Textdaten
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Autor: Franz von Nemmersdorf
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Titel: Eine Mord-Weihnacht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 768–770
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Mord-Weihnacht.

Weihnachten naht, das schönste christliche Fest, das Fest der Liebe und der Freude, des Wohlthuns und der Barmherzigkeit. Es naht mit seinem flittergeschmückten Tannenbaum und den strahlenden Kerzen, und wo sein Glanz hinfällt, zeigt er lachende, fröhliche, glückliche Gesichter. Draußen wirbeln die Flocken durch die Straßen, die einsam und verlassen seit dem Einbrechen des Abends daliegen und sich erst dann mit gedrängten Schaaren Andächtiger beleben, wenn durch die Stille der Mitternacht das weithin hallende Geläute der Glocken zur Christmette in die lichtschimmernden Kirchen ruft.

Das ist ein schöner Brauch in Süddeutschland und namentlich in dem katholischen München. Die vollen Töne der Orgel und triumphirende Chorgesänge brausen hernieder in das Schiff der Kirche, das dicht von Betenden erfüllt ist; das Licht von Hunderten kleiner Wachskerzen bricht nur ungewiß durch den hohen, nachtbedeckten Raum, und von dem glanzumgebenen Hochaltar spricht der Priester den Segen. Die gläubigen Münchener lassen sich diesen nicht gern entgehen und üben alljährlich die fromme Pflicht. Sie wissen aber auch von einer Weihnacht, die mit Blut und Todtschlag an ihrer alten Stadt vorübergezogen ist, und wenn heute noch jedes Kind davon zu erzählen weiß, so ist es, weil sie sich gern der damals von den Söhnen ihrer Berge bewährten opfermuthigen Treue gegen Fürst und Vaterland rühmen.

Es war für die Baiern ein trauriges Fest, die Weihnacht vom Jahre 1705, in welchem der Tod blutige Ernte hielt, und mit kurzer flüchtiger Skizze mag hier geschildert werden, wie in so heiliger Zeit so großes Elend über das Land gekommen.

Die weite, freie, sandige Hochebene, auf welcher München liegt, verengert sich südlich zum grünen, waldigen Isarthale, bei Tölz die Region der baierischen Hochalpen betretend. Der in diesen hausende Oberländer unterscheidet sich von den Bewohnern der Ebene gerade so, wie die Hochlands-Clane von den schottischen Niederländern. Treu und fest hängen sie zäh am Alten, sind starr, gleich den Granitblöcken ihrer Heimath. Wenn sie zur Hauptstadt niedersteigen aus ihren grünen Bergen, will es ihnen dort nicht recht gefallen. Die armen Gebirgsbauern sind an ein Gut gewöhnt, das kein Reichthum in das Gewühl der Städte zu zaubern vermag: die reine, frische Luft ihrer Höhen! Sie peitscht ihnen das Blut munter durch die Adern und verleiht ihnen den hitzigen, kampfbereiten Muth.

Eine große Idee begeistert diese Menschen, treibt sie unaufhaltsam vorwärts. Auch die Bauern in den von der Isar durchströmten baierischen Gebirgsgauen hatten eine solche herausgegriffen unter den mannigfachen Gründen des Aufstandes, dessen Fahne sie im Jahre 1705 erhoben. „Die Kinder erretten!“ war ihr treuherziges Feldgeschrei.

Das war, nachdem der Kurfürst Maximilian Emanuel im Türkenkriege viel für Oesterreich gethan hatte; er sah sich schlecht gelohnt, und da die offene spanische Erbschaft ihn vollständig mit dem Hause Habsburg entzweite, schloß er ein Bündniß mit Ludwig dem Vierzehnten. Prinz Eugen’s und Marlborough’s Sieg bei Hochstädt (13. August 1704) legte Baiern dem Feinde bloß. Der Kurfürst zog sich in seine Statthalterschaft der Niederlande zurück, seiner Gemahlin Therese Sobieska die Regierung übertragend. Entschloß sich die Tochter des tapferen Polenkönigs, die zahlreichen Elemente der Volkswehr aufzubieten, dann war noch Rettung möglich, aber der Jesuit Schmacker, ihr alles vermögender Rathgeber, zog vor, die bethörte Frau nach Venedig zu locken. Große österreichische Corps rückten nun an, die Sieger wollten das Land zerstückeln, alle Gräuel des Krieges, unerschwingliche Lasten drückten den Bürger und insbesondere den Bauer; dazu gesellte sich noch eine bedeutende Recruten-Aushebung, bei der man Nachts die junge Mannschaft gebunden aus den Betten holte. Das Maß des Ertragens für ein wehrhaftes Volk war vollgerüttelt. „Lieber baierisch sterben, als kaiserlich verderben!“ so scholl es zuerst vom Nordgau aus. „Brüder, es muß sein!“

Gleich einer Lawine schwoll die Volksbewegung an, die Unterländer waren der Kopf derselben, die Oberländer aber das feurige Herz. In Tölz kamen sie zusammen zu tagen und die gewaltsame Hinwegführung der kurfürstlichen Kinder zu verhindern und dort wurde sogleich der Zug nach München beschlossen. Umsonst mahnten einige Vorsichtige ab, mit allzu geringen Mitteln, ohne die nöthige Kundschaft und Vereinigung mit den unterländer Insurgenten das Wagniß zu begehen. Die heißköpfigen Gebirgsbauern wollten von keinem Aufschube wissen. Der Jägerwirth aus der Hauptstadt, ein geborener Tölzer, versicherte [769] sie der Mitwirkung der Bürgerschaft. Ein Thor sollte ihnen heimlich geöffnet werden, unter ihren langen Mänteln würden die Bürger auf dem Wege zur Christmette die Gewehre verborgen tragen, so werde man die österreichische Garnison leicht überwältigen und den Feind aus der Residenz, ja vielleicht sogar aus dem Lande werfen können.

In hellen Haufen brachen sie auf, Alles am Wege mit sich fortreißend, Beamte mußten mit ihren Gerichtsunterthanen folgen. Bei der Prämonstratenser Abtei Schäftlarn an der Isar war der Halt- und Sammelplatz. Auch hier kam es denn wieder zur Ueberlegung, die Beamten trugen Bedenklichkeiten vor, sie hegten Zweifel an der Echtheit der vorgezeigten, den Aufstand empfehlenden kurfürstlichen Patente. Namentlich hatte der Postmeister von Anzing einen Boten geschickt mit der Nachricht, daß auf Vereinigung mit der unterländischen Landesdefension nicht zu rechnen sei. Wiederum riethen die Besonnenen zur Umkehr. Aber die Tölzer Schützen besetzten die Brücke und drohten Jeden niederzuschießen, der nicht mithielte. Noch mahnte der zum Führer gezwungene Alram, Pfleger von Vallay, zum Rückzuge, er wollte das Heranziehen von Verstärkung und die Verbindung mit dem an vierzigtausend Streiter zählenden Volksheer aus dem Unterlande abwarten; der Jägerwirth aber drang durch, unterstützt von seinem tollen Verwandten, dem Tölzer Schützencommandanten Jäger. Letzterer vermaß sich nöthigenfalls mit seinen Schützen die Stadt allein zu nehmen, und in der Christnacht müßte es losgehen. Auch der Feind könne Verstärkung heranziehen und die Unterländer Landesvertheidiger sollten sie schon als Herren von München finden. Während dieser Berathung gelang es Oettlinger, dem Pfleger von Starnberg, in die Stadt zu entkommen und dem Befehlshaber Graf Löwenstein Kunde zu bringen. Alram aber blieb nichts übrig, als seine Leute in Marschordnung zu stellen, und die opfergeweihte Schaar gegen seine bessere Ueberzeugung vorwärts zu führen. Im Ganzen waren es zweitausendsiebenhundertneunundsechszig Mann, von denen zweihundert Mann an die Isarbrücke als Wache postirt wurden. Ein zweiter Haufen kam durch den Forstenrieder Wald angezogen, die Streitkräfte der Bauern auf vier- bis fünftausend Mann erhöhend.

Eine kleine Stunde von München isaraufwärts liegen die drei Dörfer Sendling. Hier machte das Volksheer noch einmal Halt. Der Pfleger Alram trug den Sendlinger Bauern auf, die Lagerfeuer zu unterhalten, damit der Feind über ihr Vorrücken sich täusche. Dann ging er an’s Werk, ohne Hoffnung, ohne Vertrauen auf den Ausgang, aber mit festem Mannesmuthe.

Das leichte Zurückwerfen eines österreichischen Streifpikets steigerte noch die Zuversicht der Hochlandssöhne. Der erste Anprall des kraftvollen Menschenschlages aus den Bergen, von den Seen, von den Quellen der Flüsse war unwiderstehlich, fürchterlich.

Das Isarthor fiel ihrer stürmenden Hand, um zwei Uhr waren sie eingedrungen. Umsonst indessen strengten sie die sehnsüchtigen Blicke an, das Feuersignal vom Petersthurme zu schauen, welches die Erhebung der Bürger und damit die Oeffnung der inneren Thore verkünden sollte, denn sie befanden sich erst in der Vorstadt. Sie ahnten nicht, wie schaurig öde es in den Straßen der Hauptstadt war, deren gewarnte Machthaber bei Lebensstrafe Jedem geboten hatten, sich ruhig zu Hause zu halten.

Sechs kostbare Stunden gingen nutzlos verloren, während welcher die Hochländer ihrer Lust fröhnten, Pulver zu verpuffen; mit zwei kleinen, dem Kloster Benedictbeuren entnommenen Kanonen beschossen sie die Mauern und pürschten mit ihren Stutzen Jeden weg, den sie auf der Brustwehr erblickten. Auch ließen sie es nicht an einer übermüthigen Aufforderung zur Uebergabe fehlen. Grau brach der Wintertag an, die harte Erde dröhnte unter dem Anmarsch der aufgebotenen regulären Armee. Von dem hohen rechten Isarufer herüber kündete General Kriechbaum mit den drei Kanonenschlägen den Entsatz an. Die Bauern hatten den strategischen Fehler begangen, die dominirenden Höhen und die wichtige Brücke unbesetzt zu lassen. Zwar befanden sich einige der entlassenen bairischen Officiere und in des Kurfürsten Diensten gestandene Franzosen unter ihnen; doch die letzteren konnten sich dem Volke nicht verständigen, an Mannszucht war ohnehin nicht zu denken. Unverzüglich ließ der österreichische General seine Grenadiere und sein Fußvolk in dichter Colonne im Sturmschritt über die Brücke marschiren, während die Reiterei über den im Augenblick wasserarmen Fluß setzte. Vom Isaranger aus und durch’s Sendlinger Thor machte zugleich die Besatzung einen Ausfall und nun begann ein fürchterliches Blutbad. Denn Husaren und Panduren gaben, Alles niedermetzelnd, keinen Pardon, die Sensenmänner aber mäheten die Köpfe der Gegner weg und ihre Schützen fehlten selten das Ziel.

Gegen die Uebermacht hartnäckig kämpfend, zwischen zwei Feuern, zogen sich die Bauern über ein drei Viertelstunden breites, keinen natürlichen Schutz bietendes Wiesenfeld gegen Sendling zurück. Sobald sie die dortigen Verhaue erreicht hatten, bildeten sie wieder feste Massen. Noch einmal wurden die Husaren rückwärts formirt, um theils über die heutige Theresienwiese, wo auf der Anhöhe drei Mörser standen, theils von der Thalseite her die Bauern zu überflügeln, was auch gelang. Das Fußvolk stürmte die Verhaue; jedes Haus, jeder Zaun, Graben, jede Hecke wurden mit Wuth vertheidigt und – genommen. Einem halben Tausend Bauern nur gelang es, sich mit geringem Verluste nach dem Forstenrieder Forste durchzuschlagen; die Uebrigen, wer es noch vermochte von der geschmolzenen Schaar, flüchteten sich auf den Kirchhof, dort sollte die Mauer als Brustwehr dienen, das arme Leben theuer zu verkaufen. Bald war es nur ein Schlachten mehr. Als sich der Wintertag zu Ende neigte, waren die Gefangenen und Verwundeten fortgeschleppt, und der Rest der Landesvertheidiger lag todt oder unter den Erschlagenen versteckt auf dem ländlichen Friedhofe. Während des Gemetzels in Sendling war, im Rücken des General Kriechbaum, der Bauern Hauptmacht über Anzing her im Anzuge, bis versprengte Flüchtlinge auf sie stießen mit dem Rufe: „Alles ist verloren!“

Sechshundert Verstümmelte wurden den Münchener Bürgern zum „abschreckenden Exempel“ auf die Straßen der Stadt geworfen, in der Decemberkälte und ohne Labung und Verband! Was bis zur Nacht nicht ausgelitten, durfte von mitleidigen Seelen in Spitäler gebracht werden. Aber nur Wenige hatten den Muth, mitleidig zu sein! Mit empörender Gleichgültigkeit berichtet der österreichisch gesinnte Bürgermeister von Vacchiery „die Mord-Execution“ an einen Freund in Landshut. Die Scharfrichter und Henker bekamen viel Arbeit in München: was irgendwie an der Spitze gestanden, alle die in Feindeshand gerathenen Officiere verfielen ihnen. Der Jägerwirth wurde geviertheilt, dem wackeren Alram aber gelang es, sich zu salviren. So endeten die Mordweihnachten des Jahres 1705. –

Von München nach Sendling ist es ein angenehmer Spazierweg. Der Theresienwiese entlang führt der Pfad auf der südlichen Hügelkette an dem im italienischem Landhausstil erbauten Schießhaus und bald nachher an dem die Bavaria nebst ihrer Walhalla umgebenden Hain vorüber.

Von da an betritt der Pfad das freie Feld, unten gruppirt sich die Stadt, dem Anscheine nach wenig bedeutend, am Ufer des Flusses hin, im fernen Süden erscheinen bläulich verschwommen die Hochalpen. Der Fußweg schlängelt sich um ein schönes, ländliches Gehöfte, ihm gegenüber, jenseits der Landstraße erhebt sich die Kirche von Untersendling. Wir befinden uns auf der Stelle des wüthendsten Kampfes. Heute sieht es so idyllisch friedlich hier aus, wie nur ein stiller, ländlicher Ruheplatz sein kann.

Das Andenken der Gefallenen lebt noch fort. An der Kirche ist ein schönes in lebhaften Farben gehaltenes Schlachtenbild von Lindenschmitt. Der berühmte Schmied „Baldes Maier“ von Kochel bildet den Mittelpunkt, seine Stachelkeule wüthet unter dem Feinde, zur Hünengestalt wurde ein kraftvoller Greis der Jachenau als Vorbild genommen. Wehrhafte Jünglinge athmen zu den Füßen des Recken aus, braune Husaren, wilde Panduren säbeln sie nieder.

Zwanzig Minuten führen aus dem freundlichen Dorfe nach Mittersendling, einem beliebten Vergnügungsort und zugleich Station auf der Rosenheimer Bahn. Eine Viertelstunde später folgt Obersendling. Die Gegend ist waldig und hügelig geworden; an dem Hesseloher Forst vorbei, dem Botaniker seiner reichen Flora halber bekannt, führt hier der Schienenweg über den Fluß auf das rechte Ufer, und ganz nahe liegt die Menterschwaige, allen Münchenern bekannt und lieb. An heitern Sommertagen unternehmen Tausende die Lustfahrt, oder wandern zu Fuß südlich in’s Isarthal. Der Strom wühlt sich tief unten sein steiniges Bett, die herrlich bewachsenen steilen Ufer umsäumen ihn grün, nördlich dehnt sich [770] majestätisch die Hauptstadt aus, im Süden winken die Berge, das weite Meer dunkler Forsten begrenzend. Aus ihren Schluchten, ihren Thälern und Höfen brachen vor hundertvierundsechszig Jahren die Schaaren auf nach München, sich selbst zu befreien und, wie sie so liebenswürdig, gutmüthig riefen, „die Kinder zu erretten“!

Sieg fanden sie nicht, wohl aber ein rühmliches Ende.[1]

Franz von Nemmersdorf.     




  1. Das Andenken daran ist durch Schauspiel, Novelle und Ballade bis auf die neueste Zeit fortwährend poetisch verherrlicht und erneuert worden und so bis heute, namentlich in Süddeutschland, wach und lebendig geblieben. Die Red.