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veränderlicher als die höheren sind. Ich vermuthe, daß in diesem Falle unter tiefer Organisation eine nur geringe Differenzirung der Organe für verschiedene besondere Verrichtungen gemeint ist. Solange ein und dasselbe Organ verschiedene Leistungen zu verrichten hat, läßt sich vielleicht einsehen, warum es veränderlich bleibt, das heißt, warum die natürliche Zuchtwahl nicht jede kleine Abweichung der Form ebenso sorgfältig erhalten oder unterdrücken sollte, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondern Zweck allein bestimmt wäre. So können Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Ganzen so ziemlich von beinahe jeder beliebigen Form sein, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug auch eine besondere Form haben muß. Man sollte nie vergessen, daß natürliche Zuchtwahl allein durch den Vortheil eines jeden Wesens und zu demselben wirken kann.

Rudimentäre Organe sind nach der allgemeinen Annahme sehr zur Veränderlichkeit geneigt. Wir werden auf diesen Gegenstand zurückzukommen haben, und ich will hier nur bemerken, daß ihre Veränderlichkeit durch ihre Nutzlosigkeit bedingt zu sein scheint, und in Folge dessen davon, daß in diesem Falle natürliche Zuchtwahl nichts vermag, um Abweichungen ihres Baues zu verhindern.


Ein in außerordentlicher Stärke oder Weise in irgend einer Species entwickelter Theil hat, in Vergleich mit demselben Theile in verwandten Arten eine große Neigung zur Veränderlichkeit.

Vor mehreren Jahren wurde ich durch eine ähnliche von Waterhouse gemachte Bemerkung überrascht. Auch scheint Professor Owen zu einer nahezu ähnlichen Ansicht gelangt zu sein. Es ist keine Hoffnung vorhanden, jemanden von der Wahrheit des obigen Satzes zu überzeugen, ohne die lange Reihe von Thatsachen, die ich gesammelt habe, aber hier nicht mittheilen kann, aufzuzählen. Ich kann nur meine Überzeugung aussprechen, daß es eine sehr allgemeine Regel ist. Ich kenne zwar mehrere Fehlerquellen, hoffe aber, sie genügend berücksichtigt zu haben. Man muß bedenken, daß diese Regel auf keinen wenn auch an sich noch so ungewöhnlich entwickelten Theil Anwendung finden soll, wofern er nicht in einer Species oder in einigen wenigen im Vergleich zu demselben Theile bei vielen nahe verwandten Arten ungewöhnlich ausgebildet ist. So ist

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/184&oldid=- (Version vom 31.7.2018)