RE:Ἐφεσία γράμματα

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Zauberworte, gesprochen für Schutz und übernatürliche Kraft
Band V,2 (1905) S. 27712773
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Ἐφεσία γράμματα (Ephesiue litterae). Hesychios und Clem. Alex. Strom. V 242 überliefern unter dieser Bezeichnung übereinstinmend sechs Worte: ἄσκιον, κατάσκιον, λίξ, τετράξ, δαμναμενεύς, αἴσιον (Clem. αἴσια). Hesychios bezeichnet sie als ἱερὰ καὶ ἅγια mit der Bemerkung, daß diesen ursprünglichen sechs Worten später von Betrügern noch andere hinzugefügt wären. Suidas s. v. und Eustath. zu Od. XIX 247, die beide in letzter Linie auf das rhetorische Lexikon des Pausanias zurückgehen (vgl. Schwabe Ael. Dionys. et Paus. frg. 35) erzählen, daß Kroisos diese Worte auf dem Scheiterhaufen gesprochen haben soll und daß bei einem Ringkampf zwischen einem Milesier und Ephesier zu Olympia der erstere nicht zu ringen vermochte, weil sein Gegner am Knöchel die ephesischen Zeichen trug; nach Entfernung derselben siegte der Milesier dreimal (vgl. Bernhardy zu Suidas s. v. Schwabe a. a. O.). Ihre wunderbare Macht war sprichwörtlich (Diogenian. IV 78. Apostolios VIII 17. XI 29) und unbegrenzt; nach Plut. symp. VII 5. 4 wandte man sie auch zum Austreiben von Dämonen an, indem man die Besessenen die Ἐ. γ. für sich hersagen ließ.

Wir haben also sechs Zauberworte vor uns, [2772] die gesprochen oder (auf einem Amulet) getragen dem Träger Schutz und übernatürliche Kraft verleihen. Ihre Bedeutung war schon im Altertum rätselhaft (Macar. IV 23: ἐφέσια γράμμα ἐπὶ τῶν ἀσύνετα λεγόντων); der Pythagoreer Androkydes versuchte (nach Clem. Alex. a. a. O.: vgl. Hesych. s. v.) eine symbolische Erklärung, indem er ἄσκιον als σκότος, κατάσκιον als φῶς, λίξ als γῆ, δαμναμενεύς als ἥλιος, αἴσια als aἀληθὴς φωνή, ἀληθές deutete.

In neuerer Zeit ist man auf alle möglichen Deutungen verfallen; als Kuriosum führe ich die aus dem Semitischen von Stickel (De Ephesiis litteris, Jenae 1860) an, die ich aus G.A. Zimmermanns Schrift über Ephesos (Jena 1874, 117ff.) kenne, der noch wunderlichere Bemerkungen dazu gemacht hat. Es ist klar, daß ein Teil unserer Grammata in die Klasse unverständlicher Zauberworte gehört, die wir in ungeahntem Umfang aus den Zauberpapyri kennen gelernt haben. Schon früher waren aus Cato de agr. 160 die alten Zauberformeln aries dardaries astataries und ista sista pista bekannt. Ähnlich wie diese sind auch die vier ersten ephesischen Worte als Klangformeln aufzufassen; die Anfangsworte lauteten vermutlich ἄσκι κατάσκι, die neutrale Endung ist wohl nur durch die etymologische Verbindung mit σκιά hinzugekommen. Bekannt ist das fünfte Wort dΔαμναμενεύς, das auch in den Papyri häufig begegnet, als Name eines idäischen Daktylen. Plutarch de prof. in virt. 15 p. 85 B erzählt, daß man die Namen der idäischen Daktylen als gefahrabwendend leise hersagte; eine Parallele zu der symp. VII 5, 4 von ihm überlieferten Methode, Dämonen durch leises Hersagen der ephesischen Worte auszutreiben. Nach Clem. Alex. Strom. I 360 wurde den Daktylen direkt die Erfindung der Ἐ. γ. zugeschrieben (vgl. Lobeck Agl. II 1163), und das wird insofern richtig sein, als die Kobolde als Zauberdämonen galten und in solchen Formeln angerufen wurden.

Ephesos gilt als Heimat unserer Zauberformel; Pausanias a. a. O. berichtet. ὅτι ἀσαφῶς καὶ αἰνιγματωδῶς δοκεῖ ἐπὶ ποδῶν καὶ ζώνης καὶ στεφάνης ἐπιγεγράφθαι τῆς Ἀρτήμιδος τὰ τοιαῦτα γράμματα. Eine wunderlich geschraubte Ausdrucksweise, wenn unsere Zauberworte wirklich darauf gestanden haben sollten. Im Pap. Paris. 2844ff. heißt es, daß Kronos in der Artemis-Hekate goldenes Zepter die Zauberworte δάμνω δαμνομενεια δαμασανδρα δαμνοδαμια (vgl. Abel Orphica S. 294 v. 41 ff.) eingeprägt haben sollte. Klar ist, daß diese Überlieferungen einen Zusammenhang haben; vielleicht hat man erst auf Grund solcher Traditionen auch auf der ephesischen Statue Zauberzeichen zu erkennen gemeint. Ein blühendes Zauberwesen in Ephesus können wir bei der Lage dieser alten bedeutenden Handelsstadt ohne weiteres voraussetzen; die bekannte Erzählung der Apostelgeschichte (19, 13 - 19) bestätigt nur Selbstverständliches. Hier ist in alter Zeit auch dieser Daktylenzauber ausgebildet worden, von hier hat sich die mächtige Formel über ganz Griechenland verbreitet. Ein Dichter der mittleren Komödie, Anaxilas, erwähnt die ephesische Formel zum erstenmal (Athen. XII 548 C: ἐν σκυταρίοις ῥαπτοῖσι φορῶν ἐφεσήΐα γράμματα καλά); ἐφέσια ἀλεξιφάρμακα läßt Menander (frg. 371 K.) [2773] bei einer Hochzeit hersagen; so früh schon hat dieser Zauberspruch im hellenischen Volke Wurzel geschlagen.

Neuerdings, seit Wesselys Sammlung (12. Jahresber. d. Franz-Joseph-Gymn. z. Wien 1886) faßt man unter Ἐ. γ. alle unverständlichen Zauberworte zusammen, welcher Art sie auch sein mögen (R. Heim Jahrb. f. Philol. Suppl. XXI 525ff. R. Wünsch Tab. defix. XX). Im Altertum ist das nicht der Fall gewesen; wenn auch in späterer Zeit mehr als die alten sechs Worte unter diesem Namen gingen, wie wir aus Hesychios lernen, so hören wir doch nie von einem so weiten Umfang dieser Bezeichnung.