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Erst die Goldschmidtsstraße führt in den eigentlichen Prachttheil der Stadt. Die glänzende Strada Nuova erscheint, dann die Strada Balbi, die, nach dem Ausdruck der Frau von Stael, für einen Congreß von Königen gemacht ist. Die dritte ist die Strada Nouovissima.

Diese drei Straßen sind eine ununterbrochene Folge von Pallästen, von kostbarer Architektur und reicher, innerer Einrichtung, und viele enthalten die kostbarsten Werke der Malerei und Skulptur. Aber auch diese Straßen, welche, bei gehöriger Breite, die schönsten der Welt wären, sind leider so schmal, als unsere Gassen. Es fehlt überall an einem Standpunkt, die hohen Palläste zu betrachten. Das Pflaster ist von Ziegeln und Reihen von Marmorfließen zusammengesetzt, mosaikartig, was sich recht hübsch ausnimmt. Sie werden mit großer Sorgfalt rein erhalten. Die meisten Häuser haben fünf bis sechs, viele sogar sieben und acht Stockwerke. Sie sind alle massiv.

Die Einzelbeschreibung der Palläste würde einen weit größern Raum erfordern, als wir dafür haben, und am Ende unsere Leser ermüden. Im Allgemeinen darf man annehmen, daß die berühmtesten Palläste im nördlichen Europa armselig sind gegen diese, und mit wenigen Ausnahmen scheint Alles, was man von Schlössern der Fürsten und Könige anderwärts sehen kann, nur Flitter gegen die Pracht der der vornehmen Genueser. Als die herrlichsten zeichnen sich aus: die Palläste Prignole (der rothe Pallast), Doria, die beiden Balbi, Marcellino, Marcello Durazzo. Der alte Pallast des Doge sinkt, so schön er für sich ist, mit jenen stolzen, die kostbarsten Gemäldeschätze verbergenden Privatwohnungen verglichen, zur Bedeutungslosigkeit herab. Das Jesuiten-Collegium, die Börse, das große Hospital sind prachtvoll; unter den Kirchen sind die der Maria-Verkündigung und des heiligen Ambrosius groß und schön und ihrer Gemälde wegen berühmt.

Die Bevölkerung des heutigen Genua erreicht nicht ganz hundert tausend. Noch immer ist große Handelsthätigkeit, und die fürstlichen Palläste der hiesigen Kaufleute sind Zeugniß ihres alten, festgegründeten Reichthums; aber daneben sticht die Armuth des gemeinen Volks um so greller in die Augen, und die Sittenverderbniß desselben ist von Alters her berüchtigt. Bettler sind eine Landplage in ganz Italien: aber so zahlreich wie in Genua wird man sie nirgends wieder finden. Jeden Fremden verfolgen sie haufenweise, die Treppen vor den Pallästen und Kirchen sind von ihnen belagert, und in den Kirchen selbst treiben sie ihr Gewerbe mit eben so großer Unverschämtheit, als List.

Das Klima Genuas ist außerordentlich mild, und der Nordländer macht sich keinen Begriff von dem Farbenglanz aller Gegenstände in dieser reinen Atmosphäre. Die ursprünglich öden und kahlen Berge um die Stadt sind mit Orangenhainen und Oelbäumen bepflanzt, aus denen die Villen der Großen als gigantische Häusermassen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/89&oldid=- (Version vom 13.10.2024)