CCIV. St. Malo Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCV. Genua
CCVI. Der Sinai
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GENUA.

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CCV. Genua.




Wer von Genua den prächtigsten Anblick haben will, muß es von der Seeseite her betrachten. Amphitheatralisch erhebt sich vom sichelförmigen Ufer die Stadt und von den Felsen im Hintergrunde schauen Citadellen und Klöster auf sie herab. Der Hafen ist der größte der Welt, würdig einer Königin der Gewässer. Zwei Dämme, zum Theil natürlicher Fels, umfassen, gleich Riesenarmen, das Meer und lassen eine weite, zur Ein- und Ausfahrt bequeme Oeffnung. Dieser zur Seite stehen die Pförtner, zwei gewaltige Leuchtthürme, in deren zu Casematten ausgehöhlten Leibern sich die ehernen Ungeheuer des Kriegs verderbendrohend bergen. Ein höherer dritter Leuchtthurm ist auf einem kegelförmigen Felsen erbaut. Unabsehlich ist die Fronte von größtentheils prächtigen Gebäuden, die sich im klaren Wasser spiegelt und über sie reihen sich in weitem Halbzirkel die Straßen wie Terrassen über einander, und Palläste, Thürme, Kirchen treten überall aus den Massen hervor. In der Ferne sieht man links die Alpen mit ihren Schneehäuptern; zur Rechten die hohe Wand der Appenninen.

Jenseits der Fortifikationen fangen die Landhäuser der reichen Besitzer an. Die hohen Gärten geben dem Auge Ruhe, wenn es, vom Anblick der wilden Wogen und der Häusermassen ermüdet, nach sanftern Gegenständen sich zu sehnen beginnt. Aber es kehrt bald wieder zum Anblick des Hafens zurück, dessen Reiz unwiderstehlich anzieht. Die Dämme ragen wenigstens 16 Ellen hoch über die Fläche des Meeres. Man sieht die schwellenden Wogen kommen, sie schlagen mit Getöse an die Mauern und sprützen so hoch auf, daß sie oft ihre Scheitel mit einem Schaumgewölke bedecken. Hinter diesem Molo, von dem man die grandioseste Aussicht auf das Meer genießt, (bei heiterm Himmel erkennt man die Küsten von Corsika), wiegte sich einst die Flotte des mächtigsten Seestaats; oft weilte hier Andreas Doria, der größte Mann, der ihn zu beherrschen berufen war; hier ruhete oft Columbus, des Genuesers, Adlerblick auf den unendlichen Fernen, und voll düstern Ernstes dachte er der Wahrscheinlichkeit vom Daseyn einer neuen Welt nach.

Genuas Ursprung verliert sich in das höchste Alterthum und in die Zeit der Fabel. Schon zur Periode der Carthaginensischen Herrschaft war es durch Handel und Schifffahrt berühmt. Die Natur selbst schien seine Bewohner auf das Meer zu verweisen. Auf drei Seiten von unwirthbaren Berghöhen eingeschlossen, führt jeder [46] Blick so zu sagen hinaus auf die See und ruft zu ungemessenen Abentheuern auf. Das einzige Phantasiebild ist von Jugend auf der Mastenwald des Seehafens, die bunte Welt der Wimpel aus allen Meeren, von den Ländern der Gläubigen und Ungläubigen.

Genua, das der Herrschaft Carthago’s untreu wurde, verbündete sich zur Zeit der punischen Kriege mit den Römern, weshalb es Mago, Hannibals Bruder, zerstörte. Später tritt es als römische Municipalstadt auf. Während der Völkerwanderung fiel es den Ostgothen zur Beute. Es blieb unter deren Botmäßigkeit, bis die Siege des Belisarius ganz Oberitalien dem oströmischen Reiche erwarben. Aber die schwache Hand der Byzantiner verstand nicht das Erlangte zu behaupten. Sarazenen und Longobarden nahmen Besitz von Genua wechselsweise und verheerten es. Seine vortreffliche Handelslage sicherte es jedoch stets vor gänzlichem Verfall, und als Karl der Große die Stadt den Longobarden wieder abnahm, war sie die volkreichste Liguriens. Er gab ihr die Freiheit, der sie nicht würdig schien; denn schon unter der Regierung Karls Nachfolgers, bekam sie, in Folge innerer Zerwürfnisse, einen königlichen Zwingherrn, welcher als Burggraf von Genua erbliches Regiment führte. Zwei Jahrhunderte trug sie das Joch; groß und reich geworden warf sie es im elften Jahrhunderte ab, erklärte sich frei und ernannte Konsuln. Zu eben dieser Zeit ward die Stadt befestigt.

Es begann die glänzendste Periode Genua’s. – In den Kreuzzügen übernahm es den Transport französischer und brittischer Heere an die Küsten von Palästina, und deren Versorgung, bei welchen Geschäften schnell unermeßliche Reichthümer erworben wurden, die der levantische Handel, den es früher noch als Venedig trieb, vermehrte. Im Gefühle übermäßiger Kraft wurde es nach der Erweiterung seines Gebiets lüstern, und noch im zwölften Jahrhunderte wagte es den Kampf mit dem damals mächtigen Pisa, und erwarb die ganze Küste der Provençe, mit Einschluß von Marseille, Nizza, Monako und der Insel Corsika. Der Krieg mit den Pisanern wurde ein Krieg auf Leben und Tod. Er dauerte über 200 Jahre, und endete nicht eher, als bis die Genueser die Kriegsflotte der Rivalin vernichtet, ihre Flagge aus allen Meeren vertrieben, ihren Hafen zerstört hatten. Gleichzeitig fing Genua Fehde an mit Venedig, die erst der Friede von Turin beilegte. Am höchsten stieg Genua’s Macht zur Zeit der Erneuerung des griechisch-byzantinischen Reichs, seit 1261. Der Besitz von Kaffa auf der krimea’schen Halbinsel (jener Ort erhob sich für eine Zeitlang zum ersten Handelsplatze des Orients) sicherte ihnen die Herrschaft über das schwarze Meer. Sie bauten Schiffe auf dem kaspischen Meere und bezogen über dasselbe die köstlichen Waaren Indiens. Zwei Jahrhunderte erhielt sich hier der Kern der genuesischen Handelsmacht, und den unzählbaren Horden des Enkels des Dschinges-Chan, welcher mit seinen Tartaren bis nach Schlesien vordrang und Polen verwüstete, sowie später den wilden Raubschaaren Tamerlans widerstand Kaffa mit eben so viel Heldenmuth, als Glück. Erst 20 Jahre nach dem Falle des griechischen Reichs – 1473 – wurde es [47] von den Genuesern, deren Macht im erneuerten, verwüstenden Kampfe mit Venedig gänzlich gebrochen war, aufgegeben und verlassen. Wir wissen, daß Venedig sich des Alleinbesitzes vom Welthandel auch nur kurze Zeit erfreute: hätten beide Republiken, statt ihre besten Kräfte zu ihrer eigenen Zerstörung anzuwenden, sich zu einem gemeinschaftlichen Bund vereinigt, und statt des lächerlichen Kastenwesens von Patriziern, Nobili etc. etc. nur dem Verdienste gehuldigt, möchte ihr Glanz heute noch leuchten. –

In der langen Periode des Krieges, der Eroberung und des Erwerbs von Reichthümern war selten Friede im Innern. Die unruhigen Bürger wechselten zu verschiedenen Malen gewaltsam die Regierungsformen, ernannten bald Statthalter, bald Dogen, bald Diktatoren, bald einen Podesta; bald aus dem Adel, bald aus der Bürgerschaft. Am Ende waren sie des Eigenregierens gar müde, und sie gaben sich freiwillig unter die Oberherrschaft Frankreichs. Karl der Sechste legte eine starke französische Besatzung in die Stadt und hielt den aufrührischen Geist durch Strenge nieder. Aber die Bürgerschaft trug das Joch nicht: in einem Aufstand (1409) ermordete sie die französische Besatzung, wurde bald darauf Mailand zinsbar, dann (1436) abermals frei. Im Jahre 1458 suchte Genua das französische Protektorat von neuem; aber kaum war die äußere Gefahr, die es dazu veranlaßte, vorüber, so stellte es die Republik wieder her. Noch einmal bot es sich dem Könige Ludwig dem Elften an; dieser aber antwortete: „Wenn Genua mein würde, übergabe ich’s allen Teufeln.“ Die Treulosigkeit der Genuesischen Politik war damals sprüchwörtlich, und die Entsittlichung und die Parteiwuth des Volks so gränzenlos, daß, es zu beherrschen, dem Auslande gefährlicher schien, als es zu bekriegen.

Nach dieser Zeit zerfleischten innere Unruhen die Stadt, erregt von den Parteien der Guelfen und Ghibellinen, von der Eifersucht der Häuser Adorno und Fegoso. Genua, voller Reichthum und mit einer üppigen, fast ¼ Million starken Bevölkerung, schwamm fast zwanzig Jahre lang in Bürgerblut. Deutschlands Kaiser, die Könige von Frankreich und die Herzoge von Mailand herrschten abwechselnd mit den Faktionen. Schon war die Bevölkerung unter die Hälfte gesunken, ein Theil der reichsten Geschlechter ausgewandert; sie schien dem Untergang nahe, als der Seeheld Andrea Doria, einer der größten Männer, welche Italien hervorgebracht, sein Vaterland aus dem Joche der Fremden befreite, die Parteien im Innern versöhnte und die Freiheit wiederherstellte. Vom Volke zu lebenslänglicher Diktatur berufen, schlug er die Herrschaft edelmüthig aus. Diese That und das Dankvotum des Volks, welches ihm den großen Namen „Vater des Vaterlandes“ beilegte, hat ihn mehr verherrlicht als die Herrschaft über eine Welt.

Nachher war Genua mehrentheils mit Spanien verbündet, suchte aber, wenn jener Staat in Kriege verwickelt wurde, gemeinlich eine neutrale Stellung zu gewinnen. – Das schnelle Dahinsinken des Handels, der einen glänzenden Staatshaushalt genährt hatte, machte die auswärtigen Besitzungen der Republik zu einer Last, die sie [48] nicht behaupten konnte. Daher verlor sie eine nach der andern. Die Empörung von Corsika, 1730, und das langjährige Bestreben, sie zu unterdrücken, entzog dem Staate die letzten Kräfte. Nach deren Erschöpfung (1768) trat sie die Insel an Frankreich ab, das sich solche mit Waffengewalt unterwarf. Der Sturm der französischen Revolution endlich brach das längst morsche Gebäude gänzlich zusammen. Zwar versuchte nach der Schlacht von Marengo Bonaparte eine Art Wiederherstellung unter dem Titel „Ligurische Republik.“ Es war indeß blos ein Schattenspiel, das (1805) in der Einverleibung mit dem französischen Reiche endigte. – Damals büßte auch die berühmte Bank, (eine der ältesten der Welt und das Muster für die meisten gleichartigen Institute), welche im Besitz eines ungeheuern Grundvermögens und von mehr als 10 Millionen Franken jährlicher Einkünfte war, ihre Existenz ein; sie wurde aufgehoben und ihr Grundkapital auf das Schuldbuch von Frankreich übergetragen: eine Maßregel, durch welche Genua einen großen Theil seines Vermögens verlor. Nach dem Umsturze der Napoleonschen Weltherrschaft besetzten die Britten die Stadt, und der englische Befehlshaber Bentink gab die offizielle Versicherung der Wiederherstellung ihres Freistaats – ein Versprechen, was der Wiener Kongreß unerfüllt ließ. Genua und sein Gebiet wurde vielmehr zu Sardinien geschlagen, und alles, was die Stadt erhalten konnte, war eine Art Provinzialrepräsentation, welche jedoch die Regierung nicht gehindert hat, in Genua eben so gut, wie in andern Theilen des Staats Grundsätze zur Ausübung zu bringen, die eben so wenig zur Förderung der Civilisation, als zum Heile der Völker gereichen.

Das heutige Genua verdient, wegen der Menge und Schönheit seiner Palläste, noch immer den alten Zunamen LA SUPERBA (die Prächtige). Schon der Kay imponirt durch seine Construktion von Marmorquadern ungewöhnlicher Größe und die Porta Triumphalis, welche in das Innere der Stadt führt. Der Ueberfluß an Marmor und die Bläue des Himmels machen einen eigenen Eindruck von Helle und Sauberkeit; und diesem, so bildet man sich ein, müsse auch das Innere der noch immer volkreichen Hauptstadt entsprechen. Tritt man aber durch’s Thor in die enge Gasse, so weiß man nicht, wie einem nach dem Glanz des äußern Eindrucks geschieht. Man sieht weiter nichts als Menschengewühl zwischen Läden, die reich sind an Waarenvorräthen, aber dunkel. Nachdem man sich durch diese erste, enge Straße durchgearbeitet hat, kömmt man in die Goldschmidtsstraße. Sie ist schon etwas heiterer. Gewölbe mit Gold- und Silbergeschirren und Schmuck und Kleinodien reihen sich hier an einander, und verkündigen den Reichthum ihrer Besitzer und den Flor ihres Gewerbes, das auf des Landes Sitte sich gründet. In Oberitalien ist es nämlich Gebrauch, daß Mädchen ihr Heirathsgut in goldenem Hals- und Ohrenschmuck an sich tragen, und keine Magd läßt sich an Feiertagen sehen, die nicht auf ähnliche Art zeigt, daß sie für den Himmel und – einen Mann ausgestattet ist.

[49] Erst die Goldschmidtsstraße führt in den eigentlichen Prachttheil der Stadt. Die glänzende Strada Nuova erscheint, dann die Strada Balbi, die, nach dem Ausdruck der Frau von Stael, für einen Congreß von Königen gemacht ist. Die dritte ist die Strada Nouovissima.

Diese drei Straßen sind eine ununterbrochene Folge von Pallästen, von kostbarer Architektur und reicher, innerer Einrichtung, und viele enthalten die kostbarsten Werke der Malerei und Skulptur. Aber auch diese Straßen, welche, bei gehöriger Breite, die schönsten der Welt wären, sind leider so schmal, als unsere Gassen. Es fehlt überall an einem Standpunkt, die hohen Palläste zu betrachten. Das Pflaster ist von Ziegeln und Reihen von Marmorfließen zusammengesetzt, mosaikartig, was sich recht hübsch ausnimmt. Sie werden mit großer Sorgfalt rein erhalten. Die meisten Häuser haben fünf bis sechs, viele sogar sieben und acht Stockwerke. Sie sind alle massiv.

Die Einzelbeschreibung der Palläste würde einen weit größern Raum erfordern, als wir dafür haben, und am Ende unsere Leser ermüden. Im Allgemeinen darf man annehmen, daß die berühmtesten Palläste im nördlichen Europa armselig sind gegen diese, und mit wenigen Ausnahmen scheint Alles, was man von Schlössern der Fürsten und Könige anderwärts sehen kann, nur Flitter gegen die Pracht der der vornehmen Genueser. Als die herrlichsten zeichnen sich aus: die Palläste Prignole (der rothe Pallast), Doria, die beiden Balbi, Marcellino, Marcello Durazzo. Der alte Pallast des Doge sinkt, so schön er für sich ist, mit jenen stolzen, die kostbarsten Gemäldeschätze verbergenden Privatwohnungen verglichen, zur Bedeutungslosigkeit herab. Das Jesuiten-Collegium, die Börse, das große Hospital sind prachtvoll; unter den Kirchen sind die der Maria-Verkündigung und des heiligen Ambrosius groß und schön und ihrer Gemälde wegen berühmt.

Die Bevölkerung des heutigen Genua erreicht nicht ganz hundert tausend. Noch immer ist große Handelsthätigkeit, und die fürstlichen Palläste der hiesigen Kaufleute sind Zeugniß ihres alten, festgegründeten Reichthums; aber daneben sticht die Armuth des gemeinen Volks um so greller in die Augen, und die Sittenverderbniß desselben ist von Alters her berüchtigt. Bettler sind eine Landplage in ganz Italien: aber so zahlreich wie in Genua wird man sie nirgends wieder finden. Jeden Fremden verfolgen sie haufenweise, die Treppen vor den Pallästen und Kirchen sind von ihnen belagert, und in den Kirchen selbst treiben sie ihr Gewerbe mit eben so großer Unverschämtheit, als List.

Das Klima Genuas ist außerordentlich mild, und der Nordländer macht sich keinen Begriff von dem Farbenglanz aller Gegenstände in dieser reinen Atmosphäre. Die ursprünglich öden und kahlen Berge um die Stadt sind mit Orangenhainen und Oelbäumen bepflanzt, aus denen die Villen der Großen als gigantische Häusermassen [50] hervorschauen. Fröste sind selten, Schneeflocken etwas außerordentliches. Nelken und Rosen blühen den ganzen Winter hindurch; noch im November sind die Märkte mit frischen Blumen und Obst reichlich versehen; Feigen und Lorbeeren wachsen wild in den Ritzen der Felsen und alten Gemäuer. Weinreben von außerordentlicher Stärke beschatten, wie üppige Locken, die Augen der Villen. Auf den platten Dächern bemerkt man häufig Terrassen mit Weinlauben, mit Blumen, ja selbst mit Obstbäumen saftiger Apfelsinen, Mandeln und Kirschen. Abends werden diese hängenden Gärten erleuchtet, und an besondern Heiligentagen ist die Illumination allgemein. Vom Hafen aus gewährt dann die Stadt einen feenartigen Anblick. Die Lampen flimmern wie unzählige Sterne, und die von allen Dächern ansteigenden Raketen und Feuergarben strahlen in diesen reinen Lüften vom herrlichsten Glanze.

Genua ist ein Freihafen; doch ist er von Fremden weniger besucht, als das nahe, rivalisirende Livorno, wo eine eben so milde, als freisinnige Regierung der Thätigkeit nirgends Fesseln anlegt. Die auswärtigen Geschäfte sind großentheils in den Händen englischer Firmen. Südfrüchte, Oel, Seide machen die Hauptartikel der Ausfuhr; an diese reihen sich die Erzeugnisse der hiesigen Manufaktur: Sammt, Seidenstoffe, Seife, Papier etc. Der uralte Verkehr mit der Levante ist noch immer von großer Bedeutung. –