Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/435

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

aber auf einen, den er nicht hat; der Sorgenvolle ist also ein Götzendiener, wie der Geizhals. Er will Mitleid − und wofür? Dafür, daß er sich der allerschrecklichsten Sünde wider das erste Gebot ergibt, dafür, daß er beim Geruch des abwesenden Mammons schon Gottes vergißt und seine Hände ausstreckt nach dem fernen, goldenen Kalbe! Dafür will er bemitleidet werden! − Du schüttelst das Haupt? So meinst dus mit deinen Sorgen nicht? Der Sünde bist du nicht schuldig? Wie soll aber das zugehen? Niemand kann zween Herren dienen − ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon! Ihr könnet nicht, spricht der HErr. Und du kannst es doch? Du kannst sorgen, ohne daß du von ihnen verschlungen wirst? Du kannst den Mammon anbeten, ohne daß du von Gott abfällst? Wenn du jenen haßest, wirst du diesen lieben. Wenn du diesem anhangst, wirst du jenen verachten. − Ich will einmal setzen, du habest dich den Sorgen noch nicht ergeben, sondern du seiest bloß versucht von ihnen. Das ist ein günstigerer Fall, als der vorige, aber immerhin gefährlich genug; denn du bist in einer Versuchung zur Abgötterei und am Ende gar, ohne es zu wißen. Kämpfe dagegen! Laß den heilsamen Schrecken des Wortes Abgötterei auf dich wirken − und laß die nachfolgende Vorstellung der Treue Gottes auf dich wirken, daß du entrinnst der großen Sündenschuld!

 b. Wenn die bisherigen drei Stücke von Unklugheit, Glaubensmangel und Abgötterei der Sorgen eine Warnung vor diesen genannt werden dürfen; so liegt in der nachfolgenden Vorstellung der Treue Gottes eine Ermunterung zum Glauben an eine in Christo JEsu gnädige Vorsehung.

 Unter den Eigenschaften Gottes ist eine, welche niemand aus der Natur oder aus eingeborenen Begriffen beweisen kann. Sie hat einen so schönen deutschen Namen, daß gewis wenige andere Namen mit ihm verglichen werden können. Ich meine die Leutseligkeit Gottes. ER ist gewis selig auch ohne uns arme Leute, aber es ist doch gerade, als wenn Er Seine Seligkeit erst bei uns zu suchen hätte, so viele Mühe gibt Er Sich mit uns, so nahe kommt Er uns und so voll Freuden und Lieblichkeit ist Er gegen uns, wenn wir Ihn aufnehmen. Diese Leutseligkeit zeigt sich überhaupt, so oft der Sohn in des Vaters Namen mit uns redet, wie z. B. im heiligen Evangelium, sie zeigt sich aber auch insonderheit im Inhalt Seiner Reden insgemein − und so auch im Inhalt des heutigen Evangeliums. Höret, ihr Sorgenvollen, drei Sätze von der Leutseligkeit Gottes:

Der HErr sorgt für das Große, gibt das Große, sollte Er das Kleine nicht geben?
Der HErr versorgt Seine kleinsten, geringsten Creaturen; sollte Er für den Erstling und Letztling Seiner Schöpfung, für den Menschen nicht sorgen?
ER hat verschafft, daß ein jeder Tag für das Seine sorge, was sorgst du noch?

 Der HErr sorgt für das Große, gibt das Große; sollte Er das Kleine nicht geben? Das Leben hat Er dir gegeben, − den Leib hat Er dir gegeben. Leib und Leben hat Er gegeben − und Speise und Kleidung sollte Er nicht geben? Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? Ist Er etwa arm geworden? Hat Er Sich mit Leib und Leben im Geben übernommen? Ach nein! Alle Tage gibt Er neuen Creaturen Leib und Leben, Seel und Leib, Zeit und Ewigkeit, Himmelsbrot und Himmelstrank, Seinen Sohn und Seinen Geist, Seinen Himmel und Seine Seligkeit! Die Erde ist voll der Güte, der Leutseligkeit und Freundlichkeit des HErrn. Die Welt ist Seiner Ehre voll! Warum denn zagen und klagen und sorgen: der den Leib und das Leben gibt, gibt des Leibes und Lebens Nothdurft bis ans Ende!

 Der HErr versorgt die kleinsten Seiner Creaturen, sollte Er den Menschen nicht versorgen? Sieh nur die Vögel unter dem Himmel, die kleinen und zahllosen Vögel! Dazu nimm wahr die andern Thiere alle! Das Wild im Walde − das Gewürm in der Erde − die Thiere, die im Waßer, das du trinkst, in zahlloser Menge leben! Wie klein sind die Vögel, wie viel kleiner andere von den genannten Thieren! Diese alle vergißt Er nicht, keines vergißt Er! Seine Millionen geben Ihm Zeugnis, daß Er Sich aller Seiner Werke erbarmt! Er gibt ihnen ihre Speise zu seiner Zeit und sättiget alles, was lebt, mit Wohlgefallen! Und du wandelst unter den Millionen und siehst, wie gütig der HErr ist, wie Er alle und jede speist, − du siehst Seine milde aufgethane Hand, o Mensch, du König der Geschöpfe, und schämst dich nicht, zu seufzen, zu weinen, zu klagen, zu sorgen, daß es dir

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 096. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/435&oldid=- (Version vom 24.7.2016)