Deutschlands größte Tragödin
Deutschlands größte Tragödin.
Zwei Schröder, Frau und Mann,
Umgrenzen unsres Drama höhern Lauf;
Der Eine stand in Kraft, als es begann,
Die And’re schied – da hört’s wohl, fürcht’ ich, auf.
Eine melancholische Weissagung, welche Grillparzer schon im Jahre 1854 in das Album der großen Schauspielerin schrieb, und die wir hier an die Spitze dieser Zeilen gestellt haben. Sophie Schröder selbst konnte sich in den Jahren, da sie sich längst von der Bühne zurückgezogen hatte, ohne jedoch diese nur im Geringsten außer Acht zu lassen, einer gleichen trüben Ahnung, wie sie ihr bewundernder Freund Grillparzer ausgesprochen hatte, nicht erwehren, und zürnend rief sie einmal aus: „Die Kunst geht unter, das Handwerk siegt. Je mehr es glitzert und prasselt und rauscht, desto größer ist der Jubel! Große Namen – kleine Künstler. Und die sogenannten Künstlerinnen? Toilettemachen – das ist Alles. Aber Begeisterung – Leidenschaft – ohne die keine dramatische Kunst sein kann, lieber Gott! – Ja, eine Leidenschaft, mit der man das Haupt an den Wänden blutig schlägt – – – eine Leidenschaft, wenn auch Wasser und Brod und ein leinen Kleid dazu – aber Himmel, eine Leidenschaft!“
Derjenige, dessen Aufzeichnung wir diese denkwürdigen Worte verdanken, setzt hinzu: „Bei diesen Worten sah ich die große Sophie Schröder und bekam eine Ahnung von Phädra und Medea – Die mittelgroße, aber immer noch volle, rüstige Gestalt wuchs und dehnte sich – die Augen klärten sich, bekamen Leben und Gluth, und wie mit einem Zauberhauche waren die zweiundsiebzig Jahre von diesem Antlitz hinweg geweht. Sie war wieder jung durch eine Leidenschaft!“
Sophie Schröder, die Mutter und große Lehrerin der Schröder-Devrient, war die größte Meisterin deutscher tragischer Kunst, sie steht in ihrem Fache einzig da, ein Vorbild für die deutsche Schauspielerwelt, eine Gestalt voll Weihe und Größe, voll Anmuth und Erhabenheit. Ihr Erscheinen war das der dominirenden geistigen Kraft, das der königlichen Herrschaft über ihren Stoff, ihre Umgebung und ihre Hörer; der sittliche Ausdruck davon war es, der so überwältigend immer hervortrat, der Ausdruck der moralischen Größe eines vollwichtigen, in sich eisenfest abgeschlossenen Charakters; es war die erhabene Weihe der tragischen Kraft, die sich glanzvoll in allen ihren poetischen Gebilden wiederspiegelte.
Sophie Schröder besaß in einem Grade, wie Niemand, die hinreißende Kunst der Declamation. Sie besaß die Kunst, den Sinn der Einzelnheiten mit seinem charakteristischem Empfinden zu malen und dabei durchweg den Hauch einer schwunghaften, schönen Idealität walten zu lassen. Bestimmt und deutlich sprach sich der Gehalt des bezeichnenden Wortes aus; die Rede strömte fest und sicher, und wo Gefühl und Leidenschaft mit heftiger Stärke hervortraten, schoß kein Laut über das rechte Ziel hinaus. Denn es war immer die gediegenste Besonnenheit und Ruhe, womit sie selbst in der größten Leidenschaft ihre Rolle beherrschte. Ihr war vollständig jene würdevolle heilige Ruhe eigen, welche die beredte Verkünderin des herrlichsten inneren Lebens ist, jene edle Einfachheit und stille Größe, welche Winckelmann im Sinne hatte, wenn er sagte: „wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag auch noch so wüthen, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren des Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.“ Diese besaß Sophie Schröder, weit unter ihr lag das „Gemeine“, sie war die Trägerin des vollendetsten, anbetungswürdigsten Idealismus.
Eine so große Künstlerin mußte auch als Weib fest in sich ruhend und bedeutend sein. Was von ihrem Lebenslauf bekannt ist, bringt den Beweis dafür; leider aber war die große Tragödin selbst bemüht gewesen, alle Erinnerungen, die nicht ihrer Kunst, sondern ihrer Persönlichkeit, ihrem Leben galten, zu vernichten – ein großer, charakteristischer Zug der Künstlerin - groß gegenüber der koketten Eitelkeit, mit welcher Sophie Schröder’s Nachfolgerinnen und Nachfolger, die Pfleger und Träger des kunstzerstörenden Virtuosenthums, ihre theuere Person auf ellenhohe Socken zu stellen pflegen. Ein Biograph Sophie Schröder’s hat einen schweren Stand, denn als Leitfaden vermögen ihm nur die Erinnerungen der Kinder, die Darlegungen der Zeitgenossen zu dienen, sie selbst hat Nichts hinterlassen, was sein Forschen irgendwie fördern könnte. Es war im Jahre 1854, als eine bösartige Cholera-Epidemie und die Abwesenheit ihres Sohnes in Sophie Schröder eine trübe Stimmung und den Gedanken hervorbrachte, daß ihrem Leben einsam ein schnelles Ende gesetzt sein könnte. Sie erschrak, ihre Papiere sollten nicht in unrechte Hände fallen. So wurde Alles vernichtet, was auf die Vergangenheit Bezug hatte, und damit sicher viele Documente von den Händen bedeutender Männer und Frauen, worauf die Geschichte ein Anrecht gehabt. Das geschah im vollen Bewußtsein der That; in dem Erkennen, von ihrer Kunstgröße nichts hinterlassen zu können, hielt sie die Erlebnisse einer einfachen und, wie sie selbst gesteht, oft irrenden Frau des Andenkens nicht werth.[1]
Sophie Schröder verwendete auf das Einstudiren ihrer Rollen die denkbar größte Sorgfalt. Sie selbst sagte: „Ich las meine Rollen so lange durch, bis ich mich dabei ausgeweint hatte, und erst dann ging ich an das eigentliche Studium und suchte die gehabten Empfindungen im richtigen Maße der Steigerung zu reproduciren.“ Eine vortreffliche, reich ausgestattete Bibliothek gewährte ihr die Möglichkeit, bei den Stücken auf historischer Grundlage vor dem Studium ihrer Rolle die einschlagenden Geschichtswerke in Berathung zu ziehen, um den Geist der Zeit zu ergründen, in welchem sie sich zu bewegen habe; gleichwohl hat ein gewisses Gefühl des Zagens in den ersten Minuten des Auftretens die Künstlerin durch ihr ganzes Leben begleitet, und selbst in der Periode ihrer größten Triumphe stellte sich diese beängstigende Empfindung bei jeder neuen Rolle, bei jedem neuen Publicum ein.
Sie begnügte sich – um nur Eines als Beweis für ihren großen, rastlosen Eifer anzuführen – nicht mit der einfachen Benützung des von der Natur ihr verliehenen prachtvollen Rede- Organs, sondern unterwarf dieses einer besonderen andauernden Schulung. Von ihrer Tochter Elisabeth, welche ihr die Rollen überhören mußte, weiß man, daß sie dieselben mit einem zwischen [767] die Zähne geklemmten Korke hersagte. Es geschah dies, um sich des vollständigen Gebrauches des Buchstaben S zu versichern, der für die Deutlichkeit der Rede, nach ihr, von größter Bedeutung sei; gleichfalls pflegte sie das R, welches bei germanischen Völkern wenig anlautet und ohne dessen richtigen Gebrauch die Rede allen Glanzes entbehrt. Wurde nun schließlich das Hinderniß des Korkes entfernt, so ging ein Strom der Rede aus ihrem Munde, für dessen Gewalt es keine Hemmung gab, als den eigenen beherrschenden Willen.
[768] Wie mächtig ihr Bildungstrieb war, geht auch daraus hervor, daß sie noch im vierzigsten Jahre Englisch lernte und in ihrem siebenzigsten einen französischen Sprachlehrer hielt, um eine in Vergessenheit gerathene Sprache wieder aufzufrischen. Dabei war sie eine aufrichtige Patriotin, wie sie mit großer Kühnheit in Hamburg selbst dem Marschall Davoust bewies, und daß sie sich gern und eifrig als warme Vertheidigerin des Royalismus sprechen hörte, ist begreiflich und nur ein dankbarer Zug ihres Herzens; sie hat ihr ganzes Leben lang von Kaiser und König nur Huldigungen empfangen.
Bei allem Ernst der Kunst aber, bei allem Eifer und Studium war und blieb sie Weib genug, um ihr leicht bewegtes Herz nicht jenen Leidenschaften zu verschließen, welche von je dem weltfüllenden Genius als verhängnißvolle Begleiter fluch- und segenreich mitgegeben sind. Den Fuß auf Wolken zu setzen, ist hienieden versagt; die glühende, unbefriedigte Seele jagt nach Ersatz und sucht ihn in Verhältnissen, die ihn oft nicht gewähren. Sophie Schröder war nicht immer glücklich: sie war dreimal verheirathet und zweimal wurde das Band der Ehe wieder freiwillig gelöst; vielleicht war auch sie von Schuld nicht frei – doch wer wird auf die schöpferischen, mit dem Prometheusfunken begnadigten Genien der Menschheit einen Stein werfen, wenn sie mächtiger, heißer, voller fühlen und begehren, als wir Anderen? Die Künstlerin selbst ruft auf einem Papierstreifen, der sich in ihrem geringen Nachlaß gefunden: „Wir sollen Euch die ganze Wahrheit auf der Bühne darstellen, was scheltet Ihr uns, wenn wir sie selbst empfinden?“ Diese Worte sind der rührende Aufschrei eines leidenschaftlichen Herzens, das die Anklage der Welt gegen sich gerichtet und für seine Verirrungen nur die Größe des eigenen Talents schuldig zu sprechen weiß.
Es sind wenige Tage, daß auf dem neuen südlichen Kirchhof zu München über der Grabstätte Sophie Schröder’s die Marmorbüste der vor nun bald zwei Jahren Dahingeschiedenen aufgestellt wurde. Die erste Anregung hierzu war vom Intendanten des Münchener Hoftheaters, Baron von Perfall, ausgegangen, und seiner Aufforderung hatten die Hof-Intendanzen und dramatischen Künstler Deutschlands in einer nur sie selbst ehrenden Weise entsprochen.
Professor Zumbusch wurde mit der Ausführung des Monumentes betraut, und gerade für Sophie Schröder, die Trägerin und Priesterin des classischen Idealismus, hätte kein tüchtigerer Bildner gefunden werden können, als eben er, dessen ideale, schönheitdurchwehte Gestalten ihren Schöpfer rasch berühmt gemacht haben. Aus seinem Atelier, in dessen hohen Räumen eben die gewaltigen Figuren zum Münchener Königsdenkmal voll stolzer Schönheit aufgebaut werden, ging denn auch die Büste der gefeierten Tragödin in einer Weise hervor, deren classische Einfachheit im Entwurf ebenso sehr die Bewunderung erregt, als die vollendet schöne und naturtreue Ausführung.
Daß Zumbusch das Modell zu der dem Friedhof zur schönsten Zierde gereichenden Büste unentgeltlich gefertigt, ist ein Act echt künstlerischer Pietät gegen die Verstorbene.
Die Kolossalbüste ist aus weißem carrarischen Marmor gefertigt und trägt unter der Brust den Namen „Sophie Schröder“. Im oberen Theile des aus gelbrothem Marmor hergestellten Postaments ist in Lapidarschrift zu lesen: „Geboren am 1. März 1781 zu Paderborn; gestorben am 25. Februar 1868 in München.“ Darunter befinden sich aus Erz gegossen die Embleme der tragischen Muse. Auf dem unteren Theile des auf einem Würfel von schwarzem Granit ruhenden Postaments aber stehen die Worte: „Dem Andenken der großen Tragödin von ihren deutschen Kunstgenossen.“
- ↑ Was Zuverlässiges gesammelt werden konnte, finden diejenigen
unserer Leser, welche sich genauer unterrichten wollen, in dem soeben
erschienenen Buche „Sophie Schröder, wie sie lebt im Gedächtniß ihrer Zeitgenossen und Kinder.“ Wien, Wallishauser. Das Buch ist von der
berufenen Hand ihres Schwiegersohns, Dr. P. Schmidt, geschrieben und
kann in seiner geist- und liebevollen gründlichen Zusammenstellung des
vorhandenen Materials als ein würdiges Andenken an die große Tragödin
von uns auf das Beste empfohlen werden. Zahlreiche Briefe interessanter
Persönlichkeiten, darunter König Ludwig der Erste, der zu der Künstlerin
in freundschaftlicher Beziehung stand, Emilie von Gleichen, Auguste
Crelinger, Amalie Heizinger, Louise Neumann, Marie Seebach, Castelli,
Emil Devrient, Herloßsohn, La Roche, Lewinsky und Andere, illustriren
das elegante Buch, welches an poetischen Beiträgen Gedichte an die
Gefeierte von Bauernfeld, Bodenstedt, Redwitz, Schloenbach, Herman Schmid und Anderen bringt, und mit einem Anhange „Aus Sophie Schröder’s
Album“ schließt, in welchem wir Namen wie Grillparzer, Grunert, Ludmilla Assing, Hebbel, Ludwig Löwe, Riehl, Varnhagen u. A. vertreten
finden – ein Inhalt, dessen vielseitiger Reichthum dem Werke mit Recht
die weiteste Verbreitung sichert. D. Red.