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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1871
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[89]

No. 6.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Pulver und Gold.
Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Recht ruhig zu sein empfahl mir Blanche! Ich war durchaus nicht ruhig. Das Ende der Unterredung, die mir Ruhe und Klarheit geben sollte, hatte mir durchaus keine Ruhe, aber wenigstens die Klarheit gegeben, daß meine Pflicht mir gebot, jetzt das schwere Schloß in Friedrich’s Kammer zu sprengen und mich zu überzeugen, was dahinter verborgen sei. Blanche hatte mir zu augenscheinlich verrathen, daß meine Dienstpflicht es gebiete; und nun mußte ich, und ging all mein Glück darüber zu Scherben, in dies Geheimniß blicken, ich mußte mir mit Gewalt den Weg dazu bahnen! Schon morgen wollte ich es, sobald ich die Kraft hatte zu solch einer Untersuchung. –

Der Abbé kam nach einiger Zeit. Er fand meinen Puls sehr erregt und glaubte, es werde in der Nacht das Wundfieber kommen. Ich hätte ihm den erregten Puls erklären können, zog aber vor, ihn bei seinen Wundfieberideen zu lassen. Er hatte oben bei Frau Kühn Pulver, welche dieser bei fiebrigen Zuständen eine ruhige Nacht verschafften, wie er sagte, und ging, mir eines zu holen, das ich gegen zehn Uhr nehmen sollte. Er kam damit zurück, mischte es mir selber und stellte es unter vielen Anpreisungen seiner Tugenden in einem Glase Wasser auf den Nachttisch. Dann leistete er mir Gesellschaft, während ich etwas von meinem Nachtessen, das Friedrich brachte, verzehrte. Gegen neun Uhr ging er. Friedrich räumte ab, Glauroth kam noch, um mir Bericht über sein dienstliches Walten als Vicehaupt unseres kleinen Corps zu erstatten, und als er gegangen, um mir Ruhe zu lassen, bat auch Friedrich um Urlaub, sich zurückziehen zu dürfen; er fühlte sich von den Anstrengungen der vergangenen Nacht her ganz entsetzlich müde, wie er sagte, und so schläfrig, wie er in seinem Leben nicht gewesen. Ich entließ ihn, schraubte das Licht meiner Lampe niedriger und streckte mich zum Schlafen aus – ich vergaß über all den Gedanken, die, sobald ich allein war, auf mich einstürmten, des Abbé Pulver und all seine Tugenden vollständig. Für’s Erste war es mir durchaus nicht darum zu thun, mich diesen Gedanken zu entziehen und schlafen zu können.

Doch mußte mir der Schlummer nach einer Weile gekommen sein, ein halbwacher Traumzustand wenigstens; aus einem solchen fuhr ich auf, als ich die Schläge der Schloßuhr von draußen her vernahm, wie sie heiser durch die stille Nacht schwirrten. Ich lauschte auf das leise Versummen der ehernen Töne; eine Weile darauf glaubte ich über mir oder doch in der Nähe das leise Oeffnen eines Fensters zu vernehmen; vielleicht bewegte der Wind eine Jalousie. Von drüben, von den Ställen her, kam eben das Wiehern eines unserer Pferde; wahrscheinlich kehrte eine Streifpatrouille zurück, wie wir sie Nachts aussenden mußten. Ich legte mich zurück, um einzuschlafen; aber es gelang mir nicht; mir fiel des Abbé’s Pulver ein; ich dachte daran, es einzunehmen und schob den Docht der vor mir brennenden Lampe höher; in diesem Augenblick hörte ich ganz unfern von mir ein Geräusch, wie wenn langsam und leise ein Holz splittert; wäre das Geräusch stärker gewesen, so hätte man es ein Krachen nennen können – so aber kann ich es nur beschreiben, indem ich es dem möglichst leisen Aufbrechen irgend eines Holzverschlags ähnlich nenne.

Dies Geräusch kam wie aus Friedrich’s Zimmer, dessen Thür geöffnet stand, damit ich ihn anrufen könne. Seltsam, daß Friedrich nicht davon erwachte; doch schlief er wohl zu fest, ich hörte seine lauten und tiefen, oft sehr unmelodischen Nasaltöne und wähnte sogar einen Augenblick, er habe eben zur Abwechselung statt einen Mann, der ein Brett sägt, einmal einen Mann, der das Brett, zerbricht, nachgeahmt … aber es war nicht das, ein leiseres Nachkrachen überzeugte mich davon. Was konnte es sein? Flüsterte nicht auch auf dem Hofe jetzt eine Stimme? Es war wie ein heimliches Raunen, das aufhörte, als ich hinlauschte, und dann wieder ein paar flüchtige Augenblicke vernehmbar wurde, um sogleich wieder zu ersterben.

Betroffen sprang ich auf; es mußte Etwas vorgehen – der Gedanke, daß es mit dem Geheimniß der Tapetenthür in Verbindung stehe, durchzuckte mich wie ein Blitz; ich machte die wenigen Schritte, um einen Blick in Friedrich’s Kammer zu werfen. Das Erste, was mein Auge traf, war ein ganz schmaler, kaum sichtbarer Lichtschimmer, der unter der Tapetenthür herdrang. Im Augenblick war ich zurück und hatte meine Kleider gefaßt; der Schmerz, die Wunde am Arme waren vergessen; ich war innerhalb zwei Minuten in die nöthigsten Kleider geschlüpft, hatte mit einer Hand meinen Revolver erfaßt, mit der andern die Lampe und stand gleich darauf vor dem Bette Friedrich’s; ich stellte rasch die Lampe auf den nächsten Tisch, schüttelte Friedrich gewaltsam an der Schulter, raunte ihm zu: „Auf, folg’ mir augenblicklich!“ – und eilte weiter, der Tapetenthür zu.

Das schwere Hangschloß – ich hatte das schon beim ersten Eintritt wahrgenommen – hing geöffnet vor der Thür; darunter steckte ein Schlüssel, der früher nicht dagewesen – ich drehte ihn [90] im Schloß, die Thür öffnete sich, und ich stand in dem geheimnißvollen Zimmer.

Es war ein mittelgroßer Raum; links das vergitterte Fenster – jetzt weit geöffnet; rechts an der Wand erhoben sich Repositorien mit Papieren, Handlungsbüchern, Acten gefüllt; im Hintergrunde, mir gegenüber, ein großer Schreibtisch. Ueber das Alles glitt nur mein Auge, um in den zweiten anstoßenden Raum zu dringen, der rechts sich öffnete; denn hier rechts war die Wand nur halb so weit wie die Wand links, worin sich das Fenster befand, vorgezogen; dann sprang sie im rechten Winkel ein; um es deutlicher zu machen, das ganze Zimmer war in seiner hintern Hälfte doppelt so breit wie in seiner vordern. In diesem hintern zurückliegenden Raume sah ich zwei eiserne Geldschränke an den Wänden; zwischen ihnen, auf dem Boden eine Anzahl von vielleicht einem Dutzend oder mehr kleiner neuer Fässer; und mitten dazwischen stand Fräulein Blanche, einen Leuchter in der Hand und mich anstarrend, als ob sie ein Gespenst sähe! Ein anderes brennendes Licht stand oben auf einem der eisernen Schränke.

„Fräulein Blanche!“ rief ich überrascht aus – „mein Gott, Sie … und was beginnen Sie hier?“

Sie schien in einer Weise über mein plötzliches Auftauchen vor ihr erschrocken, daß sie keine Worte fand, daß das Licht in ihrer Hand schwankte, als ob sie es fallen lassen wolle.

Ich trat zurück und legte meinen Revolver auf den Schreibtisch; dann mich wieder zu ihr wendend, rief ich:

„Sprechen Sie, Blanche, was bedeutet dies, bei welchem Werke finde ich Sie hier …?“

Ich sah, daß ihr Busen wogte, als ob das Herz ihn sprengen wolle … noch starrte sie mich mit demselben entsetzten Blicke an, blaß wie eine Leiche, aber kein Wort rang sich von ihrer Lippe los.

Ich trat einen Schritt näher – jetzt plötzlich erhob sie den Fuß und trat auf eines der aufrecht stehenden kleinen Fässer – ich sah nur noch, daß der Deckel davon gesprengt war; im nächsten Augenblick hatte sie den obern Theil desselben mit dem Saum ihres Kleides bedeckt.

„Nicht näher,“ schrie sie dabei mit einem Angstschrei auf – „keinen Schritt näher, oder Sie, wir Alle sind Kinder des Todes …“

„Weshalb … wodurch?“ rief ich stehenbleibend aus … „Blanche, ich muß wissen, was Sie hier thun, weshalb mein Erscheinen Sie zu Tode erschreckt, was in diesen Fässern ist …“

„Gehen Sie zurück, und Sie sollen es wissen, sollen Alles wissen,“ hauchte sie mühsam hervor … „nur zurück, bis an den Schreibtisch dort.“

„Wohl, so sprechen Sie,“ sagte ich, ein Paar Schritte zurücktretend.

„Sie wollen wissen, was in diesen Fässern ist? Es ist Pulver darin. Die Franctireurs, welche neulich von Ihnen verfolgt wurden, waren beauftragt, diesen Vorrath den Mobilgarden des Doubs zu bringen, denen es daran fehlt und die mit Schmerzen darauf harren. In der Angst, von Ihnen aufgehoben zu werden, flüchteten die Leute ihren Transport auf unsern Hof. Wir hatten eben die Zeit, die Fässer in diesen Raum zu bergen, den nächsten besten, der sich bot. Da kamen Sie mit Ihrer Truppe und zu unserm größern Erschrecken nahmen Sie diese Zimmer in Besitz; umsonst suchten wir Sie daraus zu entfernen, und doch verlangt das Bataillon stürmisch, in den Besitz seiner Munition zu kommen …“

„Ah,“ sagte ich, „das also ist das ganze Geheimniß; und Sie, Blanche, sind damit beschäftigt, jetzt dies Pulver zum Fenster hier hinauszulassen, während draußen Leute stehen, die es in Empfang nehmen? Sie glaubten, weil ich müde und verwundet, und Friedrich – wo bleibt er? – einen so festen Murmelthierschlaf hat, wäre die richtige Nacht dazu gekommen; Armes Fräulein Blanche … es thut mir unendlich leid, daß ich diese Berechnung zerstört habe, weil ich nicht schlief, sondern wachte, und daß die Mobilgarde des Doubs noch immer ihr Pulver nicht erhalten wird und sich nach einer andern Bezugsquelle umsehen muß; denn dies hier bin ich nun einmal gezwungen, als Eigenthum der französischen Regierung in Beschlag zu nehmen. Lassen Sie mich es sehen!“

Zusammenfahrend, mit einer heftigen Bewegung streckte sie den Arm vor.

„Keinen Schritt näher,“ sagte sie … „ich habe den Leuten, die es mir anvertrauten, mit meinem Worte dafür gebürgt; ich lasse dies Eigenthum meines Vaterlandes nicht in die Hände seiner Feinde fallen! Gehen Sie, vergessen Sie, was Sie gesehen, lassen Sie mich ungestört ausführen, was ich im Begriff war zu thun!“

„Aber Blanche,“ sagte ich mit bittendem Tone, „Sie können das nicht von mir verlangen … Sie wissen, daß es meine Pflicht ist –“

„Ach … Ihre Pflicht. Ihre Leute haben Munition genug … für uns handelt es sich um mehr als das … wenn das Bataillon keine Cartouchen zu seinen Waffen erhält, so wird es unwillig sich zerstreuen … deshalb gehen Sie, gehen Sie – ich flehe Sie darum an – ich bitte Sie darum – ich beschwöre Sie bei Allem, was Sie mir gesagt, ich fordere es als einen Beweis jener Leidenschaft, die Sie mir gestanden und deren Sprache ich angehört habe …“

„Blanche, es ist unmöglich, was Sie verlangen! Sie selber fordern von einem Manne die Stärke, seine Pflicht über seine Leidenschaft zu setzen. Nein, nein,“ rief ich nähertretend, „Sie können unmöglich mir darum zürnen, wenn …“

„Nun, wenn Sie denn unerbittlich sind,“ rief sie in einer ganz unbeschreiblichen Bewegung, mit einer barschen Stimme wie von Verzweiflung und Muth – so komme das Verderben über Sie und über mich und über uns Alle …“

Sie zog den Fuß von dem geöffneten Fasse zurück und senkte das Licht.

„Wenn Sie nicht im Augenblick gehen,“ rief sie dabei, „so entzünde ich das Pulver und wir fliegen sammt Allem im Hause in die Luft!“

Sie hielt das flackernde Licht dicht über der Oeffnung der kleinen Tonne.

„Was Sie meiner Liebe für Sie nicht abringen, werden mir Todesdrohungen auch nicht abringen,“ sagte ich ruhig, die Arme über der Brust verschlingend und sie fest ansehend. „Im Pulverdampf für seine Pflicht zu sterben, ist Soldatenloos. Werfen Sie das Licht in das Pulver, Blanche, wir sterben dann zusammen!“

Sie zitterte plötzlich so, daß es dieser Aufforderung gar nicht bedurfte; im nächsten Augenblick hätte sie das Licht ohnehin müssen fallen lassen … rasch trat ich näher und nahm ihr den Leuchter aus der Hand.

„Uebrigens, Fräulein Blanche,“ fuhr ich dabei fort, „täuschen Sie mich; in diesen Fässern ist gar kein Pulver, mit dem Sie uns Beide mitsammt Ihrer armen Mutter und Ihrem schönen Chateau-Giron in die Luft sprengen könnten, wenn Sie wirklich solchen Frevelmuth besäßen; es ist etwas Anderes darin, in diesen hübschen Tönnchen, und zwar Gold!“

Ich beugte mich zu dem Fasse, auf das ihr Fuß getreten, und von dem der Deckel abgehoben war … das gewaltsame Oeffnen mit einem langen eisernen Meißel, den ich neben dem Deckel am Boden liegen sah, hatte ohne Zweifel das Geräusch verursacht, das mich herbeigerufen. Es lagen obenauf in der kleinen Tonne mehrere Schichten grauen Papieres; als ich sie beseitigt, fand ich darunter jene kleinen pyramidenförmigen Pakete, zu denen man Geldrollen zusammenzupacken pflegt; sie waren an den Seiten mit großen amtlichen Siegeln verschlossen und der Betrag des Inhalts darauf geschrieben.

„Sehen Sie, Fräulein Blanche, Ihr Pulver ist Gold!“

Ich nahm den zerbrochenen Deckel auf und las darauf: 10,000 Frcs. en p. de 20 et de 5. Ein rascher Ueberblick zeigte mir, daß der kleinen Fässer achtzehn da waren, die ganze Summe konnte also hundertachtzigtausend Franken betragen.

Fräulein Blanche hatte sich mit dem Rücken an einen der eisernen Schränke gestellt; mit großen geisterhaften Augen, bleich, keinen Blutstropfen im Gesichte, sah sie mir zu.

„Es ist Gold,“ preßte sie mühsam hervor … „was werden Sie jetzt thun? Wenn Sie das Gold rauben, so bin ich unglücklich auf ewig!“

„Blanche,“ sagte ich mit zitternder Stimme, „glauben Sie nicht, daß, wenn dies wahr, auch ich unglücklich auf ewig sein würde … daß ich bis an’s Ende meines Lebens die Stunde verfluchen würde, in der ich dieses Gold finden und Sie verlieren mußte?“

[91] „Nun, beim Himmel, so sein Sie menschlich gegen sich und mich – lassen Sie dies entsetzliche Gold, wo es ist; denken Sie, es sei ein böser Traum Ihres Wundfiebers, dies Alles! Gehen Sie zurück und schlafen den Traum aus, während ich dies dämonische Gold mit all’ der Qual, die es mir gemacht hat, fortschaffe, durch’s Fenster werfe … und dann ist ja Alles gut!“

„Was wollten Sie thun?“ fragte ich.

„Das, was ich heute, als ich bei Ihnen war, versprach. Dies Geheimniß, welches zwischen uns stand und uns Beide so peinigte, beseitigen. Die Fässer lassen sich nicht durch die Fensterstangen dort zwängen; darum wollte ich die einzelnen Pakete hinauswerfen … unten stehen Etienne und der Gärtner, sie aufzufangen und fortzuschaffen. Nun wissen Sie Alles, und nun entscheiden Sie … über Tod oder Leben! Sind Sie hart, so sind wir getrennt auf ewig und ich bin – eine Bettlerin!“

„Sie sind entsetzlich, Blanche, mit dieser Versuchung … was nützt es Ihnen, mir so das Herz zu zerreißen … ist es so, wie Sie sagen, ist es wirklich so, so können Sie mich dahin bringen, nachdem ich meine Pflicht gethan, meinen Revolver zu nehmen und mir eine Kugel durch’s Herz zu jagen … das ist Alles. Dies Geld hier, französisches Staatsgut, die Kriegscasse irgend eines Corps, gehört meinem Kriegsherrn!“

Ich konnte nichts hinzusetzen, abgezogen durch den Lärm, den ich schon seit einiger Zeit vernommen und der jetzt immer stärker und heftiger wurde. Es schallte durch das Vorgemach, in welchem Friedrich schlief, herüber, ein Klopfen, Rufen und Thürenrütteln, anfangs sacht, dann stürmischer. Der Grund war leicht zu erklären. Wenn der Abbé und der Gärtner draußen unter dem Fenster gestanden, so mußten sie den Stimmenwechsel zwischen Blanche und mir vernommen haben – erschrocken darüber waren sie herbeigeeilt, Blanche zu Hülfe zu kommen; der nächste Weg war der durch eine Thür, welche vom Corridor durch Friedrich’s Zimmer führte … diesen Weg mußte auch Blanche gekommen sein und sie mußte die Thür hinter sich verriegelt haben. Ich hatte anfangs des Lärms nicht geachtet, in der Voraussetzung, daß Friedrich, den ich ja angerufen, aufgesprungen sei, und daß er jeden nächsten Augenblick die Verhandlung mit Denen, die so stürmisch Einlaß verlangten, übernehmen werde. Aber Friedrich gab kein Lebenszeichen von sich; aufhorchend vernahm ich sein fortwährendes Schnarchen; ich griff deshalb rasch zum besten Auskunftsmittel, um mir Beistand gegen einen Ueberfall herbeizurufen – ich ging, nahm meinen Revolver und feuerte zwei der Schüsse durch das offenstehende Fenster ab.

Blanche schlug dabei mit einem leisen Schrei ihre Hände vor’s Gesicht – sie sah ihre letzte Hoffnung, den Schatz zu retten, geschwunden – sie ging wankenden Schritts, ohne mich auch nur anzublicken, davon … durch Friedrich’s Zimmer zu der Thür, die in diesem Augenblicke mit splitterndem Krachen aufgesprengt wurde, rief den hereinstürzenden zwei Männern einige hastige Worte zu und war verschwunden in der Dunkelheit des Corridors.

Der Abbé und der Gärtner standen vor mir, Beide offenbar nicht wissend, was zu beginnen; der Gärtner trug eine Doppelflinte in der Hand – er hätte, wenn er seinem Instinct hätte folgen können, sie sicherlich auf mich abgefeuert – aber ein Rest von Besinnung, vielleicht auch ein Befehl Blanche’s, mochte ihn zurückhalten. Auch war der Abbé vor ihn getreten und schrie mir auf französisch entgegen:

„Herr, Sie sind ein Ehrenmann – Sie sind kein Räuber – Sie rauben das Geld nicht – Sie –“

„Herr Abbé,“ sagte ich, ihn an der Schulter zurückschiebend, „es thut mir leid, daß ich Ihnen als solcher Räuber erscheinen muß. Ziehen Sie sich zurück … meine Leute werden gleich hier sein – Sie können hier nichts mehr hindern, nichts retten, nichts ungeschehen machen!“

Mit einem furchtbaren, wie eine Kinderklapper rasselnden Seufzer erhob sich in diesem Augenblicke Friedrich; das Einbrechen der Thür schien doch über sein merkwürdig energisches Ruhebedürfniß den Sieg davon getragen zu haben. Mit einem tiefen Aufathmen fuhr er empor, setzte sich aufrecht und starrte die Scene, auf welche seine weit aufgerissenen Blicke fielen, an.

Der Abbé warf mir in großer Heftigkeit eine Antwort entgegen; Ausrufe und Flüche des Gärtners mischten sich darin – ich verstand den Abbé, der in seiner Erregung nur noch Französisch sprach, ebensowenig wie den Gärtner; sie mischten viel zu heftig und schnell dazu, doch gewann Friedrich währenddeß Zeit, aufzuspringen, zu seinem Carabiner zu greifen und schlaftrunken an meine Seite zu taumeln.

„Sie sehen,“ nahm ich wieder das Wort, „Sie können nichts mehr retten, Herr Abbé – wollten Sie einen Kampf mit uns Beiden wagen, Sie würden nichts erreichen, und meine Leute würden kommen und Sie überwältigen, wenn wir Zwei es nicht vermöchten. Gehen wir friedlich auseinander. Beugen Sie sich unter das Unvermeidliche, für Sie nicht mehr zu Aendernde, wie ich mich unter das Gebot meiner Pflicht beuge. Glauben Sie, es sei mir weniger schmerzlich und schwer?“

Er murmelte etwas, beide geballten Hände erhoben; dann wandte er sich, wie um aufzuhorchen … in der That wurden draußen auf dem Hausflur Schritte und klirrende Sporen laut. Einer der Ulanen, der vor den anderen bei der Hand war, kam hereingestürmt und rüttelte drüben an meiner verschlossenen Thür; Friedrich lief in mein Zimmer, ihm dort zu öffnen. Der Abbé und der Gärtner verschwanden unterdeß in der Dunkelheit des Corridors. Ich nahm nun die Lampe, um meinen, Einer nach dem Andern, herbeieilenden Leuten zu leuchten; bald aber war ein halbes Dutzend zur Stelle, unter ihnen Glauroth, mit ihren Fragen mich bestürmend; es war eine merkwürdige Gruppe, diese halbbekleideten Leute, Carabiner, entblößte Säbel in der Hand und – so mich, der, die Lampe in der erhobenen Rechten, mitten zwischen ihnen stand, anstarrend und umdrängend.

„Wo ist der Feind?“ rief Glauroth aus … „was ist geschehen? Auf wen haben Sie geschossen? Wahrhaftig, Sie sehen aus wie Wallenstein zu Eger in der Mitte seiner Mörder … blaß, gesträubten Haares, von blanken Schwertern umringt …“

„Ich will Euch den Feind zeigen, Cameraden,“ sagte ich – „es ist jedoch kein Feind von Fleisch und Blut – es handelt sich nur um den bekannten bösen Feind des Menschengeschlechts, der die Seele verdirbt, den ‚ungerechten Mammon‘!“

Ich wandte mich und ließ sie folgen. Als sie in den Raum, in den ich sie führte, gekommen, war das Erstaunen und der Jubel groß. Die Schwere der Fässer wurde geprüft, die einzelnen Geldpakete betrachtet, die Deckel der Fäßchen beleuchtet und die Aufschriften studirt; dazwischen wurde ich mit Fragen bestürmt; Glauroth berechnete mit großer Schnelligkeit die ganze Summe, und ein allgemeines Hurrah folgte seiner Erklärung, daß, wenn die auf die Fässer geschriebenen einzelnen Beträge richtig seien, das Ganze sich auf hundertfünfundneunzigtausend Franken belaufe! Ich sorgte dafür, daß Friedrich aus meinem Zimmer ein Blatt Papier bringe, auf das wir die Anzahl der Tönnchen und die einzelnen Summen schrieben; dies summarische Protokoll wurde von mir, Glauroth und zwei anderen Ulanen unterzeichnet; dann faltete ich das Blatt zusammen und gab es Glauroth.

„Sie müssen aufsitzen, Glauroth,“ sagte ich, „und sofort nach Noroy reiten, um dem Commandanten unsern Fund zu melden. Nehmen Sie einen Mann zum Begleiter mit. Der Major wird Ihnen Leute mitgeben, um den Schatz einzuholen; machen Sie ihn aufmerksam darauf, daß es ohne einen Wagen nicht gehen wird. Eilen Sie! Reden Sie nicht von meiner Verwundung! Hören Sie?“

Glauroth war durch den Fund viel zu erregt, um mit mehr als halbem Ohre zu hören.

„Ich werde ihn aufmerksam darauf machen, daß wir Alle mindestens das eiserne Kreuz verdienen für die Gefangennahme eines solchen Feindes,“ rief er.

Zwei von den Anderen stellte ich als Posten auf, den Einen im Hofe, den Andern in dem Corridor des Hauses; und dann war alles Nöthige gethan; Glauroth ging, sich zu seinem Ritt anzuschicken; die Uebrigen suchten ihr Lager wieder auf, und ich hieß Friedrich das Gleiche thun, um es dann ebenso zu machen, nachdem ich die Thür zu dem Geldzimmer abgeschlossen.

„Wie war es möglich,“ sagte ich dabei zu Friedrich, „daß Du so fest schliefst, ärger als ein Bär im Winterschlaf? Ich glaubte, Du seiest mindestens todt!“

„Ja – ich muß fest geschlafen haben,“ antwortete er, „und es liegt mir schwer in den Gliedern; ich glaube, ich brauche mich nur hinzulegen, und ich schlafe sofort wieder ein.“

„Du fühltest schon, ehe Du Dich legtest diese Schlafsucht?“

„Ganz merkwürdig, Herr Vice-Wachtmeister,“ sagte Friedrich; „just, als ob mir Einer einen Schlaftrunk in den Abendschoppen gegossen hätte …“ [92] Damit warf sich Friedrich wieder auf sein Lager, und ich suchte das meinige auf und fragte mich dabei, ob ich nicht sehr wohl gethan, des Abbé „beruhigendes“ Pulver nicht anzurühren!

Freilich, hätte ich es genommen, ich hätte schwerlich den Rest der Nacht so aufgeregt schlaflos, wie ich jetzt that, zugebracht. Solche peinvolle, unsäglich quälende, rastlose Stunden, in denen ich oft vollständig der Verzweiflung nahe war, daß gerade ich dies entsetzliche Gold hatte finden müssen … Ich hatte so innerlich glücklich, so im Stillen jubelnd die Zuversicht genährt, daß es mir glorreich gelingen werde, eine Brücke über den Abgrund zu bauen, der mich unleugbar von Blanche trennte … und nun kam dies verflucht schwere Gold und legte sich auf meine luftige phantastische Brücke, und unter dieser Last war sie zusammengebrochen und eingestürzt, und der Abgrund klaffte tiefer und weiter als zuvor, und aus der schwarzen Tiefe starrte mich die öde grauenhafte Hoffnungslosigkeit an. –

Endlich, endlich stieg der Morgen herauf. Die Sonne kam und stieg höher und höher; doch fühlte ich mich nicht versucht, mich zu erheben. Ich fühlte mich matt, hinfällig, wie an allen Gliedern gebrochen. Ein Mädchen brachte mir das Frühstück. Der Abbé, obwohl er sich mir zum Arzt aufgedrungen, erschien nicht. Von Blanche vernahm ich natürlich nichts. Auch der Arzt aus Noroy, den man mir für heute angekündigt, kam nicht. Friedrich hatte sich erhoben und ging verdrossen zwischen mir und meinen Leuten hin und her; er klagte über Kopfweh. Ich nahm mir endlich ein Herz und sandte ihn zum Abbé hinauf. Ich ließ diesen dringend ersuchen, sich zu mir herunter zu bemühen.

Der Abbé kam nach einer geraumen Weile.

Ich bat ihn, Platz an meinem Bette zu nehmen, und sagte mit einem Scherz, der freilich sehr gezwungen lauten mochte:

„Ich habe das Pulver, welches Sie mir gestern Abend verordnet, nicht genommen, und das hat Sie mit Ihrem Patienten so unzufrieden gemacht, daß Sie ihn aufgegeben haben. Ist es so? Ich würde es Ihnen nicht übel nehmen können. Ich will auch in der That Ihre Mühe und Sorge nicht weiter in Anspruch nehmen; meine Wunde heilt wohl ohnehin jetzt ohne viel ärztliche Behandlung und ist jedenfalls das Geringste von dem, was mich unglücklich macht … ah, weshalb thun Sie das?“

Der Abbé hatte mit einem eigenthümlich gedrückten und scheuen Wesen, während ich so sprach, meine Blicke vermieden und streckte jetzt die Hand nach dem Glase aus, in das er am gestrigen Abend sein Pulver gemischt und das noch gefüllt auf meinem Nachttische stand.

Er nahm es und leerte es rasch bis zur Hälfte.

„Weshalb thun Sie das?“ rief ich aus.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Fahrt in das Eismeer.
Aus meinem Tagebuche, von M. E. Plankenau.
(Schluß.)


Nach einem lange anhaltenden schweren Nebel sahen wir endlich wieder einmal den Eisblink und bald befanden wir uns zwischen Eisfeldern, wie wir sie schon im Bering-Meer unter den Namen „Pack“ kennen gelernt hatten.

Dieses „Pack“ ist die einzige Eisformation, welche das Meer selbst zuläßt, es besteht aus den Trümmern der gefrorenen Oberfläche. Eisberge dagegen sind Landgebilde, abgestoßene Theile von Gletschern der Polarländer. Der dort fallende Schnee schmilzt während des kurzen Sommers nur theilweise, große Mengen bleiben zurück, verwandeln sich in Eis und bilden nun Gletschermäntel von oft großartiger Ausdehnung. Derselbe Vorgang, wenn auch in geringerem Maße, findet in wärmeren Gegenden auf Gebirgen statt, welche die Schneegrenze überragen, wie z. B. auf den Alpen.

Diese Eismassen müßten durch immer neue Auflagerungen zu großer Höhe anwachsen und durch ihre ungeheure Last den Schwerpunkt und mit ihm das ganze Wesen unseres Planeten verändern, wenn ihnen nicht eine eigene Bewegungsfähigkeit innewohnte. Sie fließen gewissermaßen, wenn auch nur sehr langsam, thalwärts. Jeder Gestaltung des Bodens bequemen sie sich an, zwängen sich durch enge Pässe und breiten sich aus in weiten Thälern; Felsenblöcke und Geröll schieben sie voraus oder führen es eingebettet mit sich. Erreichen sie das Meer, so senken sie sich in dasselbe hinab und bilden, die Fluthen zurückdrängend, neue Küstenlinien.

Da sie vielfach zerklüftet und von Spalten durchsetzt sind, brechen Theile davon durch ihre eigene Schwere nieder, aber die gewaltigsten Eismassen – oft viele tausend Fuß in jeder Richtung messend – werden wahrscheinlich durch die hebende Kraft des Wassers von den auf dem Grunde vorrückenden Gletschern abgetrennt. Unter weithin vernehmbarem Getöse steigen sie empor, finden nach langem Rollen und Schwanken ihr Gleichgewicht und werden als Eisberge von der Strömung hinweggeführt. Strahlend in herrlicher Pracht und unbewegt in Sturm und Wogenschwall erscheinen sie als hehre Fremdlinge in fernen wärmeren Zonen, wo sie im Meere vergehen.– So vollendet sich der Kreislauf des Wassers vom Land zum Meer in den Polargegenden durch die Gletscher und ungleich langsamer als in niedrigeren Breiten, wo er durch Bäche und Flüsse auf schnellere Weise vermittelt wird.

In den großen Eismassen, welche den Arktischen und Antarktischen Ocean bedecken, sind nun aber wirkliche Eisberge verhältnißmäßig selten und nicht häufiger als vielleicht Berge und Gebirge auf dem Lande. Leicht könnte man, gleich uns, einen Theil des Eismeeres befahren, ohne auch nur ein einziges jener krystallenen Wunder zu erblicken. Sie können nur dort entstehen, wo große Gebirgsländer von ungeheuren Gletschern bedeckt sind. Die bedeutendsten Eisberge haben daher wohl am Südpol ihren Ursprung. Eine andere Hauptgeburtsstätte für dieselben ist auch Grönland, vorzüglich seine Westküste; von dort treiben sie alljährlich mit dem Pack durch die Davisstraße nach Süden, bis sie auf den Golfstrom treffen. In dem warmen Wasser desselben schmelzen sie dann und lassen die mitgeführten Felsblöcke und Gerölle zu Boden sinken. Im Laufe von Jahrtausenden sind durch diese ununterbrochenen Zufuhren jene ausgedehnten Untiefen entstanden, welche man die Bänke von Neufundland nennt. Die zwischen nordamerikanischen und europäischen Häfen fahrenden Schiffe begegnen nicht selten im Spätsommer solchen Eismassen, und manches derselben ist schon dabei verunglückt.

Schwimmendes Eis ragt je nach seiner Gestalt zum ungefähr fünften bis achten Theil aus dem Wasser. Die für gewöhnlich befahrbaren Strecken des Meeres nördlich der Beringstraße sind nur an wenigen Stellen über zweihundert Fuß tief; hieraus folgt, daß wirkliche Eisberge – die doch bis zu mehreren Hundert Fuß hoch sich über die Oberfläche des Wassers erheben und einen entsprechenden bedeutenden Tiefgang haben – in jenen Gewässern nicht vorkommen können, selbst wenn in höheren noch unerforschten Breiten sich große Gletscher befinden sollten.

In den von uns besuchten Meerestheilen, sowohl diesseit als jenseit der Beringstraße, findet sich nur das Packeis, das weniger durch Einzelgröße als durch Ausdehnung der Massen imponirt. Selten findet man Stücke, welche durch ihre Beschaffenheit und durch ihnen anhaftende Steine und Erde sich als Abkömmlinge des Landes legitimiren; doch haben sie keine auffallende Größe. Einmal nur sah ich in der Nähe der Heraldinsel einen Eisblock, welcher zwar von geringem Umfange, aber doch an dreißig Fuß hoch war. Uebrigens ist das meergebildete ebenfalls „süßes Eis“, da das Seewasser beim Gefrieren seinen Salzgehalt ausscheidet.

Während der nächsten Zeit kreuzten wir nun meistens zwischen Eisfeldern. Das Wetter war ausgezeichnet schön, fast windstill, und die Leute arbeiteten in leichter Kleidung. Eines Tages aber setzte eine scharfe Brise von Nordosten ein und mit ihr wälzte sich eine dunkle Nebelwand heran, welche uns bald gänzlich umhüllte. Es war nicht möglich von einem Ende des Schiffes zum andern zu sehen, stieg man aber aufwärts, so wurde es lichter und lichter, von der Mastspitze aus hatte man das wallende Dunstmeer gänzlich unter sich und befand sich im vollen Sonnenschein.

[93]

Ein Diner im Eismeere.
Nach einer Skizze von M. E. Plankenau.

[94] Ein fremdes Boot suchte Zuflucht bei uns und wir nahmen, nach gutem Brauch, die Verirrten auf. Sie blieben nur kurze Zeit bei uns, da sie unter den bald nah bald fern tönenden Nebelhörnern zufällig das ihres Schiffes erkannten und sich froh von uns verabschiedeten. Nicht immer sind Boote so glücklich. Bisweilen müssen sie mehrere Tage auf einem fremden Fahrzeuge bleiben oder auch, ohne Zuflucht zu finden, lange umherirren. In einigen Fällen sind auch Boote und Mannschaften während eines Nebels auf immer verschwunden.

Die Gefahr, welche uns bedrohte, war für Walfänger eine keineswegs ungewöhnliche; es galt, sich auf den freien Wasserflächen zu halten und womöglich einen Ausgang zu gewinnen. Aber immer häufiger tönte das warnende „Eis voraus!“ der Wache und unsere geschicktesten Manöver halfen zu nichts; es war ersichtlich, daß die Felder sich schlossen. Hätten wir nur dann und wann einmal frei ausschauen können!

„Eis voraus!“ – „Eis zur Linken!“ Blitzschnell folgen sich die Befehle des Capitains; Menschen trampeln, Taue schießen, Segel flattern, und ächzend schwingen die Raaen herum. Doch wie durch Zauberei erscheint nun Eis vor und hinter uns, an allen Seiten. Kein Entrinnen ist möglich. Ein dröhnender Stoß erfolgt, Poltern und Knirschen – herumschwingend gleitet das Schiff nochmals weiter, läuft aber gleich darauf von Neuem fest. Wir waren gefangen.

Mit dem Nebel war wie gewöhnlich eine auffallende Kälte eingetreten; die Feuchtigkeit verdichtete sich am Thauwerk und tropfte wie Regen nieder, bald aber vereiste Alles an und über Deck, so daß Gehen und Steigen beschwerlich wurde. Zum Ueberfluß bildeten sich in der Höhe auch noch Eiszapfen, welche bei der geringsten Erschütterung klirrend herabfielen und einige Leute nicht unerheblich verwundeten. Am nächsten Tage trat Windstille ein, aber der Nebel blieb gleich dicht. Er leitete den Schall außerordentlich gut. Aus weiter Entfernung hörten wir Menschenstimmen wie von einer andern Welt herüberklingen und konnten sogar einzelne Worte und Gespräche verstehen; ohne Zweifel hatten wir Leidensgefährten.

Unsere Gefangenschaft wurde nachgerade langweilig und ungemüthlich; die Feuchtigkeit drang selbst in den geschlossenen Raum hinab, das Bettzeug wurde naß und dumpfig, ebenso Bücher und Papier. Trockene Kleider gab es schon lange nicht mehr. In unserer Nähe schienen zahlreiche Walrosse zu lagern, unausgesetzt hörten wir dröhnendes Gebrüll oder besser Gebell; alte Matrosen behaupteten, das verkünde gut Wetter. Wirklich begann es auch bald sich aufzuhellen, und zuweilen konnten wir schon ein Stück des blauen Himmels über uns erkennen.

Der schwere Dunst begann sich zu zertheilen; die Schwaden färbten sich silbern, zogen und wogten um uns, ballten sich zusammen und dehnten sich in lange Streifen. Immer mehr erweiterte sich unser Gesichtskreis, einzelne Durchblicke öffneten sich und als endlich der verhüllende Schleier sich erhob, schien eine neue Schöpfung aus dem Chaos herauszutreten. Eis ringsum, so weit das Auge schweifte, Block an Block geschoben, flimmernd und blitzend im grellen Sonnenschein und dazwischen einzelne dunkle stille Wasserflächen. Da lag auch ein Schiff im Eise, dahinter ein zweites und in der Ferne ein drittes; die andern waren entschlüpft. Walrosse lagerten in großer Anzahl um einzelne Wasserlöcher und scheue Wale hoben den Obertheil ihres riesigen Kopfes empor, um lang und mächtig zu athmen. Zwanzig Schritt vom Schiffe schob sich ein harmloser Seehund auf das Eis und blieb, da wir ihn unbehelligt ließen, trotz des Lärmes an Bord gemüthlich liegen, sich wohlig von Seite zu Seite und auf den Rücken rollend, damit ja jede Stelle des glänzenden Felles von der lieben Sonne beschienen würde.

Da wir Zeit genug hatten, unternahmen wir weite Wanderungen über die Felder und statteten unseren Leidensgefährten Besuche ab, obgleich der Weg nichts weniger als eben war. Die dicke Schneedecke verbarg manche verrätherische Spalte, welche erst untersucht und dann übersprungen werden mußte. Ueberraschende Luftspiegelungen unterhielten uns fortwährend durch ihre Gauklerkünste. Das Eis dehnte und reckte sich in der Ferne gleich Gebirgen empor, oder erschien in umgekehrter Lage verdoppelt. Menschen vergrößerten sich in einiger Entfernung zu riesenhaften Gestalten, oder schrumpften zu winzigen Männlein zusammen. Das geheimnißvolle Treiben des Lichtes war zuweilen sinnverwirrend und oft wußte man Schein und Wirklichkeit nicht zu unterscheiden.

Wo Seehunde und Walrosse lagern, da ist der Eisbär unvermeidlich. Uns machte es stets viel Vergnügen, die Bewegungen dieser Räuber zu verfolgen, wie sie hier und da zwischen den Unebenheiten auftauchten, bald ein Wasserloch durchschwammen, bald von einer Erhöhung Umschau hielten, immer berechnend, wie ein unvorsichtiger Seehund am besten zu beschleichen sei. Sie wußten auch ganz genau, was Schiffe und Menschen zu bedeuten hatten; unsere besten Jagdkünste waren ihnen gegenüber noch viel zu plump.

Der Polarbär wird seiner riesigen Kraft und Größe, seiner Vielseitigkeit wegen der König des Eismeeres genannt. Außerordentliche Schärfe der Sinne und raffinirte Schlauheit besitzt er in hohem Grade, sonst aber hat er eine echte Bärennatur und wie die meisten reißenden Thiere verliert er, in der Nähe besehen, viel von seiner Schrecklichkeit. Auch ihm ist es ergangen wie seinem Vetter, dem grauen Bären Amerika’s: Erzählungen von einzelnen grausigen Abenteuern haben die ganze Sippschaft in Verruf gebracht. Er hat einen schönen Pelz und wehrt sich seiner Haut, wenn es sein muß, doch flieht er den Menschen und selbst gereizt oder verwundet greift er selten an. Thut er es aber, dann ist er freilich ein achtungswerther Gegner, dem gegenüber nur Geistesgegenwart und ein zuverlässiges Gewehr die Gefahr zu einer geringen machen. Die Jagd im Wasser ist ein bloßes Abschlachten.

Man findet die Polarbären in der Nähe der Küste, oft auch Tagereisen weit davon im offenen Meere, meistens aber auf dem Eise. Unermüdlich durchstreifen sie ihr weites Reich, alles fressend, was sie erlangen und bezwingen können. Gesättigt treiben sie gern Allotria und ganz ihrer Herrscherwürde vergessend jagen und balgen sie sich auf dem Eise im lustigen Durcheinander. Auf solchen Spielplätzen ist der Schnee zertrampelt und zerwühlt, geneigte Ebenen scheinen als Rutschbahnen benutzt worden zu sein und die breiten Fährten sowohl, als auch Flocken vom Pelz verrathen, wer daselbst gehaust. –

Obgleich vollständige Windstille herrschte, begann doch das uns gefangen haltende Eis sich allmählich auseinander zu schieben und wir unternahmen herrliche Bootfahrten durch die schmalen spiegelglatten Canäle.

Leise gleiten wir entlang. Das Wasser ist voller Leben; Milliarden winziger Flohkrebse und anderer Thierchen tummeln sich umher, prächtige Quallen in allen Farben und Formen leuchten aus der Tiefe gleich wunderbaren Blumen der See. Eingebettet in der dunklen Fluth ruht das Eis und es klingt und knistert leise in der Sonnenwärme; nur das Gebrüll einiger Walrosse und das mächtige „Blurr–r“ „Huf–f“ auftauchender Wale unterbricht die sonntägliche Stille.

Um eine Eisklippe wendend erschrecken wir einen zufriedenen nordischen Einsiedler, einen Seehund, welcher in wilder Hast von seinem kalten Sitz hinab in das Wasser plumpt. Sofort aber steckt er dicht neben uns wieder den Kopf heraus und senkrecht auf und nieder schaukelnd mustert er uns mit großen klugen Augen. Sein komisch grimmiges Gesicht mit martialischem Schnurrbart geziert, seine Harmlosigkeit, sein drolliges Benehmen machen ihn zur lustigen Person des Eismeeres. Eine drohende Bewegung mit dem Arm und dem Kopf und er duckt sich vorsichtig, um sofort wieder an einer andern Stelle aufzutauchen. Ueberhaupt scheinen die Seehunde außerordentlich neugierig zu sein; ein kurzer Pfiff, ein Klopfen am Bootsrande verfehlt selten, mehrere von ihnen an die Oberfläche zu bringen, und dann begucken sie schnaufend, pustend und mit unerschütterlichem Ernste die Urheber des ungewöhnlichen Geräusches.

Die Walrosse sind viel scheuer. Mit Ausnahme der sehr alten und wahrscheinlich griesgrämigen Bullen, welche sich gern abgesondert halten, lagern sie meistens in größerer Anzahl auf dem Eise und verschwinden beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort im Wasser. So unbehülflich sie auf dem Trockenen sind, so gewandt zeigen sie sich im Wasser und sollen da gefährliche Gegner sein. Wir hatten keine Gelegenheit sie von dieser Seite kennen zu lernen, da wir sie nur selten jagten und noch seltener erlegten. Wegen ihrer dicken zähen Haut blieben die Büchsenkugeln meistens wirkungslos und wirkten nur sofort tödtlich, wenn sie am Hinterkopfe in das Gehirn eindrangen. Wenn auch noch so schwer [95] verwundet, rollen sich Walroß sowohl als Seehund stets in das nahe Wasser und gehen, todt oder lebendig, verloren. –

Endlich erlaubten uns Wind und Eis die Fahrt fortzusetzen, und wir fingen in kurzer Zeit verschiedene Wale, deren Ertrag unsere gezwungene Unthätigkeit reichlich vergütete. Die Thiere zogen vorwiegend nordwärts und ihnen folgend treffen wir unter fast 72 Grad nördlicher Breite auf das stehende Eis. Seiner Beschaffenheit nach unterschied es sich in nichts von dem überall treibenden Pack, nur war es nirgends „segelbar“, das heißt für Schiffe unzugänglich. Immer neue Wale sahen wir unter dieser sich endlos dehnenden gefrorenen Einöde verschwinden. Wohin gingen sie? Wann kehrten sie zurück?

War ihre Wanderung nicht ein Beweis, daß im höchsten Norden sich ein offenes Meer befinden muß, in welchem sie den Winter verleben? Wo anders als dort können sie ihre Jungen ungestört aufziehen? Denn es ist eine Thatsache, daß noch kein Walfänger ein Kalb des nordischen Bartenwales weder diesseit noch jenseit der Bering-Straße gesehen hat; ihre Kinderstube muß sich also in der Nähe des Poles befinden. Wie vor zweiundzwanzig Jahren der amerikanische Walfänger Capitän Roys muthig durch die Bering-Straße vordrang und den reichsten Fischgrund der Neuzeit entdeckte, so wird es endlich auch gelingen, den Zugang nach den höchsten Breiten zu finden, und dann werden sich den „Speckjägern“ neue unermeßliche Reichthümer erschließen. –

Südwärts kreuzend sahen wir auf einem Eisfelde eine ungewöhnlich zahlreiche Bärenversammlung, die doch sicherlich ihre ganz besondere Ursache haben mußte. Sie blieb uns auch nicht lange verborgen. Am Rande des Feldes lag der aufgedunsene Leichnam eines Wales und die Bären hatten sich zu einem Schmauße eingefunden. Es war ein köstliches Bild, diese weißgekleideten Festtheilnehmer, deren einige sich bei der immerhin schwierigen Zerlegung des Fleischberges in graulicher Weise besudelt hatten, ihr Strandrecht ausüben zu sehen. Ueber unsere Ankunft waren sie sehr ungehalten und schienen nicht übel Lust zu haben, den herannahenden Booten die Beute streitig zu machen. Als aber der stattlichste Bursche, der wenigstens seine tausend Pfund wog, mit zerschossenem Genick zusammenbrach und ein zweiter schlimm verwundet war, nahmen sie merkwürdig schnell Reißaus. Wie eine Meute grollender Hunde umkreisten sie uns dann in sicherer Entfernung, und unter allerhand ungeschlachten Demonstrationen warteten sie auf unsern Abzug. Für uns war der Wal leider werthlos und wir zogen uns discret zurück, um das „Diner im Eismeer“ nicht weiter zu stören.

Im September begann das Wetter, sich zu verschlechtern; eiskalter dichter Nebel stellte sich häufiger denn je ein und schwere Schneestürme verkündeten den kommenden Winter. Oft waren Tauwerk und Segel so mit Eis bedeckt, daß wir es mit Knitteln losschlagen mußten, und das Schneeschaufeln war eine wirkliche Sisyphus-Arbeit. Die Wale waren selten geworden und die meisten Schiffe hatten den Fischgrund schon verlassen; nur wenige Capitäne, auch der unsrige, trotzten jedem Wetter, um einen letzten Fang zu machen. Wir erlegten auch glücklich unsern zwölften Wal und bereiteten uns jubelnd zur Heimreise vor. Beinahe aber wären wir nie zurückgekehrt. Ein entsetzlicher Sturm faßte uns unweit vom Cap Lisburne und brachte unser Schiff, das langsam der Küste zutrieb, dem Untergang nahe. Auch der Muthigste wagte nicht mehr zu hoffen, als im Augenblick der höchsten Noth der Sturm nachließ, seine Richtung veränderte und erstarb.

Bald darauf arbeiteten wir uns mühsam und vorsichtig, die Lothleine in der Hand, in Nebel und Schneegestöber durch die Bering-Straße, wo kein Leuchtfeuer den Seemann vor Gefahren warnt. Verschiedene Schiffe in Noth erhielten von uns erbetenen Beistand, sie hatten durch den Sturm viel mehr gelitten, als wir – ein Fahrzeug war sogar mit reicher Ladung zu Grunde gegangen –, und mußten von uns mit Segeln und Hölzern versehen werden. Glücklich passirten wir die Alëuten, und Schnee und Kälte hinter uns lassend, liefen wir am letzten October durch das „goldene Thor“ von Californien und ankerten im Hafen von San Francisco.




Die Wacht an der See.


Als der große Krieg zum Ausbruch kam, der nun hoffentlich bald seinem Ende zugeführt ist, war nur Ein Vertrauen, nur Eine Zuversicht auf die Tapferkeit der deutschen Armee, und darüber, wie herrlich diese ihr Wort eingelöst hat, fest und treu die Wacht am Rhein zu halten, ist heute kein Wort mehr zu verlieren. Eine Sorge aber bekümmerte damals doch gar viele deutsche Herzen, die Sorge um die junge Flotte und die Furcht vor einem Landungsversuche der Franzosen in Hannover oder Schleswig-Holstein oder Pommern, nachdem der Feind doch bestrebt sein mußte, sich die Entblößung dieser Strecken von Truppen und so manches Andere zu Nutzen zu machen.

Zwar war mit der Leitung der militärischen Angelegenheiten in den Küstenlanden vom Bundesfeldherrn der General Vogel von Falkenstein betraut worden, ein Mann, von dem erwartet werden konnte, daß er mit scharfem Blick und rascher Hand einen Landungsversuch des Feindes auch mit wenigen Truppen abschlagen würde. Aber unmöglich konnte man an allen Orten, an denen eine Landung sich ermöglichen ließ, große Truppenkörper anhäufen; deshalb mußte es als ein glücklicher Gedanke des Generals gepriesen werden, als er am 23. Juli 1870 in einem Erlaß zur Bildung einer freiwilligen Küstenbewachung aufforderte. Das Schreiben des Generals wurde in allen Hafenstädten mit Freuden begrüßt und aus allen deutschen Küstenlanden an der Nord- und Ostsee meldete sich eine große Schaar brauchbarer Männer, die freiwillig dem Rufe des Gouverneurs folgten und sich „für die Dauer des Krieges“ für die Bewachung unserer Küsten zur Disposition stellten. In Hamburg war der Hauptmann a. D. Wagemann mit der Aufnahme von geeigneten Persönlichkeiten betraut und hatte die Freude, dem stellvertretenden General des neunten Armeecorps bald ein stattliches Häuflein Küstenwächter zustellen zu können. Da stellte sich denn der Mann, der seinen bedeutenden ländlichen Besitz freiwillig verlassen hatte, neben den Steuermann, dessen treues Fahrzeug träge im Hafen lag; da verließ der Kaufmann sein Geschäft, das seiner Leitung doch durchaus bedurfte, und diente neben dem Führer der Fischersmack der deutschen Nordseefischereigesellschaft. Die Standesunterschiede schwanden vor dem Bewußtsein, daß die Noth des Vaterlandes Männer brauche. Auch ich eilte, meine Dienste anzubieten, da meine Verhältnisse mir vollständig gestatteten, ohne Empfang von Sold zu leben, denn Löhnung und Equipirung ward den Mannschaften, die ja freiwillig dienten, nicht gewährt, und ich wurde nach Auseinandersetzung meiner Lage sofort unter die Zahl der Wächter der deutschen Küste aufgenommen.

Die Uniform, welche der Küstenwächter sich anzuschaffen hatte, war ebenso praktisch als kleidsam. Der Waffenrock von blauer Farbe, mit rothem Kragen, nach österreichischem Schnitt, gab dem kleinen Heere, das in kleinen Abtheilungen von sechs bis zehn Mann ausgesandt wurde, ein keck militärisches Aussehen. Die grauen Beinkleider waren in hohen, fast bis zum Knie reichenden Stiefeln verborgen, und der Kopf wurde durch eine blaue Mütze mit sehr großem Schirm geschützt. Um aber bei dem Aufenthalte an der Küste allen Einflüssen der Witterung Trotz bieten zu können, war jeder Küstenwächter mit einem tüchtigen Gummimantel versehen, und damit der Wächter auch nöthigenfalls ein Vertheidiger werden konnte, führte Jeder eine Zündnadelbüchse neuester Construction. Die Patronen für die Waffen wurden in einer Tasche aufbewahrt, welche die Mannschaften an einem sehr breiten, um den Leib geschnallten Lederriemen trugen.

Ich begrüßte den Tag der Abreise an unsern Stationsort mit vollster Freude. Unser kleiner Trupp von acht Personen kam zum großen Staunen der Einwohner unerwartet in seinem Bestimmungsorte P. an, einem schleswig-holsteinschen Dorfe, das unfern der See gelegen ist, und der kühle Empfang, der uns zu Theil wurde, ließ uns nicht ahnen, mit welcher Leichtigkeit wir uns unter den Dörflern einleben und mit welcher Herzlichkeit sie uns bei unserem endlichen Abmarsche ein Abschiedswort zurufen würden. Unmittelbar nach unserem Einrücken begaben sich zwei Männer aus unserer Mitte an die Küste, um nach französischen [96] Fahrzeugen auszuspähen und die Kunde von einem etwa nahenden Feinde sofort weiter zu verbreiten.

Unser Dienst war in der That ein anstrengender. Wir hatten Jeder vier Stunden hintereinander an einem fest bestimmten Punkte der Küste die Wache und mußten durch ein großes Seemannsfernrohr auf das Meer hinausblicken, um jedes nahende Fahrzeug in seinen Bewegungen zu beobachten, jede anscheinende Gefahr aber durch die neben dem Posten befindliche Signalstange weiter melden. Jede Wahrnehmung, welcher Art sie auch sein mochte, mußte von dem Posten in ein Protokoll eingetragen werden, das der jedesmaligen Ablösung ausgehändigt wurde. Außerdem war die ganze Küste vom fernen Norden bis ungefähr acht Meilen nach der Elbe hinein in Patrouillendistricte abgetheilt, und das unserer Station zukommende Revier mußten wir zu Zwei und Zwei abpatrouilliren, um etwa Verdächtiges, das der Posten nicht hatte wahrnehmen können, aufzuspüren. Da marschirten wir denn trotz Sonnenhitze und Regenschauer ruhig an dem einsamen, einförmigen Strande stundenlang hin und her, die kurze Pfeife als unzertrennliche Begleiterin zwischen den Lippen.


Küstenwache.


Die Seemöve sandte in ihren immer gleichen schrillen Tönen uns die Botschaft, daß noch eine lebende Seele außer uns das Auge spähend über die Fluthen schweifen lasse, und schien sich zu verwundern über die Wanderer, deren Gleichen sie vorher hier noch niemals gesehen.

Ein Mitglied der freiwilligen Küstenwacht führte das Commando über die kleine Schaar auf jeder Station. In der Uniform trug der Commandirende keinerlei Abzeichen vor uns, hatte aber für viele Mühwaltung und große Verantwortlichkeit die Auszeichnung, beritten zu sein. Auf den meisten Stationen hätte es einer Inspection gar nicht bedurft, denn das treueste Pflichtgefühl belebte Alle, die sich die Aufgabe gestellt hatten, auf diese Art dem Vaterlande zu dienen; nur bedurften wir der Anleitung, um unsern Eifer in gehöriger Weise nutzbar zu machen. Der Dienst in der Schlacht, wenn man dem Feinde Auge in Auge gegenübersteht, hat des Aufregenden und Aufreibenden gewiß unendlich viel, aber auch wir, die wir zwar zur Abwehr eines Feindes von unseren Waffen nie Gebrauch machten, dürfen ohne Ueberhebung von uns sagen, gleichfalls mit Angst und Sorge, mit Nachtwachen und Anstrengungen dem Vaterlande gedient zu haben. Da bescheint die grelle Sommersonne die bewegten Wogen und ihre Strahlen fallen von dem unruhigen Elemente blendend in das Auge des einsamen Mannes am Strande, oder der kalte Nebel der Nacht thürmt sich in Gestalten, die dem spähenden aufgeregten Wächter als ein nahendes Segel erscheinen, und immer eifriger gebraucht er sein Fernrohr, um den schattenhaft gleitenden Fremdling besser erkennen zu können. Oft ist’s dem Wächter am Meeresgestade, als sollte er an seiner Signalstange das Tau ergreifen und den schwarzen Korb, der an demselben befestigt ist, eiligst in die Höhe ziehen und so der nächsten Station das Zeichen geben, daß Gefahr von feindlichen Schiffen zu besorgen sei. Oder seine Hand hat in der Nacht den Pechkranz schon auf die Pfanne gelegt, die, auf einem Block erhöht, sich neben seinem Standort befindet. Schon will er, in der Meinung, daß ein feindliches Fahrzeug landen will, den Pechkranz entzünden, da wird ihm wieder die Verantwortlichkeit seiner Stellung klar, er weiß, daß sein Signal von der Station nordwärts und südwärts gesehen werden muß, daß auch dort im nächsten Augenblicke von den sorgsamen Freunden, die mit ihm wachen, das Flammenzeichen sich entzünden wird, ja daß in wenigen Minuten der Alarm allen Stationen der ganzen, viele Meile langen Küste sich mittheilen und Aufregung und ernstliche Maßregeln veranlassen muß. Er wartet noch einen Augenblick und – die Gefahr ist vorüber, das Schiff wendet, es ist kein Kriegsfahrzeug gewesen, sondern das Boot einer neutralen Nation, das friedliche Zwecke verfolgt.

So hing augenscheinlich unendlich viel von der Besonnenheit der Küstenwächter ab. Konnte doch durch einen einzigen Zug an dem Tau der Signalstange den mehrere Meilen entfernten Mannschaften der Seewehr das Zeichen zum Sperren des Fahrwassers gegeben werden; lagen doch an bestimmten Punkten der Küste zahlreiche Torpedos bereit, die beim Zeichen von dem Nahen des Feindes in den Flüssen in die gehörige Lage gebracht werden sollten; hatte man doch Hunderte von Schiffen theils gekauft, theils gemiethet, die durch ein einziges Bohrloch schleunigst in die Tiefe sinken sollten, um durch Versperrung des Fahrwassers dem Feinde jede Annäherung an die Hafenstadt abzuschneiden. Und alle diese großartigen Vorkehrungen konnten vielleicht zur Ausführung gebracht werden, wenn nur ein Küstenwächter in leichtsinniger Weise voreilig sein Signal gab. Ich kann sagen, daß ich jedes Mal zufrieden war, wenn ich bei abgelaufener Wachtzeit in das Journal die Bemerkung eintragen konnte, daß sich nichts Ungewöhnliches ereignet habe.

Die Vorschriften für Handhabung des optischen Telegraphen, dessen wir uns zu gleicher Zeit zu bedienen hatten, waren höchst praktisch und einfach. Durch Aufziehen des Korbes, der mit demjenigen große Aehnlichkeit hatte, der an der Signalstange der Wärterhäuser an den Eisenbahnen angebracht ist, konnten wir dem nächsten Wächter unsere Wahrnehmungen mittheilen. Am Top der Stange bedeutete nämlich das Signal: feindliches Fahrzeug in Sicht; das Signal in halber Höhe zeigte an: der Feind hat ein Boot ausgesetzt, eine Landung versucht oder bewerkstelligt. In der Nacht wurde durch einen Pechkranz das Signal weiter gegeben, bei dunklem Wetter sollten Theertonnen angebrannt oder Strohfeuer an den Küsten und auf den Deichen angezündet werden.

Daß es in den ersten Tagen an wunderlichen Irrthümern und Fragen nicht fehlte, versteht sich von selbst. Der Schiffer hat ein geübtes Auge für Alles, was mit der Seefahrt in Verbindung steht, und erkennt schon an dem Bau des Fahrzeuges und an der Art, in der die Segel gerichtet sind, das Land, dem es angehört; ich dagegen und mehrere meiner Genossen mußten erst nach und nach die Kunst erlernen, die Flaggen schon in weiter Ferne zu unterscheiden. Wie oft glaubte ich die französische Tricolore auf einem nahenden Schiffe zu erblicken, und die Flagge, die ich sah, war bei näherer Untersuchung meist der Union Jack, ein Zeichen, daß das Fahrzeug bei John Bull zu Hause gehörte, oder sie trug sogar die herzlich begrüßten Farben des norddeutschen Bundes.

Natürlich richteten wir uns auf unserer Station so gemüthlich wie möglich ein. Eine Hütte, die wir am Strande in der Nähe unseres Wachtortes vorfanden, wurde mit Buschwerk und Faschinen an allen den Stellen ausgestopft, die dem Winde freie Passage gestatteten, und das gemüthliche Leben der Wachtstube und des Lagers, von dem der Bürger in der Rückerinnerung an die Zeit seines Soldatenlebens begeistert träumt, hielt auch bei uns seinen Einzug. Empfingen wir doch in unserm „Blockhause“, wie unser Bretterhäuschen genannt wurde, selbst die Besuche der Honoratioren von P., und so kam es denn wohl, daß wir vom Strande und von dem liebgewonnenen Meere mit schweren Herzen schieden, als uns Ende September, nachdem die französische Flotte aus den deutschen Gewässern verschwunden war, der Befehl zu Theil wurde, unsere Station bis auf Weiteres zu verlassen. Wir konnten dies mit dem vollen Bewußtsein thun, unsere Pflicht gethan zu haben: neben den Vorkehrungen, die zum unmittelbaren Schutze des Fahrwassers getroffen worden, war es vor Allem die Wachsamkeit an den Küsten gewesen, die dem Feinde eine Landung unmöglich gemacht hatte. Wohl war hier und da an den Mündungen der Flüsse auch eine Schanze errichtet worden, auf der schweres Belagerungsgeschütz den Feind erwartete, aber dessen Bronze ist in diesen Monaten niemals durch Pulverdampf geschwärzt worden und an den deutschen Küsten ist während des Krieges niemals ein Feind vor das Rohr einer Kanone gekommen.
K. H.
[97]
„Zeitungsschreiber“ in Friedens- und Kriegszeiten.

Die Zeiten, in denen es selbst in gebildeten Kreisen gewöhnlich war, von den „Zeitungsschreibern“ gering zu denken und von ihrem angeblichen Lügenhandwerk verächtlich zu reden, sind erfreulicher Weise auch in Deutschland längst vorüber. Wenn es noch hie und da einmal ein eingebildeter Starkgeist versucht, das Capitel der Tatarennachrichten, Seeschlangen und Zeitungsenten zur Verhöhnung der Journalistik zu benutzen, so belehrt ihn der spärliche Widerhall solcher Witzeleien in besserer Gesellschaft sofort, daß man sich heute der hohen und wichtigen Stellung wohl bewußt ist, welche die Tagespresse in der modernen Culturwelt einnimmt, und daß es widersinnig und unerlaubt ist, Geringschätzung eines Factors der Civilisation zur Schau zu tragen, dem Alle einen mehr oder minder beträchtlichen Theil ihres geistigen Besitzes verdanken.

Der Maire. Haferrequisitation in Auflance bei Montmedy. Der Dorfschulmeister.
Nach der Natur aufgenommen von H. Knackfuß.

Bei alledem ist die deutsche Journalistik noch weit davon entfernt, im großen Publicum diejenige Anerkennung und Achtung zu genießen, deren sie in ihren eigentlichen Repräsentanten in hohem Grade würdig ist, und selbst von hochgestellten Persönlichkeiten, denen man eine richtigere Würdigung der Presse sollte zutrauen dürfen, sind in jüngster Zeit ebenso engherzige wie unrühmliche Maßregeln gegen einzelne Zeitungen und Journalisten ergriffen worden. Doppelt unerfreulich sind solche Erscheinungen im Verlaufe eines Krieges, dessen weitgreifende Rückwirkungen auf das Volk gerade von der Presse – mit sehr wenigen Ausnahmen – in jener würdigen und heilsamen Richtung erhalten worden sind, die für die Ehre und Zukunft unseres Vaterlandes so verheißungsreiche Bürgschaften bietet.

Es würde hier zu weit führen, die Höhe und Vielseitigkeit jener Anforderungen, welche man heutzutage an eine große Zeitung stellt, in ihrem ganzen Umfange darzulegen; doch mag das Eine hier betont werden, daß der Leser, wenn er beim Morgenkaffee seine Zeitung zur Hand nimmt und durch bequeme Lectüre des hübsch gedruckten Blattes sein Verlangen nach neuen Thatsachen und Anregungen mit Behagen stillt, wohl nur selten daran denkt, welches Quantum mühsamer Arbeit in solch’ einem leicht übersichtlichen Bilde der Tagesgeschichte niedergelegt ist. Vielleicht ist es Manchen nicht unerwünscht, von dieser Thätigkeit eine etwas nähere Vorstellung zu gewinnen; versuchen wir’s, dieselbe in kurzen Worten zu skizziren.

Ein großes politisches Journal – und wir wollen zunächst nur von einem solchen sprechen, weil sich ja von ihm auch die genügenden Schlüsse auf kleinere Blätter ziehen lassen – macht vor Allem in seiner einheitlichen Leitung ganz bedeutende Ansprüche. Wenn auch ein Chefredacteur bei der enormen Masse von Manuscripten, Zeitungen und anderen Drucksachen, die er zu lesen und zu studiren hat, nicht im Stande ist, allen einzelnen Fragen auf dem mannigfaltigen und ausgedehnten Gebiete der Tagesinteressen mit solcher Genauigkeit zu folgen, daß er über jede derselben ausführlich und eingehend zu schreiben und dadurch bei seinem Leserkreise auf die Auffassung und Behandlung der Sache bestimmend einzuwirken vermöchte, so ist es doch durchaus nöthig, daß er, als der geistige Leiter eines zur Mitarbeit an den öffentlichen Angelegenheiten berufenen und befähigten Organs der Tagespresse, über das Wesentliche aller allgemeinen politischen und socialen Fragen richtig orientirt und mit der Stellung seines Vaterlandes und Volkes zu denselben genügend vertraut ist. Hierzu ist aber eine vielseitige Beschäftigung mit der wissenschaftlichen und der Tagesliteratur, eine ausgebreitete Bekanntschaft mit den praktischen Bestrebungen der Gegenwart und mit deren bedeutendsten Vertretern, sowie eigene Bethätigung im öffentlichen Leben unumgängliches Erforderniß. Es ist eine reine Unmöglichkeit, mit der Erfüllung aller dieser Anforderungen die tägliche Verabfassung eines auf der Höhe der publicistischen Situation stehenden Leitartikels zu vereinigen, und der Chefredacteur muß für diese Arbeit auf unterstützende Kräfte, namentlich bei mehr technischen und specifisch-wissenschaftlichen – juristischen, finanziellen, militärischen – Fragen zählen können. Dennoch wird Niemand verkennen, wie sehr auch eine publicistische Capacität durch die richtige, tactvolle und gediegene Direction eines Journals schon in der Sorge für den Leitartikel in Anspruch genommen wird.

Der nachrichtliche Theil eines großen Journals setzt sich aus [98] einer großen Menge originalen und fremden Materials und darum nur durch eine ebenso umfassende wie eingehende Sichtung zusammen. Natürlich ist Niemand im Stande, die ganze Masse der Zeitungen und Correspondenzen, welche den täglichen Einlauf eines großen Blattes bilden, für sich allein zu bewältigen, und es sind deshalb Hülfsarbeiter nöthig, welche die einzelnen Departements bearbeiten; indessen muß doch schon der nöthigen Controle und Vermeidung von Wiederholungen und Widersprüchen wegen der eigentliche leitende Redacteur die ordnende Hand für das ganze Sammelsurium bieten, und diese Thätigkeit erfordert abermals, selbst bei einer energischen und wohlgeschulten Arbeitskraft, eine ganz außerordentliche Anstrengung. Die fünfzehn bis zwanzig deutschen Zeitungen ersten Ranges und die zwanzig bis dreißig des zweiten, welche alltäglich ihrem originalen Inhalte nach revidirt werden müssen, bilden zusammen ein Material von der Fülle und Ausdehnung mehrerer gedruckten Bände, und wenn wir dazu noch die speciellen und autographirten Correspondenzen in Anrechnung bringen, die ein Blatt von Bedeutung aus allen wichtigeren Hauptstädten zu erhalten pflegt und deren Inhalt aus innern und äußern Gründen mit doppelter Sorgfalt geprüft werden muß, so kann man sich die Massenhaftigkeit des Stoffes vorstellen, der dem Auge und dem Gehirn eines Redacteurs auf diese Weise zufluthet.

Auch die Arbeit des Rothstiftes und der Scheere, wie sie durch die Mitredacteure eines großen Blattes hauptsächlich zu leisten ist, erscheint aus der Ferne viel leichter, als sie in Wirklichkeit ist, und manches Journal ersten Ranges verdankt seinen ungenannten, in veilchenhafter Verborgenheit thätigen Mit- und Unterredacteuren einen sehr ansehnlichen Theil seiner Achtung und Beliebtheit im Lesepublicum. Aus der ungeheuren Menge von Details, welche in fünfzig bis hundert und mehr Zeitungsnummern täglich zur Auswahl dargeboten werden, das objectiv Werthvollste, formell Bestgefaßte und für den speciellen Leserkreis des eigenen Journals in sachlicher und persönlicher Hinsicht Geeignetste auszuwählen und in derjenigen Ausdehnung und Einkleidung, wie sie dem Zweck des Gegenstandes und der Tendenz und Einrichtung des Journals am besten entspricht, an rechter Stelle zu reproduciren, – diese Thätigkeit verlangt vielseitige Kenntnisse, raschen und gewandten Ueberblick und ein sicheres Tactgefühl, wie sie durchaus nicht jedem beliebigen, selbst dem wissenschaftlich gebildeten Manne nicht überall, zu Gebote stehen. Soll die Arbeit des Hülfsredacteurs dem Journale nicht tausend Anstände und Verlegenheiten bereiten, soll sie dem einheitlichen Geist und Wirken des Blattes in keiner Weise hemmend und verzögernd entgegentreten, soll aus der Kräfte schön vereintem Streben das wahre Leben der Zeitung sich frisch und harmonisch erheben können, so müssen jene Hülfskräfte in ähnlicher Richtung und Tüchtigkeit beanlagt und geschult sein wie die des leitenden Redacteurs. Bei dem Ineinandergreifen der verschiedenen Departements ist ein solcher Gemeingeist die unentbehrliche Bedingung eines einträchtigen und energischen Zusammenwirkens.

Bei unsern großen deutschen Blättern erhebt sich die Zahl der Mit- und Unterredacteure meistens nur auf fünf bis sechs; man kann sich also denken, daß Jeder derselben ein gehöriges Päckchen Arbeit zu tragen hat. Auch wenn sich der Chefredacteur noch ein Specialdepartement reservirt hat – meist wird es die hauptstädtische (Berliner) Correspondenz sein – verbleiben noch für fünf Mann recht ausgedehnte Territorien bei dieser „Theilung der Erde“. Beispielsweise übernimmt der Erste Deutschland, der Zweite Frankreich und England, der Dritte das übrige Ausland, der Vierte die localen und provinzialen Angelegenheiten, der Fünfte das Feuilleton, Kunst und Wissenschaft. In jedem dieser Departements ist ein reicher Stoff gegeben, dessen Verwendung und Bearbeitung für ein Journal ein vollgemessenes Tagewerk ehrlich auszufüllen vermag. Die von den Redacteuren für die einzelnen Rubriken druckfertig gemachten und gehörig bezeichneten Manuscripte gehen an den ersten Metteur en pages in die Schriftsetzerei. Dieser vertheilt die Manuscripte in möglichst gleichmäßigen Portionen und in bestimmter, der Folge des Zeitungsstoffes, so gut es geht, angepaßter Ordnung an die Schriftsetzer. Der fertige Satz wird dem Metteur en pages wieder abgeliefert, von demselben sofort ein Bürstenabzug gemacht und dieser den Correctoren zur Emendation abgegeben. Nach dem corrigirten Abzuge wird vom Setzer der Schriftsatz verbessert und das Verbesserte dann vom Metteur en pages zu ganzen Spalten zusammengestellt, von denen auf der Handpresse ein Abklatsch angefertigt und der Redaction zur Revision und definitiven Anordnung vorgelegt wird. Nach dieser zweiten Correctur setzt der Metteur en pages die ganzen Columnen der Zeitung zusammen, die nun in die Druckerei wandern, um nach wenigen Minuten hundert- und tausendfach vervielfältigt ihren Weg in die weite Welt anzutreten.

In Kriegszeiten steigert sich nicht nur die redactionelle, sondern auch die technische und ökonomische Aufgabe der Zeitungen in sehr beträchtlicher Weise, und die schon in ruhigen Zeiten selten an Stoffmangel leidenden Redactionen müssen alle Kräfte anstrengen, um die überreiche Fülle interessanter Neuigkeiten zu bewältigen.

Jedes große Journal sendet im Kriege seine eigenen Berichterstatter aus, die entweder in den Hauptquartieren der einzelnen Armeen accreditirt, oder als „Wilde“, auf eigenes Risico, den Truppen folgen. Um hier gleich die Leistungen der Berichterstatter im gegenwärtigen Kriege zu charakterisiren, so muß zugegeben werden, daß die Referate dieser Männer ihrem Werthe nach allerdings verschieden waren; indessen haben einige deutsche Correspondenten, wiewohl man ihnen die ihren Berufsgenossen zugewandten Bevorzugungen nicht einzuräumen beliebte, anerkannter Maßen Vorzügliches geleistet, und nicht minder haben sich einige militärische Schriftsteller hervorgethan, welche dem großen Publicum das Verständniß der Kriegsoperationen vermittelten. – Zugleich öffnen im Falle eines Krieges die officiellen Blätter die Schleußen ihrer sonstigen Schweigsamkeit und schütten ein unerschöpfliches Füllhorn militärisch-politisch-feuilletonistischer Weisheit auf ihren vervielfachten Spalten aus. Noch reichlicheren Zufluß an Kriegsnachrichten führt das eigene Lesepublicum der Zeitung herbei: häufiger als sonst jemals werden Officiere des heimathlichen Armeecorps auf dem Feldzuge von schriftstellerischen Anwandlungen erfaßt, denen sie sich bald mit Eifer ergeben, und aus den Reihen der Daheimgebliebenen bringt so mancher sonst bis an den Hals zugeknöpfte Philister von Vater „zur gefälligen Benutzung für die geehrte Redaktion“ einen Feldpostbrief nach dem andern herbei, den der liebe Sohn vom Regimente nach Hause zu richten Muße fand. So freundlichem Zuspruch gegenüber nehmen die großen Zeitungen natürlich keinen Anstand, dem Publicum und der vaterländischen Sache zu Ehren ihren redactionellen Theil beträchtlich zu erweitern; die Verleger bringen da oft recht bedeutende Opfer, wie sie überhaupt die Kriegsquartale keineswegs zu den geschäftlich günstigen zu zählen haben. Auch wenn die Abonnements um Tausende steigen, wie es gegenwärtig bei allen großen Blättern der Fall ist, bietet dies bei Weitem kein Aequivalent für die vermehrten redactionellen und technischen Ausgaben und namentlich für den enormen Ausfall an bezahlten Inseraten – dieser materiellen Hauptbasis des Zeitungswesens.

Die Menge des auf den bezeichneten Wegen herbeiströmenden Stoffes nimmt für die Zeitungen um so mehr Arbeit in Anspruch, als derselbe fast durchgehends erst eine weitere redactionelle Behandlung nöthig macht. Abgesehen davon, daß selbst in unserer hochgebildeten Nation die Zahl derjenigen Leute, die druckfertig schreiben, merkwürdig gering ist, und daß fast stets, wo man es nicht mit fachmäßigen Schriftgelehrten zu thun hat, aus den Manuscripten erst eine Menge unnützen Ballastes entfernt werden muß, haben hier besonders oft Widersprüche und Ungenauigkeiten ihre Erledigung zu finden, welche mit den schwächsten Seiten der wissenschaftlichen Durchschnittsbildung zusammenhängen. Hierzu gehören namentlich die in Kriegszeiten beinahe in jedem Berichte vorkommenden geographischen Angaben und die ebenfalls sehr häufigen Citate und Entlehnungen aus fremden Sprachen. Linguistische Zuverlässigkeit ist nun einmal so wenig Jedermanns Sache wie Geographie und Statistik, aber für die Kenner ist gerade in diesen Dingen die strengste Kritik unabweisbar, wenn nicht Salon und Bierbank von lauten Rügen über sie und die Zeitung widerhallen sollen. Der deutsche Spießbürger findet ein gar zu erhabenes Vergnügen darin, seine Weisheit leuchten zu lassen, sobald er in der Zeitung einen Fehler – und sei’s auch nur ein Druckfehler – entdeckt zu haben so glücklich ist.

Ueberhaupt ist unser Publicum in seinen Anforderungen an die Zeitungen ebenso anspruchsvoll wie an die Redacteure selber. In unbescheidenster Mißachtung des für beschäftigte Menschen so eindringlich fühlbaren Satzes, daß Zeit Geld ist, glaubt sich so mancher Abonnent und Leser, ja sogar mancher Nichtleser eines Journals berechtigt, durch Aufdrängen unnützer Besuche, Zuschriften, [99] Anfragen und Aufträge dem Redacteur seine kostbare Zeit oft in unverantwortlichster Weise zu verkürzen, und ihn so um theures geistiges und wirthschaftliches Gut zu prellen. Daß man mit den Elementen der Logik und der Statistik nicht mehr auf gespanntem Fuße stehen dürfe, wenn man mit seinen Geistesproducten vor die Oeffentlichkeit treten und dieselben in zehn- oder zwanzigtausend Exemplaren gedruckt sehen will, und daß man mit Quartaneraufsätzen einem Redacteur eine Augenqual und Schulmeisterarbeit zumuthet, die man von einem für höhere Interessen in strenger Dienstpflicht stehenden Manne nicht beanspruchen darf, das Alles fällt solchen zudringlichen Cameraden kaum ein. In Kriegszeiten sind namentlich die Reimschmiede eine furchtbare Plage jeder Redaction: ohne meist auch nur eine Ahnung von echter Poesie zu besitzen, überschütten diese Quälgeister beiderlei Geschlechts die Zeitungen mit ihrer frech drauf los gereimten Prosa, nicht selten mit der Zumuthung, das Zeug zu lesen und aufzunehmen, noch die weitere von Honorargewährung verbindend, so daß man also einen Verlust an Zeit, Geld und gutem Ruf tragen müßte, wenn man den unnützen Verskünstlern zu Willen wäre.

Von dergleichen Allotrien zum eigentlichen Zeitungsstoffe zurückkehrend, wenden wir uns jetzt demjenigen zu, welcher vor Allem die sorgsamste und strengste Behandlung verlangt, und doppelt gebieterisch in Kriegszeiten: dies sind die telegraphischen Depeschen. Bei ihnen muß nicht blos für die correcte Wiedergabe des Textes, sondern auch für die richtige Erfassung der Tragweite ihres Inhaltes eine so strenge Kritik geübt werden, daß oft geradezu jedes Wort, ja das einzelne Laut- und Sinnzeichen auf die Wagschale gelegt werden muß. Eine falsche Ziffer, ein unrichtiges n oder s, wo es Einheit oder Mehrheit, Grund- oder Ordnungszahl gilt, die falsche Bezeichnung der Zahl einer Division oder eines Regimentes, die Verwechselung ähnlich lautender Ortsnamen etc. kann hier Anlaß zu den schlimmsten Mißverständnissen werden, kann Tausenden von Familien Grund zur äußersten Beunruhigung bieten. Die in Telegrammen gebotene Kürze der Fassung gegenüber der Wichtigkeit des Inhalts erfordert die vorsichtigste Ueberlegung bei ihrer dennoch sofort nothwendigen Wiedergabe, Beurtheilung und Erörterung. In wenigen, zur Erläuterung, ja scheinbar nur zur ordentlichen Stilisirung eines Telegramms beigefügten Zusätzen der Redaction ist zuweilen eine ganz respectable Summe publicistischer Arbeit enthalten, die gerade um so größer sein kann, je weniger sie sich äußerlich erkennbar macht.

Man wird vielleicht sagen, daß die meisten der geschilderten Schwierigkeiten und Mühen Analogien in mancherlei gelehrter Thätigkeit finden, und für viele wissenschaftliche Leistungen wird man dies auch gerne zugeben. Nur giebt es eine Seite der publicistischen Thätigkeit, welche derselben wenigstens den freilich nicht beneidenswerthen Vorzug der größten Anstrengung und Anspannung der geistigen Kräfte unbedingt sichern muß, und auch dieser lästige Vorzug tritt in kriegerisch bewegten Zeiten mehr als sonst hervor. Es ist dies die Raschheit, mit welcher der größte Theil der Zeitungsarbeit, die fliegende Eile, mit welcher gerade so manches äußerst Wichtige bewältigt und erledigt werden muß.

Ist diese Nothwendigkeit schon einleuchtend aus der geringen Stundenzahl, welche zwischen dem Empfange der Posten und der Ausgabe der nächsten Zeitungsnummer in der Mitte liegen, so haben in neuester Zeit namentlich die Extrablätter die Sache noch sehr wesentlich verschärft. Dieser Fortschritt unserer modernen Presse läßt keine Redaction mehr mit Sicherheit auf eine ruhige Thätigkeit innerhalb gewohnter Stunden rechnen. Zu allen Tageszeiten und bis spät in den Abend hinein muß der Redacteur darauf gefaßt sein, mit größter Beschleunigung eine außerordentliche Ausgabe der Zeitung herzustellen. Da muß Manches nach flüchtigster Ansicht in Satz und Druck gegeben werden, was doch später auch vor ruhiger Kritik Stand halten soll. Eine Verspätung von wenigen Minuten kann die Benützung eines ganzen Postenlaufes für das Blatt unmöglich machen, und an dem Orte der Ausgabe dem flinkeren Rivalen die vollständige Beherrschung des Terrains sichern.

Unter solchen Hetzereien darf sich ein Redacteur in Kriegszeiten wohl als einen der bestgeplagten Männer betrachten. Ein von der Bedeutung seines Berufes durchdrungener Journalist hat vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht mit dringender Arbeit zu thun, und in kriegsbewegten Zeiten wird selbst seine nächtliche Ruhe sehr beeinträchtigt, wenn das aufgeregte Gehirn noch im Traume von telegraphischen Depeschen, von Generalstabskarten und Kriegsbildern verfolgt wird. In solchen Zeiten muß der Journalist auf die Bequemlichkeiten und Genüsse eines bürgerlichen Friedenslebens, auf die Wahrnehmung seiner Privatinteressen, die Schonung seiner Gesundheit, die gewohnte Ordnung seiner Häuslichkeit und Familie zu verzichten wissen. So mancher „Zeitungsschreiber“ hat in solchen Kriegsmonaten ein Leben der Aufregung und Anstrengung geführt, das ihm vielleicht für alle Zukunft eine empfindliche Einbuße an Gesundheit und Kräften verursacht hat. Auch dies sind Kämpfe und Opfer für das Vaterland – um so weniger zu mißachten und zu unterschätzen, als für sie nur höchst selten jene Ehren und Anerkennungen blühen, mit welchen in anderen Berufen oft die geringfügigsten Verdienste sich belohnt sehen!

Ein bezeichnender Contrast im Leben und Wirken des Journalisten hat mich mehr als einmal auf’s Tiefste ergriffen. Bei der Feier unserer großen Siege und Erfolge gegen den wälschen Erbfeind hatte der Journalist so oft Festberichte zu schreiben und drucken zu lassen in jener bekannten Manier: „Die freudige Erregung unserer Stadt über die Siegesbotschaft (von Wörth, Sedan, Straßburg, Metz etc.) fand bei uns ihren begeisterten Ausdruck in einem allgemeinen Festzuge, einer glänzenden Beleuchtung, überaus zahlreich besuchten Versammlungen etc., wo enthusiastische Reden gehalten, jubelnde Hochrufe auf unser treffliches Heer, auf das geliebte Vaterland etc. ausgebracht wurden. Die ganze Bürgerschaft betheiligte sich an diesen patriotischen Kundgebungen“ etc. etc. Und zur selben Stunde, wo Alles jubelnd die glänzenden Straßen durchzieht oder die schäumenden Becher schwingt, sitzt der Journalist, dessen Herz an Gluth für alles Hohe, Edle und Vaterländische hinter keinem zurücksteht, einsam beim Lampenlicht mit erhitztem und müdem Auge über der Revision der von der Presse feuchten Columnen des zum Drucke gehenden Morgenblattes, bis er in mitternächtiger Stunde sein Lager aufsucht, um nach kurzer, oft sehr zweifelhafter Ruhe in aller Frühe wieder auf das Bureau zu eilen und den Kreislauf seiner täglichen Mühen auf’s Neue zu beginnen. Wenn von fernher das Geräusch der Straße, der Festjubel der Tausende seiner Mitbürger, der helle Klang der Musik und Gesänge an sein Ohr tönt, dann ist es ihm wohl schwer, sich eines wehmüthigen, fast bitter ironischen Gefühls zu erwehren. Aber es sind ja Vaterlandslieder und Siegesmärsche, die dort unten ertönen, – und mit freudig gehobenem, wenn auch ernst bewegtem Herzen verzichtet der Zeitungsschreiber auf die persönliche Theilnahme an dem Festjubel und fährt fort, seine Pflicht zu thun im Dienste des Vaterlandes, der Freiheit, der Bildung und der Humanität.
C. Pz.


Meine erste Schleichpatrouille.
Von unserem Feldmaler F. W. Heine.


In jener verzweifelten Stimmung, die aus Langerweile und Lebensüberdruß zusammengesetzt ist und die ich Ihnen in meinem letzten Briefe vielleicht nur allzu ausführlich geschildert habe, schlenderte ich an einem der letzten Decembertage in le Vert galant herum, bereit, meine Seele dem Ersten zu verkaufen, der da kommen und mir nach so vielen reich bewegten Monaten auch zu einem würdigen, wirklich interessanten Jahresschluß verhelfen würde. Zwar, daß sich wichtige Dinge vorbereiteten, die das ganze schläfrige Aussehen der Belagerung mit Einem Schlage in’s Gegentheil zu ändern vermöchten, das konnte ich auch in le Vert galant spüren – schon seit drei Tagen vernahm man das ununterbrochene, dumpfe Rollen des Kanonendonners von der Seite her: die Beschießung des Mont Avron aus sechsundsiebenzig deutschen Geschützen hatte begonnen und, wie man sich in le Vert galant erzählte, mit dem besten Erfolg, denn schon am zweiten Tage sollte das Feuer der deutschen Batterien dem Mont Avron die Lust zur „Gegenrede“ gründlich verleidet haben.

Das waren nun freilich Nachrichten, welche Einem die Langeweile [100] vertreiben und dafür die Haut prickeln machen konnten. Endlich! endlich! rief Einer dem Andern zu und man zählte die Tage, die von heute an bis zum Einzug in das stolze Paris noch hingehen konnten. Am liebsten wäre ich gleich heute zu dem Standort unserer Batterien geeilt – aber ich fand keine Fahrgelegenheit und so begrüßte ich denn eine Einladung des Hauptmann v. Friesen[1], ihn Abends auf Vorposten zu besuchen, mit tausend Freuden als ein Mittel, der mich nun bewegenden Unruhe wenigstens einigermaßen los zu werden; kam ich doch wenigstens in die Nähe des Avron.

Wenige Stunden schon nach empfangener Einladung zog ich mit der 3. Compagnie des Leibgrenadierregiments Nr. 100 hinaus auf die Feldwache 6A. Es war schon vier Uhr und der winterkalte Tag neigte sich rasch zum Ende. Die Sonne verschwand wie ein glührother Ball hinter einem Nebelschleier, leichte graue Dunststreifen zogen in geringer Entfernung von uns an niedrigen Gehölzen hin, und unter den Füßen der in der eisigen Kälte wacker vorschreitenden Mannschaft ächzte der festgefrorene Schnee. Die Luft um uns war klar und der endlose Himmel über uns bedeckte sich in kurzer Zeit mit seinen flimmernden und blitzenden Sternen.

Immer in munterem Geplauder, wenn auch der gleich an den Lippen zu Eis gefrierende Hauch die kriegerischen Bärte der Soldaten mit einer dichten weißen Kruste überzog, ging es auf der Metzer Straße hin durch Livry und dann in das Gehölz von Bondy, wo wir links auf hartgefrorenem, holprigem Waldweg nach dem sogenannten „Schlößchen“ abbogen. Auf der Karte steht es als „le village“ und stößt unmittelbar an den Park von Raincy, den Zielpunkt der meisten Granaten aus den Forts von Rosny, und Noissy. Als wir beim „Schlößchen“ ankamen, war es schon völlig Nacht geworden und damit die Zeit gekommen, die Posten abzulösen und neue auszustellen. Nachdem dies geschehen, machte Herr von Friesen seine Runde, auf der ich ihn begleiten durfte, prüfte die Zweckmäßigkeit der erwählten Standorte und empfahl seinen Leuten die äußerste Vorsicht, da das Terrain in der That für Vorpostendienst ein höchst ungünstiges war und jeder einzelne Mann die angestrengteste Aufmerksamkeit entwickeln mußte, wenn ihm von hier aus ein allenfallsiges Andringen des Feindes durch die stockfinstere Nacht nicht unbemerkt bleiben sollte. Als der Pflicht so genügt war und Herr von Friesen sein Commandantengewissen beruhigen zu können glaubte, kehrten wir zum „Schlößchen“ zurück, wo unser die beste aller Ueberraschungen in Gestalt eines Abendbrodes erwartete, das mich den Erfinder der „Liebesgaben“ von Herzen segnen ließ. Wer mochte wohl diese Magenwurst gesendet und welche zarte Hand mochte wohl diese Sardellenbutter in das Gefäß gefüllt haben, dessen irdener Stoff viel zu bescheiden erschien für seinen köstlichen Inhalt? Wie vortrefflich mundete dazu der Rothwein, den uns noch immer der feindliche „Boden“ liefert und der selbst bei künstlicher Bereitung nichts verlor, wie eine später kalt angesetzte Rothweinbowle zur Genüge bewies! Da plauderte sich’s denn munter und lebhaft genug, Scherz- und Ernstworte flogen hinüber, herüber, dazu prasselte das helllodernde Feuer im Kamin, die Fenster, von jenem feuchten Niederschlag bedeckt, der Einem das durchwärmte Zimmer noch heimlicher erscheinen läßt, „liefen an“ – zuletzt schien der ganze Krieg nur ein böser Traum und man kam sich vor wie mitten im Frieden eine Einquartierung, die ganz gastlich aufgenommen und der zufällig Nichts als der Hauswirth verloren gegangen war. Mochte er denn verloren bleiben, wir vermißten ihn nicht.

Dieser Friedenstraum sollte aber nicht allzu lange währen; die Heiterkeit der Gesellschaft – es waren an sechs Officiere, mehrere Einjährig-Freiwillige und ein Arzt zugegen – hatte den Höhepunkt erreicht, als der Befehl eintraf, noch in dieser Nacht einen Zug nach dem benachbarten Bondy zu machen, um zu sehen, ob das Dorf noch von den Franzosen besetzt sei. Gegen 11 Uhr lud mich Hauptmann von Friesen ein, bei der Partie zu sein und ihn zu begleiten. Das war mir lieb: hatte ich die lustige Gesellschaft von der heitern Seite gesehen, so machte ich mich auch gern wieder einmal mit ihrem Treiben bei ernster Sache bekannt.

Eine herrliche Sternennacht empfing uns, als wir, behaglich durchwärmt und in bester Stimmung, umdrängt von den zurückbleibenden Officieren, die Treppe herunter in den Hof des Schlößchens traten. Hier, durch ihre geschwätzige Munterkeit den besten Beweis ablegend, daß auch sie die letzten Stunden nicht in Entbehrungen zugebracht, standen bereits mit Sack und Pack die Leute der Compagnie, des Befehls harrend. Aber nur neun suchte der Hauptmann aus ihrer Mitte aus, die tüchtigsten und gewandtesten – ein kurzes Commandowort – „Marsch!“ und so ging der kleine Zug schweigend und in der größten Stille durch die Winternacht vorwärts.

Wir waren etwa eine Viertelstunde auf dem Waldweg hinmarschirt, als wir aus der Ferne Schritte vernahmen – wir standen lautlos, das Gewehr zum Schuß bereit, den Kopf vorgebeugt, die Dunkelheit mit unsern Blicken durchdringend. Da bog es um die Ecke – schwarze Gestalten wurden sichtbar und Gewehrläufe blinkten – noch ein paar Schritte ließ sie der Hauptmann vorkommen. Dann: „Halt! Wer da?“ Losungswort und Feldgeschrei wurden richtig abgegeben, es war eine kleinere Patrouille von den Unseren, die eben ihre Runde angetreten hatte und sich nun gerne unserm Unternehmen anschloß. An der Waldlisière passirten wir die Vorpostenlinien und betraten die schneebedeckte Ebene, die langgedehnt in tiefem Nachtschweigen vor uns lag. Es war, ich muß es wiederholen, eine herrliche Nacht – von der Kälte empfanden wir mitten in der Aufregung, welche das „Geschäft“ mit sich brachte, wenig oder nichts, hoch über uns glänzten die Sterne in vollendeter Pracht, mächtig leuchtete unter ihnen das schönste aller Sterngebilde, der Orion, hervor und etwas tiefer, nahe am Horizont, stand das erste Viertel des Mondes, matt die von leichtem Duft überzogene Schnee-Ebene beleuchtend, die wie endlos vor uns lag. Links ragten die dunklen Massen des Forts Noissy über den Horizont empor, gespenstisch und majestätisch zugleich; in gerader Linie vor uns lag das Ziel unserer Nachforschung, Dorf Bondy, nur durch einige Punkte kennbar, die sich schwarz aus dem Dunkelgrau ihrer Umgebung abhoben.

Schon in der Vorpostenlinie hatte unsere Schaar sich in drei Abtheilungen getheilt und ich mich natürlich der des Hauptmann von Friesen angeschlossen, welche aus sechs bis sieben Mann bestand. Auch war, bevor wir uns trennten, noch einmal der Befehl eingeschärft worden, sich durchaus auf kein Gefecht einzulassen, sondern im Falle eines feindlichen Grußes Deckung zu suchen und sich zurückzuziehen. Nunmehr schlugen wir die äußerste Richtung links ein und stießen bald auf einen Bahndamm, der an Bondy vorbei nach dem Fort Noissy führt und uns um so willkommener sein mußte, als es auf dem Schnee und im halben Mondlicht Mühe genug kostete, sich dem Feinde, wenn er da und wenn er aufmerksam war, unbemerkt zu halten.

An diesem Bahndamm krochen wir hin, bald in abgeschnittene Telegraphendrähte uns verwickelnd, bald durch niedriges Gesträuch stolpernd, dessen feine Ruthen uns scharf ins Gesicht schnitten, jetzt halb in die Höhe gerichtet, dann wieder auf allen Vieren kriechend, aber immer lauschend, immer horchend. Diese Anspannung ist das Peinlichste, was gedacht werden kann. Man sehnt sich nach einer Unterbrechung, man will um jeden Preis etwas sehen, will etwas hören, und doch, kein verdächtiger Laut regt sich; Alles zeigt die tiefste Ruhe. Schon lag Bondy nicht mehr weit von uns zur Seite und wir sahen, daß einzelne Fenster erleuchtet waren. Das Licht derselben fiel roth in die Nacht heraus und verlor sich dann im Dunstkreis. Da fiel ein Schuß vom Dorfe her. Wir standen wie festgebannt. Der Schuß hatte unserer Mittelpatrouille gegolten, wir hatten deutlich das Zischen der Kugel gehört und der hinter uns liegende Wald hatte das Echo des Schusses hallend wiedergegeben; sie waren also wachsam im Dorfe. Wir horchten fast athemlos – aber Alles war wieder still. Nunmehr ging’s ohne weiteres Besinnen halbrechts vorwärts, gegen unsere Mittelpatrouille hin, doch auch hier war Nichts zu entdecken, auch hier rührte sich Nichts, obwohl wir gewiß an zehn Minuten auf dem Bauche lagen, mitten im hartgefrorenen Schnee hingestreckt, nur den Kopf lauschend gehoben und den spähenden Blick zum Dorf hinüber gerichtet. Wir waren kaum zweihundert Schritte mehr von Bondy entfernt, dazwischen lag nur die Schneefläche, aus der rechts eine kahle Ulme ragte. Uns gerade gegenüber stand ein französischer Posten. Wir vernahmen es deutlich, wenn er sich räusperte; der Aermste mußte einen starken Katarrh haben,

[101]

Nächtliche Schleichpatrouille gegen das Dorf Bondy.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.

[102] den zu heilen man ihn gewiß nicht hier heraus in’s freie Schneefeld gestellt hatte. Auf uns, die Lauschenden, aber machte es einen äußerst komischen Eindruck, wenn der geplagte Mann von dem heftigsten Hustenanfall gepackt wurde und sich dann, seiner Pflicht als Vorposten wohl bewußt, alle Mühe gab, den verrätherischen Laut zu unterdrücken und zu ersticken. Mein Nachbar konnte kaum der Begierde Herr werden, eine blaue Bohne zu dem hüstelnden Franzosen hinüber zu senden und ihn mit dieser für immer von Katarrh und Rheumatismus zu heilen. Ein paarmal hob er schon das Gewehr zum Anschlag, er zielte, lange und lange, aber immer wieder setzte er ab, im Stillen Verbot und Disciplin verwünschend, die hier beide seinem schönsten Vorsatz so hemmend in den Weg traten.

In der That, die Versuchung war groß, und so mochte es der wackere Soldat als eine Erlösung aus ihr ansehen, als nach zehn Minuten etwa der Befehl zum Rückzug gegeben wurde. Der Zweck des Unternehmens war erreicht: die Franzosen hielten Bondy noch besetzt.

Ebenso still, ebenso lautlos, wie wir gekommen waren, zogen wir durch die Nacht heimwärts; der Mond ging eben völlig unter und die schwarzen Umrisse des Fort Noissy hoben sich nur mehr unbestimmt und verschwommen vom Horizont ab. Bald passirten wir wieder unsere Vorpostenlinie und nun ging es durch das Dunkel des Waldes munter dem „Schlößchen“ zu, dort erwartete uns ein warmes Zimmer, dort erwarteten uns die Freunde, und von der Rothweinbowle war gewiß auch noch ein Glas für uns zurückgestellt. Für die Ruhe der übrigen Nachtstunden standen vortreffliche Matratzen bereit, und doch, das Allerbeste ahnten wir nicht – schon am nächsten Morgen sollten wir mit der Jubelnachricht geweckt werden, daß der gefürchtete Mont Avron nach so wenigen Tagen seiner Beschießung von den Franzosen geräumt und von den Sachsen besetzt worden sei.




Der Sohn einer Künstlerin.
Nach dessen mündlichen Mittheilungen.


Es ist nun gerade ein Jahr, daß auf dem Alten Kirchhofe zu München das von der Meisterhand Zumbusch’s verfertigte Grabdenkmal der größten deutschen Tragödin aufgestellt wurde und daß die Gartenlaube eine gelungene Abbildung davon ihren Lesern brachte. Die wenigen biographischen Zeilen, welche als begleitender Text beigegeben waren, riefen mir eine Begegnung in’s Gedächtniß, die ich schon vor langer Zeit mit dem einzigen, nunmehr auch längst verstorbenen Sohne der Sophie Schröder hatte. Die Einzelnheiten derselben sind mir so treu in der Erinnerung geblieben, daß ich sie um so lieber hier mittheile, als ja wiederholt das Bedauern darüber ausgesprochen worden ist, wie spärlich im Grunde die Quellen über das Privatleben der großen Künstlerin fließen, die kurz vor ihrem Tode ihre Papiere mit eigener Hand vernichtet hat.

Ich befand mich des Curgebrauchs halber im Sommer 1848 zu Wiesbaden und lernte dort mehrere Mitglieder der Reichsversammlung kennen, die von Frankfurt zum Besuche herüberkamen. Unter ihnen befand sich auch der Sohn der Sophie Schröder, der Canonicus Wilhelm Smets aus Aachen, der damals nicht nur in den Rheinlanden als ein höchst talentvoller Dichter beliebt und geschätzt war.

Auch er war Abgeordneter am Reichstage gewesen, hatte jedoch sein Mandat niederlegen müssen, da ein Leberleiben eine anhaltende Cur erforderte. Das kranke unschöne Aeußere des gealterten Mannes vergaß man ganz, sobald er mit dem angenehmsten Organ und in edler Ausdrucksweise sprach; seine Worte bezeugten einen reich begabten Geist und ein tiefes Gefühl, das ihm sehr bald die Herzen der Menschen gewann. Ich hatte das Glück, daß der treffliche Mann sich meistens mit mir unterhielt, vielleicht weil wenig ältere Damen in unserm Kreise waren. Einstmals erwähnte er gelegentlich seiner Mutter. Es überraschte mich, einen Mann, den ich für einen Sechsziger hielt, obschon er damals in der That erst zweiundfünfzig Jahre alt sein mußte, von einer noch lebenden Mutter sprechen zu hören. Als ich darüber mein Erstaunen aussprach, erwiderte er:

„Sie kennen meine Mutter!“

Das begriff ich nun gar nicht, bis er endlich sagte:

„Es ist Sophie Schröder!“

Dazu konnte ich ihm nur Glück wünschen, und mein lebhaftes Interesse an der großen Künstlerin wahrnehmend, begann er, mir als verehrender Sohn, der die Mutter herzlich liebte, aus deren Leben mitzutheilen, was ich nun gern zum allgemeinen Mitwissen wiedergebe.

Der Vater des Canonicus Smets stand schon im jugendlichen Alter wegen seiner ausgezeichneten juristischen Kenntnisse als Criminalrichter am kurkölnischen Gerichtshof zu Bonn. Derselbe hat ein Werk geschrieben: „Die Strafgesetze des achtzehnten Jahrhunderts, philosophisch, juridisch und historisch betrachtet.“ – Ein so tüchtiger Mann er in seinem Fache gewesen sein muß, so geht aus seinem Lebensgange und Verhältnissen dennoch hervor, daß sein Wesen viel Excentrisches, Idealistisches hatte.

Das allein macht es erklärlich, daß er seine ehrenvolle Stellung verließ und eine junge hochgestellte Dame entführte, die bei der strengen Scheidung der Stände in jener Zeit nicht seine Gattin in den dortigen Umgebungen hätte werden können, da sie, einer alten Adelsfamilie angehörend, als Hofdame bei einer deutschen Fürstin stand. Unter angenommenem Namen folgte er mit seiner jungen Frau, die ihm zu Liebe so Vieles geopfert, einem Anerbieten Kotzebue’s nach den Baltischen Provinzen, wo für die größeren Städte Reval, Riga, Pernau u. a. O. ein ambulantes Theater errichtet werden sollte, etwa im Jahre 1791 oder 1792. Hier sollte er nun eine Theatergesellschaft organisiren, deren Director er wurde. Unsere großen deutschen dramatischen Dichter, Goethe, Schiller, Iffland u. A. begeisterten eben damals ganz Deutschland für diese Kunstrichtung; so steckte auch der Director dieser neuen Theatergesellschaft sich ein hohes Ziel, sie sollte etwas Vorzügliches leisten, er wollte eine Musterbühne schaffen. Doch bald sollte der hochstrebende Mann empfindliche Täuschungen erfahren, er verschwendete große Mühe und Fleiß für einen undankbaren Boden, was wiederum Sorge und Verstimmung zur Folge hatte und sein Eheglück und seine Subsistenz um so mehr trübte, als die junge Gattin das rauhere Klima nicht vertrug und nach kaum anderthalbjähriger Ehe starb. So furchtbar dieser Verlust den Schauspieldirector traf und erschütterte, so widmete er sich doch auch nachher mit allem Eifer und Ausdauer seinen Pflichten, die dramatische Kunst nahm ihn ganz in Anspruch, er besaß ein tiefes Verständniß für die höchsten Anforderungen derselben.

Nach ein paar Jahren entdeckte er in einem vierzehnjährigen Mädchen, das von ihm unbeachtet als die Tochter des Theaterdieners Bürger aufgewachsen war und mitunter zu den kleinsten Nebenrollen verwendet wurde, ein echtes Talent für die Bühne. Aeußere Anmuth, ein weiches, klangreiches Organ, graciöse Haltung und Bewegungen fielen angenehm auf bei jedem Auftreten. Er erkannte gewissermaßen die ganze Zukunft, die, noch in der Knospe eingeschlossen, sich zur Prachtblume entwickeln werde bei sorgfältiger Ausbildung. Diese machte er sich nun bei Sophie Bürger zur Aufgabe und wurde selbst ihr Lehrer in den Elementarwissenschaften, da sie damals weder lesen noch schreiben konnte. Als Sophie noch nicht fünfzehn Jahre alt war, verheiratete er sich mit dem von der Natur so reich begabten Mädchen, dessen Geistesanlagen die seltensten und mit einem so guten Gedächtniß vereint waren, daß sie größere Rollen treu auswendig behielt, nachdem er ihr dieselben dreimal vorgelesen hatte. Auch viele andere Dinge erlernte Sophie mit großer Leichtigkeit. Dennoch war und blieb sie vorläufig in mancher Beziehung ein Kind, das, ganz an Ungebundenheit gewöhnt, bis jetzt nur in’s Blaue hinein geschaut und gelebt hatte, daher ihr jeder Ernst und jede feste Ordnung, oder gar Zwang, sehr zuwider sein mußte. Sie nun sollte der Stolz des Gatten werden, und mit großer Strenge mußte die kindlich junge Frau den Lehrstunden obliegen, große Rollen lernen, so daß dies Uebermaß von Studien ihr eine drückende Fessel ward. Nur die Furcht vor dem Zorn ihres Mannes trieb sie zur Erfüllung seiner Gebote, er schloß sie mit einem aufgegebenen Pensum ein, wenn er ausging. Da ist es [103] denn zuweilen vorgekommen, daß sie dennoch ihre Aufgaben zu machen vergaß, einschlief oder anderen kleinen Zerstreuungen in ihrem Zimmergefängniß sich hingab, – mit Schrecken den strengen Lehrmeister heimkehren hörte und sich dann in einem Schranke oder unter einem Teppich versteckte, da das heftige leidenschaftliche Temperament des Mannes sich sogar zu körperlichen Strafen hinreißen ließ!

Unter solchen Verhältnissen gebar Sophie, noch nicht sechszehn Jahre alt, den Sohn am 15. September 1796. Er wurde in der lutherischen Kirche zu Reval getauft und in das Buch des Lebens mit den Namen: Wilhelm Philipp Joseph Anton Carl eingeschrieben. Sie war dem Knaben eine sehr zärtliche, liebevolle Mutter, – daneben entwickelte sich ihr ganzes Wesen und ihr Talent zur dramatischen Kunst mit Riesenschritten. Ueberall, wo sie auftrat, erntete sie ungetheilte Bewunderung, trotz der nie befriedigten Ansprüche des Mannes, weshalb ihre Ehe ein steter Kampf blieb, je mehr Selbstschätzung Sophie durch ihre Erfolge gewinnen mußte. So bestand diese unbeglückte Ehe denn auch nur sieben Jahre, wo eine förmliche Scheidung erfolgte. Den Sohn behielt der Vater, die Mutter trennte sich mit blutendem Herzen von dem sechsjährigen Knaben, wie es der Canonicus Smets später in seinen Elegien erzählt:

„Aber nicht konnt’ ich versteh’n tief ernstere Blicke des Vaters,
     Nicht den gedehnteren Kuß, welchen die Mutter mir gab:
Die mich in Liebe gepflegt, an Alter ungleich und Gesinnung,
     Lösten ein Bündniß, das kaum sieben der Jahre gewährt.“

Zu Breslau schieden sie von einander, und von da an verließ auch der Vater die Bühne, die Sehnsucht nach seinem früheren Berufe ließ ihn als Hofrath in die Dienste des Reichsgrafen von Plettenberg-Miethingen-Ratibor eintreten, wo er eine Richterstelle bekleidete. Aber nach ein paar Jahren zog es ihn wieder mit mächtiger Sehnsucht nach der einstigen Heimath, nach Aachen und den Rheinlanden, zurück. Durch die Fürsprache seines gütigen Gönners, des bekannten Fürsten Dalberg, war ihm eine hohe richterliche Stelle zugesagt, die er in Bonn einnehmen sollte, zum Zwecke einer völligen Bestätigung rief ihn Fürst Dalberg nach Paris, wo derselbe sich damals aufhielt. Der Sohn besuchte einstweilen das französische Lyceum zu Bonn, er bezeigte Talent zur Malerei, und der Vater, der selbst eine so große Neigung zu allen schönen Künsten hegte, bestimmte den Sohn ganz für diese Kunst. Indessen ereilte ein furchtbares Schicksal den Hofrath Smets angesichts des ruhigen Hafens, in welchen er sein und des Sohnes Lebensschiff schon einlaufen sah. In heiterer Gesellschaft an der Tafel des Fürsten Dalberg zu Paris wurde der vielgeprüfte Mann plötzlich irrsinnig! Zurückgebracht in die deutsche Heimath, übergab man ihn einer Irrenanstalt, ich weiß leider nicht mehr ob zu Aachen oder Bonn. Der nun elfjährige Sohn wurde einer Unterrichtsanstalt der Jesuiten übergeben, wo er eine ausgezeichnete wissenschaftliche Bildung erhielt. Allein das Kind hing mit grenzenloser Liebe am Vater, der seinerseits bis dahin sein ganzes Herz dem Sohne geweiht, während dieser von seiner Mutter Sophie nur eine dämmernde Erinnerung hatte.

Die freien Stunden brachte der verlassene Knabe in der Zelle des Wahnsinnigen zu. Dieser beruhigte sich sofort, wenn das von ihm so sehr geliebte Kind eintrat, er war dann wieder ganz der zärtliche Vater, von welchem sich wieder loszureißen dem Kinde alle Mühe kostete. Zwei Jahre währten diese Leiden, da erlöste der Tod den unglücklichen Mann. Ein Denkmal der kindlichen Liebe hat ihm der Sohn in seiner späteren Elegie „des Vaters Grab bei Aachen“ – in der Sammlung „Gedichte von Wilhelm Smets, Stuttgart und Tübingen bei Cotta 1840“, die v. Ehrenstein herausgab – gesetzt. Der elfjährige Knabe trug schon damals eine bewußte Sehnsucht nach der Mutter, aber es gab Niemand, der ihm von ihr hätte Kunde geben können. Der Zusammenhang und der Verkehr mit fernen Gegenden war in jenen Zeiten noch sehr beschwerlich und selten, es gab nicht den hundertsten Theil von Zeitungen und Journalen, wie solche jetzt coursiren, auch gaben diese nur Nachrichten der wogenden Welt. Ereignisse der Jahre 1807–1808; mochte auch immerhin schon in diesen Jahren Sophie Schröder, wie sie durch ihre Wiederverheirathung mit dem Schauspieler Schröder nun hieß, eine berühmte Schauspielerin geworden sein, der Sohn hatte keine Ahnung davon. So lebte er ausschließlich seinen Studien, auch der Ausbildung in der Malerei, wofür man ihn eigentlich bestimmt hatte. Als nun die Jugend Deutschlands sich sammelte, da reihete auch Wilhelm Smets, der sechszehnjährige Jüngling, sich einem Freiwilligencorps an und wohnte dem ganzen Feldzuge bei, nach dessen Beendigung er in preußischen Militärdienst trat, nachdem er bereits das Officierpatent hatte.

Niemals verstummte in seinem Herzen die Stimme der Natur; auch in den Unruhen des Krieges, im Siegesgefühl zu Paris nicht, wo dem Jünglinge die Herrlichkeit der Welt durch Luxus in aller Hinsicht, durch die vollendetsten Kunstwerke, wie sie Napoleon der Erste dort angehäuft, zur Anschauung kam, – auch da durchdrang ihn ein sehnliches Verlangen zu wissen, ob und wo die Mutter lebe, in ihrer Liebe das höchste Glück zu genießen. Unermüdlich forschte er nach Beendigung des Kriegszuges nach ihr, und es wurde erst 1816 ihm die unsichere Vermuthung, daß sie in Wien lebe und als k. k. Hofschauspielerin angestellt sei. Nun pilgerte der treue Sohn gen Osten, und wie er die Mutter suchte und fand, das bezeichnen in schönster Weise seine dichterischen Worte:

Die Spur der Mutter.

Ob mir die Mutter noch leb’ und wo? das war mir Geheimniß;
     Aber die Ahnung verhieß: sicherlich lebet sie noch!
Still’, ihr getreu, nachforscht’ ich mit Sehnsucht des kindlichen Herzens,
     Und ich entdeckte der Spur zweifelhaft dämmerndes Licht.
So wie nach Osten gewandt, nach dem goldenen Thore des Morgens,
     Dort der Erwartungen Ziel hoffet der Pilger zu schaun:
So nach Osten auch zeigte die Spur, und schwellende Segel,
     Heiliger Sehnsucht Bild, führten zum Ziele mich hin!

Sophie Schröder.

Sie, sie soll es doch sein, die gefeiertste Mime der Deutschen,
     Die aus der Kindheit Traum mir noch als Mutter erschien.
Solches verhieß mir die Spur, der ich treu sehnsüchtig gefolgt war:
     Nun, der Ersehnten so nah’, faßte mich Zweifel auf’s Neu’!
Aber es trieb mich zuerst nach Melpomene’s Tempel die Ahnung,
     Hier, hier sollt’ ich sie sehn, hier sie erkennen vielleicht!
O wie ward ich erfaßt von dem Bild, das jetzt vor den Blicken
     Staunend erwartenden Volks wurde vorübergeführt!
„Salomes Urtheil“ war’s, es standen die Mütter, die beiden
     Schon vor dem Throne, das Schwert zuckte schon über dem Kind,
Aber in schrecklicher Qual stürzt nieder die eine der Mütter:
     „König, verschone mein Kind, gieb es der Anderen hin!“ –
Gott, wie wurde mir da! Ganz deutlich vernahm ich die eig’ne
     Stimme, so wie sie mir selbst tönt aus der volleren Brust,
Thränenden Blicks entdeckt’ ich im Antlitz die eigenen Züge,
     Stirn und Augen und Mund, selbst auch das Grübchen im Kinn.
„Mutter, Du bist’s! Ich zweifle nicht mehr, es lebet Dein Kind noch!“
     „Wilhelm! mein ältester Sohn!“ rief sie und sank mir an’s Herz.

Wie viel tiefer ergreifend, ja erschütternd war die lebendige Mittheilung vom Munde des Sohnes! Es mußte in’s Herz eindringen, wie beseligte Freude ihm dies Wiederfinden der Mutter, die zugleich als vollendete Künstlerin auch seine Ideale in dieser Richtung befriedigte, für sein ferneres Leben verhieß. Solche Freude, solche Bewunderung konnte eben nur ein Gemüth empfinden, wie es diesem Manne eigenthümlich war, den selbst nach dem Wechsel seines Lebensberufes vom Künstler- und Militärstande zum Priester der katholischen Kirche niemals die Liebe zur Kunst in höherer Bedeutung verließ. Er dankt es seinem verstorbenen Vater noch in poetischem Erguß:

„Doch was sorglich Du pflegtest im Geist des empfänglichen Knaben,
     Wie Du für edles Gebild Herz mir erschlossen und Blick,
Nie mein verändertes Loos hat Trieb mir und Neigung verwandelt,
     Bleibt mir doch Krone des Glücks, Blüthe des Lebens – die Kunst!“

Wie ihn das Bewußtsein beglückte, mit der liebevollsten Mutter eine tiefe Harmonie des Wesens zu haben, wie dieses Band ihre Herzen fest verband, das war noch dem Manne mit zweiundfünfzig Jahren in all seiner Kränklichkeit ein erhebender Gedanke! Auch seine Halbschwester Wilhelmine Schröder-Devrient, die so große Bewunderung als Künstlerin erwarb, liebte der Canonicus Smets als treuer Bruder, und erzählte mir verschiedene Züge ihres unbeschreiblich guten Herzens! Ihre Wohlthätigkeit, ihre liebenswürdige Freundlichkeit gegen jeden Stand, bezeigte sie namentlich bei einem längeren Besuch, als der Bruder Pastor einer Dorfgemeinde war. Auf einer Bauernhochzeit verschmähte sie es nicht, ein paar Tänze mit den Burschen des Dorfes zu machen und ihnen ein Volkslied vorzusingen, wodurch sie selbst diese entzückte. – Das Bild dieser ausgezeichneten Frau hatte in der That im Profil ähnliche Züge mit dem des Bruders, so verschieden auch die Stufe äußerer Schönheit unter Beiden sein mochte. Im Jahre 1848 lebten noch beide hochbegabte Frauen; die Mutter, Sophie Schröder, [104] hatte sich von der Bühne zurückgezogen und wohnte zu Augsburg, sie bezog eine Pension als kaiserl. königl. österreichische Hofschauspielerin. Die so lange getrennt gewesenen Familienglieder sahen sich von Zeit zu Zeit.

Wenige Monate, nachdem ich diese so anziehende Bekanntschaft gemacht, und noch ehe eine verabredete Correspondenz begonnen hatte, nahm der Tod den edlen Canonicus Smets hinweg, er starb zu Aachen im November 1848. Lange Jahre hat ihn Sophie Schröder überlebt, die auch noch ihre vorangegangene Tochter Wilhelmine beweinen mußte.

Alles, was ich vorstehend aus dem Leben des Sohnes, des Canonicus Domherrn Smets, weiland zu Aachen am Dom, gesagt, war gewiß eng mit dem Leben der Mutter verflochten, und es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß die große Frau auch daran mütterliche Freude und Befriedigung gehabt, des Sohnes Leistungen in der Theologie als Schriftsteller anerkannt und geschätzt zu sehen. Er schrieb eine Uebersetzung des Tridentinischen Concils und des Catechismus Romanus. Auch über das Leben des heiligen Franziscus von Sales soll er geschrieben haben, und in der letzten Zeit „Reminiscenzen“.




Blätter und Blüthen.

Eine Haferrequisition. (Mit Abbildung.). Wir lagen in Avioth und belagerten Montmedy, was uns dazumal wenig Beschwer machte; das Dorf war reich und hatte noch wenig Einquartierung gehabt, es fehlte uns weder an Wein noch an Gänsebraten und zu thun hatten wir fast gar nichts. Da äußerte an einem Samstagabend unser Escadronchef gegen den Wachtmeister, die „jungen Herren“ müßten doch etwas mehr Bewegung haben, und in Folge dessen wurde ich mit einem Cameraden, Graf T., und einem andern Husaren commandirt, in aller Frühe am nächsten Morgen nach Thonne le Thil zu reiten, um einen Intendanturbeamten bei einer Requisition in verschiedenen Dörfern längs der belgischen Grenze zu beschützen.

Nachdem wir in Thonne le Thil ungefähr eine Stunde lang bei großer Kälte gewartet hatten, erschien der Intendant, Herr K., in voller Würde, bestieg seinen Schimmel, und wir folgten in achtungsvoller Entfernung. In Margut, wo zuerst einige kleine Einkäufe gemacht wurden, lernten wir uns beim Frühschoppen gegenseitig näher kennen, und Herr K. bemühte sich auf’s Angelegentlichste, uns vergessen zu lassen, daß er uns beim Abmarsch zwei Cigarren durch seinen Burschen hatte überreichen lassen, die sicherlich nicht aus seinem Etui genommen waren, und die wir unmöglich hatten rauchen können.

Wir waren schon in ziemlich fröhlicher Stimmung, als wir gegen Mittag in Auflance, einem wohlhabenden Dorfe im Departement der Ardennen, ankamen. Die Messe war gerade beendet, und bald hatten wir die ganze schöne und unschöne Einwohnerschaft des Ortes um uns versammelt. Die Leute sahen zum ersten Male preußisches Militär, und mit Zittern und Beben schleppte ein Pisang (so nennen unsere Soldaten die paysans, Bauern) Hafer und Heu herbei, als wir unsere Pferde in seinen Stall zogen. Mit dem Carabiner an der Hüfte und den Säbel über das Straßenpflaster klirren lassend, flößten wir gewaltigen Respect ein. Man holte alsbald den Maire zur Stelle, und wir begaben uns mit ihm in das Wirthshaus, gefolgt von sämmtlichen Notabeln des Dorfes. Als man sah, daß wir unser Bier ganz wie gewöhnliche Menschen zu uns nahmen, und daß die einleitenden Redensarten ganz höflich waren, verlor sich allmählich die Furcht vor uns; man näherte sich uns und fragte nach diesem und jenem. Als aber nun der Intendant plötzlich mit kurzen und deutlichen Worten den Zweck unserer Ankunft kund gab, entstand allgemeines Entsetzen; er verlangte nämlich bis zu einer bestimmten Stunde des folgenden Tages fünfzig Centner Hafer gegen eine ganz annehmbare Entschädigung.

„Nous n’avons point d’avoine du tout, du tout, du tout,“ („wir haben keine Idee von Hafer, keine Idee, keine Idee,“) jammerte der Maire und faltete die Hände im Schooß; – „du tout, du tout,“ repetirte der Chor im breitesten Patois der Ardennen; der Schulmeister, der zugleich angestellter Spaßmacher des Ortes zu sein schien, schnitt entsetzliche Grimassen und hielt flammende Reden an den Intendanten, an den Maire, an uns und an das versammelte Volk.

„Wenn bis morgen Mittag der verlangte Hafer nicht an Ort und Stelle ist, wird er ohne Weiteres sans prix genommen,“ erklärte Herr K.

Eine Pause stummer Verzweiflung entstand, nur durch den gesticulirenden Schulmeister bisweilen unterbrochen. Ich barg mich hinter dem Mantel meines Nebenmannes, und es gelang mir, das Portrait des Herrn Maire, sowie die ganze Situation in meinem Skizzenbuch aufzubewahren; Niemand wagte mir auf die Finger zu sehen: ich notirte ja vermuthlich diejenigen, die des Aufhängens am würdigsten waren, falls die Lieferung nicht pünktlich erfolgte.

„Zwanzig Centner ließen sich vielleicht wohl auftreiben,“ meinte schüchtern der Maire. Aber Herr K. bestand auf fünfzig und bewies sehr augenscheinlich, daß dieses Quantum für ein Dorf von solcher Größe gar keine Sache von Bedeutung sein könnte. Der Maire verschanzte sich hinter der Ausrede, der übrige Hafer sei noch nicht ausgedroschen.

„Dann kann heute Nacht gedroschen werden,“ war die Antwort, und mit diesem Bescheide mußte man sich zufrieden geben.

Wir ritten weiter; in den übrigen Ortschaften wickelte sich der Handel glatter ab. Herr K. schien mit den gemachten Geschäften ganz zufrieden zu sein. Als wir in Margut wieder eine kleine Rast machten, wurde selbst der vin Champagne nicht geschont, und wir konnten beim Heimritt allen guten Geistern danken, daß unseren Pferden der Schwerpunkt nicht ebenso verschoben war wie uns; sonst wäre es uns bei der Dunkelheit und dem glatten Schnee wohl schwerlich gelungen, den Herrn Intendanten nach Thonne le Thil und uns nach Avioth glücklich zurückzubringen.

Der Hafer war am folgenden Tage pünktlich zur Stelle.

H. Knackfuß.

Einen neuen Beitrag zum Aberglauben des Soldaten im Kriege erhalten wir aus Chelles zugeschickt. Ein Freund unseres Blattes schreibt uns von dort: Der Schutzbrief, den Sie in Nr. 1 Ihres Blattes zum Abdruck gebracht haben, ist bei meinem Regiment (Nr. 107) in unzähligen Exemplaren verbreitet und die meisten Besitzer desselben glauben an seine Wunderthätigkeit, obgleich doch kaum ein Tag vergeht, an welchem ihnen nicht die Abgeschmacktheit und Unstichhaltigkeit ihres Glaubens durch nur zu blutige Beweise vor Augen geführt wird. Von dem abergläubischen Sinn so vieler Soldaten zeugt auch der Umstand, daß sie eine große Furcht davor haben, das Wort „letzt“ auszusprechen, besonders wenn eine Schlacht in Aussicht steht. Ich lag vor wenigen Wochen mit einem alten Soldaten zusammen im Quartier; es war ein Landwehrmann und Vater von, ich glaube, vier Kindern. Mit dem spielte ich eines Tages Scat. Als ich genug hatte, sagte ich: „Jetzt wollen wir das letzte Spiel machen.“ Darüber gerieth nun mein Partner außer sich: „Im Kriege,“ rief er, „paßt der Teufel wie ein Heftelmacher auf und nimmt den Soldaten gern beim Wort. Heraußen im Felde darfst Du nie sagen, daß Du eine Sache zum letzten Male thun willst, sonst thust Du sie auch wirklich und im vollsten Sinne des Wortes zum letzten Male.“ Eine solche kindische Scheu vor einem unschuldigen Worte hatte der Mann, der schon zahlreiche Gefechte und Schlachten mitgemacht, in ihnen wie ein Eber gekämpft und sich durch seine Tapferkeit das eiserne Kreuz errungen hatte. – Ein Anderes ist, daß der abergläubische Soldat nie auf ein Nahrungsmittel tritt. Ich kann Ihnen auch hiervon ein schlagendes Beispiel erzählen. Unser Regiment hatte bekanntlich am 18. August die Aufgabe, St. Privat zu stürmen. Von Mittags zwölf Uhr bis zum Abend sechs Uhr mußten wir in der glühendsten Hitze und ohne auch nur einen Schluck Wasser zu haben, marschiren; dabei ging unser Weg über Stock und Stein, über Felder und Wiesen, durch Hecken und Gräben. Aber trotz der außerordentlichen Ermüdung, welcher wir ausgesetzt waren und in der man, zuletzt nur noch stolpernd, den Fuß eben da hinsetzte, wo er gerade hinkam, beobachtete ich eine Menge Soldaten, welche sich durchaus hüteten, auf eine Kartoffelstaude zu treten. „Schonen wir das unschuldige Leben der Pflanzen nicht,“ meinten sie, „so wird auch unser eigenes Leben nicht in Acht genommen.“ Durch letztere Rede klingt fast etwas wie ein pantheistischer Zug. Es ist aber doch wohl zu bemerken, wie die gleiche Ursache so grundverschiedene Wirkungen haben kann und wie der Krieg die Einen verwildert, während er die Andern empfindsam macht. Zu den letzteren, zu den Empfindsamen im Kriege gehören offenbar die Kartoffelstaudenschoner.


Lebrecht Dreves, der Dichter, der Freund Joseph von Eichendorff’s, mit dem er im Jahre 1848 zu Dresden im Linke’schen Bade wohnte, und der seine Gedichte mit einem Vorwort versehen in Berlin bei Alexander Duncker herausgab, ist am 19. December v. J. nach langen Leiden zu Feldkirch fünfundfünfzig Jahr alt gestorben. – Sein Tod ist in der literarischen Welt unbeachtet geblieben, wie dies in einer Zeit, wo der Tod eine so reiche Ernte hält, nicht anders zu erwarten stand; zumal die Muse des Verstorbenen schon seit längerer Zeit verstummt war. Und doch hätte der Geschiedene es verdient, daß sein Tod nicht so gänzlich, wie es geschehen, unbeachtet geblieben wäre. Er hat im Leben manch ein hübsches Lied gesungen, seines Meisters und Freundes Eichendorff würdig. Vielleicht giebt vorstehende Notiz Veranlassung, seiner Gedichte mehr als geschehen wieder zu gedenken. Wir wünschen es! Die 3. Auflage derselben ist vor Kurzem, Halle bei E. Barthel, erschienen.

Friede seiner Asche!


Zur Beachtung. Wir sind leider auch heute noch nicht im Stande, mit den neulich versprochenen Beiträgen aus dem Felde von Fr. Gerstäcker und F. Hofmann zu beginnen. Von letzterem wissen wir nur, daß er in den gefahrdrohenden Tagen des Zusammenstoßes von Bourbaki und Werder in Nanzig festgehalten und zu unfreiwilligem Aufenthalt dadurch gezwungen wurde, daß die damals kecker auftretenden Franctireurs den regelmäßigen Eisenbahnverkehr in der Richtung nach Chalons und Epernay zu hindern wußten – von Ersterem sind wir noch ohne jede Nachricht. Doch zweifeln wir nicht, daß die beiden Herren schon längst am Ort ihrer Bestimmung angelangt und daß jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, ihre Berichte für die Leser der Gartenlaube bereits unterwegs sind.



Kleiner Briefkasten.

M. G. Daß die angezogene Stelle in dem Artikel des Dr. Schweinfurth, „Beim braunen Cäsar“, Ihrem Scharfsinn nicht entgehen würde, haben wir erwartet. Uebrigens sind wir schuldfrei; es ist vielmehr, wie alle Freunde des Verfassers wissen, eine Eigenthümlichkeit desselben, sich gerne in so seltsamen Wendungen, wie „an einem jener Märztage, an welchen bei uns der Juli so reich ist“ zu ergehen und an solchen paradoxen Redeweisen – man sagt, in Folge früherer, leidenschaftlich betriebener Lecture – Geschmack zu finden.

C. R. Zweiundzwanzigjährige Frau! Ihr Geständniß, daß Sie noch so jung sind, ist rührend. Wir bitten Sie trotzdem, über Ihre Novelle mit genauer Adressenangabe zu verfügen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Dies wird wohl derselbe Hauptmann v. Friesen sein, unter dessen Leitung jüngst die dritte Compagnie vom obengenannten Regiment Nr. 100 und die zehnte Compagnie des Grenadierregiments Nr. 101 das kecke Soldatenstücklein lieferten, die Meierei Groslay im Walde von Bondy zu überfallen und fünf Officiere sammt zweihundert Mann Franzosen zu Gefangenen zu machen. In Begleitung des Herrn v. Friesen war noch der Lieutenant Westhof.
    D. Red.