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Da bei Vögeln die Individuen der nämlichen Species innerhalb einer und derselben Gegend außerordentlich wenig variiren, so habe ich auch sie in dieser Hinsicht besonders geprüft; und die Regel scheint sicher in dieser Classe sich gut zu bewähren. Ich kann nicht ausfindig machen, daß sie auch auf Pflanzen anwendbar ist, und mein Vertrauen auf ihre Allgemeinheit würde hierdurch sehr erschüttert worden sein, wenn nicht eben die große Veränderlichkeit der Pflanzen überhaupt es ganz besonders schwierig machte, die relativen Veränderlichkeitsgrade zu vergleichen.

Wenn wir bei irgend einer Species einen Theil oder ein Organ in merkwürdiger Höhe oder Weise entwickelt sehen, so läge es am nächsten, anzunehmen, daß dasselbe dieser Art von großer Wichtigkeit sein müsse, und doch ist der Theil in diesem Falle außerordentlich veränderlich. Woher kommt dies? Aus der Ansicht, daß jede Art mit allen ihren Theilen, wie wir sie jetzt sehen, unabhängig erschaffen worden sei, können wir keine Erklärung schöpfen. Dagegen verbreitet, wie ich glaube, die Annahme, daß Artengruppen eine gemeinsame Abstammung von andern Arten haben und durch natürliche Zuchtwahl modificirt worden sind, einiges Licht über die Frage. Zunächst will ich einige vorläufige Bemerkungen machen. Wenn bei unseren Hausthieren ein einzelner Theil oder das ganze Thier vernachläßigt und ohne Zuchtwahl fortgepflanzt wird, so wird ein solcher Theil (wie z. B. der Kamm bei den Dorking-Hühnern) oder die ganze Rasse aufhören, einen einförmigen Character zu bewahren. Man wird dann sagen, die Rasse arte aus. In rudimentären und solchen Organen, welche nur wenig für einen besondern Zweck differenzirt worden sind, sowie vielleicht in polymorphen Gruppen, sehen wir einen fast parallelen Fall; denn in solchen Fällen ist die natürliche Zuchtwahl nicht ins Spiel gekommen oder hat nicht dazu kommen können und die Organisation bleibt hiernach in einem schwankenden Zustande. Was uns aber hier noch näher angeht, das ist, daß eben bei unseren Hausthieren diejenigen Charactere, welche in der Jetztzeit durch fortgesetzte Zuchtwahl so rascher Abänderung unterliegen, eben so sehr zu variiren geneigt sind. Man vergleiche einmal die Individuen einer und derselben Taubenrasse; was für ein wunderbar großes Maß von Verschiedenheit zeigt sich in den Schnäbeln der Purzeltauben, in den Schnäbeln und rothen Lappen der verschiedenen Botentauben, in Haltung und Schwanz der Pfauentaube u. s. w.; und

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/186&oldid=- (Version vom 31.7.2018)