Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/436

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

fehlen möchte? Bist du denn nicht viel mehr, denn diese alle − und du traust deinem Schöpfer nicht so viel Liebe zu für dich, als er für den Wurm hat, auf den du trittst?

 Du siehst die harmlosen Kinder der Au, die Lilien, die Blumen und Blümlein alle, die keine Schande, noch Blöße zu decken haben, die bedeckt sind mit Licht und Glanz und Farben! Sie sind so schön, daß du wohl sie betrachten und bewundern darfst, ohne kindisch oder weibisch genannt zu werden, denn der HErr, der Zeuge aller Thiere und Menschen versichert uns, daß auch Salomo in seiner Herrlichkeit nicht bekleidet war, wie der Blumen eine! Wer macht sie alle so schön! Wer segnet sie mit ihrer Herrlichkeit? Es ist der HErr, der das Gras auf dem Felde ansieht und also kleidet! Heut steht es, morgen wird es in den Ofen geworfen. Es ist ein geringes Geschlecht, und der HErr vergißt sein nicht. Und die Erben der Seligkeit, die Er dereinst mit Seines Sohnes Unschuld und mit Leibern, dem Leibe Seines Sohnes ähnlich, kleiden wird, sollt Er in ihrer Niedrigkeit ohne Kleid und Schmuck laßen, − die Kinder des ewigen Lebens sollte Er vergeßen? Wer hätte Glauben und könnte das glaubwürdig finden! Nein! alle Millionen Menschen sollen auf Ihn hoffen und ein freudiges Nein rufen!

 Dazu was thun die Vögel? Sie säen und ärnten nicht und sammeln nicht in die Scheune. Und die Lilien? Sie arbeiten und spinnen nicht. Und ER versorgt sie doch! Und du hast eine Zukunft, für welche dich Gott zum bewußten Mitarbeiter erlesen hat! Du darfst unter deinen Händen, deiner Arbeit Seinen Segen keimen, wachsen, reifen sehen? Das Gedeihen deiner Arbeit gibt Er dir zum Angeld deßen, was du bedarfst. Er bekennt Sich zu deiner Arbeit − und sollte dein doch vergeßen? Lehrt dich deine Berufsarbeit nichts Beßeres? Ist kein Segen verheißen? – O stille! ER nährt und kleidet Vögel und Gras − ER wird die Seinen nicht verlaßen, noch versäumen!


 Aber du zweifelst? Du bist heute am Leben geblieben und satt worden; aber für morgen weißt du keine Auskunft! O du Kleingläubiger! Hörst du nicht, daß jeder Tag und Morgen nicht allein seine Last mitbringt, sondern auch sein Bedürfnis? „Der morgende Tag wird für das Seine sorgen.“ Der reiche Haushalter im Himmel hat für alle Tage das Nöthige versehen. Wenn der Tag durchs Thor der Morgenröthe tritt, sind seine Hände gefüllt, eine mit Weh und eine mit Freude. Wenn er kommt, siehst du seine Fülle noch nicht; aber man soll auch den Tag nicht vor dem Abend loben, nicht vor dem Abend schelten; am Abend aber ist jeder Tag lobenswerth, denn ein jeglicher legt seine Bürde und seine Gabe ab, beide als Geschenke des HErrn. So laß doch du die Tage sorgen, denen die Versorgung aufgetragen ist vom HErrn, du aber harre des HErrn und sei unverzagt!

 Ihr höret diese Vermahnung, ihr könnet nicht leugnen, daß sie schriftmäßig sei. Aber ihr findet euch trotz alle dem zu schwach, eure Sorgen abzulegen, abzuwehren und einen freudigen, unverzagten Muth zu faßen. Ich aber erkenne an dieser eurer Klage, daß es euch

 c. noch am besten fehlt, daß ihr eine unversorgte Seele habet. Wenn die Seele in Gottes Reich und mit Seiner Gerechtigkeit versorgt ist; so fehlt es auch im Leiblichen nicht an Ruhe und Zufriedenheit. Wer ein versorgtes Herz hat und die himmlischen, ewigen Güter empfangen hat; der ist von der Liebe Gottes, Seines Vaters, so gründlich überwiesen und überzeugt, daß er das Wort des HErrn: „Solches alles wird euch (als eine Zugabe) zufallen“ − nicht mehr anzweifelt, sondern als ein Gotteswort in vollen Ehren zu täglicher Erfahrung stehen läßt. Da heißt es: „Hat Gott uns Seinen Sohn geschenkt, sollt Er mit Ihm nicht alles schenken?“ − Warlich ja, es gibt Menschen, welche von den Dornen der Sorgen dieses Lebens frei geworden sind. Nicht die hatten Herzen meine ich, die vor Härtigkeit und Trägheit nicht sorgen, − nicht die Leichtsinnigen, welche auch Gottes Zorn nicht fürchten, sondern die Gläubigen, welche eine höhere Bestimmung, als dieses Leibes Bedürfnis kennen lernten, welche eine höhere Heimat suchen und auf sie hoffen. Sie wißen das Geheimnis, die Sorgen abzuwenden, und in JEsu Liebe zu ruhen. Ihnen ist es offenbart!

 Wollet ihr auch, meine Lieben, dies Geheimnis lernen; so weiß ich für euch keinen andern Weg, als den, auf welchem auch die Gläubigen zu ihrer Ruhe und Zufriedenheit gekommen sind. Dieser Weg ist in

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 097. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/436&oldid=- (Version vom 24.7.2016)