Geborgtes Sonnenlicht
In alten Märchen spielt der wunderbare Karfunkelstein, welcher im Dunkeln mit hellem Glanze leuchtet und seinen Namen von Carbunculus (das ist ein glühendes Kohlenstückchen) bekam, eine große Rolle. Lucian erzählt, daß das Schnitzbild der syrischen Göttin im Tempel von Hierapolis an ihrem Stirnbande einen Stein trug, den man Lychnis (Lampe) nannte, weil er, am Tage mäßig funkelnd, des Nachts mit seinen Strahlen den ganzen Tempel erleuchtete. Aehnlich lesen wir in Shakespeare’s „Titus Andronicus“ von dem erschlagenen Prinzen Bassianus:
„Am blut’gen Finger trägt er einen Ring
Von seltnem Werth, der rings die Kluft erhellt;
Wie Fackelglanz in dunkler Todtengruft
Scheint er auf seines Leichnams fahles Antlitz.“
Von den Gnomen und Zwergen wurde erzählt, daß sie solche Steine als Grubenlichter auf dem Kopfe trügen, und verschiedenen Vögeln, namentlich den Zeisigen, wurde nachgesagt, daß sie dieselben zu finden wüßten, um damit des Nachts das Innere ihres kleinen Familienhauses zu erleuchten. Die Vorliebe gewisser Vögel, wie z. B. der Dohlen, für glänzende und schimmernde Dinge hat sich zu einem lieblichen, internationalen Märchen ausgebildet, und auch in Amerika sagt man mehreren Vögeln nach, daß sie das Innere ihrer Nester mit aufgespießten Feuerfliegen erleuchteten. Aber der Karfunkelstein hat noch einen besonderen geheimen Werth; er macht das Nest und seinen jedesmaligen Träger für Thier und Mensch unsichtbar. Wie soll nun der Mensch dieses Kleinod, das nur die Vögel mit ihrem scharfen Auge im Geröll zu erspähen vermögen, ausfindig machen? Auch dafür hat die dichtende Phantasie Rath gewußt. Die Unsichtbarkeit ist ihr nur eine Blendung der Augen durch den leuchtenden Schein – aber ein Spiegel läßt sich nicht blenden. Man geht also am Ufer eines Baches oder Sees entlang und sucht, wo sich im Wasser ein Vogelnest mit dem Baumgeäst spiegelt. Sieht man nun ein solches im Wasserspiegel, nachher direct am Baume aber nicht, so ist es das rechte. Auf dieses Geheimniß hat der neuerdings durch ein – am 17. August 1879 zu Renchen enthülltes – Denkmal geehrte und mit Recht gefeierte Verfasser des „Simplicissimus“ seine unterhaltende und lehrreiche Geschichte vom „wunderbarlichen Vogelnest“ begründet, welche uns an der Seite des unsichtbaren Erzählers das innerste Volksleben zur Zeit des dreißigjährigen Krieges belauschen läßt.
Die Sage vom Karfunkelstein stammt aus dem alten Edelsteinlande Indien und bezieht sich offenbar auf die merkwürdige Eigenschaft vieler Diamanten und mancher Rubine – der Rubin war der Karfunkel der Römer – längere Zeit im Dunkeln mit lebhaftem Glanze nachzuleuchten, wenn man sie kurze Zeit den Sonnenstrahlen oder auch nur dem hellen Tageslichte ausgesetzt hat. In Europa scheint dieses Verhalten erst im 17. Jahrhundert von dem bekannten Naturforscher Boyle beobachtet und [10] untersucht worden zu sein; in Indien war es seit uralten Zeiten bekannt, wie eine Stelle in dem berühmten Drama „Sakuntala“ beweist, dessen Verfasser bereits vor dem Beginne unserer Zeitrechnung gelebt haben soll. Es heißt darin:
„In Büßern, denen Seelenruh’ das Höchste,
Ist ein verborgner Strahl, gar leicht entzündbar,
Den sie, wie die geschätzten Sonnensteine,
Aussprühn, sobald der fremde Strahl ihn aufweckt.“
Zu Bologna, der berühmten Gelehrtenstadt, lebte im Beginn des 17. Jahrhunderts ein Schuhmacher mit Namen Vincenz „Cascariolo“, der sich, gleich so vielen Leuten seiner Zeit, in den Kopf gesetzt hatte, die Urmaterie oder den Stein der Weisen zu entdecken, um damit unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Er hatte bereits alle möglichen organischen und unorganischen Stoffe mit Feuer und Wasser gepeinigt, um die Urmaterie herauszutreiben, als er im Jahre 1604 (nach Anderen 1612) eines Tages auf dem Monte Paderno in der Nähe seines Wohnortes einen grauweißen, strahlig-faserigen Stein fand, in welchem er seiner ungewöhnlichen Schwere wegen etwas Besonderes vermuthete. Er glühte eine Portion desselben, mit Kohlen geschichtet, tüchtig durch und wollte seinen Augen nicht trauen, als er nach eingetretener Dunkelheit den gesammten Inhalt seines Ofens in röthlich gelbem Lichte weiter glühen sah, obgleich Alles beinahe kalt war. Mit zitternder Hand nimmt er die schimmernden Stücke heraus, denn sicher konnte das nur der Stein der Weisen sein, der lange gesuchte. Die Hoffnung wächst, als sich ergiebt, daß nur die Stücke im Finstern leuchten, die vorher dem Tageslichte oder Sonnenschein ausgesetzt waren; die Sonne, deren Strahlen der Stein aufsog, wie ein Schwamm das Wasser, galt ja den Alchemisten als der Planet des Goldes, mit ihrem Zeichen () wurde in ihren Schriften stets das Gold bezeichnet. Noch nähere Ansprüche gründete man auf eine kurze Inschrift, die im Mittelalter – man weiß nicht wo – aufgetaucht ist, nur in lateinischer Uebersetzung existirt, aber in einem ägyptischen Grabe gefunden sein soll, die sogenannte „Smaragdtafel des Hermes Trismegistos“, in der es unter Anderem heißt. „Der Vater des Dinges (das heißt des Steins der Weisen) ist die Sonne und der Mond seine Mutter … Scheide die Erde vom Feuer, so hast Du das Herrlichste von der Welt, und alles Dunkel wird von Dir weichen …“ Diese dunklen Worte legte man zu Gunsten des leuchtenden Steines aus, welchen man Phosphorus, das heißt: „Lichtträger“, nannte, und so erregte der Bologneser Leuchtstein das höchste Interesse aller Jünger der hermetischen Kunst.
Wenn er nun auch in der Folge die hohen Erwartungen nicht erfüllte und sich nicht als der Stein der Weisen bewähren wollte, so mag er seinem Entdecker doch viel Geld eingebracht haben, denn lernbegierige Menschen aus aller Herren Ländern strömten damals in Bologna, der berühmtesten Universitätsstadt jener Zeit, zusammen und kauften diese Merkwürdigkeit als Naturwunder, während die Gelehrten den berühmt gewordenen Schuhmachermeister in lateinischen Versen als den wahren Prometheus feierten, der das Feuer der Sonne herabzuholen verstanden habe, sodaß es in der größten Kälte fortleuchte. Es trat eine allgemeine Begeisterung für diesen Stein ein; man schrieb Bücher darüber und stand nicht an zu behaupten, daß Sonne und Mond selber nichts anderes wären, als große, unerschöpfliche Bologneser Leuchtsteine! Lange wurde geglaubt, daß das Rohmaterial zur Bereitung dieses Wunders, aus dessen Pulver man mit Mehl und Wasser runde Scheiben oder Kuchen bildete, die durchgeglüht wurden, nur bei Bologna zu finden sei, bis man später erkannte, daß es sich um den an vielen Orten der Welt vorkommenden Schwerspath oder schwefelsauren Baryt handelt.
Die Hoffnungen der Alchemisten wurden einige Jahrzehnte später neu belebt, als Christian Adolf Baldewein (latinisirt Balduinus), Amtmann zu Großenhain in Sachsen (1674), durch Glühendes Kalksalpeters einen ähnlichen „Sonnen-Magneten“ (Magnes luminaris) gewann. Er nannte ihn den hermetischen Phosphor oder das Sonnengold (Aurum Aurae) und sprach in zahlreichen Schriften die Ueberzeugung aus, daß dies der wahre Stein der Weisen sei, bei welchem es sich nur darum handeln könne, die richtige Anwendungsart desselben zu ermitteln. Die damals einzige Naturforschergesellschaft Deutschlands, die Leopoldinische Akademie der Naturmerkwürdigkeiten, nahm den Entdecker unter dem in Chemikerfamilien fortlebenden alchemistischen Ehrennamen Hermes unter ihre Mitglieder auf. Seitdem galt als ausgemacht, daß der hermetische oder philosophische Stein leuchten müsse, und der Leibmedicus König Karl’s des Zweiten von England, Dickinson, erzählt uns in seiner „alten, wahren Physik“ (1702), daß Vater Noah (einer der angeblichen Erzväter der hermetischen Kunst) jene im Hebräischen Zohar genannte Leuchtsubstanz in einem gewaltigen Stücke an der Decke der Arche angebracht habe, um sie des Nachts mit einem immerwährenden Mondlicht zu versehen, wie er es andererseits vermöge seiner Kunst auch verstanden habe, ohne Futtervorräthe, mit einer Art vorliebigschen Fleisch- und Heu-Extracts alle Thiere zu speisen, wobei obendrein der Vortheil herauskam, daß es keinen Mist wegzuschaffen gab.
Es war damals eine wunderliche Blüthezeit der chemischen Träumereien, denn etwa zu derselben Zeit mit Baldewein entdeckte (1669) der der Alchemie-beflissene Soldat Brand in Hamburg durch Destillation menschlicher Excremente eine in leuchtenden Dampf übergehende und sich zu gelben Tröpfchen verdichtende Substanz, die, ohne der Anregung des Sonnenlichtes zu bedürfen, aus eigener Kraft im Dunklen leuchtete. Mit Entzücken verkündete der würtembergische Professor Kirchmaier der staunenden Welt, daß die lange gesuchte „beständige Nachtleuchte“ nunmehr gefunden sei, und Kunkel, einer der ersten Eingeweiheten und Nachentdecker, veröffentlichte eine Schrift über den „Phosphorus mirabilis und dessen leuchtende Wunderpilulen“. Auch hier erwartete man mehr, als die Zukunft hielt, aber wenn sich auch Vieles als Schein und Schimmer erwies, so ist doch diese Substanz, welcher der von den Sonnen-Phosphoren entliehene Name Phosphor als Eigenname verblieb, eines unserer unentbehrlichsten Bedürfnisse geworden.
Auch die Untersuchung der Sonnen-Phosphore trat nunmehr allmählich in ein wissenschaftliches Stadium. Im Jahre 1786 hatte der englische Chemiker Canton durch Glühen von Austerschalen mit Schwefel einen neuen Sonnen-Phosphor erhalten, und man ermittelte, daß die besten „Lichtsauger“ von den Schwefelverbindungen der drei Erdalkalimetalle (Calcium, Baryum und Strontium) gebildet werden, obwohl auch andere Schwefelmetalle, Selen-Verbindungen und andere Stoffe durch Glühen die Eigenschaft erhalten, nach der Bestrahlung mit elektrischem, Sonnen- oder Magnesiumlicht im Dunklen fortzuleuchten. Bei der Beschaffung guter Leuchtsteine kommt sehr viel auf die Bereitungsweise an, und je nach dem Verfahren leuchten sie in verschiedenfarbigem Lichte. Man kann sie nämlich sowohl durch Glühen der schwefelsauren Salze mit organischen Substanzen, wie durch Erhitzen der kohlensauren Salze mit Schwefel darstellen, und zwar erfordern die Barytleuchtsteine die stärkste, Kalkleuchtsteine eine schwächere, Strontianleuchtsteine die allerschwächste Gluth. Dabei erhält man aus natürlichem Schwerspath orangeleuchtende, aus künstlich dargestelltem grünlichleuchtende Sonnensteine. Sehr schön leuchtende Steine lehrte später Osann durch Glühen von Kalk mit Schwefelarsenik (Realgar) oder Schwefelantimon darstellen, und ein anderer Chemiker, Wach, erhielt durch Glühen von Schwefel mit gebrannten Austerschalen, die er vorher mit einer Auflösung von Schwefelarsenik in Ammoniak bestrichen hatte, so vorzügliche Sonnensteine, daß man ihr blaues Licht selbst bei Tage wahrnahm.
Nach diesem oder einem ähnlichen Verfahren hatte man wahrscheinlich den Ueberzug der nach kurzem Bestrahlen im Dunklen herrlich blau leuchtenden Kornblumen hergestellt, die im vorigen Jahre von Paris her in den Handel kamen. Da man nämlich diese Sonnensteine pulverisiren und das weiße Pulver mit Firniß oder einem anderen Bindemittel zum Ueberziehen von allerlei Flächen oder zum Schreiben und Zeichnen anwenden kann, so lassen sich unter Anwendung verschiedenfarbig phosphorescirender Pulver sehr anmuthige Spielereien, bunte Blumensträuße, leuchtende Schmetterlinge, Inschriften etc. ausführen. Die interessanteste Anwendung ist indessen wohl die leuchtende Photographie.
Wenn man nämlich eine derartige, gleichmäßig mit Leuchtsteinpulver überzogene Papierfläche kurze Zeit durch das photographische Glaspositiv einer Person, Landschaft etc. belichtet, so erscheinen natürlich die vollbeleuchteten Theile nachher stärker leuchtend als diejenigen, von denen eine mehr oder weniger starke Schattirung das Licht völlig oder theilweise abhielt. Jedes beliebige Glasportrait kann so in ein „Lucifer-Haupt“ verwandelt werden. Da übrigens diese Phosphore auch durch Wärme [11] leuchtend werden, so kann man die schönste Belsazar-Schrift hervorbringen, wenn man auf der Rückseite eines solchen Papieres mit einer heißen Stricknadel schreibt.
Leider eignen sich alle diese anmuthigen Spielereien nicht zum Verkaufe, denn der Luft ausgesetzt, zersetzt sich die leuchtende Schwefelverbindung langsam unter Entwickelung des bekannten Geruches nach faulen Eiern, sodaß die Gegenstände nach wenigen Wochen ihr Leuchtvermögen völlig einbüßen und werthlos werden. Sehr lange erhalten diese Phosphore dagegen ihr Leuchtvermögen bei luftdichtem Verschluß in zugeschmolzenen Glasröhren, und solche in allen Farben leuchtende Phosphore konnte man sonst von der Optiker-Firma Geißler in Bonn beziehen. Man hat auch vorgeschlagen, aus solchen Röhren Namenszüge über Nachtklingeln von Hôtels, Aerzten und Apothekern zu bilden, die immer wieder während des Tages neue Leuchtkraft einsammeln. Auch die leuchtenden Zifferblätter auf Taschen- und Wanduhren, wie sie Gustav Uhlig in Halle an der Saale anbietet, dürften eine praktische Anwendung darstellen, sofern die phosphorescirende Schicht durch luftdicht eingekittete Uhrgläser vor schnellerer Zersetzung möglichst geschützt werden könnte.
Was nun die physikalische Erklärung dieses Phosphorescirens anbetrifft, so glaubte man in ältern Zeiten, als man das Licht selbst noch für eine feine ausströmende Substanz ansah, daß sich die Sonnenstrahlen in diesen Phosphoren förmlich verdichten und ansammeln ließen, worauf sich die Namen „Lichtmagnet“, „Lichtsauger“ und „Lichtträger“ beziehen. Später, nachdem man erkannt hatte, daß das Licht eine Wellenbewegung ist und daß der gewöhnliche Phosphor der Zündhölzer leuchtet, während und weil er in langsamer Verbrennung sich mit dem Sauerstoff der Luft verbindet (oxydirt), so glaubte man, auch in jenen älteren Phosphoren rege das Licht nur einen lebhafteren Oxydationsproceß an. Diese Auffassung ist aber falsch, und schon im vorigen Jahrhundert bahnte der berühmte deutsche Physiker Euler eine richtigere Erklärung an.
Gewöhnlich sagt man uns bekanntlich, die Planeten, der Mond, die Alpengipfel und alle irdischen Gegenstände würden am Tage für uns sichtbar, weil sie das Sonnenlicht zurückwerfen. Auch das ist falsch; nur eine spiegelnde Fläche wirft das Licht einigermaßen vollständig zurück; die andern Oberflächen nehmen dasselbe vielmehr auf und gerathen in Mitschwingungen, ähnlich wie Musik alle Gegenstände ihres Bereiches in Mitschwingungen versetzt. Manche Oberflächentheile können aber von den Schwingungen des weißen Sonnenlichtes, welches bekanntlich aus rothen, orangefarbenen, gelben, grünen, blauen, indigofarbenen und violetten Schwingungen besteht, nur etwa die rothen oder blauen Schwingungen ausführen und erscheinen daher, indem sie nur diese Schwingungen in unser Auge zurücksenden, roth oder blau gefärbt.
Wie man aber bei der Ton-Resonanz ein Nachschwingen vernimmt, so kennt auch die Licht-Resonanz ein solches Nachschwingen, und dieses nennen wir Phosphoresciren nach Bestrahlung. Schon Euler ahnte, daß die meisten Stoffe ein solches Nachschwingen zeigen würden, wenn man sie nur schnell genug nach der Besonnung vor ein durch Verweilen in der Dunkelheit empfindlich gemachtes Auge bringen könnte, und der französische Physiker Becquerel hat vor etwa zwanzig Jahren ein Instrument (das Phosphoroskop) construirt, mit welchem er zeigen konnte, daß die meisten Stoffe, z. B. Papier, Eierschalen, Steine etc., noch eine ganz kurze Zeit, das heißt Secunden und Bruchtheile von Secunden, nach der Belichtung nachleuchten, daß also die Sonnen-Phosphore sich nur durch das anhaltende, stundenlange Nachleuchten vor anderen Stoffen auszeichnen. Allein, obwohl das Gesagte im Allgemeinen zutrifft, ganz so einfach ist die Sache nun doch nicht; es kommt nämlich noch ein sehr interessanter Nebenumstand in Betracht.
Die neuere Physik hat uns mit einer Menge von Substanzen, namentlich organischen Farbstoffen und einigen Metallverbindungen, bekannt gemacht, welche ebenfalls phosphoresciren, aber nur eben so lange, wie sie beleuchtet werden. Das hört sich paradox an, entspricht aber den Thatsachen. Es sind das diejenigen festen oder flüssigen Stoffe, die im auffallenden Lichte eine andere Farbe zu haben scheinen, als im durchscheinenden, weshalb man ein eigenthümliches Schillern an ihrer Oberfläche bemerkt. Gewisse Flußspath-Sorten, das Petroleum und die Chinin-Auflösungen, die wir als Fieber-Medicin einnehmen, eine Abkochung von Roßkastanienrinde etc. schillern blau, der grüne ätherische Auszug grüner Blätter blutroth, das Uranglas, aus dem man Salznäpfe und Rheinweingläser macht, maigrün, Magdalaroth gelb etc. Bringt man nun eine Auswahl solcher Schillerstoffe in einen dunklen Raum, welcher nur durch das schwache Licht des durch luftleere Glaskugeln oder -Röhren hindurchgeleiteten elektrischen Stromes erhellt wird, so leuchten sie alle wunderschön, jeder in seiner Farbe, und zwar viel heller als das elektrische Glimmlicht, aber nur so lange, wie sie von diesem bestrahlt werden. Wie ist diese merkwürdige Erscheinung zu erklären? Wie kann man helles Licht von schwächerem borgen?
Wir haben schon oben erwähnt, daß das weiße Licht aus den sogenannten sieben (richtiger unzähligen) Farbentönen zusammengesetzt ist, die sich bei der Zersetzung durch ein Prisma in der angeführten Reihenfolge sondern. Die rothen Strahlen sind die am langsamsten, die violetten die am schnellsten schwingenden Lichtantheile. Wie es nun jenseits der rothen Strahlen noch langsamer schwingende giebt, die wir aber nicht mehr als Licht, sondern als Wärmestrahlen empfinden, so giebt es jenseits des Violetts noch schneller schwingende „ultraviolette“ Strahlen, die wir direct in keiner Weise empfinden, die sich aber durch ihre energische chemische Wirkung, z. B. in der Photographie, auszeichnen und deshalb auch chemische Strahlen oder „unsichtbares Licht“ genannt werden. An solchen dunklen, unsichtbaren, ultravioletten Strahlen ist nun jenes matte elektrische Glimmlicht vorzugsweise reich, und sie sind es, die besonders jenes schillernde Leuchten hervorbringen, welches man nach dem Flußspath (Fluorcalcium), an dem es zuerst studirt wurde, Fluorescenz nennt. Wenn nun diese für unsere Netzhaut wegen zu großer Schwingungsschnelligkeit unsichtbaren Strahlen jene Substanzen zum Leuchten bringen, so müssen die letzteren die Fähigkeit haben, ihre Schnelligkeit zu mäßigen, sie in langsamer schwingende, leuchtende Strahlen zu verwandeln, und dies ist in der That der Fall. Es könnten also die ultravioletten Strahlen in violette, blaue, grüne etc., die blauen in grüne, gelbe, rothe etc. verwandelt werden, aber die rothen Strahlen könnten durch dieselben Substanzen höchstens noch in dunkle Wärmestrahlen verändert, also für das Auge ausgelöscht werden.
Hier zeigte sich nun die interessante Uebereinstimmung, daß erstens die ultravioletten Strahlen nicht nur die stärkste Fluorescenz, sondern auch die stärkste Phosphorescenz hervorrufen, die rothen aber weder Fluorescenz noch Phosphorescenz, ferner daß die Leuchtsteine, wie die Schillerstoffe, andersfarbiges Licht zurückgeben als sie empfingen, und es hat sich schließlich herausgestellt, daß beide Erscheinungen auf das engste zusammenhängen, daß man die Fluorescenz als eine außerordentlich starke Phosphorescenz bezeichnen kann, die selbst im vollen Sonnenlichte, aber nicht länger, als der erregende Strahl dauert, sichtbar ist, während man die Phosphorescenz eine schwächere, aber nachhaltigere Fluorescenz nennen könnte. Auch die Sonnen-Phosphore strahlen meistens langsamer schwingendes Licht aus, als sie empfangen haben, doch können die meisten auch die Wärme in Licht verwandeln, wie z. B. der Diamant, Flußspath und die meisten Sonnensteine, ja einzelne der letzteren strahlen verschiedenes Licht aus, wenn man sie nach der Bestrahlung im Dunkeln erwärmt. So z. B. leuchtet das besonnte Schwefelstrontium bei – 20° dunkelviolett, bei + 15° violett, bei + 40° hellblau, bei 70° bläulichgrün, bei 100° grüngelb und bei 200° rothgelb.
Andererseits kann die Phosphorescenz ebenso schön wie die Fluorescenz durch jenes an chemischen Strahlen reiche elektrische Glimmlicht geweckt werden, und ein mit dem Pulver verschiedenfarbiger Sonnen-Phosphore gemalter Blumenstrauß, Schmetterling etc. leuchtet bei dem schwachen Schimmer desselben, sowie nachträglich, wirklich feenhaft. Zu einem wunderbaren, durchweg an den Karfunkel des Märchens erinnernden Leuchten hat der englische Chemiker Crookes kürzlich auf solche Weise Diamanten und Rubine gebracht, die er in unmittelbarer Nähe des vom negativen Pole ausgehenden Glimmlichtes in den luftleeren Glasbehälter mit einschloß. Die meisten afrikanischen Diamanten leuchteten dabei in schön blauem Lichte. Ein größerer grünlicher Diamant aber strahlte in intensiv grünlichem Lichte ebenso hell, wie eine brennende Kerze, sodaß man dabei hätte lesen und jenes eingangs erwähnte Tempelwunder wahr machen können. Die Steine werden davon natürlich nicht im mindesten heiß oder verändert.[1] [14] Eine Sammlung kleinerer Diamanten, wahrscheinlich von verschiedenartiger Herkunft, die zusammen in einem anderen luftleeren Behälter eingeschlossen war, phosphorescirte in allen möglichen Farben, blau, rosa, roth, orange, gelbgrün und blaßgrün durcheinander.
In einem dritten luftleeren Behälter hatte Crookes eine Sammlung roher Rubine eingeschlossen, die im Scheine des elektrischen Glimmlichtes in einem so prächtigen rothen Lichte erglänzten, als ob sie durch und durch rothglühend wären, und zwar leuchteten die künstlich von Feil in Paris dargestellten (vergleiche „Gartenlaube“ 1878, Seite 228) ebenso schön, wie die natürlichen, und die farblosen Thonerde-Krystalle ebenso gluthroth, wie die rosa und dunkelroth gefärbten.[2] Einen so prachtvollen Karfunkelschein dürfte selbst der Dichter des Märchens kaum geträumt haben. „Aber,“ so höre ich am Schlusse Jemand einwerfen, „wir sollten ja vom ‚geborgten Sonnengold‘ hören?“ Nun, auch das elektrische Licht ist geborgtes Sonnenlicht, wenn auch aus dritter und vierter Hand und nicht so direct bezogen, wie es die Sonnensteine vom Helios zu entleihen gewöhnt sind.
- ↑ WS: Fehlenden Punkt sinngemäß ergänzt.
- ↑ Der Leser kann die letzteren Experimente in einem soeben in deutscher Sprache erschienenen Vortrage von W. Crookes, „Strahlende Materie oder der vierte Aggregatzustand“ (Leipzig, Quandt und Händel), auf welchen wir ausführlicher in dieser Zeitschrift zurückzukommen gedenken, beschrieben und abgebildet finden.