Die Anfänge der Dresdner Lokalgeschichtschreibung

Werke Dresdner Künstler des 18. Jahrhunderts Die Anfänge der Dresdner Lokalgeschichtschreibung (1896) von Ludwig Schmidt
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Dresdner Reisende des 16. und 17. Jahrhunderts
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Die Anfänge der Dresdner Lokalgeschichtschreibung.
Von Bibliothekar Dr. Ludw. Schmidt.


Wie überhaupt für die sächsische Geschichte an ausführlicheren zeitgenössischen und zuverlässigen Aufzeichnungen großer Mangel ist, so fehlt es auch für die Geschichte der einzelnen Städte des Landes an nur einigermaßen hervorragendem gleichzeitigen chronistischen Quellenmaterial aus älterer wie aus neuerer Zeit fast gänzlich. Die uns erhaltenen, zum Theil noch ungedruckt in den Archiven liegenden Ortschroniken bieten im Allgemeinen wenig mehr als trockene Aufzeichnungen über die Geschichte merkwürdiger Bauten, Belagerungen, Brände und namentlich Naturereignisse, als Wasserfluthen, Mißwachs, Himmelserscheinungen und dergleichen, während die innere Entwickelung keine oder nur geringe Berücksichtigung findet. Letzteres ist umsomehr zu bedauern, als die sächsischen Städte allein in dieser Hinsicht eine größere Selbständigkeit sich errungen und bewahrt haben, während sie nach außen hin, weil direkt unter landesherrlicher Gewalt stehend, keine eigenthümliche Rolle spielten und nur an den allgemeinen Schicksalen des Landes Theil nahmen. Aus diesem Grunde ist natürlich ein Vergleich der so bedeutsamen, reich entwickelten Historiographie der deutschen Reichs- und Hansastädte mit unserer lokalen Geschichtschreibung nicht angemessen. Während aber dort die städtischen Behörden selbst es waren, welche Aufzeichnungen zur Stadtgeschichte veranlaßten oder wenigstens begünstigten, ist in unseren Gegenden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis in die neueste Zeit keine Spur von einer solchen Thätigkeit bemerkbar. Wurden doch manchenorts selbst die Archive in einer solch nachlässigen Weise verwaltet, daß wir heute den Verlust eines reichhaltigen, werthvollen Urkunden- und Aktenmaterials beklagen müssen, dessen Untergang man gern auf die Rechnung der Verwüstungen der Hussiten und Schweden zu setzen pflegt.

Auch für Dresden liegen die Verhältnisse im Allgemeinen nicht günstiger; die Arbeiten auf dem Gebiete der Ortsgeschichte sind bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts rein private Unternehmungen und ohne Benutzung des Materiales im Rathsarchiv entstanden. Wir haben hier zweierlei Gattungen der Ortsgeschichtschreibung zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die eigentlichen Chroniken, welche in kunstloser Form ohne Zusammenhang nur Jahr für Jahr die wichtigsten Ereignisse, meist auch die der allgemeinen und der Territorialgeschichte, verzeichnen, auf der anderen diejenigen Arbeiten, welche den Stoff nach vorwiegend topographischen Gesichtspunkten gruppiren und den Zusammenhang der Stadtgeschichte mit der Landesgeschichte in den Hintergrund treten lassen. Eine noch mehrfach zu ergänzende Zusammenstellung dieser Litteratur hat B. G. Weinart in seiner Topographischen Geschichte der Stadt Dresden (Dresden 1777) S. 26 ff. und in seinem Versuch einer Litteratur der sächsischen Geschichte (Dresden 1790) I, 90 ff. gegeben.

Die ältesten Aufzeichnungen zur Geschichte unserer Stadt enthält eine kleine, in deutscher Sprache verfaßte Chronik, welche von Mencke im dritten Bande seiner Sammlung deutscher Geschichtschreiber (Sp. 346 ff.) unter dem selbst erfundenen Titel Chronicon parvum Dresdense herausgegeben worden ist. Allerdings ist dieselbe [270] nicht, wie man nach der obigen Aufschrift vermuthen könnte, eine spezielle Ortschronik; denn sie bietet nur einzelne lokalgeschichtliche Angaben, während die thüringisch-meißnische Landesgeschichte im Vordergrund der die Zeit von Konrad dem Großen bis zum Tode Markgraf Friedrich des Strengen (1349) umfassenden Darstellung steht. Erhalten ist uns das Werkchen nur in einer einzigen Handschrift – früher im Hauptstaatsarchiv, jetzt in der Königl. öffentl. Bibliothek (Manuskr. J. 46) –, die außerdem noch zu Anfang einen kleinen lateinischen Roman von Constantin dem Großen und dessen Mutter Helena enthält und von einer dem 14. Jahrhundert angehörigen Hand geschrieben ist. Der Verfasser lebte ohne Zweifel, eben wegen jener lokalen Bemerkungen, in Dresden und war geistlichen Standes, wie aus der sorgfältigen Verzeichnung zahlreicher Klostergründungen, Stiftungen von Messen und dergleichen hervorgeht, vielleicht Mönch im Franciskanerkloster. Auffällig ist die Anwendung der deutschen Sprache, da sich dieser als Schriftsprache damals vorwiegend nur die Laien zu bedienen pflegten; ich halte es daher für wahrscheinlich, daß uns hier nur die Uebersetzung einer ursprünglich lateinisch geschriebenen Chronik vorliegt, wodurch die zahlreichen Fehler, besonders Namensverwechslungen, im Texte, sowie ein aus der Vorlage herübergenommenes lateinisches Wort (zum Jahre 1256: Otto prefectus von Donyn) am besten ihre Erklärung finden würden.

Ungefähr vom Anfang des 14. Jahrhunderts an liegen uns selbständige Berichte über die vom Verfasser selbst erlebten Ereignisse vor, während für die früheren Zeiten schriftliche Aufzeichnungen, namentlich solche, die auf das Kloster Altzelle als Ursprungsort hinweisen, benutzt sind[1]. Die älteste lokalgeschichtliche Notiz findet sich zum Jahre 1236 (richtig wäre 1234); es wird hier erzählt, daß Markgraf Heinrich der Erlauchte mit seiner Gemahlin Constantia aus Oesterreich ein Stück des heil. Kreuzes nach Dresden gebracht habe: die älteste Nachricht über das später so berühmte Heiligthum der hiesigen Kreuzkirche. Spätere Nachrichten betreffen eine Niederlage der Thüringer „uf den Wilischen tore“ (1315); die Stiftung zweier Frühmessen „dye eyne uber dez heyligen cruczes altar, dye ander in unßer vrowen kor“ durch Friedrich den Kleinen, sowie den Verkauf Dresdens[2] durch denselben an Markgraf Waldemar von Brandenburg für 7000 Schock Groschen und eine jährliche Rente von 400 Schock auf Lebenszeit (zum Jahre 1316 gestellt, aber in der Darstellung deutlich als Nachholung früherer Ereignisse gekennzeichnet)[3]; die Stiftung zweier Altäre („aller heyligen altar unde den czu den heiligen crucze“) durch Ticze Buling (zu 1321); Einsturz der Elbbrücke (1342); Judenverbrennung und Vertreibung der Flagellanten (1349)[4]. Es sind uns also eine ganze Anzahl wichtiger stadtgeschichtlicher Notizen nur durch diese Quelle erhalten.

Aus dem folgenden Jahrhundert, welches gerade den Höhepunkt der historiographischen Thätigkeit in zahlreichen deutschen Städten bezeichnet, fehlen uns leider für Dresden, von urkundlichem Material – das ja kein vollständiges Bild der Entwickelung zu geben vermag – abgesehen, geschichtliche Aufzeichnungen gänzlich. Erst im sechzehnten Jahrhundert, in welchem sich überhaupt, durch die humanistischen Studien begünstigt, der historische Sinn auch in Sachsen regte, wird diesem Mangel wenigstens einigermaßen abgeholfen. Aus dem Anfang desselben stammt die kurze, bis 1530 reichende Geschichte Dresdens, welche der unter dem Namen des Pirnaischen Mönchs bekannte Dominikaner Johann Lindner zu Pirna in seinem großen geographisch-historischen Sammelwerke (Onomasticon; die hier in Frage kommende Stelle gedruckt bei Mencke II, 1543 ff.) gegeben hat. Sie beginnt mit einer kurzen beschreibenden Einleitung, an welche sich die Darstellung der Ereignisse nach Jahren geordnet, aber nicht immer in streng chronologischer Folge, anschließt. Für die ältere Zeit unbrauchbar, weil vieles Fabelhafte enthaltend – es sei bemerkt, daß die besonders von Weck (Beschreibung von Dresden 207) als unhistorisch nachgewiesene Tradition von der Entstehung der Kreuzkirche aus der Kapelle eines angeblich vorher an dieser Stelle befindlichen Nonnenklosters hier zum ersten Male vorgebracht wird – bietet die Arbeit in dem späteren Theile, wo der Verfasser als Zeitgenosse schreibt, einige gute Nachrichten. Die späteren Chronisten, besonders Petrus Albinus, haben diese Quelle ausgiebig benutzt.

[271] Sehr werthvoll sind die tagebuchartigen Aufzeichnungen, welche der Oberstadtschreiber Michel Weiße über die Jahre 1549 bis 1565 unter dem Titel: Meynn Michell Weissenn gehaltenn memoriall unnd vortzaichnüß hinterlassen hat. Dieselben befinden sich im Rathsarchiv unter der Signatur C. XV. 23m in einem mit schönem gepreßten Einband versehenen Folianten, welcher 183 beschriebene und eine größere Anzahl leer gelassener Blätter enthält, und sind offenbar gleichzeitig nach und nach bei den einzelnen Jahren niedergeschrieben worden. Weiße war aus dem Fürstenthum Sagan gebürtig, seit 1530 Notar und Gehilfe des Gerichtsschreibers in Leipzig, vom 19. Oktober 1549 bis 12. Juni 1566 Oberstadtschreiber, seit 1556 auch Mitglied des Raths in Dresden, wo er um 1566 gestorben ist[5]. Es ist bekannt, welch vielseitige Stellung die Stadtschreiber damals als einzige Beamte des Raths, die juristische Bildung besaßen, einnahmen; sie hatten nicht bloß das gesammte städtische Kanzleiwesen unter sich, sondern waren auch mit der Führung der Kämmerei- und Zinsamtrechnungen betraut. Weißes Memorial muß schon deshalb von vornherein große Bedeutung beanspruchen. Im Vordergrund stehen ausführliche Mittheilungen über seine amtliche Thätigkeit, denen vielfach Auszüge aus Rechnungen beigegeben sind, daneben finden sich aber auch Nachrichten über seine Familie, Vorgänge am kurfürstlichen Hofe, Landtagsverhandlungen, Rathswahlen, Wundergeschichten und dergleichen, alles in bunter Mischung durcheinander. Weck und namentlich Hasche haben diese schätzenswerthe Quelle mehrfach wörtlich ausgeschrieben. Aehnlichen Charakters, aber weit unbedeutender an geschichtlichem Werth, ist die Familienchronik des kursächsischen Küchenbeamten Michael Brunner [WS 1] in Dresden, welche die Zeit von 1547 bis 1597 behandelt und neuerdings von R. Kade in den Mittheilungen des Dresdner Geschichtsvereins IX, 82 ff. herausgegeben worden ist; sie enthält nur wenig Ortsgeschichtliches und mag an dieser Stelle bloß der Vollständigkeit halber Erwähnung finden.

Wenig bekannt dürfte es sein, daß auch der berühmte sächsische Historiker Petrus Albinus eine Chronik von Dresden geschrieben hat. Albinus (eigentlich Weiß oder Weiße) war geboren zu Schneeberg i. E., studirte 1571–1575 in Wittenberg und ward um 1576 Professor daselbst; 1588 wurde er zum Sekretär und Registrator bei der kurfürstlichen Kanzlei (mit dem Auftrag, wie es in der kurfürstl. Bestätigung seines Amtes vom 10. Mai 1592 heißt: „die alten und neuen Händel richtig und ordentlich zusammenzuhalten und fleißig zu registriren") in Dresden ernannt, welche Stellung er bis zu seinem Tode, der zwischen dem 29. Juli und 2. August 1598 erfolgte, inne hatte. Albinus hatte sich frühzeitig mit sächsischer Geschichte beschäftigt. Im Jahre 1579 erhielt er vom Kurfürsten August den Auftrag, die sächsische Geschichte des bekannten Rektors der Meißner Fürstenschule Georg Fabricius (Origines Saxonicae) zu vollenden, dessen Ausführung jedoch unterblieb. 1580 erschien sein Hauptwerk „Commentarius novus de Mysnia oder Newe Meysnische Chronica“, 1589 unter Beifügung der Bergchronik neu herausgegeben unter dem Titel „Meißnische Land- vnd Berg-Chronica“. In der Vorrede dieses Werkes bemerkt er, daß er später noch eine Städtechronik hinzuzufügen beabsichtige; doch ist diese nicht zur Veröffentlichung gelangt. Dagegen befinden sich unter seinem handschriftlichen Nachlaß, der vom Hauptstaatsarchiv an die Königl. öffentl. Bibliothek abgegeben worden ist, mehr oder weniger umfangreiche, größtentheils eigenhändige Aufzeichnungen zur Geschichte einer größeren Anzahl sächsischer Orte, aus welchen offenbar jene Städtechronik zusammengestellt werden sollte. Die Dresdner Chronik ist in zwei Fassungen erhalten: die eine, kürzere, befindet sich in Manuskr. Q. 133 auf 13 Blatt Folio, ist durchweg Autograph des Verfassers und reicht (mit einigen größeren Lücken nach dem Jahre 1528) bis 1570; eine im 17. Jahrhundert, wahrscheinlich auf Veranlassung Wecks gefertigte Abschrift, in welcher die Geschichte der Jahre 1539–1586 selbstständig (von Wecks eigener Hand) bearbeitet ist, ist angebunden. Die zweite wesentlich ausführlichere Redaktion mit dem Titel „Chronica der Stadt Dresden“, welche die Ortsgeschichte bis 1592 führt (Manuscr. d. 52), umfaßt 78 Blatt Folio und ist größtentheils von Kopistenhand geschrieben, aber mit zahlreichen Bemerkungen, Beilagen etc., die von Albinus’ eigener Hand herrühren, versehen. Die Chronik ist in der Weise angelegt, daß eine Einleitung über die etymologische Bedeutung des Namens Dresden und die älteste Geschichte der hiesigen Gegend nebst kurzen Bemerkungen über die Lage der Stadt, einige hervorragende Bauwerke derselben etc. vorausgeht; hieran schließt sich eine annalistische Geschichte von Heinrich dem Vogler ab. Ueberall tritt uns das ernste Bemühen entgegen, das Wahre von dem Fabelhaften, nicht Belegbaren kritisch zu sondern; namentlich ist ihm das Verdienst nicht hoch genug anzurechnen, daß er neben den gleichzeitigen chronikalischen Quellen[6] auch das urkundliche Material des kurfürstlichen Archivs, von dem er in Beilagen mehrere Proben in Abschrift mittheilt, herangezogen hat. Freilich ist [272] das Können vielfach hinter dem Wollen zurückgeblieben; auch er hat sich von der damals beliebten Methode, die Anfänge der vaterländischen Geschichte in möglichst frühe Zeit hinaufzusetzen, nicht frei machen können[7]. Wie nicht anders zu erwarten, ist die innere Geschichte fast gar nicht berücksichtigt; es überwiegen auch hier die oben charakterisirten äußerlichen Momente. Besonders ausführlich sind seit dem 16. Jahrhundert – und dieser letzte Theil ist für uns allein noch von Werth, da für die frühere Zeit uns noch heute im Wesentlichen dasselbe Quellenmaterial zur Verfügung steht – die Vorgänge am kurfürstlichen Hofe, als Taufen, Hochzeiten, Begräbnißfeierlichkeiten, Festlichkeiten bei Gelegenheit fremder fürstlicher Besuche, behandelt, wie dies ja auch bei einem Hofbeamten begreiflich ist. Weck scheint diese Mittheilungen ausgiebig benutzt zu haben. Offenbar haben Albinus hierfür – soweit er nicht aus eigener Kenntniß mittheilt – beachtenswerthe Quellen vorgelegen, die gegenwärtig nicht mehr vorhanden sind. Zum Jahre 1524 citirt er bei der ausführlichen Erzählung von der Hochzeit des Markgrafen Joachim von Brandenburg mit der Tochter Herzog Georgs von Sachsen als Gewährsmann Wilhelm Hirschvogell, von dem wir sonst nichts wissen, als daß er eine (verloren gegangene) Chronik der Stadt Freiberg geschrieben hat und Anfang des 16. Jahrhunderts dort als Rathsherr lebte[8]. Ferner sind zu den Jahren 1534, 1537 und 1538 auf besonderen Blättern Aufzeichnungen des Unterstadtschreibers Ambrosius Weiß (seit 1534 im Amt, gestorben 6. Nov. 1550, vgl. Richter a. a. O. 130 Anm. 3), welche Vorgänge am kurfürstlichen Hofe betreffen, beigegeben. Dagegen dürfen wir den Verlust der „Hauß-Chronica“ eines Dresdner Kannegießers Georg Streckfuß, aus welcher dürftige Excerpte in Abschrift über die Jahre 1577–1582 dem Manuskript der zweiten Redaktion der Albinus’schen Chronik angefügt sind, wohl kaum bedauern. Nichts Näheres wissen wir über die ebenfalls verloren gegangene handschriftliche Dresdner Chronik Michael Bapsts aus Rochlitz, der 1571–1603 Pastor in Mohorn bei Tharandt war und von dem mehrere Werke theologischen, astrologischen, medizinischen und historischen Inhalts gedruckt sind[9], sie wurde schon im Jahre 1703 vermißt (Nova literaria Germaniae vom Jahre 1703, S. 138).

Als letztes in diesem Zusammenhang zu erwähnende Werk aus dem 16. Jahrhundert sei hier genannt der „Lobspruch der löblichen vnd weitberümbten Churfürstlichen Stad Dreßden. Zu Ehren vnd wolgefallen den .... Herrn Bürgermeistern vnd Rathmannen allhier .... gestellet vnd beschrieben reimsweise durch Daniel Wintzenberger, gewesener Postbereyter und Bürger allhier. Im 1591. Jar den 16. Octobris“; eine (wohl mit der Grundsteinlegung des Gewandhauses [30. August 1591] in Beziehung stehende) Gelegenheitsschrift, die hauptsächlich nur deswegen heute noch ein besonderes Interesse beansprucht, weil sie, wie auch Hasche (Dipl. Geschichte Dresdens III, 25 Anm. 3) bemerkt, unsere älteste Topographie ist[10]. Ueber die Persönlichkeit des Verfassers ist wenig mehr bekannt, als was sich aus dem obigen Titel ergiebt; er hat sich einen Namen gemacht vornehmlich durch die Herausgabe zweier Verzeichnisse der Postrouten von Dresden (1577) und von Leipzig (1595) aus, welche für die Feststellung der damaligen Poststraßen von Werth sind. Der Originaldruck des „Lobspruchs“, 3 1/2 Bogen stark in 4o mit Holzschnitten, scheint gänzlich verloren zu sein; Weinart hat in seiner Topographischen Geschichte S. 29 ff. das Ganze neu abgedruckt und so vor der Vergessenheit bewahrt.

Aehnlichen Charakters werden die nachgenannten, bereits dem siebzehnten Jahrhundert, zu dem wir nunmehr übergehen, angehörenden Schriften gewesen sein: Andreas Worms’ Dresdnischer Lorbeerzweig, in Versen, gedruckt 1609; Johann Caspar Herrmanns Encomium Dresdae 1662 sub discessu in Porta decantatum, Manuskr.; Christ. Heinr. von Bomsdorfs Panegyricus de Dresda, gedruckt 1670; Ad. Stolzens Sehnswürdiges Dresden, gedruckt 1678; dieselben sind sämmtlich spurlos verloren und nur aus den Anführungen Weinarts[11] a. a. O. bekannt. Die Geschichte Dresdens, welche der bekannte kursächsische Historiograph und Leipziger Geschichtsprofessor Matthäus Dresser († 1607) dem (zuerst 1606 in lateinischer, 1607 auch in deutscher Sprache) erschienenen fünften Theile seiner Isagoge historica eingefügt hat, ist im Wesentlichen nur ein Auszug aus der Chronik des Albinus und hat wiederum als Hauptquelle für die kurze Beschreibung unserer Stadt in einer lateinischen Disputation Gottfried Nitzschmans (Mastum generalem Misniae et specialem Dresdae....praeside Christiano [273] Gueinzio ... publice sugendum propinat Gothofredus Nitzschman, Dresda-Misnicus, Halle 1650, 3 Bogen in 4o[12] gedient. Was der berüchtigte Fabulist Lorenz Peckenstein († um 1618) in seinem Theatrum Saxonicum (Theil III, Jehna 1608, S. 6–14) über Dresden bringt, ist nur deswegen an dieser Stelle zu erwähnen, weil seine kritiklosen Erzählungen von den Späteren vielfach gläubig nachgeschrieben worden sind. Sorgfältiger ist die Topographie Dresdens behandelt in einer mit gelehrten Citaten gespickten Rede, welche Tobias Simon (Rektor der Kreuzschule seit 1591, † 1624) im Jahre 1622 in Gegenwart von Mitgliedern des Raths in der Schule gehalten und darauf im Druck veröffentlicht hat[13]: sie zerfällt in folgende Hauptabschnitte: De situ Dresdae; De nominis origine; De antiquitate; De conditoribus; De ducibus et gubernatoribus; De forma urbis & ejusdem munitoribus; De portis; De aedificiis praecipuis; De Albi fluvio; De Albula (Weißeritz); De civibus et incolis (mit den Unterabtheilungen: De forma politiae und De ecclesia et religione). Die benutzten Quellen sind nirgends angegeben. Vermuthlich hat die Schrift der Schürer’schen Beschreibung von Dresden (vgl. weiter unten), in welcher sie auch an einer Stelle citirt wird, als Vorbild gedient; auch Weck hat sie mehrfach benutzt.

Während die soeben aufgeführten Arbeiten, zu welchen wir noch die dürftigen, den Zeitraum von 806 bis 1660 umfassenden Dresdner Annalen des Notars Heinrich Spilner[14] hinzuzufügen haben, keinen oder nur geringen historischen Werth aufzuweisen haben, besitzen wir eine wichtige, noch wenig bekannte und ausgebeutete Originalquelle in der „Chronik des Raths, der Stadt und anderer Begebenheiten 1623–1700“, wie der Titel auf dem Rücken des Einbandes lautet, welche sich handschriftlich im Rathsarchiv unter der Signatur C. XV.23n in einem starken, 247 beschriebene paginirte und eine größere Zahl leerer Blätter ohne Seitenzählung enthaltenden Folianten in Schweinsleder befindet. Es sind größtentheils gleichzeitig niedergeschriebene, die Jahre 1621–1701 umfassende ausführliche annalistische Aufzeichnungen über allerhand merkwürdige Vorfälle in und außerhalb der Stadt: Mittheilungen über Vorgänge im Rath und am kurfürstlichen Hofe, über kirchliche Verhältnisse, Naturereignisse, damals geführte Kriege (besonders bemerkenswerth ist ein ausführlicher Bericht über den Türkenkrieg von 1683) und dergleichen gehen bunt durcheinander, oft ohne chronologische Ordnung, da man die einzelnen Nachrichten häufig da eintrug, wo man gerade Platz fand. Der eigentliche Anfang ist Blatt 6, wie die Ueberschrift: In nomine sacrosanctae et individuae trinitatis, zeigt; Blatt 1–5, auf welchen ebenfalls Notizen über die Jahre 1621–1700 stehen, sind erst später beschrieben, also ursprünglich frei gelassen worden. Der Ursprung des Buches ist jedenfalls im Rathe selbst zu suchen: dies geht daraus hervor, daß ein großer Theil der Eintragungen nachweislich von Rathsmitgliedern (darunter auch der bekannte Bürgermeister Tzschimmer) selbst herrührt. Auf dem ersten Blatt des Bandes stehen lateinische Verse, welche besagen, daß Schumann im Jahre 1675 diesem Buche die jetzt vorliegende Form gegeben habe, zur Belehrung und Unterrichtung für später lebende Rathsmitglieder. Gemeint ist Johann Christian Schumann, welcher 1671 zum ersten Male im Rathe erscheint, 1696, 1699, 1702 und 1705 regierender Bürgermeister war und 1705 gestorben ist[15]. Worin diese Thätigkeit Schumanns bestanden hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Der gegenwärtig vorliegende mit dem Rathswappen versehene Einband, der oben angegebene Titel, die Paginirung und das vorgebundene alphabetische Sachregister über das Ganze stammen offenbar erst aus dem 18. Jahrhundert. Jedenfalls haben wir es hier mit einem ersten Versuch offizieller städtischer Annalistik zu thun, wozu der Vorgang anderer Städte den Anlaß gegeben haben mag, freilich eben nur ein Versuch, da ein einheitlicher Plan gänzlich zu vermissen ist und Jeder nur das eintrug, was gerade seinen persönlichen Interessen entsprach. Eine Weiterführung ist daher auch, obwohl ursprünglich vorgesehen, unterblieben.

Wir haben bereits oben bei der Besprechung der Schrift des Rektors Tobias Simon der Beschreibung Dresdens von David Otto Schürer gedacht, der hervorragendsten Leistung des 17. Jahrhunderts auf dem Gebiete der topographischen Ortsgeschichte nächst Wecks bekannter Arbeit. Wir können uns über dieselbe hier kürzer fassen, da bereits Gautsch im Dresdner Anzeiger, Jahrgang 1879, Nr. 35 und 39, ausführlicher darüber gehandelt hat. Ueber das Leben Schürers sind wir nur mangelhaft unterrichtet; wir wissen bloß, daß er im Jahre 1598 in Leipzig Jura studirte [274] und daß er 1617 Gerichtsschreiber des Raths zu Dresden war, wo er am 8. März 1641 starb. Sein Werk ist in fünf Handschriften erhalten (Gautsch kannte deren nur drei). Die älteste und beste befindet sich im Besitz der Königl. öffentl. Bibliothek, Manuskr. d. 68 in 4o, deren Titel lautet: „Beschreibung der churf. sächs. weitberühmten Haupt-Vhestung vnd löblichen vhralten Residents Stadt Dreßden ..... am Tag gegeben durch Dauidt Ottho Schürern jetziger Zeitt Gerichts-Not. daselbst anno 1627.“ Die darauf folgende Widmung an die Prinzen Johann Georg, August, Christian und Moritz, die Söhne des Kurfürsten Johann Georg I., rührt vermuthlich von Schürers Hand her, während der Text selbst von einem Kopisten geschrieben ist. Es ist vermuthlich dasjenige Exemplar, welches vom Verfasser an das Ober-Konsistorium eingeschickt worden war behufs Erlangung des Privilegiums für den Druck, der indessen nicht zur Ausführung kam, da der Kurfürst die Vornahme einiger Aenderungen im Texte verlangte. Die übrigen Handschriften sind nur direkte oder indirekte Kopien der erstgenannten: die im Jahre 1782 aus Privathand an die Rathsbibliothek gelangte Handschr. II. A. 34 in 4o, datirt vom Jahre 1629; Königl. öffentl. Bibliothek, Manuskr. d. 78 (misc. 3) in Folio aus Wecks Nachlaß, von dessen Hand der Titel geschrieben ist; ebendaselbst Manuskr. L. 44 (früher d. 77) in Folio, eine nach 1726 für den Druck zurecht gemachte Kopie mit Citaten aus Weck, Iccander und Hilscher: ebendaselbst Manuskr. J. 242 in 4{sup|o}}, Bl. 178–200, eine aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammende, etwas verkürzte Abschrift aus Hasches Nachlaß, auf dessen Geschichte Dresdens an einer Stelle verwiesen wird. Das Ganze zerfällt in 15 Kapitel: 1. Abtheilung des Landes zu Meißen vnd wohero dasselbe den Nahmen bekommen. 2. Von der Form vndt Gestalt der Stadt Dreßden, vndt vom Alter vndt Ankunft derselben. 3. Von der Form vndt Gestalt der Stadt Dreßdenn vndt deroselben Fruchtbarkeit. 4. Von fürnembsten Gebeuden dieser Stadt, deroselben Stadt Thoren vndt Elb-Brücke. 5. Von fürnembsten Gebeuden zu Alten Dresdenn. 6. Von Pirnischen Thor, Kirchhoff zu S. Johannes, Wilßdorffer Thor, Spittal zu S. Jacob. 7. Von der Kirchen zu S. Annen. 8. Von Churf. Schloß, Kunst Cammer, Hoff Apotecke, Canzely. 9. Von Churf. Stall vndt Zeugkhauße. 10. Von der Kreutz Kirche. 11. Von Creutz Thurm vndt darbey gelegenen Stadt Schule. 12. Von der Kirchen zu vnser Lieben Frauen vndt S. Sophien Kirche. 13. Vom Rath Hauß, Gewandt Hauß vndt Fleisch Banckenn. 14. Von der Elbe, Weißeritz vndt Katzbach. 15. Von Einwohnern dieser Stadt vnd deroselbenn Statuten vndt Ordnungen. Als Quellen dienten ihm der Pirnaische Mönch, Albinus’ Landchronik, Peckenstein, Dresser und Simon; ferner schöpfte er aus mündlicher Ueberlieferung und eigener Kenntniß. Daß ihm auch Akten des Rathsarchivs vorgelegen haben, wissen wir aus der von Gautsch a. a. O. und im Archiv für die sächsische Geschichte N. F. I, 357 angeführte Stelle des Rathssitzungsprotokolles vom 27. Juli 1653, als das Gesuch Wecks wegen Benutzung des Archivs vorgetragen wurde. Von einzelnen (bei Gautsch a. a. O. aufgeführten) Notizen abgesehen, hat Schürers Arbeit für uns keinen Werth mehr, da sich derselbe Inhalt auch bei Weck mehrfach verbessert und vervollständigt findet; für ihre Zeit aber bedeutet sie einen wesentlichen Fortschritt ihren Vorläufern gegenüber. Hasche bemerkt über sie in seiner Umständl. Beschreibung Dresdens II, 422**: „Niemand denke verächtlich von ihr: durch Vergleichung hab ich gefunden, daß sie Weck oft ganze Kapitel lang ausgeschrieben.“ Daß Schürer auch im Jahre 1630 verfaßte Dresdner Annalen im Manuskr. hinterlassen habe, bemerkt Hilscher, Etwas zu der Kirchenhistorie in Altdresden S. 44, Anm. p. unter Anführung einer Stelle derselben; es ist jedoch keine Spur mehr davon erhalten.

Die soeben geschilderte älteste Periode der Dresdner Lokalgeschichtschreibung findet ihren würdigen Abschluß in Anton Wecks „Der Churf. Sächs. ..... Residentz und Haupt-Vestung Dresden Beschreib- und Vorstellung“ Nürnberg 1679 und 1680, welche Jedem, der sich mit der Vergangenheit unserer Stadt beschäftigt, wohl bekannt sein dürfte. Von einer Besprechung und Würdigung dieses grundlegenden Werkes kann aus diesem Grunde und in Rücksicht auf die erschöpfende, leicht zugängliche „Lebensbeschreibung des Dresdner Chronisten Anton Weck“ von Gautsch im Archiv für die sächs. Geschichte N. F. I, 349 ff.[16] hier abgesehen werden.


  1. Hierüber handelt Ulmann in den Forschungen zur deutschen Geschichte XIV, 207 ff., wo auch eine Anzahl Lesarten und fehlende Wörter des Mencke’schen Textes berichtigt und ergänzt sind.
  2. Der Name „Dreseden“ ist von Mencke ausgelassen, steht aber, wenn auch undeutlich, in der Handschrift.
  3. Der Verkauf Dresdens an Waldemar ist in den bisher erschienenen Darstellungen dieser Verhältnisse nicht berücksichtigt worden. (Klöden, Markgraf Waldemar II, 198f., Wegele, Friedrich der Freidige 335, Richter, Verfassungsgeschichte der Stadt Dresden 242.) Da die Urkunde, in welcher die brandenburgischen Markgrafen Waldemar und Johann die Stadt in ihren hergebrachten Rechten zu schützen versprachen (Cod. dipl. Sax. II, 5, S. 25 Nr. 32), sicher vom 19. Oktober 1315 ist, so muß der Verkauf vorhergegangen sein. Die Notiz unserer Chronik über die Kämpfe am Wilischen Thore kann daher nicht auf eine Eroberung der Stadt durch die brandenburgischen Markgrafen bezogen werden, sondern bezeichnet wohl einen Versuch Friedrichs des Freidigen, dieselbe durch thüringische Truppen den Brandenburgern zu entreißen, der aber abgeschlagen wurde.
  4. Vgl. Richter a. a. O. 227.
  5. Vgl. Richter a. a. O. 380 f.
  6. Auch die oben besprochene „kleine Dresdner Chronik“, welche er „Oschatzer Chronik“ nennt, hat er für seine Arbeit verwerthet; die zahlreichen Randbemerkungen in der Handschrift rühren von ihm her.
  7. In seinen Aufzeichnungen über die Geschichte von Zwickau folgt er gläubig den Fälschungen des berüchtigten Erasmus Stella.
  8. Cod. dipl. Sax. II, 12, S. XIII.
  9. Ueber Bapst als Mediziner handeln ausführlich Schubert und Sudhoff im Neuen Archiv für sächs. Geschichte XI, 77 ff.
  10. Nichts Näheres war zu ermitteln über eine noch ältere topographische Schrift über Dresden, betitelt: „Kurze anzeigung etzlicher fürnehmer Gebeude und orter diser Stadt Dresden nach der perspectiff abgerissen durch F. B. O. P. Dresden 1583 bey Gimmel Berg“, aus welcher in dem aus Wecks Nachlaß stammenden Manuskript der Königl. öffentl. Bibliothek cl. 78, Bl. 16 ein ganz kurzer Extrakt gegeben ist.
  11. Auch Weinart scheint sie nur dem Namen nach zu kennen, da er bei diesen keine Bogenzahl angiebt, was er bei den gedruckten Werken, die ihm wirklich vorgelegen haben, sonst immer zu thun pflegt.
  12. Königl. öffentl. Bibliothek H. Sax. G. 109 misc. 2.
  13. Oratio de Dresda, urbe Misniae munitissima, et ob aulam illustriss. et potenties. electorum et ducum Sax. celebratissima. Dresdae, typis Gimalis Bergen 1622, 5 Bogen 4o (Königl. Bibliothek H. Sax. G. 99, 6); vgl. über sie auch Hasche, Beschreibung Dresdens I, S. XXI Anm.
  14. Ursprung Alten Dreßden, auch ietziger Churfl. Sächs. Residentz und Haupt-Festung Neuen Dreßden u. s. w. anonym erschienen Dreßden bei Seyfert, 1661 und seitdem öfter aufgelegt.
  15. Ueber ihn vgl. auch Jöchers Gelehrten-Lexicon IV, 387. Er veröffentlichte anonym zu Pirna bei Georg Balthasar Ludwig 1704 und 1705 unter dem Titel: Calendarium saeculare Dresdanum succinctum, oder: gantz kurtzer ... Bericht / was man in hundert Jahren ... bey der ... Stadt Dresden Merckwürdiges beobachtet etc. (Königl. Bibliothek H. Sax. G. 613. 614), dürftige Dresdner Annalen, welche von 1601–1704 reichen.
  16. Gautsch S. 361 spricht seine Verwunderung darüber aus, daß, obgleich Wecks Chronik sicher schon im Herbst 1679 fertig gedruckt vorlag, auf dem Titel des Werkes das Jahr 1680 als das seines Erscheinens bezeichnet sei. Er hat offenbar keine Kenntniß davon gehabt, daß sich im Besitz der Königl. öffentl. Bibliothek und der Stadtbibliothek Exemplare befinden, welche 1679 als Erscheinungsjahr angeben.

Anmerkungen (Wikisource)