Βουκόπια Θευδαίσια (in älterer Orthographie Βοκόπια Θεoδαίσια). Einen uns zunächst rätselhaften Opferbrauch bezeugen eine Anzahl von Inschriften, die sich kürzlich am Nord- und Nordostabhange der Akropolis von Lindos auf Rhodos, etwas über dem grossen Hafen gefunden haben,
[1018] und deren Zeit für die ältesten vielleicht noch im 5., für die späteren kaum nach dem 3. Jhdt. v. Chr. anzusetzen ist (IGIns. I 791–804). Die Inschriften sind teils auf dem Felsboden, teils auf einer längeren Wand, die senkrecht in das Gestein nach Art einer Terrassenmauer eingearbeitet ist, meist ohne Kunst angebracht; einige von ihnen haben durch Verwitterung sehr stark gelitten. Sie sollen die Erinnerung an thatsächlich an ebenderselben Stelle von einzelnen oder meist von ganzen Familienverbänden (z. B. τῶν Θάλλιος καὶ Δαϊπόλιος ἐγγόνων, oder Εὐαράτο(υ) παίδων, oder Ἁγησίπ(π)ου καὶ ἐγγόνων) dargebrachte Opfer festhalten. Das Opfer wird meist als προσχάραιος (oder προσσχάραιος) θυσία am Feste der B. (Βοκοπίοις oder Βουκοπίοις) bezeichnet; einmal steht im Nominativ [Βοκ]ό(πια) Θεοδαίσια, einmal [Βοκ]ό(πια oder -πίοις) Θευδαίσι[α oder -ίοις]. Wir werden also auf den rhodischen Monat Theudaisios hingewiesen, in welchem die Feldbestellung stattfand, da am sechsten Tage desselben dem Poseidon Phytalmios, der Gedeihen der Saaten verleiht, geopfert wurde, d. i. wahrscheinlich den dritten Monat des rhodischen, mit der Herbstnachtgleiche beginnenden Jahres (Dittenberger Syll. 375 = IGIns. I 905. A. Mommsen Jahresber. LX 1889, 434. Paton-Hicks Inscr. of Cos p. 330; doch ist die Frage nach der Anordnung der rhodischen Monate noch nicht abgeschlossen; es stehen neue Behandlungen derselben von Wilhelm und Bischoff in nächster Aussicht). Der Gott sollte freudig (πρὸς χαράν) und gnädig gestimmt werden, um gutes Wachstum zu verleihen. In Athen opferte man am Ausgange des Winters ἀρχομένων καρπῶν φύεσθαι die Προχαριστήρια und zwar an Athena (Preller-Robert Gr. Myth. I 207, 2). Wem galt das lindische Opfer? Schwerlich der Athanaia Lindia; denn deren heiliger Bezirk war die Burg. Überliefert ist aus Lindos nur ein Rinderopfer, dieses aber ist durch seinen aetiologischen Mythos in enge Beziehung zum Ackerbau gesetzt: es gilt Herakles, dem Buzygen (Suid. s. Βουζύγης. Töpffer Att. Geneal. 146, 4). Ihm wurden an einem βούζυγον genannten Altar ein Paar Pflugstiere geopfert, während der Priester von einer Anhöhe in der Nähe den Heros mit Verwünschungen überhäufte. Herakles selbst soll sich den Ackersmann zum Priester bestellt haben, nachdem er ihm zuvor den einen Stier (oder besser wohl beide) vom Pfluge ausgespannt und verzehrt hatte, wobei ihn die Flüche des so Geschädigten nur zur grösseren Heiterkeit stimmten (Lactant. inst. div. I 21. Conon narr. 11. Apd. II 118 Wagn., vgl. Philostr. imag. II 24; nach Knaack Herm. XXIII 1888, 139ff. liegt die Erzählung des Apollonios in der Ῥόδου κτίσις zu Grunde). Attische Parallelen erklären den Brauch und den Mythos. Auch dort hatte ein Buzyge die heilige Pflügung am Fusse des Burgfelsens eingeführt (s. Ἄροτοι ἱεροί). Der Ackerstier galt dort nach den Satzungen der Buzygen als unverletzlich; den Übertreter trafen die Βουζύγειοι ἀραί (Töpffer a. a. O. 139). Auch wenn das Opfer von der Gottheit gefordert ist, ist der Vollstrecker desselben schuldbeladen, wie bei den attischen Buphonien, deren Namen sehr an die Bukopien erinnert. In Rhodos wurde das Opfer von den Nachkommen des Herakles
[1019] verlangt; so bürdete man dem Ahnherrn zuerst die Schuld auf (M. W. Heffter Die Gottesdienste auf Rhodos im Altertum I 1827, namentlich S. 24ff.). Wenn also Herakles das Opfer einführte und zugleich auch entgegennahm, so erklärt sich der gentilicische Charakter desselben, der sich im Zusammenhalten der Sippen ausspricht, von selbst.
Wegen des Namens Θευδαίσια könnte man an sich auch an Dionysos denken, der mehrfach in sicheren Beziehungen zu diesem Fest und dem darnach benannten Monat steht (Preller-Robert I 683, 3), zumal wegen eines Brauches in Tenedos, wo diesem Gotte ein neugeborenes Kalb geopfert wird, der Thäter aber von Steinwürfen verfolgt bis zum Meere fliehen muss (Ael. nat. hist. XII 34). Kult des Dionysos in Lindos steht genügend fest, und die Nähe des Meeres würde auch zutreffen. Aber da wir den Mythos von der Mahlzeit des Herakles haben, werden wir es uns nicht entgehen lassen, darin einen deutlichen Hinweis auf das Fest des Göttermahles, der Θεοδαίσια, zu erkennen.