Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 15

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Am fünfzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 6, 24–34.
24. Niemand kann zween Herren dienen. Entweder er wird einen haßen und den andern lieben; oder wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon. 25. Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr eßen und trinken werdet; auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? Und der Leib mehr, denn die Kleidung? 26. Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr, denn sie? 27. Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget? 28. Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29. Ich sage euch, daß auch Salomo in seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselben Eins. 30. So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet, und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er das nicht vielmehr euch thun? O ihr Kleingläubigen. 31. Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir eßen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32. Nach solchem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß alles bedürfet. 33. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, und nach Seiner Gerechtigkeit; so wird euch solches alles zufallen. 34. Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.

1. Von rechter Sorge,
2. Von falscher Sorge.
3. Von den Mitteln gegen falsche Sorge.

 1. DIe Vergangenheit liegt abgeschloßen und schweigend hinter uns. Die Gegenwart mit all ihrem Geräusch kehrt von Stunde zu Stunde mehr in die klare Stille der Vergangenheit ein. Die Zukunft liegt stumm und verschloßen, aber in ganz anderer Weise wie die Vergangenheit, sie liegt vor uns. Alle Augen sehen hinaus auf das, was kommen wird, − alles harrt auf die Zukunft. Der Mensch hat Leib und Seele und ist sterblich. Er weiß, daß ihm die Zukunft den Tod des Leibes und ein ewiges Jenseits für die Seele bringt. Er hat von Tod und Ewigkeit viel vernommen, aber er hat sie nicht erfahren, von ihren Kelchen nicht gekostet. Dazu ist die Zeit der großen Veränderung sammt der Art und Weise bei jedem eine andere. Kann es ihm gleichgültig sein, wann, wie er sterben werde? wie ihm die Ewigkeit erscheinen werde? Wenn er darüber nachdenkt, wenn er auf Erleichterung des Todes, wenn er auf Beseligung der Ewigkeit denkt, kann man ihn tadeln? − Doch nicht allezeit ist Auge und Erwartung auf eine ferne Zukunft gespannt. Oefters beschäftigt sich die Seele bloß mit der näheren Zukunft. Der Jüngling, das Mädchen sehen erwartungsvoll hinaus, wie sich, wo sich das eigene Heerdlein finden werde; der Mann harrt auf Gelingen seines Berufes und auf die Zukunft seiner Kinder. Oft liegt am kommenden Tage, der kommenden Stunde schon viel! Oft liegt auch für die Ferne, für die ewige Zukunft viel und alles an der Gestaltung der nächsten Minuten. Soll nun die Zukunft nicht bedacht werden, kein Gegenstand der Ueberlegung und unsrer Thätigkeit sein? Ohne Zweifel soll sies sein. Der Jüngling, das Mädchen sollen sich mit Fleiß und Eifer für den künftigen eigenen Lebensberuf bilden; der Mann soll seinen Beruf mit allem Ernst betreiben, seiner Kinder Heil mit aller Liebe suchen.| Alles soll gedacht, gethan werden, daß die Zukunft uns freundlich erscheine. Wäre das nicht der Fall, wie könnte es dann dem HErrn gefällig und von Ihm geboten sein, daß man säe, ärnte, in die Scheuern sammle, daß man arbeite und spinne, daß man nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit trachte? Das ist ja alles eine Saat und Arbeit für die Zukunft und eine Art von Sorge. − Das alles ist recht, aber: es muß mit Ergebung und Frieden in Gott verbunden sein, der Arbeitende muß der Gnade und des Segens seines Gottes in Christo gewis sein. Daß ER alles zum Besten lenken werde, muß über allen Zweifel erhaben sein: wie Ers thun wolle, muß Ihm gläubig anheimgestellt sein und bleiben. Bei allem Denken und Arbeiten für die Zukunft muß ein gläubiger, betender, stiller Geist in uns wohnen − und die Freude am HErrn muß unsre Stärke sein.
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 2. Das Sorgen, von welchem wir bisher geredet haben, ist weder in unserm Texte, noch irgend wo anders in der heiligen Schrift verboten. Es gibt aber ein Sorgen, welches allerdings überall, und sonderlich im Neuen Testament und wieder besonders in unserm Texte verboten ist. Das Wort, welches der HErr in unserm Texte gebraucht, wenn Er sagt: „Sorget nicht!“ − bezeichnet seiner Abstammung nach ein Sorgen, durch welches die Seele zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen dem, was zu thun und zu laßen ist, getheilt, und unruhig und grübelnd hin- und hergezogen wird. Dieses Sorgen leidet also keinen ruhigen, stillen Blick in die Zukunft, keine Ergebung in den Willen des HErrn, Er füge es, wie Ers will, keine Zuversicht und Ruhe der Seele in Gottes Gnade. Es ist keine Arbeit des Berufes, sondern es ist eine Pein, auf dem Abweg gefunden, − ein unruhiges Schaffen deßen, was einem nicht in Händen und in der Macht ist. Dieses unruhige, glaubenslose Sorgen ist ein Gräuel vor dem HErrn, ist verboten und der HErr spricht davon sein: „Sorget nicht!“ Es ist verboten in Betreff der Seele, es ist verboten in Betreff des Leibes. Zwar was die Seele anlangt, so ist eine unruhige Sorge dem Menschen, welchen das Licht der Wahrheit zum ersten Male anstrahlt, einigermaßen zu verzeihen, wenn es erlaubt ist, menschlich zu reden. Denn wenn man sich rathlos und verlaßen sieht, so erschrickt man, zumal wenn man sich zuvor einbildete, auf richtigem Wege zu wandeln. Indes ist doch auch diese Unruhe, welche die meisten im Anfang der Bekehrung ergreift, leicht zu stillen; denn es wird uns ja von Anfang an kund gethan, daß der HErr an unserer Statt alles für unsre Seelen gethan hat, daß Er uns das Reich und die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erkämpft hat. Auch wird uns von Anfang an gelehrt, wie das Reich Gottes zu uns kommt, und wie wir zum Glauben gelangen. Das Reich kommt zu uns durch das Wort und den heiligen Geist, und die Gerechtigkeit Christi wird desgleichen im Worte denen dargeboten, die da glauben. Der Weg zum Leben ist uns gezeigt, und eine ängstliche, grübelnde Sorge für die Seele bedarf es deshalb nicht. Er hat gesorgt, und wir haben von allem Anfang an ausgesorgt. Wenn gesagt wird, daß die Christen ihre Seligkeit mit Furcht und Zittern schaffen sollen, so bezieht sich diese Furcht und dieses Zittern nicht auf etwa doch noch übrige Ungewisheit unsrer Zukunft von Seiten Gottes, sondern auf unsre Unbeständigkeit im Guten und auf unsern alten Menschen. Wir sind schon selig in Hoffnung, es kann uns niemand um unsre Seligkeit bringen, als wir allein, − aber eben vor uns selbst haben wir uns am meisten zu fürchten. Wers recht bedenkt, den ergreift ein Zittern, welches aber an und für sich selbst die Ruhe und das Vertrauen einer gottverlobten Seele nicht stören muß, ein Vorbote sichern Gelingens ist, und von dem HErrn Selbst gelobt wird. Wie nun das ungläubige, angstvolle Sorgen in ewigen Dingen verboten ist; so viel mehr in zeitlichen Dingen. Sie sind zu gering, als daß ihretwegen eine Gott verlobte Seele in Unruhe und Angst gerathen sollte. Der HErr ist auch HErr über alles Zeitliche und versorgt uns ja. Wir sollen Dem, welcher die Seele versorgt hat, auch den Leib zur Versorgung überlaßen, und da Er für die Ewigkeit uns Rath geschafft hat, können wir Ihn über unsre Zeit geruhig walten laßen. − So einleuchtend das ist, so ist es doch bei einem jeglichen Menschen leicht in Vergeßenheit gebracht. Denn da wir von Natur nichts Gutes vermögen, sondern zu eitel Bösem geneigt sind, so ist ergebene Ruhe uns nicht leicht, ja nicht möglich; dagegen ist, je nachdem einer geartet ist, entweder sichre, gottvergeßende Ruhe oder glaubensloses Sorgen und Zagen das natürliche − und wir haben uns deshalb nach dieser einleitenden Erklärung über rechte und falsche Sorge nun hauptsächlich umzusehen,| was für Heilmittel unser Evangelium uns gegen falsches Sorgen darbietet, und zwar gegen das falsche Sorgen im Zeitlichen; denn davon hauptsächlich redet das Evangelium.

 3. Die Heilmittel gegen falsches Sorgen bestehen

a. in einer Vorstellung der Verkehrtheit falscher zeitlicher Sorgen;
b. in einer Vorstellung der versorgenden Treue Gottes;
c. in einer Ermunterung zu rechter Seelensorge, welche auch ein Geheimnis ist, aller zeitlichen Sorgen los zu werden und die beiden erstgenannten Mittel recht kräftig im Glauben angreifen zu können.

 a. Die Verkehrtheit zeitlicher Sorgen zeigt sich als Unklugheit. Das fleischliche Sorgen ist keine Lust, sondern eine Pein. Wenn sich nun einer eine Pein anthut zu seinem Nutzen, so kann man ihn nicht unklug nennen; denn die bittre Saat bringt eine süße Aernte. Wenn aber Jemand sich Pein anthut ohne Noth und ohne Nutzen, so kann man ihn gewis nicht klug nennen. Wer also seine Seele in Sorgen aufgehen läßt, thut sich ohne Nutzen Pein an, denn der HErr spricht: „Wer ist unter euch, der seiner (Lebens-)Länge (auch nur) eine Elle (Zeit) zusetzen könnte, ob er gleich darum sorgt?“ V. 27. Das muß auch Jedermann zugeben. Denn unter allen Menschen, die da leben und gelebt haben, ist gewis keiner, noch ist je einer gewesen, dem Sorgen und Grämen zum Zweck geholfen hätte. Wie unklug ist also der, welcher sich mit Sorgen quält! Er vergeudet und verschwendet seine Kraft und Zeit in Gram und Kummer und bleibt ihm davon so wenig übrig, als vom Feuer, wenn es verlöscht ist, oder vom Waßer, wenn es verdampft ist.

 Indes die Unklugheit ist doppelt. Das beweist sich so. Der HErr sagt im Evangelio, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe, − und auch das wird kein Mensch in Abrede stellen. Es ist kein Vergnügen so groß, daß es nicht neben her sein Misvergnügen hätte, − und so fröhlich der Tag ist, so hat er doch seine Plage zur Zugabe. Ein jeder Tag hat seine Plage − und ein Weiser nimmt sie aus der Hand Gottes im Frieden und mit Dank hin, denn sie wird ihm gewis zum Segen dienen. Ein Weiser wird aber auch an der Plage, die ein jeder Tag als eine göttliche Zulage mitbringt, genug haben, wird mit JEsu sprechen: „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Wenn man aber daran genug haben soll, so muß man nicht selbst noch durch Sorgen neue Plage hinzuthun. Die Lasten, die Gott auflegt, nimmt ER auch wieder ab zu Seiner Zeit; aber selbsterwählte Lasten muß der Mensch behalten, bis er ihren Grund in seiner Thorheit erkennt, und bis er nach erlangter Erkenntnis sie wieder ablegt. Mancher Mensch aber sieht es nicht ein, wenn er selbsterwählte Lasten trägt, daß er sich dieselben selbst auferlegt hat − und es geht nichts härter, als aufhören, sich selbst zu plagen; selbsterwählte Plagen hängen fest. Der ist darum wahrlich unklug genug, der zu den von Gott bestimmten Plagen seiner Tage noch aus eigener Wahl Sorgen, d. i. selbsterwählte Plagen auflädt. Sei weise mein Herz, und sorge nicht!


 Die Verkehrtheit falscher zeitlicher Sorgen erweist sich ferner als Glaubensmangel. Bei der Welt ist es freilich ein größerer Vorwurf, wenn man einen unklug nennt, als wenn man ihm Mangel des Glaubens Schuld gibt. Allein bei den Kindern Gottes ist der zweite Vorwurf größer, als der erste. Bin ich unklug, so schade ich zunächst nur mir und kein Beispiel findet weniger Anklang, bewirkt weniger Aergernis, als ein unkluges Beispiel. Wenn ich mich aber ungläubig erweise; so mangelt mir nicht nur selbst das Nöthigste, der Glaube, sondern ich beleidige überdieß meinen Gott, dem ich keinen Glauben schenke. Wenn ich die Aussagen eines ehrenwerthen glaubwürdigen Mannes in Zweifel ziehe, so liegt in meinem Benehmen ein und zwar nicht kleiner Tadel des Mannes. Was ist aber ein Mensch gegen Gott? Und was ist Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Menschen gegen den Zweifel an der Glaubwürdigkeit Gottes? Es ist schrecklich, die Worte des Wahrhaftigen anzuzweifeln. Das thut aber der, welcher sich weltlichen Sorgen ergibt. Christus spricht: „Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß alles bedürfet.“ Heißt das etwa: Er weiß es, aber Er gibts nicht? Wer es so auslegen würde, der würde Christo einen Spott in den Mund legen − man muß im Gegentheil das Wort so auslegen: Er weiß, daß ihrs bedürfet, und Er wird es auch an der Keinem mangeln laßen. Wenn du nun| doch noch zweifelst und grübelst und seufzest und kopfschüttelst und sorgst, was thust du anders, als Gott widersprechen? als dem Wahrhaftigen mit Unglauben, dem Treuen mit Mistrauen begegnen? Bist du also nicht ein Ungläubiger? Sind also deine Sorgen nicht Sünden wider den Glauben? Trennen sie dich nicht von deinem Gott? Wird dirs belohnt werden? − Zur Zeit Elisa, des Propheten, und des Königs Joram von Israel belagerte Benhadad, König von Syrien, Samaria mit einem zahllosen Heere und durch die enge Einschließung der Stadt entstand eine solche Theurung innerhalb ihrer Mauern, daß Weiber ihre Kinder aßen. Eine schreckliche Verzweiflung ergriff König und Volk. Elisa aber weißagte: „Morgen wird ein Schäffel Semmelmehl einen Seckel gelten, und zween Schäffel Gersten einen Seckel unter den Thoren von Samaria.“ Da antwortete ein vornehmer Mann, ein Ritter, auf welches Hand der König sich stützte, voll Zweifel und herber Sorge: „Und wenn der HErr Fenster am Himmel machte, wie könnte solches geschehen?“ Was meint ihr, was der von seinen Zweifeln und Sorgen hatte? Der Prophet sprach zu ihm: „Mit deinen Augen wirst dus sehen und nicht davon eßen.“ In der Nacht aber machten sich die Syrer auf, ließen ihr Lager mit allem Vorrath stehen und flohen, so schnell sie konnten; denn Gott hatte sie ein furchtbares Geschrei von Roßen, Wagen und großer Heereskraft hören laßen. Da gieng ganz Samaria hinaus, zu plündern, − und es wurde eine solche Menge Beute gemacht, daß ein Schäffel Semmelmehl einen Säckel und zwei Schäffel Gersten einen Säckel galt. Der Ritter aber war beauftragt, am Thore das Volk, das hin und her drang, zu beaufsichtigen; allein das Volk achtete seiner Einsprache nicht, sondern sie stießen ihn um und zertraten ihn mit ihren Füßen, auf daß er mit den Augen des HErrn Wahrhaftigkeit sähe und nicht genöße. So straft der HErr die Ungläubigen! Wohl euch, wenn ihr ungläubigen Sorgen keinen Raum gebet.
 Die Verkehrtheit zeitlicher heidnischer Sorgen erweist sich ferner als Götzendienst und zwar als Mammonsdienst. Viele Menschen wollen ihrer Sorgen wegen nicht getadelt, sondern bemitleidet sein. Die Last empfinden sie, aber die Sündlichkeit erkennen sie nicht. Trost wollen sie im Hause des HErrn, nicht Bestrafung. Wenn solche Heilige unter euch sind, so werden sie es schon übel vernommen haben, daß ich sagte, Sorgen im Sinne unsers Evangeliums sei Glaubensmangel. Noch weniger kann es ihnen aber gefallen, wenn ich das Sorgen einen Götzen, einen Mammonsdienst nenne. Ich habe eine Scheu, auch dem Sünder mit Unrecht weh zu thun, denn ich bin auch ein Sünder, und wünsche milde Behandlung von meines Gleichen. Aber ich kann nicht anders, ich muß die Behauptung wiederholen: es ist Götzendienst, es ist Mammonsdienst, sich in Sorgen zu vertiefen. Es ist eine schreckliche Wahrheit, aber eine Wahrheit, von der man nur wünschen möchte, daß sie mit allen ihren Schrecken auf sorgenvolle Herzen wirken, von Sorgen befreien und zum Glauben und zur Anbetung des Einen wahren Gottes sie versammeln möchte. Haltet mir einen Augenblick Stand, lieben Brüder! Wann würden die Sorgenvollen zu sorgen aufhören? Die da täglich fragen: was werden wir eßen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? − wann würden sie sich beruhigen? Nicht wahr, wenn sie eine reiche Erbschaft machen oder das große Loos gewinnen oder sonst zu Reichtum kommen würden. Warum würden sie aber dann sich beruhigen? Offenbar weil sie dann auf den Reichtum ihr Vertrauen setzen und überzeugt sein würden, es könne ihnen nun nicht mehr fehlen. Das Vertrauen auf den Reichtum kann also ein sorgenvolles Herz beruhigen. Warum bringt denn das Vertrauen auf den allmächtigen Gott und Seine wahrhaftigen Verheißungen nicht dieselben Wirkungen auf die Menschen hervor? Offenbar, weil das Vertrauen auf den sichtbaren Reichtum stärker ist, als das Gottvertrauen, sonst würde ja das Gottvertrauen auch Frieden und Beruhigung der Seele wirken. Wenn aber das Vertrauen auf den Reichtum größer ist, als das Vertrauen auf den lebendigen Gott, so ist der Reichtum mehr Gott, als Gott selbst, denn worauf man mehr, als auf alle andre Dinge vertraut, das ist des Herzens Gott; warum sollte denn nicht das des Herzens Gott sein, worauf man mehr, als auf Gott selbst vertraut? So ist doch offenbar der Reichtum, der Mammon des Sorgenvollen Gott und Götze, − und er unterscheidet sich von dem Geizigen nur dadurch, daß dieser auf einen Reichtum traut, den er hat, der Sorgenvolle| aber auf einen, den er nicht hat; der Sorgenvolle ist also ein Götzendiener, wie der Geizhals. Er will Mitleid − und wofür? Dafür, daß er sich der allerschrecklichsten Sünde wider das erste Gebot ergibt, dafür, daß er beim Geruch des abwesenden Mammons schon Gottes vergißt und seine Hände ausstreckt nach dem fernen, goldenen Kalbe! Dafür will er bemitleidet werden! − Du schüttelst das Haupt? So meinst dus mit deinen Sorgen nicht? Der Sünde bist du nicht schuldig? Wie soll aber das zugehen? Niemand kann zween Herren dienen − ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon! Ihr könnet nicht, spricht der HErr. Und du kannst es doch? Du kannst sorgen, ohne daß du von ihnen verschlungen wirst? Du kannst den Mammon anbeten, ohne daß du von Gott abfällst? Wenn du jenen haßest, wirst du diesen lieben. Wenn du diesem anhangst, wirst du jenen verachten. − Ich will einmal setzen, du habest dich den Sorgen noch nicht ergeben, sondern du seiest bloß versucht von ihnen. Das ist ein günstigerer Fall, als der vorige, aber immerhin gefährlich genug; denn du bist in einer Versuchung zur Abgötterei und am Ende gar, ohne es zu wißen. Kämpfe dagegen! Laß den heilsamen Schrecken des Wortes Abgötterei auf dich wirken − und laß die nachfolgende Vorstellung der Treue Gottes auf dich wirken, daß du entrinnst der großen Sündenschuld!

 b. Wenn die bisherigen drei Stücke von Unklugheit, Glaubensmangel und Abgötterei der Sorgen eine Warnung vor diesen genannt werden dürfen; so liegt in der nachfolgenden Vorstellung der Treue Gottes eine Ermunterung zum Glauben an eine in Christo JEsu gnädige Vorsehung.

 Unter den Eigenschaften Gottes ist eine, welche niemand aus der Natur oder aus eingeborenen Begriffen beweisen kann. Sie hat einen so schönen deutschen Namen, daß gewis wenige andere Namen mit ihm verglichen werden können. Ich meine die Leutseligkeit Gottes. ER ist gewis selig auch ohne uns arme Leute, aber es ist doch gerade, als wenn Er Seine Seligkeit erst bei uns zu suchen hätte, so viele Mühe gibt Er Sich mit uns, so nahe kommt Er uns und so voll Freuden und Lieblichkeit ist Er gegen uns, wenn wir Ihn aufnehmen. Diese Leutseligkeit zeigt sich überhaupt, so oft der Sohn in des Vaters Namen mit uns redet, wie z. B. im heiligen Evangelium, sie zeigt sich aber auch insonderheit im Inhalt Seiner Reden insgemein − und so auch im Inhalt des heutigen Evangeliums. Höret, ihr Sorgenvollen, drei Sätze von der Leutseligkeit Gottes:

Der HErr sorgt für das Große, gibt das Große, sollte Er das Kleine nicht geben?
Der HErr versorgt Seine kleinsten, geringsten Creaturen; sollte Er für den Erstling und Letztling Seiner Schöpfung, für den Menschen nicht sorgen?
ER hat verschafft, daß ein jeder Tag für das Seine sorge, was sorgst du noch?

 Der HErr sorgt für das Große, gibt das Große; sollte Er das Kleine nicht geben? Das Leben hat Er dir gegeben, − den Leib hat Er dir gegeben. Leib und Leben hat Er gegeben − und Speise und Kleidung sollte Er nicht geben? Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? Ist Er etwa arm geworden? Hat Er Sich mit Leib und Leben im Geben übernommen? Ach nein! Alle Tage gibt Er neuen Creaturen Leib und Leben, Seel und Leib, Zeit und Ewigkeit, Himmelsbrot und Himmelstrank, Seinen Sohn und Seinen Geist, Seinen Himmel und Seine Seligkeit! Die Erde ist voll der Güte, der Leutseligkeit und Freundlichkeit des HErrn. Die Welt ist Seiner Ehre voll! Warum denn zagen und klagen und sorgen: der den Leib und das Leben gibt, gibt des Leibes und Lebens Nothdurft bis ans Ende!

 Der HErr versorgt die kleinsten Seiner Creaturen, sollte Er den Menschen nicht versorgen? Sieh nur die Vögel unter dem Himmel, die kleinen und zahllosen Vögel! Dazu nimm wahr die andern Thiere alle! Das Wild im Walde − das Gewürm in der Erde − die Thiere, die im Waßer, das du trinkst, in zahlloser Menge leben! Wie klein sind die Vögel, wie viel kleiner andere von den genannten Thieren! Diese alle vergißt Er nicht, keines vergißt Er! Seine Millionen geben Ihm Zeugnis, daß Er Sich aller Seiner Werke erbarmt! Er gibt ihnen ihre Speise zu seiner Zeit und sättiget alles, was lebt, mit Wohlgefallen! Und du wandelst unter den Millionen und siehst, wie gütig der HErr ist, wie Er alle und jede speist, − du siehst Seine milde aufgethane Hand, o Mensch, du König der Geschöpfe, und schämst dich nicht, zu seufzen, zu weinen, zu klagen, zu sorgen, daß es dir| fehlen möchte? Bist du denn nicht viel mehr, denn diese alle − und du traust deinem Schöpfer nicht so viel Liebe zu für dich, als er für den Wurm hat, auf den du trittst?

 Du siehst die harmlosen Kinder der Au, die Lilien, die Blumen und Blümlein alle, die keine Schande, noch Blöße zu decken haben, die bedeckt sind mit Licht und Glanz und Farben! Sie sind so schön, daß du wohl sie betrachten und bewundern darfst, ohne kindisch oder weibisch genannt zu werden, denn der HErr, der Zeuge aller Thiere und Menschen versichert uns, daß auch Salomo in seiner Herrlichkeit nicht bekleidet war, wie der Blumen eine! Wer macht sie alle so schön! Wer segnet sie mit ihrer Herrlichkeit? Es ist der HErr, der das Gras auf dem Felde ansieht und also kleidet! Heut steht es, morgen wird es in den Ofen geworfen. Es ist ein geringes Geschlecht, und der HErr vergißt sein nicht. Und die Erben der Seligkeit, die Er dereinst mit Seines Sohnes Unschuld und mit Leibern, dem Leibe Seines Sohnes ähnlich, kleiden wird, sollt Er in ihrer Niedrigkeit ohne Kleid und Schmuck laßen, − die Kinder des ewigen Lebens sollte Er vergeßen? Wer hätte Glauben und könnte das glaubwürdig finden! Nein! alle Millionen Menschen sollen auf Ihn hoffen und ein freudiges Nein rufen!

 Dazu was thun die Vögel? Sie säen und ärnten nicht und sammeln nicht in die Scheune. Und die Lilien? Sie arbeiten und spinnen nicht. Und ER versorgt sie doch! Und du hast eine Zukunft, für welche dich Gott zum bewußten Mitarbeiter erlesen hat! Du darfst unter deinen Händen, deiner Arbeit Seinen Segen keimen, wachsen, reifen sehen? Das Gedeihen deiner Arbeit gibt Er dir zum Angeld deßen, was du bedarfst. Er bekennt Sich zu deiner Arbeit − und sollte dein doch vergeßen? Lehrt dich deine Berufsarbeit nichts Beßeres? Ist kein Segen verheißen? – O stille! ER nährt und kleidet Vögel und Gras − ER wird die Seinen nicht verlaßen, noch versäumen!


 Aber du zweifelst? Du bist heute am Leben geblieben und satt worden; aber für morgen weißt du keine Auskunft! O du Kleingläubiger! Hörst du nicht, daß jeder Tag und Morgen nicht allein seine Last mitbringt, sondern auch sein Bedürfnis? „Der morgende Tag wird für das Seine sorgen.“ Der reiche Haushalter im Himmel hat für alle Tage das Nöthige versehen. Wenn der Tag durchs Thor der Morgenröthe tritt, sind seine Hände gefüllt, eine mit Weh und eine mit Freude. Wenn er kommt, siehst du seine Fülle noch nicht; aber man soll auch den Tag nicht vor dem Abend loben, nicht vor dem Abend schelten; am Abend aber ist jeder Tag lobenswerth, denn ein jeglicher legt seine Bürde und seine Gabe ab, beide als Geschenke des HErrn. So laß doch du die Tage sorgen, denen die Versorgung aufgetragen ist vom HErrn, du aber harre des HErrn und sei unverzagt!

 Ihr höret diese Vermahnung, ihr könnet nicht leugnen, daß sie schriftmäßig sei. Aber ihr findet euch trotz alle dem zu schwach, eure Sorgen abzulegen, abzuwehren und einen freudigen, unverzagten Muth zu faßen. Ich aber erkenne an dieser eurer Klage, daß es euch

 c. noch am besten fehlt, daß ihr eine unversorgte Seele habet. Wenn die Seele in Gottes Reich und mit Seiner Gerechtigkeit versorgt ist; so fehlt es auch im Leiblichen nicht an Ruhe und Zufriedenheit. Wer ein versorgtes Herz hat und die himmlischen, ewigen Güter empfangen hat; der ist von der Liebe Gottes, Seines Vaters, so gründlich überwiesen und überzeugt, daß er das Wort des HErrn: „Solches alles wird euch (als eine Zugabe) zufallen“ − nicht mehr anzweifelt, sondern als ein Gotteswort in vollen Ehren zu täglicher Erfahrung stehen läßt. Da heißt es: „Hat Gott uns Seinen Sohn geschenkt, sollt Er mit Ihm nicht alles schenken?“ − Warlich ja, es gibt Menschen, welche von den Dornen der Sorgen dieses Lebens frei geworden sind. Nicht die hatten Herzen meine ich, die vor Härtigkeit und Trägheit nicht sorgen, − nicht die Leichtsinnigen, welche auch Gottes Zorn nicht fürchten, sondern die Gläubigen, welche eine höhere Bestimmung, als dieses Leibes Bedürfnis kennen lernten, welche eine höhere Heimat suchen und auf sie hoffen. Sie wißen das Geheimnis, die Sorgen abzuwenden, und in JEsu Liebe zu ruhen. Ihnen ist es offenbart!

 Wollet ihr auch, meine Lieben, dies Geheimnis lernen; so weiß ich für euch keinen andern Weg, als den, auf welchem auch die Gläubigen zu ihrer Ruhe und Zufriedenheit gekommen sind. Dieser Weg ist in| den Worten beschrieben: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit.

 Freilich empfehle ich allen denen, welche noch an ihrer eigenen Gerechtigkeit genug haben, diesen Weg umsonst. Wer mit der eigenen Gerechtigkeit zufrieden, begehrt die Gerechtigkeit des Reiches Gottes, welche in Vergebung der Sünden besteht, nicht. Aber wer in sich nur Sünde findet, dem ist, was andern Gerechtigkeit ist, die Vergebung der Sünde. Mit ihr fühlt er sich in das von ihm verlaßene Reich Gottes zurückversetzt. Mit ihr ist er zufrieden. Seine Seele ist versorgt, und er hält nun seinem Gott stille. Er weiß, daß ihm sein ewiges Theil geboren ist, − hier auf Erden bereitet er sich, verdiente böse Tage geduldig und ohne Sorgen hinzunehmen. Durchs Kreuz ist er erlöst, darum scheut er das Kreuz nicht, − und ob er auch hungerte und Blöße litte (Röm. 8.), so wäre er dennoch ohne Sorgen und in Gott vergnügt, daß er sich auch der Trübsal rühmen konnte. Solche Menschen sind über alles Elend erhaben − durch das Eine, daß sie keine eigene Gerechtigkeit mehr haben, sondern JEsu Gerechtigkeit.

 Ach, daß ich euch zum Trachten nach dem Reiche Christi bewegen könnte! Ach, könnte ich machen, daß ihr nicht mehr am ersten, nicht mehr vor allen Dingen nach dem Zeitlichen trachtetet! Was soll ich doch sagen. Brüder! Wodurch euch bewegen? Ich weiß ein Wort, vernehmt es! Wer sich den Sorgen ergibt, trachtet nicht am ersten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit, hat kein versöhntes Herz, keinen versöhnten Gott, keine Vergebung der Schuld, ist ein unbekehrter Mensch. Wo Sorgen herrschen, ist Heidentum. So gewis zeigt das Abendroth den Abend nicht an, als Sorgen andeuten, daß es in der Seele noch Nacht ist, daß die Sünde noch herrscht. − O wecke durch den Ernst dieser Gedanken, HErr Gott, heiliger Geist, aus der nächtlichen, sündlichen Ruhe die armen, sorgenvollen Herzen, daß sie nach dem trachten, was droben ist, und frei werden von den Banden des irdischen, zeitlichen Lebens! Amen, Amen.




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