Entstehung der Arten (1876)/Fünftes Capitel

Viertes Capitel Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein (1876)
von Charles Darwin
Sechstes Capitel


[157]
Fünftes Capitel.
Gesetze der Abänderung.
Wirkungen veränderter Bedingungen.Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe in Verbindung mit natürlicher Zuchtwahl;Flieg- und Sehorgane.Acclimatisirung.Correlative Abänderung.Compensation und Öconomie des Wachsthums.Falsche Wechselbeziehungen.Vielfache, rudimentäre und niedrig organisirte Bildungen sind veränderlich.In ungewöhnlicher Weise entwickelte Theile sind sehr veränderlich;specifische mehr als Gattungscharactere.Secundäre Sexualcharactere veränderlich.Zu einer Gattung gehörige Arten variiren auf analoge Weise.Rückschlag zu längst verlorenen Characteren.Zusammenfassung.

Ich habe bisher von den Abänderungen – die so gemein und mannichfaltig im Culturzustande der Organismen und in etwas minderem Grade häufig in der freien Natur sind – zuweilen so gesprochen, als ob dieselben vom Zufall veranlaßt wären. Dies ist natürlich eine ganz incorrecte Ausdrucksweise; sie dient aber dazu unsere gänzliche Unwissenheit über die Ursache jeder besonderen Abweichung zu beurkunden. Einige Schriftsteller sehen es ebensosehr für die Function des Reproductivsystemes an, individuelle Verschiedenheiten oder ganz leichte Abweichungen des Baues hervorzubringen, wie das Kind den Eltern gleich zu machen. Aber die Thatsache des viel häufigeren Vorkommens von Abänderungen sowohl als von Monstrositäten bei den der Domestication unterworfenen als bei den im Naturzustande lebenden Organismen und die größere Veränderlichkeit der Arten mit weiten Verbreitungsgebieten als der mit beschränkter Verbreitung leiten mich zu der Folgerung, daß Variabilität in directer Beziehung zu den Lebensbedingungen steht, welchen jede Art mehrere Generationen lang ausgesetzt gewesen ist. Ich habe im ersten Capitel zu zeigen versucht, daß veränderte Bedingungen auf zweierlei Weise wirken, direct auf die ganze Organisation oder nur auf gewisse Theile, und indirect auf das Reproductivsystem. In allen diesen Fällen sind zwei Factoren vorhanden, die Natur des Organismus, welches der weitaus wichtigste [158] von beiden ist, und die Natur der Bedingungen. Die directe Wirkung veränderter Bedingungen führt zu bestimmten oder unbestimmten Resultaten. Im letzten Falle scheint die Organisation plastisch geworden zu sein, und wir finden eine große fluctuirende Variabilität. Im ersteren Falle ist die Natur des Organismus derartig, daß sie leicht nachgibt, wenn sie gewissen Bedingungen unterworfen wird, und alle oder nahezu alle Individuen werden in derselben Weise modificirt.

In wie weit Verschiedenheiten der äußeren Bedingungen, wie Clima, Nahrung u. s. w. in einer bestimmten Weise eingewirkt haben, ist sehr schwer zu entscheiden. Wir haben Grund zu glauben, daß im Laufe der Zeit die Wirkungen größer gewesen sind, als es durch irgend welche klare Belege als wirklich geschehen nachgewiesen werden kann. Wir können aber getrost schließen, daß die zahllosen zusammengesetzten Anpassungen des Baues, welche wir durch die ganze Natur zwischen verschiedenen organischen Wesen bestehen sehen, nicht einfach einer solcher Wirkung zugeschrieben werden können. In den folgenden Fällen scheinen die Lebensbedingungen eine geringe bestimmte Wirkung hervorgebracht zu haben. Edward Forbes behauptet, daß Conchylien an der südlichen Grenze ihres Verbreitungsbezirks und wenn sie in seichtem Wasser leben, glänzendere Farben annehmen, als dieselbe Art in ihrem nördlicheren Verbreitungsbezirk oder in größeren Tiefen darbietet. Doch ist dies gewiß nicht für alle Fälle richtig. Gould glaubt, daß Vögel derselben Art in einer stets heiteren Atmosphäre glänzender gefärbt sind, als wenn sie auf einer Insel oder in der Nähe der Küste leben. So ist auch Wollaston überzeugt, daß der Aufenthalt in der Nähe des Meeres Einfluß auf die Farben der Insecten habe. Moquin-Tandon gibt eine Liste von Pflanzen, welche an der Seeküste mehr oder weniger fleischige Blätter bekommen, wenn sie auch landeinwärts nicht fleischig sind. Diese unbedeutend abändernden Organismen sind insofern interessant, als sie Charactere darbieten, welche denen analog sind, welche die Arten zeigen, die auf ähnliche Lebensbedingungen beschränkt sind.

Wenn eine Abänderung für ein Wesen von dem geringsten Nutzen ist, so vermögen wir nicht zu sagen, wie viel davon von der häufenden Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl und wie viel von dem bestimmten Einfluß äußerer Lebensbedingungen herzuleiten ist. So ist es den Pelzhändlern wohl bekannt, daß Thiere einer Art um so dichtere und bessere Pelze besitzen, je weiter nach Norden sie gelebt [159] haben. Aber wer vermöchte zu sagen, wie viel von diesem Unterschied davon herrühre, daß die am wärmsten gekleideten Individuen viele Generationen hindurch begünstigt und erhalten worden sind, und wie viel von dem directen Einflusse des strengen Clima’s? Denn es scheint wohl, als ob das Clima einige unmittelbare Wirkung auf die Beschaffenheit des Haares unserer Hausthiere ausübe.

Man kann Beispiele dafür anführen, daß ähnliche Varietäten bei einer und derselben Species unter den denkbar verschiedensten Lebensbedingungen entstanden sind, während andererseits verschiedene Varietäten unter offenbar denselben äußeren Bedingungen zum Vorschein gekommen sind. So sind ferner jedem Naturforscher auch zahllose Beispiele von sich echt erhaltenden Arten ohne alle Varietäten bekannt, obwohl dieselben in den entgegengesetztesten Climaten leben. Derartige Betrachtungen veranlassen mich, weniger Gewicht auf den directen und bestimmten Einfluß der Lebensbedingungen zu legen, als auf eine Neigung zum Abändern, welche von Ursachen abhängt, über die wir vollständig unwissend sind.

In einem gewissen Sinne kann man sagen, daß die Lebensbedingungen nicht allein Veränderlichkeit entweder direct oder indirect verursachen, sondern auch natürliche Zuchtwahl einschließen; denn es hängt von der Natur der Lebensbedingungen ab, ob diese oder jene Varietät erhalten werden soll. Wenn aber der Mensch das zur Zucht auswählende Agens ist, dann sehen wir klar, daß diese zwei Elemente der Veränderung von einander verschieden sind; Veränderlichkeit wird in einer gewissen Weise angeregt; es ist aber der Wille des Menschen, welcher die Abänderungen in diesen oder jenen bestimmten Richtungen anhäuft, und es ist diese letzte Wirkung, welche dem Ueberleben des Passendsten im Naturzustande entspricht.


Wirkungen des vermehrten Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Theile unter der Leitung der natürlichen Zuchtwahl.

Die im ersten Capitel angeführten Thatsachen lassen wenig Zweifel übrig, daß bei unseren Hausthieren der Gebrauch gewisse Theile gestärkt und vergrößert und der Nichtgebrauch sie verkleinert hat, und daß solche Abänderungen erblich sind. In der freien Natur hat man keinen Maßstab zur Vergleichung der Wirkungen lang fortgesetzten Gebrauches oder Nichtgebrauches, weil wir die elterlichen Formen nicht [160] kennen; doch tragen manche Thiere Bildungen an sich, die sich am besten als Folge des Nichtgebrauches erklären lassen. Prof. R. Owen hat bemerkt, daß es keine größere Anomalie in der Natur gibt, als daß ein Vogel nicht fliegen könne, und doch sind mehrere Vögel in dieser Lage. Die südamericanische Dickkopfente kann nur über der Oberfläche des Wassers hinflattern und hat Flügel von fast der nämlichen Beschaffenheit wie die Aylesburyer Hausenten-Rasse; es ist eine merkwürdige Thatsache, daß nach der Angabe von Mr. Cunningham die jungen Vögel fliegen können, während die erwachsenen dies Vermögen verloren haben. Da die großen am Boden weidenden Vögel selten zu anderen Zwecken fliegen, als um einer Gefahr zu entgehen, so ist es wahrscheinlich, daß die fast ungeflügelte Beschaffenheit verschiedener Vogelarten, welche einige oceanische Inseln jetzt bewohnen oder früher bewohnt haben, wo sie keine Verfolgung von Raubthieren zu gewärtigen haben, vom Nichtgebrauche ihrer Flügel herrührt. Der Strauß bewohnt zwar Continente und ist von Gefahren bedroht, denen er nicht durch Flug entgehen kann; aber er kann sich selbst durch Stoßen mit den Füßen gegen seine Feinde so gut vertheidigen wie einige der kleineren Vierfüßer. Man kann sich vorstellen, daß der Urvater des Straußes eine Lebensweise etwa wie die Trappe gehabt habe, und daß er in dem Maße, als er in einer langen Generationsreihe immer größer und schwerer geworden ist, seine Beine mehr und seine Flügel weniger gebraucht habe, bis er endlich ganz unfähig geworden sei, zu fliegen.

Kirby hat bemerkt (und ich habe dieselbe Thatsache beobachtet), daß die Vordertarsen vieler männlicher Kothkäfer oft abgebrochen sind; er untersuchte siebenzehn Exemplare seiner Sammlung, und fand in keinem auch nur eine Spur mehr davon. Onitis Apelles hat seine Tarsen so gewöhnlich verloren, daß man dies Insect so beschrieben hat, als fehlten sie ihm gänzlich. In einigen anderen Gattungen sind sie wohl vorhanden, aber nur in verkümmertem Zustande. Dem Ateuchus oder heiligen Käfer der Aegypter fehlen sie gänzlich. Der Nachweis, daß zufällige Verstümmelungen erblich seien, ist für jetzt nicht entscheidend; aber der von Brown-Séquard beobachtete merkwürdige Fall von der Vererbung der an einem Meerschweinchen durch Beschädigung des Rückenmarks verursachten Epilepsie auf dessen Nachkommen sollte uns vorsichtig machen, wenn wir die Neigung dazu läugnen wollten. Daher scheint es vielleicht am gerathensten, den [161] gänzlichen Mangel der Vordertarsen des Ateuchus und ihren verkümmerten Zustand in einigen anderen Gattungen nicht als Fälle vererbter Verstümmelungen, sondern lieber als von der langfortgesetzten Wirkung ihres Nichtgebrauches bei deren Stammvätern abhängend anzusehen; denn da die Tarsen vieler Kothkäfer fast immer verloren gehen, so muß dies schon früh im Leben geschehen; sie können daher bei diesen Insecten weder von wesentlichem Nutzen sein, noch viel gebraucht werden.

In einigen Fällen können wir leicht dem Nichtgebrauche gewisse Abänderungen der Organisation zuschreiben, welche jedoch gänzlich oder hauptsächlich von natürlicher Zuchtwahl herrühren. Wollaston hat die merkwürdige Thatsache entdeckt, daß von den 550 Käferarten, welche Madeira bewohnen (man kennt aber jetzt mehr), 200 so unvollkommene Flügel haben, daß sie nicht fliegen können, und daß von den 29 endemischen Gattungen nicht weniger als 23 lauter solche Arten enthalten. Mehrere Thatsachen, – daß nämlich in vielen Theilen der Welt fliegende Käfer häufig in’s Meer geweht werden und zu Grunde gehen, daß die Käfer auf Madeira nach Wollaston’s Beobachtung meistens verborgen liegen, bis der Wind ruhet und die Sonne scheint, daß die Zahl der flügellosen Käfer an den ausgesetzten kahlen Desertas verhältnismäßig größer als in Madeira selbst ist, und zumal die außerordentliche Thatsache, worauf Wollaston so nachdrücklich aufmerksam macht, daß gewisse große, anderwärts äußerst zahlreiche Käfergruppen, welche durch ihre Lebensweise viel zu fliegen absolut genöthigt sind, auf Madeira beinähe gänzlich fehlen, – diese mancherlei Gründe lassen mich glauben, daß die ungeflügelte Beschaffenheit so vieler Käfer dieser Insel hauptsächlich von natürlicher Zuchtwahl, doch wahrscheinlich in Verbindung mit Nichtgebrauch herrühre. Denn während vieler aufeinander folgender Generationen wird jeder individuelle Käfer, der am wenigsten flog, entweder weil seine Flügel wenn auch um ein noch so geringes weniger entwickelt waren oder weil er der indolenteste war, die meiste Aussicht gehabt haben, alle anderen zu überleben, weil er nicht in’s Meer geweht wurde; und auf der anderen Seite werden diejenigen Käfer, welche am liebsten flogen, am öftesten in die See getrieben und vernichtet worden sein.

Diejenigen Insecten auf Madeira dagegen, welche sich nicht am Boden aufhalten und, wie die an Blumen lebenden Käfer und Schmetterlinge, von ihren Flügeln gewöhnlich Gebrauch machen müssen, um [162] ihren Unterhalt zu gewinnen, haben nach Wollaston’s Vermuthung keineswegs verkümmerte, sondern vielmehr stärker entwickelte Flügel. Dies ist mit der Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl völlig verträglich. Denn wenn ein neues Insect zuerst auf die Insel kommt, wird das Streben der natürlichen Zuchtwahl, die Flügel zu verkleinern oder zu vergrößern, davon abhängen, ob eine größere Anzahl von Individuen durch erfolgreiches Ankämpfen gegen die Winde, oder durch mehr oder weniger häufigen Verzicht auf diesen Versuch sich rettet. Es ist derselbe Fall, wie bei den Matrosen eines in der Nähe der Küste gestrandeten Schiffes; für diejenigen, welche gut schwimmen können, wäre es besser gewesen, wenn sie noch weiter hätten schwimmen können, während es für die schlechten Schwimmer besser gewesen wäre, wenn sie gar nicht hätten schwimmen können und sich an das Wrack gehalten hätten.

Die Augen der Maulwürfe und einiger wühlender Nager sind an Größe verkümmert und in manchen Fällen ganz von Haut und Pelz bedeckt. Dieser Zustand der Augen rührt wahrscheinlich von fortwährendem Nichtgebrauche her, dessen Wirkung aber vielleicht durch natürliche Zuchtwahl unterstützt wird. Ein südamericanischer Nager, der Tucu-tuco oder Ctenomys, hat eine noch mehr unterirdische Lebensweise als der Maulwurf, und ein Spanier, welcher oft dergleichen gefangen hatte, versicherte mir, daß derselbe oft ganz blind sei; einer, den ich lebend bekommen, war es gewiß und zwar, wie die Section ergab, in Folge einer Entzündung der Nickhaut. Da häufige Augenentzündungen einem jeden Thiere nachtheilig werden müssen, und da für Thiere mit unterirdischer Lebensweise die Augen gewiß nicht nothwendig sind, so wird eine Verminderung ihrer Größe, die Adhäsion der Augenlider und das Wachsthum des Felles über dieselben in solchem Falle für sie von Nutzen sein; und wenn dies der Fall, so wird natürliche Zuchtwahl die Wirkung des Nichtgebrauches beständig unterstützen.

Es ist wohl bekannt, daß mehrere Thiere aus den verschiedensten Classen, welche die Höhlen in Kärnthen und Kentucky bewohnen, blind sind. Bei einigen Krabben ist der Augenstiel noch vorhanden, obwohl das Auge verloren ist; das Teleskopengestell ist geblieben, obwohl das Teleskop mit seinen Gläsern fehlt. Da man sich schwer davon eine Vorstellung machen kann, wie Augen, wenn auch unnütz, den in Dunkelheit lebenden Thieren schädlich werden sollten, so schreibe ich ihren Verlust auf Rechnung des Nichtgebrauchs. Bei [163] einer der blinden Thierarten nämlich, bei der Höhlenratte (Neotoma), wovon Professor Silliman eine halbe englische Meile weit einwärts vom Eingange und mithin noch nicht gänzlich im Hintergrunde zwei gefangen hatte, waren die Augen groß und glänzend und erlangten, wie mir Silliman mitgetheilt, nachdem sie einen Monat lang allmählich verstärktem Lichte ausgesetzt worden waren, ein unklares Wahrnehmungsvermögen für Gegenstände.

Es ist schwer, sich ähnlichere Lebensbedingungen vorzustellen, als tiefe Kalksteinhöhlen in nahezu ähnlichem Clima, so daß, wenn man von der gewöhnlichen Ansicht ausgeht, daß die blinden Thiere für die americanischen und für die europäischen Höhlen besonders erschaffen worden seien, auch eine große Ähnlichkeit derselben in Organisation und Verwandtschaft hätte erwartet werden können. Dies ist aber zwischen den beiderseitigen Faunen im Ganzen genommen keineswegs der Fall und Schiödte bemerkt allein in Bezug auf die Insecten, daß die ganze Erscheinung nur als eine rein örtliche betrachtet werden dürfe, indem die Ähnlichkeit, die sich zwischen einigen wenigen Bewohnern der Mammuthhöhle in Kentucky und der Kärnthner Höhlen herausstellte, nur ein ganz einfacher Ausdruck der Analogie sei, die zwischen den Faunen Nord-Americas und Europas überhaupt bestehe. Nach meiner Meinung muß man annehmen, daß americanische Thiere meist mit gewöhnlichem Sehvermögen in nacheinanderfolgenden Generationen von der äußeren Welt immer tiefer und tiefer in die entferntesten Schlupfwinkel der Kentuckyer Höhle eingedrungen sind, wie es europäische in die Höhlen von Kärnthen gethan. Und wir haben einigen Anhalt für diese stufenweise Veränderung der Lebensweise; denn Schiödte bemerkt: „Wir betrachten demnach diese unterirdischen Faunen als kleine in die Erde eingedrungene Abzweigungen der geographisch begrenzten Faunen der nächsten Umgegenden, welche in dem Grade, als sie sich weiter in die Dunkelheit hineinerstreckten, sich den sie umgebenden Verhältnissen anpaßten; Thiere, von gewöhnlichen Formen nicht sehr entfernt, bereiten den Übergang vom Tage zu Dunkelheit vor; dann folgen die für’s Zwielicht gebildeten und zuletzt endlich die für’s gänzliche Dunkel bestimmten, deren Bildung ganz eigentümlich ist.“ Diese Bemerkungen Schiödte’s beziehen sich aber, was zu beachten ist, nicht auf einerlei, sondern auf ganz verschiedene Species. Während der Zeit, in welcher ein Thier nach zahllosen Generationen die hintersten Theile der Höhle erreicht hat, wird nach dieser [164] Ansicht Nichtgebrauch die Augen mehr oder weniger vollständig unterdrückt und natürliche Zuchtwahl oft andere Veränderungen erwirkt haben, die, wie verlängerte Fühler oder Freßspitzen, einigermaßen das Gesicht ersetzen. Ungeachtet dieser Modificationen dürfen wir erwarten, bei den Höhlenthieren Americas noch Verwandtschaften mit den andern Bewohnern dieses Continents, und bei den Höhlenbewohnern Europas solche mit den übrigen europäischen Thieren zu sehen. Und dies ist bei einigen americanischen Höhlenthieren der Fall, wie ich von Professor Dana höre; ebenso stehen einige europäische Höhleninsecten manchen in der Umgegend der Höhlen wohnenden Arten ganz nahe. Es dürfte sehr schwer sein, eine vernünftige Erklärung von der Verwandtschaft der blinden Höhlenthiere mit den andern Bewohnern der beiden Continente aus dem gewöhnlichen Gesichtspunkte einer unabhängigen Erschaffung zu geben. Daß einige von den Höhlenbewohnern der Alten und der Neuen Welt in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu einander stehen, läßt sich aus den wohlbekannten Verwandtschaftsverhältnissen ihrer meisten übrigen Erzeugnisse zu einander erwarten. Da eine blinde Bathyscia-Art an schattigen Felsen außerhalb der Höhlen in großer Anzahl gefunden wird, so hat der Verlust des Gesichtes bei der die Höhle bewohnenden Art dieser einen Gattung wahrscheinlich in keiner Beziehung zum Dunkel ihrer Wohnstätte gestanden; denn es ist ganz begreiflich, daß ein bereits des Sehvermögens beraubtes Insect sich an die Bewohnung einer dunklen Höhle leicht accomodiren wird. Eine andere blinde Gattung, Anophthalmus, bietet die merkwürdige Eigenthümlichkeit dar, daß, wie Murray bemerkte, ihre verschiedenen Arten bis jetzt nirgend anders gefunden worden sind, als in Höhlen; doch sind die, welche die verschiedenen Höhlen von Europa und von America bewohnen, von einander verschieden. Es ist jedoch möglich, daß die Stammväter dieser verschiedenen Species, während sie noch mit Augen versehen waren, früher über beide Continente weit verbreitet gewesen und dann ausgestorben sind, ausgenommen an ihren jetzigen engen Wohnstätten. Weit entfernt mich darüber zu wundern, daß einige der Höhlenthiere von sehr anomaler Beschaffenheit sind, wie Agassiz von dem blinden Fische Amblyopsis bemerkt, und wie es mit dem blinden Amphibium Proteus in Europa der Fall ist, bin ich vielmehr erstaunt, daß sich darin nicht mehr Trümmer alten Lebens erhalten haben, da die Bewohner solcher dunkler Wohnungen einer minder strengen Concurrenz ausgesetzt gewesen sein müssen.

[165]
Acclimatisirung.

Gewohnheit ist bei Pflanzen erblich, so in Bezug auf Blüthezeit, die Zeit des Schlafes, die für die Samen zum Keimen nöthige Regenmenge u. s. w., und dies veranlaßt mich, hier noch Einiges über Acclimatisirung zu sagen. Da es äußerst gewöhnlich ist, daß verschiedene Arten einer und derselben Gattung heiße, sowie kalte Gegenden bewohnen, so muß, wenn es richtig ist, daß alle Arten einer Gattung von einer einzigen elterlichen Form abstammen, Acclimatisirung während einer langen continuirlichen Descendenz leicht bewirkt werden können. Es ist notorisch, daß jede Art dem Clima ihrer eigenen Heimath angepaßt ist; Arten aus einer arctischen oder auch nur aus einer gemäßigten Gegend können in einem tropischen Clima nicht ausdauern, und umgekehrt. So können auch ferner manche Fettpflanzen nicht in einem feuchten Clima fortkommen. Doch wird der Grad der Anpassung der Arten an das Clima, worin sie leben, oft überschätzt. Wir können dies schon aus unserer oftmaligen Unfähigkeit, vorauszusagen, ob eine eingeführte Pflanze unser Clima vertragen werde oder nicht, sowie aus der großen Anzahl von Pflanzen und Thieren entnehmen, welche aus wärmerem Clima zu uns verpflanzt hier ganz wohl gedeihen. Wir haben Grund anzunehmen, daß Arten im Naturzustande durch die Concurrenz anderer organischer Wesen eben so sehr oder noch stärker, als durch ihre Anpassung an besondere Climate in ihrer Verbreitung beschränkt werden. Mag aber diese Anpassung im Allgemeinen eine sehr genaue sein oder nicht: wir haben bei einigen wenigen Pflanzenarten Beweise, daß dieselben schon von der Natur in gewissem Grade an ungleiche Temperaturen gewöhnt, d. h. acclimatisirt werden. So zeigen die Pinus- und Rhododendron-Arten, welche aus Samen erzogen worden sind, die Dr. Hooker von denselben, aber in verschiedenen Höhen am Himalaja wachsenden Arten gesammelt hat, hier in England ein verschiedenes Vermögen der Kälte zu widerstehen. Herr Thwaites theilt mir mit, daß er ähnliche Thatsachen auf Ceylon beobachtet habe, und H. C. Watson hat ähnliche Erfahrungen mit europäischen Arten von Pflanzen gemacht, die von den Azoren nach England gebracht worden sind; und ich könnte noch weitere Fälle anführen. In Bezug auf Thiere ließen sich manche wohl beglaubigte Fälle anführen, daß Arten binnen geschichtlicher Zeit ihre Verbreitung weit aus wärmeren nach kälteren Zonen oder umgekehrt [166] ausgedehnt haben; jedoch wissen wir nicht mit Bestimmtheit, ob diese Thiere ihrem heimathlichen Clima enge angepaßt gewesen sind, obwohl wir dies in allen gewöhnlichen Fällen voraussetzen; auch wissen wir nicht, ob sie später eine specielle Acclimatisirung an ihre neue Heimath erfahren haben, so daß sie derselben besser angepasst wurden, als sie es erst waren.

Da wir annehmen können, daß unsere Hausthiere ursprünglich von noch uncivilisirten Menschen gewählt worden sind, weil sie ihnen nützlich und in der Gefangenschaft leicht fortzupflanzen waren, und nicht wegen ihrer erst später gefundenen Tauglichkeit zu weit ausgedehnter Verpflanzung, so kann das gewöhnlich vorhandene und außerordentliche Vermögen unserer Hausthiere nicht bloß die verschiedensten Climate auszuhalten, sondern in diesen (ein viel gewichtigeres Zeugnis) vollkommen fruchtbar zu sein, als Argument dafür dienen, daß auch eine verhältnismäßig große Anzahl anderer Thiere, die sich jetzt noch im Naturzustande befinden, leicht dazu gebracht werden könnte, sehr verschiedene Climate zu ertragen. Wir dürfen jedoch die vorstehende Folgerung nicht zu weit treiben, weil einige unserer Hausthiere wahrscheinlich von verschiedenen wilden Stämmen herrühren, wie z. B. in unseren Haushundrassen das Blut eines tropischen und eines arctischen Wolfes gemischt sein könnte. Ratten und Mäuse können nicht als Hausthiere angesehen werden; und doch sind sie vom Menschen in viele Theile der Welt übergeführt worden und besitzen jetzt eine viel weitere Verbreitung als irgend ein anderes Nagethier, indem sie frei unter dem kalten Himmel der Faröer im Norden und der Falklands-Inseln im Süden, wie auf vielen Inseln der Tropenzone leben. Daher kann man die Anpassung an ein besonderes Clima als eine, leicht auf eine angeborene, den meisten Thieren eigene, weite Biegsamkeit der Constitution gepfropfte Eigenschaft betrachten. Dieser Ansicht zufolge hat man die Fähigkeit des Menschen selbst und seiner meisten Hausthiere, die verschiedensten Climate zu ertragen, und die Thatsache, daß die ausgestorbenen Elephanten und Rhinocerosarten ein Eisclima ertragen haben, während deren jetzt lebende Arten alle eine tropische oder subtropische Heimath haben, nicht als Anomalien zu betrachten, sondern lediglich als Beispiele einer sehr gewöhnlichen Biegsamkeit der Constitution anzusehen, welche nur unter besonderen Umständen zur Geltung gelangt ist.

[167] Wie viel von der Acclimatisirung der Arten an ein besonderes Clima bloß Gewohnheitssache sei, und wie viel von der natürlichen Zuchtwahl von Varietäten mit verschiedenen angeborenen Körperverfassungen abhänge, oder wie weit beide Ursachen zusammenwirken, ist eine dunkle Frage. Daß Gewohnheit und Übung einigen Einfluß habe, muß ich sowohl nach der Analogie als nach den immer wiederkehrenden Warnungen wohl glauben, welche in allen landwirthschaftlichen Werken, selbst in alten chinesischen Encyclopädien, enthalten sind, recht vorsichtig bei Versetzung von Thieren aus einer Gegend in die andere zu sein. Und da es nicht wahrscheinlich ist, daß die Menschen mit Erfolg so viele Rassen und Unterrassen ausgewählt haben, welche ihren eigenen Gegenden angepasste Constitutionen gehabt hätten, so muß das Ergebnis, wie ich denke, vielmehr von der Gewöhnung herrühren. Andererseits würde die natürliche Zuchtwahl beständig diejenigen Individuen zu erhalten streben, welche mit den für ihre Heimathgegenden am besten geeigneten Körperverfassungen geboren sind. In Schriften über verschiedene Sorten cultivirter Pflanzen heißt es von gewissen Varietäten, daß sie dieses oder jenes Clima besser als andere ertragen. Dies ergibt sich sehr schlagend aus den in den Vereinigten Staaten erschienenen Werken über Obstbaumzucht, worin beständig gewisse Varietäten für die nördlichen und andere für die südlichen Staaten empfohlen werden; und da die meisten dieser Abarten noch neuen Ursprungs sind, so kann man die Verschiedenheit ihrer Constitutionen in dieser Beziehung nicht der Gewöhnung zuschreiben. Man hat selbst die Jerusalem-Artischoke, welche sich in England nie aus Samen fortgepflanzt und daher niemals neue Varietäten geliefert hat (denn sie ist jetzt noch so empfindlich wie je), als Beweis angeführt, daß es nicht möglich sei, eine Acclimatisirung zu bewirken; zu gleichem Zwecke hat man sich auch oft auf die Schminkbohne, und zwar mit viel größerem Nachdrucke berufen. So lange aber nicht Jemand einige Dutzend Generationen hindurch Schminkbohnen so frühzeitig ausgesäet hat, daß ein sehr großer Theil derselben durch Frost zerstört wurde, und dann mit der gehörigen Vorsicht zur Vermeidung von Kreuzungen seine Samen von den wenigen überlebenden Stücken genommen und von deren Sämlingen mit gleicher Vorsicht abermals seine Samen erzogen hat, so lange wird man nicht sagen können, daß auch nur der Versuch angestellt worden sei. Auch darf man nicht annehmen, daß nicht zuweilen [168] Verschiedenheiten in der Constitution dieser verschiedenen Bohnensämlinge zum Vorschein kämen; denn es ist bereits ein Bericht darüber erschienen, um wie viel einige dieser Arten härter sind als andere; auch habe ich selbst ein sehr auffallendes Beispiel dieser Thatsache beobachtet.

Im Ganzen kann man, glaube ich, schließen, daß Gewöhnung oder Gebrauch und Nichtgebrauch in manchen Fällen einen beträchtlichen Einfluß auf die Abänderung der Constitution und des Baues ausgeübt haben; daß jedoch diese Wirkungen oft in ansehnlichem Grade mit der natürlichen Zuchtwahl angeborener Varietäten combinirt, zuweilen von ihr überboten worden ist.


Correlative Abänderung.

Ich will mit diesem Ausdrucke sagen, daß die ganze Organisation während ihrer Entwickelung und ihres Wachsthums so unter sich verkettet ist, daß, wenn in irgend einem Theile geringe Abänderungen erfolgen und von der natürlichen Zuchtwahl gehäuft werden, auch andere Theile geändert werden. Dies ist ein sehr wichtiger, aber äußerst unvollständig gekannter Punkt, auch können hier ohne Zweifel leicht völlig verschiedene Classen von Thatsachen mit einander verwechselt werden. Wir werden gleich sehen, daß einfache Vererbung oft fälschlich den Schein einer Correlation darbietet. Eins der augenfälligsten Beispiele wirklicher Correlation ist, daß Abänderungen im Baue der Larve oder des Jungen naturgemäß auch die Organisation des Erwachsenen zu berühren streben. Die mehrzähligen homologen und in einer frühen Embryonalzeit im Bau mit einander identischen Theile des Körpers, welche auch nothwendig ähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind, scheinen außerordentlich geneigt zu sein, in verwandter Weise zu variiren; wir sehen dies an der rechten und linken Seite des Körpers, welche in gleicher Weise abzuändern pflegen, an den vorderen und hinteren Gliedmaßen und sogar an den Kinnladen, welche in gleicher Weise wie die Gliedmaßen variiren, wie ja einige Anatomen den Unterkiefer für ein Homologon der Gliedmaßen halten. Diese Neigungen können, wie ich nicht bezweifle, durch natürliche Zuchtwahl mehr oder weniger vollständig beherrscht werden; so hat es einmal eine Hirschfamilie nur mit dem Gehörne der einen Seite gegeben, und wäre diese Eigenheit von irgend einem [169] größeren Nutzen gewesen, so würde sie durch natürliche Zuchtwahl vermuthlich bleibend gemacht worden sein.

Homologe Theile streben, wie einige Autoren bemerkt haben, zu verwachsen, wie man es oft in monströsen Pflanzen sieht; und nichts ist gewöhnlicher, als die Vereinigung homologer Theile in normalen Bildungen, wie z. B. die Vereinigung der Kronenblätter in eine Röhre. Harte Theile scheinen auf die Form anliegender, weicher einzuwirken; wenn denn einige Schriftsteller glauben, daß bei den Vögeln die Verschiedenheit in der Form des Beckens die merkwürdige Verschiedenheit in der Form ihrer Nieren verursache. Andere glauben, daß beim Menschen die Gestalt des Beckens der Mutter durch Druck auf die Schädelform des Kindes wirke. Bei Schlangen bedingen nach Schlegel die Form des Körpers und die Art des Schlingens die Form mehrerer der wichtigsten Eingeweide.

Die Natur des correlativen Bandes ist sehr oft ganz dunkel. Isidore Geoffroy Saint-Hilaire hat auf nachdrückliche Weise hervorgehoben, daß gewisse Misbildungen sehr häufig und andere sehr selten zusammen vorkommen, ohne daß wir irgend einen Grund anzugeben vermöchten. Was kann eigenthümlicher sein, als bei Katzen die Beziehung zwischen völliger Weiße und blauen Augen einer- und Taubheit andererseits, oder zwischen einem gelb, schwarz und weiß gefleckten Pelze und dem weiblichen Geschlechte; oder bei Tauben die Beziehung zwischen den gefiederten Füßen und der Spannhaut zwischen den äußeren Zehen, oder die zwischen der Anwesenheit von mehr oder weniger Flaum an den eben ausgeschlüpften Vögeln mit der künftigen Farbe ihres Gefieders; oder endlich die Beziehung zwischen Behaarung und Zahnbildung des nackten türkischen Hundes, obschon hier zweifellos Homologie mit in’s Spiel kommt? Mit Bezug auf diesen letzten Fall von Correlation scheint es mir kaum zufällig zu sein, daß diejenigen zwei Säugethierordnungen, welche am abnormsten in ihrer Hautbekleidung, auch am abweichendsten in ihrer Zahnbildung sind: nämlich die Cetaceen (Wale) und die Edentaten (Schuppenthiere, Gürtelthiere u. s. w.); es finden sich indessen so viele Ausnahmen von dieser Regel, wie Mr. Mivart bemerkt hat, daß sie geringen Werth hat.

Ich kenne keinen Fall, der besser geeignet wäre, die große Bedeutung der Gesetze der Correlation und Variation, unabhängig von der Nützlichkeit und somit auch von der natürlichen Zuchtwahl, darzuthun, [170] als den der Verschiedenheit der äußeren und inneren Blüthen im Blüthenstande einiger Compositen und Umbelliferen. Jedermann kennt den Unterschied zwischen den mittleren und den Randblüthen z. B. des Gänseblümchens (Bellis), und diese Verschiedenheit ist oft mit einer theilweisen oder vollständigen Verkümmerung der reproductiven Organe verbunden. Aber in einigen Compositen unterscheiden sich auch die Früchte der beiderlei Blüthen in Größe und Sculptur. Diese Verschiedenheiten sind von einigen Botanikern dem Drucke der Hüllen auf die Blüthen oder ihrem gegenseitigen Drucke zugeschrieben worden, und die Fruchtformen in den Strahlenblumen dieser Pflanzen unterstützen diese Ansicht; keineswegs lassen aber, wie mir Dr. Hooker mittheilt, bei den Umbelliferen die Arten mit den dichtesten Umbellen am häufigsten eine Verschiedenheit zwischen den inneren und äußeren Blüthen wahrnehmen. Man hätte denken können, daß die Entwickelung der randständigen Kronenblätter die Verkümmerung der reproductiven Organe dadurch veranlaßt hätte, daß sie ihnen Nahrung entzögen; dies kann aber kaum die einzige Ursache sein; denn bei einigen Compositen zeigt sich ein Unterschied in der Größe der Früchte der inneren und der Strahlenblüthen, ohne irgend eine Veränderung der Krone. Möglich, daß diese mancherlei Unterschiede mit irgend einem Unterschiede in dem Zufluß der Säfte zu den mittel- und den randständigen Blüthen zusammenhängen; wir wissen wenigstens, daß bei unregelmäßigen Blüthen die der Achse zunächst stehenden am öftesten der Pelorienbildung unterworfen sind, d. h. in abnormer Weise regelmäßig werden. Ich will als Beispiel hiervon und zugleich als auffallenden Fall von Correlation anführen, daß bei vielen Pelargonien die zwei oberen Kronenblätter der centralen Blüthe der Dolde oft die dunkler gefärbten Flecken verlieren und daß, wenn dies der Fall ist, das anhängende Nectarium gänzlich verkümmert; hierdurch wird die centrale Blüthe pelorisch oder regelmäßig. Fehlt der Fleck nur an einem der zwei oberen Kronenblätter, so wird das Nectarium nicht vollständig abortirt, sondern nur stark verkürzt.

Hinsichtlich der Entwickelung der Blumenkronen ist C. C. Sprengel’s Idee, daß die Strahlenblumen zur Anziehung der Insecten bestimmt seien, deren Wirksamkeit für die Befruchtung dieser Pflanzen äußerst vortheilhaft oder nothwendig ist, sehr wahrscheinlich, und wenn sich die Sache wirklich so verhält, so kann natürliche Zuchtwahl mit in’s Spiel kommen. Dagegen scheint es unmöglich, daß [171] die Verschiedenheit zwischen dem Bau der äußeren und der inneren Früchte, welche nicht immer in Correlation mit irgend einer verschiedenen Bildung der Corolle steht, irgend wie den Pflanzen von Nutzen sein kann. Jedoch erscheinen bei den Doldenpflanzen die Unterschiede von so auffallender Wichtigkeit (da in mehreren Fällen die Früchte der äußeren Blüthen orthosperm und die der mittelständigen coelosperm sind), daß der ältere DeCandolle seine Hauptabtheilungen in dieser Pflanzenordnung auf derartige Verschiedenheiten gründete. Modificationen der Structur, welche von Systematikern als sehr werthvoll betrachtet werden, können daher von gänzlich unbekannten Gesetzen der Abänderung und der Correlation bedingt sein, und zwar, so weit wir es beurtheilen können, ohne selbst den geringsten Vortheil für die Species darzubieten.

Wir können irriger Weise der correlativen Abänderung oft solche Bildungen zuschreiben, welche ganzen Artengruppen gemein sind und welche in Wahrheit ganz einfach von Erblichkeit abhängen. Denn ein alter Urerzeuger kann durch natürliche Zuchtwahl irgend eine Eigenthümlichkeit seiner Structur und nach Tausenden von Generationen irgend eine andere davon unabhängige Abänderung erlangt haben; und wenn dann beide Modificationen auf eine ganze Gruppe von Nachkommen mit verschiedener Lebensweise übertragen worden sind, so wird man natürlich glauben, sie stünden in einer nothwendigen Wechselbeziehung mit einander. Einige andere Correlationen sind offenbar nur von der Art und Weise bedingt, in welcher die natürliche Zuchtwahl ihre Thätigkeit allein äußern kann. Wenn z. B. Alphons De Candolle bemerkt, daß geflügelte Samen nie in Früchten vorkommen, die sich nicht öffnen, so möchte ich diese Regel durch die Thatsache erklären, daß Samen unmöglich durch natürliche Zuchtwahl allmählich beflügelt werden können, außer in Früchten, die sich öffnen; denn nur in diesem Falle können diejenigen Samen, welche etwas besser zur weiten Fortführung geeignet sind, vor andern, weniger zu einer weiten Verbreitung geeigneten, einen Vortheil erlangen.


Compensation und Oekonomie des Wachsthums.

Der ältere Geoffroy und Goethe haben fast gleichzeitig ein Gesetz aufgestellt, das der Compensation oder des Gleichgewichts des [172] Wachsthums, oder, wie Goethe sich ausdrückt, „die Natur ist genöthigt, auf der einen Seite zu öconomisiren, um auf der andern mehr geben zu können.“ Dies paßt in gewisser Ausdehnung, wie mir scheint, ganz gut auf unsere Culturerzeugnisse; denn wenn einem Theile oder Organe Nahrung im Überfluß zuströmt, so fließt sie selten, oder wenigstens nicht in Überfluß, auch einem andern zu; daher kann man eine Kuh z. B. nicht dahin bringen, viel Milch zu geben und zugleich schnell fett zu werden. Ein und dieselbe Kohlvarietät kann nicht eine reichliche Menge nahrhafter Blätter und zugleich einen guten Ertrag von Öl haltenden Samen liefern. Wenn in unserem Obste die Samen verkümmern, gewinnt die Frucht selbst an Größe und Güte. Bei unseren Hühnern ist eine große Federhaube auf dem Kopfe gewöhnlich mit einem großen Kamm und ein großer Bart mit kleinen Fleischlappen verbunden. Dagegen ist kaum anzunehmen, daß dieses Gesetz auch auf Arten im Naturzustande allgemein anwendbar sei, obwohl viele gute Beobachter und namentlich Botaniker an seine Wahrheit glauben. Ich will hier jedoch keine Beispiele anführen, denn ich kann kaum ein Mittel finden, einerseits zwischen der durch natürliche Zuchtwahl bewirkten ansehnlichen Vergrößerung eines Theiles und der durch gleiche Ursache oder durch Nichtgebrauch veranlaßten Verminderung eines anderen und nahe dabei befindlichen Organes, und andererseits der Verkümmerung eines Organes durch Nahrungseinbuße in Folge excessiver Entwickelung eines anderen nahe dabei befindlichen Theiles zu unterscheiden.

Ich vermuthe auch, daß einige der Fälle, die man als Beweise der Compensation vorgebracht hat, sich mit einigen anderen Thatsachen unter ein allgemeines Princip zusammenfassen lassen, das Princip nämlich, daß die natürliche Zuchtwahl fortwährend bestrebt ist, in jedem Theile der Organisation zu sparen. Wenn unter veränderten Lebensverhältnissen eine bisher nützliche Vorrichtung weniger nützlich wird, so dürfte wohl ihre Verminderung begünstigt werden, indem es ja für das Individuum vortheilhaft ist, wenn es seine Säfte nicht zur Ausbildung nutzloser Organe verschwendet. Nur auf diese Weise kann ich eine Thatsache begreiflich finden, welche mich, als ich mit der Untersuchung über die Cirripeden beschäftigt war, überraschte und von welcher noch viele analoge Beispiele angeführt werden könnten, nämlich daß, wenn ein Cirripede an einem andern als Schmarotzer lebt und daher geschützt ist, er [173] mehr oder weniger seine eigene Kalkschale verliert. Dies ist mit dem Männchen von Ibla und in einer wahrhaft außerordentlichen Weise mit Proteolepas der Fall; denn während der Panzer aller anderen Cirripeden aus den drei hochwichtigen, und mit starken Nerven und Muskeln versehenen ungeheuer entwickelten Vordersegmenten des Kopfes besteht, ist bei dem parasitischen und geschützten Proteolepas der ganze Vordertheil des Kopfes zu dem unbedeutendsten an die Basen der Greifantennen befestigten Rudimente verkümmert. Nun dürfte die Ersparung eines großen und zusammengesetzten Gebildes, wenn es überflüssig wird, ein entschiedener Vortheil für jedes spätere Individuum der Species sein; denn im Kampfe um’s Dasein, welchen jedes Thier zu kämpfen hat, würde jedes einzelne um so mehr Aussicht sich zu behaupten erlangen, je weniger Nährstoff zur Entwickelung eines nutzlos gewordenen Organes verloren geht.

Darnach, glaube ich, wird es der natürlichen Zuchtwahl auf die Länge immer gelingen, jeden Theil der Organisation zu reduciren und zu ersparen, sobald er durch eine veränderte Lebensweise überflüssig geworden ist, ohne deshalb zu verursachen, daß ein anderer Theil in entsprechendem Grade sich stärker entwickelt. Und eben so dürfte sie umgekehrt vollkommen im Stande sein, ein Organ stärker auszubilden, ohne die Verminderung eines andern benachbarten Theiles als nothwendige Compensation zu verlangen.


Vielfache, rudimentäre und niedrig organisirte Bildungen sind veränderlich.

Nach Isidore Geoffroy Saint-Hilaire’s Bemerkung scheint es bei Varietäten wie bei Arten Regel zu sein, daß, wenn irgend ein Theil oder ein Organ sich oftmals im Baue eines Individuums wiederholt, wie die Wirbel in den Schlangen und die Staubgefäße in den polyandrischen Blüthen, seine Zahl veränderlich wird, während die Zahl desselben Organes oder Theiles beständig bleibt, falls es sich weniger oft wiederholt. Derselbe Autor sowie einige Botaniker haben ferner die Bemerkung gemacht, daß vielzählige Theile auch Veränderungen im inneren Bau sehr ausgesetzt sind. Insofern nun diese „vegetative Wiederholung“, wie R. Owen sie nennt, ein Anzeigen niedriger Organisation ist, stimmen die vorangehenden Bemerkungen mit der sehr allgemeinen Ansicht der Naturforscher zusammen, daß solche Wesen, welche tief auf der Stufenleiter der Natur stehen, [174] veränderlicher als die höheren sind. Ich vermuthe, daß in diesem Falle unter tiefer Organisation eine nur geringe Differenzirung der Organe für verschiedene besondere Verrichtungen gemeint ist. Solange ein und dasselbe Organ verschiedene Leistungen zu verrichten hat, läßt sich vielleicht einsehen, warum es veränderlich bleibt, das heißt, warum die natürliche Zuchtwahl nicht jede kleine Abweichung der Form ebenso sorgfältig erhalten oder unterdrücken sollte, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondern Zweck allein bestimmt wäre. So können Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Ganzen so ziemlich von beinahe jeder beliebigen Form sein, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug auch eine besondere Form haben muß. Man sollte nie vergessen, daß natürliche Zuchtwahl allein durch den Vortheil eines jeden Wesens und zu demselben wirken kann.

Rudimentäre Organe sind nach der allgemeinen Annahme sehr zur Veränderlichkeit geneigt. Wir werden auf diesen Gegenstand zurückzukommen haben, und ich will hier nur bemerken, daß ihre Veränderlichkeit durch ihre Nutzlosigkeit bedingt zu sein scheint, und in Folge dessen davon, daß in diesem Falle natürliche Zuchtwahl nichts vermag, um Abweichungen ihres Baues zu verhindern.


Ein in außerordentlicher Stärke oder Weise in irgend einer Species entwickelter Theil hat, in Vergleich mit demselben Theile in verwandten Arten eine große Neigung zur Veränderlichkeit.

Vor mehreren Jahren wurde ich durch eine ähnliche von Waterhouse gemachte Bemerkung überrascht. Auch scheint Professor Owen zu einer nahezu ähnlichen Ansicht gelangt zu sein. Es ist keine Hoffnung vorhanden, jemanden von der Wahrheit des obigen Satzes zu überzeugen, ohne die lange Reihe von Thatsachen, die ich gesammelt habe, aber hier nicht mittheilen kann, aufzuzählen. Ich kann nur meine Überzeugung aussprechen, daß es eine sehr allgemeine Regel ist. Ich kenne zwar mehrere Fehlerquellen, hoffe aber, sie genügend berücksichtigt zu haben. Man muß bedenken, daß diese Regel auf keinen wenn auch an sich noch so ungewöhnlich entwickelten Theil Anwendung finden soll, wofern er nicht in einer Species oder in einigen wenigen im Vergleich zu demselben Theile bei vielen nahe verwandten Arten ungewöhnlich ausgebildet ist. So ist [175] die Flügelbildung der Fledermäuse in der Classe der Säugethiere äußerst abnorm; doch würde sich jene Regel nicht hierauf beziehen, weil diese Bildung der ganzen Gruppe der Fledermäuse zukommt; sie würde nur anwendbar sein, wenn die Flügel einer Fledermausart in einer merkwürdigen Weise im Vergleiche mit den Flügeln der anderen Arten derselben Gattung vergrößert wären. Die Regel bezieht sich daher sehr scharf auf die ungewöhnlich entwickelten „secundären Sexualcharactere“, wenn sie in irgend einer ungewöhnlichen Weise entwickelt sind. Mit diesem, von Hunter gebrauchten Ausdrucke, werden diejenigen Merkmale bezeichnet, welche nur dem Männchen oder dem Weibchen allein zukommen, aber mit dem Fortpflanzungsacte nicht in unmittelbarem Zusammenhange stehen. Die Regel findet sowohl auf Männchen wie auf Weibchen Anwendung, doch seltener auf Weibchen, weil auffallende Charactere dieser Art bei Weibchen überhaupt seltener sind. Die offenbare Anwendbarkeit der Regel auf die Fälle von secundären Sexualcharacteren dürfte mit der großen und wie ich meine kaum zu bezweifelnden Veränderlichkeit dieser Charactere überhaupt, mögen sie in irgend einer ungewöhnlichen Weise entwickelt sein oder nicht, zusammenhängen. Daß sich aber unsere Regel nicht auf die secundären Sexualcharactere allein bezieht, erhellt aus den hermaphroditischen Cirripeden; und ich will hier hinzufügen, daß ich bei der Untersuchung dieser Ordnung Waterhouse’s Bemerkung besondere Beachtung zugewandt habe und vollkommen von der fast unveränderlichen Anwendbarkeit dieser Regel auf die Cirripeden überzeugt bin. In einem späteren Werke werde ich eine Liste aller merkwürdigen Fälle geben; hier aber will ich nur einen anführen, welcher die Regel in ihrer ausgedehntesten Anwendbarkeit erläutert. Die Deckelklappen der sitzenden Cirripeden (Balaniden) sind in jedem Sinne des Wortes sehr wichtige Gebilde und sind selbst von einer Gattung zur andern nur wenig verschieden. Aber in den verschiedenen Arten einer Gattung, Pyrgoma, bieten diese Klappen einen wundersamen Grad von Verschiedenartigkeit dar. Die homologen Klappen sind in verschiedenen Arten zuweilen ganz unähnlich in Form, und der Betrag möglicher Abweichung bei den Individuen einer und derselben Art ist so groß, daß man ohne Übertreibung behaupten darf, die Varietäten einer und derselben Species weichen in den Merkmalen dieser wichtigen Klappen weiter von einander ab, als es sonst Arten thun, welche zu verschiedenen Gattungen gehören.

[176] Da bei Vögeln die Individuen der nämlichen Species innerhalb einer und derselben Gegend außerordentlich wenig variiren, so habe ich auch sie in dieser Hinsicht besonders geprüft; und die Regel scheint sicher in dieser Classe sich gut zu bewähren. Ich kann nicht ausfindig machen, daß sie auch auf Pflanzen anwendbar ist, und mein Vertrauen auf ihre Allgemeinheit würde hierdurch sehr erschüttert worden sein, wenn nicht eben die große Veränderlichkeit der Pflanzen überhaupt es ganz besonders schwierig machte, die relativen Veränderlichkeitsgrade zu vergleichen.

Wenn wir bei irgend einer Species einen Theil oder ein Organ in merkwürdiger Höhe oder Weise entwickelt sehen, so läge es am nächsten, anzunehmen, daß dasselbe dieser Art von großer Wichtigkeit sein müsse, und doch ist der Theil in diesem Falle außerordentlich veränderlich. Woher kommt dies? Aus der Ansicht, daß jede Art mit allen ihren Theilen, wie wir sie jetzt sehen, unabhängig erschaffen worden sei, können wir keine Erklärung schöpfen. Dagegen verbreitet, wie ich glaube, die Annahme, daß Artengruppen eine gemeinsame Abstammung von andern Arten haben und durch natürliche Zuchtwahl modificirt worden sind, einiges Licht über die Frage. Zunächst will ich einige vorläufige Bemerkungen machen. Wenn bei unseren Hausthieren ein einzelner Theil oder das ganze Thier vernachläßigt und ohne Zuchtwahl fortgepflanzt wird, so wird ein solcher Theil (wie z. B. der Kamm bei den Dorking-Hühnern) oder die ganze Rasse aufhören, einen einförmigen Character zu bewahren. Man wird dann sagen, die Rasse arte aus. In rudimentären und solchen Organen, welche nur wenig für einen besondern Zweck differenzirt worden sind, sowie vielleicht in polymorphen Gruppen, sehen wir einen fast parallelen Fall; denn in solchen Fällen ist die natürliche Zuchtwahl nicht ins Spiel gekommen oder hat nicht dazu kommen können und die Organisation bleibt hiernach in einem schwankenden Zustande. Was uns aber hier noch näher angeht, das ist, daß eben bei unseren Hausthieren diejenigen Charactere, welche in der Jetztzeit durch fortgesetzte Zuchtwahl so rascher Abänderung unterliegen, eben so sehr zu variiren geneigt sind. Man vergleiche einmal die Individuen einer und derselben Taubenrasse; was für ein wunderbar großes Maß von Verschiedenheit zeigt sich in den Schnäbeln der Purzeltauben, in den Schnäbeln und rothen Lappen der verschiedenen Botentauben, in Haltung und Schwanz der Pfauentaube u. s. w.; und [177] dies sind die Punkte, auf welche die englischen Liebhaber jetzt hauptsächlich achten. Schon die Unterrassen wie die kurzstirnigen Purzler sind bekanntlich schwer vollkommen zu züchten, und oft kommen dabei einzelne Thiere zum Vorschein, welche weit von dem Musterbilde abweichen. Man kann daher in Wahrheit sagen, es finde ein beständiger Kampf statt einerseits zwischen dem Streben zum Rückschlag in einen minder vollkommenen Zustand und ebenso einer angeborenen Neigung zu weiterer Veränderung, und andererseits dem Einflusse fortwährender Zuchtwahl zur Reinerhaltung der Rasse. Auf die Länge gewinnt die Zuchtwahl den Sieg, und wir fürchten nicht mehr so weit vom Ziele abzuweichen, daß wir von einem guten kurzstirnigen Stamm nur einen gemeinen Purzler erhielten. So lange aber die Zuchtwahl noch in raschem Fortschritte begriffen ist, wird immer eine große Unbeständigkeit in den der Veränderung unterliegenden Gebilden zu erwarten sein.

Doch kehren wir zur Natur zurück. Ist ein Theil in irgend einer Species im Vergleich mit den andern Arten derselben Gattung auf außergewöhnliche Weise entwickelt, so können wir schließen derselbe habe seit der Abzweigung der verschiedenen Arten von der gemeinsamen Stammform der Gattung einen ungewöhnlichen Betrag von Modification erfahren. Diese Zeit der Abzweigung wird selten in einem extremen Grade weit zurückliegen, da Arten sehr selten länger als eine geologische Periode dauern. Ein ungewöhnlicher Betrag von Modification setzt ein ungewöhnlich langes und ausgedehntes Maß von Veränderlichkeit voraus, deren Product durch Zuchtwahl zum Besten der Species fortwährend gehäuft worden ist. Da aber die Veränderlichkeit des außerordentlich entwickelten Theiles oder Organes in einer nicht sehr weit zurückreichenden Zeit so groß und andauernd gewesen ist, so möchten wir als allgemeine Regel auch jetzt noch mehr Veränderlichkeit in solchen als in andern Theilen der Organisation, welche eine viel längere Zeit hindurch beständig geblieben sind, anzutreffen erwarten. Und dies findet nach meiner Ueberzeugung statt. Daß aber der Kampf zwischen natürlicher Zuchtwahl einerseits und der Neigung zum Rückschlag und zur Variabilität andererseits mit der Zeit aufhören werde und daß auch die am abnormsten gebildeten Organe beständig werden können, sehe ich keinen Grund zu bezweifeln. Wenn daher ein Organ, wie unregelmäßig es [178] auch sein mag, in annähernd gleicher Beschaffenheit auf viele bereits abgeänderte Nachkommen übertragen worden ist, wie dies mit dem Flügel der Fledermaus der Fall ist, so muß es meiner Theorie zufolge schon eine unermeßliche Zeit hindurch in dem gleichen Zustande vorhanden gewesen sein; und in Folge hiervon ist es jetzt nicht veränderlicher als irgend ein anderes Organ. Nur in denjenigen Fällen, wo die Modification noch verhältnismäßig neu und außerordentlich groß ist, sollten wir daher die „generative Veränderlichkeit“, wie wir es nennen können, noch in hohem Grade vorhanden finden. Denn in diesem Falle wird die Veränderlichkeit nur selten schon durch fortgesetzte Zuchtwahl der in irgend einer geforderten Weise und Stufe variirenden und durch fortwährende Beseitigung der zum Rückschlag auf einen früheren und weniger modificirten Zustand neigenden Individuen zu einem festen Ziele gelangt sein.


Specifische Charactere sind veränderlicher als Gattungscharactere.

Das in dem vorigen Abschnitte erörterte Princip kann auch auf den vorliegenden Gegenstand angewendet werden. Es ist notorisch, daß die specifischen mehr als die Gattungscharactere abzuändern geneigt sind. Wenn in einer großen Pflanzengattung einige Arten blaue Blüthen und andere rothe haben, so wird die Farbe nur ein Artcharacter sein und daher auch niemand überrascht werden, wenn eine blaublühende Art in Roth variirt oder umgekehrt. Wenn aber alle Arten blaue Blumen haben, so wird die Farbe zum Gattungscharacter, und ihre Veränderung würde schon eine ungewöhnliche Erscheinung sein. Ich habe gerade dieses Beispiel gewählt, weil eine Erklärung, welche die meisten Naturforscher sonst beizubringen geneigt sein würden, darauf nicht anwendbar ist, daß nämlich specifische Charactere deshalb mehr als generische veränderlich erscheinen, weil sie von Theilen entlehnt sind, die eine mindere physiologische Wichtigkeit besitzen als diejenigen, welche gewöhnlich zur Characterisirung der Gattungen dienen. Ich glaube zwar, daß diese Erklärung theilweise, indessen nur indirect, richtig ist; ich werde jedoch auf diesen Punkt in dem Abschnitte über Classification zurückkommen. Es dürfte fast überflüssig sein, Beispiele zur Unterstützung der obigen Behauptung anzuführen, daß gewöhnliche Artencharactere veränderlicher als Gattungscharactere sind; was aber die wichtigen Charactere betrifft, so habe ich in naturhistorischen Werken wiederholt bemerkt, daß wenn [179] ein Schriftsteller durch die Wahrnehmung überrascht war, daß irgend ein wichtiges Organ, welches sonst in einer ganzen großen Artengruppe beständig zu sein pflegt, in nahe verwandten Arten ansehnlich verschieden ist, dasselbe dann auch in den Individuen einer und derselben Art variabel ist. Diese Thatsache zeigt, daß ein Character, der gewöhnlich von generischem Werthe ist, wenn er zu specifischem Werthe herabsinkt, oft veränderlich wird, wenn auch seine physiologische Wichtigkeit die nämliche bleibt. Etwas Ähnliches findet auch auf Monstrositäten Anwendung: wenigstens scheint Isidore Geoffroy Saint-Hilaire keinen Zweifel darüber zu hegen, daß ein Organ um so mehr individuellen Anomalien unterliege, je mehr es in den verschiedenen Arten derselben Gruppen normal verschieden ist.

Wie wäre es nach der gewöhnlichen Meinung, welche jede Art unabhängig erschaffen worden sein läßt, zu erklären, daß derjenige Theil der Organisation, welcher von demselben Theile in anderen unabhängig erschaffenen Arten derselben Gattung verschieden ist, veränderlicher ist als die Theile, welche in den verschiedenen Arten einer Gattung nahe übereinstimmen. Ich sehe keine Möglichkeit ein, dies zu erklären. Wenn wir aber von der Ansicht ausgehen, daß Arten nur wohl unterschiedene und beständig gewordene Varietäten sind, so werden wir häufig auch zu finden erwarten dürfen, daß dieselben noch jetzt in den Theilen ihrer Organisation abzuändern fortfahren, welche erst in verhältnismäßig neuer Zeit variirt haben und dadurch verschieden geworden sind. Oder, um den Fall in einer andern Weise darzustellen: die Merkmale, worin alle Arten einer Gattung einander gleichen, und worin dieselben von verwandten Gattungen abweichen, heißen generische, und diese Merkmale zusammengenommen können der Vererbung von einem gemeinschaftlichen Stammvater zugeschrieben werden; denn nur selten kann es der Zufall gewollt haben, daß die natürliche Zuchtwahl verschiedene mehr oder weniger abweichenden Lebensweisen angepaßte Arten genau auf dieselbe Weise modificirt hat; und da diese sogenannten generischen Charactere schon von vor der Zeit her, wo sich die verschiedenen Arten von ihrer gemeinsamen Stammform abgezweigt haben, vererbt worden sind, und sie später nicht mehr variirt haben oder gar nicht oder nur in einem unerheblichen Grade verschieden geworden sind, so ist es nicht wahrscheinlich, [180] daß sie noch heutigen Tages abändern. Andererseits nennt man die Punkte, wodurch sich Arten von anderen Arten derselben Gattung unterscheiden, specifische Charactere; und da diese seit der Zeit der Abzweigung der Arten von der gemeinsamen Stammform variirt haben und verschieden geworden sind, so ist es wahrscheinlich, daß dieselben noch jetzt oft einigermaßen veränderlich sind, wenigstens veränderlicher als diejenigen Theile der Organisation, welche während einer sehr viel längeren Zeitdauer beständig geblieben sind.


Secundäre Sexualcharactere sind veränderlich.

Ohne daß ich nöthig habe, darüber auf Einzelnheiten einzugehen, werden mir, denke ich, Naturforscher wohl zugeben, daß secundäre Sexualcharactere sehr veränderlich sind; man wird mir wohl auch ferner zugeben, daß die zu einerlei Gruppe gehörigen Arten hinsichtlich dieser Charactere weiter als in andern Theilen ihrer Organisation von einander verschieden sind. Vergleicht man beispielsweise die Größe der Verschiedenheit zwischen den Männchen der hühnerartigen Vögel, bei welchen secundäre Sexualcharactere vorzugsweise stark entwickelt sind, mit der Größe der Verschiedenheit zwischen ihren Weibchen, so wird die Wahrheit dieser Behauptung eingeräumt werden. Die Ursache der ursprünglichen Veränderlichkeit dieser Charactere ist nicht nachgewiesen; doch läßt sich begreifen, wie es komme, daß dieselben nicht eben so einförmig und beständig gemacht worden sind wie andere Theile der Organisation; denn die secundären Sexualcharactere sind durch geschlechtliche Zuchtwahl gehäuft worden, welche weniger streng in ihrer Thätigkeit als die gewöhnliche Zuchtwahl ist, indem sie die minder begünstigten Männchen nicht zerstört, sondern bloß mit weniger Nachkommenschaft versieht. Welches aber immer die Ursache der Veränderlichkeit dieser secundären Sexualcharactere sein mag: da sie nun einmal sehr veränderlich sind, so wird die geschlechtliche Zuchtwahl darin einen weiten Spielraum für ihre Thätigkeit gefunden haben und somit den Arten einer Gruppe leicht einen größeren Betrag von Verschiedenheit in ihren Sexualcharacteren, als in anderen Theilen ihrer Organisation haben verleihen können.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die secundären Sexualverschiedenheiten zwischen beiden Geschlechtern einer Art sich gewöhnlich in genau denselben Theilen der Organisation entfalten, in [181] denen auch die verschiedenen Arten einer Gattung von einander abweichen. Um dies zu erläutern, will ich nur zwei Beispiele anführen, welche zufällig als die ersten auf meiner Liste stehen; und da die Verschiedenheiten in diesen Fällen von sehr ungewöhnlicher Art sind, so kann die Beziehung kaum zufällig sein. Eine gleiche Anzahl von Tarsalgliedern ist allgemein in sehr großen Gruppen von Käfern ein gemeinsamer Character; aber in der Familie der Engidae ändert nach Westwood’s Beobachtung diese Zahl sehr ab; und hier ist die Zahl in den zwei Geschlechtern einer und derselben Art verschieden. Ebenso ist bei den grabenden Hymenopteren der Verlauf der Flügeladern ein Character von höchster Wichtigkeit, weil er sich in großen Gruppen gleich bleibt; in einigen Gattungen jedoch ändert die Aderung von Art zu Art und gleicher Weise auch in den zwei Geschlechtern der nämlichen Art ab. Sir J. Lubbock hat kürzlich bemerkt, daß einige kleine Kruster vortreffliche Belege für dieses Gesetz darbieten. „Bei Pontella z. B. sind es hauptsächlich die vorderen Fühler und das fünfte Beinpaar, welche die Sexualcharactere liefern; und dieselben Organe bieten auch hauptsächlich die Artenunterschiede dar.“ Diese Beziehung hat nach meiner Anschauungsweise einen deutlichen Sinn: ich betrachte nämlich alle Arten einer Gattung eben so gewiß als Abkömmlinge desselben Stammvaters, wie die zwei Geschlechter irgend einer dieser Arten. Folglich: was immer für ein Theil der Organisation des gemeinsamen Stammvaters oder seiner ersten Nachkommen veränderlich geworden ist, es werden höchst wahrscheinlich die natürliche und geschlechtliche Zuchtwahl aus Abänderungen dieser Theile Vortheile gezogen haben, um die verschiedenen Arten ihren verschiedenen Stellen im Haushalte der Natur und ebenso um die zwei Geschlechter einer nämlichen Species einander anzupassen, oder endlich die Männchen in den Stand zu setzen mit anderen Männchen um den Besitz der Weibchen zu kämpfen.

Endlich gelange ich also zu dem Schlusse, daß die größere Veränderlichkeit der specifischen Charactere oder derjenigen durch welche sich Art von Art unterscheidet, gegenüber den generischen Merkmalen oder denjenigen, welche alle Arten einer Gattung gemein haben, – daß die oft äußerste Veränderlichkeit des in irgend einer einzelnen Art ganz ungewöhnlich entwickelten Theiles im Vergleich mit demselben Theile bei den anderen Gattungsverwandten, und die geringe Veränderlichkeit eines wenn auch außerordentlich entwickelten, aber [182] einer ganzen Gruppe von Arten gemeinsamen Theiles, – daß die große Variabilität secundärer Sexualcharactere und das große Maß von Verschiedenheit dieser selben Merkmale bei einander nahe verwandten Arten – daß die so allgemeine Entwickelung secundärer Sexual- und gewöhnlicher Artcharactere in einerlei Theilen der Organisation – daß alles dieses eng unter einander verkettete Principien sind. Alles dies rührt hauptsächlich daher, daß die zu einer nämlichen Gruppe gehörigen Arten von einem gemeinsamen Urerzeuger herrühren, von welchem sie vieles gemeinsam ererbt haben; – daß Theile, welche erst neuerlich noch starke Abänderungen erlitten, leichter noch fortwährend zu variiren geneigt sind, als solche, welche schon seit langer Zeit vererbt sind und nicht variirt haben; – daß die natürliche Zuchtwahl je nach der Zeitdauer mehr oder weniger vollständig die Neigung zum Rückschlag und zu weiterer Variabilität überwunden hat; – daß die sexuelle Zuchtwahl weniger streng als die gewöhnliche ist; – endlich, daß Abänderungen in einerlei Organen durch natürliche und durch sexuelle Zuchtwahl gehäuft und für secundäre Sexual- und gewöhnliche specifische Zwecke verwandt worden sind.


Verschiedene Arten zeigen analoge Abänderungen, so daß eine Varietät einer Species oft einen einer verwandten Species eigenen Character annimmt oder zu einigen von den Merkmalen einer früheren Stammart zurückkehrt.

Diese Behauptung versteht man am leichtesten durch Betrachtung der Hausthierrassen. Die verschiedensten Taubenrassen bieten in weit auseinandergelegenen Gegenden Untervarietäten mit umgewendetern Federn am Kopfe und mit Federn an den Füßen dar, Merkmale, welche die ursprüngliche Felstaube nicht besitzt; dies sind also analoge Abänderungen in zwei oder mehreren verschiedenen Rassen. Die häufige Anwesenheit von vierzehn oder selbst sechzehn Schwanzfedern im Kröpfer kann man als eine die normale Bildung einer anderen Abart, der Pfauentaube, vertretende Abweichung betrachten. Ich setze voraus, daß Niemand daran zweifeln wird, daß alle solche analogen Abänderungen davon herrühren, daß die verschiedenen Taubenrassen die gleiche Constitution und daher die gleiche Neigung unter denselben unbekannten Einflüssen zu variiren von einem gemeinsamen Erzeuger geerbt haben. Im Pflanzenreiche zeigt sich ein Fall von analoger Abänderung in dem verdickten Strunke (gewöhnlich wird er die [183] Wurzel genannt) der Schwedischen Rübe und der Ruta baga, Pflanzen, welche mehrere Botaniker nur als durch die Cultur aus einer gemeinsamen Stammform hervorgebrachte Varietäten ansehen. Wäre dies aber nicht richtig, so hätten wir einen Fall analoger Abänderung in zwei sogenannten verschiedenen Arten, und diesen kann noch die gemeine Rübe als dritte beigezählt werden. Nach der gewöhnlichen Ansicht, daß jede Art unabhängig geschaffen worden sei, würden wir diese Aehnlichkeit der drei Pflanzen in ihrem verdickten Stengel nicht der wahren Ursache ihrer gemeinsamen Abstammung und einer daraus folgenden Neigung in ähnlicher Weise zu variiren zuzuschreiben haben, sondern drei verschiedenen aber enge unter sich verwandten Schöpfungsacten. Viele ähnliche Fälle analoger Abänderung sind von Naudin in der großen Familie der Kürbisse, von anderen Schriftstellern bei unseren Cerealien beobachtet worden. Ähnliche bei Insecten unter ihren natürlichen Verhältnissen vorkommende Fälle hat kürzlich mit vielem Geschick Walsh erörtert, der sie unter sein Gesetz der „gleichförmigen Variabilität“ gebracht hat.

Bei den Tauben indessen haben wir noch einen anderen Fall, nämlich das in allen Rassen gelegentliche Zum-vorschein-kommen von schieferblauen Vögeln mit zwei schwarzen Flügelbinden, weißen Weichen, einer Querbinde auf dem Ende des Schwanzes und einem weißen äußeren Rande am Grunde der äußeren Schwanzfedern. Da alle diese Merkmale für die elterliche Felstaube bezeichnend sind, so glaube ich wird Niemand bezweifeln, daß es sich hier um einen Fall von Rückschlag und nicht um eine neue, aber analoge Abänderung in verschiedenen Rassen handle. Wir werden, denke ich, dieser Folgerung um so mehr vertrauen können, als, wie wir bereits gesehen, diese Farbenzeichnungen sehr gern in den Blendlingen zweier ganz distincter und verschieden gefärbter Rassen zum Vorschein kommen; und in diesem Falle ist auch in den äußeren Lebensbedingungen nichts zu finden, was das Wiedererscheinen der schieferblauen Farbe mit den übrigen Farbenzeichen verursachen könnte, außer dem Einfluß des bloßen Kreuzungsactes auf die Gesetze der Vererbung.


Es ist ohne Zweifel eine erstaunenerregende Thatsache, daß seit vielen und vielleicht hunderten von Generationen verlorene Merkmale wieder zum Vorschein kommen. Wenn jedoch eine Rasse nur einmal mit einer anderen Rasse gekreuzt worden ist, so zeigt der Blendling die Neigung gelegentlich zum Character der fremden Rasse zurückzukehren [184] noch einige, man sagt ein Dutzend, ja selbst zwanzig Generationen lang. Nun ist zwar nach zwölf Generationen, nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise, das Verhältnis des Blutes des einen fremden Vorfahren nur noch 1 in 2048, und doch genügt nach der, wie wir sehen allgemeinen Annahme dieser äußerst geringe Bruchtheil fremden Blutes noch, um eine Neigung zum Rückschlag in jenen Urstamm zu unterhalten. In einer Rasse, welche nicht gekreuzt worden ist, sondern worin beide Eltern einige von den Characteren ihrer gemeinsamen Stammart eingebüßt haben, dürfte die Neigung den verlorenen Character wieder herzustellen, mag sie stärker oder schwächer sein, wie schon früher bemerkt worden, trotz Allem, was man Gegentheiliges sehen mag, sich fast jede Anzahl von Generationen hindurch erhalten. Wenn ein Character, der in einer Rasse verloren gegangen ist, nach einer großen Anzahl von Generationen wiederkehrt, so ist die wahrscheinlichste Hypothese nicht die, daß ein Individuum jetzt plötzlich nach einem mehrere hundert Generationen älteren Vorgänger zurückstrebt, sondern die, daß in jeder der aufeinanderfolgenden Generationen der fragliche Character noch latent vorhanden gewesen ist und nun endlich unter unbekannten günstigen Verhältnissen zum Durchbruch gelangt. So ist es z. B. wahrscheinlich, daß in jeder Generation der Barb-Taube, welche nur selten einen blauen Vogel hervorbringt, das latente Streben ein blaues Gefieder hervorzubringen vorhanden ist. Die Unwahrscheinlichkeit, daß eine latente Neigung durch eine endlose Zahl von Generationen fortgeerbt werde, ist nicht größer, als die thatsächlich bekannte Vererbung eines ganz unnützen oder rudimentären Organes. Und wir können allerdings zuweilen beobachten, daß ein solches Streben ein Rudiment hervorzubringen vererbt wird.

Da nach meiner Theorie alle Arten einer Gattung gemeinsamer Abstammung sind, so ist zu erwarten, daß sie zuweilen in analoger Weise variiren, so daß die Varietäten zweier oder mehrerer Arten einander, oder die Varietät einer Art in einigen ihrer Charactere einer anderen und verschiedenen Art gleicht, welche ja nach meiner Meinung nur eine ausgebildete und bleibend gewordene Abart ist. Doch dürften solche, ausschließlich durch analoge Abänderung erlangte Charactere nur unwesentlicher Art sein: denn die Erhaltung aller functionell wesentlichen Charactere wird durch natürliche Zuchtwahl in Übereinstimmung mit den verschiedenen Lebensweisen der Arten bestimmt [185] worden sein. Es wird ferner zu erwarten sein, daß die Arten einer nämlichen Gattung zuweilen Fälle von Rückschlag zu den Characteren alter Vorfahren zeigen. Da wir jedoch niemals den genauen Character der gemeinsamen Stammform einer natürlichen Gruppe kennen, so vermögen wir nicht zwischen Rückschlagsmerkmalen und analogen Characteren zu unterscheiden. Wenn wir z. B. nicht wüßten, daß die Felstaube nicht mit Federfüßen oder mit umgewendeten Federn versehen ist, so hätten wir nicht sagen können, ob diese Charactere in unseren Haustaubenrassen Erscheinungen des Rückschlags zur Stammform oder bloß analoge Abänderungen seien; wohl aber hätten wir annehmen dürfen, daß die blaue Färbung ein Beispiel von Rückschlag sei, wegen der Zahl der anderen Zeichnungen, welche mit der blauen Färbung in Correlation stehen und wahrscheinlich doch nicht bloß in Folge einfacher Abänderung damit zusammengetroffen sein würden. Und noch mehr würden wir dies geschlossen haben, weil die blaue Farbe und die anderen Zeichnungen so oft wiedererscheinen, wenn verschiedene Rassen von abweichender Färbung miteinander gekreuzt werden. Obwohl es daher in der Natur gewöhnlich zweifelhaft bleibt, welche Fälle als Rückschlag zu alten Stammcharacteren und welche als neue, aber analoge Abänderungen zu betrachten sind, so sollten wir doch nach meiner Theorie zuweilen finden, daß die abändernden Nachkommen einer Art Charactere annehmen, welche bereits in einigen anderen Gliedern derselben Gruppe vorhanden sind. Und dies ist zweifelsohne der Fall.

Ein großer Theil der Schwierigkeit, veränderliche Arten zu unterscheiden, rührt davon her, daß ihre Varietäten gleichsam einigen der anderen Arten der nämlichen Gattung nachahmen. Auch könnte man ein ansehnliches Verzeichnis von Formen geben, welche das Mittel zwischen zwei anderen Formen halten und welche nur zweifelhaft als Arten aufgeführt werden können; und daraus ergibt sich, wenn man nicht alle diese nahe verwandten Formen als unabhängig erschaffene ansehen will, daß die einen durch Abänderung einige Charactere der anderen angenommen haben. Aber den besten Beweis analoger Abänderung bieten Theile oder Organe dar, welche allgemein im Character constant sind, zuweilen aber so abändern, daß sie einigermaßen den Character desselben Organes oder Theiles in einer verwandten Art annehmen. Ich habe ein langes Verzeichnis von solchen Fällen zusammen gebracht, kann aber auch solches leider hier nicht mittheilen, sondern bloß wiederholen, daß solche Fälle vorkommen und mir sehr merkwürdig zu sein scheinen.

[186] Ich will jedoch einen eigentümlichen und complicirten Fall anführen, zwar nicht deshalb, weil er einen wichtigen Character betrifft, wohl aber, weil er in verschiedenen Arten derselben Gattung theils im Natur- und theils im domesticirten Zustande vorkommt. Es ist fast sicher ein Fall von Rückschlag. Der Esel hat manchmal sehr deutliche Querbinden auf seinen Beinen, wie das Zebra. Man hat mir versichert, daß diese beim Füllen am deutlichsten zu sehen sind, und meinen Nachforschungen zufolge glaube ich, daß dies richtig ist. Der Streifen an der Schulter ist zuweilen doppelt und sehr veränderlich in Länge und Umriß. Man hat auch einen weißen Esel, der kein Albino ist, sowohl ohne Rücken- als auch ohne Schulterstreifen beschrieben; und diese Streifen sind auch bei dunkelfarbigen Thieren zuweilen sehr undeutlich oder wirklich ganz verloren gegangen. Der Kulan von Pallas soll mit einem doppelten Schulterstreifen gesehen worden sein. Blyth hat ein Exemplar des Hemionus mit einem deutlichen Schulterstreifen gesehen, obschon dies Thier eigentlich keinen solchen besitzt; und Colonel Poole hat mir mitgetheilt, daß die Füllen dieser Art gewöhnlich an den Beinen und schwach an der Schulter gestreift sind. Das Quagga, obwohl am Körper eben so deutlich gestreift als das Zebra, ist ohne Binde an den Beinen; doch hat Dr. Gray ein Individuum mit sehr deutlichen, zebraähnlichen Binden an den Beinen abgebildet.

Was das Pferd betrifft, so habe ich in England Fälle vom Vorkommen des Rückenstreifens bei den verschiedensten Rassen und allen Farben gesammelt. Querbinden auf den Beinen sind nicht selten bei Graubraunen, Mäusefarbenen und einmal bei einem Kastanienbraunen vorgekommen. Auch ein schwacher Schulterstreifen tritt zuweilen bei Graubraunen auf, und eine Spur davon habe ich an einem Braunen gefunden. Mein Sohn hat mir eine sorgfältige Untersuchung und Zeichnung eines graubraunen Belgischen Karrenpferdes mitgetheilt mit einem doppelten Streifen auf jeder Schulter und mit Streifen an den Beinen; ich selbst habe einen graubraunen Devonshire-Pony gesehen, und ein kleiner graubrauner Walliser Pony ist mir sorgfältig beschrieben worden, welche alle mit drei parallelen Streifen auf jeder Schulter versehen waren.

Im nordwestlichen Theile Ostindiens ist die Kattywar-Pferderasse so allgemein gestreift, daß, wie ich von Colonel Poole vernehme, welcher dieselbe im Auftrage der indischen Regierung untersuchte, ein [187] Pferd ohne Streifen nicht für Reinblut angesehen wird. Das Rückgrat ist immer gestreift; die Streifen auf den Beinen sind wie der Schulterstreifen, welcher zuweilen doppelt und selbst dreifach ist, gewöhnlich vorhanden; überdies sind die Seiten des Gesichts zuweilen gestreift. Die Streifen sind oft beim Füllen am deutlichsten und verschwinden zuweilen im Alter vollständig. Poole hat ganz junge, sowohl graue als braune neugeborene Kattywar-Füllen gestreift gefunden. Auch habe ich nach Mittheilungen, welche ich Herrn W. W. Edwards verdanke, Grund zu vermuthen, daß an englischen Rennpferden der Rückenstreifen häufiger an Füllen als an erwachsenen Pferden vorkommt. Ich habe selbst kürzlich ein Füllen von einer braunen Stute (der Tochter eines turkomannischen Hengstes und einer flämischen Stute) und einem braunen englischen Rennpferd gezogen. Dieses Füllen war, als es eine Woche alt war, an der Kruppe sowie am Vorderkopf mit zahlreichen sehr schmalen dunklen Zebrastreifen und an den Beinen mit schwachen solchen Streifen versehen; alle Streifen verschwanden bald vollständig. Ohne hier noch weiter in Einzelnheiten einzugehen, will ich anführen, daß ich Fälle von Bein- und Schulterstreifen bei Pferden von ganz verschiedenen Rassen in verschiedenen Gegenden, von England bis Ost-China und von Norwegen im Norden bis zum Malayischen Archipel im Süden, gesammelt habe. In allen Theilen der Welt kommen diese Streifen weitaus am öftesten an Graubraunen und Mäusefarbenen vor. Unter Graubraunen („dun“) schlechthin begreife ich hier Pferde mit einer langen Reihe von Farbenabstufungen von einer zwischen Braun und Schwarz liegenden Farbe an bis fast zum Rahmfarbigen.

Ich weiß, daß Colonel Hamilton Smith, der über diesen Gegenstand geschrieben, annimmt, unsere verschiedenen Pferderassen rührten von verschiedenen Stammarten her, wovon eine, die graubraune, gestreift gewesen sei, und alle oben beschriebenen Streifungen wären Folge früherer Kreuzungen mit dem graubraunen Stamme. Jedoch darf man diese Ansicht getrost verwerfen; denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß das schwere belgische Karrenpferd, die Walliser Ponies, die norwegischen Pferde, die schlanke Kattywar-Rasse u. a., die in den verschiedensten Theilen der Welt zerstreut sind, sämmtlich mit einer vermeintlichen ursprünglichen Stammform gekreuzt worden wären.

Wenden wir uns nun zu den Wirkungen der Kreuzung zwischen [188] den verschiedenen Arten der Pferdegattung. Rollin versichert, daß der gemeine Maulesel, von Esel und Pferd, sehr oft Querstreifen auf den Beinen hat, und nach Gosse kommt dies in den Vereinigten Staaten in zehn Fällen neunmal vor. Ich habe einmal einen Maulesel gesehen mit so stark gestreiften Beinen, daß Jedermann zuerst geneigt gewesen sein würde, ihn für einen Zebra-Bastard zu halten; und W. B. Martin hat in seinem vorzüglichen Werke über das Pferd die Abbildung von einem ähnlichen Maulesel mitgetheilt. In vier in Farben ausgeführten Bildern von Bastarden des Esels mit dem Zebra, die ich gesehen habe, fand ich die Beine viel deutlicher gestreift als den übrigen Körper, und in einem derselben war ein doppelter Schulterstreifen vorhanden. In Lord Morton’s berühmtem Falle eines Bastards von einem Quaggahengst und einer kastanienbraunen Stute war dieser und selbst das nachher von derselben Stute mit einem schwarzen arabischen Hengste erzielte reine Füllen an den Beinen viel deutlicher quergestreift, als selbst das reine Quagga. Endlich, und dies ist ein anderer äußerst merkwürdiger Fall, hat Dr. Gray (dem noch, wie er mir mittheilte, ein zweites Beispiel dieser Art bekannt war) einen Bastard von Esel und Hemionus abgebildet; und dieser Bastard hatte, obwohl der Esel nur zuweilen und der Hemionus niemals Streifen auf den Beinen und letzterer nicht einmal einen Schulterstreifen hat, nichts destoweniger alle vier Beine quer gestreift, und auch die Schulter war mit drei kurzen Streifen wie beim braunen Devonshire und dem Walliser Pony versehen; auch waren sogar einige Streifen wie beim Zebra an den Seiten des Gesichts vorhanden. Durch diese letzte Thatsache drängte sich mir die Überzeugung, daß auch nicht ein Farbenstreifen durch sogenannten Zufall entstehe, so eindringlich auf, daß ich allein durch das Auftreten von Gesichtsstreifen bei diesem Bastarde von Esel und Hemionus veranlaßt wurde, Colonel Poole zu fragen, ob solche Gesichtsstreifen jemals bei der stark gestreiften Kattywar-Pferderasse vorkommen, was er, wie wir oben gesehen, bejahete.

Was haben wir nun zu diesen verschiedenen Thatsachen zu sagen? Wir sehen mehrere verschiedene Arten der Gattung Equus durch einfache Abänderung Streifen an den Beinen wie beim Zebra oder an der Schulter wie beim Esel erlangen. Beim Pferde sehen wir diese Neigung stark hervortreten, so oft eine graubräunliche Färbung zum Vorschein kommt, eine Färbung, welche sich der allgemeinen Farbe der anderen Arten dieser Gattung nähert. Das Auftreten der [189] Streifen ist von keiner Veränderung der Form und von keinem anderen neuen Character begleitet. Wir sehen diese Neigung, streifig zu werden, sich am meisten bei Bastarden zwischen mehreren der von einander verschiedensten Arten entwickeln. Vergleichen wir nun damit den vorhergehenden Fall von den verschiedenen Rassen der Tauben: sie rühren von einer Stammart (mit 2–3 geographischen Varietäten oder Unterarten) her, welche bläulich von Farbe und mit einigen bestimmten Bändern und anderen Zeichnungen versehen ist; und wenn eine ihrer Rassen in Folge einfacher Abänderung wieder einmal eine bläuliche Färbung annimmt, so erscheinen unfehlbar auch jene Bänder und anderen Zeichnungen der Stammform wieder, doch ohne irgend eine andere Veränderung der Form und des Characters. Wenn man die ältesten und echtesten Arten von verschiedener Farbe mit einander kreuzt, so tritt in den Blendlingen eine starke Neigung hervor, die ursprüngliche schieferblaue Farbe mit den schwarzen und weißen Binden und Streifen wieder anzunehmen. Ich habe behauptet, die wahrscheinlichste Hypothese zur Erklärung des Wiedererscheinens sehr alter Charactere sei die Annahme einer „Tendenz“, in den Jungen einer jeden neuen Generation den längst verlorenen Character wieder hervorzuholen, welche Tendenz in Folge unbekannter Ursachen zuweilen zum Durchbruch komme. Und wir haben soeben gesehen, daß in verschiedenen Arten der Pferdegattung die Streifen bei den Jungen deutlicher sind oder gewöhnlicher auftreten als bei den Alten. Man nenne nun die Taubenrassen, deren einige schon Jahrhunderte lang sich echt erhalten haben, Species, und die Erscheinung wäre genau dieselbe, wie bei den Arten der Pferdegattung. Ich für meinen Theil wage getrost über tausende und tausende von Generationen rückwärts zu schauen und sehe ein Thier, wie ein Zebra gestreift, aber sonst vielleicht sehr abweichend davon gebaut, den gemeinsamen Stammvater unseres domesticirten Pferdes (rühre es nun von einem oder von mehreren wilden Stämmen her), des Esels, des Hemionus, des Quaggas und des Zebras.

Wer an die unabhängige Erschaffung der einzelnen Pferdespecies glaubt, wird vermuthlich sagen, daß einer jeden Art die Neigung im freien wie im domestirten Zustande auf so eigenthümliche Weise zu variiren anerschaffen worden sei, derzufolge sie oft wie andere Arten derselben Gattung gestreift erscheine; und daß einer jeden derselben eine starke Neigung anerschaffen sei, bei einer Kreuzung mit Arten [190] aus den entferntesten Weltgegenden Bastarde zu liefern, welche in der Streifung nicht ihren eigenen Eltern, sondern anderen Arten derselben Gattung gleichen. Sich zu dieser Ansicht bekennen, heißt nach meiner Meinung eine thatsächliche für eine nicht thatsächliche oder wenigstens unbekannte Ursache aufgeben. Sie macht aus den Werken Gottes nur Täuschung und Nachäfferei; – und ich würde dann beinahe eben so gern mit den alten und unwissenden Kosmogonisten annehmen, daß die fossilen Muscheln nie einem lebenden Thiere angehört, sondern im Gesteine erschaffen worden seien, um die jetzt an der Seeküste lebenden Schalthiere nachzuahmen.


Zusammenfassung.

Wir sind in tiefer Unwissenheit über die Gesetze, wornach Abänderungen erfolgen. Nicht in einem von hundert Fällen dürfen wir behaupten, den Grund zu kennen, warum dieser oder jener Theil variirt hat. Doch, wo immer wir die Mittel haben, eine Vergleichung anzustellen, da scheinen bei Erzeugung der geringeren Abweichungen zwischen Varietäten derselben Art wie in Hervorbringung der größeren Unterschiede zwischen Arten derselben Gattung die nämlichen Gesetze gewirkt zu haben. Veränderte Bedingungen rufen meist fluctuirende Variabilität hervor; zuweilen aber verursachen sie directe und bestimmte Wirkungen; und diese können im Laufe der Zeit scharf ausgesprochen werden. Doch haben wir hierfür keine genügenden Beweise. Wesentliche Wirkungen dürften Angewöhnung auf das Hervorrufen von Eigenthümlichkeiten der Constitution, Gebrauch der Organe auf ihre Verstärkung und Nichtgebrauch auf ihre Schwächung und Verkleinerung gehabt haben. Homologe Theile sind geneigt, auf gleiche Weise abzuändern, und streben, unter sich zu verwachsen. Modificationen in den harten und in den äußeren Theilen berühren zuweilen weichere und innere Organe. Wenn sich ein Theil stark entwickelt, strebt er vielleicht anderen benachbarten Theilen Nahrung zu entziehen: und jeder Theil des organischen Baues, welcher ohne Nachtheil für das Individuum erspart werden kann, wird erspart. Veränderungen der Structur in einem frühen Alter können die sich später entwickelnden Theile afficiren; unzweifelhaft kommen aber noch viele Fälle von correlativer Abänderung vor, deren Natur wir durchaus nicht im Stande sind, zu begreifen. Vielzählige Theile sind veränderlich in Zahl und Structur, vielleicht deshalb, weil dieselben durch natürliche Zuchtwahl [191] für einzelne Verrichtungen nicht genug specialisirt sind, so daß ihre Modificationen durch natürliche Zuchtwahl nicht sehr beschränkt worden sind. Aus demselben Grunde werden wahrscheinlich auch die auf tiefer Organisationsstufe stehenden Organismen veränderlicher sein als die höher entwickelten und in ihrer ganzen Organisation mehr differenzirten. Rudimentäre Organe bleiben ihrer Nutzlosigkeit wegen von der natürlichen Zuchtwahl unbeachtet und sind deshalb veränderlich. Specifische Charactere, solche nämlich, welche erst seit der Abzweigung der verschiedenen Arten einer Gattung von einem gemeinsamen Erzeuger auseinander gelaufen, sind veränderlicher als generische Merkmale, welche sich schon lange vererbt haben, ohne in dieser Zeit eine Abänderung zu erleiden. Wir haben in diesen Bemerkungen nur auf die einzelnen noch veränderlichen Theile und Organe Bezug genommen, weil sie erst neuerlich variirt haben und einander unähnlich geworden sind; wir haben jedoch schon im zweiten Capitel gesehen, daß das nämliche Princip auch auf das ganze Individuum anwendbar ist; denn in einem Bezirke, wo viele Arten einer Gattung gefunden werden, d. h. wo früher viele Abänderung und Differenzirung stattgefunden hat oder wo die Fabrication neuer Artenformen lebhaft gewesen ist, in diesem Bezirke und unter diesen Arten finden wir jetzt durchschnittlich auch die meisten Varietäten. Secundäre Sexualcharactere sind sehr veränderlich, und solche Charactere sind in den Arten einer nämlichen Gruppe sehr verschieden. Veränderlichkeit in denselben Theilen der Organisation ist gewöhnlich mit Vortheil dazu benutzt worden, die secundären Sexualverschiedenheiten für die zwei Geschlechter einer Species und die Artenverschiedenheiten für die mancherlei Arten der nämlichen Gattung zu liefern. Irgend ein in außerordentlicher Größe oder Weise entwickeltes Glied oder Organ, im Vergleich mit der Entwickelung desselben Gliedes oder Organes in den nächtsverwandten Arten, muß seit dem Auftreten der Gattung ein außerordentliches Maß von Abänderung durchlaufen haben, woraus wir dann noch begreiflich finden, warum dasselbe noch jetzt in viel höherem Grade als andere Theile variabel ist; denn Abänderung ist ein langsamer und langwährender Proceß, und die natürliche Zuchtwahl wird in solchen Fällen noch nicht die Zeit gehabt haben, das Streben nach fernerer Veränderung und nach dem Rückschlag zu einem weniger modificirten Zustande zu überwinden. Wenn aber eine Art mit irgend einem außerordentlich entwickelten Organe Stamm vieler abgeänderter Nachkommen [192] geworden ist – was nach meiner Ansicht ein sehr langsamer und daher viele Zeit erheischender Vorgang ist –, dann mag auch die natürliche Zuchtwahl im Stande gewesen sein, dem Organe, wie außerordentlich es auch entwickelt sein mag, schon ein festes Gepräge aufzudrücken. Haben Arten nahezu die nämliche Constitution von einem gemeinsamen Erzeuger geerbt und sind sie ähnlichen Einflüssen ausgesetzt, so werden sie natürlich auch geneigt sein, analoge Abänderungen darzubieten, oder es können diese selben Arten gelegentlich auf einige der Charactere ihrer frühesten Ahnen zurückschlagen. Obwohl neue und wichtige Modificationen aus dieser Umkehr und jenen analogen Abänderungen nicht hervorgehen mögen, so tragen solche Modificationen doch zur Schönheit und harmonischen Mannichfaltigkeit der Natur bei.

Was aber auch die Ursache des ersten kleinen Unterschiedes zwischen Eltern und Nachkommen sein mag, und eine Ursache muß für einen jeden da sein, so haben wir zur Annahme Ursache, daß es doch nur die stete Häufung solcher für das Individuum nützlichen Unterschiede ist, welche alle jene bedeutungsvolleren Abänderungen der Structur einer jeden Art in Bezug zur Lebensweise hervorgebracht hat.

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