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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Alles soll gedacht, gethan werden, daß die Zukunft uns freundlich erscheine. Wäre das nicht der Fall, wie könnte es dann dem HErrn gefällig und von Ihm geboten sein, daß man säe, ärnte, in die Scheuern sammle, daß man arbeite und spinne, daß man nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit trachte? Das ist ja alles eine Saat und Arbeit für die Zukunft und eine Art von Sorge. − Das alles ist recht, aber: es muß mit Ergebung und Frieden in Gott verbunden sein, der Arbeitende muß der Gnade und des Segens seines Gottes in Christo gewis sein. Daß ER alles zum Besten lenken werde, muß über allen Zweifel erhaben sein: wie Ers thun wolle, muß Ihm gläubig anheimgestellt sein und bleiben. Bei allem Denken und Arbeiten für die Zukunft muß ein gläubiger, betender, stiller Geist in uns wohnen − und die Freude am HErrn muß unsre Stärke sein.

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 2. Das Sorgen, von welchem wir bisher geredet haben, ist weder in unserm Texte, noch irgend wo anders in der heiligen Schrift verboten. Es gibt aber ein Sorgen, welches allerdings überall, und sonderlich im Neuen Testament und wieder besonders in unserm Texte verboten ist. Das Wort, welches der HErr in unserm Texte gebraucht, wenn Er sagt: „Sorget nicht!“ − bezeichnet seiner Abstammung nach ein Sorgen, durch welches die Seele zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen dem, was zu thun und zu laßen ist, getheilt, und unruhig und grübelnd hin- und hergezogen wird. Dieses Sorgen leidet also keinen ruhigen, stillen Blick in die Zukunft, keine Ergebung in den Willen des HErrn, Er füge es, wie Ers will, keine Zuversicht und Ruhe der Seele in Gottes Gnade. Es ist keine Arbeit des Berufes, sondern es ist eine Pein, auf dem Abweg gefunden, − ein unruhiges Schaffen deßen, was einem nicht in Händen und in der Macht ist. Dieses unruhige, glaubenslose Sorgen ist ein Gräuel vor dem HErrn, ist verboten und der HErr spricht davon sein: „Sorget nicht!“ Es ist verboten in Betreff der Seele, es ist verboten in Betreff des Leibes. Zwar was die Seele anlangt, so ist eine unruhige Sorge dem Menschen, welchen das Licht der Wahrheit zum ersten Male anstrahlt, einigermaßen zu verzeihen, wenn es erlaubt ist, menschlich zu reden. Denn wenn man sich rathlos und verlaßen sieht, so erschrickt man, zumal wenn man sich zuvor einbildete, auf richtigem Wege zu wandeln. Indes ist doch auch diese Unruhe, welche die meisten im Anfang der Bekehrung ergreift, leicht zu stillen; denn es wird uns ja von Anfang an kund gethan, daß der HErr an unserer Statt alles für unsre Seelen gethan hat, daß Er uns das Reich und die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erkämpft hat. Auch wird uns von Anfang an gelehrt, wie das Reich Gottes zu uns kommt, und wie wir zum Glauben gelangen. Das Reich kommt zu uns durch das Wort und den heiligen Geist, und die Gerechtigkeit Christi wird desgleichen im Worte denen dargeboten, die da glauben. Der Weg zum Leben ist uns gezeigt, und eine ängstliche, grübelnde Sorge für die Seele bedarf es deshalb nicht. Er hat gesorgt, und wir haben von allem Anfang an ausgesorgt. Wenn gesagt wird, daß die Christen ihre Seligkeit mit Furcht und Zittern schaffen sollen, so bezieht sich diese Furcht und dieses Zittern nicht auf etwa doch noch übrige Ungewisheit unsrer Zukunft von Seiten Gottes, sondern auf unsre Unbeständigkeit im Guten und auf unsern alten Menschen. Wir sind schon selig in Hoffnung, es kann uns niemand um unsre Seligkeit bringen, als wir allein, − aber eben vor uns selbst haben wir uns am meisten zu fürchten. Wers recht bedenkt, den ergreift ein Zittern, welches aber an und für sich selbst die Ruhe und das Vertrauen einer gottverlobten Seele nicht stören muß, ein Vorbote sichern Gelingens ist, und von dem HErrn Selbst gelobt wird. Wie nun das ungläubige, angstvolle Sorgen in ewigen Dingen verboten ist; so viel mehr in zeitlichen Dingen. Sie sind zu gering, als daß ihretwegen eine Gott verlobte Seele in Unruhe und Angst gerathen sollte. Der HErr ist auch HErr über alles Zeitliche und versorgt uns ja. Wir sollen Dem, welcher die Seele versorgt hat, auch den Leib zur Versorgung überlaßen, und da Er für die Ewigkeit uns Rath geschafft hat, können wir Ihn über unsre Zeit geruhig walten laßen. − So einleuchtend das ist, so ist es doch bei einem jeglichen Menschen leicht in Vergeßenheit gebracht. Denn da wir von Natur nichts Gutes vermögen, sondern zu eitel Bösem geneigt sind, so ist ergebene Ruhe uns nicht leicht, ja nicht möglich; dagegen ist, je nachdem einer geartet ist, entweder sichre, gottvergeßende Ruhe oder glaubensloses Sorgen und Zagen das natürliche − und wir haben uns deshalb nach dieser einleitenden Erklärung über rechte und falsche Sorge nun hauptsächlich umzusehen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/432&oldid=- (Version vom 24.7.2016)