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Autor: Claire von Glümer
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Titel: Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient/Nr. 10
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 297–300
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Wilhelmine Schröder-Devrient, berühmte deutsche Opernsängerin
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[297]

Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer.
X.

Mit Künstlern und Kunstgenossen stand Wilhelmine Schröder-Devrient bis auf wenige Ausnahmen im freundlichsten Verhältniß. Sie war so begeistert für alles Schöne, so liebenswürdig in der Anerkennung jedes Verdienstes, jedes tüchtigen Strebens, vor allem so hinreißend und gewaltig in ihren eigenen Schöpfungen, daß sich der echte Künstler durch den Verkehr mit ihr erhoben, gefördert, begeistert fühlen mußte. Mittelbar, durch den belebenden Einfluß, den sie übte, hat sie vielleicht eben so viel geschaffen, wie durch eigene Thätigkeit. Sie war die Muse, deren Erscheinen genügt, um überall neues Leben, neue Blüthen hervor zu zaubern.

Richard Wagner sagt in seinem Vorwort zu den „drei Operndichtungen“:

… „Die Schröder-Devrient war es, die in mir einen Enthusiasmus edlerer Bedeutung anfachte. Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch: noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag, sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte.“ – Robert Schumann’s köstliches Lied: „Ich grolle nicht,“ ist nicht allein Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet, es ist gleichsam aus ihrer innersten Seele hervorgeklungen. Und wie [298] manche Rolle ist für sie geschaffen, wie manchem bildenden Künstler hat sie durch die plastische Schönheit ihrer Darstellungen die herrlichsten Vorbilder gegeben!

Ueber den Einfluß, den sie unmittelbar in ihrem Berufe übte, herrscht nur eine Stimme. Sie war im vollen Sinne des Wortes die Seele des Ganzen, das belebende, durchgeistigende, zusammenhaltende Princip. Jede Einzelnheit des darzustellenden Kunstwerkes behielt sie im Auge; sie ruhte nicht, bis jeder Ton, jede Miene, jede Bewegung harmonisch zum Ganzen strebte, und wenn es in mancher Beziehung für die Mitspielenden schwer war, sich neben ihr, neben der Gewalt ihrer Leidenschaft zu behaupten, so war es auf der anderen Seite wieder, als strömte eine Kraft von ihr aus, die Alles mit Feuer und Leben durchdrang.

Für ihre Dresdner Kunstgenossen war Wilhelmine Schröder-Devrient der beste Kamerad: anspruchslos, theilnehmend bei Freude und Leid, aufrichtig in Lob und Tadel, und von unermüdlicher Gefälligkeit. Ihre Börse, ihr Einfluß, ihr Talent standen jedem zu Gebot, der Anspruch daran machte, und besonders waren es die Schwachen, Unterdrückten, Schlechtbesoldeten, deren sich Wilhelmine in Wort und That eifrig annahm. Das Corps de Ballet, der Chor, die Mitglieder des Orchesters waren ihre erklärten Schützlinge; eine Kränkung, eine Ungerechtigkeit, die diesen wiederfuhr, nahm sie wie eine persönliche Beleidigung auf und kannte keine Rücksicht, wenn es galt ihre Lieblinge zu vertheidigen oder zu rächen.

Einmal z. B. wurde eine Composition des Kapellmeisters Morlacchi einstudirt. Morlacchi dirigirte selbst, war sehr übler Laune, hatte tausenderlei auszusetzen und rief endlich, indem er heftig mit dem Taktirstocke ausschlug: „Noch’mal singen! die Stelle war ganz schlecht, die Choristen haben gesungen wie die Schweine, wie die deutschen Schweine!“ Die Beleidigten selbst sowie die anwesenden Sänger und Sängerinnen blieben stumm, denn Morlacchi, ein intrignanter, rachsüchtiger Mensch, war damals eine sehr einflußreiche Persönlichkeit, und so wagte Niemand sich gegen ihn aufzulehnen. Nur Wilhelmine Schröder-Devrient trat mit blitzenden Augen aus dem Hintergrunde hervor. „Wenn Er doch einmal von Schweinen spricht,“ rief sie aus, „so will ich Ihm nur sagen, daß Er seine italienische Schweinemusik selber singen kann!“ dabei warf sie dem Herrn Hofkapellmeister ihr Notenblatt hin, kehrte ihm den Rücken und ging nach Hause.

Unermüdlich war sie, wenn es galt Andern ihre Aufgaben zu erleichtern. Manchem Sänger, mancher Sängerin hat sie ihre Rolle bis in die kleinste Kleinigkeit, Note für Note, Schritt für Schritt einstudirt. Es sind Künstler darunter, die später einen großen Ruf erlangt und in thörichter Eitelkeit Wilhelminens Einfluß auf ihre künstlerische Bildung vergessen oder doch verleugnet haben. – Einem etwas ungelenkigen jungen Mann, der es ihrer Verwendung verdankte, daß er aus dem Chor hervorgezogen und zum Solosänger ausgebildet wurde, hat sie stundenlang das Hinfallen eingeübt; mit einer Sängerin hat sie sich sechs Wochen lang gepeinigt, um sie die ersten Worte im Fidelio sprechen zu lehren. Von nah und fern wurde sie in Anspruch genommen. So habe ich unter ihren Papieren einen Brief von Frau Anschütz aus Wien – vom 6. Mai 1839 – gefunden, in dem es unter Anderm heißt:

„Empfangen Sie also unsern herzlichen, innigen Dank, daß Sie so gütig waren, meiner Auguste bei einer so schwierigen Aufgabe wie die Fenella in der Stummen von Portici hülfreich beizustehen. Ich wünsche weiter nichts, als daß Augustens Auffassungsvermögen von der Art gewesen sein möge, daß sie im Stande war, den poetischen Geist ihrer liebenswürdigen Lehrerin einigermaßen zu begreifen und durch Fleiß und Aufmerksamkeit die Mühe einer solchen Führerin zu belohnen. Sie schrieb mir voll Freude, daß sie mit dieser Leistung sehr glücklich gewesen sei und dies nur Ihrer vortrefflichen Leitung zu verdanken habe. Ueberhaupt scheint sich ihr junges Herz nicht nur der gefeierten Künstlerin, sondern mehr noch der liebenswürdigen, herzlich guten Frau zugewendet zu haben, denn in jedem Briefe gedenkt sie Ihres Namens und stets mit einer Wärme, daß sich schon manchmal eine kleine Eifersucht in mir hätte regen können; doch fand ich ihre Neigung auch wieder sehr natürlich, da es uns Allen ja auch nicht anders gegangen ist.“ – Und Wilhelmine selbst schreibt in einem Briefe aus Mannheim vom 31. Juli 1853 – als sie längst von der Bühne abgegangen war:

… „Eine Episode in meinem Stillleben hier war die vierzehntägige Anwesenheit von Fanny la Grua mit ihrer Mutter. Sie wünschte meinen Rath und meine Anweisung für vier bedeutende Rollen, welche sie zum Herbst in Wien singen soll. Die Rollen waren: Fidelio, Euryanthe, Doña Anna und Romeo! Vierzehn Tage waren allerdings eine kurze Frist; – ich habe für diese Rollen mein halbes Leben gebraucht.“

Von den gewöhnlichen Künstlerkrankheiten: Neid, Schadenfreude, Eifersucht, ist Wilhelmine Schröder-Devrient immer frei geblieben. Sie war stolz auf ihre künstlerische Begabung, sie wußte, daß sie schön war, aber eitel war sie in keiner Beziehung und nie hat sie sich nach ehrgeiziger Künstler und eitler Frauen Art durch die Bewunderung verletzt gefühlt, die Anderen zu Theil wurde. Gegen die Verirrungen des Geschmacks, die Überschätzungen des Mittelmäßigen, die launenhaften Bevorzugungen der Mode hat sie freilich immer, gewöhnlich in derb sarkastischer Weise, Opposition gemacht – und die davon Betroffenen haben ihr das nie verziehen –; aber was wirklich der Bewunderung werth war, hat Niemand freudiger begrüßt als Wilhelmine. Für Pepita’s Schönheit z. B. war sie ganz begeistert; von der Grazie der Taglioni sprach sie noch in der letzten Zeit mit Entzücken, und als sich im Mai tanzende Bayaderen in Dresden sehen ließen, wurde sie von der Anmuth dieser Mädchen so hingerissen, daß sie während der Vorstellung ein kostbares Armband abnahm und es der schönsten der Tänzerinnen umlegte.

Eben so enthusiastisch war sie in der Anerkennung künstlerischer Leistungen. Stundenlang konnte sie von Sophie Schröder, von der Rachel, von der Doche erzählen und ihnen mit begeistertem Gesicht ganze Scenen nachspielen. „Die Rachel war meiner Mutter gleich in der Gewalt der Leidenschaft und der Wahrheit des Ausdruckes,“ sagte sie; „aber an plastischer Schönheit übertraf die Rachel alle Künstlerinnen der Welt.“

Als Wilhelmine die Doche in der Dame aux camélias gesehen hatte, war sie von dem Aufschrei: „Ich kann nicht mehr!“ womit die Schwindsüchtige nach der Versöhnung mit dem Geliebten zusammenbricht, so erschüttert, daß sie sich weinend in ihren Wagen warf, weinend zu Hause ankam und sich stundenlang nicht fassen konnte. „Das war vollendete Kunst! das war wirkliches Leben!“ rief sie aus, als sie davon erzählte.

Nach einem Concerte des Pianisten Henselt – den 14. Januar 1837 – schrieb sie in ihr Tagebuch: „Henselt! meine Seele neigt sich in wehmüthigem Schauer vor seinem Genius, der mit einem Flammenschwert über unsere Häupter hinschwebt. Heilige Begeisterung, begeisterter Wahnsinn strömt aus diesen Fingerspitzen! Blasser, Armer, Kranker, Glücklicher, bald Aufgelöster! soviel Gottheit kann dein feiner Körper nicht lange beherbergen!“

Bei einer Gesellschaft im Carus’schen Hause kamen Wilhelmine Schröder-Devrient und die Ungher-Sabatier zusammen. Wilhelmine sang Schubert’sche Lieder, wie sie nach ihr wohl nie wieder gesungen werden. Ihre Zuhörer waren tief ergriffen – und doch war der Beifall noch größer, noch anhaltender, als nach ihr die Ungher Sabatier ein paar neapolitanische Volkslieder von wunderbarer Frische und Anmuth vortrug. Aber die wärmste Bewunderung, der herzlichste Dank wurde der Sängerin von Wilhelmine Schröder-Devrient zu Theil, die ihr mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens gegenüberstand und immer mehr zu hören verlangte. In der Freude an der Kunst vergaß Wilhelmine alle Nebenbuhlerschaft, und wie oft ist sie im geselligen Verkehr in liebenswürdigster Bescheidenheit in den Schatten getreten, um anderen Talenten Raum zu geben!

Im December 1848 gastirte die dänische Tänzerin Lucile Grahn in Dresden. Sie hatte, wie sie mir selbst erzählte, längst gewünscht, Wilhelmine Schröder-Devrient kennen zu lernen, aber es gelang ihr nicht, die Ersehnte an einem dritten Ort zu treffen – von der Bühne war sie damals schon zurückgetreten, und sie zu besuchen, wagte Lucile nicht, weil sie gehört hatte, daß sich die große Künstlerin über das Ballet im Allgemeinen sehr geringschätzend auszusprechen pflegte. Dennoch war Wilhelmine bei jeder Vorstellung Lucile’s im Theater, und die junge Tänzerin sah mit Zittern und Zagen nach dem Platze im Amphitheater, wo die Gefürchtete saß. Anfang Januar 1849 ging das Gastspiel zu Ende, und Lucile war eines Morgens eifrig mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt, als ihr eine fremde Dame mit einem prachtvollen Blumenstrauße gemeldet wurde. Es war Wilhelmine Schröder-Devrient, die der jungen Künstlerin einen Abschiedsgruß [299] bringen wollte. „Ich habe der Tanzkunst bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl ich alle ihre Berühmtheiten kenne,“ sagte sie in ihrer bezaubernd freundlichen Weise; „aber seit ich Sie gesehen habe, schwärme ich für Ihre Kunst. Da sehen Sie meine Hände, sie sind ganz roth, so habe ich geklatscht.“

… Ich verließ Dresden überglücklich, daß mein höchster Wunsch so reizend in Erfüllung gegangen war,“ erzählt Lucile Grahn in ihrem Briefe. „Ich baute Luftschlösser, wie ich oft mit ihr schöne Stunden verleben würde – aber die Maitage von 1849 machten meinen schönen Plänen ein Ende. Als ich wieder nach Dresden kam, war die geniale Frau schon abgereist und, wie es damals hieß, auf immer. Ein Jahr später hatte ich doch das Glück, sie in Berlin wiederzusehen, als ich dort gastirte. Sie suchte mich abermals auf, denn ich hatte ihre Ankunft noch nicht erfahren. Wir blieben dann einige Tage zusammen. Wie liebenswürdig war sie! Wie flog die Zeit, als wir da zusammen plauderten! Späterhin schickte sie mir ihr liebes Bild – es hängt in meinem Boudoir, und Alle bewundern ihre geistreichen Züge und ihre schwungvolle Handschrift.“ Unter das Bild hatte Wilhelmine geschrieben: „Der würdigsten Priesterin Terpsichorens zum freundlichen Gedächtniß an Wilhelmine Schröder-Devrient.“

Aber nicht immer wurde Wilhelminens Entgegenkommen freundlich erwidert. Die erste Kränkung in dieser Beziehung erfuhr sie in Berlin, als sie dort in den zwanziger Jahren gastirte. Sie wollte die Iphigenie in Tauris geben – früher eine Glanzrolle der Mildner-Hauptmann – machte der berühmten Frau einen Besuch, bat sie, der Vorstellung beizuwohnen und ihr über Auffassung und Darstellung der Rolle rückhaltslos ihr Urtheil zu sagen.

Frau Mildner, eine sehr große, stattliche Dame, richtete sich noch höher auf als gewöhnlich, sah die junge Künstlerin von oben herunter an, mit einer Miene, die deutlich sagte: was erlaubt sich das kleine Ding? und erwiderte nach inhaltschwerer Pause mit würdevollem Kopffchütteln: „Nein, mein liebes Kind, das kann ich nicht! Ich habe die Mildner-Hauptmann in dieser Rolle gekannt und mag nach ihr keine Andere darin sehen.“

Noch schlimmer erging es Wilhelminen mit der Rachel. Nachdem sie die große französische Tragödin ein paar Mal gesehen hatte, ließ sie ihr durch einen gemeinsamen Bekannten sagen, wie sehr sie sich danach sehne, ihr die Hand zu drücken und ihr mündlich ihre tiefe Bewunderung auszusprechen. „Antworten Sie der Dame, daß ich Männerbesuche sehr gern empfange,“ erwiderte die Rachel, „daß ich mir aber aus Frauenbesuchen und Frauenbewunderung nicht das Geringste mache.“

Auch in anderer Beziehung hat Wilhelmine wunderliche Erfahrungen machen müssen. Im Jahre 1849 oder 50 war sie in Schlangenbad, und bald nach ihr traf eine andere Sängerin von europäischem Rufe ein. „Sie kam und machte mir ihren Besuch,“ schreibt Wilhelmine. „Als sie mir gemeldet wurde, stand ich auf, um ihr entgegen zu gehen – ich fand es sehr liebenswürdig, daß sie mich aufsuchte – aber wie soll ich den Eindruck beschreiben, den ich empfing, als sie beim Eintritt in’s Zimmer auf die Kniee fiel, den Saum meines Kleides faßte und ihn küßte! Ich wußte nun, daß sie eine Komödiantin war, hob sie auf, so schnell ich konnte, – denn solche Scenen sind mir in den Tod zuwider – und fing ein vernünftiges Gespräch mit ihr an. – Einige Tage später circulirte in Schlangenbad das Gerücht, ich hätte den Musikern dafür, daß sie Morgens am Brunnen die Marseillaise gespielt, ein Dutzend Flaschen Wein geschickt. Es war eine Verwechselung, ein Herr hatte den Leuten das Geschenk für das Lied „Gott erhalte Franz den Kaiser“ zustellen lassen! Ich legte übrigens kein Gewicht auf die Sache und ignorirte sie, wie so viele auf meine Rechnung erfundene gute oder schlechte Geschichten. So hatte ich das Alles fast vergessen, als ich einige Tage später bei der jungen Sängerin anklopfte, um ihr meinen Gegenbesuch zu machen. Das Fräulein wäre nicht zu Haus, sagte der Diener, als ich meinen Namen nannte. Aber sie hatte gesungen, als ich in’s Vorzimmer trat; ich ließ mich also nicht abweisen und ging mit einem Scherz auf den Lippen dem Diener nach in den Salon – sah noch, wie die fliehende Künstlerin im Nebenzimmer verschwand, und stand Aug’ in Auge ihrer englischen Gesellschafterin gegenüber, die mir mit allem Stolze ihrer Nation zuschnarrte: „You shall never see Miss …, never!“ Ich lachte ihr natürlich in’s Gesicht, ging wieder heim und wußte durchaus nicht, was ich aus diesem Benehmen machen sollte, bis ich später erfuhr, daß ich das Glück, mit der Dame zu verkehren, durch den Korb Wein verscherzt hatte.“

Auf der andern Seite hat Wilhelmine Schröder-Devrient aber auch in der Künstler- und Dichterwelt Anerkennung und Verehrung im reichsten Maße gefunden. Unter ihren Papieren sind Briefe von Mendelssohn, Spontini, Meyerbeer, Ferdinand Hiller, Clara Schumann, Liszt und Bronsart; von Seidelmann, Cornet, beiden Genasts; von der Anschütz, der Ungher-Sabatier und Lucile Grahn; von Rietschel, Laube, Holtei, Theodor Hell und Böttiger; von Helmine von Chezy und Elise Polko, die Zeugniß dafür geben; selbst der Gelehrtenstand hat ihr durch Raumer und Carus seine Huldigungen dargebracht. Den Briefwechsel mit Carus, der aber erst in spätere Jahre fällt, bin ich ermächtigt vollständig abdrucken zu lassen. Hier folgen jetzt nur einige der früheren Briefe.

Darmstadt, 21. Oktober 1830. 
„Erst heute, holdseligste der Frauen, komme ich dazu, mit meiner liederlichen Handschrift auf Ihre zierliche Epistel zu antworten, weil die Entscheidung der Großherzogin erst gestern erfolgt ist … .
Es ist gestern befohlen worden, Ihren ersten Auftritt auf Dienstag, den 2. November, als Euryanthe festzusetzen; die zweite Gastrolle würde auf Sonntag den 7. fallen, und es ist dazu Don Juan gewählt worden.
Wie es bei uns zugeht, davon erlassen Sie mir wohl eine Schilderung. Kommen Sie nur aber ja gewiß; Sie werden wie der Geist über den Wassern schweben, und so lange Sie singen, müssen die streitenden Elemente schweigen.
Meine Frau grüßt Sie, von der Hoffnung Sie zu bewundern im Voraus entzückt. Küstner ist in Leipzig, Türkheim in Seligkeit, Madame Krüger in der Probe (vom Barbier), Viele in Wuth, Alles in Confusion! und der Teufel überall!
Wüßte man nur, daß Sie bei Zeiten eintreffen wollten, so käme man Ihnen mit Jubelklang entgegen. Mich finden Sie bis Mitternacht auf der Chaussee, damit ich der Erste sei, der Ihnen sein Willkommen zuruft.
Ihr Verehrer 
C. von Holtei.“  
Stuttgart, 18. Mai 1837. 
„Minna-Euryanthe, – Minna-Iphigenie – doch wozu die Namen der Kunstgebilde, wenn ich Minna Schröder begrüße? – Schon lange wollte ich Ihnen, hohe Künstlerin! einige Erinnerungsworte zurufen – indeß in Ihrer Wunderschöpfung Euryanthe lebt und blüht, wollt’ ich Ihnen gern schon so lange sagen, auch der Dichterin zu gedenken, die ahnungsvoll sie für Sie geschaffen.
Heut, da ein liebenswerther, junger Mann vom Neckarstrand – eine wahre Maiblüthe vom Lebensbaum der Poesie – nach London geht, gebe ich ihm diese Worte mit, die mein Andenken bei Ihnen auffrischen sollen. Empfangen Sie gütig und wohlwollend Herrn Niclas Müller und begeistern Sie ihn zu neuen Liedern; mir aber gönnen Sie die Hoffnung, auf deutschem Boden noch mehr als einen Ihrer Triumphe mitfeiern zu helfen und Blumen in Ihre unverwelklichen Kränze zu winden. Mit der feurigsten Bewunderung, verehrte Künstlerin!
Ihre Ergebene  
Helmine v. Chezy, geb. Fr. Klencke.“ 


Dresden, 10. Mai  
„Hochverehrte Künstlerin!
Wenn Ihnen an der Anerkennung eines ci-devant Kunstcollegen etwas liegt, so erlaube ich mir, Ihnen durch diese Zeilen vorläufig zu sagen, daß mich Ihre gestrige Gesammtleistung der Rebecca entzückt und das alte Blut in Wallung gebracht hat.
Ich sah diese Darstellung niemals von Ihnen und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die wahren lyrischen Künstler auch schlechte Libretti und verwutzelte Partituren zu unverdienter, in natura nicht gegründeter Anerkennung heben können! – denn ich heiße ein Libretto schlecht, das ganz überflüssige Figuren hat und ohne Causalnexus zusammen gemacht ist, und eine Musik verwutzelt, die sich in durchgehenden Noten der Mittel- und Füllinstrumente gefällt, um deutsche Schulmeister-Grammatik darzuthun.
Apollo und alle neun Musen erhalten Sie! wenigstens so lange noch, bis Eine kommt, die Sie nachahmt, die Ihnen nachstrebt! Erreichen wird Sie wohl schwerlich Eine, und so halte ich es für Pflicht, Ihnen meinen aufrichtigen, herzlichen Dank und wahre Hochachtung hierdurch auszusprechen. Wahre

[300] Kunst müssen wir unter uns selbst festhalten und anerkennen, denn für den Troß ist dergleichen – Caviar.

Bitte, lassen Sie mich wissen, wann ich Sie dieser Tage zu Hause treffe, um Ihnen Alles das und mehr mündlich zu wiederholen.
Ihr ganz ergebenster
Cornet.“ 


Berlin, 20. Sept. 1838.  
… Ihre Euryanthe war bewunderungswürdig; Sie haben aus dem zum Theil thörichten Text gemacht – mehr als man erwarten kann. Wie Sie dem Lysiart zuerst entgegentraten: ich fuhr unwillkürlich zusammen. Unübertrefflich! – An der nächsten Wendung, dem dummen Unglauben, dem Wahn: Mittheilen einer Historie und Treubruch sei dasselbe – sind Sie unschuldig. Hätten Sie dem Lysiart eine derbe Ohrfeige gegeben und dem Adolar gesagt, er sei ein Schafskopf, so wäre die Oper ohne den 3. Act zu Ende gekommen. In diesem hätte Weber ein paar hohe Noten nicht setzen und Sie hätten sie streichen sollen. Man kann sie fast nicht heraus singen, sondern muß schreien, was freilich die Meisten jetzt am meisten bewundern. Ich habe vor Allem das Milde, Gefühlvolle, Weiche in Ihrem Piano bewundert; ein Beweis, daß Sie immerfort lernen und üben. Das Genie hat Ihnen Gott in seiner Gnadenwahl gegeben; das stelle ich Ihnen nicht in Rechnung. Erfüllen Sie nun aber Ihren Beruf nicht, so verdienen Sie, daß er seine Gabe Ihnen entziehe. Also vorwärts, marsch, auf Reisige los! Auf Wiedersehen. Ihr ergebenster, dienstwilligster
v. Raumer.“ 


Im Febr. 1841 hatte Mendelssohn in Concert-Angelegenheiten an Wilhelmine geschrieben und den Brief adressirt:
An Madame Schröder-Devrient,
berühmte Künstlerin
 in Dresden.

Wahrscheinlich hatte sie eine Bemerkung darüber gemacht, denn in Mendelssohns nächstem Briefe heißt es zum Schluß:

… „Und die Adresse kann auch diesmal nicht geändert werden. Wenn einer von den hundert deutschen Titeln ’mal mit der That geführt wird, da darf er nicht fehlen. An die Frau Hof- oder Kammer-Sängerin adressirte ich Ihre Briefe mein Lebtag nicht.“
Der letzte Brief von Mendelssohn, der sich unter Wilhelminens Papieren befindet, ist vom 2. März 1845 und lautet:
„Liebe Madame Devrient!
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, um Sie zu bitten, am Palmsonntag in Dresden die Sopran-Partie in meinem Paulus zu singen. Es liegt mir so viel daran, es thäte mir so leid, wenn Sie gerade dann abwesend wären und nicht mitwirkten, daß ich nicht unterlassen kann, Ihnen diese meine dringende Bitte auszusprechen, obwohl ich von Herrn Capellmeister Reissiger gehört habe, daß Sie Ende März Ihre Urlaubsreise antreten und Anfang April schon zu Gastvorstellungen verpflichtet sind. Aber könnten Sie denn für den Palmsonntag nicht zurückkehren oder den ganzen Anfang der Reise aufschieben? Mit einem Wort: ist es unmöglich, daß Sie mir meine Bitte erfüllen? Seien Sie mir über jene Zumuthung nicht böse, aber ich kann’s mir und mag’s mir gar nicht denken, daß Sie abwesend wären, wenn ich zum ersten Male irgend etwas von meiner Musik in Dresden aufführen soll. Wenn Sie meine Bitte erfüllten, so thäten Sie mir und meinem Werke einen Gefallen, für den wir Beide Ihnen gewiß auf’s Herzlichste dankbar sein würden, freilich ich noch mehr als das Werk, das wohl noch dankbarer sein könnte und sollte als es ist. Indessen ich habe mir’s müssen von so mancherlei Leuten vorsingen lassen, gut und schlecht, ganz und getheilt (von einem dies Stück, von dem Anderen das), theatralisch und langweilig – nun möchte ich’s ’mal so hören, wie ich mir’s gedacht habe. Deshalb komme ich mit meinem Anliegen und deshalb bitte ich, erfüllen Sie mir’s.
Immer Ihr ganz ergebener
Felix Mendelssohn-Bartholdy.“