der doxographischen Überlieferung, widerspricht ihr aber mitunter und lohnte wohl eine besondere Behandlung. Olympiodoros freilich hat ihn wohl abgeschrieben und zwar nach gewissen Anzeichen aus einer christlichen Quelle, die nach Art der Ketzerbestreiter sich bemühte, die A. an die griechische Philosophie anzuknüpfen. Auch über seine Lebenszeit differieren die Ansichten. Meist sieht man in ihm den Historiker aus dem Anfang des 5. Jhdts., der nach Photios cod. 80 (FHG IV 58) sich selbst als ποιητής, d. h. als Alchemisten bezeichnet habe. Dem entgegen steht die bestimmte Angabe der Alchemisten. Sowohl nach dem Titel des Commentars als nach der Angabe des ,Anonymus‘ (Berthelot alch. 425, 4f.) war er Philosoph, und zwar oikumenischer nach dem Anonymus, Alexandriner nach dem Titel. Dazu stimmt, dass der Anonymus ihn mit Stephanos zusammenstellt (vgl. Usener de Steph. Alex. 3–5). Immerhin konnte auch hier zur Not der Historiker gemeint sein, da das Amt 425 eingerichtet wurde. Aber wir wissen von einem Mann gleichen Namens und Standes unter Iustinian. So liegt es denn am nächsten, an diesen zu denken, ohne die Frage vorläufig bestimmt zu entscheiden.

Die nun folgenden Alchemisten sind sämtlich nicht mehr praktisch thätig gewesen. Unter ihnen beansprucht nach dem Umfang seiner Schrift Stephanos die erste Stelle, ein Zeitgenosse des Kaisers Herakleios (610–641) und von ihm aus Alexandreia nach Constantinopel berufen. Doch hat Usener (a. a. O.) sehr wahrscheinlich gemacht, dass die erhaltenen neun πράξεις des Stephanos Namen zu Unrecht führen. Sie sind ihm aber jedenfalls schon früh zugeschrieben worden, da sowohl der ,Christ‘ als der Anonymus den Stephanos nennen. Ihr Inhalt ist fast gleich Null. Sie sind ein Gemisch schwülstiger Paraphrasen, hauptsächlich demokritischer Sätze, mit bewundernden Declamationen über den tiefen Sinn der Alten, die nur den Mangel an Verständnis verdecken sollen und sich deshalb in ermüdender Breite wiederholen. Wozu dann viele [1350] langatmige christliche Gebete treten. Der Gewinn für die Erkenntnis der A. beschränkt sich auf einige philosophische Ideen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat Stephanos grossen Ruhm erlangt, so dass er gar zum ,Erfinder‘ der A. gestempelt wurde (Usener 9).

An Stephanos schliessen sich die alchemistischen Dichter an. Es sind ihrer vier: Heliodoros, Theophrastos, Hierotheos, Archelaos. Wir können über sie um so kürzer sein, als sie alle in byzantinischen Trimetern nur die Ideen und Worte des Stephanos wiedergeben, und sich weder über ihre Zeit, noch über die Echtheit ihrer Namen sonst etwas Sicheres ausmachen lässt. Man darf nach einigen Spuren den gleichen Charakter vermuten für die heute verlorenen Schriften, die den Kaisern Herakleios und Iustinianos zugeschrieben wurden und noch in einer mit dem Marcianus verwandten Hs. etwa des 9. Jhdts. erhalten waren. Für uns weit wichtiger, auch als Stephanos, sind zwei byzantinische Commentatoren, wegen ihrer Auszüge aus den Älteren, der ,Christ‘ und der ,Anonymus.‘ Besonders der erstere, dessen Absicht anscheinend eine kurze Darstellung der ganzen Wissenschaft war, hat viel zosimianisches überliefert, während der andere mehr historische Interessen verfolgte und z. B. eine allerdings dürftige Aufzählung der Adepten bietet. Beider Zeit ist nicht näher bestimmbar, nur dass sie vor dem Zustandekommen unserer Sammlung gelebt haben müssen, ist klar, d. h. etwa im 7. Jhdt. Die späteren Byzantiner bis ins 15. Jhdt. fallen bereits ausser den Bereich dieser Arbeit.

Die bisher besprochenen Alchemisten waren wenigstens relativ vollständig erhalten. Es bleibt noch eine Reihe kleinerer Stücke zu betrachten, für deren angebliche Autoren die Zeit meist nur in sehr weiten Grenzen zu bestimmen ist. In erster Reihe steht hier Maria, die vor das 4. Jhdt. fällt, da Zosimos sie oft erwähnt, womit sich gut vereinigt, dass sie Zeitgenossin des Ps.-Demokritos gewesen sein soll. Sie gilt allgemein als Jüdin, und wirklich warnt sie in einer Schrift selbst den Leser, ,der du nicht vom Stamme Abrahams bist‘ (Berthelot alch. 103, 5), sich mit ihren Lehren zu befassen. Es lag nahe, sie für Mirjam, Moses Schwester, zu halten, was sicher der ,Christ‘ that, der sie hebräische προφήτις nennt (Berthelot alch. 404, 16). Nach den vielen Citaten, aus denen allein wir sie kennen, zu schliessen, war sie eine sehr fruchtbare Schriftstellerin; jedenfalls war sie bei den älteren Alchemisten sehr angesehen. Ich schliesse die übrigen jüdischen Schriftsteller hier an. Zu den Alten gerechnet und mit Maria verbunden wird Theophilos, Sohn des Theagenes. Er lebte ebenfalls vor Zosimos und hatte die χρυσωρυχεῖα τῆς χωρογραφίας beschrieben (Berthelot alch. 240, 17; daraus Olymp. § 35), d. h. wohl ein Verzeichnis der Goldbergwerke Ägyptens gemacht, wie uns dergleichen z. B. aus dem Geographen Agatharchides bei den Alchemisten erhalten ist (Berthelot alch. I 10; vgl. orig. 23). Darnach wäre er zu Unrecht unter die Alchemisten gekommen, denn die von Hoffmann (a. a. O.) erklärte allegorische Stelle bei Olympiodoros (§ 30) stammt gewiss nicht aus Theophilos. Moses [1351] fehlte natürlich nicht. Er sollte eine οἰκεία χυμευτικὴ τάξις geschrieben haben, von der wir eben so wenig wissen, wie von seinem in Trimetern geschriebenen Brief an eine Sane (Berthelot alch. 353, 19. 24. Im übrigen vgl. oben S. 1342).

Zur persischen Tradition (vgl. S. 1340) gehört ein dem Ostanes zugeschriebenes Bruchstück an einen Petasios, über dessen Alter sich gar nichts ausmachen lässt, so wenig wie über die Schrift eines Iohannes, Erzpriesters in Ebeigia oder Euagia, der Ostanes sehr viel citiert und sicher später ist als Zosimos, den er oft erwähnt. Ostanes figuriert auch in einem Stück unbestimmten Alters, das sein Titel dem Komarios, Philosophen und Erzpriester, giebt. Die Lehren, die dieser ,auf dem Thron sitzend‘ erteilt, werden dann von der Kleopatra, unter welcher sich der Verfasser gewiss die bekannte Königin dachte, ,mit den anderen Philosophen‘ erörtert. Sehr alt kann das Stück nicht sein, da es mit Bibelsprüchen operiert und die alte Anschauung, wonach der alchemistische Process eine ,Belebung‘ der vorher toten Metalle bewirkt, hier deutlich mit Gedanken an das Fegefeuer und die Wiederauferstehung versetzt ist.

Der Name Kleopatra weist auf ägyptische Tradition zurück. Auch von dieser sind nur Bruchstücke erhalten, wie z. B. die magisch-mystische χρυσοποιία τῆς Κλεοπάτρας, die recht wohl den Leydener Papyri gleichzeitig sein kann, ferner die oben (S. 1339) erwähnten Isisbriefe, endlich Stücke des Hermes und Agathodaimon. Dies letztere, ein Brief des Agathodaimon an Osiris, weist seinerseits wieder auf griechische Einflüsse hin, da es sich als Commentar zu einem Orakelspruch des Orpheus giebt. Sehr alt ist es nicht, denn die Trimeter des Orakels sind byzantinischen Versen bedenklich ähnlich. Auch weist das Vorkommen einer ,Schule der Arsenoiten‘ auf spätere Zeit Griechischer Tradition gehört endlich die Arbeit eines Pelagios an, die, nach Zosimos geschrieben, im wesentlichen auf ihm und Demokritos beruht.

Um zusammenzufassen, wir haben in all diesen kleinen Stücken Reste der Nebenströmungen, die neben dem grossen Hauptfluss der Tradition herlaufen, Erzeugnisse untergeordneter Geister, die neben den wenigen grossen Adepten recht bald der verdienten Vergessenheit anheim fielen.

III. Inhalt der Alchemie. Zweifellos ist sie ausgegangen von einer rein praktischen, nicht im geringsten chimaerischen Grundlage, derjenigen der Metallfärbung. Diese Grundlage wird in ihrem Kern ägyptisch sein. Eingehende Kenntnisse der Metallbehandlung bei den Ägyptern beweisen die staunenswerten Grabfunde im Lande selbst und in Mykenai. Wie dieser vom Handwerk ausgehende Ursprung im Papyrus X noch deutlich zu Tage liegt, so zeigt er sich auch im Umfang der alchemistischen Werke. X sowohl wie Demokritos und Zosimos umfassten auch das Färben der Zeuge, zusammengefasst als ,Purpurfärbung‘, Demokritos und Zosimos ausserdem noch die Behandlung von Edelsteinen und Perlen, verbunden mit dem Herstellen künstlicher Glasflüsse, einer gleichfalls altägyptischen Technik. Wie dieser ägyptische, Ursprung der ,Kunst‘ mit der alchemistischen Überlieferung übereinstimmt, so [1352] mag es auch mit einer Nachricht bei Zosimos ihre Richtigkeit haben, die leider fast bis zur Unverständlichkeit verderbt ist (Berthelot alch. III 51, 1). Darnach war die ,Kunst‘ im Besitz der Könige und Priester als Geheimnis bewahrt worden, die ersten Schriftsteller darüber waren ,Freunde des Königs‘. Nämlich, wie die Bergwerke Regal waren, so scheinen wenigstens die Arbeiter in Edelmetallen und Bronce staatlich angestellt gewesen zu sein (Erman Ägypten II 610) und ,Freund des Königs‘ ist ein Titel hoher ägyptischer Beamten gewesen (Erman I 110f.).

Auf dieser rein technischen Basis hat sich dann, vermittelt durch gewisse allgemeine Ideen, allmählich die Anschauung der Metallverwandlung gebildet. Der Ausgangspunkt war die verschiedene Färbung der Metalle durch Legierung, an die noch der Name βαφικὴ τέχνη und das viel gebrauchte βάπτειν, nicht minder die Ausdrücke μέλανσις, λεύκωσις, ξάνθωσις erinnern. Die nächste Veranlassung scheint das Elektron gegeben zu haben, das man einerseits als natürliches Metall kannte, aus dem aber Gold oder Silber sich gewinnen liess, und das man andererseits aus diesen beiden Metallen künstlich herstellen konnte. Auch hier tritt wieder der Zusammenhang mit Ägypten deutlich hervor, asem, usm bedeutet im Ägyptischen ,Silbergold‘, und in X sowohl wie bei den Alchemisten spielt die ποίησις ἀσήμου eine grosse Rolle, erleichtert durch die Anlehnung an ἄσημος = ungemünztem Edelmetall. Wie man so das Elektron bald silberähnlicher, bald mehr goldfarbig herstellte, so konnte man hoffen, durch Färbeprocesse auch das Edelmetall selbst zu erzeugen. Wirklich sind (nach Berthelot Untersuchungen in den Origines und Alch. introd.) die Recepte im Papyrus X und Demokritos solche Oberflächenfärbungen. Unterstützend trat hier ein die Anschauung einer genetischen Stufenfolge der Metalle, von der Spuren schon bei Platon vorkommen (Prantl Dtsche. Vierteljschr. 1856, 138). Man mochte also hoffen, durch fortgesetzte Läuterung (ἐξίωσις; weist wieder auf ,Färbung‘ oder ,Entfärbung‘) – ,Veredlung‘ – aus dem niederen Metall das höhere zu machen.

Bis hieher beruht die falsche Meinung noch auf praktisch ausführbarem Verfahren. Nun treten uns aber bestimmte, dogmatisch ausgesprochene Sätze entgegen, auf Grund deren die Alchemisten operieren und die teilweise mit der Philosophie zusammenhängen. Hier sind zunächst zwei Sätze untrennbar verbunden: ,Gleiches erzeugt Gleiches‘ und ,Ein wenig Sauerteig säuert ein ganzes Brod‘. Beide traten uns schon in den ältesten Zeugnissen entgegen. Wenn in X sich das oben (S. 1342) erwähnte Recept einer ἀνέκλειπτος μᾶζα findet, so sind sie deutlich in ihm enthalten: ein Stückchen asem dient als Ferment, um eine grosse verschiedenartige Metallmenge ebenfalls in asem zu verwandeln. Ebenso sagt Isis in ihrem, wahrscheinlich recht alten Brief (Berthelot alch. 30, 24): ὁ σῖτος σῖτον γεννᾷ .. καὶ ὁ χρυσὸς χρυσὸν θερίζει, weshalb also ein wenig Gold mit in den Tiegel gethan werden muss. Auch Zosimos erwähnt diesen Spruch (bei Olympiodoros § 32) aus Hermes. Wenn man aus [1353] dem Namen Ἀχαάβ etwas schliessen darf, war er aus jüdischer Tradition geflossen.

Ein weiterer Satz ist der Kehrreim beim Ps.-Demokritos (oben S. 1343). Dieser Spruch ist auch ausserhalb des Kreises der Alchemisten bekannt gewesen. Firmicus (math. IV 16 p. 107) schreibt ihn dem ägyptischen König Nechepsos zu, der ihn in einem medicinischen Werk gethan haben soll, die Scholien zum Lucanus (II 2; comm. 48, 4) einem antiquissimus poeta, in dem Usener (Rh. Mus. XXVI 157f.) mit Recht einen Alchemisten erkannt hat. Doch Nechepsos selbst ist hier schwerlich gemeint, denn die zuverlässige Tradition der Alchemisten kennt ihn nicht als Adepten. Indess ist der Spruch im wesentlichen beidemale in gleichem Sinn gebraucht worden. Er besagt, dass Verwandtes zu Verwandtem gehört. So tritt er in den grossen Kreis der ,Sympathie und Antipathie‘ der Naturdinge ein, von der die Alten so viel erzählten, und als deren Hauptvertreter gerade Demokritos galt. Ausdrücklich bezeugt, und zwar aus Demokritos, die Geltung dieser Kräfte für die A. der Anonymus (Berthelot alch. VI 14, 7–8). Und auch in dem ps.-demokritischen Werk selbst sagt der Verfasser in seiner Polemik gegen die ,Jungen‘: οὐκ ἐπίστανται τὰ τῶν φύσεων ἀντιπαθῆ (§ 15). Wenn derselbe Verfasser (§ 14) die φύσεις zu Erschaffern der φύσεις macht und sie einander im Wechsel besiegen lässt, so hat schon Prantl (a. a. O. 150) dafür auf die Lehren der Stoa verwiesen. Der Philosophie gehört auch ein besonders von den Späteren gern wiederholter Satz an, der aber schon der Maria zugeschrieben wird und sich auch bei Zosimos findet. Danach ist ,das Geheimnis der Kunst, die Körper körperlos zu machen und ihr πνεῦμα oder ihre ψυχή zu erwecken‘. Hiefür hat Prantl (a. a. O. 147f.) überzeugend nachgewiesen, dass wir es mit einer Verquickung peripatetischer und stoischer Lehre zu thun haben. Auf seine Auseinandersetzung kann ich auch verweisen für das namentlich bei den Späteren oft vorkommende ,Ei der Philosophen‘ und seinen Zusammenhang mit den neuplatonischen Speculationen. Andere Zeugnisse für den Einfluss neuplatonisch-hermetischer Lehre sind oben bei Zosimos erörtert worden. Ergänzend mag hier noch ein sehr oft erwähnter Satz besprochen werden: ,Eins ist das All, und durch es existiert das All, und in es mündet das All, und hielte es nicht das All, nichts wäre das All‘. Der Spruch wird dem Chymes zugeschrieben, Zosimos hat ihn jedenfalls schon gekannt. Sein Sinnbild fand er in der Schlange, die sich in den Schwanz beisst, das seinerseits wieder alchemistisch ausgedeutet wurde. Nun ist diese Schlange ein bekanntes ägyptisches Sinnbild für den Jahreslauf der Sonne und offenbar für unsern Spruch unter ägyptischem Einfluss gewählt. Verliert schon dadurch Olympiodoros Nachricht (§ 27), Chymes sei hier dem Parmenides gefolgt, an Gewicht, so erkennen wir andererseits leicht den wahren Ursprung in der hermetischen Philosophie, in der die Alleinheit mehrfach gelehrt wird (z. B. p. 34. 162 Ménard in dem mystischen Hymnus, den auch die Alchemisten vor Beginn ihres Treibens sprachen: Berthelot orig. 134). Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass [1354] die letzte Wurzel dennoch in die gute griechische Philosophie sich erstreckt. Bemerkenswert aber ist der merkwürdige Zusatz zu diesem Spruch bei Stephanos (p. 246, 37): ,die hieratische Stimme spricht, gefunden ist der seit der Gründung Ägyptens gesuchte Pan‘, der doch wohl auf ägyptische Riten – einen Ruf beim Auffinden des Apis möchte man denken – anspielen soll. Dass die späteren Erklärer sich dann bemühen, möglichst viel Philosophisches aus den Älteren herauszulocken, ist so selbstverständlich, dass es hier nicht mehr erörtert zu werden braucht.

Wichtiger ist der Zusammenhang mit Magie und Astrologie. Wir dürfen ihn natürlich bei den jüngeren, christlichen Schriftstellern nicht erwarten, aber für die ältere Zeit ist er deutlich genug. Dass man X nicht von den anderen sog. gnostischen Zauberpapyri trennen darf, habe ich oben (S. 1343) bemerkt. Bei Demokritos tritt der Zusammenhang klar hervor in der Totenbeschwörung und dem Wunder, durch das der Spruch des Ostanes ans Licht kommt. Am meisten Neigung zur Magie zeigt natürlich der platonisierende, daimonengläubige Zosimos. Dass er bei seinen Arbeiten Daimonen zu Hülfe rief, bezeugt ausdrücklich der Christ (Berthelot alch. 397, 15). In diesem Zusammenhange gewinnen erhöhtes Interesse die sog. ,Krebsformel‘ (Berthelot introd. 152) und die χρυσοποιία τῆς Κλεοπάτρας (ebenda 132). Beide finden sich im Marcianus dicht bei einander und dienten ohne Zweifel magischen Verrichtungen. Besonders zu bemerken ist der achtstrahlige Stern in der χρυσοποιία τῆς Κλεοπάτρας, der sich auch auf sog. gnostischen Amuleten wiederfindet und uns geradenwegs in die grosse Mengerei alexandrinischen Zaubers versetzt. Die Verbindung mit der Astrologie endlich ist gewiss uralt und aus religiöser Grundlage erwachsen. Sie zeigt sich vor allem darin, dass die einzelnen Metalle je einem Planeten zugeteilt und mit seinem Zeichen geschrieben werden (vgl. Anon. dial. Hermippos II 15 p. 52 Bloch). Spuren davon finden sich aber schon in der herodotischen Erzählung von den Mauern Ekbatanas (Herod. I 98). Dass auch sonst die Alchemisten auf Constellationen Rücksicht genommen haben, dürfte man bei dem ungeheuren Einfluss der Astrologie auf das antike Leben ohne weiteres annehmen. Es fehlt aber auch nicht an Spuren davon aus der Schriftstellerei des Zosimos (vgl. Olymp. § 1f.).

IV. Resultat. Um zusammenzufassen, so darf man als sicher ansehen, dass die A. in Ägypten ihre Heimat hat. Darauf weisen sowohl die constante Tradition der Alchemisten, wie die Zeugnisse der Historiker und die Anhaltspunkte ihres Inhalts. Hier fand sie im alexandrinischen Völker-, Glaubens- und Doctrinengemenge den geeigneten Boden. Zuerst nachzuweisen seit der Mitte des 2. Jhdts. n. Chr., verband sie sich bald mit der grossen magischen Tradition. So erwuchsen die pseudepigraphen Schriften eines Demokritos, Ostanes, einer Maria, einer Isis und eines Hermes. Von den Zeitgenossen begierig aufgenommen, wurden sie praktisch und theoretisch erläutert und fortgeführt. Auch die Unterdrückung durch Diocletian hat ihnen nicht auf die Dauer schaden können. Fast gleichzeitig oder doch [1355] gleich nachher lebte der grösste griechische Alchemist, Zosimos, der seinerseits dem nächsten Jahrhundert den Weg vorschreibt. Doch er und seine nächsten Zeitgenossen sind schon die letzten wirklich praktischen Alchemisten. Die Folgenden begnügen sich, die Werke ihrer Vorgänger gelehrt zu erörtern, d. h. meist sie zu verdunkeln. Gegen das 6. Jhdt. kam die Wissenschaft zu den Syrern (vgl. Hoffmann a. a. O.), von ihnen zu den Arabern und durch diese im 9. Jhdt. nach Europa, wo sie bis nahe an unsere Zeit fortlebte, um schliesslich zur Chemie zu werden. Im Gebiete griechischer Sprache dagegen hat sie bis zum Ausgang des Mittelalters nur ein beschauliches Stillleben geführt.

V. Überlieferung der Alchemisten. Wie uns die Werke der griechischen Adepten heute vorliegen, bilden sie eine Art Corpus aus byzantinischer Zeit. Die Aufgabe aber, diese Zeit näher zu bestimmen, ist um so schwieriger, als über die Hss. selbst nicht eher geurteilt werden kann, als bis eine neue, philologischen Ansprüchen genügende, treue Ausgabe vorliegt. Im wesentlichen beruht unsere Überlieferung auf zwei Hss., einer Venediger saec. X/XI (M bei Berthelot) und einer Pariser aus dem J. 1478 (A bei Berthelot). Beide teilen einen gemeinsamen Grundstock, aber in jeder steht auch, was die andere nicht bietet. Die Schwierigkeit des Urteils wird erhöht durch die traurige Verstümmelung der Venediger Hs., die freilich einigermassen durch das vorgesetzte Inhaltsverzeichnis ihres reicheren Archetypus wieder gut gemacht wird. Nur soviel lässt sich ausmachen: wenn es, wie wahrscheinlich ist, nur eine Sammlung gegeben hat, so ist sie nach der Zeit des Stephanos und seiner Nachfolger, des Christen und Anonymus entstanden, d. h. nach dem 7. Jhdt. Denn diese Autoren finden sich gleichmässig in M und seiner Liste, wie in A. Die Sammlung enthielt übrigens, wie dieser Index beweist, neben alchemistischen Schriften auch spätere, byzantinische, rein technische Tractate, z. B. über die Behandlung indischen Stahls u. s. w. Man hat vermutet (vgl. Kopp 323), der Name des Sammlers sei uns in einem Gedicht erhalten, welches in M den Text einleitet. Hier wird ein Theodoros genannt, der ,diese wunderbare Sammlung allweiser Gedanken in diesem Buch zusammenfügte‘. Das ist möglich, aber nicht erweisbar, besonders da der Index das Gedicht nicht kennt. Es mag wohl nur der Name dessen sein, der den Venetus für sich schreiben liess. Über alles Weitere muss bis nach erneuter, eingehender Untersuchung das Urteil in der Schwebe bleiben.

Litteratur. Die ältere sorgfältig gesammelt bei Kopp Beiträge z. Geschichte d. Chemie, Braunschw. 1869. Seitdem Leemanns Papyri Graeci mus. Lugd.-Bat. II, Leyden 1885. Berthelot et Ruelle les alchimistes Grecs. 3 Bde., Paris 1888. Berthelot origines de l’alchimie, Paris 1885; Journ. des Savants 1884, 517ff. 1893, 54ff. Hoffmann Ladenburgs Handwörterbuch d. Chemie II, s. v. Ch. Tannery Revue des Études grecques III 1890, 282ff. A. Jahn Revue de philologie XV 1891, 101ff. Schäfer Die Alchemie, Flensburger Progr. 1887.

[Riess. ]