Die Gartenlaube (1871)/Heft 5
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No. 5. | 1871. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Friedrich hatte sich längst mit den gebrauchten Sachen entfernt und konnte nicht von mir zum Zeugen aufgerufen werden, daß Blanche sich irre; der Abbé hatte mit ihm das Zimmer verlassen, um mir, wie er sagte, zu essen bringen zu lassen; wir waren allein.
„Ich ging, weil es meine Pflicht war, nicht über Nacht von meinem Posten zu bleiben,“ sagte ich. „Blos und allein deshalb!“
„In der That?“ rief sie mit besonderer Lebhaftigkeit aus. „Ist das wahr!“
„Gewiß – können Sie daran zweifeln?“
„Ich zweifle immer daran, daß ein Mann sich aus bloßem Pflichtgefühl eine große Anstrengung zumuthet, während er soviel Gründe oder Vorwände hat, sich die Nothwendigkeit derselben wegzuleugnen!“
„Sie haben keine große Achtung vor männlichem Pflichtgefühl!“ bemerkte ich.
„Nein!“ sagte sie trocken.
„Und doch war es blos das, was mich gestern Abend veranlaßte, mich loszureißen aus einer Situation, die – glauben Sie es mir – einen sehr großen Zauber für mich hatte; was mich verzichten ließ auf das Vergnügen, heute an Ihrer Seite heimzufahren …“
„So danke ich Ihnen,“ sagte sie lebhaft und mir wie unwillkürlich die Hand hinstreckend … „ich danke Ihnen, und will Ihnen obendrein noch gestehen, daß es mich freut …“
Sie stockte mit einem leichten Erröthen.
„Freut? Was?“
„Daß Sie fester gewesen sind, als ich gestern, wo ich Sie sehr nachgiebig fand, glaubte!“
„Aber, wenn ich Sie nun auch noch von aller und jeder Schuld an meinem Unfall freispreche, fällt auch für Sie die Pflicht fort, sich meiner Pflege anzunehmen und die barmherzige Schwester bei mir zu spielen.“
„Sie scheinen darauf auszugehen, mir dies schwer zu machen!“
„Nein, gewiß nicht! Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie glücklich es mich machen würde, wenn Sie bei mir – über die Pflicht hinaus – blieben …“
„Ah,“ fiel sie, wie um meine Versicherungen über diesen Punkt rasch abzuschneiden, lächelnd ein, „wir Frauen vermögen allerdings noch mehr, als was Pflicht ist, zu thun; aber es ist sehr viel verlangt, daß ich Ihnen einen Beweis davon geben soll.“
„Sie haben Recht, der Fremde, der ‚Feind‘, verdient das nicht um Sie. Wie müßte der Mann sein, um den Sie so viel thun könnten, etwas Schweres, etwas Außergewöhnliches, weit über die gewöhnliche Christenpflicht Hinausgehendes …“
„Er müßte ein außergewöhnlicher Mann sein, ein Charakter, der seine Leidenschaften zu besiegen und zu beherrschen verstände.“
„Doch mit Ausnahme der Leidenschaft für Sie!“ sagte ich.
Sie sah mich an, wie um den leisen Ton von Spott zu bestrafen, mit dem ich gesprochen.
„Nein,“ antwortete sie scharf, „er müßte auch die Leidenschaft für mich mit unerschütterlicher Kraft zu beherrschen und zu unterdrücken wissen, wenn die Vernunft oder die Pflicht es von ihm verlangten.“
„So weiß ich doch, auf was ich meine Wünsche richten muß – auf die Gelegenheit, vor Ihnen erscheinen zu können als solch eine Art Hercules, der die Lernäische Schlange seiner Leidenschaft, als eine Art Thierbändiger, der die Tiger seiner bösen Neigungen zu Boden ringt!“
„Ich spreche mehr im Ernst, als Sie zu glauben scheinen!“
„Und in meiner Seele, Blanche, ist ebenfalls mehr Ernst, als meine Worte verrathen mögen!“ sagte ich, ihre Blicke suchend.
Sie sah mich wie betroffen über die vertrauliche Anrede an, wandte dann rasch die Augen zur Seite und sagte:
„Ich muß Ihnen doch den Ueberfall, dessen Opfer Sie wurden, erklären. Ich vernahm Alles bereits in der ersten Morgenfrühe von dem Pächter in Colomier. In dem Weiler, durch welchen wir fuhren, hatte Ihre Erscheinung ein großes Aufsehen, eine bedeutende Aufregung hervorgerufen; man hatte sich am Abend in der Schenke zusammengefunden; dort hatten sich die Köpfe erhitzt, unter dem Einflusse unseres feurigen Landweins war man in eine Erregung gerathen, in welcher die Worte und Reden nicht mehr genügten, sondern sich durch irgend eine That austoben mußten – und die That, welche man beschloß, war eine allgemeine Bewaffnung und ein Recognoscirungsmarsch auf Colomier gewesen, um zu erfahren, was aus den Herren Preußen, die nicht von dort zurückkehrten, geworden, was sie dort begännen und ob sie nicht etwa mich oder den Abbé, die sich zu ihrer Begleitung hergegeben, erwürgt oder von dannen geführt. Ein Haufe von ein Dutzend oder mehr Burschen setzte sich also in Bewegung und trabte mit den Waffen, die man an einen Theil der Bevölkerung vertheilt hat, durch den dunkelnden Abend gen Colomier. Etwa zehn Minuten vor unserm Gute stießen sie auf unsern Pächter, der eben heimkehrte; dieser hatte Mühe, ihren kriegerischen Eifer zu dämpfen und ihnen deutlich zu machen, daß die preußischen Soldaten [74] von seiner Herrschaft als Gäste behandelt würden und in bester Eintracht die Nacht unter ihrem Dache zubringen würden; er beschwor sie, ruhig heimzukehren; er drohte ihnen mit den Nachtheilen, welche es für sie haben würde, wenn sie einen Ueberfall der fremden Soldaten ausführten, und so gelang es ihm, sie zu überreden, heimzugehen. In ihrem Weiler daheim müssen sie jedoch zuerst wieder die Schenke aufgesucht haben, und das Unglück hat gewollt, daß sie Ihrer ansichtig geworden sind, als Sie durch das Dorf wanderten. Ich brauche Ihnen nicht zu schildern, wie fürchterlich ich erschrak, als der Pächter heute Morgen in der Frühe mir den ganzen Hergang erzählte. Was aus Ihnen geworden, wußte er nicht; so eilen wir, mein Vetter und ich, in größter Eile hierher – Ihr Diener war, als wir kamen, bald zur Hand und konnte wenigstens die Beruhigung geben, daß Sie lebend heimgekommen – aber es blieb die Angst um Ihre Verwundung und – über das, was Sie von uns denken konnten!“
„Ich sollte Ihnen dankbar sein für diese Sorge,“ erwiderte ich; „ich wäre es auch aus tiefster Seele, wenn Sie nicht diesen Zusatz machten! Es liegt darin für mich etwas furchtbar Kränkendes!“
„Mein Gott, Ihr Argwohn wäre so natürlich gewesen …“
„Nein; Argwohn, Mißtrauen, der Glaube an eine abscheuliche Heimtücke in meiner Brust gegen Sie wäre das Unnatürlichste, was es geben kann. Fühlen Sie das nicht? Sie müssen sehr blind, sehr taub gewesen sein, wenn Sie nicht wahrgenommen hätten, daß das nicht möglich ist!“
Ich sagte das sehr bestimmt, fast, fürchte ich, mit einem Ausdrucke des Zorns – wenigstens antwortete sie lächelnd:
„Und das erbittert Sie so? Wenn ich blind und taub war, so war das ja nur desto schlimmer für mich, die sich deshalb unnütz ängstigte, und es ist sehr undankbar von Ihnen, mir vorzuwerfen, daß der Gedanke mich geschmerzt habe, ich könne von Ihnen falsch beurtheilt werden!“
„Und doch ärgert mich furchtbar, daß Sie es denken konnten. Es giebt eben Gefühle, welche ihre eigene Logik haben!“
Sie erröthete wieder flüchtig – einer Antwort wurde sie überhoben, denn Glauroth trat ein. Er hatte von Friedrich gehört, daß ich erwacht und verbunden sei, und wollte sich jetzt selbst von meinem Ergehen überzeugen. Blanche benutzte die Gelegenheit, um stumm zu verschwinden.
Ich mußte Glauroth mein Abenteuer, obwohl er es längst von Friedrich gehört, noch einmal erzählen; die Conjecturen, die er machte und die viel von dem Mißtrauen enthielten, das Fräulein Blanche bei mir vorausgesetzt, schnitt ich ab, indem ich ihn nach seinen Erlebnissen am gestrigen Tage fragte. Er versicherte, ohne Unterbrechung meine Zimmer gehütet zu haben; sein Souper habe er sich hereinbringen lassen; der Gärtner, der es ihm servirt, sei nachher noch unter allerlei Vorwänden mehrmals hereingekommen – er sei endlich zwischen neun und zehn Uhr noch mit einem Mädchen zurückgekehrt, und dieses habe, offenbar in der Absicht, Glauroth zum Fortgehen zu bewegen, begonnen, aufzuräumen und auszukehren – der Gärtner habe ihm dabei bedeutet, die Zimmer müßten jetzt, da ich jeden Augenblick zurückkommen könne, endlich aufgeräumt, ausgestäubt, die Betten gemacht werden, was, da Glauroth den ganzen Tag darin geblieben, bis jetzt nicht habe geschehen können; mein Stellvertreter hatte darauf sehr freundlich genickt, wie er sagte, und war geblieben, war auch vor dem furchtbaren Lärm und Staub, den die Beiden machten, nicht geflohen – er war im Zimmer geblieben.
„Daß sie mich um die Welt gern hinausgehabt hätten,“ sagte Glauroth, „war mir durchaus klar. Aber ich wich nicht!“
„Tugendhafter Mensch!“ rief ich aus. „Und der Chevalier von Faublas?“
„Köstlich!“ versetzte er, „ganz köstlich! Muß sich unser Eins auf den Schulbänken jahrelang mit Cicero’s Reden und Xenophon’s Anabasis herumschlagen, und unterdeß giebt es solche Bücher in der Welt!“
Glauroth verbreitete sich in einer längeren Rede über die fesselnde Lectüre, die ich ihm verschafft; dann kam er zu der Sorge, die er um mich gehabt und die ihn doch nicht gehindert, sehr fest einzuschlafen, zu der Vorsicht, die wir gegen unsere Quartiergeber zu beobachten hätten, und den Fragen zurück, welche sich an die Absicht derselben, mich in Colomier zu halten und ihn aus den Zimmern fortzubringen, für uns knüpften. Ich beruhigte ihn, so weit ich konnte, um auf andere Gesprächsgegenstände zu kommen; ich beschrieb ihm unsere Fahrt und Colomier; es war mir peinlich, die argwöhnische und spöttische Weise, wie er von unseren Wirthen sprach, anzuhören; ich mochte ihn überhaupt nicht von Blanche reden hören, es gab mir jedesmal einen Stich.
Und doch war ich selbst ja nicht frei von Argwohn. Ich wußte, daß sie völlig unschuldig war an dem Ueberfalle; dagegen war es klar, daß man ein Geheimniß in meinen Zimmern berge und daß man mich und Friedrich daraus über Nacht fortzuhalten gesucht und daß die vorgeschlagene Partie nach Colomier keine Freundlichkeit war, sondern daß sie eine sehr berechnete Absicht hatte. Zwar in der Kammer da hinten konnte schließlich doch nichts Anderes verborgen sein, als etwa eine Anzahl guter neuer Repetirgewehre, welche jene flüchtigen Freischärler, die wir vor uns hergetrieben, da untergebracht, und die nun hinter unserm Rücken fortgeschafft werden sollten … ich hatte das gleich gedacht und hätte jetzt darauf geschworen! Und daß ich das so bitter empfand, war sicherlich sehr thöricht!
Aber es kam eben etwas hinzu, was mich innerlich stachelte und quälte, und obwohl es ein sehr garstiges Mißtrauen war – ich ward es nicht los! Ich hatte mit einer gewissen soldatischen Keckheit, mit der Art übermüthiger Verwegenheit, wie solch wildes Kriegsleben sie hervorruft, Blanche sehr unumwunden den Eindruck erkennen lassen, den sie auf mein Herz gemacht; sie hatte diese nicht sehr verhüllten Geständnisse mit einer großen Güte aufgenommen; aber, fragte ich mich nun, ist das auch nur ein Theil eines Spieles, das sie glauben, mit dir führen zu können? Wird auf diese Vertraulichkeit und Güte der volle Hohn der Zurückweisung folgen, wenn der Zweck erreicht ist?
Jedenfalls wollte ich in’s Klare darüber kommen, und um so entschiedener, als das Mißtrauen etwas meiner Natur Fremdes, mich unsäglich Quälendes ist. Aber mußte ich nicht seine Pein doppelt fühlen noch nach wenig Stunden, da Blanche zu meiner Ueberraschung wieder in mein Zimmer trat? … ich hatte ihr das Wiederkommen durch mein Benehmen am Morgen gewiß nicht erleichtert. Und dennoch kam sie.
„Ich komme um zu erfahren, ob Sie wohlverpflegt sind und Alles haben, was Sie bedürfen,“ sagte sie, „oder, um aufrichtiger zu sein, eigentlich in der Spannung, zu erfahren, ob Sie Wundfieber haben oder nicht?“
„Wollen Sie meinen Puls fühlen, so werden Sie sich, glaube ich, überzeugen, daß ich kein Wundfieber habe,“ versetzte ich.
„Den Puls versteh’ ich nicht zu fühlen,“ sagte sie, „aber es beruhigt mich sehr, wenn das Fieber Sie bis jetzt verschont hat; es wird dann hoffentlich ganz ausbleiben.“
„Auch mich freut es,“ versetzte ich, „ich habe dann die Gewißheit, schon morgen wieder auf sein zu können, um jene Gelegenheit zu suchen, von der wir heute Morgen redeten.“
„Welche Gelegenheit?“
„Die Gelegenheit vor Ihnen in der Rolle des moralischen Hercules aufzutreten …“
„Sie spotten,“ erwiderte sie, „und glauben, ich leide an einer überspannten und romantischen Idee, wie sie so oft die Träume junger Mädchen beherrscht. Sie haben Unrecht. Was ich Ihnen gestanden, ist mir tiefer und heiliger Ernst. Ich darf sagen, ein sehr schmerzlicher Ernst, denn eine schmerzliche Lebenserfahrung hat ihn mir eingegeben.“
„Eine schmerzliche Lebenserfahrung?“
Blanche hatte sich wieder in den Sessel am Fußende meines Bettes gesetzt; nach einer Pause sagte sie:
„Weshalb sollte ich es Ihnen nicht erzählen? Sie werden dann einsehen, daß Ihr Spott mir Unrecht thut. Es war ein Jahr vor dem Tode meines Vaters, als dieser mich mit dem Sohne eines Geschäftsfreundes verlobte. Sie wissen, es ist das mehr Sitte in Frankreich, als in Ihrem Deutschland, bei solchen Verbindungen weniger die Herzen als die Interessen zu fragen …“
„Sie sind verlobt, Blanche?“ rief ich erschrocken aus. „Sie waren es! Sagen Sie mir, daß Sie es waren!“
„Hören Sie meine Erzählung an. Ich liebte meinen Verlobten, den ich früher wenig gesehen, nicht; aber er gefiel mir, er flößte mir Vertrauen ein, ich war von den ehrlichsten Gefühlen für ihn erfüllt; ich malte mir die Zukunft, wie er sie mir gestalten würde, als eine glückliche und rosige aus. Er war aufmerksam gegen mich, er war wohlerzogen und von großer Gutmüthigkeit, gefällig gegen Jedermann. Nur begann nach einer längern Zeit
[75] in meinen Traum sich eine ängstliche Sorge zu mischen: Adolph reiste viel, und wenn er heimkehrte, entging mir jedesmal eine gewisse Spannung nicht, welche zwischen ihm und seinen Eltern herrschte, bei denen ich längere Zeit zum Besuche war. Ich fand ihn selbst dann verstimmt, kleinmüthig, geneigt zu einer Selbstironie und Selbstverachtung, die mich in ihm, in dem ich nur Stärke und Selbstbewußtsein erblicken und verehren wollte, jedesmal ganz unglücklich machten und empörten. Mein Vater hatte die Zeit unserer Verbindung, die schon festgesetzt war, aus Gründen, welche mir mehr Vorwände, als wirkliche Gründe schienen, hinausgeschoben; kurze Zeit nachher wurde uns mein Vater durch den Tod nach kurzer Krankheit entrissen. Nachdem ich ihn verloren, mußte sich mein Gemüth desto weicher und inniger an meinen Verlobten schließen … aber ach, dieser kam erst nach Wochen, kam in einer seltsamen Verfassung – es war, als habe er eine Krankheit überstanden; er war bleich, matt, schweigsam, energielos in Allem, was er that und sagte; es war, als habe ihn aller Jugendschwung, aller Lebensmuth verlassen. Ich litt darunter, ich verlangte eine Aufklärung von ihm, von meiner Mutter – umsonst! Er kehrte zu den Seinigen heim, und ich quälte mich vergeblich, zu ergründen, was mit ihm geschehen. Da kam mir Etienne, mein Vetter, zu Hülfe. Er sagte mir eines Tages, als ich ihm meine Unruhe klagte, weil ich seit Wochen keinen Brief von Adolph erhalten:
‚Es wäre am besten, wenn Du nie wieder einen Brief von ihm erhieltest. In der That, Du bist Dir selbst schuldig, mit diesem Menschen zu brechen, und es ist nicht recht von Deiner Mutter, daß sie nicht längst den ersten Schritt dazu gethan. Die Hoffnung, daß er sich bessern werde, ist so thöricht, so kindisch …‘
‚Sich bessern werde? Wovon, von welchen Fehlern?‘
‚Von seinen Leidenschaften, deren jämmerlicher verachtungswürdiger Sclave er ist. Er ist ein Trunkenbold, ein Spieler und weiß Gott was Alles. Er hat tausendmal seinen Eltern die besten Versicherungen gegeben, sich selbst, wie ich nicht zweifle, die heiligsten Schwüre abgelegt, der Versuchung nicht wieder zu unterliegen. Aber so oft ihm sein Vater getraut und ihn aus seiner Aufsicht entlassen hat, ebenso oft ist er zurückgekehrt in der elendesten Verfassung von Paris, von Lyon, von Frankfurt, aus den deutschen Bädern – er hatte Unsummen verzecht, verspielt, im Saus und Braus weniger Tage verbraucht, und was heimkehrte, war – ein erbärmlicher armer Sünder!‘
Das war der Kern dessen, was Etienne mir enthüllte. Was bei allem Dem in mir vorging, brauche ich Ihnen nicht zu schildern, Sie werden selbst sich sagen können, wie es mich bei all’ der redlichen und heiligen Herzensstimmung traf, mit der ich mein Leben diesem Menschen hatte opfern wollen, und wie tief es mich jetzt schmerzte und innerlich vernichtete, seitdem ich meinen Vater verloren und auf den Blick in die Zukunft an der Seite Adolph’s alles Leben meiner Seele so zu sagen concentrirt hatte!“
„Und was thaten Sie?“ unterbrach ich sie voll Spannung.
„Ich schrieb seinem Vater, um mein Verhältniß zu lösen; sein Vater war ehrenhaft genug, um mit einer gewissen resignirten Würde mein Recht zu diesem Schritte gelten zu lassen. Adolph blieb stumm während dieser Verhandlung, und ich habe ihn nicht wiedergesehen!“
Die kurze Erzählung hatte mich tief bewegt; ich fand jedoch kein Wort, dies auszudrücken und sah sie schweigend an. Dann sagte ich: „Dieser Adolph war ein Deutscher?“
„Ja, sein Vater war aus dem Lande drüben, aus Baden; er besaß Etablissements im Elsaß und wohnt in Frankreich.“
„Und nach diesem einzigen Beispiel eines halbdeutschen jungen Mannes beurtheilen Sie nun die Deutschen und die Männer sammt und sonders?“
„Nein, ich bin nicht so thöricht. Aber ich habe durch diese Lebenserfahrung zu beobachten und zu sehen gelernt. Ich habe gelernt, Dinge zu sehen, für die ich früher blind war, und es zu meinem Glücke war; und zu diesen Dingen gehört eine bedauernswerth schwache Widerstandskraft aller Männer gegen ihre Neigungen, gegen die leichteste Versuchung, die an sie herantritt, eine, ich möchte behaupten, völlige Ohnmacht gegen ihre Leidenschaften!“
„Wenn ich bei einer Sache, welche Sie mit solchem Ernst erfüllt, scherzen könnte,“ sagte ich, „so würde ich sagen: um Sie mit uns Männern zu versöhnen, müßte man also damit beginnen, seine Leidenschaft für Sie zu bezwingen und Ihnen zu entsagen. Würden Sie das für einen Kraftbeweis nehmen, der uns in Ihren Augen rehabilitire?“
„Lassen wir diese Debatte fallen,“ versetzte sie, „ich habe Ihnen das Alles nur gesagt, weil ich nicht wollte, daß Sie mich für thöricht hielten. Lassen Sie mich zu etwas Anderem übergehen, das mir schwer auf dem Herzen liegt.“
„Und das ist?“
„Sie sind in jenem Weiler überfallen worden, es sind Schüsse auf Sie gefallen, Sie sind dadurch verwundet … Ihr Kriegsbrauch ist in solchen Fällen so barbarisch; Sie legen schwere Contributionen auf die feindlichen Orte; die Häuser, aus denen geschossen wurde, werden niedergebrannt …“
„Ah – und Sie fürchten, ich würde jenen Weiler so bestrafen lassen?“
„Wie sollt’ ich es nicht?!“
„Ist es nicht meine Pflicht, die Sache zur Anzeige zu bringen? Und wenn ich im Eifer, nur Ihren Wunsch, der Schonung jener Menschen von mir verlangt, zu erfüllen, diese Pflicht verletzte – würden Sie mich nicht wieder mit demselben Blick der Verachtung ansehen, der mir gestern Abend von Ihnen zu Theil wurde, weil ich mich so leicht von meinem Posten fern zu halten schien?“
„Sie sind grausam,“ antwortete sie lächelnd. „Nein, ich würde nur denken, Sie hätten über die Dienstpflicht eine höhere Pflicht, die der Menschlichkeit gestellt!“
„Und Sie würden mich gütig, sehr gütig ansehen, Blanche, trotz dieser Auswechslung der einen rauhen und sehr grimmig aussehenden schnurrbärtigen Pflicht gegen die andere, die so viel liebenswürdiger aussieht, mit ihren schönen Augen mich anblickt und mir Glück verheißt?“
„Gewiß würde ich es,“ antwortete sie mit unnachahmlicher Anmuth bittend die Hände zusammenlegend.
„Sie werden sich selber untreu,“ sagte ich, „indem Sie mir einen Lohn in Aussicht stellen für etwas, das Ihnen doch ein neuer Beweis für Ihre Theorie über Männerschwäche wäre.“
„O, Sie wollen so abscheulich grausam, so barbarisch sein …“
„Nichts von dem will ich sein – beruhigen Sie sich; Ihr Weiler bleibt ungehärmt. Ich bin nicht im Dienst dort gewesen, nicht von meinen Obern hingesandt, nicht als Soldat, nur als Ihr Gast. Wie Sie das Dorf für die Behandlung, die es Ihren Gästen zu Theil werden läßt, strafen wollen, bleibt Ihre Sache!“
„Ah,“ sagte sie aufathmend und mir in lebhafter Bewegung die Hand reichend, „Sie sind gut!“
„Wenn Sie das glauben, weshalb vertrauen Sie mir dann nicht ganz?“
„Thu’ ich das nicht? Sie flößen mir jedes Vertrauen ein.“
„Wie würde mich das erfreuen, wenn es wahr wäre!“
„Was beweist Ihnen, daß es nicht so ist?“
„Sie haben mich geflissentlich in Colomier über Nacht halten wollen. Wozu? Was sollte geschehen in dieser Nacht, wenn ich nicht heimgekehrt wäre?“
Blanche veränderte plötzlich ihre Farbe; es war ein scheuer Blick der Verlegenheit, den sie auf mich warf; dann aber sah sie mich fest und offen an und sagte: „Ich kann nicht unwahr sein und es würde mir am Ende nicht nützen, wenn ich leugnete. Sie würden mir nicht glauben. Nun wohl denn, es ist so!“
„Und was bezweckten Sie durch diese kleine List, in der für mich so viel Demüthigendes liegt? Ich war froh über Ihre Güte, über diesen Beweis von Freundschaft, mich zu Ihrem romantischen Besitzthum zu führen, über das Glück, so lange in Ihrer Nähe sein zu dürfen; wie tief es mich kränkte, die Entdeckung machen zu müssen, daß Sie einen besondern und geheimen Beweggrund dabei hatten, will ich Ihnen nicht schildern.“
Sie sah zu Boden und legte die Hände in den Schooß.
„Ich that es nicht gern!“ sagte sie mit einem Tone, der tief aus ihrer Seele zu kommen schien, wie überhaupt Alles, was sie sagte, heute einen so ganz andern Ton hatte, als gestern; gestern war etwas Feindseliges, Spöttisches in ihrem Tone, wenigstens bis zu unserer Wanderung auf die Burgruine – sie schien über das Bewußtsein, daß in mir ein Feind ihr gegenüberstehe, nicht fortzukommen und wie mit sich selbst im Hader zu sein, daß sie diesen Feind anhöre, und ihn mit anscheinender Güte anhöre; heute dagegen war sie, wohl durch das Ereigniß der Nacht umgewandelt, in einer eigenthümlichen Weise milde und ernst, als ob eine Bewegung [76] des Gemüths sie beherrsche, und sie viel zu sehr beherrsche, um daran denken zu können, es zu verbergen.
„Weshalb thaten Sie es denn?“ sagte ich. „Machen Sie meinen großen Schmerz und Kummer, daß ich dupirt werden sollte, wieder gut, indem Sie mir anvertrauen, was Sie dazu bewog! Sie bergen mir irgend ein Geheimniß; Sie haben irgend eine Sorge, die Ihnen durch meine Anwesenheit in Ihrem Hause, in diesen Zimmern erwachsen ist. Sagen Sie mir, was es ist und wie ich Ihnen helfen kann! Glauben Sie mir, daß ich Alles thun werde, was ich irgend vermag, um Ihnen Ihre Sorge zu nehmen.“
Sie schüttelte stumm den Kopf.
„Mein Gott,“ fuhr ich eifrig und warm fort, „sehen Sie denn nicht, welches Gefühl Sie mir einflößen und wie Sie von diesem Alles, was Sie wollen, verlangen können. Sie selbst sind ja überzeugt, daß ein Mann einer solchen Leidenschaft jedes Opfer bringt. Bauen Sie auf diese Leidenschaft, verlangen Sie von ihr, werfen Sie Ihre Sorge auf sie – o wie glücklich würde es mich machen, wenn Sie mir vertrauten!“
Sie sah mich mit gerunzelten Brauen scharf an; ihre Lippen bewegten sich, und doch sprach sie nicht; sie verschluckte, was sie sagen wollte. War es vielleicht eine Frage, die ihr auf den Lippen lag, die Frage: „Lügen Sie mir dies Gefühl, diese Leidenschaft nicht vor, um mir mein Vertrauen zu entlocken, und dann es als Feind zu mißbrauchen?“ – Vielleicht war es das, was sie jetzt sich selber fragte; und konnte ich es am Ende ihr verdenken, ich, der das ganz gleiche Mißtrauen in die Güte gesetzt, welche sie mir bewiesen? Solche Gegenseitigkeit des Argwohns, solch eine Wiedervergeltung, die ihre Gedanken gegen die meinen übten, hätte doch etwas sehr Verzeihliches gehabt. Und doch hätten sie mich empört, und ich glaube, ich wäre in eine wahre Verzweiflung gerathen, wenn sie dieselbe mir gestanden. Ein ehrliches Herz ist so reizbar gegen Verkennung, und ein verliebtes ist oft so ungerecht!
Nach einer Pause beruhigte sie mich mit den Worten: „Ich vertraue Ihnen gern – ich gäbe Ihnen sehr, sehr gern einen Beweis meines Vertrauens; diesen kann ich Ihnen nur nicht geben; wir bergen gar kein Geheimniß vor Ihnen in diesem Hause …“
„Und weshalb sollte ich die Nacht über dann in Colomier gehalten werden? Sie müssen gestehen, daß ein Zweck damit verbunden war.“
„Es ist hart von Ihnen, daß Sie mich drängen, es zu gestehen,“ versetzte sie tief erröthend, „vielleicht wollte ich Sie nur auf die Probe stellen und erfahren, ob ich so viel Einfluß auf Sie üben könne, oder ob Sie Ihrer Pflicht untreu zu machen seien wie alle Anderen!“
Es lag etwas in diesem Bekenntniß, was auch mich erröthen ließ und mich glücklich machte. Und doch war es sehr thöricht von mir, mich dadurch beglückt zu fühlen. Denn war der Argwohn in mir begründet, daß Blanche’s ganze Freundschaft für mich nur ein listiges Spiel sei, dann waren ja auch diese Worte nur ein schlaues Betrügen! O gewiß waren sie das; ich wußte ja, daß man ganz andere Motive hatte, mich in Colomier zu halten!
Es war eine verzweifelte Situation und ich wußte nicht, wie sie enden und wie herauskommen! Sollte ich noch weiter gehen, als ich schon gethan, noch unumwundener Blanche meine Leidenschaft gestehen? Mein Gott, ich hatte es schon so offen und klar gethan – und war nicht klüger dadurch! Und doch war etwas in mir, was mich unwiderstehlich drängte, auf diesem selben Wege noch weiter zu gehen; es kam ein stürmisches, leidenschaftliches Gefühl über mich, das mich nicht schweigen ließ; als ob ich das Peinliche der Situation enden könne, wenn ich diese einer Katastrophe zudrängte, rief ich aus:
„Mag das wahr sein, was Sie da sagen, Blanche, oder mag es nicht wahr sein, Sie gestehen mir ein Interesse damit ein, und dies Geständniß giebt mir den Muth, ganz ohne Rückhalt zu Ihnen zu reden. Ihre Erscheinung hat vom ersten Augenblicke an einen Zauber auf mich geübt, wie ich ihn nie empfunden; seitdem ist aus diesem Gefühl eine Leidenschaft geworden, die ich nie werde besiegen können. Sie haben Recht, darin bin ich ein Mann, und ich fühle, daß ich dieser Leidenschaft Sclave von jetzt an bis an meines Lebens Ende sein werde. Ich werbe jetzt – denn ich weiß, wie wenig der Augenblick dazu da ist – nicht um Ihr Herz; ich bin nicht blind gegen Alles das, was heute noch zwischen uns steht. Aber der Friede wird zurückkommen; wenn das Allgemeine des Einzelnen nicht mehr bedarf, wird der Einzelne sein Leben für sich wieder beginnen können; ich werde dann zu Ihnen in einem andern Kleide als meinem jetzigen, das Sie an die Kluft, die zwischen uns liegt, erinnern muß, zurückkehren – nur für die Zeit, Blanche, lassen Sie mir die Hoffnung, daß Sie mich alsdann freundlich aufnehmen und anhören werden, was ich sagen kann, um Ihr Herz zu gewinnen … o bitte, gehen Sie nicht, wenden Sie sich nicht so erschrocken ab – was ich Ihnen sage, kann Sie nicht überraschen, und Sie selbst tragen die Schuld, wenn ich schon jetzt es Ihnen so offen sage! Ich möchte damit ein Verhältnis des Vertrauens und der rückhaltlosen Offenheit gewinnen, ich möchte das Mißtrauen in Ihnen, das mich mehr peinigt, als ich es Ihnen sagen kann, enden … nur das möcht’ ich für heute, für diesen Augenblick schon: ich will, ich muß den unseligen Argwohn aus meinem Herzen reißen können, der mich quält!“
Ich hatte nicht den Muth, weiter zu reden; nicht den Muth, ihr diesen Argwohn geradezu auszusprechen; denn war mein Argwohn unbegründet, waren die Beweise von Freundschaft, die Blanche mir gegeben, wirklich nur der Ausdruck eines Interesses, die Folgen einer keimenden Neigung, so würde ich sie zu grenzenlos beleidigt, ihr das ganze Herz umgekehrt und mir für immer entfremdet haben!
Sie war erschrocken beim Anfang meiner Rede aufgesprungen – jetzt setzte sie sich wieder und sagte mit einer Stimme, die leise zitterte: „Von welchem Argwohn reden Sie? Mein Gott, haben Sie mich nicht versichert, daß Sie nicht den geringsten Argwohn hegten?“
„Nicht den geringsten, daß Sie mich in Colomier den Franctireurs in die Hände liefern wollten; aber Sie werden einräumen, daß wir ein verstecktes Spiel gegen einander treiben; und dies Spiel, das uns alle offene Unbefangenheit nimmt, wird mir unerträglich.“
„Welches Spiel meinen Sie?“
„Sie wünschen mich aus diesen Zimmern fortzubringen, und ich, dies durchschauend, halte fest darin.“ –
„Wenn das so wäre,“ entgegnete sie, während ihr wohltönendes Organ sich eigenthümlich wie mit einem leichten Schleier von Heiserkeit bedeckte, „dann könnte ich ja gerade in Argwohn verfallen und denken, alle die schönen Sachen von Ihrem Gefühl und Ihrer Leidenschaft seien nur gesagt, um ein leichtgläubiges Mädchenherz zu umgarnen, um mich zu bethören und mir den Grund zu entlocken, weshalb ich Sie nicht eben so gern in diesem wie in jenem andern Zimmer des Hauses wohnen sähe!“
„Sehen Sie, sehen Sie,“ rief ich leidenschaftlich aus, „das ist das Gräßliche, was mich foltert – dieser Spielraum, den der Argwohn zwischen uns Beiden hat; o lassen Sie das aufhören zwischen uns – ich bitte Sie, Blanche, nur um das Eine!“
„Sie haben Recht,“ versetzte sie nachdenklich; „enden wir es; ich will Ihnen ja gestehen, daß es auch mich quält. Enden Sie es.“
„Ich?“
„Ja, Sie. Es liegt ja nur an Ihnen!“
„Und wie an mir?“
„Verlassen Sie diese Zimmer!“
Ich sah sie erschrocken an.
„Wollen Sie es?“ fuhr sie fort.
„Nein,“ sagte ich. „Ich darf es nicht. Nur dann, wenn Sie mir die heilige Versicherung geben, Ihre Versicherung auf Ehre und Gewissen, daß ich durchaus nichts thue, was wider meine Dienstpflicht ist.“
Sie blieb stumm. Ihre Gesichtszüge waren sehr blaß geworden.
„Ich kenne Ihre Dienstpflicht ja nicht,“ versetzte sie dann nach langer Pause. „Was weiß ich davon! Nein, nein, da Sie es nicht wollen, diesem ‚Spiele‘ ein Ende machen,“ setzte sie gezwungen lächelnd hinzu, „so will ich es; ich werde morgen weiter mit Ihnen davon reden, wenn Sie versprechen, jetzt recht ruhig zu sein und durch einen tiefen Schlaf diese Nacht Ihrer Wunde Zeit zur Heilung zu geben!“
Damit stand sie auf und verschwand.
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Wer sich um die Geschichte der Gegenwart wirklich kümmert, hat auch den Namen des berühmten Bischofs von Orleans schon gelesen und weiß, daß dieser, Dupanloup, es war, welcher vor Jahren den Muth hatte, mit glänzender Beredsamkeit und mit dem Erfolge eines großen Eindrucks alle jene Schritte und Maßnahmen des Kaiserreichs auf das Heftigste anzugreifen, welche darauf gerichtet waren, den Papst in seiner weltlichen Herrschaft zu schädigen und zu beschränken. Als dann in Rom das Concil zusammentrat, erschien Bischof Dupanloup in der Peterskirche, um vor den Thronstufen Sr. Heiligkeit mit einer Kraft, welche die Bewunderung der ganzen gebildeten Welt für sich hatte, gegen die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes zu protestiren.
Es war zu erwarten, daß der Bischof Dupanloup, der sich zu jeder Zeit und vor Allem als Franzose gefühlt hatte, auch den
[78] jüngsten Ereignissen der Gegenwart gegenüber, die er auf das Schmerzlichste empfinden mußte, sich nicht stillschweigend verhalten werde, und in der That, schrieb er, als der Napoleonidenthron nach der Schlacht von Sedan zusammengebrochen war, einen Brief, der „an einen Politiker“ gerichtet, aber für die Oeffentlichkeit bestimmt war. Man konnte, um gerecht zu sein, nichts gegen den französisch nationalen Standpunkt des Schreibers einwenden, noch weniger gegen die moralisch-religiösen Gedanken des Briefes, der dahin sich aussprach, daß die Franzosen die Schuld an dem Elend und den Schrecken des Krieges in sich selber trügen, in ihrer moralischen Verkommenheit, in ihrer religiösen Gleichgültigkeit. Ohne Seitenhiebe auf die Sieger geht es freilich nicht ab; dem Könige von Preußen wird das Schicksal des ersten an seinem unersättlichen Ehrgeize zu Grunde gegangenen Napoleon vorgehalten und der königliche Sohn an seine verklärte Mutter, die Königin Louise, erinnert und an deren unvergeßliche Worte: „Ich glaube nicht an die Gewalt, ich glaube nur an die Gerechtigkeit.“ Der Brief ist, wie alle diese Kundgebungen des Bischofs, mit hohem oratorischem Schwunge geschrieben, Dupanloup ist einer der ersten Prosaisten des heutigen Frankreichs, dabei geht durch die Zeilen ein wohlthuender Ton der Würde, Mäßigung und politischer Rücksicht. Ganz anders ist der zweite Brief, den er bei Gelegenheit des Festes des heiligen Aignan an die Pfarrgeistlichen von Orleans gerichtet hat. Aignan war der zweite Bischof von Orleans, derselbe, welcher bei dem Heranziehen des Hunnenkönigs gegen Orleans die Hülfe des Aëtius herbeigeholt und durch Rede und Beispiel die Gemüther der bereits verzagt gewordenen Bewohner von Orleans zu neuem Muthe, zu verdoppelter Widerstandsfähigkeit entflammt hatte. Wenn man diese Zeilen liest, die eigentlich an die Adresse von ganz Frankreich gerichtet waren, so bekommt man das Bild eines Priesters, der fanatisirend mit dem Kreuze in der Hand den Kämpfern voranschreitet, man fühlt, wie der Schreiber sich im Drange eines glühenden patriotischen Herzens, einer kühnen Einbildungskraft mit dem zweiten Bischof von Orleans identificirt, die Loirearmee mit den rettenden Schaaren des Aëtius und Attila mit – dem Führer der zweiten Armee. –
Als wir in Pithiviers vor dem Walde von Orleans lagen und warteten, was denn wohl der General Aurelles de Paladine unternehmen möchte, zu dieser Zeit war der Bischof der Gegenstand häufiger Unterhaltung zwischen mir und meinem Quartiergeber, dem Herrn Abbé, den meine lieben Leser bereits kennen. Dieser wußte mir viel zu erzählen von dem persönlichen Zauber seines Wesens, dem Niemand zu widerstehen vermöge, von der Macht seiner religiösen Ueberzeugungen, die schon Unzählige, namentlich Engländer und Amerikaner, in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückgebracht habe, von seiner unbegrenzten Liebesthätigkeit, die Alles der Noth des Nächsten opfere, von der patriarchalischen Einfachheit seiner Lebensweise, die sich mit dem Gewöhnlichsten und Geringsten begnüge, um das Uebrige an die nothleidende Menschheit abgeben zu können. Derartige Schilderungen wurden mir übrigens auch von anderer nicht geistlicher Seite gemacht, so daß ich eines Tages gegen den Herrn Abbé den Wunsch äußerte, wie sehr ich wohl wünschte, die Bekanntschaft eines nicht nur berühmten Mannes, sondern noch mehr ausgezeichneten Menschen zu machen.
„Das möchte Ihnen wohl schwer werden,“ meinte mein Wirth mit etwas spitzem Lächeln.
„Wie so schwer?“
„Weil Sie das nur in Orleans in dem Bischofshofe erreichen könnten.“
„Gewiß – und nun?“
„Weil Sie jetzt wenigstens nicht dahin kommen werden.“
„Nun, wir wollen ja sehen, Herr Abbé.“
Am 5. December Morgens wehte die preußische Fahne von der Kathedrale in Orleans, am Mittag fuhren wir in die Stadt der Jungfrau ein. Ich war mit dem festen Vorsatze in dieselbe gekommen, daselbst Nachforschungen nach dem Verbleib eines höchst achtbaren Collegen, des General-Correspondenten der Berliner Zeitungen im großen Hauptquartier, des Dr. Kayßler aus Berlin, anzustellen. Derselbe war einen Tag zuvor, ehe General von der Tann aus Orleans sich zurückzog, dahin gekommen, war dort zurückgeblieben, zum Kriegsgefangenen gemacht worden und von da ab verschwunden. Von Versailles aus war Befehl ergangen, in Orleans nach dem Verschwundenen zu forschen. Leider war das Resultat der Nachforschungen, welche der preußische Commandant Oberst Leuthaus anstellte, nur ein geringes; Kayßler hatte aus seiner Gefangenschaft in Orleans einmal an seinen Freund, den Redacteur der Spener’schen Zeitung in Berlin, Dr. Alexis Schmidt, geschrieben und seitdem war jede Spur von ihm wie verschüttet. Unter den Personen, welche sich für das Schicksal des deutschen Journalisten interessirten, war auch der Bischof Dupanloup genannt. An ihn beschloß ich mich zu wenden, um etwas Näheres über den Vermißten zu erfahren. Jedoch waren gewisse Verhältnisse mitwirkend, daß ich meinen Vorsatz nicht bei unserem ersten Aufenthalte in Orleans vom 5. bis 12. December ausführen konnte, sondern erst an den Bischof schrieb und in der erwähnten Angelegenheit um einen Ausweg bat, als wir von unserer achttägigen Excursion nach dem Süden, und nachdem die französische Loirearmee aus nördlicher nach Paris zugewendeter Richtung gänzlich nach dem Westen sich gezogen, nach Orleans zurückgekehrt waren. Am Tage darauf erhielt ich eine Einladung, den Bischof in den Stunden von fünf bis sieben Uhr, wenn mir das gelegen sei, zu besuchen.
Das bischöfliche Palais liegt unmittelbar hinter der Kathedrale; durch einen stattlichen Thorweg tritt man in einen großen Vorhof, dessen ganze Tiefe von dem Bischofspalaste eingenommen wird. Ueber dem Thorwege prangt das Wappen des Bisthums Orleans, und unter demselben hingen eine französische Flagge, eine andere mit dem Genfer Conventionszeichen und in der Mitte eine größere preußische, ein Anzeichen, daß in dem Palaste preußische und französische Verwundete liegen, darum stand an dem Thorwege auch ein Wachtposten, der zu dem Gerüchte Anlaß gegeben hatte, der Bischof sei von den Preußen in seiner Wohnung gefangen gehalten worden. Rechts von dem Thorwege liegt die Wohnung des Hausmeisters. Ich klingelte und frug nach dem Aufgange zu den Gemächern Monseigneurs. Der Hausmeister schien von meinem Besuche unterrichtet und schickte sich an, mich zu führen. Ich wollte auf den Eingang zu dem palastähnlichen Hauptgebäude zugehen, das sich in nichts von allen derartigen Bauten unterschied, der Hausmeister zeigte jedoch nach links und bat um Entschuldigung, wenn er mich nicht die große Treppe hinauf und durch die Empfangsgemächer führte, diese seien für die Verwundeten eingerichtet, er müsse mir durch einen Seiteneingang den Weg zu den Gemächern Monseigneurs zeigen. Wir durchschritten mehrere kleine Höfe, in denen preußische Soldaten Holz spalteten, traten durch eine unscheinbare Thür in einen Seitenflügel des Gebäudes und gingen eine ziemlich breite Treppe hinauf, an deren Ende mein Führer ein langes schmales Vorzimmer öffnete und mich eintreten hieß; das Gemach, in welchem ich mich befand, war ziemlich einfach eingerichtet, an beiden Seiten stand eine Reihe Stühle, an den Wänden hingen Aquarellbilder, Zeichnungen in Rahmen, wahrscheinlich die Arbeiten vornehmer und frommer Dilettantinnen und Beichtkinder des Bischofs, welcher der Freund, Berather, der Gewissensrath des legitimistischen Adels von Frankreich ist. Aus allen Theilen des Landes, und nicht immer Frankreichs, sondern auch Englands, kommen die schönen vornehmen Sünderinnen, um ihre Gewissensnoth ihm anheimzugeben; in Orleans befindet sich eine Colonie von hochstehenden katholischen Engländern und sehr oft wird auch der Bischof zu geistlichen Verrichtungen nach Paris berufen.
Als ich mir diese Bilder betrachtet hatte, hörte ich, wie draußen vor der Thür der Hausmeister mit Jemandem leise sprach, doch konnte ich nur die in halb ängstlichem, halb erstauntem Ton gesprochenen Worte vernehmen. Le Prussien! Zur Erklärung, daß der Sprecher mich als solchen erkannte, diene die Bemerkung, daß ich in der Wintercampagne einen langen preußischen Militärmantel und die preußische Infanteriemütze trage. Wer weiß, für welche wichtige Persönlichkeit der um seinen geistlichen Herrn besorgte alte Diener mich gehalten haben mag! Im nächsten Augenblick trat ein junger Abbé ein, glitt lautlos auf dem Teppich des Zimmers dahin, um mir ein links von dem Empfangszimmer gelegenes Gemach zu öffnen und mich zum Eintritt in dasselbe einzuladen, mit der Bemerkung, daß Monseigneur sogleich erscheinen werde.
Allem Anscheine nach befand ich mich in dem Arbeitszimmer des Bischofs. Es war ein großes Gemach in Quadrat, sehr hoch, und hatte zwei Fenster, die nach dem Hofe gingen. Die Wände waren mit einer dunklen Tapete bekleidet, die den Fenstern gegenüber liegende Wand war vom Boden bis an die Decke von einer [79] Bibliothek eingenommen. An der Wand links von den Fenstern hingen große Kupferstiche in Rahmen; die Mitte der gegenüber liegenden nahm der große Marmorkamin ein, auf dessen Brüstung eine Uhr im Geschmack Ludwig’s XVI. stand; die Stelle des Spiegels füllte ein großes Crucifix aus; ein zweites hing an der Wand zwischen den Fenstern, darunter war ein Betstuhl. Rechts an dem Fenster stand ein großer Schreibtisch, daran ein mit grauem Leder gepolsterter kleiner Lehnstuhl; an diesem schien der Bischof zu arbeiten, an einem anderen, der vor dem Bücherrepositorium aufgestellt war, die Secretäre, deren er nicht weniger als sechs hat. Die Correspondenz des Bischofs erstreckt sich, wie man mir sagte, über die ganze katholische Erde, und das will noch viel mehr sagen, als über die civilisirte. Seine Thätigkeit ist rastlos, sehr häufig dictirt er mehreren Secretären zugleich; am Morgen pflegt er um vier Uhr aufzustehen, um neun Uhr des Abends legt er sich zu Bett, und von letzterer Gewohnheit vermag ihn nichts abzubringen, weder die Gesellschaft in einem fremden, noch die im eigenen Hause. Er pflegt in Orleans nur zum Präfecten und zum ersten Präsidenten des Cassationshofes zu gehen; an Sonntagen hat er seine eigenen Empfangstage, an welchen er die Gesellschaft der Stadt empfängt. Um seine Gesellschaft länger zu genießen, und da man weiß, daß er sich Schlag neun Uhr zurückzieht, versammelt man sich schon um sieben Uhr, und nirgends sieht man in Orleans mehr Menschen und bessere Gesellschaft versammelt, als bei den Empfangstagen Monseigneurs. Die Bewohner von Orleans halten aber auf ihren Bischof auch große Stücke, wie überhaupt der Einfluß desselben auf den moralischen Geist der Bevölkerung unverkennbar ist. Es herrscht in den Familien eine fast deutsche Zucht und Strenge, und nirgends in Frankreich hat sich gegen das Pariser Treiben größere Abneigung gefunden, als in Orleans.
„Sie sind mit Ihren Zeilen meinem Wunsche, etwas über Dr. Kayßler zu erfahren, begegnet, und ich heiße Sie willkommen, mein Herr.“
Es war eine weiche, etwas in hohen Tönen sprechende, aber musikalisch klingende Stimme, die sich vernehmen ließ, eine hohe ehrwürdige Greisengestalt stand vor mir, gehüllt in eine violette Soutane, mit einem bis zur Mitte gehenden Kragen gleicher Farbe. Unter dem schwarzen Käppchen, welches den Kopf bedeckte, quoll feines schneeweißes Haar hervor, das Gesicht hatte viel Farbe, der untere Theil desselben, das runde Kinn, der angenehm gebildete Mund bildeten einen merkwürdigen Contrast gegen die scharf geschnittene Nase und die lebendigen feurigen Augen. Um den Hals trug er die den Geistlichen der gallikanischen Kirche eigenthümlichen schwarzen, weißgeränderten Rabaten, auf der Brust das goldene Bischofskreuz, die ganze Erscheinung vom Scheitel bis zur Sohle der Typus eines Kirchenfürsten.
Mit graciöser Bewegung ersuchte er mich, auf dem einen der vor dem Kamin stehenden Fauteuils Platz zu nehmen, ich that es, er setzte sich mir gegenüber und ersuchte mich nun, meine Füße auf die Messinggallerie zu stellen, welche den Kamin von dem Parquet trennte. Ich entschuldigte mich, wenn ich im Laufe der Mittheilung die französische Sprache nicht mit der Feinheit spräche, welche ein Geist wie der seinige zu fordern berechtigt wäre.
„Wer französisch so schreiben kann, wie Sie es in Ihren Zeilen gethan haben, und wer sich so entschuldigen kann, der kann auch französisch sprechen.“
„Letzteres ist noch leichter, als das Schreiben, Monseigneur; bei dem Abfassen meines Billets an Monseigneur habe ich mir von meinem Wirthe, bei dem ich in Quartier liege, helfen lassen.“
Der Bischof lachte.
„Sie nennen,“ fuhr er dann fort, „mir in Doctor Kayßler keinen Fremden. Der Genannte war am Vorabend des Rückzugs der Baiern aus Orleans hier angekommen, hatte von dem Abmarsche des Generals von der Tann keine Ahnung, wurde von der Frau, bei der er wohnte, als Preuße verrathen und gefangen genommen. Er war mit einem Grafen Arco aus München gekommen, und mein Generalvicar Hetsch, ein geborener Württemberger, führte mir die beiden Herren zu, ich sah dieselben zu Tisch bei mir, und ich muß Ihnen sagen, Doctor Kayßler hat mir sehr – sehr – sehr gefallen. Der ist ein Mann von Welt, von Geist und Kenntnissen. Um den beiden Herren die Rückreise nach Deutschland durch die Schweiz zu ermöglichen, schrieb ich an die Regierung von Tours und erbat für dieselben einen Geleitsbrief. Es kam aber nur ein solcher für den Grafen Arco, nicht auch für Doctor Kayßler. Was war zu machen? Ich wußte, daß Graf Arco unter den bei der Regierung in Tours beglaubigten Gesandten Bekannte hatte, und rieth ihm daher, Doctor Kayßler mitzunehmen und durch diplomatische Vermittlung auch für seinen Begleiter einen Geleitschein zu erwirken. So reisten Beide ab. Seitdem habe ich von Beiden nichts mehr gehört.“
„Wie ich gehört habe, ist Graf Arco nach München zurückgekehrt,“ bemerkte ich.
„So, das ist mir neu. Ich habe keine Nachricht von ihm. Was ist aber aus Doctor Kayßler geworden?“
„Man vermuthet, daß er in Pau sei. Soviel ich weiß, hat man keine directen Nachrichten von ihm seit Orleans.“
„Das beunruhigt mich sehr,“ versetzte der Bischof. „Wenn er wirklich in Pau sein sollte, warum hat er nicht geschrieben? Hm, hm! Was ist da zu machen? Geben Sie mir einen Weg an – ich will Alles für ihn thun, was in meinen Kräften steht, ich will selbst an Gambetta schreiben.“
„Vorläufig, Monseigneur, käme es darauf an, sich zu vergewissern, ob der Verschwundene wirklich in Pau ist, und sich dann mit ihm in das Vernehmen zu setzen, was und in welcher Weise etwas für ihn geschehen kann. Im großen Hauptquartier interessirt man sich sehr für sein Schicksal. Es sollen auch Gefangene nach den hyèrischen Inseln gebracht worden sein.“
„Nach den Inseln, das ist nicht möglich, denn diese sind ganz kahl, fast unbewohnbar, nur ein Strafhaus für Kinder befindet sich dort. Aber nach der Stadt Hyères, das ist möglich. Ich will an den Pfarrer von Hyères schreiben, an eine mir bekannte Dame in Pau, an den Père Gentry, der Ihnen jedenfalls dem Namen nach bekannt sein wird – die sollen Erkundigungen einziehen. Aber wie die Briefe nach Südfrankreich bringen, wie eine Antwort erhalten? Da fällt mir etwas ein, eine französische Dame hat vom Prinzen Friedrich Karl einen Geleitsbrief erhalten, kraft dessen sie mit der Leiche ihres bei Creyant gefallenen Sohnes die preußischen Linien passiren kann, um nach Südfrankreich zu gelangen. Diese könnte die Briefe mitnehmen, um sie in einem noch nicht von den Preußen besetzten Orte auf die Post zu geben. Die Antwort soll durch den Erzbischof von Tours gehen – ja, das wird das Beste sein. Ich werde auch an den Erzbischof schreiben.“
„Aber Monseigneur, erlauben Sie mir gnädigst die Frage, wie soll von Tours die Antwort hierher gelangen?“
„Vielleicht sind Ihre Truppen schon um diese Zeit in Tours, denn dahin gehen doch Ihre Operationen auf dem rechten wie dem linken Loireufer.“
Das war ein Fühler, den der Bischof ausstreckte; ich konnte nichts Anderes darauf erwidern, als:
„Ich weiß nicht, Monseigneur. Wenn es wirklich der Fall sein sollte, so sind Monseigneur besser unterrichtet, als ich. Aber ich wüßte vielleicht einen andern sicherern Weg, die Briefe zu befördern und Antwort zu erhalten, durch Vermittlung unseres Gesandten Herrn von Rüder in Bern. Wenn Monseigneur die Gnade haben wollten, mir die Briefe in offenen Couverts, wie es gesetzmäßig ist, zu schicken, dann würde ich dieselben an Seine Excellenz befördern, mit der Bitte, sie auf die Schweizerpost zu geben, und Monseigneur würden sich für Ihre außerordentliche Güte den Dank aller meiner Collegen verdienen.“
„Gut, gut – ich werde Ihnen die Briefe noch diesen Abend senden. O wie ist das Alles so schwierig – so verwickelt! In welche furchtbare Lage sind wir gerathen! Was wird aus dem armen Frankreich werden!“
„Eine Republik wird es jedenfalls nicht bleiben,“ bemerkte ich, und bei dieser Gelegenheit gab ich ihm eine kurze Schilderung der Stimmung, die ich südlich von Orleans bei unserem achttägigen Ausfluge in den Dörfern und kleinen Städten angetroffen hatte, eine Stimmung, die der Republik nichts weniger als freundlich, und gegen Herrn Gambetta am allerentschiedensten gerichtet war. Hiermit waren wir auf dem politischen Gebiete angelangt. Es hieße die einer so berühmten öffentlichen Persönlichkeit schuldige Discretion verletzen, wollte ich seine Anschauungen und Aeußerungen hier wiederholen; die freundlichen Leser müssen sich begnügen zu erfahren, daß sich sein Wesen von Augenblick zu Augenblick immer mehr belebte und in Erregung gerieth; ein Gedanke drängte sich an den andern, eine Folgerung jagte die andere, philosophische Sätze und historische Facta drängten sich durcheinander, aber Alles war mit
[80] originellem Geiste erfaßt, in höchster Formvollendung wiedergegeben, und dabei sprachen der Mund, die Augen, die Hände, der achtundsechszigjährige Greis verjüngte sich, und die Rede nahm einen so begeisterten Schwung an, daß ich bewundernd schwieg, und hier in einer einfachen Conversation vor dem Kamine begriff ich die hinreißende Macht, welche dieser Mann als Kanzelredner auf das Publicum ausübte, und das Zuströmen desselben zu seinen Predigten sowohl hier in Orleans, als auch früher, da er noch Pfarrgeistlicher von St. Roche in Paris war. Nicht allein das religiöse Element ist es, was diese bezwingende Wirkung hervorbringt, sondern die Vermischung desselben mit dem nationalen. Dupanloup gehört mit seinen drei großen Freunden Montalembert, Lamennais und Lacordaire einer Schattirung der römisch-katholischen Kirche an, welche sich zu einem liberalen Katholicismus oder besser ausgedrückt zu einem nationalen bekennt, und dessen erster Grundsatz ist: Erst Franzose, dann Priester.
Es ist eine große nationale Beweglichkeit und Lebendigkeit in diesem Manne, ein unaufhörliches Arbeiten der Gedanken und namentlich der Phantasie. Ich sah ihn am ersten Weihnachtsfeiertage in der Kathedrale, derselben Kathedrale, von deren Verwüstung ich in meinem letzten Artikel ein Bild zu geben versucht hatte, die nun wieder gereinigt ihrem gottesdienstlichen Zwecke anheimgegeben war und an diesem Tage im höchsten Glanze strahlte. Der Bischof saß in seinen goldenen priesterlichen Gewändern auf seinem Throne, umgeben von dem Glanz und Nimbus des katholischen Ritus. Dieses ruhige Sitzenmüssen auf einem Platze während der monotonen Gesänge der Vesper schien ihm gar nicht zu behagen, er rückte immer umher auf seinem Sitze, zupfte an seinen Gewändern, als ob ihm diese zu schwer und unbequem wären, er sah sich auch mehrmals um, er schien nach allem Anscheine mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein, als in der Vesper der Kathedrale von Orleans, was ich ihm gar nicht zum Vorwurfe machen kann. Diese Gesänge sind zu andachts- und eindruckslos, eine Bewegung der Lungen, aber nicht des religiösen Gemüthes. Der Eindruck war ein ganz anderer, als er umgeben von seinem Clerus mit dem Stabe und der Mitra die Stufen zum Hochaltar hinanstieg und den Gläubigen den Gruß gab. Da ging er in großen sicheren Schritten voran, und man hatte von ihm den Eindruck eines Kirchenfürsten, der unter dem Priestergewande einen Harnisch trug; es ist gar nicht zu leugnen, daß in dem Bischofe etwas Streitbares liegt, das ist auch in dem erwähnten Briefe an die Pfarrgeistlichen gelegentlich des Festes des heiligen Aignan ausgedrückt.
„Ich weiß,“ sagte er, „man hat mir diesen Brief vielfach vorgeworfen – von preußischer Seite. Habe ich aber die Armee, das preußische Volk beleidigt, kann man mir eine Invective nachweisen?“
„Nein, Monseigneur, das kann man nicht, aber der ganze Brief ist eine Erklärung gegen uns.“
„Man hat mir einen Ausdruck sehr verübelt, den ich gebraucht habe, ‚wilde Horden‘.“
„Das weiß ich nicht, und, verzeihen Sie, Monseigneur, daran zweifle ich auch, man wird nur da empfindlich, wo man sich getroffen fühlt.“
„Wenn Sie den Brief gelesen haben, so werden Sie allerdings einen solchen Ausdruck finden, aber nicht ich gebrauche ihn, sondern derselbe befindet sich in einem Citat, das ich gebraucht habe, aus Gregor von Tours, wie Sie wissen, dem Vater unserer nationalen Geschichte.“
Darauf hätte ich erwidern können, daß die eben gebrauchte Beweisführung eine sehr gewagte sei, denn wozu gebraucht man ein Citat anders, als um ein fremdes Wort, die Meinung eines Andern, an die Stelle des eigenen zu setzen, um diese noch mehr zu bekräftigen? Ein Citat ist ein Wort, das man sich aneignet und vertreten muß. Doch das sagte ich nicht. Der Bischof war freundlich und entgegenkommend gegen mich und Güte pflegt man doch nicht mit Unannehmlichkeiten zu erwidern. Wenn ich bisher auf Manches zu antworten veranlaßt war, so war das geschehen, um den nationalen Standpunkt zu wahren, und in diesem Sinne bemerkte ich denn dem Bischof auch, daß das Gefährliche seines Briefes nicht in der gegen uns gerichteten Spitze gelegen habe, sondern darin, daß er die Gemüther seiner Landsleute zum Widerstande entflammt und Hoffnungen rege gemacht habe, die sie nicht erfüllen konnten.
„Das war meine Pflicht – dafür bin ich Franzose. O, ich habe den Krieg verwünscht, aber da sich nach der Niederlage der kaiserlichen Armee das Volk erhoben hatte, warum sollte ich die Gemüther durch Hoffnungen nicht stärken? Warum sollte ich nicht dem Glauben Ausdruck geben, daß der heilige Aignan, daß die Jungfrau uns beistehen und uns zum Siege führen könnte?“
„Ihre Hoffnungen, Monseigneur, sind auf die Jungfrau gerichtet; das Frauenideal, zu dem wir in diesem Kriege unsere Herzen und Gedanken emporheben, das ist die Königin Louise.“
„Ich habe ihrer in meinem ersten Briefe erwähnt.“
„Ich habe denselben gelesen, Monseigneur, und die Worte, die Monseigneur Ihrem Volke als Trost hingeben: ‚Ich glaube nicht an die Gewalt, ich glaube nur an die Gerechtigkeit.‘ Aber verzeihen Sie, Monseigneur, die Königin hat durch Frankreich gelitten, ist an Frankreich gestorben, dieser heilige Schatten ist unser allein, auch dieses Wort ist unser und wir dürfen es uns nicht entreißen lassen; denn das Andenken an die Königin ist unsere Rechtfertigung und unser Panier; unser ist in diesem Kriege die Gerechtigkeit und weil diese, so auch nicht die Gewalt, aber die Stärke. Monseigneur deuten in Ihrem ersten Briefe an, als wenn es der militärische Ehrgeiz wäre, der den König zur Fortsetzung des Krieges veranlagte. Nein, Monseigneur, das ist unser Volk, und der König und Graf Bismarck wissen das sehr wohl und wissen auch, daß sie für Deutschland nur einen Frieden machen können, der diesem den Elsaß und einen Theil Lothringens zurückbringt.“
Darauf gab der Bischof keine Antwort, vielleicht daß es nicht sehr tactvoll von mir war, diese empfindliche Seite im Herzen eines Franzosen zu berühren – vielleicht, aber ich hatte mich fortreißen lassen, die Lebendigkeit seines nationalen Empfindens hatte auch mich angesteckt. Mit der ganzen Kunst eines Mannes, der die Gabe der Rede und der geselligen Unterhaltung im höchsten Grade inne hat, ging er von dieser allgemeinen Discussion auf Persönliches über, er äußerte sich mit hohem Respecte über den König, er sprach in höchster Verehrung von der Königin Augusta.
„Ich habe der Königin im vorigen Jahre in Coblenz meine Aufwartung gemacht, und an Würde, Grazie, Geist und Pflichtgefühl eine wahrhafte Königin gesehen. Es hat mich sehr interessirt, die Bibliothek Ihrer Majestät kennen zu lernen, die mir die Königin durch eine Palastdame zeigen ließ. Sie in Preußen sind glücklich, Sie haben eine starke Regierung; wann werden wir soweit kommen? Seit 1789 kommen wir nicht mehr aus der Revolution heraus, und dieses ewige Vibriren derselben erzeugt die sociale Zuchtlosigkeit, an der Frankreich krankt. O das arme Frankreich! Friede – Friede – Friede! Warum hat man den Waffenstillstand in Versailles nicht angenommen?“
„Vermuthlich, Monseigneur, weil er den Franzosen größere Vortheile bot als uns.“
„Das ist Ihre Auffassung, Thiers hatte eine andere, er ist ein alter Freund von mir und war auf dem Wege von Versailles nach Tours bei mir, er stellte mir die Sache anders vor. Ich glaube, man hätte Ihrerseits andere Bedingungen gemacht, hätte man wissen können, daß Paris so viel Lebensmittel besitzt. Und doch bin ich der Ueberzeugung, daß unsere jetzige Regierung, und vor Allen Trochu, zu Unterhandlungen geneigt sein würden, wenn ihnen die Stimmung des Landes bekannt wäre, namentlich der vom Kriege heimgesuchten Provinzen. Aber wer soll es jenen sagen? Graf Moltke hat zwar etwas Aehnliches versucht, aber das geschah von feindlicher Seite; es müßte Jemand sein, der das Vertrauen unseres Landes besäße – aber das Alles sind fromme Wünsche, und doch thut uns Allen Friede so sehr nöthig!“
Damit war die Audienz zu Ende; es war sechs Uhr geworden. Mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit begleitete mich der Bischof bis vor den Ausgang des Vorzimmers; am Abend noch sandte er mir die für Doctor Kayßler zugesagten Briefe.
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Wenn man wie Schreiber dieser Zeilen so manchen lieben Tag in Paris flanirt und so ziemlich alle Arten seiner Cafés und Restaurants, Estaminets und Speiseanstalten kennen gelernt hat, so schwebt Einem beständig die Frage vor der Seele: welcherlei Diners und Soupers in diesen verschiedenen culinarischen Etablissements wohl jetzt aufgetischt werden mögen, nachdem der unzerreißbare Eisengürtel unserer siegreichen Heere die Hauptstadt Frankreichs schon seit Monden von der Außenwelt hermetisch absperrt und jede Proviantzufuhr für die nahezu zwei Millionen Magen unmöglich macht? Schon früher wollte mich in manchen jener wohlfeileren Sättigungsinstitute ein verdächtiger Gedanke an Pferdefleisch anwandeln; vielleicht that ich den betreffenden Häusern damit Unrecht, gegenwärtig aber ist, was damals blos Argwohn und Vermuthung war, zur bittern Wirklichkeit geworden, nicht nur in den untergeordneten Restaurants, sondern selbst an gastronomischen Stätten classischen Ranges wie Vachette und Véfour, und ich gestehe, vergeblich zerbreche ich mir den Kopf, um mir die Gemüthsverfassung vorzustellen, in welcher sich die Herren Küchenvorstände dieser hocharistokratischen Locale bei dem derzeitigen Zustande der Dinge befinden mögen.
Wie ertragen sie die Belagerung? Dieser Gedanke beschäftigt mich fortwährend. Fügen sie sich ohne innere Empörung der herben Nothwendigkeit, ihre kunstvollen Ragouts, Emincés und wie sonst die Bezeichnungen ihrer Wissenschaft lauten, aus Pferdefleisch bereiten zu müssen? Oder spornt der Patriotismus ihren Genius zu unerhörten Erfindungen und setzt ihre belagerten Stammgäste durch neue Triumphe der Kochkunst über rebellisches Material in Erstaunen?
Alle Welt hat von jener famosen Sauce gehört, deren Vortrefflichkeit einen französischen Gourmand zu dem Ausrufe begeisterte: „Mit dieser Sauce könnte man mit Vergnügen seinen eigenen [82] Kopf verspeisen!“ und es läßt sich nicht bestreiten, die französische Kochkunst leistet fast Unmögliches. Jedenfalls kommt die uns Alle überraschende Widerstandskraft, welche Paris in seiner gegenwärtigen Bedrängniß entwickelt, zum guten Theil auf ihre Rechnung, und wir sind gar nicht davor sicher, daß nicht irgend ein Ritter von der Weißen Schürze und Mütze noch eine neue Sauce erdenkt, mit deren Hülfe Alles bis auf die Granitquadern der Pariser Brücken und Quais genießbar und schmackhaft wird.
Doch Scherz bei Seite in einer so schmerzlich-ernsten Sache! Wie sind die zahllosen Zweifrankenrestaurants des Palais Royal im Stande, die Belagerung auszuhalten? Selbst in gewöhnlichen Zeiten war ihnen ihre Existenz nur dadurch möglich, daß sie in frühester Morgenstunde die Markthallen – die sogenannten Halles centrales – besuchten und die aus den Provinzen kommenden Lebensmittel in großen Massen aufkauften. Wie mag es ferner in der Menge von „Crêmeries“ und „Laiteries“ aussehen, die man fast in jeder Pariser Straße findet, und wo der Arbeiter sich Morgens seinen Napf Milchkaffee nebst Weißbrod für drei bis vier Sous kaufen konnte? Von allen diesen Leidenszuständen vermag sich meine Phantasie kein nur einigermaßen anschauliches Bild zu entwerfen. Denn was uns die französischen Blätter vorspiegeln wollen, daß Paris noch bis zum März oder selbst bis in den April hinein mit Mundvorräthen vollauf versorgt sei, klingt doch gar zu abenteuerlich und fabelhaft und steht überdies mit den Notherscheinungen, die notorisch bereits eingetreten sind, in directem Widerspruche.
Während der Belagerung, welche Paris durch Heinrich den Vierten zu bestehen hatte, stellte man auf den Straßen mächtige Kessel auf, und da kamen denn die Armen und löffelten sich die darin enthaltene Nahrung, Brühe und Milch, heraus, so viel sie deren habhaft werden konnten. Zuerst war dies zu allgemeinem Gebrauche bestimmte Gericht dem Rinde entnommen; als Ochsen und Kühe sammt Kälbern und Kälbchen verzehrt waren, schritt man abwärts zum Pferde; als auch keine Rosse und Gäule mehr existirten, kam man auf den Esel, und als es keine Langohre mehr zu schlachten gab, nahm man nicht nur mit Hunden und Katzen, sondern auch mit dem mannigfaltigsten Ungeziefer fürlieb, das zusammen mit den in den Gassen und auf den Wällen eingesammelten Gräsern und Kräutern gedämpft wurde. Auch diese Delicatessen hielten indeß nicht lange vor, und so braute man die Brühe zuletzt aus Unschlitt und Leder, aus neuem und altem, bis es nach und nach selbst damit auf die Neige ging, die Bouillon von Tag zu Tag dünner und folglich kraftloser wurde und Hunderte und Aberhunderte von Menschen in den Straßen Hungers starben.
Ich habe schon angedeutet, wie sehr die bewundernswerthe französische Kochkunst der Widerstandsfähigkeit der Hauptstadt zu Gute gekommen sein mag, und in der That versteht man es nirgends besser als in Paris, die unbedeutendsten Nahrungsmaterialien zu annehmbaren, ja sogar zu wohlschmeckenden und leckeren Schüsseln zu verarbeiten. Manche dieser merkwürdigen Leistungen sind mir geradezu unbegreiflich erschienen, vielleicht keine aber mehr als die gewisser „Massenrestaurants“, wie ich sie nennen möchte, zu denen mir der Leser einmal freundlich folgen möge.
Längere Zeit schon in Paris, hatte ich allmählich eine ganze Reihe der verschiedenartigsten Anstalten zur Aetzung des Leibes kennen gelernt. Ich hatte das gute Glück „à la fourchette“ versucht, in jenen Speisehäusern, wo die Dinirenden mit einer Gabel sich auf’s Gerathewohl in einen riesigen Topf versenken und für einen Sou aus dem dampfenden Chaos zu Tage fördern dürfen, was sie eben erwischen können. Ich hatte selbst einmal mitten unter echten und leibhaftigen Blousen bankettirt, in einem höchst originellen Locale, wo ein reckenhafter Gesell mit aufgekrämpelten Hemdärmeln über einer Menge vor ihm stehender, brodelnder Schmorpfannen abwechselnd bald Gabel und Messer, bald den Löffel schwang und seine Kunden mit Donnerstimme zur Attake auf die Speisen einlud: „Il y a du boeuf, Messieurs,“ schrie er; „il y a du mouton rôti, il y a des haricots blancs, et, Messieurs, il y a du macar-r-r-roni!“ („Hier ist Rindfleisch, meine Herren, hier gebratenes Schöpsenfleisch, hier weiße Bohnen, und hier, meine Herren, Macar-r-r-roni!“) Einmal hatte ich auch in Duval’s Bouillonetablissements geschmaust, wo man an kleinen Marmortischen ohne Tafeltücher speist und von schmucken Kellnerinnen in weißen Mützen, sauberen Schürzen und braunen Röcken bedient wird, wo die Suppe nichts zu wünschen übrig läßt, alle übrigen Schüsseln einfach, doch gut sind, und wo man bei mäßigem Appetite für dreißig Sous satt werden kann, bei einigermaßen lebhaftem Nahrungsbedürfnisse aber schließlich ebensoviel zu bezahlen hat, wie in den theueren Restaurants erster und zweiter Classe. Mit Einem Worte, ich war so ziemlich in den Speise-Anstalten jeglichen Schlages gewesen und hatte nach und nach in sämmtlichen Restaurants auf den Boulevards und im Palais Royal so oft mein Mittagsmahl gehalten, daß ich alle Kellner bei ihrem Taufnamen rufen konnte und die Besitzer der verschiedenen Etablissements mir gelegentlich wohl freundschaftlich die Hand schüttelten; nur die Institute, von denen ich in Nachstehendem erzählen will, blieben mir noch zu durchforschen übrig. Sie sind es vor Allem, welche durch die beispiellose Billigkeit dessen, was sie bieten, der Masse des Volkes in Paris sich geradezu unentbehrlich gemacht haben, und sicher haben sie denn auch bei ihrer bewundernswerthen Leistungsfähigkeit nicht wenig dazu beigetragen, von den mittleren Schichten der Bevölkerung die entsetzlichen Leiden einer Monate währenden Belagerung so lange fern zu halten, als es eben nur irgend möglich war. Unter solchen Umständen mag eine Schilderung dieser Restaurants auch heute nicht uninteressant sein.
Die Restaurants, die ich meine, sind die Maison Sophie, Maison Blond und einige andere und liegen zum größern Theil in Faubourg Montmartre, in der Rue de Mail und deren Nebenstraßen. Es sind durchgehends ganz eigenthümliche Etablissements. In einem ungeheuern Saale steht eine große Anzahl von Tischen, die alle von völlig gleicher Länge und Breite und einer wie der andere genau in der nämlichen Weise gedeckt und besetzt sind. Zwischen halb sechs und acht Uhr Abends erscheinen die Gäste, einzeln, paarweise, zu Dreien, in Gruppen, wie es eben trifft, und nehmen an einem der aufgeschlagenen Tische Platz, bis derselbe „voll“ ist. Sobald dies geschehen, beginnen die gastronomischen Bewegungen für die betreffende Tafel, gerade wie ein Omnibus seinen Lauf anzutreten pflegt, sobald alle seine Plätze in Beschlag genommen sind. Deshalb hatte einer meiner Freunde, in dessen Gesellschaft ich einen solchen „Massenrestaurant“ besuchte, den glücklichen Einfall, die Speisung als „Omnibusdiner“ zu bezeichnen.
Fort und fort stürmen neue Schaaren von Hungrigen herbei und füllen Tisch Nummer zwei, drei, vier, fünf, sechs und so weiter, bis man überall „complet“ ist, und immer „geht jede Tafel ab“, sobald kein Platz an ihr mehr einzunehmen bleibt. Haben die Gäste an Nr. 1 ihre Mahlzeit beendet, so eilen sie davon, und unverzüglich kommt eine Gesellschaft netter Mädchen angeschritten, nimmt die gebrauchten Teller und Schüsseln hinweg und beseitigt an dem Tischtuche alle Spuren des abgethanen Schmauses, und im Nu steht der Tisch zu neuen Banquets gerüstet, mit frischen Servietten, oft selbst mit frischem Tafeltuch, mit frischen Tellern und frischen Messern und Gabeln. Die Brodkörbe werden von Neuem gefüllt, ein neuer Schoppen Rothwein wird vor jedes Couvert gestellt, die Hors d’oeuvre, Radieschen, Oliven, Gurken und dergleichen, werden erneuert, und Nummer Eins sieht so blank und proper aus, als sollte es erst in’s Gefecht geführt werden.
Eine höchst elegante und imposante Dame bewillkommnete uns mit einem Anstande, welcher einer Herzogin zur Ehre gereicht haben würde, und geleitete uns zu Tisch Nr. 3, der sich eben zu „füllen“ begann, während, wie ich bemerkte, Nr. 1 schon eifrig mit dem Braten beschäftigt und Nr. 2 bis zum Gemüse vorgerückt war. Wir ließen uns neben einem ältlichen Herrn nieder, dem unsere Ankunft augenscheinlich eine Herzenslust gewährte, denn offenbar verspürte er mächtigen Appetit und harrte mit Schmerzen auf den endlichen Anfang des Diners. Zwar gab er sich den Anschein, als läse er in der Zeitung, welche er in der Hand hielt; allein ein Blick in sein Gesicht überzeugte mich, daß seine Gedanken nicht bei der Lectüre waren. Auch legte er das Blatt rasch wieder bei Seite, neigte sich vor, griff tapfer nach einigen Radieschen und schob sie gierig in den Mund. Sein Verfahren steckte die Nachbarschaft an, die nun ebenfalls sich über die verschiedenen Hors d’oeuvre lustig hermachte, bis der lange erwartete Moment des „Completseins“ erschien. Jetzt trat eine freundliche Phyllis heran und überschaute uns der Reihe nach, wie der Omnibusconducteur seine Fahrgäste überblickt. Sie sah, daß es „losgehen“ konnte, eilte nach den Küchenregionen zurück und war rasch wieder bei uns, gleich einer Göttin des Ueberflusses, zwar nicht mit dem Füllhorn ausgestattet, doch mit einer gewaltigen Suppenterrine in ihren Armen. Nachdem der Napf den ihm inmitten der Tafel [83] bestimmten Platz erhalten hatte, blinzelte die blondhaarige und blauäugige Hebe meinen Freund lächelnd an und frug: „Voulez-vous du botage?“ (Wollen Sie Suppe?) Es war, wie die hier von mir gekennzeichnete Aussprache verrieth, eine Elsässerin, und bald plauderten wir mit der hübschen Dirne, die wir damals freilich noch nicht als wiedereroberte Reichscameradin begrüßen konnten, in deutscher Zunge. Wie ich hörte, war die Mehrzahl der Kellnerinnen der Restaurants elsässischer Herkunft.
Suppe und Dessert werden den Gästen von diesen anmuthigen Aufwärterinnen verabreicht, das Rindfleisch und den Braten aber tranchirt der Besitzer des Etablissements in höchsteigener Person. Ersteres erscheint stets in Gestalt des sogenannten „pot au feu“.
„Du weißt doch,“ wandte ich mich an meinen Begleiter, „der pot au feu ….“
„Halt!“ fiel mir mein Freund hastig in’s Wort, „ich weiß, was Du sagen willst. Was Sauerkraut und Wurst uns Deutschen, was das Beef dem Engländer, was die Polenta dem Mailänder, was Macaroni dem Neapolitaner, was der Puchero dem Spanier, was das Kukussu dem Araber – das ist dem Franzosen der pot au feu.“
„Das wollte ich nicht bemerken,“ entgegnete ich: „ich wollte einfach sagen, daß der pot au feu als französisches Nationalgericht gelten kann. Freilich gehört einige Kunst dazu, es richtig zu bereiten; man hat einen vollen Tag dazu nöthig und muß alle mögliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit darauf verwenden, damit die verschiedenen animalischen und vegetabilischen Stoffe, aus denen es besteht, ordentlich zusammen kochen und schmoren. Unter allen Umständen thäten wir besser, den Franzosen ihren vortrefflichen Pot au feu als ihre sehr zweifelhaften Sitten und Moden nachzuahmen.“
Während dieser unserer culinarischen Conversation war das Bouilli, das mit der Suppe zu essende Fleisch, herumgegeben worden. „Gar nicht so übel!“ lautete unser beiderseitiges Verdict. Darauf kam der aus Gemüse gebildete zweite Gang des Diners an die Reihe; es war Sauerampfer und Spargel mit harten Eiern. Auch der erstere ist eine specifisch französische Schüssel, welche gleichfalls eine Einführung bei uns verdiente. Das dritte Gericht war der Braten, Rinderfilet oder Hammelkeule, mit appetitlich angerichtetem Endivien- und Lattichsalat. In der Herstellung des Salats besitzt der Franzose nicht minder eine außerordentliche Fertigkeit; namentlich weiß er dazu manche Pflanzen zu verwerthen, z. B. Löwenzahn und Malvenblätter, die bei uns nach dieser Richtung hin unbenützt zu bleiben pflegen. Das Dessert setzte ein zweites Corps von Kellnerinnen auf; die uns versorgende war ausnahmsweise keine blonde Elsässerin, sondern eine tief brunette Provençalin von fast spanischem Habitus. Sie brachte umfängliche Schüsseln voll Erdbeeren, Rahm, eingelegten Kirschen und verschiedenen Sorten Käse getragen. Bei dieser Procedur präsentirte sich zugleich die Dame vom Hause; mit verbindlichem Gruß wanderte sie von Tisch zu Tisch und forderte die Zahlung für die uns gebotenen Tafelfreuden ein.
„Wie viel, Madame?“ frug ich.
„Dreißig Sous, meine Herren.“
„Und der Wein?“
„Der ist mit eingerechnet.“
Mein Freund, bisher nur der kostspieligen Pariser Cafés-Restaurants gewöhnt, konnte mit Mühe sein Erstaunen verbergen über den nach Pariser Begriffen so überaus niedrigen Preis bei so vorzüglicher Verpflegung.
„Dennoch,“ beruhigte ich ihn, „verdienen die Inhaber dieser ‚Massenrestaurants‘ oder ‚Omnibusdiners‘ jährlich größere Summen, als die vornehmen Restaurationen mit ihren gepfefferten Speisekarten. Die Menge muß es bringen und die verhältnißmäßig sehr einfach organisirte Verwaltung.
Beim Herausgehen aus dem Saale gewahrte ich, daß die Tische Nr. 1 und 2 jetzt von einem völlig andern Publicum besetzt waren, als da wir kamen. Tafel vier, fünf, sechs und so fort hatten noch keine Lücken zwischen ihren Gästen aufzuweisen, während der Schauplatz unserer Thaten hurtig auf’s Neue zu weiteren Angriffen gesäubert und hergerichtet wurde. Die Herzogin am Buffet beglückte uns mit derselben graciösen Verbeugung, mit welcher sie uns beim Kommen bewillkommnet hatte, und wir waren entlassen.
Dergestalt sahen die „Massen- und Monstrerestaurants“ im gewöhnlichen Laufe der Dinge aus. Wie aber mögen sie jetzt während der Belagerung beschaffen sein? Reguliren sie ihr Publicum mit Elephantensteaks oder Rattencotelettes, mit Krähensuppe und Katzenbouilli? Oder haben sie die Bühne ihrer wohlthätigen Bestrebungen längst schon ganz und gar geschlossen?
Bis jetzt haben uns die Ballonbriefe hierüber noch keine Kunde gebracht.
H. Sch.
Eine Hauptstation der im Stillen Ocean kreuzenden Walfänger ist die Gruppe der Sandwich-Inseln. Im Frühling und Herbst laufen sie dieselben an. Der während der letzten „Saison“ erbeutete Thran wird ausgeladen, frischer Proviant eingenommen und den Mannschaften die nothwendige Erholung am Lande gestattet; dann aber eilen die Schiffe nach den Fischgründen und zwar für den Sommer nach dem „Nord-Westen“, hauptsächlich nach dem Meere von Ochotsk und dem nördlich der Bering-Straße liegenden Theile des Polarmeeres.
Im April 1866 verließen auch wir den Hafen von Honolulu und segelten wohlgemuth nach dem hohen Norden. Das herrliche Wetter, dessen wir uns im Anfange der Reise erfreuten, wurde rauher in der Nähe der Alëuten, und als wir diese wüste Inselkette passirten, war es geradezu abscheulich. Eisiger Wind begrüßte uns, Regen, Nebel und Schneegestöber folgten sich in jähem Wechsel und wüthende Böen brausten von den zerklüfteten Bergmassen herab, als wollten sie uns die Durchfahrt verwehren. Oestlich von uns schien ein Vulcan in voller Thätigkeit zu sein. Wir sahen Feuerschein, dunkle Rauchwolken und glaubten in Pausen fernes Getöse zu vernehmen.
Im Bering-Meere fanden wir die Witterung ebenso ungünstig. Bald kämpfte das Schiff tagelang mit Sturm und Wogen, bald ruhte es in dichtem Nebel wie festgebannt auf dunkler Fluth, während Segel, Taue, Holzwerk sich mit einer dicken Eiskruste überzogen. Alles Leben schien hier erstorben. Kein Fisch, kein Vogel war zu sehen, nur verstreute Eisblöcke, bleich und kalt im Nebel schimmernd, trieben vorüber als stille Boten des Nordens.
In noch nie gesehenem Glanze strahlten hier die Polarlichter und entfalteten zuweilen eine überwältigende Pracht. Einmal wurden viele unserer Leute sogar von Furcht ergriffen. Ein Weltenbrand schien zu entstehen. Aus drei im Nord-Osten sich aufbauenden blaßgelben Lichtbogen strömten mächtige grüne und rothe Strahlen über uns hinweg, sie schwangen hin und wieder, neigten sich, sanken zurück und stiegen von Neuem empor, weiter und immer weiter in die Unendlichkeit hineinragend im großartigen Farbenspiel. Wie die Wogen des Oceans vor dem Sturme einherrollen, so überflutheten zuweilen ungeheure Lichtwellen mit majestätischer Bewegung das Himmelsgewölbe, im Zenith mit einem grellen Aufzucken in Tausende von Flammenpfeilen zersplitternd, welche blitzähnlich im Weltenraum verschwanden. Ununterbrochen dagegen trieben die mächtigen Strahlenbündel ihr sinnverwirrendes Spiel, im gewaltigen Schwunge gleich den Flügeln eines Rades nach derselben Richtung eilend, oder fächerförmig auflodernd, sich wild verschlingend und kreuzend. Das ganze Firmament war Licht, Bewegung, ein in den prächtigsten Farben wechselndes Feuermeer. Einzelne Lichtgarben fuhren so jäh und leuchtend herauf, daß sie zwischen Mast und Tauwerk auf uns niederzusinken schienen. Es bedurfte vieler Ueberwindung, um die Täuschung zu erkennen. Oft hatten wir das Gefühl, als müßte so intensiver Lichtentwicklung ein ungeheures Getöse folgen, doch vergebens lauschten wir mit verhaltenem Athem; ein großes Schweigen herrschte in der Natur. Wohl eine Stunde lang zeigte sich die Erscheinung in ihrer höchsten Pracht, dann erlosch sie fast im Augenblick und nur die drei Lichtbogen blieben zurück. Der äußere rückte dann langsam herauf und verschwand mit einem letzten Aufflammen, die beiden übrigen verblichen erst nach und nach, bis sie im Morgenlicht gänzlich verschwanden.
[84] Je weiter wir nach Nord-Westen vordrangen, desto seltener wurde das Eis, und zuweilen war auch nicht ein einziger Block in Sicht. Eines Morgens weckte uns der Ruf: „Ein Bär! Ein Bär!“ und brachte alle Schläfer in größter Hast an Deck. Nicht weit von uns auf einer einsamen Scholle befand sich einer dieser weißröckigen Beherrscher des hohen Nordens und schaute verwundert nach uns herüber. Als wir ein Boot zu Wasser brachten und auf ihn zuruderten, wurde er unruhig. Sich aufrichtend und seltsam mit den Vordertatzen gesticulirend, betrachtete er uns argwöhnisch, lief dann einige Mal hin und her und ließ sich endlich an passender Stelle in einer drolligen Weise, mit dem Hintertheil voran, behutsam in das Wasser gleiten. Der rüstige Schwimmer wurde aber nach einer fliegenden Fahrt erreicht und, obgleich er auch geschickt zu tauchen wußte, mit sicherer Kugel getödtet.
Nach einigen Tagen sahen wir zum ersten Male den Eisblink, einen wenig auffallenden bleichen Schein, der über dem Horizonte hing.
Bald trafen wir auch auf wirkliche Eisfelder. Sie bestanden aus schneebedeckten Schollen und Blöcken, welche durchschnittlich nur einige Fuß über Wasser hervorragten und nur an wenigen Stellen – in Folge des von Stürmen und Strömungen verursachten oft ungeheuren Druckes – bis zu zehn und fünfzehn Fuß hohen Wällen und Haufen über einander geschoben waren. Doch erschienen diese Erhöhungen ganz unbedeutend, wenn verglichen mit der Ausdehnung der Massen. Hatten wir nun auch, in Folge übertriebener Schilderungen, ganz andere Größenverhältnisse zu sehen erwartet, und fühlten wir uns auch etwas enttäuscht, so wurden wir doch nicht müde, die eigenthümliche Schönheit dieser Eislandschaft zu bewundern.
So weit das Auge schweifte, zeigte sich Eis und wieder Eis, ewig wechselnd in Form und Farbe. Vielfach gewundene Canäle verzweigten sich nach allen Richtungen, an einigen Stellen wurden sie so eng, daß ein Boot kaum durchschlüpfen konnte, an andern erweiterten sie sich und bildeten mitten im Meere einen dunkeln stillen See, rings von krystallenen Ufern umschlossen. Bald strahlte diese nordische Scenerie im vollen Tageslicht so blendend und flimmernd, daß sich das Auge schmerzend abwandte, bald wurde sie von der scheidenden Sonne mit Purpur und Gold übergossen, und dann wieder hüllte sie sich in das geheimnißvolle Zwielicht der kurzen Nacht. – In der Nähe dieser großen Eisflächen war das Wetter beständig schön; der Wind wurde schwach und wir glitten nur leise entlang. Einzelne klare Eisstücke zeigten eine entzückende Farbenpracht in vorherrschend grünen und blauen Tinten, wie schimmernde Edelsteine ruhten sie in der unbewegten Fluth. Bisweilen rollte ein dumpfes Dröhnen durch die Luft, wenn eine große Scholle plötzlich von einer Spalte durchsetzt wurde, und dann stürzte wohl ein überhängendes Eisgebäude klirrend und prasselnd in sich zusammen. Das geräuschvolle Blasen auftauchender Wale drang zu uns, und wir sahen bald nah, bald fern das Dunstgebild ihres Athems aufsteigen. Seehunde ruhten hier und da auf dem Eise oder plätscherten im Wasser, während die Walrosse meistens in großer Anzahl bei einander lagen und einzeln oder im Chor ihr kurzes Gebrüll hören ließen. Möven aller Art umstreiften uns; auch Bären, welche schlau wie die Füchse auf Beute ausgingen, waren nicht selten, doch ergriffen sie bei jeder Annäherung von unserer Seite stets die Flucht. Jetzt und auch späterhin hatten wir volle Gelegenheit, zu beobachten, wie sehr das arktische Thierleben an das Eis gebunden ist.
Mitte Mai endlich erreichten wir die Küste Sibiriens. Sie war noch theilweise von einem Eisgürtel umlagert, hinter diesem erhoben sich kühne Vorgebirge, dunkle Klippen, und landeinwärts ragten schneeige Berggipfel in das klare Blau des Himmels. –
Da die Bering-Straße selten vor Ende Juni mit Sicherheit zu passiren ist, so halten sich die zeitiger anlangenden Walfänger nahe der asiatischen Küste, vorzüglich zwischen Cap Pakhoghinsk und Cap Navarin, um die nach dem Eismeere hier vorüberziehenden Wale abzufangen. Zwischen dem Lande und dem im Meere treibenden Eise findet sich immer ein je nach zufälligen Umständen breites oder enges Fahrwasser. In diesem kreuzten oft mehr als ein Dutzend Schiffe in Sicht von einander, und die vielen Boote derselben schwärmten überall umher oder lagen an geschützten Orten beisammen, während die Mannschaften rauchend und plaudernd die neuesten Nachrichten über Thran, Unglücksfälle und Wetter austauschten. Viele Wale wurden harpunirt, die meisten aber im Eise wieder verloren. – Bei dem schönen Wetter und der keineswegs unangenehmen Kälte befanden wir uns alle sehr wohl, nur der Nebel erregte allgemeine Unzufriedenheit. Ueberraschte er uns, so war größte Vorsicht nöthig, sowohl des Eises, als auch der umherkreuzenden Schiffe wegen. Viele der letzteren machten sich hörbar durch das gerade, vier Fuß lange Nebelhorn, welches die wachthabenden Leute mit aller Kraft ihrer Lungen bearbeiteten und dem sie schauerliche Töne entlockten; auf anderen Schiffen wieder paukte man lustig auf ein leeres Faß los und erzielte einen so heillosen Lärm, daß sich die Stellung der verschiedenen Schiffe leicht errathen ließ.
Das Land war stark bevölkert, überall an geschützten Buchten standen Gruppen niedriger Zelte, die Wohnungen der Tschuktschen, der asiatischen Eskimos. Waren die Umstände günstig, so näherten sich kleine, aus Häuten gefertigte Fahrzeuge, Baidaren, dem Schiffe, und am zugeworfenen Tau kletterten die Insassen behende an Deck. Ihre mittelgroßen, kraftvollen Gestalten waren gänzlich in Pelz gehüllt, die breiten Gesichter hatten einen gutmüthigen, zuweilen etwas listigen Ausdruck. Ihre Bewegungen waren lebhaft und bestimmt, ihre Sprache schnell und energisch, doch lachten sie oft und viel. Sie brachten uns vielerlei Artikel zum Tauschen: vollständige, gut gearbeitete Pelzkleidung; Anzüge, von den Gedärmen der Robben gefertigt und gleich einem Hemd mit Kapuze über dem Pelz zu tragen, um diesen gegen Nässe zu schützen[1]; schön verzierte, warme und wasserdichte Stiefeln von Seehundsfell, Kappen und Stulphandschuhe von demselben Material; ferner Walroßzähne, Fischbein und unbrauchbar gewordene Waffen und Geräthschaften. Sie verlangten dafür Tabak, Flinten, Pulver und Blei, Messer, überhaupt Stahlwerkzeuge aller Art, und wußten diese Sachen sehr wohl mit englischen Namen zu benennen.
Die Beharrlichkeit, mit welcher sie, trotz verlockender Gebote, jede Veräußerung ihrer eigenen trefflich gearbeiteten, obgleich sehr einfachen Waffen verweigerten, hätte allein hingereicht zu beweisen, daß wir es mit einem echten Jägervolke zu thun hatten. Auch die Spiele der Knaben zeugten davon. So fuhren diese, mit der uralten Davidschleuder bewaffnet, hinauf auf das Meer und sandten ihre Geschosse nach den einzelnen vorüberziehenden Vögeln. Bemerkenswerth war es, daß sie nie die Vögelschwärme am Lande belästigten, wo doch ein Fehlwurf kaum möglich war. Sie handhabten ihre Schleuder mit großer Kraft, doch mit wenig Geschicklichkeit. Der beste Schütze erlegte erst mit dem siebenten, ein andermal
[85][86] mit dem vierten Wurfe einen Vogel, dann aber verbrauchte er seinen ganzen Vorrath an Steinen, wohl an zwanzig Stück, ohne jeden Erfolg. Einer großen Raubmöve, die ich untersuchte, war der Stein trotz des dichten Gefieders in den Leib gedrungen und hatte sie so sicher wie eine Büchsenkugel getödtet.
Wahrhaft staunenerregend war die Unzahl von Vögeln, welche sich auf manchen Klippen angesiedelt hatten, während sie andere gänzlich unbesetzt ließen. Von ferne klang ihr Geschrei wie dumpfes Brausen und nur in der Nähe konnte man die keineswegs melodischen Stimmen einzelner Mitglieder dieser sehr gemischten Gesellschaften unterscheiden. Zuweilen regnete es förmlich Koth, wenn die aufgescheuchten Bewohner eines Nistplatzes über uns hinwegzogen, und mancher von uns empfing eine „sibirische Decoration“, wie der Matrosenwitz diese unwillkommenen Auszeichnungen taufte.
So war der Juni gekommen und zur Hälfte vergangen. Seit wir hier kreuzten, waren bedeutende Veränderungen eingetreten; prächtige warme Tage waren nicht selten, am Lande schmolz der Schnee, die Sonnenseite der Thäler schmückte sich mit freundlichem Grün, und große Mückenschwärme spielten im Sonnenschein. Auch in Sibirien war der Frühling eingekehrt. Vom Meere waren die Eismassen fast gänzlich verschwunden, mit ihnen die Walrosse und die meisten Seehunde, sie alle waren mit dem Eise nordwärts gezogen in ihre nahrungsreichen Sommerquartiere.
Viele Schiffe hatten diesen Fischgrund schon verlassen, und auch wir folgten endlich den seltener werdenden Walen nach Norden. Am Cap Navarin vorbei ging die Fahrt quer über Anadyr-Bai und hinein in die Beringstraße. Ungeheure Flüge von Enten zogen hin und her und lieferten uns manches schmackhafte Gericht; auch einzelne Walroßheerden suchten ihre Verspätung durch Eile gut zu machen, und wenn man diese trotzigen Gesellen so dahinschwimmen sah, konnte man sich die Fabel von den Meermännern recht wohl erklären. Auf stillem Wasser wie auf einem Flusse glitten wir an der asiatischen Küste entlang, die in milder Schönheit vor uns lag, während nach dem amerikanischen Ufer hinüber der Blick sich in nebeliger Ferne verlor. Schäumend zog das Schiff seine Bahn durch die bald prächtig grün, bald schwarz, bald bräunlich scheinenden Fluthen; vorbei an jäh abstürzenden dunkeln Klippen, romantischen Fjorden und langgestreckten grünen Thälern. Dort standen viele Tschuktschendörfer und überall herrschte reges Leben; wir sahen Menschen, Hunde, einzelne weidende Renthiere, und begegneten vielen Baidaren, deren Insassen den Bewohnern des Meeres nachstellten und uns mit schallendem Zuruf begrüßten. Nirgends erblickten wir einen Baum oder auch nur einen Strauch.
Bald zeigten sich vor uns zur Rechten die hohen vielnamigen Felsensäulen der Diomeden, starr und steil inmitten der Straße aus den Fluthen ragend wie mächtige Pfeilerreste einer zertrümmerten Riesenbrücke. Meilenweit zur Linken erhob sich der letzte Wächter des Polarmeeres, das weit in die Straße hereintretende Ost-Cap. Drohend und düster liegt dieser einsame Bergkoloß, der anstürmenden See, der Gewalt des Eises jähe trotzige Felsenwände entgegenstellend, den Gipfel von Wolken verhüllt. Wie lebhaft erinnerte ich mich hier Chamisso’s, welcher vor einem halben Jahrhundert, auf dieser selben Stelle und angesichts dieses Caps, seinem Wunsche, das Eismeer zu sehen, entsagen mußte, weil Capitain Kotzebue vom „Rurik“ unter mancherlei Vorwänden nicht weiter zu fahren wagte. Wir aber segelten frisch hinein in den „Arktischen Ocean“, dessen Gewässer sich im Sonnenglanze vor uns ausbreiteten.
Tagelang kreuzten wir nordwärts, ohne mehr Eis zu sehen als hier und da einen einzelnen Block, welcher verwittert und verloren im Wasser trieb und höchstens einem behäbigen Seehunde zum Ruhesitz diente. Zuweilen kam ein Schiff in Sicht und schwarze Rauchsäulen am Horizonte verriethen andere, welche glücklich in der Jagd gewesen waren und „auskochten“.
Wir selbst erlegten in wenigen Tagen mehrere Wale und hatten einen äußerst anstrengenden Dienst, so daß wir in fünfzig, sechszig Stunden kaum vier Stunden ungestört schlafen konnten; in Folge der übergroßen Müdigkeit schliefen die Leute häufig auf den Ruderbänken ein. Die Eßlust überstieg alle Grenzen. Die farbigen Portugiesen von den Azoren und den Capverdischen Inseln[2] namentlich, welche zum ersten Male den Einfluß eines kalten Klimas fühlten, zeigten einen erstaunlichen Appetit. Die fettesten Speisen, von denen wir uns anderswo mit Widerwillen abgewendet hätten, waren uns hier sehr willkommen, und gleich den nordischen unverbesserlichen Anti-Vegetarianern aßen wir mit Vorliebe Speck und Fleisch.
Der altgewohnte Wechsel von Tag und Nacht fand schon längst nicht mehr statt, die Sonne ging für uns weder auf noch unter; stetig kreiste sie über dem Horizonte, am Mittag im Süden um Mitternacht im Norden stehend. So hatten wir viele Wochen lang einen einzigen Tag. Das so verrufene Eismeer machte einen wider Erwarten günstigen Eindruck auf uns. Das Wetter war überraschend mild, der Wind meistens sehr schwach; zuweilen regnete oder schneite es wohl, ungemüthlich war aber eigentlich nur der Nebel. Auffallend war der Einfluß desselben auf die Mannschaft. Einige Gemüther verdüsterte er, andere stimmte er weich, die Mehrzahl aber reizte er auf zu Zank und Streit, und ein lange dauernder Nebel führte fast regelmäßig zu Prügeleien. Allerdings wirkte der nüchterne Wasserdunst nicht gleich alkoholhaltigen Getränken auf den Raufsinn, wohl aber verhinderte er uns die Jagd zu betreiben, und brachte uns so die Langeweile mit ihrem bösen Gefolge.
Bis jetzt waren wir immer glücklich in der Jagd gewesen und hatten schon manches Faß mit Thran gefüllt und kostbares Fischbein in großen Haufen aufgestapelt, so daß wir äußerst zufrieden sein konnten. Nur einmal wandte uns das Glück den Rücken zu. Ganz in der Nähe des Schiffes tauchte unerwartet ein riesiger Wal auf. Leise – um ihn nicht zu verscheuchen – und in größter Eile setzten wir ihm nach. Kaum aber hatte das erste Boot die nichtsahnende Beute erreicht und „festgemacht“, da flog es auch schon vollständig aus dem Wasser, schlug über und verstreute seinen Inhalt, Menschen und Geräthschaften, mit lautem Klatschen in das Wasser. Ein vielstimmiges Wehe- und Wuthgeschrei erscholl. Die unfreiwillig Badenden wurden aufgefischt und von dem einen Boot an Bord gebracht, während die übrigen zwei den Angriff fortsetzten. Dem ersten Officier glückte es, den Wal mit einem Sprenggeschoß tödtlich zu verwunden, doch ehe er aus dem Bereich des wüthenden Thieres gelangen konnte, traf dieses mit einem furchtbaren seitwärts gerichteten Schlage seines Schwanzes den im Boote stehenden Harpunier, daß der Unglückliche, todt und zerschmettert, wie ein Kegel durch die Luft wirbelte. Im nächsten Augenblicke zertrümmerte dann ein zweiter Schlag das Boot und die Leute versanken in die eisigkalte Fluth. Zum Glück waren wir in der Nähe und konnten die Erstarrten in Sicherheit bringen.
Ein Mann war getödtet, mehrere hart getroffen und zwei Boote zerschlagen. Der Anstifter dieses Unheils war dann gesunken wie ein Stein und für uns verloren. Ein anderes Schiff soll mehrere Tage später den aufgedunsenen Leichnam gefunden und aus ihm hundertfünfzig Faß Thran gewonnen haben. – Derartige Unglücksfälle ereignen sich übrigens im Eismeer ziemlich selten. Der nordische Bartenwal ist äußerst furchtsam und selbst verwundet lange nicht so kampflustig wie manche seiner Verwandten in wärmeren Meeren. (Siehe: Fang eines Potwals. Jahrgang 1869. Nr. 38) Er ist durch schlimme Erfahrungen klug gemacht und um seinen Verfolgern zu entgehen, auch der reichlicheren Nahrung wegen hält er sich gern zwischen dem Eise auf.
Dort suchen ihn dir Walfänger vorzugsweise und in Folge dessen begegnen sich die Schiffe sehr häufig oder kreuzen in Gesellschaft an den Eisfeldern auf und nieder. Man besucht sich gegenseitig oder unterhält sich mittelst des Sprachrohres.
Die erste Frage bleibt unabänderlich: „Wie viel Wale habt Ihr?“ und dann werden andere wichtige Nachrichten ausgetauscht, wobei Neid, Aerger oder auch Freude über das eigene Glück sich in ergötzlicher Weise äußern. Die Schiffe liegen beigedreht oft viele Stunden nebeneinander oder segeln auch gemeinsam vorwärts. Dann spähen die Ausluger doppelt scharf von ihrer luftigen Höhe und die schlauesten Manöver werden ausgeführt, um dem Rivalen jeden Vortheil abzugewinnen, falls eine „Thranbutte“ sich irgendwo zeigen sollte. Dennoch hält man viel auf gute Cameradschaft und die kühnen Freibeuter respectiren jene Rechte, welche sie sich für den Walfang aufgestellt haben. Leider aber verlieren, selbst so nahe am Nordpole, die Gesetze nichts von ihrer bekannten Biegsamkeit. –
Noch einmal der Aberglaube des deutschen Soldaten im Kriege. Wir haben in Nr. 1 der Gartenlaube über den Aberglauben des deutschen Soldaten im Kriege berichtet und am Schlusse des Artikels die Hoffnung ausgesprochen, daß unsere Mittheilungen wohl die Veranlassung zu weiteren Nachforschungen auf diesem Gebiete werden würden. Diese Hoffnung ist bereits in Erfüllung gegangen und von den verschiedensten Seiten erhalten wir höchst interessante Beiträge zu dem angeregten Thema. Namentlich ist es der sogenannte „Schutzbrief“, welcher uns von mehreren Lesern unseres Blattes in Abschriften eingesandt worden ist, deren Grundgedanke überall der gleiche ist und denen auch, wie deutlich erkennbar, überall das gleiche Original vorgelegen hat, während die Abweichungen im Text nur durch die Leichtfertigkeit des Abschreibers oder durch dessen Unbildung und Unverstand hervorgerufen worden sind.
Den einen dieser „Schutzbriefe“, der in einem andern Schreiben in sehr irrthümlicher Verwechslung auch „Hirtenbrief“ genannt ist, begleitet der Einsender, der, wie wir noch zu bemerken haben, als preußischer Officier Krankheits halber eben vom Felde in die Heimath zurückgekehrt ist, mit folgender Zuschrift:
„Auf Ihre Anregung hin schicke ich Ihnen hier die Abschrift eines sogenannten ‚Schutzbriefes‘, wie er bei uns zu Lande, in der Altmark, fast in Jedermanns Händen ist. Der Glaube an die wunderthätige Kraft dieses Briefes ist ein allgemeiner und nicht allein sämmtliche von hier in’s Feld gezogene Soldaten führen denselben bei sich, sondern auch in vielen Familien wird er als Beschützer des Hauses sorgsam aufbewahrt. Wo der Brief eigentlich herstammt, weiß Niemand anzugeben, die Meisten sagen: den habe ich von dem und dem abgeschrieben, oder: den hat schon mein Großvater gehabt, u. dgl. Ich glaube, daß alle diese Briefe, die durch vielfaches Abschreiben arg verunstaltet sind, aber sämmtlich dieselben Grundgedanken haben, aus dem dreißigjährigen Kriege herstammen und aus dieser Zeit auf uns Nachgeborene vererbt worden sind. Daß einzelne Wendungen der Briefe sich an rein katholische Gebetformeln anlehnen, ist ja unverkennbar. – Beim Ausbruch des Krieges mit Frankreich wurde meinem Vater ein solcher Brief zugeschickt mit dem Ersuchen, denselben abzuschreiben und jedem seiner Söhne, die, wie Sie wissen, sämmtlich in die Armee traten, eine Abschrift mitzugeben. Auch wurde mir, als ich im October zu meinem Regiment ging, im Eisenbahncoupé von einem anscheinend der bessern Gesellschaft angehörigen mitreisenden Herrn ein Schutzbrief angeboten, den ich aber dankend ablehnte, worüber sich der Herr ordentlich beleidigt zu fühlen schien.“
Soweit die Begleitworte des Einsenders; der Schutzbrief selbst lautet wörtlich und mit völliger Beibehaltung auch seines grammatikalischen Unsinns:
„Dieses Kräftiges und für alle Menschen heilsames Gebet ward im Jahre 1505 auf das Grab unseres Heilandes gefunden.
Als Kaiser Carl zu Felde zog, erhielt er es vom Papste aus Frankreich nachgeschickt, der es sogleich auf seinem Schilde ausdrücken ließ in goldenen Buchstaben, wer dieses Gebet täglich bett oder beten hört und damit das Vaterunser auf Jesu Leiden verbindet wird keines unnatürlichen Todes sterben auch nicht durch Gift umkommen. Eine Frau die in Kindesnöthen ist wird leicht entbunden, wenn der Mann das Neugeboren Kind auf der rechten Seite der Mutter legt, wird es von Unglück befreit sein. Auch wird derjenige der dieses Gebetchen bei sich trägt wird von keiner Krankheit angefochten werden, wer es verspottet wird ewig verflucht werden. Wer dieses Gebet von Haus zu Haus trägt, der wird gesegnet werden. Zuletzt wer dieses Gebet sucht, oder hört, wird drei Tage vor seinem Tode Zeichen am Himmel sehen. Wenn ihr euch hüttet vor Sünden, mit guten den Feiertag haltet, so werdet ihr die Ewige Seligkeit erlangen. Thut ihr aber dieses nicht so werde ich euch strafen, ich werde setzen einen Krieg wider den anderen, einen Streit wider den anderen, und werde alsdann meine Hand von euch nehmen. Wegen einer Unartigkeit werde ich ein zweischneidiges Schwert ergreifen und euch vertilgen hernach mit Donner und Blitz auf der Erde herabfahren, damit ihr erkennt meinen Zorn und meine Göttliche Gerechtigkeit wenn ihr des Sonntags arbeitet aus Väterlicher Liebe, für eure Kinder habe ich euch verschonet sonst werdet Ihr längst wegen eure Ungerechtigkeit verdammet. Ich befehle euch sowohl Jung und Alt das ihr fleißig in die Kirche geht und eure Sünden bekennt bei der Buße, euren Nächsten nicht beleidigt auch kein falsches Zeugniß redet, auch hütet euch vor unterdrückung der Armen, sondern helft die Bedürftigen. Wer diesen Brief nicht glaubt der soll die ewige Seligkeit nicht erlangen wer ihn aber bei sich trägt und anderen zum Abschreiben und zum lesen giebt der mag Sünde haben wie Sand am Meer oder wie ewige Sterne am Himmel sie sollen ihm vergeben werden. Wer von diesem Brief hört und ihn nicht abschreibt und in seinem Hause nicht hat der hat keinen Segen wer ihn aber nicht zum abschreiben giebt, der soll verdammt werden. Zuletzt befehle ich noch das ihr meine Gebote haltet wie sie Christus gelehrt hat im Namen Gottes des Vaters † des Sohnes † und des heiligen Geistes † Amen. Wer diesen abgeschriebenen Brief bei sich trägt wird von einem geladenen Gewehre keinen Schaden nehmen denn es sind Worte dabei die das Göttliche bekräftigen sind wovor man sich nicht fürchten braucht, durch diese werden Schwerter Diebe Feinde alle Beschwerden und Geschütze können besprochen werden.
1) Steht stille alle ihr sichtbaren und unsichtbaren Gewehre damit ihr nicht auf mich loß geht, durch die Taufe unseres Herrn Jesus Christus der von Johannes im Flusse Jordan getauft worden ist.
2) Steht stille alle ihr sichtbaren und unsichtbaren Gewehre durch die Angst unseres Herrn Jesum Christum welcher mich und dich erschaffen hat.
3) Steht stille alle ihr sichtbaren und unsichtbaren Gewehre damit ihr nicht auf mich loß geht durch den Befehl des heiligen Geistes.
4) Steht stille alle ihr sichtbaren und unsichtbaren Gewehre und Waffen durch die Taufe des für uns gestorbenen Marters und Allmächtigen Gott, sei uns Gnädig, im Namen Gottes des Vaters † des Sohnes † und des Heiligen Geistes † Amen.
Wer diesen Worten keinen Glauben schenken will darf sie nur auf einen Zettel schreiben, denselben einen Hund um den Hals hängen und danach schießen, er wird ihn nicht treffen in Jesu Namen so wahr wie dieses geschrieben steht, so wahr wie Christus gestorben und auferstanden ist. Wer an diesen Brief glaubt und ihn bei sich trägt wird keinen leiblichen Schaden nehmen.
Ich beschwöre Gewehre und Waffen bei dem lebendigen Gott des Vaters † des Sohnes † und des heiligen Geistes † wie alle Heiligen die mich heute mit einem tödtlichen Gewehre tödten noch verwunden können Gott des Vaters sei uns gnädig † Gott des Sohnes sei mit mir † und Gott des heiligen Geistes zwischen alle Kugeln † Amen.
Graf Fielepp von Flandern, der einen Ritter hatte und diesen wegen eines verbrochenen Vergehens den Kopf abhauen lassen wollte vermochte er es durch seinen Scharfrichter nicht, dieser konnte ihn nicht weder enthaupten noch verwunden, dies machte dem Grafen große Verwunderung und allen anwesenden, der Graf ließ ihn deßhalb vorführen und brachte ihn zum Verständniß mit welchen Dinge es zuginge, worauf er ihn das Leben schenkte als der Ritter ihm diesen Brief mit folgenden Buchstaben verzeichnete. R † K † D † FD † K †. alle seine Diener verwunderten sich sehr der Graf ließ diesen Brief sogleich abschreiben. Wenn jemanden die Nase blutet ober sonst verwundet ist der lege nur diesen Brief darauf und wird sich sogleich das Blut stillen wer es nicht glaubt schreibe vorstehende Buchstaben auf ein Messer und steche ein Thier damit es wird gewiß nicht bluten.
Unsere Leser werden nicht verlangen, daß wir die geheimnißvollen Buchstaben und Namen für sie enträthseln. So wollen wir denn hier nur noch bemerken, daß, abgesehen von den leicht verwechselten lateinisch geschriebenen Einzelbuchstaben, vor Allem die Namen in den verschiedenen uns vorliegenden Abschriften des „Schutzbriefes“ verschieden lauten; daß überall die gleichen Namen gemeint sind, ergiebt sich aus den Anklängen. So steht statt des oben erwähnten Grafen „Fielepp“ in einem andern Briefe „Fillp“ und die Worte „Klaus – Bendas – Noment – Lesebuch (!) – Eaunoment“ lauten anderswo: „Bin – Kestus – Normen – Sibusch – Monement.“ Daß der Text hier wie dort „corrumpirt“ ist, liegt auf der Hand, und so wollen wir es dem Scharfsinn eines Gelehrten überlassen, das Richtige herauszuklauben.
Die beiden Winterbilder aus dem Kriege, welche wir heute unseren Lesern vorlegen, erhielten wir leider ohne jede weitere beschreibend Notiz von Seite der beiden Maler zugesandt, so daß wir, da die Fabrication eines romantischen Textes wenig mit unseren sonstigen Bestrebungen in Einklang stehen würde, gezwungen sind, uns nur auf Wiedergabe der von den Malern an Ort und Stelle gegebenen Bilderunterschriften und auf den Abdruck einiger allgemeiner Bemerkungen zu beschränken.
Die eine Illustration, von Christian Sell entworfen, zeigt uns einen französischen Gefangenentransport nach der Capitutation von Mezières, welche bekanntlich Anfang Januar den rechten Flügel der „Festungszone gegen Belgien“ in unsere Hände lieferte. Der Platz hatte nur zwei Tage lang das Bombardement ausgehalten; doch genügte dieses, die halbe Stadt der Zerstörung anheimzugeben. Der Kanonendonner war so furchtbar, daß die ganze Landbevölkerung der Umgegend von Schreck ergriffen wurde und mit Hab und Gut das Weite suchte. Daß die Franzosen auch Mezières, das seiner Lage wegen als ein Platz ersten Ranges anzusehen ist, für uneinnehmbar gehalten haben, bedarf kaum der Erwähnung; doch scheint eben den weit und sicher schießenden schweren Geschützen der preußischen Artillerie nichts widerstehen zu können.
Das zweite Bild führt uns auf die winterlich beschneiten Höhen vor Paris, zu den „nie fehlenden“ Ulanen. Das Bild spricht für sich; die dicke graue Nebelluft, die kahlen, vom Schnee angewehten Bäume, und in dieser öden, frosterfüllten Landschaft die wackeren Lanzenreiter, unbeweglich in den festzugezogenen Mantel gehüllt, den Kragen hinaufgeschlagen und nur mit wachsamem Auge hinüber in die Ferne spähend, wo heute die Forts und vorgeschobenen Verschanzungen der eingeschlossenen Armee kaum sichtbar sind – das ist ein Bild, wie man es in den letzten Wochen vor Paris oft genug erblicken konnte. Doch scheint endlich einmal auch hier das Ende nahe und der Tag nicht fern zu sein, wo unsere Ulanen – bekanntlich der Schrecken aller Franzosen – die Pariser Boulevards hinauftraben, der einziehenden Armee als die Ersten voran, mit flatternder Fahne und die gespannte Pistole in der Rechten.
W. K. in B-g. Wenn Sie wirklich ein so eifriger und langjähriger Leser der Gartenlaube sind, so sollten Sie doch wissen, daß die Gartenlaube nicht erst den achtzigsten Geburtstag Franz Grillparzer’s abgewartet hat, um dessen hohem Talent gerecht zu werden, sondern daß sie schon vor zehn Jahren eine eingehende Biographie und Charakteristik des österreichischen Dichters gebracht hat. Lesen Sie Nr. 19 vom Jahrgang 1860 nach und Sie werden dort bereits finden, was Sie heute erst von uns erwarten.
Frau J. P–é. in Berlin. Auch wir haben mit großer Theilnahme von dem unglücklichen Schicksale der Tochter Ferdinand Raimund’s vernommen. Ihr Wunsch, das dürftige Loos derselben nach Kräften zu mildern, entspringt einem edlen Herzen und findet gewiß bei den vielen Verehrern des genialen Dichters reiche Nachahmung. Wir bitten Sie übrigens, den kürzesten Weg einzuschlagen und sich direct an „Fräulein Emilie Raimund, Souffleuse am Stadttheater zu Znaim,“ zu wenden.
M. H. M. Ein Herr de D–s ist uns vollständig unbekannt und steht auch mit der Gartenlaube in gar keiner Verbindung.
[88]Für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute
gingen wieder ein: Zweite Gabe von Ferdinand Möhler in Altmittweida 10 Thlr.; unbekannt und ohne Ortsnennung 1 Thlr.; von Sp. u. F. 2 Thlr.; Joh. Brockhardt in Leisnig 2 Thlr.; F. in L. 1 Thlr.; gesammelt im heitern Spiel für bittern Ernst von Dr. E. Lehmann in Warklund (Rußland) 10 Rubel; S. H. in Ohrdruff 2 Thlr. (mit Abzug des Portos 1 Thlr. 26 Ngr.); Ertrag eines Sylvesterspiels in Salzwedel 1 Thlr.; ein alter Abonnent in Rankwitz 4 Thlr.; Ertrag einer von den Frauen Guntersblums veranstalteten Verloosung 20 fl. rh.; Ertrag einer am Weihnachtsabend in Schönlinde stattgehabten Verloosung durch E. Dittrich 17 Thlr.; gesammelt bei einer Christbescheerung von D. u. N. 1 Thlr. 7½ Ngr.; Kuckuk aus Segeberg 1 Thlr.; C. St. in Mexico 28 Thlr.; Geschwister V. in Hamburg 10 Thlr.; C. Welker in Chur 4 Thlr.; Sammlung des Gemeindevorstands Denath in Nauenhain 7 Thlr. 5 Ngr.; Emma und Antonie Lange in Glashütte 3 Thlr.; Anerkennung für rasche Uebermittelung von Siegesdepeschen 10 Thlr.; Alb. Mertz in Saarbrücken 1 Thlr.; fröhliche Abendgesellschaft in Gleiwitz 1 Thlr. 20½ Ngr.; gesammelt durch Pfarrer Virnau in einem patriotischen Kreise Berkas a. W und Umgegend 6 Thlr. 15 Ngr.; Ergebniß einer Sammlung der Antwerpener Liedertafel (297 Frcs.) 41 Thlr. 22½ Ngr.; am Sylvesterabend in Augsburg gesammelt von A. G. 2 Thlr.; im Blauen Engel in Braunlage 1 Thlr.; im Schwarzen Bär in Günthersdorf gesammelt 2 Thlr. 5 Sgr.; vom Bäckergesellen K. E. in Lübeck 2 Thlr. mit den Worten):
Von der Stirne heiß
Rinnt mir Nachts der Schweiß;
Doch geb’ ich’s freudig hin
Und denk’ mit deutschem Sinn:
Es ist für Deutschlands Streiter,
Gott hilft uns dann schon weiter!
C. R. in Nürnberg 1 Napoleond’or mit dem Wunsche: „Möge es allen unsern Feinden so ergehen!“ (das wolle Gott verhüten, daß unsere Feinde mit Napoleonsd’or überschüttet werden!); Erlös einer kleinen Lotterie von den Schwestern A. u. E. B. 18 Dollars; Oekonomieverwalter Hobach in Nischburg 5 Thlr.; aus der Sparbüchse von Julius und F. D. und E. in Bukarest 1 Napoleond’or; aus Riga, Ertrag einer Sammlung 50 Rubel; M. H. in Luzern 6 Frcs.; am Weihnachtsabend von jungen Buchhändlern und Kaufleuten in Mannheim gesammelt 1 Thlr. 14½ Ngr.; Doctor Richter 10 Thlr.; H. C. Weißker in Horneburg 5 Thlr. 1 Ngr.; gesammelt auf dem Bahnhofe Großschönau 6 Thlr.; aus Achtsberg 1 seltener Ducaten mit den Worten:
Dies seltene Stück, auf Christi Tod geprägt,
Das des Erlösers Schmerzens-Antlitz trägt,
Es wird gewiß den schönsten Zweck erfüllen,
Hilft es dazu, der Brüder Schmerz zu stillen!
M. K. in L. 10 Thlr.; L. K. in Hasloch 1 Thlr.; Elisabeth und Ida 1 Thlr.; B. S. in Dresden 10 Thlr.; Geb. E… 30 Thlr.; aus einer Scatcasse in Liverpool 10 Thlr.; die Studirenden der Bauakademie in Dresden 30 Thlr.; für eine verlorene Wette von Jul. Prätorius in Moskau 10 Rubel; Ertrag eines Kegelabends der Bootsgesellschaft „Germania auf der Pleiße“ 10 Thlr.; H. M. 10 Ngr.; zwei Geschwister, Cilly und Lutta, 10 Rubel; von einer Altenburgerin aus dem Innern Rußlands 30 Rubel; gesammelt beim Geburtstage der Frau Mathilde Meyer in Lodz 20 Rubel; von der Antwerpener Liedertafel, Kostenersparniß beim Arrangement ihres Weihnachtsfestes 35 Thlr. und von Frau C. A. dort noch 10 Thlr.; Groß-Schönauer Stammgäste der Hannich-Schänke zu Warnsdorf 8 Thlr. 15 Ngr.; Ebert Engmar 2 Thlr.; von einigen Deutschen und Freunden deutscher Sache vierter und fünfter monatlicher Beitrag 100 Thlr. 25 Ngr.; von einem dankbaren Leser der Gartenlaube in Stockholm 5 Thlr.; E. Zilestorf in Warleberg 5 Thlr.; J. M. 1 Thlr.; E. F. Schultze in Berlin 2 Thlr.; ein Lehrer in Dresden 1 Thlr.; zwei deutsche Mädchen in Bredstedt 2 Thlr.; bei Gelegenheit einer ersten Vaterfreude A. B. zu Grube Altenwald 1 Thlr.; gesammelt in der Restauration „Einsicht“ in Schwarzburg 2 Thlr.; Ertrag einer Kinderlotterie von Clara Heinze 1 Thlr. 16 Ngr.; G. S. in Frankfurt a. M. 5 Thlr.; L. Gebhardt 10 Thlr.; L. 65 „Ein Tröpflein Balsam“ 2 Thlr.; der deutsche Künstlerverein in Rom 64 Thlr.; Leopold Gebhardt aus Freude über die Geburt eines Stammhalters 50 Thlr.; Sammlung am Christfeste unter den Bewohnern Fockschans (meist Ausländer) durch A. O. 16 Stück Ducaten und 70 Frcs.; zwanzigste bis dreiundzwanzigste Wochensammlung des Personals der Herren Schelter u. Giesecke 81 Thlr. 18 Ngr.; siebenzehnte bis neunzehnte Wochensammlung der Klinkhardt’schen Buchdruckerei 13 Thlr. 12 Ngr.; gesammelt am Sylvesterabend im Billardzimmer der Thieme’schen Brauerei 2 Thlr. 16½ Ngr.; Sammlung durch Bernhard Knaak im jekaterinoslawschen Gouvernement (Südrußland) 110 Rubel; gesammelt bei der Christbescheerung in der Härtelei 3 Thlr. 7½ Ngr.; Ertrag einer von Anna Röhrig in Obersinn veranstalteten Lotterie einer Stickerei 30 fl. rh.; Stephanie Meyer in Boston 5 Dollars; verlooste Pappenarbeit von A. B. in Quackenbrück 2 Thlr. 15 Ngr.; Schulkinder von Gräfentonna, welche auf ihr Neujahrsgeschenk zu Gunsten der Soldatenkinder verzichteten, 8 Thlr. 8 Ngr.; J. S. in K., Gouvernement Kiew, 10 Rubel; „Meinem Nichtchen Elise zu Ehren“ von E. E. 5 Thlr.; gesammelt in der Reparatur-Werkstätte und Station Olwiopol und Elisabethgrad der Odessaer Eisenbahn durch K. Schwarz und U. Presche 89 Rubel; Anna W. in Schleiz 1 Thlr.; Verloosung des Christbaums des Kegelclubs „Arche“ in Dresden 4 Thlr. 5½ Ngr.; von einem kleinen Mädchen im Schwarzwalde am heiligen Weihnachtsabend gesammelt 6 fl. rh.; von Einer, die gern Allen geben möchte, 1 Thlr. 12 Ngr.; A. H. in Bern 100 Francs mit folgender Zuschrift:
„Die ‚Kreuzzeitung‘ veröffentlicht folgende Zuschrift eines gewissen Edlen von Finkenstein: ‚Seit längerer Zeit drängen zahlreiche Ungenannte in der Schweiz, England, Amerika, Australien und anderen mehr oder weniger anrüchigen Ländern den Hülfsvereinen zur Unterstützung unserer Armee Beiträge auf, ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, die Summe in preußischer Münze auszurechnen. Es sind dies Leute, die im Jahre der Schande 1848 auf jeder Barrikade gesehen, aber nicht getroffen haben. Wenn auch keine gesetzlichen Mittel vorhanden sind, diese Anmaßungen zu bestrafen, so hoffe ich wenigstens, daß die allgemeine Entrüstung alle preußischen Vereine bewegen wird, solch giftige Gaben abzulehnen.‘
Ohne mich in Bezug auf den Mittelsatz vorstehenden Schriftstückes (dessen Authenticität ich zur Ehre Deutschlands noch bezweifeln möchte) betroffen zu fühlen, bin ich doch so sehr von der Ueberzeugung durchdrungen, daß jener sogenannte Edle nicht viel zur Linderung der Noth der Hinterlassenen deutscher Krieger beitragen werde, jedenfalls nicht im Entferntesten so ausreichend, wie die Umstände es erforderten, daß ich das neue Jahr nicht alt werden lassen kann, ohne Ihnen zu Handen der mancherlei Hülfsbedürftigen, mit Ausschluß der Franzosen, etwas von meinen noch schwachen Ersparnissen einzusenden.
Mögen Sie beiliegende Gabe zugleich als einen Beweis hinnehmen, daß es hier zu Lande auch noch Leute giebt, die das deutsche Volk wegen der vielleicht nächstens wieder stärker hervortretenden Reaction und Soldatenherrschaft bedauern, aber nicht hassen, und deshalb auch trotz Sympathien für eine französische Republik, falls dieselbe wirklich die Fähigkeit zeigen sollte, unter der Herrschaft wirklich republikanischer Grundsätze zu bestehen, den Deutschen ein baldiges vollkommenes Erreichen ihres Kriegszweckes wünschen.
Noch einen frommen Wunsch kann ich bei dieser Gelegenheit nicht unterdrücken, und zwar daß die Deutschen nun einmal die mit den Waffen bewiesene Unabhängigkeit von Frankreich auch in der Sprache und zwar namentlich auch in der Militärsprache durch gründliche Ausmerzung alles französischen kundgeben möchten. Es mag dies einerseits vielleicht kleinlich erscheinen; allein gerade der Hang der Deutschen, in Frankeich ihr Glück zu machen und zu Hause möglichst französisch zu erscheinen, trägt gewiß nicht wenig dazu bei, daß der Franzose meint, er sei dazu bestimmt, die erste Geige zu spielen, und daß er gegenwärtig dieser Idee so gewaltige Opfer bringt.
Im gegenwärtigen Racenkampf klingt es doppelt sonderbar, von preußischen Commandeurs, Secondelieutenants, Sergeanten etc. sprechen zu hören.“
Aus Oesterreich kamen uns ferner zu: Erster Wiener Turnverein, Reinertrag eines Schauturnens 225 fl.; eine kleine Sylvestergesellschaft in Biala (Galizien) 3 fl.; Anna Wolf in Wien 3 fl.; Sammlung durch Fräulein H. Webel in Alt-Orsowa 115 fl., unter Betheiligung von sieben Nationalitäten: Engländer, Griechen, Italiener, Romanen, Serben, Ungarn und Deutschen; Bapt. Rathofer in Gonobitz (Steiermark) 5 fl.; von einigen Mitgliedern der Montagsgesellschaft in Bärn (Mähren) 3 fl. 50 kr.; Anna und Marie aus Nordböhmen 5 fl.; kleine Tischgesellschaft in Roßbach 6’fl. und 3 Thlr.; vierter Beitrag von Johannes Goetzger in Wien 10 fl.; eine Unbekannte, die in den Jahren 1855 und 1856 in Leipzig lebte, 4 fl; theatralische Vorstellung der Dilettantengesellschaft „Paixhanslin“ in Vöcklabrock 80 fl.; J. B. in Pest 12 fl.; K. M. W. 10 fl.; eine deutsche Weihnachtsgesellschaft in Prag 15 Thlr.; eine deutsche Frau in Balice (Galizien) 2 Ducaten mit den Worten:
Ich bleib’ im fernen Polenland
Den Deutschen immer stammverwandt,
Bin stolz auf meine Brüder,
Und leg’ auf Deutschlands Ruhmaltar
Die kleine Gabe gern und zwar
Für Krieger-Waisen nieder.
Patrika-Mitglied Kibitz in Prag 10 fl.; einige deutsche Studirende des Gymnasiums in Pilsen 25 fl.; Unbekannt 1 fl. 40 kr.; H. G. R. M. in Güns (Ungarn) 10 fl.; das Studenten-Hülfscomité in Wien 300 fl. und zwar Burschenschaft Teutonia 100 fl., Libertas 35 fl., Cheruscia 30 fl., Verbindung Alemannia 50 fl., eine Gruppe deutscher Studenten 30 fl. und Beiträge einzelner Studenten 55 fl.
Von unseren Siebenbürger Landsleuten, die sich immer und immer wieder auszeichnen, trafen ein: Sammlung in der bürgerlichen Scharfschützen-Gesellschaft in Hermannstadt durch G. Dietrich 41 fl. 50 kr.; vierte Sendung aus Bistritz 247 fl., und zwar (laut Brief): Wallendorf 20 fl., Deutsch-Budak 12 fl. 43 kr., Windau 11 fl. 40 kr., Wermesch 31 fl., Schönbirk 40 fl., Jaad 52 fl., Weißkirch (zweite Sendung) 23 fl., Minarken 17 fl. 55kr., Pintak 23 fl. 50 kr., Bistritz (obere Vorstadt) 15 fl. 12 kr., Notar Conrad aus Lechnitz 1 fl.; im Namen einiger Schüler der deutschen Oberrealschule in Hermannstadt 26 fl.; der Ausschuß des Frauenwohlthätigkeitsvereins in St. Regen 201 fl., und zwar 100 fl. vom Verein selbst, 85 fl. durch eine Sammlung in der Generalversammlung und 16 fl. vom Lehrercollegium des dortigen Realgymnasiums; M. in Kalan 20 fl.; L. u. C. J. B. 10 fl.; ein Sachse aus Mediasch in treuer Erinnerung an sein schönes Studentenleben in Deutschland 5 fl.; einige Sachsen in Klausenburg 6 fl.; E. D. in Leschkirch 10 fl.; J. S. in Hermannstadt 10 Thlr.; Ertrag einer Gesangsproduction der Liedertafel „Agathe“ zu Agnethale 41 fl.
Soeben erhalten wir noch eine Liebesgabe von 1000 Thaler vom deutschen Turnverein in London.
Gesammtbetrag aller Eingänge 22,651 Thlr. 3 Ngr. 9 Pf.