Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Neunzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Zwanzigstes Kapitel
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Neunzehntes Kapitel.




Mistreß F. wußte meinen Gemüthszustand zu benutzen, indem sie durch geschickte Erzählungen von ihren eigenen Leiden und Prüfungen mein Mitleiden erregte, mich zur Mittheilung meiner Verhältnisse und Angelegenheiten bewog und hierdurch vieles erforschte, aber noch mehr errieth. Eines Morgens, im Begriffe, meinen Geschäften nachzugehen, sah ich einen Herrn, der mir seit langer Zeit nachgegangen war, aus Mistreß F.’s Zimmer kommen und vor mir das Haus verlassen, während diese auf dem Balcon stand und ihm wie mir freundlich zunickte. Da ich ihren Gemahl noch nicht gesehen hatte, so hielt ich ihn dafür, denn es war noch zu früh am Tage, Morgens sieben Uhr, um Besuche anzunehmen. Da ich nach Knights-Bridge mußte, führte mich mein Weg durch den Hyde-Park, in welchen ich eben eingetreten war, als jener Herr mich anredete. Ich hatte ihm einige Male in einem der Häuser begegnet, in denen ich Unterricht gab, und erwiederte daher seinen Gruß mit Höflichkeit.

„Ich habe schon längst gewünscht, mit Ihnen Bekanntschaft anzuknüpfen, fing er an, aber Sie waren bis jetzt immer so verbietend und ernst, daß ich es nicht wagte, mich Ihnen zu nähern.“

[148] „Wenn ich nicht irre, sagte ich, so sind Sie Herr F.?“ und blickte ihn erstaunt an.

„Wie, rief er mit Befremden aus, Sie wüßten nicht –

„Was soll ich wissen?“

„Sie wüßten nicht, wer die F. ist?“

„Im Gegentheil! Sie ist eine Kaufmanns-Dame und noch dazu meine Schülerin,“ erwiederte ich ganz unbefangen.

„Jetzt wird mir Alles klar, fuhr er fort; auf welche Weise sind Sie denn mit ihr bekannt geworden?“

„Durch meine Hauswirthin, Mistreß W.“

„Und wissen Sie, wer diese ist?“

„Ich weiß von ihr nicht mehr als sie mir selbst erzählt hat.“

„Sie hätten nicht schlimmer ankommen können, denn Mutter und Tochter sind übel berüchtigte Personen und Ihre Feinde, die Sie unter der Hand verleumden und Ihnen eine schreckliche Grube graben. Die F. hat Sie mir als eine Person ihres Gelichters geschildert und mir vertraut, daß sie Ihre Verhältnisse den Familien, mit welchen Sie umgehen, in anonymen Briefen mittheilen will, theils aus Neid, theils auf Anstiftung eines gewissen Herrn N., eines ihrer Liebhaber, welcher behauptet, Sie seien Kammermädchen bei seiner Mutter gewesen, und Ihr bitterster Feind ist, der Sie um jeden Preis zu verderben sucht.“

Schreck und Entsetzen hielten meinen Verstand einige Augenblicke dermaßen befangen, daß ich nicht vermochte, das teuflische Gewebe von Bosheit und Intrigue zu begreifen.

„Großer Gott, ist es möglich! rief ich, indem ich stille stand und mich umsah, wie aus einem Traume erwachend. In demselben Augenblicke bemerkte ich das Dienstmädchen der W., die uns von weitem folgte, und ich errieth, daß sie uns zu beobachten nachgeschickt war.

„Aber giebt es denn keine Gesetze und keine Gerechtigkeit, deren Schutz ich anrufen kann?“ fragte ich entrüstet.

„Sie würden nichts dadurch gewinnen, weil diese Klasse Frauen erstens zu sehr von der Obrigkeit in Schutz genommen wird, und zweitens weil sie zu abgefeimt sind und zahllose Helfershelfer haben. Verlassen Sie aber das Haus so bald als möglich und danken Sie Gott, wenn man Ihnen Ihr Eigenthum läßt, denn – sie sind auch Diebe!“

„Aber Sie gehen ja selbst mit der F. um,“ sprach ich verwundert.

„Dieses Mal geschah es um Ihretwillen, weil ich mich wunderte, [149] daß Sie dort wohnen und doch meinen Cousinen Stunde geben. Der Name F. ist kein Geschlechtsname, die Inhaberin desselben hat überhaupt deren so viele gehabt, wie sie Wohnungen gewechselt hat; sie war auch schon ganz aus der Mode und verdankt ihre jetzige Vogue den Geschichten, womit sie ihre Liebhaber auf Ihre Kosten unterhält.

„Ich danke Ihnen tausend Mal für ihre menschenfreundliche Mittheilung, mein Herr!“ sagte ich, indem wir uns dem Ende des Parkes näherten.

„Ich habe blos die Pflicht eines Gentleman erfüllt, erwiederte er, und fürchte nur, daß es Ihnen nicht den erlittenen Schaden wieder herstellen wird. Zugleich sah er an seine Uhr, zog den Hut und ging nach einer entgegengesetzten Richtung fort.

Der Entschluß, noch an diesem Tage mein Logis zu verlassen, war sogleich gefaßt, und statt meine Lectionen abzuhalten, ging ich, um mir eine neue Wohnung zu suchen. Nach einigen Stunden mühseligen Umherwanderns fand ich ein geeignetes Quartier, nach dessen Vermiethern ich mich diesmal bei der Bezirks-Polizei erkundigte; und da diese nichts Nachtheiliges von ihnen wußte, so schloß ich Contract. Wer beschreibt aber meinen Schrecken, als ich beim Einpacken meiner Sachen entdeckte, daß alle meine Kostbarkeiten und Gelder verschwunden waren! Ich wollte sogleich nach der Polizei gehen, um eine Untersuchung zu veranlassen, als die W. und ihre Tochter sich mir entgegen stellten und mich mit einem Strom von Beleidigungen überschütteten. Sie beschuldigten mich der gemeinsten Vergehen und begannen mich thätlich zumißhandeln.

„Zerkratz’ ihr das Gesicht, mein Kind, reiß’ ihr die Haare aus,“ schrie die Mutter.

„Ich schlage ihr die Zähne in den Hals hinunter, wenn ich sie kriege,“ kreischte die Tochter.

Ich versuchte, mich in meine Zimmer einzuschließen, aber die beiden colossalen Weiber stemmten sich mit aller Gewalt gegen die Thüre, welche nach innen öffnete; auf ihr Geschrei kamen drei Kerls aus dem Souterrain, jedenfalls ihre Complicen, und zwangen sie auf. Ich schrie um Hilfe, aber die Tochter warf sich mit der größten Wuth auf mich, faßte meine langen Haare und griff mich ganz wie ein reißendes Thier an. In dieser Lage gelang es mir, der Rasenden einen so heftigen Schlag auf die Nase zu versetzen, daß sie blutend und taumelnd mich [150] losließ, aber die Mutter warf mir jetzt ein Tuch von hinten über den Kopf, die Räuber faßten meine Arme, Augen und Mund waren mir im Augenblicke zugebunden, und ich erwartete jetzt den Todesstreich, denn in London fallen fast täglich Mordthaten um viel geringere Ursachen vor, als die Gegenstände waren, die sie mir gestohlen hatten. Sobald ich gebunden war, stürzte die F. herein und fragte nach der Ursache dieses Auftrittes. Die W. brachte hierauf ihre Beschuldigungen vor, welche hauptsächlich darin bestanden, daß ich ihr Haus durch einen schlechten Lebenswandel und Einführung zweideutiger Subjecte in Verruf gebracht hätte. Ihre Tochter, ihre Magd und die drei Kerls behaupteten, Zeugen davon zu sein und wiederholten ihre lebensgefährlichen Drohungen. Die F. spielte nun die Vermittlerin und Fürsprecherin, d. h. ich mußte, da ich mich weder bewegen noch reden konnte, durch Gesten ihrem Verlangen zustimmen, daß ich weder um Hilfe rufen, noch Polizei herzurufen wolle. Wollte ich nicht sofortige Ermordung riskiren, so mußte ich alles bewilligen, worauf ich meiner Fesseln entledigt wurde und die verworfene F. einen Lohnwagen holte. Die W. machte noch einen Versuch, die Miethe, die ich ihr erst am Tage vorher bezahlt, noch einmal zu erpressen, allein zum Glück hatte ich noch ihre Quittung, und so verließ ich diese Mördergrube, deren es unzählige in London giebt, von allen Mitteln entblößt. Mein erster Gang war zu einem Advokaten, um mir bezüglich der Wiedererlangung meines Verlustes Rathes zu erholen. Er fragte mich zuerst, ob mein Geld in Scheinen oder in Baarem bestanden habe, sowie nach allen andern Umständen. Als ich ihm sagte, es seien meist Sovereigns gewesen, so versicherte er mich, daß ich es nie wieder erlangen würde, weil die Gauner zu viele Mittel besäßen, baares Geld sofort unterzubringen, ja daß die Spitzbuben mich wegen meiner Beschuldigung noch in Strafe bringen könnten, weil ich nicht einen einzigen Zeugen aufführen könnte. Wegen des Ueberfalles sei zwar eine Criminalklage zulässig, allein auch hier würde Zeugenbeweis in diesem Falle gefordert werden, und die Diebe ihn vollständig, ich gar nicht führen können, somit aber für mich die Abentrichtung der Kosten erwachsen.

Die Folge der vielen Gemüthserschütterungen war bei mir ein Trübsinn, der meiner Existenz Gefahr drohete, das unglückliche Zusammenwirken von Umständen und Verhältnissen rief allmählig und bei längerer Betrachtung in meinem Gemüthe die Ueberzeugung hervor, ich [151] sei zum Unglück geboren, so daß die Idee des Selbstmordes in mir mehr und mehr Platz ergriff. In jenen schrecklichen Stunden habe ich den Werth des Glaubens an die Weisheit, Liebe und Allmacht eines persönlich und unmittelbar die Schicksale der Menschen regierenden Gottes erst recht erkennen lernen. Er allein hat mir die Kraft verliehen, den Kampf mit dem Leben wieder auszunehmen, wo der Horizont sich von allen Seiten umwölkte. Hier und da hörte ich Anspielungen auf Lady N., Signora P., Lady W. und andere; wenn ich ihren Bekannten begegnete, so wendeten sie sich weg von mir oder warfen mir mir geringschätzige Blicke zu. Meine Kleinodien und mein Gold hatten mir Diebe geraubt, an meiner Ehre fraß der Rost der Verleumdung und mein Geist glich einem verlöschenden Lämpchen, nur mein Glaube war mir geblieben, und er zog aus den Wirren und Stürmen rings um mich her das Schiff meines Lebens wie ein guter Pilot in den Hafen himmlischer Ruhe. Ich hatte Hume, Voltaire und Strauß gelesen, aber nicht einer ihrer Aphorismen vermochte mich zu trösten oder zu erleuchten. O, ihr Philosophen, was gebt ihr denn dem Menschen, wenn ihr ihm seinen Glauben, seine Religion wegerklärt habt? Die Freuden der Wollust? Ein keusches Herz verabscheut sie. Die Freiheit, gegen Gottes Wort in offenem Widerspruche zu leben? Ein trauriges Vorrecht, das Jeder sich selbst geben kann. Die Natur? Ja, die Natur! hier fühlte ich mich dem Weltgeist wirklich nahe, aber mich lehrte er nicht, daß Atome sich mit Atomen vereinen und daß die Zeit das schaffende Prinzip sei, sondern er rief: das schaffende Prinzip bin ich, darum glaube, liebe, hoffe! rief er mir zu.

Die London-Season ging zu Ende, und schon fingen meine Connexionen an, die Stadt zu verlassen. v. T.’s Nachrichten wurden jedoch immer noch nicht befriedigender, weshalb ich den Entschluß faßte, wieder in Condition zu treten. Zufällig – wenn ich mich bei meiner Anschauungsweise so ausdrücken darf – ward ich damals mit einer alten Dame, Namens St., bekannt, welche nach Madeira reisen, dabei ihre in Gibraltar verheirathete Tochter besuchen wollte und eine Gesellschafterin suchte, welche der spanischen und portugiesischen Sprache mächtig wäre. Nichts war natürlicher, als daß ich mich um dieses Engagement bewarb, weil es mir die Gelegenheit bot, Lissabon zu besuchen und mich von den Verhältnissen zu überzeugen, welche mich in der peinlichsten Ungewißheit und Spannung erhielten. Ich hatte zwanzig [152] Monate unter Leiden und Prüfungen zugebracht, deren Prophezeiung ich für eine Unmöglichkeit gehalten hätte, für ein Unding, daß sich niemals erfüllen könne. Viele meiner Freunde hielten mich für betrogen, während andere sich von mir getäuscht glaubten. Ehe ich jedoch einen Schritt that, dessen Folgen mein vom Sturm der Ereignisse befangener Verstand nicht zu ermessen vermochte, theilte ich den Entwurf dazu meinem Vater mit und gab die Ausführung seinem Rathe anheim. Da dieser zustimmend ausfiel, so einigte ich mich mit Mistr. St.

Da die Marquise von S. mit ihrer Familie während der Season wieder in London war und ich von ihnen viele Beweise achtungsvollen Wohlwollens auf’s Neue genossen hatte, sie auch meine Verlobung früher gebilligt hatten, so theilte ich ihnen mein Vorhaben mit, worauf sich die edle Dame sogleich erbot, mir ein Empfehlungsschreiben an ihre Cousine, Lady H. de W., die Gemahlin des englischen Gesandten in Lissabon, mitzugeben. Sie war die Tochter des Herzogs von P., dessen Familie früher so intim mit Lady N. gewesen war, und die Empfehlung doppelt schätzbar, weil sie einen Beweis des guten Andenkens lieferte, in welchem ich bei der Familie S. stand, wie auch wegen des Schutzes der hohen und einflußreichen Dame, den sie mir sicherte. Nachdem ich also meiner Beschützerin und ihrer Familie meinen Dank gezollt, worauf ein herzlicher Abschied folgte, verließ ich, von den Glückwünschen dieser und einiger anderer Freunde begleitet, London und England, indem wir uns zu Anfang des Monats August in Southampton einschifften.

Sobald unser Gepäck in Sicherheit war und es nichts mehr zu besorgen gab, ließ ich mich neben Mistreß St. auf dem Verdecke in einem Zustande geistiger und körperlicher Abspannung nieder, der an Lebensmüdigkeit grenzte. Mich kümmerte nicht das bunte Gewühl und Treiben, selbst das Meer und die herrliche Küste vor mir konnten mich nicht interessiren; still und in mich gekehrt saß ich da und brütete über die Tragweite meines Vorhabens und seiner Veranlassung. Jahrelange Ungewißheit über das eigene Schicksal wie über das der Theuersten ist sicher das martervollste Loos des Menschen, und viel schlimmer als der Tod. Ich empfand es nur zu lebhaft! Nicht daß ich das geringste Mißtrauen gegen v. T. gehegt hätte, seine Liebe war allzusehr Vergötterung, sein Betragen allzu würdevoll gewesen; aber es konnten ja Verhältnisse obwalten, die er mir aus Liebe verschwieg und wodurch er mich der Fähigkeit, zu urtheilen und zu handeln, beraubte. Um nun [153] auf den Grund der Wahrheit zu kommen, beschloß ich, ganz im Geheimen nachzuforschen, und hatte deshalb meinem Bräutigam nichts von meiner bevorstehenden Reise geschrieben. So sehr ich mich auch bemühete, Licht und Klarheit in meine Pläne zu bringen, so bang und ahnungsschwer blieb meine Seele.

„Kennen Sie jene beiden Stutzer?“ unterbrach Mistr. St. mein Nachdenken, indem sie nach zwei jungen Männern hinblickte, welche in einer kleinen Entfernung uns mit ihren Lorgnetten fixirten.

„Nicht im Geringsten, erwiederte ich und hoffe auch nicht, mit ihnen in Collision zu kommen, denn sie sind zu debraillirt und affectirt für Leute von Bildung.“

„Sehr wahr, versetzte Mistr. St., es sind wahrscheinlich Glücksritter oder Schurfer, die auf alles wetten. Nehmen Sie sich in Acht, denn offenbar handelt es sich gegenwärtig um Sie.“

„Ich hoffe sie in Schach zu halten.“

Wir begaben uns bald darauf in den Salon, um einige Erfrischungen zu genießen, und sahen zugleich die schöne Insel Wight an uns vorübergleiten.

„Ach Gott, ach Gott, wenn nur der Onkel käme!“ stöhnte ein Knabe von ungefähr zehn Jahren, welcher auf dem Sopha lag.

Erstaunt, einen kleinen Landsmann in See zu treffen, fragte ich ihn: „Was willst Du denn, Kleiner? Was fehlt Dir, Kind?“

„Mir ist so schlecht geworden, daß ich wohl sterben werde,“ sagte er in einem jämmerlichen Tone.

Ich ließ ihm ein Glas Branntwein mit heißem Wasser geben und bat den Schiffsverwalter, ihn auf sein Bett zu legen, was derselbe gleich that. Nach einer Viertelstunde fand ich den Kranken ganz munter. Er wurde jetzt ganz gesprächig und legte seine Freude, eine Landsmännin gefunden zu haben, auf die naivste Weise an den Tag. Auf meine Frage, woher er sei, erwiederte er, er sei aus Guttenberg in Böhmen, die Mutter sei Wittwe und lebe beim Großvater, der Oekonom sei; der Bruder seiner Mutter, der schon seit zehn Jahren in Spanien als Kaufmann etablirt sei, habe seine Familie besucht und ihn mitgenommen, um ihn zu erziehen, und sei der beste Mann in der Welt. Ich weiß nicht, wie lange der Knabe so fortgefahren hätte, wenn nicht sein Onkel in dem Augenblicke eingetreten und auf uns rasch zugegangen wäre.

[154] „Da bist Du ja, Oheim, rief der Knabe einem Herrn in den Dreißigen mit treuherzigem, intelligentem Gesicht, dunklen Augen, Bart und Haaren zu. Dieses ist eine deutsche Dame und so gut und freundlich gegen mich gewesen,“ fuhr das Kind fort. Der Oheim schien nicht weniger überrascht als der Neffe, grüßte mich mit Herzlichkeit und dankte mir für meinen Beistand. Er richtete hierauf die gewöhnlichen Fragen der Passagiere an mich, die ich ihm gern beantwortete, denn man freut sich immer, in der Fremde einen Landsmann zu treffen, man fühlt sich gleich angeheimelt, denn des Deutschen Vaterland reicht so weit die deutsche Sprache schallt, sagt Körner.

Herr H. erzählte mir hierauf, was ich schon wußte, daß er in Spanien sehr viel Glück und bedeutendes Vermögen gemacht, jetzt gehofft habe, in seiner Heimath eine Lebensgefährtin zu finden, daß die Mädchen jedoch zu ungebildet gewesen, so daß er sich nicht habe entschließen können, eines davon zur Frau zu nehmen.

Er machte mir nach diesen Worten ein leicht zu errathendes Compliment, ich verneigte mich und schloß mich Mistreß St. an, welche sich eben mit einer Dame unterhielt. Da das Meer spiegelglatt war, erschienen alle Reisende an der Tafel; Herr H., welcher sich neben mir gesetzt hatte, bemühete sich, mir die Reize und Schönheiten Spaniens, speziell aber die der Stadt Vigo, wo er etablirt und ansässig war, anschaulich zu machen, und konnte die Liebenswürdigkeit der Spanier gegen Ausländer nicht genug rühmen. Er war viel gereist, hatte sich lange in England aufgehalten, und seine Vorliebe für Spanien konnte daher mit Recht als ein zuverlässiges Urtheil für dieses begabte Land gelten. Mir gegenüber saßen jene Dandys, deren einer ein langer Blondin mit großer Glatze Namens E. war, der andere ein kurzstämmiger Mensch mit breitem gemeinem Gesicht, den jener I. nannte. Beide fuhren fort, mich mit Blicken und Fragen zu langweilen, so daß ich mich des Gähnens nicht enthalten konnte. Sie suchten dadurch schließlich zu imponiren, daß sie die ganze Gesellschaft mit Champagner tractirten; ich weiß nicht, in wie weit ihnen dies bei anderen gelang, ich meinerseits machte keinen Gebrauch von ihrer Generosität.

Nach Tische gingen alle wieder auf Deck, da sich aber Mistreß St. früh zur Ruhe begab, legte auch ich mich zeitig nieder, herzlich froh, aus dem Gewühle der Außenwelt in mein Inneres zu flüchten. Hier las ich noch beim Scheine der Lampe v. T.’s letzten Brief, den ich [155] zwei Tage zuvor erhalten hatte. Sonderbar! in diesem Briefe schrieb v. T. unter anderem: „Ich schreibe Dir am Krankenbette meiner Schwester, die vielleicht nur noch wenige Wochen zu leben hat; mein Interesse aber fordert, daß ich bei ihr bleibe. Ich bin selbst krank vor Sehnsucht nach Dir, o könntest Du doch kommen, und mich all’ der nagenden Sorgen um Dich überheben, so würde ich meinen Geschäften mit zehnfacher Energie nachgehen können.“ Ich fühlte mich durch diese Worte beruhigt und gestärkt, ein süßer Schlummer umfing meine erschöpfte Psyche.

Am Abend des zweiten Tages lud uns Herr H. ein, in Vigo einige Tage zuzubringen, indem er uns sein Haus zur Verfügung stellte und viel Unterhaltung versprach; Mistreß St. lehnte jedoch das freundliche Anerbieten ab. Damit ließ sich aber Herr H. lange noch nicht abspeisen, sondern er machte mir am nächsten Tage einen förmlichen Heirathsantrag, den ich natürlich mit der größten Schonung ablehnte. Hierauf wandte er sich an Frau St. und bat sie, die Fürsprecherin bei mir zu machen, wovon sie jedoch nichts wissen wollte. Von nun an hielt sich dieser wirklich angenehme Gesellschafter etwas entfernter von uns, blickte mich aber von Zeit zu Zeit so trübsinnig an, daß mir selbst ganz wehmüthig um das Herz wurde. Wie wäre mir erst geworden, hätte ich nur in die nächste Zukunft blicken können, die einen schrecklichen Gegensatz durch die Entdeckung eines schwarzen Verrathes zu dem heiteren Loose bildete, welches mir mein Schicksal in dem liebevollen Antrage dieses wackeren Mannes bot.

Am vierten Tage kamen wir auf der Höhe von Corunna an, welches in den Strahlen der aufgehenden Sonne ein herrliches Panorama bildete, belebt von vielen Booten, die uns frische Lebensmittel zuführten. Hier blieb das Schiff eine Stunde liegen, um Passagiere aufzunehmen, und wir benutzten diese kurze Zeit, um Spaniens Erde zu betreten. Es war noch sehr früh, und die ganze Natur trug noch die Feierlichkeit und Frische, die den Morgen so lieblich kennzeichnen. Die Stadt Corunna bildet einen Halbkreis glänzend weißer Häuser mit grünen Jalousieen und blumengeschmückten Veranden, welche schwebenden Gärten gleichen. Die ganze Gegend scheint überhaupt ein Garten, und die in einiger Entfernung sich erhebenden Berge bilden den schöngeformten Rahmen dieses lieblichen Gemäldes. Wohin das Auge nur blickt, überall begegnen ihm Schönheit und Glanz. – Wir sahen hier [156] das Grabmal des General John Moor, eine schöne Marmorplatte mit dem Namen und Todestage des Helden, von zwei Trauerweiden beschattet. Für Wellington würde dies genügen, für einen weniger berühmten Krieger ist es zu wenig.

Von hier ging ein Spanier und eine Spanierin, die sich jedoch fremd waren, mit uns an Bord. Ersterer lieferte ein Beispiel echt spanischer Genügsamkeit, indem er sich den ganzen Tag mit einem kleinen Mundvorrathe begnügte, den er mitgebracht hatte, obgleich seine Hemdnadel und ein großer Solitair an seinem Finger sehr werthvolle Brillanten waren. Die Dame, eine bildschöne junge Frau, war ein liebenswürdiges Original von Kindlichkeit und Gattenliebe. Sie erzählte mir augenblicklich, daß sie ihrem Gatten nachreise, welcher Hauptmann in portugiesischen Diensten war und in Lissabon stand: sie schien all’ die Wonne nicht fassen zu können, die sie bei dem Gedanken an das Wiedersehen empfand. „Voy a vero esto querido hombre“, sagte sie wiederholt, indem sie die schönen Hände mit Inbrunst faltete. Bald nachdem wir Corunna aus dem Gesicht verloren hatten, wurden wir Vigo ansichtig, und hier zeigte mir H. sein schönes Haus, zu dessen auf Säulen ruhendem Portale eine halbkreisförmige Treppe führte. Hier wie auf der Veranda sah man überall schöne Blumen und Schlingpflanzen, welche mit dem prächtigem Garten, der das Haus umgab, einen höchst einladenden Eindruck machten. Rechts und links standen Magazine und Remisen, und das Ganze ließ auf Reichthum und Eleganz schließen.

„Alles dieses biete ich Ihnen, sagte H., indem er meine Hand faßte und mir ernst und innig in’s Auge blickte. Kommen und urtheilen Sie, ob Sie nicht glücklich mit mir werden können, ehe Sie mich von sich weisen; und wenn Sie sich jetzt nicht entschließen können, so können wir Briefe wechseln und uns kennen lernen, nur geben Sie mir Hoffnung.“

Mit etwas Schlauheit und Eigennutz hätte ich mir eine gute Parthie für den Fall, daß die andere mißlang, sichern können, allein ich hing mit so glühender Liebe an T., daß ich keinen Augenblick au die Möglichkeit dachte, ohne ihn leben zu können. Ich hielt es zugleich für Pflicht, einer so großmüthigen Neigung mit Offenheit und Ehrlichkeit zu begegnen, und sagte ihm daher, daß ich verlobt war und mich am Ziele meiner Wünsche befand.

[157] H. war der Letzte, welcher das Schiff verließ und mich beim Scheiden noch bat, seine Karte anzunehmen. Sein Abschied wie der seines Neffen glich demjenigen, welchen man von trauten Freuden nimmt. Ich sah ihm mit Rührung nach, bis er, von mehreren Personen umringt, in der Thüre seines Hauses verschwand. Der Wind erhob sich jetzt so heftig, daß wir uns genöthigt sahen, in unsere Betten zu flüchten. Man sagte uns, daß das Fahrzeug in Gefahr sei, gegen die sogenannten Barrièren von Oporto geschleudert zu werden, eine Felsenkette unter dem Wasser, die den Seefahrern bei Sturm sehr gefährlich ist und an welcher zahllose Schiffe zerschellen. Wir hatten indessen das Glück, der Gefahr zu entgehen, und bald war Luft und Meer ruhig genug, um uns einen Blick auf das schöne Cintra zu gestatten. Nichts ist reizender als dieses irdische Paradies mit seinem herrlichen Schlosse und freundlichen Villen auf der mit üppiger Vegtation bedeckten Felsenhöhe. Zwei Stunden später bot sich unseren Blicken das großartigste Schauspiel in Gestalt einer Hafenstadt, indem wir in die Mündung des Tajo einliefen. Außer der englischen Flotte, welche gerade mit ihren riesigen Kriegsschiffen im Hafen lag, sah man unzählige Fahrzeuge von den verschiedenartigsten Constructionen und Flaggen, und nichts vermag einen Begriff von dem lebhaften Verkehre zu geben. Zu unserer Linken spiegelte sich der umfangreiche Königspalast Belem mit seinen schönen Thürmen und Gärten in den Fluthen, und zu unserer Rechten erhoben sich die reizenden Anhöhen des gesegneten Algarbiens. Das Meer, das Land, die Stadt, alles schien mit dem Glanze des Himmels um den Preis zu wetteifern, so bunt und festlich erglänzte alles, was ich erblickte.

Wir legten am Zollhause an, wo, nachdem uns die Pässe abgenommen waren, unser Gepäck examinirt ward. Nachdem diese Qual überstanden war, ließen wir uns in einem Hotel am Kai nieder, wo wir sehr schöne Zimmer und vortreffliche Bewirthung fanden. Ich fand die Hitze hier unerträglich, denn mein Gemüthszustand erlaubte mir weder Erfrischungen noch Ruhe zu genießen. Da Frau St. schon Tags darauf nach Gibraltar abreisen wollte, um bei der ersten Entbindung ihrer Tochter gegenwärtig zu sein, blieb mir keine Zeit zu verlieren übrig, und ich entdeckte ihr deshalb die eigentliche Ursache meiner Reise, indem ich sie zugleich um Rath in meiner so delikaten Angelegenheit ersuchte. Mistreß St. rieth mir, meine Empfehlungsbriefe sobald [158] als möglich abzugeben und mich bei den Personen der Adressen nach v. T. zu erkundigen, ihr auch nach Beendigung meiner Geschäfte nach Gibraltar zu folgen. Wir standen während dieses Gespräches am offenen Fenster und sahen hinunter auf das Gewoge der Menschen, worunter wir E., I. und mehrere andere unserer männlichen Mitreisenden erblickten. Abermals richteten Erstere ihre Lorgnetten auf uns, und aus ihren Manieren ging deutlich hervor, daß wir der Gegenstand ihres Gespräches waren.

„Sehen Sie doch jene zwei dort, sagte ich, sie kommen mir vor wie Raubvögel, die ihre Beute umkreisen; mir ahnet, daß sie mir einen Fallstrick legen, und fürchte mich, nur eine Stunde allein hier zu bleiben.“

„Jedenfalls müssen Sie, antwortete Mistreß St., auf Ihrer Hut sein, denn man sagte am Bord, es seien ganz schlechte Subjecte, welche blos auf Abenteuer ausgehen.“

Wir begaben uns zeitig zur Ruhe, nicht ohne zuvor die Thüren unseres gemeinschaftlichen Zimmers verschlossen zu haben. Gegen sechs Uhr Morgens erwachten wir Beide durch ein Geräusch im Zimmer und erblickten zugleich einen Mann im tiefsten Negligée, welcher sich vom offenen Fenster nach der Wand schlich und durch eine Tapetenthür verschwand, welche wir noch nicht bemerkt hatten. Wir sprangen Beide mit lautem Geschrei aus dem Bette, warfen in Eile Kleider über und folgten der Spur des Verschwundenen. Zu unserem höchsten Schrecken fanden wir, daß die Tapetenthür in ein dunkles Cabinet führte, welches auf den Vorsaal stieß. Unser erster Gedanke war, daß man uns beraubt habe, und wir machten sogleich Lärm, um die Entdeckung des Thäters zu bewirken; Mistreß St. bemerkte zugleich, daß in dem gegenüber gelegenen Kaffeehause alle jene Engländer, mit welchen wir gereist waren, sich unter der Marquise versammelt hatten und lachend und streitend herüber blickten. In demselben Augenblicke sahen wir E. und I. über den Platz hinüberschreiten und sich mit jenen vereinigen. Das Haar und die Gestalt des Ersteren entsprach genau der Erscheinung, deren Gesicht wir jedoch nicht gesehen hatten, und es blieb uns kein Zweifel übrig, daß er’s gewesen war. Da wir nichts vermißten, so gerieth Frau St. auf die Idee, daß er eine Wette auf Kosten meines Rufes gemacht und durch seine Präsentation im Nachthabit am Fenster unseres Schlafzimmers gewonnen habe, was sich leider auch in der [159] Folge bestätigte. Der Wirth und die Wirthin waren außer sich über diesen Vorfall und nahmen sogleich ihre Leute in’s Verhör, um zu erfahren, wer das stets verschlossene Cabinet geöffnet hatte; aber Keiner wollte etwas davon wissen. Dieses Ereigniß erfüllte mich mit den trübsten Ahnungen, und nur das ungestüme Drängen der Verhältnisse hielt meine Thätigkeit im Zuge, meine eigentliche Kraft war durch die seitherigen Gemüthserschütterungen und eine bleierne Schwermuth mehr als halb gelähmt.

Sobald Frau St. abgereist war, ließ ich mir ein Paar kleinere Zimmer ohne Tapetenthür geben, setzte mich in einen Fiacre und begab mich auf den Weg, um meine Empfehlungsbriefe abzugeben. Unglücklicherweise war Lady H. de W. mit dem Hofe in Cintra, und ich fuhr deshalb bei einer Kaufmannsfamilie vor, an die ich ebenfalls empfohlen war. Ich fand diese Personen so steif und zurückhaltend, daß ich kaum eine Frage an sie zu richten wagte. Ich erkundigte mich zunächst nach dem verstorbenen Schwager v. T.’s, mit welchem dieser Kaufmann in Verbindung gestanden hatte, und genoß die Befriedigung, sehr ausführliche Berichte über ihn, seine Frau und Vermögensverhältnisse zu empfangen, welche zu meiner Beruhigung mit T.’s Berichten genau übereinstimmten. Ganz natürlich kam auch die Rede auf v. T., und auf meine Frage nach dessen Lebensverhältnissen erhielt ich die Antwort von dem Kaufmann, daß er ihn seit seiner Rückkehr nach Portugal nicht gesehen habe, noch zu sehen wünsche, weil er ein Jesuit und durchaus schlechter Mensch sei. Ich fühlte einen Anfall von Schwindel bei diesen Worten, aber ich beherrschte mich so gut ich konnte und erkundigte mich ferner.

„Als v. T. Waise ward, fuhr der alte Herr fort, ließ ihn sein Schwager, welcher selbst Jesuit war, in einem Jesuiten-Collegium erziehen. Da er ein grundsatzloser Spion und eine Art Inquisitor war, stand er in hohen Gunsten bei dem Nero von Portugal, Dom Miguel, und war der Haupturheber der unzähligen Verhaftungen und Hinrichtungen, welche während der Herrschaft dieses grausamen Tyrannen stattfanden. v. T. hätte nie seine Begnadigung erlangt, wenn er nicht der Erbe eines ungeheuern Vermögens wäre, das man nicht außer Landes lassen will.“

Zu sehr durch die Einredungen v. T.’s überzeugt, daß die Gerüchte über Dom Miguel und seine Freunde übertrieben und ungerecht seien, [160] maß ich auch diesem Urtheile wenig Glauben bei; das Empfindlichste dabei war, daß v. T. dem scheußlichen Orden angehörte, dessen alleiniges Ziel die Knechtung der Menschheit ist. Davon hatte er mir nie etwas gesagt. Mit Schrecken erinnerte ich mich der Grundsätze und Handlungsweise dieser Brüderschaft, daß sie dem Eide irgend eine Bedeutung unterschieben, die ihnen gerade entspricht, ohne sich durch den Wortsinn verpflichtet zu fühlen, also im Grunde einer Schurken-Religion huldigen.

„Ist er verheirathet?“ fragte ich mit einer Stimme, die ich so fest wie möglich zu machen suchte.

„Nicht daß ich wüßte, aber seine Haushälterin hat sich während seiner Verbannung für seine Frau ausgegeben.“

Ich athmete freier, denn er hatte mich also im Hauptpunkte doch mit Wahrheit berichtet, und ich durfte hoffen, ihn auch im Nebenwerke weniger schuldig zu finden. Auf meine Frage nach dem Aufenthaltsorte v. T.’s schickte der Kaufmann einen Diener auf Erkundigung aus, der auch bald seine Adresse brachte. Er wohnte in Olumiares, einem Städtchen bei Lissabon, auf einem schönen Landsitz, der sein Eigenthum war. Ich wußte nun genug und verabschiedete mich, die Einladung der Dame des Hauses zum morgenden Diner ablehnend, denn mein momentaner Zustand war ein solcher, daß ich nicht wußte, ob ich überhaupt den morgenden Tag erleben, geschweige ob ich diniren würde. Ich fühlte einen Tumult in meinem Blute, der mich um mein Leben bangen ließ.

Ich faßte jetzt den Entschluß, v. T. zu überraschen, doch wollte ich des Anstandes halber nicht allein zu ihm gehen, und bat daher die Wirthin des Hotels, mir unsere alte Dienerin mitzugeben, worein sie sofort willigte. Zum Glück hatte ich ziemlich gut portugiesisch von meinem Liebhaber gelernt, was mir jetzt sehr zu statten kam. Der Weg von Lissabon bis Olumiares machte drei bis vier englische Meilen, die wir zu Wagen zurück legten, ich in einem Zustande, welcher durchaus keines Eindruckes fähig war. In Olumiares hielt der Kutscher und erkundigte sich nach dem Hause v. T.’s, worauf man uns nach einem netten, mit einem Garten umgebenen Landhause wies. Dort angelangt, ließ ich den Wagen auf der Straße halten und begab mich zu Fuße mit meiner Begleiterin an dem Eingang, wo ich die Glocke anzog. Bald darauf erschien eine Dienerin, welche mir auf meine Frage nach Herrn v. T. antwortete, dieser sei bei seiner sehr kranken Gemahlin. [161] Ich meinte, unrichtig verstanden zu haben, und fragte daher: „Wer ist krank?“

„Frau v. T., die Gemahlin des Herrn v. T.,“ sagte die Person trocken.

„Sie meinen seine Wirthschafterin,“ entgegnete ich bebend.

„Er hat keine Wirtschafterin, es ist seine Gemahlin,“ lautete die Antwort.

In demselben Augenblicke trat v. T. aus einer Nebenthür und schien bei meinem Anblicke wie vom Blitze betäubt; aber auch ich stand starr und betäubt ihm gegenüber, einer Marmorsäule ähnlicher als einem lebendigen Wesen, bis endlich das Wort Betrüger meinen zitternden Lippen entfuhr.

„Sie stirbt!“ flehte er bleich und entstellt, aber schon hatte ich ihm den Rücken gekehrt und ging auf meine Begleiterin gestützt dem Wagen zu, indem ich befahl, nach dem Hotel zurück zu fahren, denn ich fühlte mich ernstlich erkrankt. In Olumiares fuhren wir an einer Apotheke vorüber; hier ließ meine Begleiterin halten und verlangte Tropfen für mich. Der Apotheker kam an den Wagen, bat mich auszusteigen, wobei er mir behüflich war, und gab mir etwas Krampfstillendes, während Maria mir die Schläfe mit Cölnischem Wasser rieb. Ich hatte mich eben ein wenig erholt, als ein Herr eintrat, den der Apotheker sogleich fragte: „Nun, wie geht es Frau v. T.?“

„Es kann höchstens noch einige Tage dauern, denn ihre Schmerzen sind groß.“

„Aber seit wie lange sehen Sie schon ihrem Tode täglich entgegen?“ versetzte der Apotheker.

„Diese Krankheit ist sehr täuschend, je gesunder der Körper übrigens ist, desto länger quält sich der Mensch, wie es eben hier der Fall ist.“

Ich hatte, frappirt durch den wunderlichen Zufall, dem Gespräche aufmerksam zugehört und fragte nun den Arzt, ob er die Dame, von der er eben gesprochen, näher kenne?"

„Was war, wenn ich fragen darf, diese Dame vor ihrer Heirath?“

„Ein sehr schönes und armes Mädchen, das Herr v. T. aus schwärmerischer Liebe freiete, und zwar im Geheimen, aus Furcht vor seiner Familie, von welcher er alles zu hoffen und zu fürchten hatte, nachdem er mit seiner ersten Gemalin, einer vornehmen und reichen Dame, sehr unglücklich, zuletzt getrennt gelebt hatte, bis zu ihrem Tode. Mit der [162] [WS 1] jetzigen Frau lebte er höchst glücklich und schenkte ihr deshalb seine Besitzung in Olumiares. Als v. T. nach Mozambik deportirt wurde, war die Senhora so untröstlich, daß sie in eine unheilbare Krankheit verfiel, in welcher sie ein Gelübde that, um vom Himmel die Wiedervereinigung mit ihrem Gatten zu erlangen. Als v. T. verhaftet wurde, warf sie sich dem Könige Dom Pedro zu Füßen, um seine Begnadigung zu erlangen, aber umsonst. Während der nun folgenden zwölfjährigen Trennung hörten sie nie auf, sich einander Beweise der zärtlichsten Liebe zu geben, und seitdem sie wieder vereint sind, ist ihre gegenseitige Zärtlichkeit so groß, daß sie selbst dem Tode die Macht zu nehmen scheint. v. T. weichet nicht von dem Schmerzenslager der Geliebten und scheint das erlöschende Licht durch seine Sympathieen zu erhalten.“

„Er ist Jesuit ?“

„Ja, aber einer der unvollkommensten, weil er mehr Gemüthsmensch als Speculant ist.“

„Es giebt verschiedene Arten Gemüther, darunter auch Neronen und Robespierres, welche beide offenbar Gemüthsmenschen und schlechte Speculanten waren. v. T. scheint übrigens sehr verhaßt zu sein?“

„Allerdings, weil er Miguelist bleibt und der jetzigen Parthei nicht dient, welche erzjesuitisch ist, denn die Jesuiten sind die kräftigsten Stützen despotischer Höfe.“

„Mein Herr, Europa lebt der Meinung, daß das jetzige Gouvernement in Portugal constitutionell ist, und das gestürzte ein despotisches war, welches, wie Sie richtig bemerken, im Jesuitismus stets seine Verfechter findet, nimmermehr aber das constitutionelle Prinzip.“

„Die Constitution ist hier zu Lande auch keine Wahrheit, alles ist hier Schein, nur der Despotismus nicht.“

„Dann müßte aber eben v. T. dem Hofe dienen, wenn er echter Jesuit ist, er scheint aber nur in der Schreckensherrschaft eines Miguel sein Element zu finden, und ich habe gehört, daß er der Hauptanstifter der blutigen Greuel und erster Helfershelfer jenes Ungeheuers war.“

„Es ist nicht zu leugnen, daß v. T. bisweilen ein Teufel war, aber er ist auch ein Engel gewesen.“

„Wahrscheinlich gegen die Jesuiten ein Engel, und gegen die andern ein Teufel.“

„Ich bewundere am meisten, daß v. T. die riesigen Leiden und Erschütterungen ohne Nachtheil für seine psychische Kraft ertragen und [163] durchlebt hat, denn obgleich ein Greis in physischer Beziehung, kommt ihm in geistiger doch kaum ein Jüngling gleich.

Hier überfiel mich eine neue Ohnmacht, und als mich die Arzneimittel wieder zu mir gebracht hatten, fuhren wir eilends in das Hotel zurück, wo mich eine allgemeine Lähmung überfiel. So war ich denn zu meinem Unglück nun auch außer Stande, Mistreß St… nach Gibraltar zu folgen. Was mich am meisten empörte, war v. T.’s Meineid und seine Aufforderung, zu ihm zu kommen, die offenbar in dem Wahne erlassen war, daß ich ihr unmöglich entsprechen könne. Ich fand diese Falschheit und Hinterlist so verächtlich, daß ich mir vornahm, auf ewig mit ihm zu brechen. Meine Krankheit erwies sich bald als ein heftiges Fieber, was ich nur durch die treue Pflege meiner Wirthin und Maria’s überstand. Kaum dem Tode entronnen, empfing ich einen Brief der Tochter von Mistreß St., worin sie mir meldete, daß ihre Mutter plötzlich an Herzkrankheit gestorben war. Dieser neue Schlag vernichtete die letzte Hoffnung, an welche ich mich geklammert hatte, und schleuderte mich wieder in ein Labyrinth von Angst und Sorgen, da meine Finanzen durch den langen, hier sehr kostspieligen Aufenthalt sehr geschwächt waren.

Während ich über meine Lage die traurigsten Ueberlegungen anstellte, meldete man mir eine Dame, welche mich zu sprechen verlangte. Ich ließ sie sogleich eintreten und war erstaunt, eine seltene Schönheit in den dreißiger Jahren mit zwei Kindern von sechs und sieben Jahren in der elegantesten Toilette vor mir zu sehen. Sie redete mich im feinsten Pariser Französisch an, sagte, daß sie von meinem Wunsche nach einer Anstellung als Erzieherin, von meiner Befähigung und traurigem Schicksale durch die Besitzerin des Hotels und einen Londoner Herrn gehört habe, der mich kenne und eben jetzt im Hause wohne. Hierdurch sei sie bewogen worden, mir die Stelle einer Gouvernante ihrer Kinder anzubieten. Ihre Karte nannte sie Madame D. Schließlich ersuchte sie mich, Tages darauf bei ihr vorzusprechen, was ich auch versprach. Ich hoffte, vorläufig einige Erkundigungen über diese Dame bei meiner Wirthin einzuziehen, allein das Haus war dermaßen mit Fremden angefüllt, daß ich dazu keine Gelegenheit finden konnte.

Am nächsten Tage ging ich zum ersten Male seit meinem Besuche in Olumiares wieder aus, bestieg aber auf Mariens Rath einen Omnibus, welcher Madame D.’s Haus passirte. – Wir begegneten einem [164] Priester mit einigen Ministranten, welcher einem Sterbenden das Abendmahl brachte und bei dessen Anblick sich alle Menschen auf der Straße und im Omnibus auf die Kniee warfen. Diese guten Leute erhoben sich von ihrer momentanen Selbstdemüthigung mit offenbarer Selbstgefälligkeit, denn sie betrachteten mich ungefähr mit denselben Blicken, wie der Pharisäer den Zöllner, und doch konnte ich meinerseits nicht umhin, zu denken, daß die Anbetung der Hostie eine ebenso rein menschliche Erfindung ist, wie die willkürlichen Opfer der Anbeter des Jaggernants.

Das Haus, in welchem Madame D. wohnte, glich einem Palast und war von einem üppigen Garten umgeben, sie selbst empfing mich in einem prachtvollen Saale, der von Spiegeln und Kronleuchtern strahlte und mit kostbaren Gemälden geziert war. Auch Madame D. schien dem Wahne zu huldigen, wie so viele, daß das Verschließen der Fenster die Zimmerluft frisch erhalte, die doch dadurch schwül und drückend wird, weil der Sauerstoffgas, die eigentliche Lebensluft, ohne Zuströmen der atmosphärischen Luft sich in der Hitze schnell verzehrt. Dieser Uebelstand ward aber durch einen köstlichen Springbrunnen gemildert, der aus einem Marmorbecken mit einem dicken Silberstrahle hoch emporstieg und beim Niederfallen ein melodisches Klingen und Plätschern erzeugte. Wäre durch offene Fenster ein sanftes Fächeln der Luft durch den dichten Blumenwald gestrichen, der rings um das von Gold- und Silberfischen wimmelnde Bassin duftete, so wäre der Reiz vollkommen gewesen. Madame D. empfing mich mit Herzlichkeit und führte mich nach der Begrüßung auf den Balcon, wo sie die Marquise aufzog, um mir alle Schönheiten ihres Wohnsitzes von innen und außen zu zeigen. Brunnen, dichte Baumgruppen, leuchtende Blumenbeete, schattige Ruheplätze, Statuen, reizende Spaziergänge und Pavillons zeigten sich von allen Seiten und schufen den herrlichsten Anblick für das unersättliche Auge, den die Phantasie nur ersinnen kann. Ich vermochte nichts zu sagen als: Armidens Zaubergarten! – Madame D. stimmte ein in meine Extase mit der stolzen Frage: „Wohne ich nicht der Blumengöttin Flora gleich?“

„Diese Umgebungen könnten mich die Welt vergessen machen,“ sprach ich gedankenvoll.

Voilà le mot! versetzte Madame D.; auch ich vergesse die Welt hier, und es hängt nur von Ihnen ab, mein Haus zu Ihrer Heimath zu machen.“

[165] Hierauf führte sie mich durch eine Reihe Zimmer, deren Einrichtung eben so geschmackvoll wie den verschiedenen Zwecken entsprechend war. Zuletzt kamen wir in den Speisesaal, worin sich ebenfalls ein Springbrunnen befand, der die afrikanische Hitze des Klimas in die zum Essen unentbehrliche Kühle verwandelte. Diesem gegenüber stand der Credenztisch und in der Mitte wieder ein gedeckter, an welchen wir uns zum Frühstück niedersetzten. Madame D. schellte und ein Bedienter erschien mit einem Brett voll dampfender Schüsseln.

„Sie überhäufen mich mit Güte, sagte ich, ohne mir den Herrn, der mich Ihnen empfahl, noch genannt zu haben.“

„Erinnern Sie sich eines Franzosen Namens B.?“ fragte hierauf die Dame.

„Sehr gut, ich habe ihm in den Londoner Gesellschaften sehr oft begegnet.“

„Nun, der ist hier und wohnt seit einigen Tagen in Ihrem Hotel. Er hat mir Ihre ganze lamentose Geschichte erzählt, wie er sie von Ihren braven Wirthsleuten erfuhr.“

Dieser B. war ein sehr geachteter Fabrikherr, und es freuete mich, einmal auch die Einwirkungen der Freundschaft und des Wohlwollens zu empfinden, nachdem ich die der Feindschaft so oft und schmerzlich gespürt hatte.

Nun will ich Ihnen auch meine Geschichte erzählen, fuhr Madame D. fort. Vor siebzehn Jahren kam ich mit meiner Mutter, welche Spitzenhändlerin war, hierher nach Lissabon, nachdem wir uns in London ohne Glück einige Zeit aufgehalten hatten. Wir stammten aus Paris und machten hier gute Geschäfte in Putz und Spitzen, allein ich erlebte das Unglück, in meinem siebenzehnten Jahre die Mutter zu verlieren. Das entschied über mein ganzes Leben. Jung, schön, allein und fremd wie ich dastand, sah ich mich bald von einer Schaar Liebhaber umschwärmt, aber Freier waren es nicht. Unter diesen wählte ich den schönen, aber unglücklich verheiratheten Grafen L. C. zu meinem Freund und Beschützer, was er noch heute ist."

„Sie sind also nicht verheirathet?“ fragte ich befremdet.

„Nein, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Gräfin wie der Graf katholisch sind, folglich nicht geschieden werden können.“

„Aber Jene sind doch Ihre Kinder?“

„Auch nicht! Zu den vielen Widerwärtigkeiten, die mich seit funfzehn [166] Jahren an der Seite des Geliebten trafen, gehört auch die, daß ich kein Kind gebar, sondern diesen heißesten Wunsch desselben unerfüllt lassen mußte. Und doch sind Kinder das einzige Band, welches eine Verbindung unauflöslich macht; ich muß sie um so mehr vermissen, je sehnlicher er Erben für sein bedeutendes Vermögen wünscht, welches er durch ein großes Einkommen als oberster Director der Eisenbahnen noch täglich vermehrt. Ich hatte den Schmerz, den Grafen Ausschweifungen aller Art sich hingeben zu sehen, wobei er in schreckliche Krankheiten und Schwierigkeiten aller Art verfiel. Dann kehrte er regelmäßig zu mir zurück, ich pflegte, heilte ihn, er gelobte Besserung, hielt einige Zeit Wort und verfiel dann in seinen alten Fehler. Wir genossen in jenen Ruheperioden nicht nur alle Annehmlichkeiten Lissabons, sondern machten auch Reisen, welche stets um so interessanter sind, als des Grafen hohe Bildung jedes örtliche Interesse hervorzuheben und zu beleuchten vermag. Obgleich weder ich noch der Graf es jemals der Mühe werth hielten, unser Verhältniß vor der Welt zu beschönigen, so ist unser Salon dennoch der Sammelplatz nicht nur der gescheidtesten und gebildetsten Männer, sondern auch ihrer Frauen und Familien. Denn die Welt weiß mich glücklich und gegen ihre Verfolgungen geschützt, deshalb huldigt sie mir; nur den Unglücklichen verachtet sie.“

Ich fand diese letzte Behauptung in so grellem Widerspruche zu des Grafen Aufführung, daß ich mich eines Lächelns nicht enthalten konnte, indem ich sagte: „Und kann der Graf Ihnen nicht wieder untreu werden, vielleicht ohne Wiederkehr?“

„Glauben Sie denn, ich habe mich mit hohlen Versprechungen und Liebkosungen begnügt? fragte sie mit dem Triumph eines Diplomaten. Nein, ehe ich die Geliebte des Grafen wurde, mußte er mir ein bedeutendes Kapital sichern, und diese Klugheit gewann mir seine Achtung und sein Vertrauen in demselben Grade, in welchem ich seine Liebe besaß, so daß ich bald in den Besitz der wichtigsten Geheimnisse kam. – Diesem Umstande, mehr als meiner Schönheit, verdanke ich den Einfluß, welchen ich seit jener Reihe von Jahren auf ihn ausübe. Vor acht Jahren hatte er eine Liaison mit einer Portugiesin, aus welcher die zwei Kinder entsprangen, die Sie gesehen haben. Auf meinen Rath übergab er sie mir ganz jung und speiste die Mutter mit einer Summe Geldes ab, indem sie sich aller ihrer Rechte begab. Seitdem vertrete ich Mutterstelle [167] an ihnen, und der Graf hat mir aus Dankbarkeit dieses Haus geschenkt und eine bedeutende Rente ausgesetzt.“

Das nenne ich das Ziel des Lasters mathematisch berechnen und consequent verfolgen, dachte ich bei mir. Ich fand jedoch eine gewisse Geradheit und Ehrlichkeit in dem Verfahren dieser Frau, daß ich ihr meine Achtung jenen unzähligen Gleißnerinnen gegenüber nicht versagen konnte, welche sich hochfahrend mit den Lorbeeren der Ehrbarkeit schmücken, ohne je einen Kampf bestanden zu haben, oder deren Fehltritte durch List oder günstige Verhältnisse verdeckt blieben. Nachdem Madame D. mir alle Annehmlichkeiten ihres Hauses und Lebens so viel wie möglich begreiflich gemacht hatte, bot sie mir schließlich einen sehr hohen Gehalt für die Erziehung ihrer Pfleglinge. Ich bat sie, meine Unschlüssigkeit für den Augenblick zu entschuldigen, indem ich noch gar keinen Plan gemacht hätte, und war eben im Begriff, wegzugehen, als der Graf L. C. eintrat, dem sie mich vorstellte. Er begrüßte mich mit der Höflichkeit eines französischen Edelmannes und entfaltete so viel Geist und guten Ton, daß ich seinem Wunsche gemäß wieder Platz nahm, um mich mit ihm zu unterhalten. Auf seine Bitte, eine Probe meiner musikalischen Fähigkeiten abzulegen, spielte ich ihm einige neue Erzeugnisse vor, womit er sich vollkommen zufrieden erklärte, auch sich sofort geneigt zeigte, das mir offerirte Honorar zu erhöhen.

Als ich zu Hause angekommen war, ließ sich Herr B. anmelden und ich ließ ihn eintreten, denn nie bedurfte ich eines rathenden Freundes mehr als jetzt. B. sprach zunächst seine Theilnahme an meinem Schicksale aus und erzählte mir, durch welchen Zufall er hier angekommen und davon unterrichtet worden war. Er kannte v. T. sehr genau, behauptete jedoch, ihn seit seiner Ankunft in Lissabon noch nicht gesehen zu haben, wußte aber, daß seine Frau gestorben war.

„Das ganze Unglück liegt darin, daß Sie einige Tage zu früh nach Lissabon gekommen sind, sagte er; wären Sie nur acht Tage später angelangt, als Frau v. T. begraben war, oder gar nicht gekommen, so waren Sie zuletzt auf dem Wege, die glücklichste Frau der Welt zu werden.“

„Nein, rief ich, das Unglück liegt darin, daß er mich infam belog und seine Lüge mit einem Eide besiegelte. Auf diesen schurkischen Meineid setzte ich meinen Ruf, meine hart errungene Stellung in der Gesellschaft, [168] meine Jugend, mein ganzes Lebensglück, ja das Leben meines ehrwürdigen Vaters, der diesen Schlag nicht überstehen wird.“

„Das war ein großes Unrecht, aber er that es aus Liebe zu Ihnen und weil er wußte, daß er Sie eingebüßt hätte, wenn Sie die Wahrheit erfuhren.“

„Mehr kann der Jesuiten-General selber nicht thun, rief ich empört, als seine Wünsche durch Meineide und Doppelverrath an zwei weiblichen Wesen krönen. Und wenn ihn Liebe zum Verbrechen bewog, warum schrieb er mir nicht nach dem Tode seiner Gemalin?“

B. sah mich lange prüfend an und sagte endlich: „Weil Sie entweder einen sehr großen Fehler begangen haben, oder das Opfer englischer Speculation geworden sind.“

„Weil ich nach Lissabon gekommen bin?“

„Nein! Kennen Sie einen Engländer Namens E.?“

„So hieß einer der Passagiere, die mit mir hierher reisten.“

„Ganz recht! er rühmt sich aber einer weit näheren Bekanntschaft mit Ihnen und hat dadurch eine Wette gewonnen, daß er sich früh sechs Uhr im Negligee seinen Gegnern aus Ihren Fenstern zeigte; und dieser Streich ist unter den hiesigen Engländern so bekannt, daß er bestimmt auch Herrn v. T. zu Ohren gekommen ist, was sein Stillschweigen hinlänglich erklärt.“

Der Schreck über dieses Bubenstück lähmte eine Weile alle meine Lebensgeister; endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, indem ich mich jener Erscheinung am Morgen nach meiner Ankunft erinnerte, wovon auch Mistreß St. Zeuge gewesen war. Ich erzählte Herrn B. den Vorfall und wies ihn deshalb an die Besitzer des Hotels, welche den Hergang der Sache wußten, aber er sagte, daß die Welt immer das Schlechte glaube.

„Aber Herr v. T. ist nicht in dieser Lage, rief ich außer mir, von mir das Schlechteste glauben zu müssen, zumal er auf dem Schauplatze jener Schlechtigkeit, die an mir begangen wurde, d. h. hier in diesem Hause alle Beweise meiner Unschuld finden konnte, wenn er noch irgend einen Zweifel an meiner Tugend hätte haben können.“

Ich fühlte einen solchen verzweiflungsvollen Schmerz, daß ich einen Rückfall in meine kaum überstandene Krankheit fürchtete. Ich fühlte alle Dämonen der Finsterniß gegen mich im Bunde und knickte gebrochen zusammen.

[169] B. suchte mich aufzurichten, indem er mit herzlichem Tone sagte: „Werden Sie nicht muthlos, Sie sind jung und talentvoll, alles kann noch gut werden. Ich habe Sie dem Grafen L. C. empfohlen, weil ich von Ihrer Sittenreinheit vollkommen überzeugt bin, und wenn Sie die Stelle annehmen, haben Sie eine der angenehmsten Positionen, können sich glücklich verheirathen oder, wenn Sie das nicht wollen, sich ein Kapital sammeln, mit dem Sie sich einst unabhängig machen können.“

„Die Stelle bietet mehr Schwierigkeiten wie jede andere, erwiederte ich; erstens weil die Verhältnisse der geselligen Einrichtung entgegen sind und ich durch Annahme dieses Engagements leicht die Achtung aller meiner Freunde verscherzen könnte. Zweitens habe ich einen anderen Maßstab für Bildung und Sittlichkeit als meine Prinzipale, folglich würden aus unserem Zusammenleben nur Dissonanzen entstehen, mithin das Ziel verfehlt werden.“

„Wenn ich Ihnen auf irgend eine Weise dienen kann, sagte Herr B. etwas verstimmt, so wenden Sie sich getrost an mich, es soll mich stets freuen, Ihnen Beweise meiner Achtung und Sympathie geben zu können.“

Nach seinem Weggange verfiel ich in dumpfes Hinbrüten über Schicksal und Menschen; die darauf folgende Nacht reichte mir weder Ruhe noch Stärkung, denn ich verbrachte sie weinend.

Als ich am nächsten Morgen nach dem Postplatze ging, um mich nach Cintra einschreiben zu lassen, begegnete mir Herr B., welcher auch dorthin wollte, weshalb wir mit einander gingen. Wir passirten einige gute Straßen und schöne Plätze, wobei ich nicht umhin konnte, das schlaffe, träge Wesen der Portugiesen mit dem rastlosen, maschinenartigen Treiben und Laufen der Engländer zu vergleichen. Sie saßen und standen sowohl in Gruppen wie einzeln vor den Kaffeehäusern und Läden, oder schlenderten umher, aber überall müßig; ebenso faul standen und lagen sie an den Fenstern, auf den Altanen. Ich war aber weit entfernt, zu glauben, daß das portugiesische Volk dem englischen an Betriebsamkeit oder Intelligenz nachstehe, denn ich hatte an v. T. und anderen Portugiesen eine seltene Energie, Ausdauer und Scharfsinn bemerkt, ich wußte auch zu gut, daß ein unterjochtes Volk, an dessen Mark überdies noch die Engländer zehren, sich nicht froh und kräftig bewegen kann. Mir blutete das Herz, als wir durch elende Gassen fuhren, deren Bewohner halb nackt, mager und elend wie ihre Wohnungen [170] aussahen, trübsinnig umher wankten oder vor den Thüren kauerten und ihrer Trübsal mit stoischer Apathie in’s Auge sahen, während sie sich der edelsten Geistesgaben bewußt sein müssen. Himmel, rief ich erschüttert, wohin kann ein edles Volk durch seine Regierung gebracht werden! Das waren dieselben Portugiesen, welche einst die Meere beherrschten, Ostindien eroberten, Brasilien entdeckten und einnahmen, das Vorgebirge der guten Hoffnung zuerst umschifften, Madeira, die Azoren und so viele der schönsten Theile unserer Erde auffanden! O Heinrich der Seefahrer, o Basco, o Cabral! rief ich weinend, und als mir jetzt Strophen des göttlichen Camoens einfielen, mußte ich mich gewaltsam fassen, denn schon war meine Umgebung aufmerksam geworden und sah mich mit bedenklichen Blicken wie eine Irrsinnige an.

Der Weg von Lissabon bis Cintra bietet dem Auge wenig Interessantes dar, noch weniger Erfreuliches, selbst die Gasthäuser, welche ich hier sah, ärgerten mich durch ihr primitives, beinahe vorsündfluthliches Aussehen, und ich mußte unwillkürlich an Don Quixote's und Sancho Pansa’s Wirthshaus-Abenteuer denken. Je näher wir jedoch Cintra kamen, je malerischer wurde die Gegend, und als wir nun erst seiner Paläste und Villen ansichtig wurden, ihre reizenden Gärten, Pavillons, architektonischen Schönheiten aller Art, südliche üppigste Pflanzenpracht auf Bergen, Abhängen und in Thälern entfalten sahen, fühlten wir uns wirklich aus der Unterwelt in das Elysium entrückt, und so gebeugt von Gram mein Gemüth auch war, konnte es doch der wohlthätigen Magie dieser Scenen nicht widerstehen, sondern unmerklich erwachten Lebenmuth und Hoffnung wieder darin.

Um elf Uhr kamen wir in Cintra an und hielt der Postwagen vor dem „englischen Hofe“, wo Herr B. und ich, von der tropischen Gluth ganz erschöpft, ein erfrischendes Mahl einnahmen. Hierauf begab ich mich nach dem Hotel der englischen Gesandtschaft, erfuhr aber mit Bedauern, daß Lady H. an der Halsbräune darnieder liege, unter welchen Umständen ich es angemessen fand, ihr den Brief der Marquise von S. zu übersenden und auf Antwort zu harren. Nach einigen Minuten erhielt ich die freundliche Aufforderung, Lady H. de W. Nachmittags vier Uhr zu besuchen, und es blieb mir daher nichts übrig, als mich bis dahin im Gasthause aufzuhalten, anstatt, wie ich mir vorgenommen, mit der Post von Masra nach der Hauptstadt zurückzukehren. Vor dem Hotel fand ich Herrn B. im Begriffe, ein Maulthier zu besteigen; er lud [171] mich ein, ein Gleiches zu thun, um eine angenehme Excursion zu machen, und da ich ohnehin nicht wußte, wie ich die Zeit bis zu meiner Vorstellung bei Lady H. ausfüllen sollte, so ließ auch ich ein Thier mir bringen, um unter Vortritt eines Führers den Berg zu besteigen, auf welchem das königliche Schloß majestätisch thront. So schön es aber an sich selbst ist, verdankt es doch seine Berühmtheit hauptsächlich seiner unvergleichlichen Lage und unbeschreiblich schönen Aussicht auf das Meer und die Umgegend. Da die königliche Familie anwesend war, so blieb uns der Eintritt versagt, wir besuchten jedoch den Garten, welcher einen seltenen Reichthum kostbarer Blumen und Pflanzen, geschmackvolle Parthieen, Schattengänge und Grotten enthält. Der Duft dieser südlichen Vegetation, von der frischen See- und Bergluft gefächelt, ist ganz geeignet, das Herz wonnetrunken und den Aufenthalt paradiesisch zu machen. Das Klima ist hier weit kühler und gesunder als in Lissabon, und zwar nicht sowohl wegen des Unterschiedes der Breite, als wegen der hohen Lage. Als ich auf diesen Bergen umherritt, die balsamische Luft athmete, den tiefblauen Himmel über mir, das unermeßliche Meer in allmächtiger Erhabenheit und Schönheit zu meinen Füßen, fühlte ich mich von neuer Lebenskraft durchdrungen, so allgewaltig ist der Einfluß der Physis auf die Psyche. Die menschliche Kunst scheint mit dieser höchsten Schönheit der Natur einen Wettkampf eingegangen zu haben, denn überall trifft das Auge auf glänzende Villen mit Säulenhallen und bunten Gärten, dann wieder auf Orangenwälder und Weingelände, fernab die Wasserwelt in stiller Glorie, vom sausenden Kiel durchschnitten. Die Phantasie träumt hier nur von Liebe und Glück, die Seele plätschert wonnetrunken in einer Ueberfülle himmlischer Wollust.

Zur bestimmten Stunde begab ich mich zu Lady H. de W. und hatte die Befriedigung, auf das wohlwollendste und befriedigendste empfangen zu werden. Sie ging sogleich mit lebhaftem Interesse auf meine Verhältnisse ein, sagte mir, daß es in Portugal gänglich an tüchtigen Erzieherinnen und Lehrerinnen mangele, rieth mir, mich hier niederzulassen und versprach, mir durch ihre Protection hinreichende Verbindungen und einen lohnenden Wirkungskreis zu verschaffen. Eine feste Stellung anzunehmen widerrieth sie mir, weil Gleichheit des Glaubens dort die erste Bedingung ist, ich auch auf diesem Wege weniger Annehmlichkeiten und Einkünfte finden würde, als in der Stellung einer Lehrerin.

Nachdem Lady H. sich längere Zeit auf das herablassendste und [172] theilnehmendste mit mir unterhalten hatte, erwies sie mir die besondere Auszeichnung, mir ihre zwei Kinder zu zeigen, von denen das älteste, ein prachtvoller Knabe von ungefähr sechs Jahren, mit geistreichen muthvollen Augen, sich auf einem Steckenpferde herumtummelte. Das jüngste, ein wunderschönes kleines Mädchen auf dem Arm ihrer Wärterin, lachte und zappelte mir vor Liebe und Freude entgegen, als ich mich mit ihm unterhielt. War mir die liebevolle Aufnahme Seitens der Mutter wohlthuend gewesen, so war mir das Entgegenkommen dieser unschuldigen Engel es nicht minder, denn nichts ist mir von jeher schmeichelhafter gewesen, als die vertrauensvolle Hingebung, die augenblickliche und instinctmäßige Sympathie, welche zwischen mir und allen kleinen Kindern immer stattfand. Wenn die ungewöhnlich feinen Fühlfäden meines Herzens mich für tausend Schmerzen empfänglich machen, die der Masse fremd bleiben, so sind es auch wieder gerade diese, welche mich befähigen, die kindliche Seele zu verstehen, ihren Bedürfnissen entgegen zu kommen, ihren Hindernissen abzuhelfen und ihre Mängel zu ergänzen. Und wenn auch leidenschaftliche Menschen mir dieses wie jedes andere Verdienst absprechen, so habe ich doch das Bewußtsein, daß mein Wirken im Erziehungsfache ein höchst segensreiches war, daß es mir gelungen ist, auch den schlechtesten Boden zu veredeln. Das Gesetz der Affinität selbst ist mein Rechtsanwalt, denn so oft ich mit Menschen in Berührung komme, gewinne ich stets die edelsten und vollkommensten für mich, während alles Gemeine und Niedrige mir entgegenstrebt, denn die Natur bleibt sich ewig treu und wahr.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: mit der der