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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[841]

No. 51.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Die Unruhe des alten Herrn mehrte sich unterwegs. Er trieb Jochen wiederholt zur Eile an, fragte auch, ob dieser wohl glaube, daß „der auf Pelchow“ in seiner Abwesenheit sich in seine Stube gewagt habe? Er erhielt aber nur ein Achselzucken als Antwort; denn Jochen war eben beschäftigt, die riesigen gewitterhaften Wolkenballen zu mustern, welche sich so schnell durch den Himmel wälzten, während in der Schwüle unten kein Lüftchen sich regte. Plötzlich zeigte er mit der Peitsche hinauf.

„Das bedeutet was, Herr! Ein schweres Wetter.“

In der Nähe von Pelchow legte der alte Baron die Hand über die Augen und spähte geradeaus; am Dorfausgange war eine helle Frauengestalt sichtbar.

„Jochen, ist das nicht Anne-Marieken? Im bloßen Kopf?“

„Das soll wohl sein.“

„Was hat das Kind da zu stehen?“ murmelte er.

Anne-Marie kam ihnen entgegen geschritten.

„Onkel, mache Dich darauf gefaßt: es sind zwei Beamte vom Gericht da,“ sagte sie verstört. „Mein Gott, sie werden Dich doch nicht festnehmen? Ich bin in Todesangst und warte schon lange auf Dich.“

„Das sollen sie wohl bleiben lassen, mein Anne-Marieken; da sei nur ganz ruhig!“

„Ach, Onkel, thue doch nichts, was Dich mit ihnen in Streit bringt! Wir wollen lieber von hier fortziehen und irgendwo in Frieden weiter leben. Du wirst so leicht heftig.“

Der Baron besann sich.

„Weißt Du was, Döchting? Du könntest Dir den Spaß machen und gleich so, wie Du bist, nach Branitz fahren. Ich will nur zu Fuß auf das Gut gehen. So’ne Geschichte ist nichts für Frauensleute.“

„Nein – nein,“ wehrte sie angstvoll ab. „Ich verlasse Dich nicht, Onkel; ich könnte die Ungewißheit nicht ertragen – lieber will ich das Schrecklichste mit ansehen.“

„Na, dann will ich Dir was sagen: dann geh’ mal neben her! Wir wollen langsam fahren. Hast Du gehört, Jochen?“

„Ja, Herr!“

Der Baron erkundigte sich unterwegs genauer nach dem, was seiner wartete; Anne-Marie aber wußte nicht viel mehr, als die schon berichtete Thatsache. Endlich lenkten sie durch das Thor in den Gutshof. Dort kam der Mann mit dem Blechschilde auf der Brust am Hause her und blickte den Dreien entgegen. Scheinbar unbekümmert um ihn stieg der Baron vom Wagen.

„Jochen, spann mal noch nicht aus!“

Damit ging er neben Anne-Marie zu seinem Fenster hin. Vor dem Fenster aber hielt ruhig der Beamte.

„Na? Wollen Sie mich nicht ’rein lassen?“

Das graurothe Gesicht des alten Herrn spielte in hundert Falten kaum verhaltenen Ingrimms.

„Ich bedaure, Herr Baron“ – der Mann legte militärisch höflich die Hand an die Mütze – „ich bin leider beauftragt, Sie am Eintreten zu verhindern.“

„Was? Ich soll nicht in mein eigenes Zimmer gehen dürfen? Du bist wohl ungesund, mein Sohn?“

Der Beamte zuckte die Achseln.

„Wenn Sie die Güte haben wollten, Jemand mit Ausräumung des Zimmers zu betrauen –“

„Ich pruste auf Dich, Du Affe –“ rief der alte Herr in maßloser Wuth; da trat Anne-Marie plötzlich zwischen die Männer und hob flehend die Hände auf.

„Onkel, bedenke was Du thust! Der Mann ist ein Beamter –“

Einen Fluch auf den Lippen, schoß der Baron an der jungen Dame vorüber und zur Eingangsthür hin. Sie war verschlossen. Der Wüthende trat mit dem Stiefelabsatz dagegen, daß der Sporn klirrte; dann machte er Kehrt, rannte wieder vorbei, um das Haus herum und nach der entgegensetzten Eingangsthür. Auch da ein Beamter! Er ballte die Fäuste, und plötzlich lief er in den Garten. Ein triumphirendes, giftiges Lachen verkündigte, daß er ein Fenster des Speisezimmers offen gefunden.

„Verdammte Pogge, jetzt will ich mal ein Wort als Edelmann mit Dir reden.“

Curt saß tief bekümmert, aber gefaßt vor seinem Schreibtische. Er hatte das deutliche Gefühl der Nothwendigkeit des gethanen Schrittes und hoffte zuversichtlich, jetzt entweder den Alten zu zähmen, oder jede weitere Berührung mit ihm abgeschnitten zu haben. Ein armseliges vergessenes Fenster zerstörte seine ganze Berechnung. Er horchte auf: die Thür des Speisezimmers flog in’s Schloß; es kam herüber; auch seine Thür wurde aufgerissen, und herein trat, vor Wuth bebend, der alte Baron.

„So, mein Sohn, da bin ich, und nun will ich Dir mal was klar machen. Siehst Du, ich bin ein pommerscher Edelmann, und Du auch, und Du, mein Sohn, hast mich wie ’nen räudigen Hund aus meinem eigenen Hofe geworfen und mir zwei solche Kerle hergestellt, daß sie mich draußen halten sollen. So

[842] was aber läßt sich ein Edelmann nicht gefallen, und wenn er noch so’n alter Kerl ist – am wenigsten von so ’nem dummen grünen Jungen, wie Du bist –“

„Onkel!“ fuhr Curt auf und erhob sich finster.

„Gieb Dich nur, mein Sohn; Du sollt Deine Revanche haben, indem daß ich mich mit Dir schießen will; denn mit der Reitpeitsche kann ich nicht gegen Dich losgehen; Du bist zwar ’n ganz dummer Junge, aber Du bist zum wenigsten ein Boddin. Hast Du mich verstanden?“

Curt blickte sprachlos aus den alten Mann nieder. Es lag zuviel Ernstes in diesem elementaren Zorn und zuviel Charakter und Nerv in der Forderung, sich mit ihm zu duelliren, als daß er das Auftreten des Barons von der komischen Seite zu nehmen vermocht hätte, obwohl diese sich dem Auge fast unwiderstehlich aufdrängte. Auf der andern Seite aber: es war ja ein Ding der Unmöglichkeit, dem Verlangen des Erbitterten nachzugeben. Jede Faser in ihm sträubte sich gegen den Gedanken. Mochte der alte Mann ihn in dieser Stunde beleidigen! Er wollte so wenig an eine Genugthuung dafür denken, wie jener ein Recht an eine solche hatte, und er sprach das mit bewegter Stimme aus.

„Sie haben genau so viel Ursache, mir ein Duell aufzudrängen, wie Einer gegenüber dem Richter, der ihn wegen irgend eines Vergehens verurtheilt. Daß Sie mich beschimpfen, verzeihe ich dem Bruder meines Vaters, dem alten Mann und der Aufregung dieser Stunde. Seien Sie um Gotteswillen vernünftig, Onkel!“

„Du willst Dich nicht mit mir schießen?“

„Nein!“

Der Baron war dunkelroth im Gesicht; er taumelte und faßte nach einem Stuhl, sank indessen neben demselben zu Boden. Curt stürzte erschrocken zu einer Wassercaraffe; er schenkte ein Glas voll Wasser und trug es herzu, um ihm zu trinken zu geben; der Baron rührte sich nicht und biß die Zähne zusammen; kurz entschlossen goß sich jener die hohle Hand von und schüttete es auf den Kopf des alten Herrn, dem die Mütze entfallen war. Nachdem er das ein paarmal wiederholt hatte, fing der Baron an sich zu bewegen, richtete sich auf und nahm die Jockeymütze vom Boden.

„Du hast mich zum Spott für alle Leute gemacht, mein Sohn,“ waren die ersten Worte, die er mühsam fand, „und Du willst Dich nicht mit mir duelliren. Nun, daß Du’s weißt: ein alter Edelmann geht nicht mit Schimpf und Schande in der Welt herum und läßt mit Fingern auf sich weisen. Da muß ich sehen, wo’s ’nen Schuß für meinen alten Kopf giebt. Da grüß mal Deinen Vater und sag ihm: die Frucht, die er sich aufgezogen hätte, taugte den Teufel nichts, indem daß sie nicht mal so viel Muth hätte, sich mit ’nem alten Mann zu schießen; das wäre keine Edelmannsart; er soll sie nach Holland schicken, damit daß sie da einen Pfefferhandel anfängt. Adschüs, mein Sohn, und wenn Du mir ’nen Gefallen thun willst, dann bleibst Du von meiner Leiche weg, wenn sie mich begraben.“

Damit schwankte der Baron unsicheren Fußes zur Thür hinaus. Curt folgte in größter Aufregung; denn daß es diesem rabiaten alten Manne mit seinem Vorhaben Ernst war, ließ sich nicht bezweifeln. In sein Zimmer, wo er Waffen liegen hatte, durfte er auf keinen Fall gelangen.

Ein Blick in den Hausflur beruhigte Curt: der Beamte hatte sich vor den Eingang zu Anne-Marie’s Zimmer postirt. Der Baron starrte den Wächter des Gesetzes ein paar Secunden an und verließ dann plötzlich, Unverständliches murmelnd, das Haus.

„Er wird nach Branitz fahren und dort besänftigt werden. Die Medicin war stark, aber vielleicht hilft sie,“ sagte sich Curt, in die Stube zurückkehrend. Ihm war nicht wohl zu Muthe.

Draußen rollte ein Wagen ab. Die Hausthür wurde aufgerissen, und mit weit geöffneten Augen, völlig außer sich, stürzte Anne-Marie von Lebzow in das Zimmer.

„Um Gotteswillen, helfen Sie, retten Sie! Sie müssen nach Branitz, so schnell wie möglich. Onkel will sich erschießen; er will sich von Herrn von Pannewitz ein Pistol geben lassen – allmächtiger Gott, ich kann ihm ja nicht zuvorkommen, aber Sie! Sie haben ein Pferd – auf den Knieen flehe ich Sie an – Curt – Sie sind sein Neffe –“

„Curt,“ hatte sie gesagt. „Curt!“ Diesem Curt schoß es heiß durch die Adern. Da lag sie vor ihm am Boden; er schaute auf den blonden Kopf, auf die weiche, süße Gestalt; er trank in bebendem Rausch die Angstblicke der braunen Augen, den tiefen Metallton ihrer Worte, den Duft, das Knistern und Rauschen um sie – gewaltsam mußte er sich zusammennehmen; dies war nicht der Moment, um für sich zu sprechen. Nur wie ein rasch zerflatterndes Rauchwölkchen stieg für Secunden der Einfall in ihm auf, eine Bedingung zu stellen, die ihm das Seligste gesichert hätte – nein, nicht das Seligste: liebte sie ihn denn? Haßte sie ihn nicht vielmehr? War seine Gegenwart nicht eine Qual für sie? Er stand vor einer rohen Gewaltthat mit diesem Einfall.

„Stehen Sie auf, Cousine Lebzow!“ sagte er, und durch seine Stimme klang etwas von dem, was er fühlte, und als sie seine Hand annahm, um sich aufzurichten, hielt er sie einen Augenblick fest und preßte die Lippen darauf. „Ich wähle den Waldweg - der ist kürzer – und will reiten, als hätte ich die Absicht, mein Pferd zu Schanden zu jagen. A revoir!

„Liebster, Liebster!“ kam es von ihren Lippen, als er draußen war. Sie hielt die Hände gefaltet, indem sie zu dem Bilde über dem Schreibtische aufblickte, und in dem Klang dieser Worte sprach alles, was sie erschüttert hatte gestern und heute: Liebe, Angst, Sorge, Verzweiflung – ein Hülferuf der Liebe aus dem Vorhof der Hölle. Aber der Druck wollte nicht von ihr weichen. Der Onkel stand im Geiste wieder vor ihr, als er das Furchtbare vor sich hin sprach, indeß sie mit ihm den Wagen besteigen wollte. Sie hielt es nicht aus hier in der langen bangen Ungewißheit. Namenlose Unruhe erfaßt sie und trieb sie hinaus in den Hof, wo Curt auf dem mit einer Decke statt des Sattels versehenen Engländer, nur den Kappzaum in der Hand, rasch grüßend vorübersauste; ihr geängstigtes Herz trieb sie weiter, durch das Thor, auf den Weg nach Branitz. Sie schritt wie beflügelt. Vor dem Walde wandte der Reiter den Kopf und sah, daß sie ihm nachkam, auf demselben Wege, den er durchmessen. Dann tauchte er zwischen die Bäume, und die Staubwolke, die er zurückgelassen, senkte sich schwerfällig langsam in der dicken schwülen Luft des Tages zu Boden.

Barhäuptig kam er in Branitz an; ein Ast hatte ihn am Kopfe gestreift und ihm den Hut entrissen. Er konnte nicht mehr als eine Viertelstunde gebraucht haben; es war vollauf Zeit, Alles zu ordnen, ehe der Baron im Wagen anlangte.

Gott sei Dank: Herr von Pannewitz war daheim. Der Wagewächter am Thore, welcher ihm das schaumbedeckte Thier abnahm, versicherte es. Er kam ihm sogar in der Thür entgegen, heftig erschrocken – Fräulein Leonore hatte am Fenster die Ankunft Curt’s mit angesehen.

„Es ist doch kein Unglück geschehen in Pelchow? Oder ist Ihnen das Pferd durchgegangen, Herr von Boddin?“

„Keines von Beiden. Kommen Sie in Ihr Zimmer hinaus! Ich muß in aller Eile ein paar Worte mit Ihnen reden. Es gilt, ein Unglück abzuwenden.“

Curt wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er konnte sogar lächeln, als er sagte, daß ein tückischer Ast ihn um seine Kopfbedeckung gebracht und daß er wohl eine aus dem Vorrathe des Herrn von Pannewitz werde erbitten müssen. Oben standen die Damen die er höflich begrüßte.

„Ohne Sorge, meine Damen! Es ist nichts Schlimmes geschehen und wird auch, so Gott will, nichts geschehen.“

„Geht hinein, Kinder! Wir kommen nachher zu Euch.“ Der junge Mann war bald mit seinem Berichte fertig, und der Andere athmete erleichtert auf

„Das ist doch ein alter Donnerskerl. Er hätte sich wahrhaftig erschossen, wenn er gleich etwas zum Schießen gehabt hätte, und ich werde hier höllisch aufpassen müssen. Wenn wir ihn nicht aussöhnen können, bringen wir ihm die Idee nicht aus dem Kopfe; da kenne ich ihn zu gut. Na, vorläufig will ich wohl sorgen, daß er nichts anrichten kann. Aber Sie darf er nicht hier finden, wenn er kommt; er würde Kehrt machen und anderwärts einsprechen, und dann steht Alles aus dem Spiel.“

„Ich will und muß auch fort,“ sagte Curt entschlossen. „Ich muß Cousine Lebzow entgegen gehen, welche durch den Wald nachkommt; ich muß sie beruhigen. Sie darf sich keine Minute länger ängstigen. Wollen Sie mir einen Hut leihen, Herr von Pannewitz, und mich einstweilen bei den Damen entschuldigen?“

Herr von Pannewitz zog nachdenklich den Schlüssel zum Gewehrschranke ab.

„Ich werde Ihnen den Schlüssel zur Parkthür geben. Sie gehen hinaus und halten sich da immer rechts; da kommen Sie [843] dem Waldwege gegenüber heraus. Nehmen Sie diesen Hut! Ich sorge, daß Ihr Pferd ungesehen bleibt.“

Bald darauf wanderte Curt den angedeutetem Weg. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der von Herrn von Pannewitz hingeworfenen Bemerkung: „Wenn wir ihn nicht aussöhnen können, bringen wir ihm die Idee nicht aus dem Kopfe.“ Aussöhnen – das war leicht gesagt. Welches Mittel gab es, um den alten Eisenkopf zu einer Versöhnung zu stimmen?

Eines – vielleicht. Wie gern Curt zu diesem einen gegriffen hätte! Vor einer halben Stunde hatte es vor ihm auf den Knieen gelegen; er hätte es vielleicht an sein Herz nehmen können, wäre er weniger gewissenhaft gewesen. Es war auf dem Wege zu ihm. Die Versuchung kam zum zweiten Male; wenn er zu Anne-Marie von Lebzow sagte: Nur so kann das Drohende abgewendet werden, daß Du mich eng neben Dich stellst, so eng, daß er um Deinetwillen – –

Fort damit! Keine erzwungene Ehe! Es wäre eben wieder eine Vergewaltigung gewesen.

Als er aus der Parkthür aus die Straße hinaus trat, fesselte eine eigentümliche Erscheinung am Himmel sein Auge. Der Weg führte in nordwestlicher Richtung. Dort hatte sich über dem Horizonte eine einzige lange, weißliche Wolke erhoben deren Enden rechts und links fernab hinter den Bäumen verschwanden. Diese Wolke hatte das Aussehen eines der Länge nach zusammengerollten Schleiers von weißer Seide und flimmerte in so wunderlicher Weise, daß es schien, als wälze eine unsichtbare Kraft sie über den Wald herauf. Droben war der Himmel dunkelblau, unter ihr von einer fremdartiger glasiger Farbe, welche vom lichten Grün sich bis in’s Gelbliche abstufte.

Die Schwüle ringsum war beängstigender als zuvor – seltsam still Alles ringsum. Kein Vogellaut war zu vernehmen. Die Bäume schienen erstarrt zu stehen, um etwas Ungeheuerliches über sich ergehen zu lassen.

Curt schüttelte besorgt der Kopf. Das Phänomen war ihm freilich völlig unverständlich. So schloß er denn die Parkthür ab, ließ der Schlüssel in die Tasche gleiten und betrat der jenseitigen Wald. In diesem Augenblicke vernahm er ein Rollen zur Rechten, welches ihn anfangs vermuthen ließ, daß der Wagen des Onkels angelangt sein möchte. Dann rechnete er nach – es war unmöglich. Wenn Jochen leidlich fuhr, so brauchte es noch eine Viertelstunde, ehe sie in Branitz sein konnten. Dabei fiel ihm etwas Beunruhigendes ein: der Zufall, welchen der alte Herr in seiner Stube gehabt.

Er hatte im Drange der letzter halben Stunde nicht ernstlicher über denselben nachgedacht. Ein alter Körper ist Schlagflüssen ausgesetzt; eine Blutüberfüllung des Gehirns war es doch gewesen, was sein rasches Eingreifen, wie es schien, rechtzeitig beschwichtigt hatte. Nun die holprige, stockernde Fahrt – wenn das Traurige geschehen wäre, der Onkel vielleicht gar – –

Nein, das konnte, das durfte nicht sein. Anne-Marie von Lebzow würde ihn als den Mörder des Onkels betrachtet haben. Dann war das Tafeltuch erst völlig zwischen ihm und ihr zerschnitten.

Aber hatte er denn noch Hoffnung? Wer hatte denn an jenem Abend – gestern Abend – gesagt: Für immer? Welch ein hoffnungsseliger Thor er war!

Er ging eine Viertelstunde und länger, so rasch ausschreitend, wie es ihm möglich war. Plötzlich stutzte er. Zur Linken kam weit aus dem Walde her ein unheimlicher Ton; er blieb einen Moment stehen und horchte, indem er sich die Stirn unter dem Hute trocknete. Ein Aechzen, Pfeifen, Rasseln; dazwischen dumpfe Schläge. Der Ursprung war nicht hier, nicht da; der Schall lies weit gedehnt von Westen nach Osten – oder von Osten nach Westen; jedenfalls war eine ganze lange Raumstrecke daran betheiligt. Sein Auge hob sich unwillkürlich zum Himmel empor, und da gewahrte er denn, daß jene Wolke, deren Aufsteigen er beobachtet, fast über ihm stand und der Himmel in zwei Hälften schied, eine blaue und eine grün-gelb glasige. Er bemerkte deutlich, wie die langggestreckte seidig glänzende Wulst droben um sich selbst gedreht wurde.

Zugleich aber näherte sich jenes schauerlich-unerklärliche Geräusch mit rasender Schnelligkeit; es verstärkte sich zu einem anrückenden Höllenconcert. Dieses Getöse hatte Aehnlichkeit mit einer gewaltiger Brandung, welche der Sturm auspeitscht – so donnerte, prasselte, gischte und zischte, pfiff und heulte es durch einander; dazu immer wieder jene abgebrochenen, dröhnenden, kurzen Schläge, die sich schließlich anhörten, als bräche in einiger Entfernung ein Thurm zusammen und schlage schmetternd auf der Boden.

„Ein Sturm,“ sagte Curt, dessen Antlitz alle Farbe verloren hatte. „Ein Sturm im Walde – und was für einer! Das geht um’s Leben.“

Er verlor die Besinnung nicht, sondern betrachtete prüfend den Waldbestand. Riesige alte Buchen breiteten die nackten Aeste aus, dazwischen hier und da ein gewaltiger Eichenstamm knorrige Arme reckend, schwächlicher Nachwuchs, halb verdeckt durch Unterholz aller Art. Wenn einer dieser Bäume stürzte, wenn nur ein Ast seinen Kopf traf – –

Herr Gott – und Anne-Marie! Anne-Marie von Lebzow jetzt im Walde! Sie konnte nicht weit entfernt sein; es war eigentlich kaum zu begreifen, daß er ihr noch nicht begegnet war.

„Anne-Marie! Cousine Lebzow!“

War es ihr Gegenruf, was er gehört hatte? Er wußte es nicht, aber er stürzte selbstvergessen noch ein Stück vorwärts. Wer unterschied jetzt noch den Laut einer menschlichen Stimme? Es war da; es brach zwischen allen Bäumen zugleich hervor, eine wahnsinnig, tobsüchtig geworbene ungeheure Kraft, welche blind vorwärts stürmte, um sich schlug, heulte, brüllte. Diese strömende Luft, welche sich gegen alles warf, was ihr im Wege stand, war förmlich hart; Curt hatte eine Empfindung, als drängten eiskalte Hände, so viel an seinem Körper Platz hatten, auf ihn ein, und mit so unwiderstehlicher Gewalt, daß er im nächsten Augenblick erwarten müsse, wie ein Ball auf hundert Schritte durch die Luft geschleudert zu werden. Sein Hut war beim erster Anprall davongegangen; auf dem Kopfe prickelte es wie von eindringenden Eisnadeln: er taumelte über den Weg, ward ein paar mal um sich selbst gewirbelt und stemmte sich dann mit Händen und Füßen gegen eine Buche, sah sich indessen sofort mit dem ganzen Körper an den Stamm gedrückt, als wäre er festgenagelt. Ein Regen von abgerissenen Zweigen prasselte nieder; dann und wann krachte ein brechender Ast, und das klang wie der dumpfe Aufschrei eines zu Tode Getroffenen. Die riesigen Bäume schwankten unheimlich; die Aeste der eigentlichen Krone griffen wie Arme über den Stamm herüber. Die ganze Luft war ein Chaos, ein wüstes Durcheinander von schlagendem, fliegendem, quirlendem Astwerk und Blättermassen; denn die tiefen Lagen vermorschender Blätter im Waldgrunde wurden aufgewühlt und schwirrten wie unzählige Flocken verdüsternd durch den Gesichtskreis. Dazu brausten Töne durch die Luft, deren Ensemble das Ohr kaum zu ertragen vermochte. Was bedeutete der Lärm einer Schlacht gegen dieses entsetzliche Getöse! Langgezogene Disharmonien wie von Tausenden von Orgeln, bald diese, bald jene Stimme vorgedrängt, manchmal ein Geheul wie von sämmtlichen Bestien eines Urwaldes, dazwischen Schnellfeuer einer ganzen Armee und das erschütternde Krachen von Batteriesalven. Ein Mensch, der das zwei Standen lang hätte anhören müssen, würde taub oder wahnsinnig geworden sein.

Curt wäre gern um den Stamm herumgegangen, aber er mußte fürchten, auf der Stelle fortgerissen und mit tödtlicher Gewalt gegen einen anderen Baum geschleudert zu werben. Und doch preßte es ihm die Brust zusammen, als wollte es ihn zerquetschen und nur mit Mühe vermochte er zu athmen. Er machte einen Versuch, die Arme zu heben, um sich die Ohren zuzuhalten; diese Arme waren wie Blei, und er fühlte eine solche Müdigkeit, daß er den Versuch einstellte. Die Augen dauernd offen zu halten war unmöglich; nur ab und zu ließ er blinzelnd das schauerliche Bild auf sich wirken. Zweige und Blätter schlugen gegen seinen Körper, jene oft schmerzhaft genug, aber dies war ja ein Kinderspiel gegen das, was ihm bereits hätte geschehen können. Da – er riß die Augen weit auf: eine alte Buche senkte sich schwerfällig – links drüben stand sie – vielleicht dreißig Schritt seitwärts, und plötzlich stürzte die gewaltige, alles unter sich niederbrechend. Es war wie ein Donnerschlag. Wo ihre Wurzel sich hob, stieg es geisterhaft, kolossal aus der Erde, als höbe sich ein begrabener Mammuth der Auferstehung entgegen. Ueber ihren Fall hin wüthete die Zerstörung weiter; der Sturm sauste in die Lücke, fuhr über den Weg, welchen die Aeste der Krone überstarrten brach auf Curt’s Seite ein halb Dutzend junger Stämme um oder riß sie mit den Wurzeln aus, daß die Erde weit herum flog – ein ganzes Stück hin vernahm sein Ohr das Krachen und Knattern.

[844] Heiliger Gott! Ihm gerade gegenüber schüttelte sich eine Eiche, wie ein Mensch sich gegen den Griff einer übermächtigen Faust wehrt. Sie erschlug ihn, wenn sie fiel.

Er ließ sich auf die Erde nieder und kroch auf Händen und Füßen, so platt wie möglich an den Boden gedrückt, durch das Gestrüpp am Wege. Seine Handschuhe platzten, zerrissen. Seine Hände bluteten. So gings nicht weiter; er mußte auf den Weg hinauf, und er. bewegte sich schräg hinüber auf die andere Seite. Noch war die Eiche nicht gestürzt; vielleicht hielt sie sich doch. Etwas geschützter kam es ihm hier drüben vor, als jenseits vor dem offenen Wege.

Ein anderer Eichenstamm, auf den sein Auge fiel, erweckte ihm Vertrauen. Breit wie eine dorische Säule stand er da, die geringe Zahl seiner Aeste bot dem Winde wenig Angriffsfläche. Er schleppte sich bis zum Fuße des Baumes und richtete sich dann auf.

Seine Lage war damit wesentlich verbessert. Der Sturm traf ihn nicht mehr direct; er war gegen fallendes Holz geschützt. Sein ganzer Körper schmerzte ihn. Aber einen Moment nur genoß er. das Gefühl der Erleichterung, dann brach es mit der Last eines dieser stürzenden Kolosse auf seine Seele nieder: Anne-Marie! In der Athemlosigkeit der letzten Minuten war der Gedanke an sie wie verschüttet worden; jetzt war er plötzlich das Einzige, was ihm Entsetzen einflößte. Was galt ihm die Zerstörung, die um ihn tobte! Was war er sich selber!

Er ließ sich wieder hinab und kroch auf's Neue am Boden hin. Mochte ihn ein Stamm zerschmettern - er wollte wissen, wie es um sie stand. Eine wahnsinnige Angst beflügelte seine Kraft. Minuten brauchte er, bevor er die Biegung des Weges erreichte, welche bisher dessen weiteren Verlauf seinem Auge entzogen hatte. Als er drüben war, schärfte er den Blick auf's Aeußerste; denn das Sehen war nicht eben leicht. Die ganze Luft schien körperlich geworden zu sein, wie strömendes Wasser, das Erde, Blatt- und Astwerk mit sich fortriß.

Er unterschied endlich einen mächtigen Baumstamm , welcher in einiger Entfernung quer über den Weg gestürzt war. Nirgends ein menschliches Wesen. Aber er mußte weiter.

„Anne-Marie!“ schrie er auf.

Bei dem gestürzten Baume lag es, lichtgraue Frauenkleidung, – diesen Moment hatte er weiter nichts gesehen. Er war niedergesunken, vergrub den Kopf in die Arme und stöhnte.

„Laß sie um Leben sein, Herr, der du im Sturme mächtig bist, laß sie leben – sie ist mein. Niemand hat ein Recht auf sie außer mir.“

Er nahm alle Seelen- und Körperkraft zusammen, und nun kauerte er neben ihr. Er nahm ihren Kopf auf die Hand; das schöne blonde Haar war halb aufgelöst. Die Wange fühlte sich todtkalt an – das konnte vom Winde sein. Er beugte das Ohr nieder – athmete sie oder nicht? In diesem Getöse war absolut nichts zu entscheiden. Die Augen waren geschlossen, die blassen Lippen leise geöffnet, daß die Zähne hindurchschimmerten; sie mußte ohnmächtig sein – mußte! Er wollte es so. Es war ja auch wahrscheinlich. Drei Schritt von ihr war eine Buche gestürzt, und der Stamm bis fast über den Weg hin glatt, ehe die Aeste begannen. Der Sturz konnte Anne-Marie nicht gestreift haben. Ueber ihr neigte sich dichtes Gestrüpp von Haselruthen, so dicht, daß ein mächtiger Ast, der dahinter aufragte, durch sie aufgefangen und festgehalten war. Wie Peitschenschnuren schlugen die Ruthen nieder und reichten doch nicht zu ihr hinab. Sonst war es nur schwaches Astwerk, was jenseits im Unterholze hing, fortwährend aufgejagt wurde und wieder zu Boden sank.

Sein verstörter Blick musterte die Riesenleiche der Buche. Die ausgerissenen Wurzeln mit dem durch sie zusammengehaltenen Erdreich ragten hinter dem Haselgestrüpp empor; sie mußten eine Scheibe bilden, aus deren Centrum der Stamm sich streckte; denn dieser lag nicht direct auf dem Wege, sondern etwas über ihm, allmählich und erst drüben im Unterholz völlig sich der Erde nähernd. Diese Scheibe uns Wurzeln und Erdreich war wie ein sicherer Schirm zu verwerthen.

Curt nahm Anne-Marie mit beiden Armen, ihren Kopf an seiner Brust bergend, und begann rückwärts sich durch das Gestrüpp zu stemmen. Ließ der Sturm nach oder hatte sich seine Kraft verdoppelt? Er drang durch die wirre Schicht um Rande; weiterhin standen die Stauden nur vereinzelt. Unter unsäglicher Anstrengung hielt er sich mit der geliebten Last aufrecht, bis er am Ziele war. Dann ließ er Anne-Marie niedergleiten und sank erschöpft und keuchend, kalten Schweiß auf der Stirn, neben ihr in den Blattmoder.

Im Bereiche dieser Erdwand war es paradiesisch gegen draußen; sie und der kolossale Fuß der Buche über dem Paare schlossen vor allem jede ernste Gefahr aus. Curt wand ein Taschentuch um die rechte, am meisten verwundete Hand, nachdem er die Handschuhfetzen bei Seite geschleudert.

Nun nahm er die Bewußtlose wieder in seine Arme und bettete ihren Kopf so bequem wie möglich. Er hätte sie erdrücken können vor Wonne, als er sie athmen fühlte. Der Sturm sauste weiter – er wurde stumpf gegen die Wirkungen und Aeußerungen desselben; in tiefer Erschöpfung schloß er die Augen.

Er schlief nicht; seine Gedanken und Empfindungen tauchten nur in einer weichem geheimnisvollen Fluth von Glück unter.

Noch einiger Zeit blickte er plötzlich auf. Das war doch nicht der vorige Sturm mehr? Ein starker Wind, weiter nichts. Dieser Wind riß keine Baumkronen mehr herunter und entwurzelte keine Eichen. Näherte das Schreckniß sich seinem Ende?

Er fühlte sich stärker. Von seiner Brust herauf klangen die Athemzüge der Geliebten.

„Anne-Marie, meine süße Anne-Marie!“

Er rührte sich nicht. Noch hielt er das holde, ungelöste Räthsel in den Armen; noch durfte er glauben, sie sei die Seine. Wie lange? Wenn sie die Augen aufschlug, weinte sie vielleicht vor Scham und Schrecken – und Entrüstung.

„Mein Gott, gieb sie mir!“

Er faltete die Hände über der tiefer und tiefer Atmendem Dabei glitt ihr Kopf zurück in den Nacken; und der seine, noch immer ein wenig geöffnete Mund glänzte wie von Rubin verführerisch zu ihm, heraus. Er konnte nicht widerstehen.

„Vergieb mir, Anne-Marie!“

Der ernste bebende Mann neigte das Antlitz nieder, und seine Lippen berührten diese kühlen, thaufrischen Rosenblätter.

Da hob sich ihre Brust mit einem tiefen Atemzuge, und die aufgeschlagenen braunen Augen blickten wie aus einer andern Welt in die seinen.

„Ein Traum!“ flüsterte sie, und die Lider schlossen sich. Und dann sagte sie mit stillem Lächeln: „Liebster!“

Ueber Curt riß der Himmel von einander. Was er an Seligkeit und Glanz besaß, überstürzte ihn, durchrieselt ihn, hüllte ihn in eine Glocke von Licht.

„Anne-Marie,“ brachte er mit halb erstickter Stimme heraus und preßte sie an sich, und nahm ihren Kopf und küßte sie noch einmal. Sie küßte ihn wieder; sie schlang die Arme um seinen Hals, sah ihn trunken von Glück an.

„O Du liebster Mann! Du hast mich doch lieb.“ Und nun hing sie eine Weile schluchzend an seinem Halse. Der Aufregung war zuviel gewesen in diesen Tagen.

Dann ward Anne-Marie ruhiger. Sie dachte nicht an den Sturm, der wie unter einem Zauber in sanftem Wehen erstarb. Sie lächelte Curt glückselig zu, und er küßte ihr die Thränen von den Augen. Es fiel ihr nicht ein, sich aus seinen Armen zu lösen – und er hatte ein Gefühl, als müsse er ewig so sitzen. Dieser Becher ist da und kehrt nie wieder; warum ihn hastig leeren?

„Boddin! Fräulein von Lebzow!“ rief es an der Biegung des Weges drüben.

Es war die Stimme des Herrn von Pannewitz.

„Wollen wir antworten, Geliebte?“ lächelte Curt.

„Ja,“ nickte sie und hob sich schämig erröthend, indem sie sanft seinen Arm zurück drängte. Aber er nahm sie erst noch einmal fest an sich und küßte sie lange.

„Herr von Boddin!“

„Hier, Herr von Pannewitz!“

„Hurrah! Einen hätten wir.“

„Nein, gleich ein Paar! Hier haben Sie uns, Herr von Pannewitz, im Sturm zusammengeschleudert, zwei glückliche Leute, und da wäre denn auch wohl das Mittel gefunden, um den Onkel zu versöhnen –“

Sie waren draußen auf dem Wege angelangt, und Herr von Pannewitz streckte ihnen beide Hände mit einem Jodler entgegen; bei der Wegecke standen ein paar Gutsleute mit zwei Tragbahren.

[845]

Ein Wanderlager vor Weihnachten.
Nach dem Oelgemälde von L. Bokelmann.

[846] „Ach, der Onkel!“ fiel es Anne-Marie plötzlich ein.

„Sei ruhig, Kind, ich hoffe, es ist alles geordnet,“ versicherte Curt.

„Gott sei gelobt! – Curt, Du bist ja verwundet!“

„Schrammen – das hat nichts zu bedeuten. Nun da sehen Sie ein Brautpaar, Herr von Pannewitz.“

„Kinder, Kinder, wir haben lange gewußt, daß es so kommen würde; nun könnt Ihr Euch unsere Angst denken, daß einem von Euch etwas passiren möchte bei diesem schauderhaften Orkan. Ich pfeife auf alle Windbrüche, da ich Euch heil wieder habe und die Hülfsinstrumente dort unbenutzt wieder nach Branitz schicken kann. Und nun gratulire ich; Ihr habt’s Euch saurer werden lassen, als weiland ich und meine Alte.“

„Wie geht’s dem Onkel, Herr von Pannewitz?“

„Vorläufig denkt er an nichts, als an sein Anne-Marieken; meine Frauensleute haben ihn zu sich genommen und trösten ihn, was ein hartes Stück Arbeit sein wird. Na, na, und Ihr seid endlich so vernünftig geworden! Das wird wohl das einzige Vernünftige sein, was dieses sackermentsche Wetter angerichtet hat. Sie hat’s übrigens gehörig mitgenommen, Herr von Boddin, wie’s scheint –“

Ihr Hut wird sich inzwischen wohl auch mit dem meinigen verlobt haben, Herr von Pannewitz,“ lachte Curt.

„Und unser Anne-Mariechen wird bald wie ’ne Loreley aussehen; ja, Haarnadeln habe ich nicht mitgebracht. So ist’s recht – immer fallen lassen, was sich nicht halten läßt! Kind, was bist Du hübsch!“

Anne-Marie hatte ihrem schönen Haare erröthend die volle Freiheit gegeben, und Curt betrachtete sie mit heimlichem Entzücken.

„Ja, nun wird’s wohl das Beste sein, Ihr kommt gleich Beide mit zu dem Alten. Nun wird unser Anne-Mariechen wohl ihre ganze Macht üben, um ihn mit dem Friedensstörer da auszusöhnen, und der eclatante Abfall seiner besten und einzigen Verbündeten muß ihn mürbe machen.“

Es war ein mühsamer Weg bis Branitz. Grauenhafte Verwüstungen gab es da, und dieselben hatten zuweilen Hindernisse aufgethürmt und verstreut, die nur vermittelst equilibristischer Kunststückchen zu überwinden waren. Mehr als ein Dutzend Baumriesen versperrten den Pfad, und stellenweise mußten die Leute Aeste und Reisig wegräumen bevor Anne-Marie vorwärts schreiten konnte. Ganze Straßen hatte der Sturm in den Wald gerissen; ein großer Windbruch sah, mit den Erdmassen an den herausgekehrten Wurzeln und den tiefen gähnenden Höhlen darunter, wie ein Schlachtfeld aus, auf dem Riesen einen Kampf mit hundertjährigen Baumstämmen ausgefochten hatten. Herr von Pannewitz konnte einige Stoßseufzer bei solchen Bildern nicht unterdrücken, ohne indeß auf länger als ein paar Secunden seine gute Laune einzubüßen, Curt hob und trug die Geliebte, wo er irgend konnte.

„,Denkst Du daran‘ – und ‚Darf ich jetzt?‘“ fragte er neckend dazu. Und sie sah ihn mit liebem Lächeln an und nickte verständnißvoll.

Die Erlebnisse während des Sturmes wurden ausgetauscht. Anne-Marie war auf dem Platze von dem Unwetter überrascht worden, wo Curt sie gefunden. Seinen Ruf hatte sie gehört und in der That beantwortet, aber sich nicht von der Stelle gewagt; dann war der Baum neben ihr gefallen, und die Ohnmacht entzog sie wohlthätig allem Uebrigen bis zu seligem Erwachen. In Branitz hatte man in sicherer Stube die schreckliche Naturerscheinung vorüber ziehen lassen. Auf dem Hofe war, was nicht niet- und nagelfest, fortgeschleudert worden, bis es an Gebäuden den sichern Halt gefunden; ein paar Tränkeimer hatte der Wind hoch durch die Luft entführt und einen Knecht, den er im Gehen gepackt, ohne Gnade auf den Boden hingestreckt. Im Garten aber lag die ganze Orangerie, lagen die Oleander und Kirschlorbeer umgeschlagen und zumeist vernichtet am Boden; schwer war der Schaden an jungen Zierbäumen und auch der Park hatte gelitten; ein stürzender Baum hatte ein Stück des Eisengitters nach der Straße zu eingebrochen, und ein Schornstein, eine beträchtliche Anzahl Ziegel von den Dächern, ja, sogar ein ganzes ausgerissenes Fenster waren ihm an den Gebäuden zum Opfer gefallen.

Wie mochte es in dem offenen Pelchow aussehen, wo die Widerstandskraft der Baulichkeiten eine so zweifelhafte war? Die Männer sprachen mit schwerer Besorgniß davon.

An der Parkthür hielt Curt an.

(Schluß folgt.)

Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.
XXVIII.

Ich habe Ihnen, verehrte Freundin, in meinem letzten Briefe drei deutsche Romandichter vorgeführt, deren Physiognomien so verschiedenartig sind, wie dies mir bei Schriftstellern derselben Zeit und derselben Nation der Fall sein kann; ich will Sie heute auf drei lyrische oder lyrisch-epische Dichter aufmerksam machen, die ebenfalls keinerlei Familienähnlichkeit haben.

Es ist ja Weihnachtszeit, und wenn im deutschen Dichterwald soviel durch einander gezwitschert, gewirbelt und geschmettert wird, daß man es ganz verlernt hat, sich um den einzelnen Sänger zu kümmern so giebt es doch noch einen Baum, den die Weihe des deutschen Gemüthes geheiligt hat, sodaß man auf seine Sänger hört: es ist der Christbaum, und wenn ein solcher Sänger noch ein schmuckes, buntes Gefieder hat, so darf er in diesem bevorzugten Wunderbaume sein Nest bauen. Für das schmucke, bunte Gefieder der deutschen Lyriker sorgt aber der Buchhandel und die Buchbinderei mit den elegantesten farbigen, goldschimmernden Einbänden, und das leuchtet und funkelt, als wären es Kolibris und Paradiesvögel – und es sind doch nur unsere schlichten heimathlichen Sänger in dem Prunkgewande, wie es der kerzenhelle Christabend verlangt. Ihnen verehrte Freundin würden sie auch willkommen sein in ihren Alltagsumschlägen, wenn’s nur drinnen leuchtet und glänzt wie Zauberschimmer echter Poesie.

Da tritt zunächst vor Sie hin ein fahrender Gesell mit leichtgeschürzten Liedern; sein Name ist Rudolf Baumbach, und dieser Name hat in kurzer Zeit einen guten Klang gewonnen. Die Lieder sind klein, zart, niedlich; sie haben nicht nur artige Geberden und ein feines Mienenspiel, sie sind auch so zierlich gebaut und gegliedert, daß das Auge mit Wohlgefallen auf ihnen ruht. Da stört nirgends ein „zuviel“ das rechte Ebenmaß, keins dieser Lieder wächst unschön in die Länge; keins zeigt eine zu üppige Fülle; alle Bewegungen sind anmuthig und graziös, und was uns an ihnen erfreut, ist ihr niedliches Nippen vom Quell der Dichtung. Es ist Miniaturpoesie von der liebenswürdigsten Art. Ihr Grundzug ist ein schäkernder Volkston, aber oft weht ein Hauch sinniger Poesie darüber hin.

Rudolf Baumbach hat auch eine epische Dichtung verfaßt, eine Alpensage: „Zlatorog“, die jetzt in dritter Auflage vorliegt. Der Titel wird Sie fremdartig gemahnen, verehrte Freundin. Zlatorog ist ein wunderbarer Gemsbock mit goldenem Gehörn, der im besonderen Schutz der weißen Frauen steht, aber leider ist Zlatorog ein slovenischer Bock, und es will uns nicht gefallen daß diese Alpensage in ein slavisches Gewand gehüllt ist. Die Namen klingen doch gar zu barbarisch: die schönen weißgekleideten Frauen, die Schicksalsgöttinnen der Slovenen heißen Rojenice; es ist dies kein Wort, unter dem wir uns etwas Schönes und Verlockendes denken können; ein kleiner rauhhaariger Kobold heißt der Skoot, und so rauhhaarig gemahnen uns alle diese slovenischen Alpengötter und Alpengöttinnen, den goldhörnigen Bock mit eingeschlossen, welcher den Zaubergarten dieser Dichtung „auf dem Titelblatt“ bewacht.

Doch dies uns wenig sympathische Slaventhum, das dem Märchenstoffe anhaftet, ist auch das Einzige, was Sie, verehrte Freundin, an dem Gedicht aussetzen werden; desto sympathischer ist die dichterische Einkleidung, das landschaftliche Colorit: in der That, dieser Zlatorog trägt das Gold echter Poesie an seinen Hörnern. Mit diesen hat es eine eigentümliche Bewandtniß; es sind Zauberschlüssel, welche den großen im Bogatin tiefverborgenen [847] Schatz erschließen. Das ist keiner von den Böcken, wie sie die Börsenspeculanten und Staatsmänner oft schießen, wenn sie goldene Schätze heben wollen; das ist ein solider, zuverlässiger Bock, und seine goldenen Hörner würden alle Reformen der Wirthschaftspolitik überflüssig machen. Der Bock allein würde indeß mit seinem Rudel Gemsen nicht der Held einer Dichtung sein können. Dazu bedarf es eines Jägers, und ohne Liebeshandel geht es auch in den Julischen Alpen nicht ab. Der schmucke Jäger liebt die „holde blonde Jerica“, doch sie ist mit den Blumen nicht zufrieden, die der Freier von den Alpen aus dem Zaubergarten der weißen Frauen mitten im Winter bringt; sie meint, er könne ihr, da er in jenem Reiche so gute Connexionen habe, auch Gold und Schätze von dorther bringen. Dazu genüge ja schon ein Splitter vom Goldgehörne des Wunderbockes, der wie eine Wünschelruthe die Pforte erschließt, die zu den verborgenen Schätzen führt. Unzufrieden mit ihrem Liebsten, läßt sich die schöne Jerica von reichen Venetianern, welche durch jene Gegend kamen, den Hof und auch Geschenke machen. Da beschließt der Jäger, den goldenen Schatz zu erringen, ihn vor sie hinzustreuen und dann sein Roß weiter zu lenken. Er steigt die Alpen hinauf, schießt auf den Zauberbock und trifft ihn, doch aus den rothen Blutstropfen des schwergetroffenen Thieres erwachsen purpurfarbene Blumen, die rothen Triglavrosen; aber wenn der Gemsbock an ihnen äßt, dann heilen seine Wunden. Bis zu schwindelnder Höhe folgt ihm der Jäger: da tritt ihm aus steilem Pfade der genesene Zlatorog entgegen.

Blitze zucken um den gold’nen Hauptschmuck
Und geblendet steht der Trentajäger.
Kreisend drehen sich um ihn die Felsen,
Kreisend alle schneegekrönten Gipfel.
„Jerica!“ ertönt’s von seinem Munde;
„Jerica!“ erschallt es tausendstimmig
Aus den Felsen – und dann wird es stille.
Stolz und langsam zieht der goldgekrönte
Zlatorog bergab. Der Weg ist frei.

Da ziehen die weißen Frauen von dannen; die grünen Almen des Triglav aber waren plötzlich in ein Meer voll Felsentrümmern verwandelt.

In wechselnden Versmaßen, welche hin und wieder ein kurzathmiges Lied hinhauchen, wird diese Alpensage von dem Dichter erzählt, schlicht und anspruchslos; nirgends Pomp und Glanz, nirgends Ueberladung der Diction, aber das bezeichnende Wort sieht immer an der rechten Stelle, und so ist das Colorit lebendig, ohne gerade farbenreich zu sein.

Einfach in Ton und Haltung, wie Rudolf Baumbach, ist auch Martin Greif, dessen „Gedichte“ vor Kurzem in zweiter, stark vermehrter Auflage erschienen sind, doch die Einfachheit Greif's ist eine andere; sie ist nicht so volkstümlich naiv; sie hat den vornehmeren Gestus der Goethe’schen Muse. Goethe ist das unverkennbare Vorbild des Dichters, sowohl im sangbaren Liede, wie im reimlosen Hymnus; dort sucht er besonders durch stimmungsvolle Beiwörter jenen eigenartigen Duft hervorzuzaubern, der über den Liederklängen des großen Meisters schwebt; hier weiß er die Verstoga in dieselben antik-würdevollen Falten zu schlagen, wie Goethe in seinen Hymnen. Und so feiert er auch den großen Dichter in einer Tonart, welche an die Sangesweise desselben anklingt.

„Schreitet dem sterblichen
Menschengeschlecht
Einmal ein Seher
Deutend voran,
Nimmer vergessen
Werden die Züge,
Denen die Gottheit
Sprache verlieh’n.
Spät noch die Enkel
Sehen ihn wallen
Mit der erhob’nen
Lyra im Arm.
Ewige Jugend
Rollt ihm die Locken;
Ewiges Feuer
Nährt ihm den Blick.
Seine Gesänge
Rauschen hernieder,
Frei wie die Ströme
Nieder in’s Land.“

Eine Gefahr liegt indeß der goethisirenden Dichtweise nahe. verfehlt sie im einfachen Liede den rechten Ton, so fällt sie unfehlbar in’s Triviale. Es ist nicht leicht, den Morgen und Abend und die vier Jahreszeiten, Veilchen und Rosen, Meerfahrten und Bergtouren, Sonnenauf- und Untergänge, den Mond und die Sterne in schlichten Versen zu besingen, ohne in die ausgetretenen Gleise des alltäglichen Singsangs zu geraten.

Und auch Martin Greif hat das nicht immer vermieden; es finden sich unter den Liedern und Naturbildern einzelne nichtssagende Gedichte oder wenigstes in einzelnen Gedichten nichtssagende Wendungen. Dies gilt sowohl voll den Liedern wie auch von den „Naturbildern“, obschon sich unter den letzteren einige farbenreiche Vedüten befinden; denn hier schickt der Dichter seine Muse auf die Wanderschaft, und sie greift zuweilen zur Brieftasche und Zeichenmappe des Touristen. Eine einfache Liederblüthe muß würzigen Duft haben: die bloße schlichte Färbung genügt nicht, um einen dichterischen Eindruck hervorzurufen. Dieser würzige Duft ist indeß vielen Liedern Martin Greif’s eigen; man kann ihn nicht analysiren; man muß ihn genießen. Sie werden ihn, verehrte Freundin, gewiß in dem folgenden kleinen Gedichte nicht vermissen:

Juninächte.

„Juninächte, sternenlose,
In dem Blüthenmond der Rose!
Da das bange Herz dazu
Lieb’ durchstürmte ohne Ruh.

Blitzgezuck und Wetterleuchten!
Und die Nachtigall im feuchten,
Thaubenetzten Busche tief
Wunderbare Laute rief.

Hatten uns so viel zu sagen.
Blickten hoch die Wolken jagen,
Blickten in den Flammenschein
Wie im tiefen Traum hinein.“

unter den Balladen Greif’s findet sich viel Mittelgut: es giebt eine gewisse Balladenschablone besonders für altdeutsche und ritterthümliche Stoffe, welche auch voll unserem Dichter wie von anderen namhaften Poeten der Jetztzeit in ausgiebiger Weise benutzt wird. Die Ballade füllte den Minnegesang und den ganzen Ritterplunder einmal bei Seite lassen und moderne Stoffe wählen. Wo Greif dies gethan, da ist ihm auch mancher Wurf gelungen.

Lesen Sie, verehrte Freundin, „Des Zöllners Tochter“! Die geisterhafte Schlittenfahrt im Schneegestöber ist reizend geschildert; die Winterlandschaft bildet die passende Umrahmung, und man sieht gleichsam des Zöllners Töchterlein altern im eisigen Schnee, der ihr in den Locken haften bleibt, im flockigen Puder, in den Spitzen von Brabant, mit denen das Schneegestöber galant Schönliebchen umwebt; man wundert sich nicht, wenn dasselbe als Altmütterlein auf dem Kirchhofe ankommt.

Der dritte Dichter, der sich zum Christfest meldet, ist Hermann Oelschläger, der erst vor Kurzem durch eine sehr gewandte Uebersetzung der Liebesgesänge des Ovid sein schönes Formtalent bewährt hat. Eigenartig ist die Gabe, die er jetzt bietet: „Novellen in Octaven“. Früher, verehrte Freundin, galten die Octaven für sehr stolze Strophen, mit ihrem Stimmvollklang geeignet für das romantische Epos, wenn es à la Tasso mit vollen Segeln in See stach; jetzt aber benutzt man die volltönende Strophe gern zu plauderhaften, humoristischen Gedichten, die den oft wenig bedeutsamen Kern einer Erzählung mit allerlei ernsten und scherzhaften Reflexionen überspinnen.

Noch auf eine kleine frische Dichtung möchte ich Sie hinweisen, liebe Freundin! Es ist dies „Aennchen voll Thurau“, ein Lied aus alter Zeit von Franz Hirsch, dem Dichter der Vagantenlieber. Das ostpreußische Mädchen, welchem Simon Dach sein bekanntes Gedicht gewidmet hat, ist die Heldin dieser poetischen Erzählung, die in anmuthigem Fluß der Darstellung kecken Studentenhumor und herzige Liebespoesie verbindet und sich durch ein sehr treues Königsberger Localcolorit auszeichnet, das jeden Freund der Pregelstadt besonders anmuten muß. Die Erzählung selbst wird durch manches treffliche eingelegte Lied unterbrochen.



[848]
Land und Leute.
Nr. 46. Wanderungen durch Bulgarien.
Von A. C. Wiesner.

Bulgarien, welches in der Jüngstzeit wieder in den Vordergrund der Tagesereignisse getreten, ist fast noch immer ein halbunbekanntes Land – um so interessanter ein Blick auf bulgarisches Land und bulgarische Leute.

Ueberaus anregend ist die Reise in dieses entlegene Ländergebiet auf einem der großen Donaudampfer, die mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet sind. Nachdem man das „Eiserne Thor“ passirt, beginnt die Uferlandschaft sich allmählich zu verändern. Zur Rechten des gewaltigen Stromes steigt das Land, oftmals in beträchtlicher Höhe, steil empor, während das linke rumänische Ufer sandig und völlig flach ist. Hier beginnt die große, endlose Ebene, die an schönen Sommertagen im blauen Duft der Ferne verschwimmt und nur durch vereinzelte Baumgruppen und Grenzwächterhütten unterbrochen wird. Die Donau durchströmt nun in mehreren großen Krümmungen das Land.

Inzwischen hat sich das Verdeck des Dampfers von den bereits zurückgelegten Uferstationen immer mehr mit interessanten Gestalten und Typen gefüllt, welche in der sonderbarsten Mischung Occident und Orient vertreten. Die Türken drücken sich stumm und theilnahmslos in eine Ecke, während die lebhaften Serben, Rumänen und Bulgaren sich laut und zwanglos unterhalten. Man hört hier alle Sprachen der osteuropäischen Völkermischung: Ungarisch, Serbisch, Rumänisch, Bulgarisch und Türkisch. Es pflegt auch nicht an deutschen, englischen, italienischen und russischen Reisenden zu mangeln, die, falls sie diese Fahrt zum ersten Male unternehmen, mit Interesse und Verwunderung auf ihre Umgebung blicken.

Die Donau beschreibt nun abermals einen Bogen hinter dem alsbald hohe, schlanke Minarets und die Stadt Rustschuk sichtbar werden. Wie alle orientalischen Städte, scheint Rustschuk durch die zerstreuten Häusergruppen und die dazwischen liegenden Gärten eine viel größere Ausdehnung zu haben, als es in Wirklichkeit hat. Nachdem wir uns mit der bulgarischen Zollrevision abgefunden, wobei noch, eigenthümlich genug, an der türkischen Ueberlieferung „Bakschisch“ (Trinkgeld) festgehalten wird, betreten wir das Innere der Stadt. In den engen, halbdunklen Straßen geht es überaus lebhaft her. Die Ladenbesitzer in den kleinen, zumeist ein Stockwerk hohen Häusern, sowie umherwandernde Verkäufer bieten uns alle möglichen Waaren an. Dazwischen drängen sich Obst- und Gemüsehändler, Fuhrwecke mit knarrenden Rädern, Reiter, russische Officiere, bulgarische Soldaten und allerlei Volk in charakteristischer, buntfarbiger Tracht. Von der Straße gelangen wir auf einen großen Platz, wo wir mehrere Zoll tief im Staube versinken. Jeder Reiter oder Wagen wirbelt deshalb förmliche Samumwolken auf, die das Athmen erschweren, die Einheimischen aber kaum zu belästigen scheinen.

Der Glockenthurm der Hauptkirche in Sofia
Originalzeichnung von J. J. Kirchner.

Ein Ziehbrunnen in der Mitte des Platzes, sowie ein neues Café nach europäischer Art sind hier die Hauptdecorationen. Vor dem Café, dessen Veranda von russischen und bulgarischen Officieren sowie Rustschuker Honoratioren gefüllt ist, singt ein bulgarischer Rhapsode, von einer lauschenden Volksgruppe umgeben, seine Heldenlieder, sie mit der Gusla begleitend, dem uralten musikalischen Instrumente sämmtlicher Südslaven.

In der Nähe des Platzes befindet sich eine Moschee, die durch den jüngsten Krieg arg gelitten hat. Auch eine ganze Häusergruppe in der Nachbarschaft ist durch die Geschosse in eine große Ruine verwandelt worden.

Der Landweg von Rustschuk nach der alten Bulgarenhauptstadt Tirnowo, den man entweder im Wagen oder zu Pferde zurücklegen kann, ist in landschaftlicher oder sonstiger Beziehung weniger bemerkernswerth. Erst nachdem man die hohen, imposanten Berge der Samowodakette im Angesichte hat, weicht die bisherige Einförmigkeit der Landschaft einem überaus anziehenden Gebirgscharakter. Zu beiden Seiten der Straße erheben sich hohe, zumeist mit üppigen Eichen oder anderem Laubgehölz bedeckte Bergrücken, von deren Gipfeln ab und zu schmucke Klöster oder die Trümmer einstiger Befestigungen in das Thal blicken. Aus den Schluchten stürzen über Felsen und Gerölle schäumende Gießbäche, um sich mit der Jantra zu vereinigen, welche uns später bis Tirnowo das Geleite giebt. Die Straße fährt nun nach einem engen bewaldeten Bergkessel, in dem die alte Bulgarenhauptstadt in überaus malerischer Lage amphitheatralisch emporsteigt. Der Ausblick von Tirnowo auf die Ausläufer des Balkangebirges und dieses selbst kann unbedingt prachtvoll genannt werden. Auch die Vegetation in der Umgebung der Stadt ist eine überaus üppige, kurz, Tirnowo darf ohne Widerrede als einer der schönsten landschaftlichen Punkte Bulgariens gelten.

[849] Das Innere der Stadt sticht freilich voll ihrem vorteilhaften Aeußeren gewaltig ab. Wir finden wieder, wie in allen orientalischen Städten, ein enges, krummes Straßengewirr, ruinenartige Häuser, viel Schmutz und Verkommenheit, ja nicht einmal den primitivsten Anfang westeuropäischer Gesittung und Cultur. – Für die Bulgaren ist indeß Tirnowo reich an historischen Erinnerungen. Es war die Residenz ihrer mächtigen Zaren, die von hier aus ihre siegreichen Kriegszüge gegen Constantinopel unternahmen. Daß Bulgarien einst ein mächtiges südslavisches Reich gewesen, darüber herrschen keinerlei Zweifel. Die Geschichte meldet uns, daß zur Zeit des oströmischen Kaiserthums mächtige Bulgarenheere wiederholt vor den Mauern Constantinopels erschienen und die griechischen Kaiser zu Friedensschlüssen und Tributzahlungen zwangen. Bei Tirnowo sollte aber auch das Verhängniß über das bulgarische Reich und Volk hereinbrechen; denn hier war es, wo das wild anströmende, Alles vor sich niederwerfende Türkenheer die Bulgaren zur Hauptschlacht nöthigte, in der Letztere ihre Unabhängigkeit und Freiheit verloren, um Jahrhunderte lang von ihren Bezwingern als rechtlose Sclaven behandelt zu werden. Wohl im Hinblicke auf diese geschichtliche Erinnerung ist auch noch heute der Haß der Bewohner Tirnowos gegen die Türken ein überaus heftiger. Deshalb haben auch seit dem jüngsten Kriege, der die Errichtung des gegenwärtigen selbstständigen Fürstenthums zur Folge hatte, fast alle Türken Tirnowo verlassen; nur ein geringer Rest, den untersten Volksschichten angehörig, ist geblieben und hat sich in die neue Ordnung der Dinge gefügt.

Eine Vorstadtstraße in Sofia.
Originalzeichnung von J. J. Kirchner.

Von Tirnowo gelangt man in einem Tage nach Grabowo. Der Weg dahin führt abwechselnd durch wilde Felsschluchten, ödes Gestein und üppige Thalgründe, in denen Maulbeerbäume und köstliche Trauben reifen. Je mehr man sich Grabowo nähert, desto häufiger werden die Weinberge. Einen höchst freundlichen, ja im Vergleiche zu den bisher geschauten bulgarischen Städten und Ortschaften geradezu überraschenden Eindruck macht das am Wege gelegene Städtchen Trenowo, das zumeist aus nettgebauten, reinlichen, von wohlgepflegten Gärten umgebenen Holzhäusern besteht. Wenn man diese Civilisationsoase erblickt, so glaubt man gar nicht in Bulgarien oder überhaupt im europäischen Orient zu sein, und es wäre vielleicht interessant nachzuforschen, warum gerade die Bewohner Trenowos in so auffälliger Weise den modernen Culturideen geneigt sind.

Grabowo, das im jüngsten Kriege als Zugangspunkt zum Schipkapasse eine hervorragende Rolle gespielt, ist bezüglich seines Aeußeren zwar weniger freundlich, aber man findet dort ganz gute Unterkunft und mancherlei Bequemlichkeiten, die den übrigen bulgarischen Städten fremd sind. Das erklärt sich vielleicht daraus, daß Grabowo ein bedeutender Industrie-Ort Bulgariens ist, in welchem zu gewissen Zeiten sich viele fremde Kauf- und Geschäftsleute einzufinden pflegen. Unter den industriellen Erzeugnissen der Stadt steht namentlich die Fabrikation von blanken Waffen, zumal Säbel- und Handscharklingen obenan, welche im ganzen europäischen Orient gesuchte Artikel sind.

Von Grabowo aus ist der durch die jüngsten Kriegsereignisse historisch geworbene Schipkapaß leicht zu ersteigen. Die Straße, die seit dem Kriege besser geworden, aber noch immer Vieles zu wünschen übrig läßt, steigt in fortwährenden Krümmungen an steilen Felsabhängen und durch wilde, oft beträchtlich tiefe Schluchten hinan. [850] Kurz vor der Paßhöhe bemerkt man auf einem vorspringenden Felsplateau die Reste einer Befestigung und unfern davon eine Reihe verfallener Holzhütten, welche wohl den Russen zur Unterbringung von Mundvorrath, Munition und anderem Kriegsmaterial gedient haben mochten. Bald nachher erreicht man den höchsten Punkt der Straße, von dem sich plötzlich ein prachtvolles Landschaftsbild entrollt. Man erblickt Kasaulik, umgeben von allen Reizen einer farbenprächtigen südlichen Vegetation. Die weißen Häuser der Stadt blicken aus üppigen Gärten und dem dunklen Grün mächtiger Buchen, Eichen, Cypressen, Platanen und Lorbeerbäume hervor, zwischen denen ausgedehnte blühende Rosenpflanzungen sich hinstrecken, die zur Erzeugung des berühmten orientalischen Rosenöles dienen, das bekanntlich ein wichtiger Handelsartikel ist. Mit einem Worte, der Anblick Kasauliks und seiner entzückenden Umgebung entschädigt reichlich für das mühsame Ersteigen des Schipkapasses.

Sofia, die gegenwärtige Hauptstadt Bulgariens, ist jüngsthin vielfach genannt worden. Auch Sofia hat sich noch wenig verändert. Die Straßen sind bei trockenem Wetter mit tiefem Staub bedeckt, der sich, sobald Regen eintritt, in ein grundloses Kothmeer verwandelt. Noch schlimmer steht es in den entlegenen, ausgedehnten Vorstädten aus, wo die armen Leute in elenden Erdhütten, wahren Troglodytenhöhlen, hausen (siehe das Bild unseres Künstlers) und in kümmerlichster Weise ihr Dasein fristen. Indeß ist auch hier die türkische Bevölkerung, wie in anderen bulgarischen Städten, auf ein Minimnm herabgeschmolzen.

Dafür haben sich seither in Sofia viele fremde Gewerbetreibende und Geschäftsleute, zumal Serben und Rumänen, niedergelassen, deren Geschäfte in kurzer Zeit einen günstigen Aufschwung genommen. So entstanden auch mehrere neue Gasthöfe nach westeuropäischer Art, Restaurants, Cafés, Kaufläden und manche andere Unternehmen, an deren Spitze Fremde stehen. An hervorragenden Gebäuden ist Sofia arm, etwa die Hauptkirche ausgenommen, von deren charakteristischem Glockenthurm unser Künstler ein anschauliches Bild liefert. Selbst für Fürst Alexander und seine Umgebung war kein für seine Residenz passendes Gebäude vorhanden, weshalb er die frühere türkische Caserne beziehen mußte, die indeß in ihrem Inneren ganz wohnlich eingerichtet wurde. Von neu errichteten Gebäuden sind nur die Schulen bemerkenswerth. Daß man damit den Anfang gemacht, scheint auf die Erkenntniß hinzuweisen, daß dem Lande vor Allem die Hebung der Volksbildung noth thut. Unter der türkischen Herrschaft gab es im Lande keine einzige bulgarische Schule, sondern nur höhere mohammedanische („Medrissen“).

In Sofia herrscht reges Leben, namentlich Sonntags, wo das Landvolk in seinen malerischen Trachten in die Stadt strömt. Alsdann sind die Straßen von einer festlich geputzten Menge gefüllt; dazwischen drängen sich mit Büffeln bespannte Bauernwagen, Reiter, die mit lauten Zurufen die Menge zum Ausweichen mahnen, elegante Equipagen, den Vertretern der europäischen Mächte gehörig, russische Officiere in goldstrotzenden Uniformen auf feurigen Pferden - kurz das Bild ist ein überaus belebtes und wechselvolles.

Wenn es dunkelt, füllen sich die Cafés und Gasthäuser, von denen manche einen schon völlig europäischen Anstrich haben und zumeist von russischen Officieren besucht werden. Während im Inneren jener Locale lustig die Champagnerpfropfen knallen und die Gläser an einander klingen, steht draußen in lauer Sommernacht eine lauschende Volksgruppe, in deren Mitte ein graubärtiger, erblindeter Guslaspieler seine schon unzählige Male wiederholten, aber vom Volke immer wieder gern gehörten altbulgarischen Heldenlieder singt. Erwähnt er in seinem Liede irgend einen alten Nationalhelden, der da oder dort die Türken geschlagen, so wird der Zuruf der Menge sofort ein enthusiastischer, in den sich auch wohl Verwünschungen der „asiatischen Teufel“, der Türken, mischen – eine patriotische Entrüstung, die freilich unter der Herrschaft des Halbmondes nicht laut werden durfte.

Das ist in kurzen Zügen ein Abend in Sofia.

Beschließen wir nun unsere Wanderungen durch Bulgarien mit einem Blick auf seine gegenwärtigen politischen Zustände und Verhältnisse, die allerdings wenig erfreulicher Natur sind! So viel ist gewiß, daß der russische Einfluß auf alle politischen Handlungen des Fürsten der ausschließlich maßgebende ist. Daß unter solchen Umständen von einem Verfassungsleben nicht die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Wie kann constitutionelles Wesen gedeihen, wie sollen die Landesinteressen öffentlich und freimüthig besprochen werden, nachdem der Fürst das türkische Preßgesetz wieder eingeführt hat? Leider werden diese autokratischen Regierungstendenzen von der großen Masse des bulgarischen Volkes unbewußt unterstützt.

Wir müssen hier der geistigen Verkümmerung gedenken, der das bulgarische Volk während der Jahrhunderte langen Türkenherrschaft verfallen, wodurch es allein erklärlich wird, daß die Volksmassen alle dem Landeswohle zuwiderlaufenden Regierungsmaßnahmen zu unterstützen bereit sind. Und welches Urtheil, welches politische Verständniß könnte man auch von einem Volke wie das bulgarische verlangen, dessen große Massen des Lesens und Schreibens unkundig und darum außer Stande sind, auch nur die Hauptbedingungen eines freien geregelten Staatswesens zu erfassen und im Interesse ihres Landes zu befürworten?

Das bulgarische Volk scheint vorläufig damit zufrieden, daß es von den verhaßten Türken befreit ist, und glaubt dies ausschließlich dem russischen Kaiser danken zu müssen, dem es deshalb auch den Beinamen „Czar-Befreier“ gegeben hat. Was nun weiter geschehen, wie das Land sich entwickeln soll, darüber zerbricht sich der gewöhnliche Bulgare nicht den Kopf.

Aus dem bisher Gesagten erhellt, daß die liberale Partei, wenn sie auch über mehrere tüchtige, im Auslande gebildete Männer, wie Karawelow, Slawejkow und Zankow, verfügt, bezüglich ihrer Zahl und ihres Einflusses noch von keiner allzu großen Bedeutung sein kann. Ob aber Fürst Alexander mit Ausschluß des intelligenten, den Landesinteressen ergebenen liberalen Elements mit den russischen Officieren und Beamten auf die Dauer weiter zu regieren vermag, dürfte auch kaum zu bejahen sein. Vorläufig beabsichtigen die liberalen Führer, wie zur Zeit der türkischen Bedrückung, ihr Vaterland zu verlassen, um in dem benachbarten Rumänien Zuflucht und Schutz zu suchen. Ueberhaupt ist Rumänien für die Liberalen Bulgariens das Vorbild eines freiheitlichen, von weisen Gesetzen regierten Staates, der sich unter König Carol aus dem Hause Hohenzollern glücklich fühlt; denn ein größeres Maß von Freiheit, als es Rumänien besitzt, liegt nicht in der Absicht der bulgarischen Liberalen. Sollten nun die unerschrockenen Vorkämpfer der guten Sache Bulgariens wirklich ihre Selbstverbannung nach Rumänien ausführen, so mögen sie den Trost und die Ueberzeugung mitnehmen, daß früher oder später auch ihrem Vaterlande ein besseres Loos winken wird. Haben doch auch die übrigen Donaustaaten lange gekämpft und viele Drangsale erlitten, bevor sie ihre Selbstständigkeit auf wirklich liberalen Grundlagen erlangt, die untrennbar sind von dem Geiste unseres Jahrhunderts.




Zur Literaturgeschichte des Neuen Testaments.

Von Dr. Kalthoff.
III.
Der Sieg des Katholicismus im Neuen Testament.
Motto: Luther, Du! - Großer verkannter Mann! -
Du hast uns vom Joche der Tradition erlöst:
wer erlöst uns von dem unerträglicheren Joche
des Buchstabens? Wer bringt uns endlich ein
Christenthum, wie Du es jetzt lehren würdest,
wie es Christus selbst lehren würde?
Lessing, „Theologische Streitschriften“.

Jede Tendenz, die eine bestimmte Zeit beherrscht, bedarf um zu ihrer Verwirklichung zu kommen, des äußeren Anstoßes. Wie lange hatten schon die Besten unserer Nation eine Einigung des in sich so vielgetheilten Deutschland erstrebt! Aber erst der Krieg der Jahre 1870 und 1871 brachte unser Volk an das Ziel seiner edelsten Wünsche. Auch in den zerklüfteten Gemeinden der ältesten Kirche war das Bestreben nach Vereinigung der bestehenden Gegensätze längst lebendig. Aber erst die gemeinsame Noth der Christenverfolgungen brachte es zuwege, daß der häusliche Zwist beigelegt wurde und die Parteien sich enger zusammenschlossen.

[851] Die neronische Verfolgung des Jahres 64 war auf Rom beschränkt geblieben. Wohl waren die Christen unter den nächstfolgenden Kaisern einzelnen Quälereien ausgesetzt gewesen, aber erst unter Trajan (98 bis 117) nahm die Verfolgung einen bedrohlichen Charakter an. Der im Jahre 111 nach Bithynien entsandte Statthalter Plinius fand dort, wie er sich in einem Briefe ausdrückt, daß die Seuche des christlichen Aberglaubens sich nicht nur über die Städte, sondern auch über das Land und die Dörfer verbreitet, sodaß die Tempel leer standen und der Handel mit Opferthieren aufgehört hatte. Er hielt sich für berufen, der Seuche zu steuern. Dabei aber kam er in Conflict mit seinem Rechtsbewußtstein und schrieb an den Kaiser um Instruction. Die kaiserliche Antwort lautete, man solle die Christen nicht aufsuchen, anonyme Anzeigen auch nicht berücksichtigen, aber förmliche Anklagen untersuchen und die, welche des verbotenen Glaubens schuldig befunden würden und von demselben nicht zurücktreten wollten, bestrafen. Damit war der Rechtsboden für das Einschreiten des Proconsuls gegeben; die Verfolgung hatte eine legale Form erhalten.

Die neutestamentlichen Schriften, in denen sich das Bild dieser Zeit wiederspiegelt, sind der erste Petrus-Brief und die Apostelgeschichte. Die erste dieser Schriften ist von Rom, dem Sitze des Judenchristenthums, an die bedrängten kleinasiatischen Gemeinden, in denen noch vor etwa vierzig Jahren der Kampf der Parteien am heftigsten brannte, gerichtet. Aber dieses Schreiben gehört zu den versöhnlichsten des Neuen Testaments. Es ermahnt die Christen, im Leiden festzustehen, das Böse mit Gutem zu vergelten und dahin zu trachten, daß Jeder nur um der Gerechtigkeit, Keiner um der Bosheit willen leide.

Der Verfasser dieses Briefes hat aus seinem Herzen jeden Groll gegen den Apostel Paulus ausgetilgt. Er bedient sich sogar der Worte und der Gedanken des Paulus, was dem Briefe jedenfalls um so sicherer einen Platz im Herzen der kleinasiatischen Gemeinden verschaffte. Daß der Brief trotz der darin enthaltenen paulinischen Gedanken, den Namen des Petrus trägt, ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß die Christen über die Zeit, in der die Einen riefen: „ich bin petrisch“, die Anderen: „ich bin paulisch“, hinaus waren.

Einen ähnlichen Charakter hat die Apostelgeschichte. Auch sie ist unter Trajan verfaßt worden und recht eigentlich das classische Denkmal der zwischen den Petrinern und Paulinern vollzogenen Einigung. Mit peinlicher Sorgfalt sind aus der Lebensgeschichte des Paulus alle herben, gegen das Gesetzeschristenthum gerichteten Züge ausgetilgt. Jener tiefgehende Conflict, den Paulus mit Petrus in Antiochien hatte, als Petrus zuerst mit den Heidenchristen aß, dann aber, sobald Vertreter der Jerusalemgemeinde dazu kamen, plötzlich den Verkehr mit den Heidenchristen abbrach, ist vollständig übergangen. Dafür soll Paulus, im directen Gegensatze gegen seine im Galaterbriefe behauptete Position, sich bei einem Congresse in Jerusalem dazu verstanden haben, seine Gemeinden auf die Innehaltung der sogenannten noachischen Gebote zu verpflichten. Petrus erscheint in der Apostelgeschichte auf einmal als ein durchaus freisinniger Pauliner. Er geht nach einer Vision in das Haus des heidnischen Hauptmanns, um dessen ganze Familie zu taufen. Die Institution der Taufe hat die der Beschneidung völlig verdrängt. Die Taufe ist dafür aber nun ebenso nothwendig geworden, wie früher die Beschneidung. Petrus verkündigt in Jerusalem die paulinische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, und da doch einmal in der Tradition fortlebte, daß die Judenschriften eine Unterstützung, die Paulus nach Jerusalem gebracht hatte, zurückgewiesen, so erfand die Apostelgeschichte einen eigenen Magier Simon, dem nun anstatt dem Paulus das Wort entgegengeschleudert wird: „Daß du verdammt seiest mit deinem Gelde!“ Dabei wägt der Verfasser der Apostelgeschichte sorgfältig ab, daß keiner der beiden Apostel in der Bewunderung der Leser zu kurz komme. Jeder Wunderthat des Einen wird eine analoge Wunderthat des Andern zur Seite gesetzt.

So schien der Streit zwischen Paulinern und Petrinern vorläufig beigelegt. Wer hatte denn aber in diesem Streite gesiegt, Paulus oder Petrus? Der ideale Sieg war entschieden auf Seiten der Paulus-Partei; denn sie hatte es fertig gebracht, daß die Gegner ihre particularitischen Gesetzesansprüche hatten fallen lassen müssen. Den Löwenantheil des Sieges trug indessen die Petrus-Partei davon. Ueber den Verlust der Beschneidung konnte man sich trösten, nachdem in der Taufe, dem Zeichen der Aufnahme in den göttlichen Bund, ein Ersatz für dieselbe geschaffen war. Jetzt hatte ja ihr Führer doppelten Ruhm: einmal den Ruhm des Apostelfürsten, und dann noch denjenigen, zugleich auch als der Vertreter der universellen Ideen des Paulus zu erscheinen. Rom hatte seinen ersten entscheidenden Sieg errungen, indem es sich zum Vertreter des kirchlichen Einheitsgedankens aufwarf. Es sollte später Gelegenheit zu einem zweiten noch größeren Siege erhalten.

Wie einst in Kleinasien der Streit um die Verbindlichkeit der Beschneidung begonnen hatte, der erst vor Kurzem durch die allgemeine Einführung der Taufe seine Erledigung gefunden hatte, so entstand jetzt ebendaselbst der Streit um die Befindlichkeit des zweiten mosaischen Sacraments, des Passahmahls. In Kleinasien befand sich eine christliche Partei, welche, streng an der jüdischen Passahfeier festhaltend, das österliche Fasten am 14. Nisan abbrach, um an diesem Tage das gesetzliche Passah zu genießen. In der abendländischen Kirche hatte man sich längst von dieser strengen Praxis losgelöst. Man kümmerte sich nicht um den 14. Nisan, sondern richtete sich, wie es noch heute kirchlicher Gebrauch ist, lediglich nach dem Sonntage, dem der Erinnerung an die Auferstehung Jesu geweihten Tage, und weihte danach den Freitag ein- für allemal als Erinnerungstag an den Tod Jesu. Die Differenz kam zuerst in Rom bei Gelegenheit eines Besuches des Bischofs Polycarp von Smyrna bei dem römischen Bischofe Anicet im Jahre 180 zur Sprache, ohne daß die beiden Bischöfe sich verständigt hätten Zehn Jahre später brach der Streit in Laodicaea jedoch von Neuem aus. Dabei zeigte sich, daß in Kleinasien selbst sowohl die freiere römische als auch die gesetzliche Praxis vertreten war. Der Kampf nahm immer größere Dimensionen an, sodaß er bald die ganze Kirche des Abend- und Morgenlandes erschütterte. Die strengere Partei der Kleinasiaten hielt entschieden daran fest, daß das Passah nur am 14. Nisan, wie es jüdischer Ritus war, gefeiert werden dürfe. Sie berief sich dafür auf keine geringere Autorität, als auf die des Apostels Johannes, der ja in Kleinasien seine Apokalypse geschrieben hatte, und auf die gesammte, auch in den synoptischen Evangelien niedergelegte Ueberlieferung, welche dahin lautete, daß Jesus ebenfalls am 14. Nisan das gesetzliche Passah gefeiert habe und Tags darauf gekreuzigt sei. Hier war von Neuem das Einheitsinteresse der Kirche gefährdet, besonders als nun der römische Bischof Victor den Schritt that, daß er die Gemeinden von Kleinasien von der Kirchengemeinschaft abzuscheiden und als Ketzer zu brandmarken versuchte.

Wer sollte hier nachgeben? Rom hat niemals nachgegeben. Schon war ihm ja auch ein Beistand geworden mit dessen Hülfe ihm der Sieg nicht fehlen konnte, nämlich in dem vierten unserer neutestamentlichen Evangelien. Dieses Evangelium macht den eigenthümlichen Versuch, die Autorität des geschichtlichen Johannes und der ganzen altkirchlicher Ueberlieferung durch die Neubildung einer Evangelienschrift zu bekämpfen. Dieses vierte Evangelium, das auch wir, dem gewöhnlichen Sprachgebrauche folgend, immerhin das Johanneische Evangelium nennen mögen, stellt sich die Aufgabe, für die römische Praxis in der Behandlung der Passahfrage einen bestimmten Beleg beizubringen. Christus, so argumentirt diese Schrift, ist das wahre Passahlamm. Jene seltsame und unnatürliche Erzählung, daß aus der mit der Lanze der Kriegsknechte durchbohrten Seite des gekreuzigten Jesus Blut und Wasser geflossen sei, hat nur den Zweck, auf Grund eines alttestamentlichen Citats den Beweis führen zu können, daß Jesus das Passahlamm gewesen. Ist diese Voraussetzung richtig, so mußte Jesus am 14. Nisan am Tage, an dem das Passahlamm geschlachtet wurde, getödtet worden sein. War er selbst das Passahlamm, so konnte er das Passah nicht noch gegessen haben. Haben die Christen aber ein anderes Passahlamm, als die Juden, so sind sie an die gesetzlichen Bestimmungen über das Passahfest nicht gebunden. Diese künstliche Verschiebung des Todestages Jesu, die der Tradition so durchaus entgegen war, konnte nur in einer Schrift, welche, wie das vierte Evangelium, so durchaus von einer großen und neuen Gesammtanschauung des Christenthums getragen war, Aussicht aus Erfolg haben. Die ja auch schon von Paulus flüchtig berührte Idee, daß Christus das wahre Passahlamm sei, erscheint hier im Zusammenhange eines großartigen, in sich einheitlichen theologischen Systems.

Das vierte Evangelium hat eine zu bedeutsame Stelle in der kirchlichen Entwickelung eingenommen, als daß wir nicht der Theologie dieses Evangeliums unser Interesse zuwenden sollten.

[852] Der Leser erinnert sich wohl der Scene im „Faust“, in der der Philosoph nach dem Spaziergange am ersten Osterfeiertage in sein Studirzimmer zurückgekehrt ist. Beim Scheine der Lampe erwacht in ihm die alte ungestüme Sehnsucht nach den Urquellen alles Lebens und nach der Erkenntniß der letzten Gründe alles Seins. Er greift nach dem Neuen Testament, um hier Offenbarung, Aufschluß über die Räthsel des Daseins zu finden. Als er das Buch im Urtexte aufschlägt, trifft sein Blick auf den ersten Vers unseres Evangeliums: „Im Anfang war das Wort“. Allein das „Wort“ erscheint ihm zu wesenlos, als daß es als Anfangsprincip der Welt dienen könnte. Er übersetzt deshalb: „Im Anfang war der Sinn“, darauf: „Im Anfang war die Kraft“, und endlich, als er beide Uebersetzungen verworfen hat: „Im Anfang war die That“.

Was hat es mit dieser Stelle für eine Bewandtniß, daß sie einen Faust so tief zu bewegen und doch seine Gelehrsamkeit in Verwirrung zu bringen vermochte? Die Beantwortung dieser Frage wird uns zugleich in das Verständniß des vierten Evangeliums überhaupt einführen.

Wir sehen, daß das Evangelium eingeleitet wird durch einen Prolog, der tief unser modernes Denken in ein mystisches Dunkel gehüllt ist. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Um das zu verstehen müssen wir für einen Augenblick in die Geschichte der griechischen Philosophie zurückgehen. Während bekanntlich die Volksphantasie in Hellas ein ganzes Heer Götter geschaffen, hatte sich, im Unterschied zu den volkstümlichen, sinnlich religiösen Vorstellungen unter den Philosophen die Lehre von einer Einheit des göttlichen Wesens herausgebildet. Aber diesem göttlichen Wesen, dem allein wahres Sein zukam, das nach Plato schöner als das Schöne, besser als das Gute, unveränderlich, allwissend, allgütig war, stand die sinnliche Welt der Erscheinung, die Materie in ihren unendlich vielen Formen, als Gegensatz gegenüber. Es galt nun, zwischen den beiden, dem reinen Ansichsein und dem materiellen Dasein, eine Vermittelung zu finden. Die Welt ist ein Kosmos, ein geordnetes, nach Gesetzen sich bewegendes Ganze. Diese Gesetze sind durch die Vernunft erkennbar. Also scheint die Vernunft das zwischen der materiellen Welt und dem reinen göttlichen Wesen vermittelnde Princip zu sein. Dieses vernünftige Princip der Welt nannten nun die Philosophen bald Geist, bald Vernunft, bald bezeichneten sie es mir dem Begriff, dessen Uebersetzung dem Faust so viel Schwierigkeiten macht, mit dem Begriff des „Logos“, der im ursprünglichsten Sinne jedenfalls ganz richtig mit „Wort“ übersetzt wird, aber, sofern das Wort oben der Ausdruck des vernünftigen Gedankens ist, überhaupt die in die Erscheinung tretende und sich bethätigende Vernunft bezeichnet. So gebraucht schon Heraklit den Begriff „Logos“ als Ausdruck für die gesetzmäßige Bewegung der Welt. Bei den Stoikern findet sich derselbe Begriff neben dem des Geistes, um das der Welt innewohnende ordnende Princip zu bezeichnen.

Als die Juden sich mehr und mehr über die engen Grenzen ihres Landes ausbreiteten, kamen sie notwendiger Weise auch mit der Gedankenwelt der hellenischen Philosophie in Berührung. Dies geschah besonders in Alexandrien, einem Hauptsitz der außerpalästinensischen Judenschaft. Dort bildete sich eine berühmte Schule, welche die griechische Weisheit mit der hebräischen Weltanschauung verschmolz. Eine ganz außerordentliche Rolle spielte hierbei jener Begriff des „Logos“. Da in der griechischen Uebersetzung des Alten Testaments – das hebräische Reden und Sprechen Gottes als „Logos“ Gottes wiedergegeben war, so war ja dieser Begriff vor allem geeignet, als Einigungspunkt für die griechische und jüdische Weltanschauung zu dienen.

Besonders war es der vornehme alexandrinische Jude Philo, der diese Logoslehre weiterbildete. Bei Philo ist der Logos ausdrücklich das vermittelnde Princip zwischen Gott und Welt. Er ist die Kraft die alle Kräfte in sich faßt, der in Gott ruhende Weltgedanke, das Urbild der Welt, der Stellvertreter Gottes, der Dolmetscher, welcher ihr seinen Willen auslegt, daneben aber auch wieder der Vertreter der Wett in ihrem Verhältniß zur Gottheit, der Hohepriester, der Fürbitte für sie einlegt.

Wie Philo die jüdische Religion und die griechische Philosophie zur alexandrinischen Religionsphilosophie zusammenschloß, so verband nun das vierte Evangelium hinwiederum die alexandrinische Religionsphilosophie mit dem Christentum. Es übertrug die Prädicate, welche die Philosophie dem Logos zuteilte, auf Christus, den es als den fleischgewordenen Logos auffaßt. Ein so kühnes Unternehmen konnte natürlich nur auf Erfolg rechnen, wenn ihm die ganze Strömung der Zeit, in der dasselbe erschien, entgegenkam und wenn der Logosbegriff überhaupt schon in die christliche Literatur eingedrungen war. Beides war zur Zeit, als das vierte Evangelium erschien, der Fall.

Seit Anfang des zweiten Jahrhunderts kämpfte die Kirche gegen eine Richtung, welche die Religion in philosophische Speculation aufgehen zu lassen drohte, gegen den sogenannten Gnosticismus. Dieser Richtung bricht nun das vierte Evangelium die gefährlichste Spitze ab, indem es die Gnosis, die philosophische, speculative Erkenntniß, in den Dienst der Kirche nimmt. In den paulinisch gesinnten Kreise Kleinasiens war ja überhaupt die Religionsphilosophie nichts Fremdes mehr. Paulus selbst hatte sich als von platonischen Gebaute beeinflußt gezeigt, und schon der Hebräerbrief wendet die Prädicate des Logos auf Christus an, indem er ihn den Abglanz der göttlichen Herrlichkeit und den Abdruck des göttlichen Wesens nennt, der alle Dinge mit seinem kräftigen. Worte trage.

Besonders die Briefe an die Colosser und Ephesier, in denen wir wahrscheinlich spätere Ueberarbeitungen eines verloren gegangene paulinischen Briefes vor uns haben, und die dem Johannes zugeschriebenen Briefe stehen mitten in der religionsphilosophischen Bewegung ihrer Zeit. Und doch ist das vierte Evangelium die erste und einzige unserer canonischen Schriften, welche systematisch und consequent die Logosidee für das Christenthum verwendet.

Die Religion wird in dieser Schrift vorwiegend zu einem intellectuellen Proceß. Als die Hauptsache, auf die Alles ankommt, erscheint die rechte Gotteserkenntniß: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich, und den du gesandt hast, den Christ, erkennen.“ Die Mission des fleischgewordenen Logos besteht eben darin, ganz wie bei den Gnostikern, das geheimste Wesen der Gottheit zu enthüllen, und dadurch wird auch das johanneische Christus-Bild bestimmt. Dieser Jesus des vierten Evangeliums hat kein menschliches, sondern ein absolutes, göttliches Selbstbewußtsein. Er erklärt, er und der Vater seien eins; er nennt sich selbst die Wahrheit, das Leben, das Licht der Welt und behauptet von sich, daß ihm alle Dinge vom Vater übergeben seien, daß er vom Himmel gekommen sei, zum Himmel fahre und im Himmel sei. Faßt man diese Worte als Selbstaussagen. eines Menschen, so läßt sich nichts Triftiges gegen die von David Strauß gemachte Bemerkung einwenden, daß ein Mensch, er möge gewesen sein, wer er wolle, solche Rede bei gesundem Kopf und Herzen nicht könne geführt haben.

Aber das vierte Evangelium giebt eben keine Biographie des geschichtliche Jesus, sondern ein bestimmtes, in Form der Erzählung niedergelegtes theologisches System. Es führt aus, wie sich das Christenthum vom Standpunkt der Logosidee betrachtet ausnimmt, und ist nichts als eine Umgestaltung der evangelischen Geschichte im Geiste der alexandrinischen Religionsphilosophie.

Dieses Evangelium war ganz dazu angelegt, einer Kirche, die schon anfing sich an dem Gedanken der einen Heerde unter einem römischen Hirten zu berauschen, die wirksamste Handhabe für die Realisirung ihres Ideals zu bieten. Es schnitt dem noch vorhandenen Rest des Judaismus die letzte Berechtigung ab, indem es die letzte Burg desselben die Passahfeier, niederwarf und dafür die Juden als Kinder des Teufels, als die personificirten Mächte der Finsterniß hinstellte. Es machte mit einem Male den Discussionen, ob Jesus der Sohn Joseph’s oder der Sohn der jungfräulichen Maria sei, ein Ende, indem es ihn als den vom Himmel herniedergestiegenen, fleischgewordenen Logos Gottes auffaßte. Es überwand den damals gefährlichsten Feind der Kirche, einen die historischen Voraussetzungen des Christentums zu philosophischen Spekulationen verflüchtigenden Gnosticismus, indem es die Gnosis selber zu einem wesentlichen Factor des Christentums machte.

So hatte Rom seinen zweiten Sieg errungen. Doch um welche Preis waren diese beiden Siege erkauft worden!

Die Kirche hatte, um ihre Einheit festzuhalten, die Erinnerung an die zwischen den ältesten Aposteln und Paulus bestehenden Differenzen auslöschen müssen. Dies war aber nur möglich auf Kosten der geschichtlichen Wahrheit. Man hatte dem Paulus, dem

[853]

Kloster Göß in Steiermark.
Nach der Natur gezeichnet von Richard Püttner.

[854] Petrus, ja dem Stifter der christlichen Religion selber andere Züge geben müssen, als sie in der Wirklichkeit hatten. So hatte die Kirche schon gezeigt, daß sie bei ihrer Auffassung des Katholicismus den Reichthum individueller Gestaltungen nicht in sich zu ertragen vermöge. Die Einförmigkeit der Lehrmeinungen war an die Stelle der im Urchristenthum vorhandenen lebensvollen Einheit des Geistes getreten. In denjenigen neutestamentlichen Schriften, die noch später als das Johannes-Evangelium oder höchstens mit ihm gleichzeitig entstanden sind, den sogenannten Pastoralbriefen (den beiden an Timotheus und dem an Titus) tritt deshalb die Sorge für die eine rechte und heilsame Lehrmeinung in den Vordergrund. Was hatte Jesus von einer Einheit der Lehre gewußt! Die von der Orthodoxie der Schriftgelehrten ausgestoßenen Ketzer, die Samariter, die Zöllner, die sich mit heidnischer Berührung befleckt hatten – das war ja sein liebstes Publicum gewesen. Nicht die reine Lehre, sondern das reine Herz gab den Ausschlag. Das war jetzt anders geworden. „Ein jeglicher Geist, der nicht bekennt, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist der Geist des Widerchrists,“ so heißt es nun in dem ersten der sogenannten Johannes-Briefe. Die Religion war katholische Theologie, eine bestimmte, alleinseligmachende Bekenntnißweise geworden.

Wahrlich, ein theurer Preis! Doch was hilft es uns, heute um den Preis zu rechten! Was geschichtlich geworden ist, das ist auch kraft innerer Nothwendigkeit geworden. Und der Preis ist gar nicht einmal zu theuer, wenn er uns, den nachgeborenen Geschlechtern, wenigstens die Einsicht verschafft, daß eine solche Einheit, die nur entstehen kann auf Kosten der Wahrheit, der Freiheit, der lebendigen Mannigfaltigkeit, weder der Religion, noch der Kirche angemessen ist.

Das Neue Testament ist ja nicht nur ein Erzeugniß des Katholicismus. Es ist ebenso sehr auch ein wesentlicher Factor bei der Entstehung des Protestantismus; denn es enthält nicht nur die ersten Ansätze zu einer Versteinerung der Religion zum Dogma, sondern ebenso wohl die unaustilgbaren Spuren eines freien, innerlichen religiösen Lebens. Lernen wir die Schlacken vom edlen Golde unterscheiden, damit wir nicht thörichter Weise Beides mit einander verwerfen!

Wenn die Kirche die alten Urkunden ihrer Religion jedem ihrer Glieder mit der Aufforderung in die Hand giebt, frei darin zu forschen, zu prüfen und nur das Gute zu behalten, wird auch das Neue Testament, anstatt eine Fessel für den denkenden Menschengeist zu sein, ein Sporn für den Wahrheitsdrang, eine Quelle der Belehrung und Erbauung, ein Mittel zur Belebung der Religiosität werden.




Blätter und Blüthen.

Ilmenauer Goethe-Erinnerungen. Von den Reliquien, welche in der Umgegend Ilmenaus an Goethe und die frohen Tage der Genie-Periode erinnern, ist bekanntlich die interessanteste, das Goethe-Häuschen auf dem Kickelhahn, durch Unvorsichtigkeit von Beerensuchern, die darin übernachtet hatten, am 12. August 1870 vom Brande vernichtet worden. Am Morgen nach der Katastrophe stand ich an den wüsten, rauchenden Trümmern des Häuschens und suchte das Holz, auf welches Goethe am 7. September 1783 sein innig wehmüthiges Lied „Ueber allen Gipfeln ist Ruh’ etc.“ geschrieben hatte, zu retten. Leider war es mit vernichtet worden. Aber ein Bild des alten Bretterhäuschens, sowie eine Photographie des Goethe’schen Gedichtes existirte noch, und nach diesen Bildern ist auf Betrieb und unter Mitwirkung zahlreicher Goethe-Verehrer, vor Allem unseres hierfür begeisterten Ernst Keil, auf der alten Grundmauer das neue Häuschen als getreue Nachbildung des alten entstanden. Wenn auch das ringsum aufgewachsene Holz die Fernsicht über die Gipfel des Thüringer Waldes unmöglich macht, bietet doch der Aufenthalt in dem bescheiden kleinen Raume noch jetzt jene Stimmung, wie das am ursprünglichen Platze neben einem Fenster wieder angebrachte Gedicht unseres großen Dichters sie athmet.

Unfern davon, an dem Wege nach dem schönen Manebacher Grunde, ragt, aus üppig grüner Fichtenwaldung sich imposant erhebend, der große Hermannstein, eine zweite Erinnerung an Goethe. Schon im ersten Sommer seines weimarischen Lebens, am 19. Juli 1776, weilte er, von Manebach kommend, am Hermannstein. Am 22. Juli bestieg er ihn abermals und erklomm auch die kleine, in dem mächtigen Porphyrfelsen befindliche Höhle. In ihrer romantischen Waldeinsamkeit gefiel sie ihm ausnehmend; sie war „sein geliebter Aufenthalt, wo er wohnen und bleiben möchte“, und von dieser Höhle aus schrieb er an Frau von Stein:

„Wenn Du nur einmal hier sein könntest! Es ist über alle Beschreibung und Zeichnung. – Es bleibt ewig wahr: sich zu beschränken, einen Gegenstand, wenige Gegenstände recht bedürfen, sie auch recht lieben, an ihnen hängen, sie auf alle Seiten wenden, mit ihnen vereinigt werden, das macht den Dichter, den Künstler – den Menschen.“

Am 5. August traf dann auch Frau von Stein in Ilmenau ein, und schon am folgenden Tage führte er sie an seinen Lieblingsplatz, zum Hermannstein und in die Höhle. Ueber ihren Aufenthalt dort schrieb er am 8. August: „Wenn ich so denke, daß sie mit in meiner Höhle war, daß ich ihre Hand hielt, indeß sie sich bückte und ein Zeichen in den Staub schrieb – es ist wie in der Geisterwelt.“

Nach ihrer Abreise war er am 8. August wieder auf dem Hermannstein; er zeichnete die Höhle und grub zur Erinnerung an die Stunde vom 6. August ein S in den Felsen. An der Wand, dem Eingange gegenüber, war dieses S als eine interessante Goethe-Erinnerung noch vor Kurzem zu sehen. Neuerdings ist dasselbe aber von frevelhafter Hand (die nicht bedachte, daß solche Reliquie eben nur an diesem Orte und in dieser Umgebung eine Bedeutung haben kann) abgestemmt und entwendet worden. Doch die alte Bank in der jetzt durch Stufen bequem zugänglich gemachten Höhle ist noch geblieben, und am Eingang zu letzterer ist (dem Vernehmen nach auf Anregung des Herrn Bergmeisters Mahr in Ilmenau) eine Erztafel angebracht, mit den schönen Goethe’schen Versen:

„Was ich leugnend gestehe und offenbarend verberge,
Ist mir das einzige Wohl, bleibt mir ein reichlicher Schatz.
Ich vertrau es dem Felsen, damit der Einsame rathe,
Was in der Einsamkeit mich, was in der Welt mich beglückt.“

So ehrte Ilmenau unsern großen Dichter, es hat ihm aber nicht nur da oben aus der waldigen Höhe an „seiner“ Höhle ein Erinnerungszeichen, sondern jetzt auch in nächster Nähe der Stadt ein einfach-schönes Denkmal gestiftet. Es ist das Werk des Ilmenauer Verschönerungsvereins und vor Allem des Herrn Oberamtsrichters Schwanitz in Ilmenau, der – als Vorsitzender des genannten Vereins – um die Verschönerung der Ilmenauer Umgegend sich hohe Verdienste erworben hat. Der Ertrag einer sinnigen Gedächtnißfeier, welche in Ilmenau zu Ehren der großen Künstlerin Corona Schröter an dem Tage stattfand, als an der Stätte ihrer Wohnung und ihres Todes eine Gedenktafel angebracht wurde, ist zu dem Denkmal für den Dichter mit verwendet worden. Am Eingänge zum idyllischen Manebacher Grunde, rechts oberhalb des „Pindar-Brunnens“, wurde ein „Goethe-Platz“ angelegt; aus dem Felsen rauscht ein frischer Brunnen, und über diesem Brunnen ist ein nach der Rauch’schen Büste meisterhaft gefertigtes, großes bronzenes Portraitmedaillon Goethe’s in den Felsen eingefügt. Ruhebänke gegenüber, links und rechts, laden zur stillen Betrachtung ein. Es war ein schöner, heller Tag, als ich den von duftigem Grün umgebenen Platz betrat und mich dem Eindrücke hingab, den das ebenso schöne wie einfache Denkmal auf jedes Herz üben muß. Medaillon und Brunnen waren mit frischen Kränzen geschmückt; in den Büschen und Bäumen rauschte es; von dem Felsen schauten die markigen, genialen Züge Goethe’s, und durch die Seele gingen mir Schiller’s köstliche Verse:

„Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon
Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,
Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirne gedrückt!“

Robert Keil.




Die Anwendung der sogenannten Leuchtfarben, über welche wir im vorigen Jahrgange wiederholt (S. 10 und 544) berichtet haben, tritt immer mehr aus dem Kreise der Spielereien heraus in’s Praktische Leben. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen theilen, je nachdem bestimmte Gegenstände bei stockfinsterer Nacht selbstleuchtend gemacht werden, oder ausgedehntere, derartig bestrichene Flächen zur Erleuchtung ganzer Räume dienen sollen. Zu der ersteren Gruppe der selbstleuchtenden Gegenstände gehören Hausgeräthe und Einrichtungen: die leuchtenden Schlüsselloch-Umrahmungen, Feuerzeugbehälter, Leuchter, Stiefelknechte etc.

Alle diese Gegenstände erfordern aber, um wirklich ihrem Zwecke zu genügen, gewisse Vorbedingungen, als z. B. daß sie vorher genügend vom Tageslichte getroffen werden und daß es an dem Orte, wo sie des Nachts leuchten sollen, auch wirklich hinreichend finster sei. So haben sich dem Vernehmen nach die leuchtenden Pferdebahn-Aufschriften, die auf einer Berliner Linie versuchsweise eingeführt worden waren, gar nicht bewährt, weil es eben auf den Berliner Straßen dazu nicht finster genug ist.

Ganz praktisch dürften dagegen die leuchtenden Rettungsbojen sein, die sich den des Nachts auf Schiffen in Gefahr befindlichen Personen dauernd sichtbar machen sollen. Ueber ihren Werth und über sonstige Anwendungen der leuchtenden Farben für Schifffahrtszwecke sucht unter Anderen auch die Swinemünder Hafenbaudirection zur Zeit Erfahrungen zu sammeln. Einen originellen, wenn auch nicht gerade künstlerischen Effect machen die von der Thonwaarenfabrik Seegerhall in der Neumark hergestellten leuchtenden Büsten, Statuen und Statuetten. Sie leuchten zwar recht schön und sind wetterbeständig, aber da die Wirkung eines plastischen Kunstwerkes ohne Schatten keine vollständige sein kann, und hier Alles Licht ist, so sind die Züge einer solchen Büste kaum zu erkennen, und man gewahrt in geringer Entfernung nicht viel mehr als eine unbestimmte Lichtmasse von der ungefähren Gestalt einer menschlichen Büste. Es soll nicht geleugnet werden, daß eine derartig leuchtende Statue in einer Grotte oder einem dunklen Gartenbosquet eine ganz überraschende Wirkung erzielen kann, indessen immerhin keine künstlerische.

Viel weniger Bedeutung und Zukunft können wir der Idee einer Zeitschrift mit leuchtenden Schriftzügen für Nachtlectüre, wie [855] sie unter dem Titel „Merlino Coccajo“ in Turin erscheinen sollte, zugestehen; schon beim Betrachten eines einfachen leuchtenden Gegenstandes flimmern Einem nach wenigen Secunden die Augen. Wie würde es erst sein, wenn man leuchtende Schrift lesen sollte!

Noch weniger allgemeine Anwendung scheint die Beleuchtung ganzer Räume durch Sonnenphosphore, wie sie schon Noah in seiner Arche gehabt haben soll (siehe „Gartenlaube“ S. 10) finden zu können. Deutsche und schweizerische Eisenbahndirectionen stellen zur Zeit Versuche all, ob man in Eisenbahnwagons, deren Decken mit Leuchtfarbe bestrichen sind, Petroleum oder Gas sparen könne. Für Waggons, welche lange Tunnels zu passiren haben, scheint die Idee nicht übel. Die schon erwähnte Thonwaarenfabrik zu Seegerhall hat sich eine sogenannte Lichtmagnetlampe patentiren lassen, die zur Erleuchtung feuergefährlicher Räume als Scheunen, Petroleumlager, Spritfabriken etc. dienen soll, um bei deren Scheine gröbere Arbeiten verrichten zu können. Dieselbe besteht einfach aus einem möglichst großen, aus Pappe oder Blech angefertigten, trichter- oder hohlspiegelförmigen Schirm, dessen Innenseite mit der Leuchtfarbe überzogen ist. Das von dieser „Lampe“ ausgestrahlte Licht ist immerhin ein sehr schwaches und kommt dem Vollmondscheine bei Weitem nicht gleich. Uebrigens kann man sich derartige Schirme und sonstige Leuchtgegenstände leicht selbst anfertigen, da die Balmain’sche Leuchtfarbe durch die Firma Wirth u. Comp. in Frankfurt am Main – freilich nicht ganz billig! – zu beziehen ist. Im Oelanstrich ist dieselbe gegen Feuchtigkeit so wenig empfindlich, daß man damit sogar leuchtende Taucheranzüge hergestellt hat.

Gegenüber dem blauleuchtenden Balmain’schen ist von dem Chemiker Gäde in Berlin auch ein grünleuchtendes Schwefelcalcium bereitet worden, und da man auch gelb und roth leuchtende Varietäten erzielen kann, so sollte man statt der leuchtenden Büsten lieber leuchtende Sträuße mit grünen Blättern und mit rothen und blauen Blumen anfertigen.




„Reise um die Pariser Welt“ von Theophil Zolling (Stuttgart, Spemann). Der durch seine Feuilletons über Paris und die Pariser rühmlich bekannte Verfasser will in diesem Buche „ein getreues und möglichst umfassendes Bild des materiellen und geistigen Pariser Lebens unter der dritten Republik“ geben - und er giebt es in der That: der Pariser und die Pariserin, der Provinzler und der Fremde, die Armen und die Elenden, das Leben auf der Straße und im Salon, auf den Auctionen und im Bazar, in den Cafes und in den Spielhöllen – all dies führt uns Theophil Zolling in oft äußerst realistisch, oft pikant und fast blendend farbig gemalten Bildern aus der Seinestadt vor, und was seinen Schilderungen und Genrebildern einen besonderen Reiz verleiht, das ist die glückliche Vereinigung von zweierlei, das man so selten beisammen findet: er vermählt den kecken frischen Ton des Feuilletonisten mit der gediegenen Gründlichkeit des Psychologen und Ethnographen. Man folge ihm in die französische Akademie, die er so anmuthig und scharf zu schildern weiß, in das Theater, das er so gründlich kennt, oder in die Ateliers der ersten großen Pariser Maler, wo sein kunstverständiges Auge das Charakteristische und Schablonenmäßige so fein zu sondern weiß – überall wird man ihn als einen geistvollen Mentor erproben. Unter allen hier vereinigten ernsten und heitern Feuilletons möchten wir indessen den Preis den Studien über das politische Leben von Paris erteilen, Studien über die Abgeordnetenkammer, den Senat etc. und besonders den mit großer Feinheit und Subtilität entworfenen Portraits aus der Welt des Tageskampfes und der stillen Studirstube. Wer die Artikel über Henri Rochefort, Louise Michel, Emile Zola und Sarah Bernhard gelesen, der wird uns beistimmen, wenn wir in ihnen wahre Cabinetstücke einer mit sicheren Strichen agirenden geistigen Portraitmalerei erblicken. Namentlich dieser Theil von Theophil Zolling's „Reise um die Pariser Welt“ ist es, welcher dem Buche die Anwartschaft aus einen hervorragenden Platz in der deutschen Feuilletonliteratur über und aus der Seinestadt sichert.




Ein Wanderlager vor Weihnachten. (Mit Abbildung S. 845.) St. Jürgen in Hannover ist ein merkwürdiges Stück Landes, welches, dicht an der Weser gelegen, durch die regelmäßigen Herbstüberschwemmungen allwinterlich in eine Insel verwandelt wird. Hier wurde der nunmehr rühmlich bekannte Maler Ludwig Bokelmann, von dessen künstlerischen Erzeugnissen wir heute unseren Lesern eines vorführen (vergl. S. 845!), am 4. Februar 1844 geboren, und in dieser Einsamkeit, welche von dem Menschenverkehr nur selten berührt wird, wuchs er heran, indem er trotz strenger Verwarnung seines Vaters, des Hauptlehrers in dem genannten Orte, sich die Zeit mit Zeichnen und Schnitzereien vertrieb. Als fünfzehnjähriger Knabe wurde er, da er für die Wissenschaft nicht begabt genug erschien, zu einem Lüneburg’schen Kaufmann in die Lehre gegeben und ging nach absolvirter fünfjähriger Lehrzeit als Commis nach Harburg. Ein glücklicher Zufall führte hier Bokelmann mit dem Zeichenlehrer Früauff aus Hamburg zusammen, der bald die hohe künstlerische Begabung des jungen Mannes erkannte und ihn zum Eintritte in die Düsseldorfer Kunstakademie veranlaßte. In wenigen Jahren brach sich das lang unterdrückte künstlerische Genie Bokelmann’s Bahn, und nachdem er für sein erstes größeres Gemälde „Im Trauerhause“ in Wien die Medaille für Kunst erhalten hatte, war sein Ruf begründet. Von jener Zeit an schuf L. Bokelmann eine Reihe größerer Gemälde, welche seinen Ruhm weit über die Grenzen Deutschlands trugen und von denen wir das lebenswahre Bild „Im Leihhause“ erst vor Kurzem (Nr. 46) in Holzschnittreproduction unseren Lesern vorgeführt haben.

Das heutige Bokelmann’sche Bild ist gleichfalls aus dem menschlichen Leben heraus gegriffen und ragt durch die höchst charakteristische Gruppirung einzelner Personen besonders hervor. Es schildert uns, wie uns der Maler selbst mittheilt, das heute leider nur allzu sehr in Schwung gerathene Gebahren der Rammsch- und Schleuderverkäufe, bei welchen gute Waaren, die meistens aus Concursmassen stammen, neben schlechtem, beschädigtem Zeuge zu Spottpreisen losgeschlagen werden. In dem Zwielichte der Gaslampen und der Abenddämmerung blüht dieses Geschäft am besten, weil dann die Täuschung am leichtesten erzielt werden kann. Auf unserem Bilde hat in den weiten Hallen eines ehrwürdigen, nunmehr zu allen möglichen Zwecken vermieteten Patricierhauses eine derartige Handlung ihre Ladentische aufgeschlagen, und einer dieser Geschäftsleute bietet nun ein fragliches Gewebe für „echtes Bielefelder“ aus. In dem Fenster links steht eine Bauersfrau gar betroffen da; denn die kundigere Städterin erklärt ihr nach einem kurzen prüfenden Blicke, daß das, was sie soeben als Leinen gekauft hat, nur grobes Baumwollengewebe ist. In dem Fenster rechts bemerken wir dagegen einige Leute, die den „Rummel kennen“ und sich über die „Geprellten“ amüsiren oder eine günstige Gelegenheit abwarten, um ein Geschäftchen zu machen.

Vor dem Hause geht es gleichfalls lebhaft her. Zwei junge Damen überlegen sich, ob sie dort hineingehen sollen; denn sie trauen dem Frieden nicht recht, während eine andere Frau der Verlockung nicht widerstehen kann und schnell eine kleine Anleihe bei ihrer Bekannten contrahirt. Ein allgemeines Staunen und Anstehen unter den Weibern hat aber eine junge Frau erregt, die soeben für einen Spottpreis sehr hübsche Puppen gekauft hat. Das kleine Mädchen in der Mitte schaute sehnsüchtig nach diesen lieben Puppen hinüber, und ihre bittenden Blicke scheint der Weihnachtsengel rasch zu erfüllen; denn die alte Dame im Vordergrunde fragt das Kind, ob es eine solche Puppe haben möchte, und da die Antwort bejahend ausfällt, so wird die Dame – wir wollen es hoffen – dem Kinde sofort bescheren. Ihr werden bald in dichter Schaar die andern Weiber folgen, um den kleinen Mädchen daheim auch so eine schöne Puppe für den Weihnachtstisch zu besorgen, und der Ruf der billigen Puppen wird bald dem Geschäfte in dem alten Patricierhause neue Kunden aus der Stadt zuführen. Die „Rammschverkäufer“ reiben sich alsdann vergnügt die Hände; denn die aus einer Concursmasse kommenden und für einen Spottpreis verkauften Puppen bildeten ja unter Anderem den Köder, um das Publicum heranzulocken und es gelegentlich mit schlechter Waare zu bedienen.

Heute, kurz vor Weihnachten, kommt das fesselnde Bild nebst diesen wenigen Worten zu recht gelegener Zeit für unsere Leserinnen. Mögen sich unsere schönen Freundinnen dadurch zur Vorsicht bei den Weihnachtseinkäufen in derartigen billigen Rammschgeschäften mahnen lassen!




Lessing’s Leben von Heinrich Düntzer. Mit authentischen Illustrationen. (Leipzig, Ed. Wartig's Verlag [Ernst Hoppe].)

Es erscheint fast wie ein glücklicher Zufall, daß kurze Zeit, nachdem die neue Auflage des Danzel-Guhrauer’schen Werkes erschienen, diese neue Biographie Lessing’s auf den Büchermarkt gebracht wird, die eine nothwendige und unentbehrliche Ergänzung zu dem eben genannten Werke bildet. Der Schwerpunkt der Danzel-Guhrauer’schen Schrift liegt in der Besprechung der Werke des Dichters; Düntzer hingegen richtet sein Hauptaugenmerk darauf, die Einzelheiten des Lessing'schen Lebens in möglichster Vollständigkeit zu geben, ohne die Besprechung von dessen Werken ganz zu vernachlässigen. Auf diese Weise gewinnt Düntzer’s Buch einen besondern Werth; in weit größerer Vollständigkeit und Genauigkeit, und setzen wir hinzu, auch mit größerer Zuverlässigkeit, als dies bisher in irgend einem andern Werke der Fall war, entwickelt der Verfasser seine auf den fleißigsten und eingehendsten Forschungen beruhenden Angaben, die nicht wenige bisher allgemein angenommene irrtümliche Ansichten richtig stellen.

Für manche Perioden, z. B. für die Zeit des Aufenthaltes Lessing’s in Berlin und in Hamburg, dürfte in Düntzer's Buche jetzt wohl alles gegeben sein, was an Material überhaupt noch erhalten ist, sodaß die Acten, was positive Ansichten betrifft, hier als geschlossen erscheinen können. Wenn die Zeit des trübseligen Aufenthaltes Lessing’s in Wolfenbüttel auch noch einige nicht unerhebliche Nachträge gestatten wird, so findet sich doch auch hier eine Genauigkeit der Angaben, die, wie schon gesagt, alles vorher Erschienene hinter sich läßt. – Die zahlreichen Illustrationen bieten sehr Wertvolles. Außer Lessing’s Büste von Krüll, seinem Jugendbildnisse und seinen Portraits von Tischbein, von May und von Graff finden wir in dem Werke die Bildnisse von allen bedeutenden Zeitgenossen, Freunden wie Gegnern des großen Mannes. Die Faksimiles zeigen Schriftstücke aus den verschiedensten Zeiten seines Lebens; da ist ein Brief Lessing’s an seine Schwester von 1743, die erste Seite der Handschrift des Laokoon, einige Briefe aus seinen letzten Lebensjahren. Auch ein Brief der Wolfenbütteler Bibliothek fehlt nicht, und erwünscht wäre nur noch eine Abbildung des jetzt so sorgsam gepflegten und geschmückten Grabes Lessing’s gewesen. – Das ganze Werk Düntzer's erscheint als eine äußerst tüchtige, zuverlässige Arbeit, die wir hiermit auf’s Beste empfehlen wollen.

Sg.




Noch einmal die Seelöwen. Mit Bezugnahme auf den Schlußpassus eines in Nr. 37 der „Gartenlaube“ erschienenen sehr interessanten Artikels über die Seelöwen möchte ich mir einige Bemerkungen erlauben. Es heißt dort:

„Das Anziehende dieser Thiere hat sogar bei der californischen Regierung so viel Anerkennung gefunden, daß sie eine Heerde derselben, gegen achtzig Stück, unter ihren besonderen Schutz genommen hat. Diese Heerde wohnt auf einer steilen Felsgruppe am Eingange der Bucht von San Francisco, wo ihnen keine verderbliche Kugel nahen darf.“

Dies hatte bis voriges Jahr seine Richtigkeit, und es gereicht mir zur Genugthuung, daß der geehrte Herr Verfasser mit dem Wörtchen „sogar“ die oberste Staatsbehörde des Goldlandes trotz des schlechten Weltrufs, den dies vermeintliche Dorado aller Schlechtigkeit nun einmal nicht loszuwerden vermag, auf die humane Stufe anderer civilisirten Regierungen gestellt hat. Seit dem vorigen Jahre sind die lustigen Seelöwen am „Goldenen Thor“ für vogelfrei erklärt worden, und es hat sich [856] die in das Barbarenthum zurückgesunkene Legislatur Californiens gemüßigt gesehen, ihnen den Freibrief zu nehmen. Die Veranlassung hierzu gab eine Petition seitens der zahlreich in San Francisco vertretenen italienischen Fischer, welche behaupteten, daß jene Seelöwen die Fische im hiesigen Hafen durch ihre Gefräßigkeit auf eine nichtswürdige Weise zerstörten und ihnen – den Fischern – dadurch ihre rechtmäßige Erwerbsquelle arg beeinträchtigten.

Die Zeitungen in San Francisco nahmen in langen Leitartikeln energisch Partei pro und contra, wobei die Seelöwen entschieden mehr Freunde fanden, als die Italiener. Die Gesetze von Californien entschieden endlich zu Gunsten der Italiener. Diese haben aber bis jetzt wenig Freude von ihrem Erfolg gehabt; denn die Seelöwen wohnen nach wie vor ungestört auf den Felsklippen am „Goldenen Thor“, unterhalten die fremden Weltenbummler, welche das berühmte „Cliffhouse“ besuchen, dort ebenso sehr wie die einheimische Bevölkerung durch ihre unaufhörlichen Katzbalgereien und fangen ihr Futter an leckeren Fischen, wo und wie es ihnen beliebt.

Bis jetzt ist noch kein Schuß auf jene Seelöwenfamilie gefallen, obgleich ihr der Schutz der Regierung bereits vor Jahresfrist entzogen wurde. Der ungeschlachte Ben Butler, der Störenfried jenes Gemeinwesens, wirft die kleinen Seelöwen noch immer mit hämischer Lust von der hohen Klippe in die Brandung hinunter, blickt, trotzig brüllend, nach den auf der Veranda des „Cliffhouse“ versammelten Fremden hinüber und fürchtet sich durchaus nicht vor feindlichen Kugeln, obgleich diese ihn vom Ufer aus leicht erreichen könnten. Er scheint recht gut zu wissen, daß er auf seinem wogenumspülten Felsen vor dem tückischen Blei der Italiener sicher ist und daß diese es nicht wagen werden, ihm und seiner Familie, den Lieblingen der Goldstadt, dort auf irgend eine Weise zu nahe zu treten.

San Francisco, im November 1881.

Theodor Kirchhoff.




„Die deutsche Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts“ von Rudolf von Gottschall (Breslau, Trewendt) hat in den letzten zehn Jahren zwei neue Auflagen – die dritte und die vierte – erlebt und ist soeben in der fünften zur Versendung gekommen. Wir begrüßen diese Thatsache als ein erfreuliches Symptom des wachsenden literarhistorischen Interesses in Deutschland, als einen Beweis dafür, daß die Antheilnahme des deutschen Leserpublicums speciell an der zeitgenössischen literarischen Production nach wie vor eine rege und nachhaltige ist und daß gerade die Anschauungen und Ueberzeugungen, für welche das vorliegende bedeutsame Werk eintritt, im literarischen Zeitbewußtsein eine immer breitere Basis gewinnen. Diese Anschauungen und Ueberzeugungen der Gottschall’schen Literaturgeschichte gipfeln bekanntermaßen in zwei Forderungen, in dem Hochhalten des Idealismus und in dem „modernen Princip“ denn fordert Gottschall einerseits aus allen Gebieten des geistigen Schaffens das Ausgehen von idealistischen Gesichtspunkten, so stellt er andererseits dem schaffenden Dichter die Aufgabe aus dem Geiste seiner Zeit heraus zu produciren und alles akademische Experimentiren bei Seite zu lassen. Neben diesen beiden Forderungen, die in so ausgesprochener und überzeugend begründeter Weise kaum in einer anderen Geschichte der Literatur unseres Jahrhunderts zum Ausdruck kommen, ist es besonders eine ungemein geist- und lichtvolle Darstellungsart, welche dieses Werk charakterisirt. Gottschall erweist sich in seiner „Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts“ ebenso geschickt in der Charakterisirung großer geistiger Strömungen, wie in der Portraitirung der einzelnen Vertreter solcher Strömungen – er ist ebenso glücklich in der scharfsinnigen Interpretirung der Zeit wie in derjenigen ihrer Menschen. Die jüngste Auflage des hervorragenden Werkes bietet dem Leser ein erschöpfendes Bild der Entwickelung unserer Nationalliteratur vom Beginn dieses Jahrhunderts an bis in unsere Tage und zieht – ein nicht hoch genug anzuschlagender Vorzug – auch das wissenschaftliche Leben der Gegenwart, namentlich die philosophische und historische Literatur, in den Kreis seiner Betrachtung, sodaß es mit Recht ein Gesammtgemälde des modernen deutschen Geisteslebens genannt werden kann.




Göß in Steiermark. Unser heutiges Bild (Seite 853) stellt das älteste, bereits im Jahre 1004 gegründete Stift Steiermark dar. Göß, ein ehemaliges Benedictinerinnenkloster, liegt an der rechten Seite der Mur, etwa eine halbe Stunde von der Stadt Leoben entfernt. Besonders schön ist die Kirche dieses Stifts, an deren Außenseite die Denkmäler der Aebtissinnen sich befinden. Später wurde das Kloster die Residenz des Bischofs von Leoben, und einmal – im Jahre 1797 – wohnte in demselben Napoleon der erste.

Wir führen die Illustration unseren Lesern als ein wahres Meisterstück einer winterlichen Landschaftszeichnung vor, welches unser vielbewährter, langjähriger Mitarbeiter Richard Püttner bereitwillig für die Gartenlaube entworfen hat.




Kleiner Briefkasten.


H. Dr. in Wesselburen. Wer Ihnen gesagt hat, daß er für einen in der „Gartenlaube“ erlassenen Aufruf wegen eines Vermißten 100 Mk. Kosten bezahlt habe, der hat uns die ihm erwiesene Wohlthat mit Verleumdung gelohnt. Die Vertmißtenlisten in unserem Blatte werden aus Humanitätsrücksichten gratis veröffentlicht, Berücksichtigung finden darin aber nur solche Fällen bei denen alle sonst vorhandenen Mittel zur Aufsuchung der Vermißten, also ein Appell an Polizei-, Gerichts. und Consulat-Aemter, ohne Erfolg geblieben sind. – Bei dieser Gelegenheit sei gleich bemerkt, daß jede in der „Gartenlaube“ zum Abdruck gelangende Zeile dem Verfasser anständig honorirt wird und daß wir niemals für den Abdruck irgend welchen Artikels oder Aufrufs Kosten, Gebühren oder gar – pfui – Reclamengelder beansprucht haben.

B. G. in Triest. Die Tanagra-Figuren haben ihren Namen von der an der Grenze von Attila liegenden böotischen Stadt Tanagra erhalten, in deren Gräbern die kunstvoll gearbeiteten Figuren im Jahre 1872 zum ersten Male gefunden wurden. Diese zierlichen plastischen Werke bilden einen reizenden Schmuck unserer Museen, und auch das königliche Museum in Berlin ist im Besitz einer größeren Anzahl derselben. In Folge der dankenswerthen Bemühungen der Kunsthandlung von Fritz Gurlitt in Berlin dürften diese Meisterwerke der griechischen Kunst aus dem dritten und vierten Jahrhundert vor Christo jetzt zu einem vielverbreiteten Schmuck moderner Häuser werden; denn die genannte Kunsthandlung hat sechs der schönsten weiblichen Tanagra-Figuren in Terracotta, mit Wachsfarben bemalt, in Originalgröße nachbilden lassen und also die höchst gelungenen antiken Bildwerke zu verhältnißmäßig billigem Preise auf den Markt gebracht.

B. L. in Lübeck. Sie haben Recht. Die einzige deutsche Diamantschleiferei besteht nicht in Pforzheim, wie in unseren Artikel „Das Diamantgeschäft“ (vergl. Nr. 46) irrthümlich berichtet wurde, sondern in Hanau. Dieselbe ist Eigenthum der Firma Gebrüder Houy und Comp., beschäftigt 170 Arbeiter und wird mit 2 Dampfmaschinen von je 20 Pferdekräften betrieben.

Ein Schlittschuhläufer in Bremen. So ist es in der That. Wenn der diesjährige Winter günstiges Frostwetter bringt, so wird in Wien am 14., 15., und 16. Januar 1882 ein „Internationales Preis-, Figuren- und Wett-Eislaufen“ abgehalten werden. In Folge einer im October dieses Jahres vom Wiener Eislaufvereine an alle Eisclubs und erfahrenen Schlittschuhläufer des nördlichen Europa und Nord-Amerikas gerichteten Einladung zu diesem Wettkampfe, sind bereits zahlreiche Zuschriften aus Oesterreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich, England, Holland und Nordamerika, ganz besonders aber aus Schweden und Norwegen eingetroffen, die eine rege Betheiligung der Schlittschuh-Virtuosen aus aller Welt an dem eigenartigen Feste in Aussicht stellen. Die Ehrenpreise sind gar nicht so unbedeutend und bestehen unter Anderem in goldenen Medaillen am Bande, außer welchen der glückliche Sieger noch 500 und 1000 Franken in Gold erhalten wird. Daß bei günstiger Witterung der Verlauf des Festes recht glänzend werden kann, dafür bürgt genügend der bei solchen Anlässen stets bewährte Ruf der österreichischen Kaiserstadt.

A. F. Sch. in Eitorf. Leider ungeeignet! Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung; wir bitten Sie aber, ihren Namen deutlich zu schreiben.




Als Festgeschenke empfohlen!




„Neue Gedichte“ von Emil Rittershaus.
Vierte Auflage. 20 Bogen. Elegant gebunden mit Goldschnitt, Preis 6 Mark 50 Pfennig.

Emil Rittershaus, unzweifelhaft einer der talentvollsten deutschen Dichter der Gegenwart, fehlt nie mit seinem Liede, wenn es gilt, ein Ereigniß der Zeit zu erfassen und in alle Schichten des Volkes zur verständnißvollen Geltung zu bringen; neben seinen politischen und patriotischen Gedichten sind es namentlich die der stillen Welt des Hauses gewidmeten dichterischer Kundgebungen, welche ihm die Liebe des deutschen Volkes längst gesichert haben, aber die größte Popularität dankt er ohne Zweifel denjenigen poetischen Schöpfungen, welche den Ereignissen der Jahre 1870 und 1871 ihre Entstehung verdanken. – Diese „Gedichte“ sollten auf keinem Weihnachtstische fehlen.




„Gedichte“ von Ernst Ziel
Zweite vermehrte Auflage. 20 Bogen. elegant gebunden mit Goldschnitt, preis 5 Mark 25 Pfennig.

Ernst Ziel’s Poesien erfreuen sich mit Recht der Gunst des Publicums. Seine „Lieder“, seine „Bilder und Gestalten“, seine „Stimmungen und Reflexionen“ zeichnen sich durch wahres poetisches Gefühl und kunstvollendete Form aus; seine „Vaterländischen Gedichte“ bekunden eine warme, gesunde patriotische Gesinnung, und in den gedankenvollen „Canzonen“ leiht er seiner Weltanschauung dichterischen Ausdruck. – So sind Ernst Ziel’s „Gedichte“ in jeder Beziehung geeignet den deutschen Familientisch zu schmücken.

Die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig.