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Autor: Ernst Bassermann
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Titel: Nationalliberale
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Siebentes Hauptstück: Die politischen Parteien in Deutschland, 32. Abschnitt, S. 25−34
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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33. Abschnitt.


Nationalliberale.
Von
Ernst Bassermann, M. d. R.,
Rechtsanwalt in Mannheim.


Literatur:

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Mitteilungen für die Vertrauensmänner der natlib. Partei. Verlagsbuchhandlung d. natlib. Partei Berlin W. 9; –
Programmatische Kundgebungen der natlib. Partei 1866–1909, Verlag ebendort, 1909; –
Politisches Handbuch der natlib. Partei, 1907, Verlag ebendort; –
1. Nachtrag 1910 z. vor., 1910. –
Onken: Bennigsen; Dr. Böttcher: Stephani, Leben und Wirken in der natl. Partei.


Im Jahre 1866 entstand die nationalliberale Partei.

Im preussischen Abgeordnetenhause bildete sich als Ausdruck der Stimmung eines Teils der preussischen Fortschrittspartei nach dem Siege über Oesterreich im November 1866 die „Neue Fraktion der nationalen Partei“. Als aber der konstituierende Reichstag des norddeutschen Bundes auf Grund des allgemeinen gleichen geheimen und direkten Wahlrechts am 12. Februar 1867 gewählt war, da erstand die Fraktion der nationalliberalen Partei des norddeutschen Reichstags am 20. Februar 1867 und Rudolf von Bennigsen wurde ihr Vorsitzender. Ihre Entstehungsgeschichte blieb massgebend für Wesen und Ziele der Partei. In den Kämpfen um die nationale Wiedergeburt Deutschlands, wie sie sich in dem Werdegang des Nationalvereins und seines Vorkämpfers von Bennigsen verkörpern, in dem heissen Ringen Preussens um die Vormacht in Deutschland, unter dem Donner der Kanonen von Königgrätz ist der nationalliberale Gedanke geboren und diejenigen, die ihm die Form gaben, waren liberale Männer, die ihr Leben in den Dienst liberaler Weltanschauung gestellt hatten.

Die Zeit bis zum Ende der 70er Jahre war die Glanzzeit der Partei. Als stärkste Partei des Reichstages drückte sie der Gesetzgebung ihren Stempel auf und wie sie die Partei der Reichsgründung war, so war sie es auch, unter deren hervorragenden Mitwirkung Bismarck den Ausbau des Reichs im Inneren vollendete. Als die grossen Erinnerungen in den Hintergrund traten, als sich die wirtschaftliche Lage Deutschlands gegen das Ende der 70er Jahre verschlechterte, da traten erstmals Schwierigkeiten in der nationalliberalen Partei hervor. Der Kampf um Schutzzoll und Freihandel begann, wühlte die Nation auf und in seinem Gefolge trennten sich die schutzzöllnerische Gruppe Völk-Schauss und die Freihändler unter Bamberger und Stauffenberg von der Nationalliberalen Partei, deren Machtstellung dadurch gebrochen wurde. Für den Liberalismus kamen schwere Zeiten, immer stärker befehdeten sich die Liberalen verschiedener Schattierung untereinander und legten damit den Grund zur Ohnmacht des Liberalismus.

Mit der Waffe der wirtschaftlichen Interessen war 1879 und 1880 die nationalliberale Partei auseinandergeschlagen worden, und lange wirkten die Kämpfe zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern nach und erschütterten das Parteigefüge.

So waren die nächsten Jahre bis 1884 ausgefüllt mit Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und die Wahlresultate entsprachen diesem Hader. Die Partei, die einst 152 Abgeordnete [26] zählte, sank 1831 auf 47 Mandate und die Zahl der nationalliberalen Wählerstimmen ging von 1878 auf 1881 auf die Hälfte zurück. In dieser Not der Partei, die noch vergrössert wurde, als sich 1883 Bennigsen aus dem politischen Leben zurückzog, erwachte der feste Wille, dem Hader in den eignen Reihen ein Ende zu bereiten. Es entstand die Heidelberger Erklärung als ein Bekenntnis zur Bismarck’schen Sozialreform, die damals nicht vom Flecke rücken wollte, als ein Appell, die Zollfrage als zunächst erledigt von der Tagesordnung der nächsten Jahre abzusetzen. Auf dem Parteitag des Jahres 1884 erschien Bennigsen. Der Berliner Parteitag stimmte der Heidelberger Erklärung zu und betonte die Selbständigkeit der Partei. Diese Entwickelung des Jahres 1884 war eine Notwendigkeit, wenn die Partei nicht der Auflösung verfallen sollte. Angesichts der Bedeutung, die heute mehr wie zuvor dem Heidelberger Programm beigelegt wird, seien einige weitere Ausführungen gestattet. Miquel war der Vater der Heidelberger Bewegung, er war auch ihr berufener Interpret. Auf dem Neustädter Parteitag am 14. April 1881 führt er aus: Die Heidelberger Erklärung ist kein Zukunftsprogramm. Sie beschränkt sich verständigerweise – und das sollten alle politischen Programme tun – auf eine bestimmte Stellungnahme zu den brennenden politischen und sozialen Tagesfragen von heute. Die Heidelberger Erklärung ist keine süddeutsche separatistische Parteiauffassung, sie stellt voll und ganz auf dem Boden des Programms der nationalliberalen Partei des Jahres 1881 und schliesst sich in allen Punkten an dasselbe an. Aber sie nimmt zu den in der Zwischenzeit schärfer und bestimmter hervorgetretenen Fragen naturgemäss auch bestimmtere und deutlichere Stellung.

Miquel sprach sich in derselben Rede über Parlament und Stimmrecht aus; er sagt:

„Unter allen Umständen halten wir eine kräftige Mitwirkung des deutschen Volks und eine unangefochtene Stellung des deutschen Parlamentes nicht bloss zur Sicherung der Freiheit sondern vor allem der Einheit für unerlässlich. Ein unabhängiges Parlament, ein würdevolles Parlament haben Sie dekretiert durch das allgemeine Stimmrecht. In unsern heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Abhängigkeit so vieler von anderen ist es eine Fälschung des Wahlrechts, das geheime Stimmrecht anzugreifen. Wir wollen dasselbe verteidigen wie alle übrigen Rechte und Privilegien des deutschen Parlaments.“

Er verwies auf die schwieriger gewordene Lage der deutschen Landwirtschaft, aus der sich die Berechtigung der Agrarzölle ergebe und präzisierte den Inhalt des Heidelberger Programms in einem Brief an Bennigsen vom 5. Mai 1884, in welchem er schreibt, dass die nationalliberale Partei nach wie vor liberale Gesetzgebung und Entwicklung verlange, dass dieselbe aber die Sozialpolitik des Fürsten Bismarck unterstützen wolle. Dieser Punkt sei das Entscheidende, auf ihn lege man in Süddeutschland das grösste Gewicht, daran hefte sich die zukünftige Politik vorzugsweise.

Die Tatsache, dass die beiden führenden Geister Bennigsen und Miquel sich wiederum an die Spitze einer aktiven Politik der Partei gestellt hatten, gab den Parteigenossen im Lande neuen Mut und so ging man mit Zuversicht in die Wahl des Jahres 1884, die freilich die alte Wählerzahl des Jahres 1878 nicht zurückbrachte, sondern um 300 000 Stimmen hinter derselben zurückblieb, die auch die Zahl der Mandate nur um 6 – von 45 auf 51 – erhöhte, die aber immerhin erwies, dass einem weiteren Rückgang der Partei Einhalt geboten war. Das Jahr 1887 brachte die grosse Frage der Heeresverstärkung, damit die Belebung des nationalen Gedankens im Volke, den Abschluss des Kartells zwischen Nationalliberalen und Konservativen und als Erfolg der zugkräftigen Parole für die Nationalliberalen ein Anwachsen ihrer Stimmen auf 1 700 000 mit 99 Mandaten. Es waren hochgemute Zeiten, die leider nicht lange anhielten. Die bewilligten neuen Steuern, die Verlängerung der Legislaturperiode von 3 auf 5 Jahre brachten der Partei manche ungerechtfertigte Kritik ein und die Erneuerung des Kartells im Jahre 1890 war, da nationale Fragen nicht zur Diskussion standen, eine verkehrte Massnahme und wurde durch die Wahlen als ein Fehler erwiesen, indem die Stimmenzahl um 600 000 zurückging und die Mandate sich von 99 auf 42 verminderten. Man befürchtete in manchen Wählerkreisen eine Gefährdung von Volksrechten durch diese erneute Verbindung mit den Konservativen und wandte sich so von den Nationalliberalen ab, obwohl diese nicht willens waren, eine rückschrittliche Politik zu treiben.

[27] Die nun folgenden 20 Jahre haben dem Parteileben als solchem und den liberalen Parteien insbesondere manche neue Schwierigkeiten gebracht. Die immer mehr zunehmende Organisation der Stände und Berufsklassen erzeugte neue Probleme auch für die Parteien.

Hunderttausende, später Millionen deutscher Arbeiter suchten leider ihre Vertretung in der Sozialdemokratie und gingen dem Liberalismus verloren.

In den Zeiten der Notlage deutscher Landwirtschaft entstand der Bund der Landwirte, dem es gelang, der nationalliberalen Partei viele Wähler abwendig zu machen. Diese beiden Klassenorganisationen stellten ihre Klassenforderungen mit einer solchen Entschiedenheit in den Vordergrund, dass darunter die Politik des allgemeinen Wohles und des Ausgleiches unter den Bevölkerungsklassen notleiden musste.

Unsere Partei ist in diesen 20 Jahren sich selbst treu geblieben. Dabei hat sie eine Menge neuer Aufgaben und Ziele in ihr Programm aufnehmen müssen und hat mit Eifer und Gewissenhaftigkeit diese neugestellten Aufgaben zu lösen gesucht.

So hat sie der Not der Landwirtschaft ihre volle Aufmerksamkeit gewidmet und im Reichstag und in den einzelnen Landtagen überall mitgeholfen, wo es galt, die Produktionsbedingungen der Landwirtschaft zu verbessern. Sie hat dies insbesondere bei dem Zolltarif des Jahres 1902 bewiesen, als sie unbekümmert um manche Schwierigkeiten im eigenen Lager, im Kampf gegen die Führung des Bundes der Landwirte und deren überspannte Forderungen, und gegen eine wüste Obstruktion der Sozialdemokratie den Ausschlag für die höheren landwirtschaftlichen Zölle gab, die überdies als Minimalzölle im Zolltarif festgelegt wurden. Dieses und die ihm folgenden Handelsverträge haben, wie selbst von agrarischer Seite später zugegeben werden musste, die Produktionsbedingungen der deutschen Landwirtschaft gehoben und einer gedeihlichen Entwickelung den Weg gebreitet. Auch in der Frage des Schutzes der deutschen Viehzucht gegen die Einschleppung von Seuchen ist die Partei unbekümmert um manche Gegenströmungen der Landwirtschaft zu Diensten gewesen. So stand sie auch der Gründung des deutschen Bauernbundes, der gegenüber den grossagrarischen Interessen sich des kleinen und mittleren Bauernstandes annimmt, sympathisch gegenüber.

Die Mittelstandsfragen wurden in weitem Umfange in den Kreis der Parteibestrebungen gezogen, wobei weite Teile des deutschen Mittelstandes mit ihrem sachverständigen Rate halfen; die Handwerker-Organisation, die Gesetze über den unlauteren Wettbewerb, der Bauhandwerkerschutz und viele andere Gesetze geben hiervon Zeugnis. Freilich musste die Partei allen Bestrebungen Widerstand leisten, die vermeinten, durch Belebung mittelalterlichen Geistes dem Handwerk helfen zu können und den Kampf aufnehmen gegen Bestrebungen, die dem Handwerk nichts nützen konnten, sondern mangels freier Bewegung es erdrosseln mussten.

Auch die soziale Reform, die ja nimmer ein Ende finden kann, sondern sich Hand in Hand mit der Entwicklung der Industrie immer neuen Problemen zuwenden muss, wurde eifrig gepflegt und das Endziel, die missleiteten Arbeiter dem monarchischen Staat zurückzugewinnen und sie zu heilen von ihren undurchführbaren Utopien und dem Kinderglauben an den Zukunftsstaat, wurde stets im Auge behalten und in eifriger Mitarbeit gepflegt.

Die beiden grossen Ziele der Partei aber: Pflege der nationalen Aufgaben und Erfüllung des Volkes mit liberalem Geiste stehen nach wie vor im Vordergrund der Bestrebungen der nationalliberalen Partei. So hat sie in den vordersten Reihen gekämpft für den Ausbau unseres Heeres, die Schaffung einer deutschen Flotte und die Entwickelung der deutschen Kolonialpolitik. Freilich eine unsoziale Reichsfinanzreform, die der Sozialdemokratie neues Wasser auf ihre Mühlen brachte, vermochte die Partei nicht mitzumachen und fand darin auch die einmütige Billigung ihrer Parteitage in Berlin 1909 und Kassel 1910. Nicht jede Vermehrung der Mittel des Reichs ist eine nationale Tat, sondern nur eine solche Reform, welche gerecht ist und nicht das Vertrauen des Volkes so sehr erschüttert, wie dies bei der Finanzreform des Jahres 1909 der Fall war.

Wie sehr diese Gedanken selbstloser von Parteivorteilen und Interessenfragen nicht beeinflusster Sorge für eine starke Wehr unseres Vaterlandes Gemeingut der Nation geworden sind, [28] beweist die mit überwältigender Mehrheit erfolgte Annahme der Heeresvorlage 1913, in ihr nähern wir uns der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, die nationalliberale Partei hat sich in eifriger Vorarbeit in Presse, Vereinen und Versammlungen für die Verwirklichung dieser Scharnhorstischen Gedanken eingesetzt und den Boden für die Annahme der Vorlage bereitet.

Unerschüttert hält die Partei das liberale Banner hoch und bewahrt das Vermächtnis Rudolf v. Bennigsens. Die entschiedene Aufrechterhaltung des liberalen Charakters der nationalliberalen Partei ist Bedingung ihrer Fortexistenz und daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass zeitweilig durch starke Klassenbewegungen die Aussichten des Liberalismus sich verschlechtern.

Die Konsolidierung der deutschen inneren Verhältnisse in nationalem Sinne musste die nationalliberale Partei, die das nationale Moment immer in den Vordergrund gerückt hatte, mit Genugtuung erfüllen. Ihr nationales Programm wurde von anderen bürgerlichen Parteien, die früher einen negativen Standpunkt eingenommen hatten, aufgenommen, es wurde nahezu politisches Gemeingut. Seit dem Jahre 1893 ist ein Konflikt zwischen Reichstag und Regierung wegen Heeresverstärkungen nicht mehr eingetreten. Man hat sich über das Notwendigste verständigt, wenn auch die Regierung manche militärische Forderung, deren Erfüllung wünschenswert gewesen wäre, unter dem Druck des Zentrumseinflusses zurückstellen musste. Wie sehr der nationale Gedanke im Marsche war, erwies die Entwickelung der deutschen Flottenpolitik und die Tatsache, dass die Flottengesetze von allen bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie beschlossen werden konnten. Mehr als je zuvor ist heute die Bedeutung dieses Machtmittels der auswärtigen Politik auch dem Kurzsichtigsten vor Augen gerückt und jedes Jahr der offenen und latenten Kämpfe der Weltmächte untereinander erweist die Richtigkeit unseres Programms: Pflichtbewusstsein und Opferwilligkeit, wo Macht und Ansehen des Reichs in Frage stehen. Mit dieser Entwickelung anderer Parteien, die einst in der Opposition standen, zur Erkenntnis der Bedeutung nationaler Forderungen entfällt für den Wahlkampf manches patriotische Moment, welches früher der nationalliberalen Partei wirksam zugute gekommen war; das Zentrum aber – einst unter Windthorst’s Führung eine Oppositionspartei – wandelte sich in der Überzeugung, auf diese Weise am besten seine politischen Geschäfte zu machen zu einer Regierungspartei und liess die patriotischen Töne auch im Wahlkampf mächtig anklingen.

Wir müssen eine Entwickelung, die dem Deutschtum und seiner Kraft nur nützen kann, um so freudiger begrüssen, als sie auch den alten Streitigkeiten, die den Liberalismus gerade auf diesem Gebiet zerfleischt hatten, ein Ende machte. Freilich, wie schnell oft von einem Tag zum anderen Wandlungen eintreten können, hat das Jahr 1906 mit seiner Reichstagsauflösung gezeigt; in dem Augenblick, in dem das Zentrum in Dernburg den Gegner erkannte und seinen Einfluss im Kolonialamt schwinden sah, bekam der oppositionelle Flügel Oberwasser und trieb zum Konflikt und dies in einer Zeit, in der unsere Truppen unter den schwierigsten Verhältnissen in Afrika im Felde standen.

So wird auch die nationalliberale Partei künftighin auf dem Posten sein müssen, zumal sich bei der Militärvorlage des Jahres 1911 eine starke Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber dem Zentrum trotz seiner ungenügenden Reichsfinanzreform gezeigt hat und sie wird auch auf der Hut sein müssen, dass wir nicht durch eine schwächliche Politik in der Flottenfrage wiederum ins Hintertreffen kommen und das mühsam Erreichte gefährden.

Auch in der Ostmark will es uns dünken, als wenn die Bismarck-Bülow’sche Politik nicht mehr zielbewusst fortgeführt werden soll, dass man vielmehr geneigt ist, abzubröckeln, teils um dem Zentrum entgegenzukommen, dann aber auch wegen der Grossagrarier, die einer Ansiedelung selbständiger kleiner und mittlerer Bauern, die sich konservativem Einfluss entziehen, mit scheelen Augen zusehen. Nicht ungestraft verwandelt sich in all diesen Fragen die konservative Partei in eine Agrarpartei, die sich dem Zentrum verbündet und damit auch geneigt ist, den politischen Forderungen des Zentrums Rechnung zu tragen. Die nationalliberale Partei ist bei den wachsenden Schwierigkeiten mehr wie je zuvor überzeugt, dass eine feste Hand in der auswärtigen Politik, die leider nur zu oft seit Bismarcks Abgang vermisst werden musste, not tut in einer Zeit, in der die [29] weltwirtschaftlichen Probleme in ungeahnter Weise sich in den Vordergrund drängen, in der der Kampf um die überseeischen Märkte Lebenselement eines kraftvollen vorwärts drängenden und, wie sich in der Volksvermehrung zeigt, gesunden Volkes geworden ist und der Sieg in diesem Kampfe Lebensbedingung wird. Zu den Werkzeugen einer erfolgreichen auswärtigen Politik gehört vor allem eine tüchtige und modernen Ansprüchen genügende Diplomatie: hier ist vieles reformbedürftig und gerade die nationalliberale Partei hat diese Reformbedürfnisse immer wieder betont. Eine zielbewusste Politik wird dann vor allem sieghaft sein, wenn sie ihre Stärke findet in dem Verständnis eines politisch reifen Volkes, dem die Erkenntnis der Notwendigkeit staatlicher Macht in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die nationalliberale Partei wird ihrer Vergangenheit entsprechend diese grossen nationalen Fragen immer in den Vordergrund stellen.

Was nun die liberale Seite des Programms anbelangt, so wird die nationalliberale Partei auch hier ihrer Tradition treu bleiben.

Als die Fortschrittspartei gegen die Indemnität, die dem Heeres- und Verfassungskonflikt nach dem glücklichen Kriege des Jahres 1866 ein Ende machen sollte, ankämpfte, da konstituierte sich auf Grund einer von Lasker entworfenen Erklärung am 17. November 1866 die neue Fraktion der nationalliberalen Partei im preussischen Abgeordnetenhause mit 19 Mitgliedern, und am 28. Februar 1867, dem Tage vor der Eröffnung des konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes bildete sich mit 79 Mitgliedern die Fraktion der nationalliberalen Partei unter Rudolf von Bennigsen. Rudolf von Bennigsen hat die Partei eingedenk ihres Ursprungs in liberalem Geiste durch die Jahrzehnte seiner segensreichen Tätigkeit geführt.

Als Bennigsen 1883 den Parlamenten den Rücken wandte, als Kreuzzeitung und ultramontane Presse jubelten, dass ein Politiker ausschied, der ihnen von Anfang an gefährlicher erschienen war, als die bürgerlichen Radikalen, da war der Grund dieses Ausscheidens nicht zum letzten die tiefe Verstimmung über die Streitigkeiten der liberalen Parteien untereinander, welche den Liberalismus zur Bedeutungslosigkeit herabsinken liessen.

Wie Böttcher mitteilt, der diese Periode mit erlebt hat, trat Bennigsen zurück, weil er sich überzeugt hatte, dass der Fraktionsgeist insbesondere auf der Linken zu stark überwuchere, um einen gemeinsamen Boden positiven Schaffens zu ermöglichen, und weil er auch die Möglichkeit einer vermittelnden Tätigkeit zwischen Regierung und Volksvertretung derzeit nicht sah.

1887 trat Bennigsen wieder in den Reichstag ein. Der Kampf war, nachdem das Hochgefühl des Septenatswahlkampfes verflogen war, nicht leichter für den liberalen Führer geworden.

Als die wirtschaftlichen Fragen eine immer grössere Bedeutung gewannen und die Agrar-Konservativen mit dem Antrag Kanitz ihre Zeit für gekommen erachteten, da war es Bennigsen, der in der schärfsten Weise gegen die Gemeingefährlichkeit dieser Forderung auftrat und zur Umkehr von einer wüsten Agitation mahnte; er rief auf zum Kampf gegen eine Hand voll Fanatiker, die in einer solch gefährlichen Weise die Agitation für die Landwirtschaft betrieben.

Als durch Zentrum und Konservative bei der Umsturzvorlage des Jahres 1895 die Freiheit der Wissenschaft und Kunst bedroht war, da war es wiederum Rudolf von Bennigsen, der im Reichstag den Kampf gegen den schwarzblauen Block aufnahm und aussprach, dass es eine absolute Forderung der Wissenschaft und ihrer notwendigen Freiheit ist, dass sie voraussetzungslos in der Erforschung der Wahrheit ihre Arbeiten vollziehe und er forderte auf, die Versuche, einen Eingriff in diese freie voraussetzungslose Wissenschaft zu machen, abzuschlagen.

Als Frh. v. Stumm das allgemeine Wahlrecht scharf angriff, da sprach Rudolf von Bennigsen folgende Worte ans:

„Wie soll die Entziehung des Wahlrechts möglich sein in Deutschland, wo wir die allgemeine Wehrpflicht besitzen, wo der Masse der Bevölkerung eine so erhebliche Verpflichtung auferlegt ist ? Wir befinden uns nicht in einem aristokratischen Staate, wo der Adel und die Besitzenden allein das Heer ausrüsten, nein, auch die übrigen Massen sind zum Waffendienst verpflichtet und erzogen. Der Versuch, diesen das Wahlrecht zu

[30]

entziehen, würde eine Zerstörung unserer ganzen jetzigen politischen Organisation sein und würde wahrscheinlich zur Durchführung ein so straffes Anziehen der Zügel verlangen, dass dabei noch andere Güter der Freiheit und Kultur verloren gehen könnten, die nicht allein die Sozialdemokratie angehen.“

Bei dem Zedlitz’schen Volksschulgesetzentwurf redete der Führer der nationalliberalen Partei der Einigung der liberalen Parteien das Wort. Er beklagte, dass es denselben nicht gelungen sei, sich über wirtschaftliche Streitigkeiten wenigstens soweit zu verständigen, dass sie dieses Gebiet für neutral erklären, um im übrigen den gemeinsamen politischen Boden aufrecht erhalten zu können. Er sprach folgende Worte:

„Es könnten Verhältnisse eintreten in unserer inneren Entwicklung, die es wünschenswert, ja vielleicht notwendig machen werden, dass sich jetzt bekämpfende liberale Gruppen und Männer einander wieder nähertreten aus Gründen gemeinsamer Kämpfe, welche nicht auf materiellem Boden liegen, sondern auf anderen Gebieten, wo es sich um ideale Güter, nicht um materielle Interessen handelt. Es würde das nach meiner Meinung, der ich selbst stets liberal gewesen bin und bleiben will, für die weitere Entwickelung nur förderlich sein. Das liberale Bürgertum in Stadt und Land, die liberalen Anschauungen haben einen Anspruch auf grössere Geltung, als sie zurzeit besitzen.“

Worte, die auch für die heutige Zeit ihre Bedeutung haben.

Wenn je, so ist heute für die nationalliberale Partei Anlass und Notwendigkeit vorhanden, ihre liberalen Grundsätze zu betonen und zur Durchführung zu bringen. Eine tiefgehende Missstimmung geht durch unser Volk. Das Gefühl einer ungerechten Verteilung von Rechten und Pflichten, die Erkenntnis, dass Gewerbe und Industrie, Handwerk und Handel nicht genügend zur Geltung kommen, dringt in immer weitere Kreise und fördert die Radikalisierung unseres Volkes. Hier kann die Partei des gemässigten Liberalismus, wenn sie die berechtigten Forderungen des Volkes aufnimmt und vertritt, sich Vertrauen erwerben und den Abmarsch in das radikale Lager verhindern.

Die nationalliberale Partei bekämpft kraft ihres liberalen Charakters jede einseitige Klassenbewegung einerlei, ob diese ihren Niederschlag in der Sozialdemokratie oder anderweit findet; sie steht im ewigen Kampfe gegen den Ultramontanismus, dessen Weltanschauung dem Liberalismus wesensfremd und feindlich ist. Wie in den romanischen Ländern, so wird auch in Deutschland unbeschadet manches gemeinsamen Arbeitsgebiets der Kampf zwischen Ultramontanismus und Liberalismus bis zum nicht zweifelhaften Siege des letzteren geführt werden müssen.

In wirtschaftlichen Fragen gab die nationalliberale Partei ihren Mitgliedern Meinungsfreiheit. Dabei muss festgestellt werden, dass die Uneinigkeit, die zur Zeit der Heidelberger Erklärung durch die Partei ging und sie lähmte, einer einheitlichen Gesamtauffassung in wirtschaftlichen Fragen Platz gemacht hat. Ohne Fraktionszwang ist seit dem Kampfe um den Zolltarif des Jahres 1902 die Partei in dem Grundsatz des Schutzes der nationalen Arbeit in Industrie, Gewerbe, Handel und Landwirtschaft einig geworden, und wird dieses Wirtschaftsprogramm auch bei der kommenden Zolltarifnovelle und künftigen Handelsverträgen zur Geltung bringen. Diese Einigkeit erhöht die Stosskraft, wie es andererseits für eine grosse Partei eine Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit ist, in hochpolitischen Fragen, wie eine solche der Streit um die Erbschaftssteuer, der Kampf um den Block und Bülow war, einig und geschlossen aufzutreten, wenn sie nicht der Lächerlichkeit verfallen will.

Positive staatliche Wirksamkeit war und ist eine Wesenseigenschaft der national-liberalen Partei, wie dies bei der Verabschiedung des Zolltarifs, neuerdings der elsass-lothringischen Verfassungsreform und der Reichsversicherungsordnung, welche beide Gesetze ohne und gegen die nationalliberale Partei nicht zustande kommen konnten, wieder aufs neue erwiesen wurde. Dieser positive Charakter der Partei bewahrt sie vor einer Ueberschätzung des taktischen Momentes in der Politik, während, wie Reichsfinanzreform und die jüngste sogenannte Wahlreform in Preussen erweisen, die liberale Weltanschauung davor [31] bewahrt, „überall dabei sein zu müssen“, eine Gefahr, der eine Mittelpartei, die sich nicht jederzeit ihres liberalen Grundcharakters bewusst ist, unterliegen könnte.

In dem am 12. Juni 1867 vereinbarten Programm der Partei heisst es:

„Die Endziele des Liberalismus sind beständige, aber seine Forderungen und Wege sind noch nicht abgeschlossen vom Leben und erschöpfen sich nicht in festen Formeln. Sein innerstes Wesen besteht darin, die Zeichen der Zeit zu beachten und ihre Ansprüche, zu befriedigen.“

Wir haben, so sagt Bennigsen, praktische Politik getrieben; eine andere Grundlage für eine Partei, welche wirken will, ist undenkbar. Einer Partei, die ihre Prinzipien absolut und in vollstem Umfange verwirklichen will und sich nicht begnügt, das Wesentlichste zur Durchführung und Anerkennung zu bringen, wird es ergehen, wie es den extremen Parteien von links und rechts zu allen Zeiten ergangen ist. Die einen suchen ihre Ideale in der Zukunft, die sie nicht erreichen, die andern in der Vergangenheit, die sie nie zurückführen.

In den Ziffern der Reichstagswahlstatistik bietet sich das folgende Bild der äusseren Schicksale der nationalliberalen Partei und der ihr freundschaftlich nahe gebliebenen Gruppen dar:

Wählerstimmen Abgeordnete vom Hundert
Nationalliberale Nationalliberale Wahlstimmen Abgeordnete
1871 1 171 087 125 32,72 32,72
1874 1 542 501 155 39,04 39,04
1877 1 459 527 128 32,24 32,24
1878 1 330 643 99 24,94 24,94
1881 746 575 47 11,84 11,84
1884 997 033 51 12,85 12,85
1887 1 677 979 99 24,94 24,94
1890 1 177 081 42 10,58 10,58
1893 996 980 53 13,35 13,35
1898 971 302 46 11,58 11,58
1903 1 317 401 51 12,85 12,85
1907 1 630 581 54 13,60 13,60
1912 1 662 670 45 11,33 11,33

Die vorstehenden Ziffern zeigen die Entwicklung der nationalliberalen Partei in Wählerstimmen und Mandaten.

Erfreulich ist die Tatsache, dass in den Wahlen 1903 und 1907 die Partei jeweils um 300 bis 400 000 Stimmen zugenommen hat.

Ich schliesse mit Wiedergabe der 1911 neu redigierten Ziele und Bestrebungen der nationalliberalen Partei (Zusammenfassung der Programmkundgebungen seit 1881 und der gesetzgeberischen Initiative der Partei in den Parlamenten), ausgegeben Februar 1911.

Nationale und liberale Grundsätze und Forderungen.

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Unverbrüchliche Treue zu Kaiser und Reich, Fürst und Vaterland!
Das Vaterland über der Partei, das allgemeine Wohl über alle Sonderinteressen.
Pflege der errungenen Einheitsgüter der Nation: eine Vertretung nach aussen, ein Heerwesen, eine Kriegsflotte, ein Recht, ein Verkehrsgebiet, gleiche Bedingungen für die freie Bewegung und für die freie Arbeit.
Bei voller Wahrung der verfassungsmässigen Rechte der Einzelstaaten weitere Entwickelung der Reichseinrichtungen im nationalen und freiheitlichen Geiste.
Pflichtbewusstsein und rechtzeitige Opferwilligkeit, wo die Macht und das Ansehen des Reiches nach aussen in Frage steht. Aufrechterhaltung der deutschen Wehrkraft, insbesondere auch einer achtunggebietenden Flotte zum Schutze des Landes und der überseeischen deutschen Interessen.

[32]

Weitsichtige Fortführung der Kolonialpolitik. Entwicklung der Verkehrsmittel und Förderung der privaten Erwerbstätigkeit in den Kolonien. Selbstverwaltung unter Beschränkung ihrer Verwaltungskosten auf die eigenen Einnahmen der Kolonien.
Schutz des Deutschtums gegen Angriffe jedweder Art. Nachdrückliche Unterstützung der deutschen Volksgenossen in den Grenzmarken gegen antideutsche Bestrebungen.
Festhalten an den verfassungsmässigen Rechten des Volkes und am allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Reichstagswahlrecht als der Grundlage der einheitlichen Vertretung des Volkes durch den Reichstag. Entschlossene Abwehr aller reaktionären und aller radikalen Tendenzen.
Unabhängigkeit gegenüber der Regierung, unbefangene, sachliche Prüfung ihrer Vorlagen.
Reform des Staatsrechts und des Strafverfahrens. Einheitliche Gestaltung und Reform des Strafvollzuges.
Keine Ausnahmegesetze, aber Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Achtung vor dem Recht; unbedingter Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit.
Konstitutionelle Verfassung in allen Einzelstaaten. Reform des preussischen Wahlrechts. Vereinfachung der Staatsverwaltung.
Würdigung der grossen Bedeutung des kirchlichen Lebens für unser Volk, Förderung des friedlichen Verhältnisses der Glaubensgemeinschaften untereinander. Wahrung der Rechte des Staates gegenüber der Kirche namentlich auf dem Gebiete der Schule.
Gesetzliche Regelung der verfassungsmässig gewährleisteten Mitwirkung der Religionsgesellschaften am Religionsunterricht, doch so, dass der Staat Herr der Schule, der Lehrer unabhängig von der Geistlichkeit bleibt. Durchführung der Fachschulaufsicht.
Gleichberechtigung für alle Richtungen innerhalb der evangelischen Kirche. Lehrfreiheit für die evangelisch-theologischen Fakultäten.
Erweiterung der Rechte der Frauen in der Gemeinde, insbesondere deren stärkere Heranziehung zur Mitarbeit in der Armen-, Waisen- und Jugendfürsorge. Anstellung von Schulärztinnen und Polizeiassistentinnen. Verwendung von Frauen für Zwecke der Wohnungsinspektion.

Finanzwesen und Verkehr.

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Sparsamkeit auf allen Gebieten des Reichs- und Staatshaushalts. Verstärkte Befugnisse der Reichsfinanzverwaltung. Gerechtere Verteilung der Steuern neben allgemeiner Heranziehung des Besitzes zu den Lasten des Reiches.
Wirksamere Ausübung der verfassungsmässig verbürgten Aufsicht des Reiches über das Verkehrswesen, insbesondere im Interesse der Sicherheit des Betriebes im Eisenbahnverkehr. Vereinfachung und Verbilligung des Eisenbahnverkehrs durch weitere Ausgestaltung der Betriebsmittelgemeinschaften.
Entwickelung des Neben- und Kleinbahnwesens, weitere Schiffbarmachung und Regulierung der Flüsse. Förderung der Luftschiffahrt.

Sozial-, Handels- und Wirtschaftspolitik.

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Pflege des sozialen Friedens unter den verschiedenen Bevölkerungsklassen. Fürsorge für die schutzbedürftigen schwächeren Glieder des erwerbstätigen Volkes, insbesondere ihre Ausdehnung auf den Stand der Privatbeamten und deren Angehörige.
Schutz der nationalen Arbeit, Festhalten an der bewährten Schutzpolitik.
Anregung und Förderung geeigneter Massnahmen zur Erhaltung eines gesunden, kräftigen Mittelstandes in Stadt und Land.
Besonnene Fortführung der Arbeiterfürsorge im Sinne der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881; planmässige Heranziehung der Arbeiter zu nationaler Politik.

Landwirtschaft.

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Erhaltung des notwendigen Zollschutzes für die heimische Produktion und Unterstützung aller Massnahmen zur Hebung derselben. Versorgung des inländischen Marktes

[33]

durch die einheimische Landwirtschaft, soweit die Volksernährung darunter nicht leidet. Reichsgesetzlicher Schutz gegen Verfälschung der wichtigsten landwirtschaftlichen Betriebsstoffe. Hebung des Bauernstandes unter Bildung neuer Stellen im Wege der inneren Kolonisation. Beschleunigte staatliche Erschliessung von Moor und Heide und ihre Aufteilung in lebensfähige kleinbäuerliche Betriebe. Angemessene Beteiligung des Bauernstandes an der Kreisverwaltung. Massnahmen gegen die Leutenot, insbesondere durch vermehrte Besiedelung von Arbeitern auf dem Lande. Gesetzliche Vorsorge gegen das Ueberhandnehmen des gebundenen Besitzes. Besondere Berücksichtigung des platten Landes beim Ausbau des Eisenbahnnetzes und der sonstigen Verkehrseinrichtungen; billige Eisenbahntarife für Dünge-, Futtermittel, Viehtransport etc. Ausreichende Staatsmittel und geeignete Verwaltungsorganisationen für die Landesmelioration, insbesondere für eine rationelle Wasserwirtschaft, für den Wegebau, für das landwirtschaftliche Unterrichts- und Versuchswesen; Schutz und Förderung des Obst- und Weinbaues. Pflege des Genossenschaftswesens, insbesondere für wohlfeilen Personalkredit, zum Bezuge der Betriebsstoffe zur Verarbeitung und Verwertung der Erzeugnisse. Sorge für gesunde Entwickelung des Realkredits. Voller Schutz der heimischen Viehbestände gegen Seuchengefahr unter verständiger Handhabung der Seuchengesetzgebung.

Industrie und Handel.

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Schutz und Förderung des gesamten deutschen Erwerbslebens. Erhaltung und Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten. Anerkennung der Berechtigung einer massvollen Schutzzollpolitik. Kraftvolle Vertretung der deutschen Interessen bei Abschluss von Handelsverträgen. Schaffung von zureichenden Uebergangsbestimmungen bei Neuregelung handelspolitischer Verhältnisse. Stärkere Rücksichtnahme auf die weltwirtschaftlichen Interessen des deutschen Reiches bei Ausbildung, Auswahl und Tätigkeit der Botschafter, Gesandten und Konsularbeamten. Förderung des überseeischen Handels und der deutschen Schiffahrtsinteressen. Rücksicht auf die internationale Konkurrenz bei Massnahmen der sozialen Gesetzgebung. Keine Einengung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch zu weitgehende bürokratisch-formelle Aufsichtsvorschriften.

Mittelstand.

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Förderung aller Bestrebungen zur Erhaltung und Hebung des Mittelstandes.
Gerechtere Heranziehung der Konsumvereine, der Fabrik- und sonstigen Konsumanstalten, auch der Militär- und Zivilbeamtenvereine zu den staatlichen und Gemeindesteuern.
Keinerlei Begünstigung der Beamten- und Offiziersvereinigungen durch die Behörden.
Sachgemässe Abgrenzung des Fabrikbetriebes vom Handwerksbetrieb. Gleichmässige Verteilung der Lasten für das Lehrlings- und Fachschulwesen auf alle mitbeteiligten Betriebe. Sicherung eines allgemeinen Fortbildungsunterrichts für beide Geschlechter, unter Zubilligung angemessener Beihilfen an die Gemeinden.
Sicherung einer gediegenen fachlichen Ausbildung der Lehrlinge.
Reichgesetzliche Regelung der Submissionen.
Beschäftigung der Insassen von Gefängnissen in landwirtschaftlichen Betrieben und soweit nicht durchführbar möglichst nur für den eigenen Bedarf des Staates.
Aufhebung des § 100 q der Gewerbeordnung, nach welchem Zwangsinnungen verboten ist, Mindestpreise für ihre Mitglieder festzusetzen.
Stärkere Berücksichtigung der Handwerker bei Lieferungen an Reich und Staat.
Energische Handhabung der Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb und zum Schutze des Bauhandwerkes.
Staatliche Massnahmen zum Schutze und zur Förderung des Kleinhandels.

Beamtenstand.

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a) Schaffung eines einheitlichen den Anschauungen der Zeit entsprechenden Beamtenrechts. Insbesondere Durchsicht des Disziplinarverfahrens, Beseitigung der Arreststrafen für Unterbeamte, Zulassung der Wiederaufnahme des Verfahrens.

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b) Sicherstellung der staatsbürgerlichen Rechte der Beamten.
c) Ausgleichung der Härten des Besoldungsgesetzes. Geeignete Feststellung und Bemessung der Wohnungsgeldzuschüsse. Sorgfältige Einteilung der einzelnen Orte in die Klassen des Tarifs.
d) Gesetzliche Besserstellung der Altpensionäre und der Hinterbliebenen im Verhältnis zu den erhöhten Gehältern.

Arbeiterstand.

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Weitere Entwicklung der Gewerbeaufsicht unter Heranziehung von weiblichen Fabrikinspektoren.
Obligatorischer Fortbildungsschulunterricht für Arbeiter beiderlei Geschlechts.
Auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung: Reform der gesamten Arbeiterversicherung und deren Ausdehnung auf die Arbeiter-Witwen und -Waisen.
Auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes: Planmässige Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes von 1891, nach Massgabe der Erfahrungen der Fabrikaufsicht und der gesammelten Materialien des Beirats für Arbeiterstatistik. Ausdehnung der Bestimmungen des Gesetzes von 1891, auch auf die Hausgewerbebetriebe, auf das Personal im Verkehrs- und Binnenschiffahrtsgewerbe usw.
Schutz für Leben und Gesundheit und Beschränkung der Arbeitszeit für erwachsene Arbeiter in nachweislich mit Gefahren für die Gesundheit verbundenen Betrieben.
Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des arbeitswilligen Mannes und Schutz des freien Arbeitsvertrages. Massnahmen gegen die Ausbeutung der weiblichen und jugendlichen Arbeitskraft für die Hausindustrie.
Aufrechterhaltung des Koalitionsrechts. Unterstützung aller Bestrebungen, die durch Einrichtung von Arbeitsnachweisen eine zweckmässige Regelung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte gewährleisten.
Pflege der gemeinsamen Interessen durch die gewerblichen Schiedsgerichte, insbesondere, wenn sie als Einigungsämter in Tätigkeit treten.

Wohnungsfrage.

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Im Interesse der Volksgesundheit und gegenüber der steigenden Ausgabe für Wohnungsmiete ist namentlich für Gross- und Mittelstädte eine kommunale und staatliche Wohnungsfürsorge einzuleiten, insbesondere zum Erwerb und zur Erschliessung von Baugelände, durch Ausdehnung des Vorortsverkehrs, durch Kreditgewährung für gemeinnützigen Wohnungsbau, durch Erhaltung der Wälder in der Nähe grosser Städte.