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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

was für Heilmittel unser Evangelium uns gegen falsches Sorgen darbietet, und zwar gegen das falsche Sorgen im Zeitlichen; denn davon hauptsächlich redet das Evangelium.

 3. Die Heilmittel gegen falsches Sorgen bestehen

a. in einer Vorstellung der Verkehrtheit falscher zeitlicher Sorgen;
b. in einer Vorstellung der versorgenden Treue Gottes;
c. in einer Ermunterung zu rechter Seelensorge, welche auch ein Geheimnis ist, aller zeitlichen Sorgen los zu werden und die beiden erstgenannten Mittel recht kräftig im Glauben angreifen zu können.

 a. Die Verkehrtheit zeitlicher Sorgen zeigt sich als Unklugheit. Das fleischliche Sorgen ist keine Lust, sondern eine Pein. Wenn sich nun einer eine Pein anthut zu seinem Nutzen, so kann man ihn nicht unklug nennen; denn die bittre Saat bringt eine süße Aernte. Wenn aber Jemand sich Pein anthut ohne Noth und ohne Nutzen, so kann man ihn gewis nicht klug nennen. Wer also seine Seele in Sorgen aufgehen läßt, thut sich ohne Nutzen Pein an, denn der HErr spricht: „Wer ist unter euch, der seiner (Lebens-)Länge (auch nur) eine Elle (Zeit) zusetzen könnte, ob er gleich darum sorgt?“ V. 27. Das muß auch Jedermann zugeben. Denn unter allen Menschen, die da leben und gelebt haben, ist gewis keiner, noch ist je einer gewesen, dem Sorgen und Grämen zum Zweck geholfen hätte. Wie unklug ist also der, welcher sich mit Sorgen quält! Er vergeudet und verschwendet seine Kraft und Zeit in Gram und Kummer und bleibt ihm davon so wenig übrig, als vom Feuer, wenn es verlöscht ist, oder vom Waßer, wenn es verdampft ist.

 Indes die Unklugheit ist doppelt. Das beweist sich so. Der HErr sagt im Evangelio, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe, − und auch das wird kein Mensch in Abrede stellen. Es ist kein Vergnügen so groß, daß es nicht neben her sein Misvergnügen hätte, − und so fröhlich der Tag ist, so hat er doch seine Plage zur Zugabe. Ein jeder Tag hat seine Plage − und ein Weiser nimmt sie aus der Hand Gottes im Frieden und mit Dank hin, denn sie wird ihm gewis zum Segen dienen. Ein Weiser wird aber auch an der Plage, die ein jeder Tag als eine göttliche Zulage mitbringt, genug haben, wird mit JEsu sprechen: „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Wenn man aber daran genug haben soll, so muß man nicht selbst noch durch Sorgen neue Plage hinzuthun. Die Lasten, die Gott auflegt, nimmt ER auch wieder ab zu Seiner Zeit; aber selbsterwählte Lasten muß der Mensch behalten, bis er ihren Grund in seiner Thorheit erkennt, und bis er nach erlangter Erkenntnis sie wieder ablegt. Mancher Mensch aber sieht es nicht ein, wenn er selbsterwählte Lasten trägt, daß er sich dieselben selbst auferlegt hat − und es geht nichts härter, als aufhören, sich selbst zu plagen; selbsterwählte Plagen hängen fest. Der ist darum wahrlich unklug genug, der zu den von Gott bestimmten Plagen seiner Tage noch aus eigener Wahl Sorgen, d. i. selbsterwählte Plagen auflädt. Sei weise mein Herz, und sorge nicht!


 Die Verkehrtheit falscher zeitlicher Sorgen erweist sich ferner als Glaubensmangel. Bei der Welt ist es freilich ein größerer Vorwurf, wenn man einen unklug nennt, als wenn man ihm Mangel des Glaubens Schuld gibt. Allein bei den Kindern Gottes ist der zweite Vorwurf größer, als der erste. Bin ich unklug, so schade ich zunächst nur mir und kein Beispiel findet weniger Anklang, bewirkt weniger Aergernis, als ein unkluges Beispiel. Wenn ich mich aber ungläubig erweise; so mangelt mir nicht nur selbst das Nöthigste, der Glaube, sondern ich beleidige überdieß meinen Gott, dem ich keinen Glauben schenke. Wenn ich die Aussagen eines ehrenwerthen glaubwürdigen Mannes in Zweifel ziehe, so liegt in meinem Benehmen ein und zwar nicht kleiner Tadel des Mannes. Was ist aber ein Mensch gegen Gott? Und was ist Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Menschen gegen den Zweifel an der Glaubwürdigkeit Gottes? Es ist schrecklich, die Worte des Wahrhaftigen anzuzweifeln. Das thut aber der, welcher sich weltlichen Sorgen ergibt. Christus spricht: „Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß alles bedürfet.“ Heißt das etwa: Er weiß es, aber Er gibts nicht? Wer es so auslegen würde, der würde Christo einen Spott in den Mund legen − man muß im Gegentheil das Wort so auslegen: Er weiß, daß ihrs bedürfet, und Er wird es auch an der Keinem mangeln laßen. Wenn du nun

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 094. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/433&oldid=- (Version vom 24.7.2016)